Vorwort
[13]Die „Moderne deutsche Lyrik“ will eine literarische Anthologie für jedermann sein. Der Begriff „modern“ wurde von mir in diesem Sinne aufgefaßt: In erster Linie war die neuwertige Lyrik, zu berücksichtigen, die in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts sich Geltung zu verschaffen suchte und seit den neunziger Jahren die herrschende wurde. Ihre Hauptvertreter, sowohl die der älteren Generation, der Stürmer und Dränger, die Conradi, Bleibtreu, Holz, Arent, Henckell u.a., als auch die der nachfolgenden Generation, die Dehmel, Falke, Busse, Bierbaum u.a., waren vorzugsweise zu berücksichtigen; ich mußte ein möglichst vollkommenes Bild von der künstlerischen Persönlichkeit jedes dieser Dichter zu geben suchen. Der Nachwuchs kam bis auf die jüngsten Talente sodann in Betracht. Ich habe mich bemüht, von den meisten auch der begabten Jüngsten ein paar charakteristische Proben zu geben. Alle diese Dichter konnte ich natürlich nicht kennen. Aber vielleicht geben die Proben in ihrer Gesamtheit ein ungefähres Bild von den jüngsten Bestrebungen und erfüllen wenigstens diesen Zweck. Ferner waren die Dichter der Übergangszeit zu berücksichtigen. Ich bin hierbei soweit als möglich zurückgegangen.
Meinem Empfinden nach aber mußten Dichter wie Lingg, Heyse, Jensen, Dahn und andere dieser ältesten Generation fortbleiben. Hier ist die Grenze deutlich sichtbar. In dieser Beziehung bildet meine Anthologie die Fortsetzung zu der Sammlung „Deutsche Lyrik seit Goethes Tode“ von Maximilian Bern. Dagegen habe ich zwei von den Lyrikern dieser ältesten Generation berücksichtigt; den einen, Konrad Ferdinand Meyer, weil er vielen Modernen vorbildlich war und weil er vielleicht der einzige unter seinen Altersgenossen während der letzten zwanzig Jahre war, dessen Lyrik bei höchster Subjektivität von vollkommenster suggestiver Prägnanz ist, — weil seine Kunst im Gegensatz zu der fast aller seiner Altersgenossen wirkliche Persönlichkeitskunst und insofern typisch für eine Art der deutschen Kunst überhaupt war, — und den andren, Theodor Fontane, weil er, der Realist, wenn auch [14]vielleicht nicht als einziger, so doch in hervorragendster Weise unter seinen Altersgenossen während der letzten zwanzig Jahre eben diesen anderen deutschen Typus repräsentierte. Beide verbinden uns am besten mit der Vergangenheit! Weiter zurückgreifen, etwa auf Keller, Storm, Mörike, die Droste, wollte ich nicht.
Es waren endlich noch neue Dichter zu berücksichtigen, die zwar für die Entwicklung der modernen Lyrik nichts Bedeutsames, doch an sich Beachtenswertes geschaffen haben.
Das Gebiet der Lyrik ist unermeßlich. Lyrisch ist schließlich alle Dichtung. Ich zog mir äußere Grenzen und schloß aus: lyrische Partien aus Epen und Dramen, in Prosaform geschriebene und nicht hochdeutsche Lyrik. Einige wenige Übersetzungen nach neuen Dichtern, die ganz besonders die moderne deutsche Lyrik beeinflußt haben, nahm ich aus.
Da dies Buch einen umfassenden Überblick über die gegenwärtige deutsche Lyrik geben sollte, durfte ich auch lyrische Gedichte von anderen bekannten und begabten modernen Dichtern, Dramatikern? und Romanciers, geben.
Vielleicht wird dieser und jener auch von den bekannteren Dichtern vermißt werden. Daran habe ich keine Schuld. Der Verlag und ich haben getan, was wir in dieser Beziehung tun konnten. Einige Dichter lehnten meine Einladung direkt ab, darunter Stephan George, der mir schrieb, „daß es ein Irrtum wäre, ihn zur modernen Literatur zu rechnen“. Andere antworteten mir auf meine Bitte, mir Gedichte zur Verfügung zu stellen, gar nicht.
Eine vollkommene Genauigkeit und Gleichmäßigkeit in den biographischen Angaben war nicht durchzuführen, da einzelne Dichter und Dichterinnen durchaus nichts über ihr Geburtsdatum usw. verraten wollten. Die bibliographischen Angaben konnten ebenfalls nicht durchweg genaue und vollständige sein, einmal weil in einigen Fällen das Veröffentlichungsjahr in den Büchern nicht angegeben und auch nicht aus andere Weise zu ermitteln war, und dann, weil in den Fällen, wo mehr als zwei Auflagen vorliegen, nicht das Jahr jeder Auflage angeführt werden konnte. Neben dem Jahr der ersten ist nach Möglichkeit nur das der letzten mitgeteilt.
Wilmersdorf bei Berlin, im August 1903.
Hans Benzmann
Die Entwicklung der modernen deutschen Lyrik
„O Künstler, deine Mannigfaltigkeit sei ebenso endlos wie die Erscheinungen in der Natur. Indem du das fortsetzest, was Gott begonnen hat, strebe nicht danach, die Werke aus Menschenhand zu vermehren, sondern die ewigen Schöpfungen Gottes. Ahme niemandem nach. Jedes deiner Werke sei eine neue Naturerscheinung.“ Lionardo da Vinci
[15]Wir können heute nicht beurteilen, ob wir uns noch immer in einer literarischen Übergangsperiode befinden oder ob die literarische Bewegung der letzten zwanzig Jahre nicht schon einen neuen Höhepunkt in der deutschen Literaturentwicklung bedeutet bezw. ob sie den ihrigen bereits überschritten hat. Jedenfalls ist die Zahl wirklich talentvoller, ja eigenartiger Poeten — abgesehen von einigen wenigen Dichtern sogar ersten Ranges — in Deutschland gegenwärtig nicht klein. Anderseits ist seit Mitte der neunziger Jahre nach heftigen literarischen Fehden und nachdem grade vor jener Zeit einige bedeutende und schöpferische Dichter aufgetreten waren, nicht nur der Kampfeslärm verstummt, sondern sogar eine gewisse Schaffensmüdigkeit eingetreten, so daß wir wohl berechtigt sind, die letzten Jahre als eine ein Entwicklungsstadium in gewisser Beziehung vorläufig abschließende Ruhepause zu bezeichnen. Damit ist nun nicht gesagt, daß alles poetische Schaffen und Wirken seit einigen Jahren daniederliegt. Im Gegenteil: Was geschaffen wurde, wirkt in die Tiefe und Breite, wirkt nicht nur auf die jüngeren und jüngsten Ta[16]lente zweiten und dritten Grades, so daß alle neue Kunst allmählich den Charakter des Neuen, Modernen zeigt, sondern auch in das Volk, insbesondere in die gebildeten Kreise hinein. Die entgegengesetztesten Richtungen, Schulen und Theorien wirken auch heute, ohne sich — wie vor zehn Jahren — direkt zu bekämpfen; ein lustiges Leben und Weben, ein Getümmel der verschiedensten Ideen und Prinzipien herrscht, — wenn auch in den letzten Jahren keine neuen bedeutenden Talente zu den älteren hinzugetreten sind so daß man jedenfalls von einem Verfall, einer Dekadenz der deutschen Kunst durchaus nicht reden kann.
Bevor ich auf die Entwicklung der modernen Lyrik eingehe, halte ich es für nötig, zunächst einiges über das Wesen der deutschen Kunst und über den allgemeinen Zusammenhang der modernen deutschen Kunst mit der deutschen überhaupt und über künstlerisches Schaffen und Wirken, Urteilen und Genießen zu bemerken.
Die Kunst der Germanen ist individualistische Kunst: Persönlichkeits- und Empfindungskunst im Gegensatz z.B. zur romanischen, die vorzugsweise Formen- und Verstandeskunst ist. Man kann deshalb nicht gut von einer deutschen Tradition reden (höchstens im besonderen Sinne). Wohl aber ziehen sich gewisse markante Linien durch die ganze germanische Kunst, welche steigen und fallen, sich fliehen oder allmählich (in Blütezeiten) oder jäh und innig (in der Kunst genialer Persönlichkeiten) sich vereinen. Eine dieser Linien — ich möchte sie zunächst einmal die mythische und mystische nennen —, die der Ideen und Ideale, der Symbole und großen Rhythmen, die der Propheten, Märtyrer und Reformatoren, der Zweifelnden und Befreienden, der Zerstörenden und Aufbauenden, geht aus von den Liedern der „Edda“ über das „Nibelungenlied“ (alle Kunst ist im weitesten Sinne lyrisch) und den „Parzival“ des Wolfram, über die Mystiker des Mittelalters, über den Ghibellinen Dante (denn wer hindert uns, anzunehmen, daß Dante etwa von gotischen oder [17]longobardischen Ahnen abstammt), über Shakespeare, Luther zu Schiller, Goethe, Novalis, Kleist, Grabbe, Hebbel, Grillparzer, Anzengruber, K.F. Meyer, Wagner, Nietzsche, Richard Dehmel, — zu Byron, Shelley, Poe, Carlyle, Emerson, Walt Whitman, Ruskin, — zu Ibsen, Björnson, Strindberg, — zu Multatuli und Maeterlinck, zu — beinahe hätte ich noch den von deutschen Voreltern abstammenden Tolstoj genannt. Die andere Linie — hier brauche ich nur die deutsche Kunst zu berücksichtigen — beginnt mit den ältesten Volksliedern, Sagen und Märchen, und geht, auf diese immer wieder zurückgreifend, über Walther von der Vogelweide, über Hans Sachs, über die späteren Dichter des evangelischen Kirchenliedes, um nur einige Verzweigungen zu nennen, zu Goethe (dem Dichter der Balladen und Lieder), zu Claudius, Bürger, Uhland, Eichendorff und Mörike, zu Annette von Droste-Hülshoff, zu Storm und Klaus Groth, von Bürger und Goethe zu Fontane und Detlev von Liliencron. Die Begriffe: idealistische und realistische, sentimentalische und naive Kunst decken nur zum Teil diese Gegensätze. Man könnte, um die Linien kurz zu charakterisieren, die eine die der typischen deutschen Kunst bezeichnen, die andere die der individuellen deutschen bezw. germanischen Kunst. Beiden Kunstarten steht als gewissermaßen dritte die epigonenhafte Kunst gegenüber. Wir werden deshalb Dichter wie z.B. Storm und Johann Georg Fischer niemals Epigonen nennen, obwohl sie nicht zu den starken und originellen Persönlichkeiten gehören.
Der Typns der deutschen Kunst, deren Wesen realistisch ist, wird selbstverständlich immer wieder im Entwicklungsverlauf der deutschen Literatur erscheinen. Das liegt in der Natur der deutschen Kunst, die doch aus dem Volksempfinden, aus der Volksart emporwächst. Dagegen werden niemals neue und noch so originelle künstlerische Theorien ankämpfen können. Und ich behaupte, daß wir, wenn diese Kunst, die ich schlechthin die deutsche nannte, den breiten Untergrund der jeweilig schaffenden und wirkenden Ge[18]samtkunst bildet, daß wir dann von einer natürlichen und gesunden Entwicklung der deutschen Kunst reden können.
Kunst, die aus der Tiefe des Volksgemütes schöpft, erschein nämlich ganz von selbst in einer Form, die auch der ästhetisch Feingebildete gelten lassen muß, gewissermaßen in jener Form, die Anfang und Ende aller Kunst ist, die bewußt oder unbewußt auch von Künstlern subjektivster Art gesucht wird, und sogar von denen, die sie verleugnen, urplötzlich und unwillkürlich geschaffen wird. In der Tat, fast jedem echten Dichter gelingt einmal eine Strophe, die wie ein uraltes Volkslied klingt, wie uralte Poesie, oder sie steht auf einmal vor ihm fertig da, kaum weiß er, woher und wie sie ihm zuflog.
Daß auch innerhalb der modernen Literatur von einer ganzen Reihe von hochbegabten Dichtern — ich nenne neben Liliencron, Falke, Karl Busse — jener deutsche Kunsttypus vertreten wird, gereicht ihr zur Ehre und zeugt von ihrer gesunden Art und Entwicklung. Aber auch grade in der modernen Literatur findet man bei Dichtern, die ganz den entgegengesetzten Kunstanschauungen huldigen, wie z.B. bei Richard Dehmel, Arno Holz, Johannes Schlaf, ja sogar bei Dauthendey, Mombert und Stephan George einzelne Lieder bezw. Strophen, die geradezu volksliedartig wirken. Man kommt auf Umwegen immer wieder auf diese Einfachheit zurück. Auf die mit dieser Frage zusammenhängenden spezielleren modernen ästhetischen Probleme, insbesondere auf die naturalistischen und formalistischen Theorien sowie auf die verschiedenen persönlichen Stile komme ich später bei der Darstellung der Entwicklung der modernen Lyrik bezw. bei den einzelnen Charakteristiken der hervorragendsten modernen Lyriker zu sprechen.
Anderseits ist die deutsche Kunst, und ganz besonders auch die moderne: Persönlichkeitskunst, Ideen-, Weltanschauungskunst, individuelle Stilkunst. Ich habe hierbei im Sinne die Dichtungen eines Richard Dehmel, [19]Johannes Schlaf, Julius Hart, Wilhelm von Scholz, Hugo von Hofmannsthal, Alfred Mombert, um nur einige der bedeutenderen modernen Vertreter dieser Kunst zu nennen. In den Dichtungen der Genannten spiegelt sich die individuelle Seele, Zeitliches und Ewiges, spiegeln sich die mannigfaltigsten Kunst- und Weltanschauungen. Welcher Art jede derselben ist, darüber später.
Es kommt nun nicht darauf an, ob die Weltanschauung bezw. die Kunst eine — im alten Sinne — sittlich wirkende ist. Wenn nur das Kunstwerk aus innerster Ergriffenheit heraus vom Künstler geschaffen wurde, aus einem tiefen Erleben, Fühlen, Denken, aus wahrhaftem Traum und Treiben, wenn es nur in heiliger Wahrhaftigkeit vor uns steht, wie eine Notwendigkeit, wie die Welt, wie das Leben, wie das Schicksal. Nicht das Häßliche, Perverse, Grausenerregende, nur das Verlogene, Unehrliche, Unfreie, das Nachempfundene, Nachgemachte, Konventionelle ist zu verwerfen. Man hat neuerdings wieder gesagt, daß die deutsche Kunst eine aus ureignem sittlichen Geiste heraus geborene sei. Mögen derartige Bestrebungen im Wesen des Deutschen begründet und auch in seiner Kunst bisweilen stark (Schiller) hervorgetreten sein, mag es zu wünschen sein, daß auch von den Künstlern der Zukunft positive, optimistische, an sich erhebende Ideen verkündet werden — an sich hat die Kunst diesen Zweck, dieses Wesen nicht, noch wirkt wahrhafte, ehrlich Kunst unsittlich. Nicht jede Kunst ist für jeden. Fühlen, Schaffen, Genießen und Urteilen ist vielmehr im höchsten Grade subjektiv, ist Triebleben. Künstlerisches Kunstschaffen und -genießen ist wie ein Fluidum, das die ganze Welt, organische und unorganische, durchzieht, ist eine besondere Eigenschaft alles Lebens, ein ureignes, urirdisches und urhimmlisches Phänomen — wie kann man ihm da andere Zwecke und Ziele unterschieben, als die ihm ureignen, die auf Befriedigung dieses Urtriebes bei dem Schaffenden sowohl wie bei dem Genießenden gehen? Freilich, nochmals sei es betont, [20]nicht jede Kunst ist für jeden. Höhenkunst, intime und feine Kunst aber darf in erster Linie nicht an dem Maßstabe des Befangenen und einseitig Einfindenden gemessen werden. Kunst bedarf darum notgedrungen höchster Freiheit, und ihr Schranken und Grenzen zu setzen, ist geradezu widersinnig und unnatürlich. Daß auch in der ernst zu nehmenden Kunst — neben dieser geht natürlich immer eine unehrliche, verlogene Kunst, eine der Nachahmungen und Übertreibungen her — sich heute vielfach ein übersensitives, ja anscheinend perverses Wesen mehr wie sonst breit macht, ist begreiflich; denn in einer nach einer neuen Auffassung des Menschlichen und Göttlichen ringenden Zeit muß auch die Kunst, um neue Ideale und Symbole zu finden, bis an die tiefsten Wurzeln des Menschlichen vordringen.
Es ist und bleibt das Verdienst der Gebrüder Heinrich und Julius Hart, die ersten gewesen zu sein, die mit überzeugendem Pathos für eine Neubelebung der deutschen Literatur und für eine Emanzipation derselben von aller konventionellen und abstrakten Darstellungs- wie herkömmlichen sentimentalen Empfindungsweise eintraten. Bereits im Jahre 1879 hatte Julius Hart eine Gedichtsammlung „Weltpfingsten“ veröffentlicht, in der sich ein neuer, kühner, optimistischer Geist und ein universales und idealistisches Empfinden in schwungvollen Rhythmen und originellen Bildern offenbarte. Das Evangelium der Menschlichkeit wurde in diesen Gedichten verkündet im Gegensatz zur Tagespoesie, die in phrasenhafter sentimentaler und sogenannter Butzenscheibenlyrik aufging, anderseits in gedanklicher Beziehung an einem schwülen Pessimismus krankte, der wiederum ein materialistisches Weltempfinden zur Folge hatte, das sich in sinnlich üppigen, oft freilich auch rhythmisch schönen Strophen äußerte. Abgesehen von den noch rüstig schaffenden älteren Poeten waren damals Julius Wolff und Rudolf [21]Baumbach bie bekanntesten und beliebtesten, jener ein süßlicher doch immerhin phantasiebegabter Poet, dieser ein kecker, temperamentvoller Lyriker! Neben diesen dichtete lustig fort die ganze Schar der Epigonen und Dilettanten, die Rittershaus und andere; sie erst brachten die deutsche Lyrik vollends herab. Nicht vergessen sei aber, daß damals noch einige Dichter der ältesten Generation wirkten, deren Poesien uns heute moderner anmuten, wie etwa die der Gebrüder Hart. Ich meine Theodor Fontane und Konrad Ferdinand Meyer, die denn auch spätere Moderne, namentlich Liliencron und Falke, mehr oder weniger stark beeinflußt haben. Anderseits sind an dieser Stelle auch Dichter wie Martin Greif, Eduard Grisebach, Emil Prinz von Schoenaich-Carolath, Heinrich Vierordt, Ferdinand Avenarius, Heinrich von Reder und Ferdinand von Saar zu nennen, von denen die einen damals bereits ihr Bestes gegeben, die anderen ihre ersten Verse gerade veröffentlicht hatten und von jenen Jahren an neben den eigentlichen Modernen rüstig weiter schufen. So verschieden geartet diese Dichter sind, sie alle repräsentieren doch, sei es in formeller oder in inhaltlicher Beziehung, so recht die Übergangslyrik. Martin Greif ist in seinen besten Poesien durchaus nicht Epigone. Er hat Gedichte geschaffen von einer Knappheit und schlichten Prägnanz des Ausdrucks, die sie unseren besten Volksliedern und Goethes schönsten Gedichten ähnlich erscheinen lassen. Diese Prägnanz und diese die Tiefe und Weite der Empfindung nur andeutende lyrische Unmittelbarkeit ist niemals epigonenhafter Poesie eigen. Greif hat zwar zu den Stürmern und Drängern der Modernen keinerlei Beziehungen, eben weil er mehr Dichter war als diese, den eigentlichen Modernen der neunziger Jahre, namentlich den maßvolleren Vertretern der zweiten Generation, aber ist er in künstlerischer Beziehung entschieden verwandt. In Eduard Grisebachs Gedichten lebt der Byron-Heinesche Ton des Weltschmerzes und der Ironie noch fort. In dieser [22]Beziehung ist Grisebach so recht der Repräsentant jener Zeit der Dekadenz der alten Kunst, für die auch seine sinnlich-üppigen Tanhäusergedichte charakteristisch sind. Anderseits aber zeigt seine Poesie auch viele modernere Momente. Insbesondere kennzeichnen ihn als modernen Dichter ein freieres Formempfinden und eine Vorliebe für kecke, ehrliche Behandlung des Erotischen und für Darstellung sozialer Stimmungen und Disharmonien. Man kann ähnliches über den Prinzen Emil von Schoenaich-Carolath sagen. Auch er steht vielfach im Banne pessimistisch-weltschmerzlerischer Empfindungen; aber in vielen Dichtungen erhebt sich seine Weltanschauung in schöner Ekstase zu den hellen Höhen einer edlen selbstlosen Menschenliebe. Anderseits und vor allem aber ist grade er der bedeutendste Künstler von diesen Poeten der Übergangszeit. Er ist der persönlichste von ihnen und zugleich ein sprachschöpferischer Künstler von einer großen Feinheit und Prägnanz des Ausdrucks, Bildes und Rhythmus. Von den genannten Poeten hat er auch am meisten in formeller Beziehung auf das jüngere Geschlecht gewirkt. Auch der bayrische Oberst Heinrich Ritter von Reder gehört zu diesen Poeten. Freilich ist er ganz anderer Art als etwa Grisebach oder der Prinz von Schoenaich-Carolath. Reder war von den älteren Dichtern eigentlich der einzige, der fortwährend neben den modernsten in den von diesen gegründeten Zeitschriften erschien. Man braucht nur die frischen, flotten, mannhaften, etwas spröden und trocknen, aber wie Pastelle farbigen, hellen Gedichte dieses jugendlichen Greises zu lesen und man wird es erklärlich finden, daß die Jugend ihn verehren mußte. Vieles hat Reder außerdem mit den Modernen gemein: Anschaulichkeit, Natürlichkeit, Präzision und Prägnanz des Ausdrucks. Seine Kunst ist nicht hervorgegangen aus abstrakten Reflexionen, sondern aus Erlebnissen, so wenigstens wirkt sie und darauf kommt es an. Auch der Österreicher Ferdinand von Saar ging mit den Modernen. Weniger in formeller als vielmehr in inhaltlicher Beziehung steht seine [23]Kunst der modernen nahe. In manchen seiner frühesten Gedichte lebt bereits etwas von jenem Naturalismus, der später tonangebend wurde; ich meine hier nicht den formellen Naturalismus der neunziger Jahre, sondern jenen ersten inhaltlichen, stofflichen, der insbesondere in sozialen, in Milieu- und Wirklichkeitsstimmungen die Blüte aller Kunst sah. Auch Ferdinand Avenarius hat bisweilen den konkreten, suggestiven Ton echter Kunst gefunden, sowohl in kleinen Naturstimmungen wie in größeren Phantasiedichtungen und Balladen. Vor den Genannten zeichnet ihn außerdem ein Streben nach Vertiefung und Verinnerlichung der lyrischen Empfindung und Weltanschauung aus. Freilich wirkt er auch vielfach recht farblos, abstrakt und nüchtern. Heinrich Vierordt hat viel geschrieben; aber namentlich unter seinen späteren kleinen italienischen Genrebildern findet sich manches poetisch sehr fein empfundene, sprachlich edle und schöne Gedicht; in solchen Poesien, die an Goethes römische Elegien erinnern, auch an K.F. Meyers leichtere Gedichte, lebt ein feiner, anmutiger Humor, eine einzige Frische und Lieblichkeit der Empfindung. Genannt seien auch noch die Dichterinnen Isolde Kurz, die meines Erachtens als lyrische Dichterin überschätzt wird, Frida Schanz, Alberta von Puttkamer — ich komme auf die Dichterinnen überhaupt, von denen keine viel zur Weiterentwicklung der Lyrik beigetragen hat, später in besonderen Abschnitt zu sprechen —, die beiden Schlesier Theobald Nöthig und Paul Barsch, ferner Rudolf Liebisch, deren Gedichte sich durch Frische und Innigkeit der Empfindung vor anderen auszeichnen, Ernst von Wildenbruch, dessen feinste, einfach schlichte, zarte und melodische Liebeslyrik an die Goethes erinnert. Wildenbruch hat auch ein paar kräftige, wuchtige, in Stil und Fortführung der Handlung suggestiv wirkende Balladen („Die Mette von Marienburg“) geschaffen. Genannt seien auch an dieser Stelle der Österreicher I.I. David, dessen Gedichte, vielleicht erst in späterer Zeit entstanden, sich in Form und Ton doch dieser [24]Lyrik anschließen und an sich durch die Innigkeit und Ehrlichkeit der Empfindung wirken, spätere auch durch eine allegorisierende, eigenartige psychologische Gedankentiefe; ferner ein weniger bekannter, aber interessanter älterer Dichter, der Süddeutsche Albert Roffhack, der zarte Reflexionspoesien und ebenfalls lebendig dargestellte, oft originelle Allegorien gedichtet hat; schließlich der Schweizer Karl Spitteler, der eigentliche Allegoriendichter unter den Lyrikern der Gegenwart. Spitteler, dessen Gedichte wahrscheinlich ebenfalls erst in späterer Zeit entstanden sind, ist sogar ein hervorragender Repräsentant deutscher Allegoriendichtung überhaupt. Er ist in seinen Sinngedichten nicht nur ein tiefsinniger Poet, sondern auch ein feiner ironischer Humorist. Seine Sprache ist kräftig, von plastischer Wirkung; doch nicht immer von jener blühenden Kraft und Schönheit, die der seines großen Landsmannes K.F. Meyer, an dessen Balladen die seinen bisweilen erinnern, eigen ist. Die Zahl der Dichter dieser Epoche und dieses Wesens ist hiermit nicht erschöpft. Ich nenne z.B. noch Adalbert von Hanstein. Es genügt jedoch, einige ihrer Repräsentanten genannt zu haben. Auch von jüngeren und jüngsten Dichtern zeigen viele ein dem dieser Lyriker Verwandtes Wesen, z.B. Georg Fuchs, dessen Seestücke stimmungsvoll empfunden sind. Andere werden später zu nennen sein. Bemerkt sei noch, daß die in diesem Abschnitte charakterisierten Dichter nicht nur in historischer Beziehung die alte Lyrik mit der neuen verbinden, sondern später auch in rein ästhetischer Beziehung die Brücke zwischen der alten und neuen Lyrik gewissermaßen wiederherstellen. In maßvoller konservativer Weise haben auch sie die breite Entwicklung weiter fortgeführt.
Neben ihnen schufen und wirkten, wie oben angedeutet, bereits die beiden Harts, deren erste und auch spätere Poesien sich eigentlich nur inhaltlich von den Dichtungen jener Poeten, die sie überwinden wollten, unterschieden. Hiermit ist die ganze erste Periode der sogenannten moder[25]nen Poesie vom rein ästhetischen Standpunkt aus bereits charakterisiert. Auch die Conradi, Bleibtreu, Holz (im „Buch der Zeit“), Arent, Mackay, Henckell unterschieden sich in formeller Beziehung kaum von den Epigonen, die sie vom Parnaß verdrängen wollten. Sie gebärdeten sich nur temperamentvoller, leidenschaftlicher, persönlicher, ehrlicher als jene; originelle Künstler waren sie ebensowenig als ihre Gegner. Ihre große Bedeutung dürfen wir deshalb aber nicht verkennen. Nichts positives Künstlerisches schufen sie, wohl aber zerstörten sie gründlich all das Morsche und Veraltete, sie reinigten die Bahn für das ihnen nachfolgende Geschlecht. Aber nicht nur negativ wirkten sie bahnbrechend, auch positiv: freilich nicht als Künstler, sondern als starke Persönlichkeiten mit anscheinend neuen sozialen und ethischen Tendenzen. Die Individualität sollte sich ausleben und dies auch in der Kunst zur Darstellung bringen. Die neue Zeit, der Zeitgeist sollte in den Poesien leben. Die alte Moral sollte fallen und an ihre Stelle das frei sich entwickelnde Ich treten. So erweiterten sie die Grenzen der Poesie, ja sie brachen diese ganz nieder. Neue Stoffgebiete erschlossen sie, und es ist begreiflich, daß sie für diese, die sie dem realen, sichtbaren Leben, der Wirklichkeit entnahmen, sich besonders begeisterten. So entstand auch in Deutschland der Naturalismus und zwar zunächst der inhaltliche Naturalismus, eine Wirklichkeitskunst im besonderen Sinne — denn was ist nicht wirklich? —, eine Wirklichkeitskunst, die mit Vorliebe das Großstadtleben, das Leben und Treiben in den Straßen, Fabriken, Hinterhäusern und Vorstädten, anderseits den Menschen in ganzer seelischer Nacktheit darzustellen suchte. Verständlich ist es, daß das an sich Häßliche, Widrige und Niedrige, Absonderliche und Entartete noch mit besonderer Vorliebe von dieser Kunst geschildert wurde; denn bisher war ja gerade all dies dunkle und trübe Leben von der Kunst verabscheut worden. Diese Schilderungen hatten daher den Schein des gänzlich Neuen für sich, [26]und durch sie wurde am überzeugendsten die Existenz einer gänzlich neuen Kunst bewiesen. In der Tat boten diese Dichter neuen — besser jungen — Wein in alten Schläuchen. Neue Kunst ist erst dann vorhanden, wenn die künstlerischen Werte neue sind oder wieder künstlerische geworden sind. Es kommt nicht auf den Inhalt an sich an, es kommt auf die künstlerische Art und Weise an, wie er gegeben wird, auf die Form, auf die Methode. Neue oder besser, relativ neue, also wirkliche, lebendige Kunst — denn was ist neu? läuft nicht alles Streben in der Kunst schließlich auf die alte, ewige, suggestive Einfachheit hinaus? ist erst dann vorhanden, wenn zu dem neuen, zeitgemäßen Inhalt der zeitgemäße Stil hinzutritt, wenn die Persönlichkeit sich auch in einem persönlichen Stile offenbart — oder allgemein und immer gültig, vielleicht einzig gültig: wenn die Knust nach Jahren des Verfalles wieder Kunst wird. Und in diesem Sinne war die Kunst dieser ersten Generation der Modernen noch keine neue Kunst. Sie war — ich habe immer ihr allgemeines Wesen im Auge — überhaupt sehr weit entfernt von Kunst. Sie war zum größten Teil sogar unmoderner, d.h. reflexionärer, abstrakter, tendenziöser, unkünstlerischer als die geschmähte alte Kunst. Sie war nicht einmal imstande, ein klares Bild von der Wirklichkeit zu geben. Die sogenannten sozialen Poesien jener Zeit sind keine sozialen Poesien, weil sie keine Poesien waren. Mit überzeugender Deutlichkeit, d.h. künstlerischer Suggestivität, hat fast keiner jener Dichter das soziale Elend in markanten Bildern zu schildern vermocht. Anderseits auch als gänzlich subjektive Poesie versagte diese soziale Dichtung im allgemeinen. Phrasen, hauptsächlich Phrasen — pessimistischer und idealistischer Art: also auch nicht einmal ein tatsächlich neuer bestimmter Inhalt, sondern nur ein starkes Wollen, ein leidenschaftliches Wollen, Temperament, Kraft in Sprache, Bild und Rhythmus, kurz nur: Sturm und Drang, und allerdings ein starker, wilder und vernichtender Sturm, der das Alte gründlich hinweg[27]fegte. Nur einer war unter ihnen, der ein großer Dichter und Künstler war und ist: Detlev von Liliencron!
Von Lyrikern, die in jener Zeit wurzeln bezw. deren hauptsächlichste Entwicklung, soweit sich dieselbe bis jetzt übersehen läßt, in jene Zeit fällt, sind — abgesehen von Liliencron, der eine Sonderstellung einnimmt und eine Sonderbetrachtung verdient — zu nennen: Hermann Conradi, Karl Bleibtreu, Wilhelm Arent, Ludwig Scharf, Karl Henckell, John Henry Mackay, Franz Held. Arno Holz gehört zu ihnen nur mit seinem „Buch der Zeit“, das neben Conradis „Liedern eines Sünders“ (1887) — immer abgesehen von Liliencron — das bedeutendste lyrische Werk jener Tage ist. Später ging Arno Holz auch als Künstler eigene Wege. Auch die Gebrüder Hart sind natürlich zu nennen, namentlich Julius Hart mit seinen Büchern „Sansara“ (1879) und „Homo sum“ (1890); doch ist er kein eigentlich typischer Vertreter jener Lyrik, er war und blieb immer ein mehr universal als zeitlich empfindender Idealist, und seine von vornherein kosmisch und pantheistisch gestimmte Lyrik, entwickelte sich nach dieser Richtung hin immer breiter und voller, künstlerisch wirkte sie — und wirkt auch die heutige Lyrik Julius Harts — trotz ihrer schwungvollen Rhythmen und tiefsinnigen Bilder wenig originell. Die eigentlichen Stürmer und Dränger, die Titaniden der Gruppe sind Conradi und Karl Bleibtreu, jener ein Dichter leidenschaftlicher, dithyrambischer Empfindung, dieser mehr wirksam durch gedankliche Tiefe, Wucht und Kraft der Ideen, Tiefe der Weltanschauung, die freilich eine pessimistische ist, in welcher Beziehung Bleibtreu gewissermaßen zwischen der alten und neuen Zeit vermittelt. Das relativ Neue zeigt sich bei beiden in den realistischen Momenten und Nuancen ihrer Lyrik, in der Hingabe der ganzen Persönlichkeit an die Kunst, in dem gänzlich persönlichen Inhalt, in der ungebundenen, bald breit hinflutenden Form, der oft nur ein Rhythmus zugrunde liegt. [28]Schon die Harts liebten den freien Rhythmus, dessen Verwendung immer charakteristisch ist für ein neues kräftiges Dichtergeschlecht. Insbesondere ist Conradi in seinen dahinstürmenden Rhythmen ein typischer Vertreter dieser auflösenden Lyrik, die trotz ihrer formellen Frische und oft hinreißenden Spannung doch Reflexionspoesie bleibt wie die ganze Lyrik jener Jahre. Conradis Lyrik spiegelt die seelische Zerfahrenheit und Zerrissenheit ihres Schöpfers. „Erfüllt von dem ehrlichen Drange nach innerer Befreiung vermag er sich doch nicht von den ihn umstrickenden Banden sinnlich leidenschaftlichen Begehrens zu lösen, und wenn er in einzelnen seiner Gedichte Töne warm quellender Empfindung und auf jauchzender Siegeslust findet, so beklagt er in anderen wieder sein Promethidenlos, das ihn an die Niedrigkeit des Lebens fesselt und die Flugkraft seiner Schwingen lähmt“ (Paul Heinze in seiner Literaturgeschichte). So schafft und wirkt eine innerlich unfreie Persönlichkeit, ein Dichter, der noch ganz in den Fesseln alter Anschauungen liegt. Ein starkes Wollen und leidenschaftliches, doch durchaus nicht dämonisches, im Grunde mehr pathetisches als tiefinnerliches Empfinden machten Conradi zum Dichter. Ein Genie war er weder als Persönlichkeit noch gar als Künstler. Nicht so fesselt Bleibtreu als Lyriker, er gibt sich nicht so seelisch-persönlich wie Conradi. Des letzteren Gedichte spiegeln innere und äußere Erlebnisse, und so nicht nur die Seele des Dichters, sondern auch ihre Zeit. Bleibtreus Gedichte spiegeln mehr eine kritische, intellektuell hochbegabte Persönlichkeit, die unmittelbar nur durch die Kraft des intuitiv gewonnenen Einzelbildes wirkt. Sie offenbaren das universale Wesen ihres Verfassers in kosmischen Ideen, die teilweise auf die pessimistische Philosophie des vorigen Jahrhunderts zurückweisen, teilweise auf letzte naturwissenschaftliche Erkenntnisse, wodurch auch äußerlich eine reizvolle und farbige Symbolik und Bildlichkeit oft an die Stelle nüchterner und abstrakter Reflexionen tritt (vgl. insbesondere des Dichters reifste [29]Poesien: „Kosmische Lieder“ [1890], die sich durch knappe stimmungsvolle Bildlichkeit und gedankliche Tiefe auszeichnen). Gänzlich im Banne einer pessimistischen Weltanschauung steht Ludwig Scharf („Lieder eines Menschen“, 1892). Ursprünglich origineller und tiefer begabt wie die beiden soben geschilderten, zerstörte er in zynischer Welt- und Menschenverachtung selbst sein starkes Können. Ebenso interessant ist Franz Held, wohl der feinste und originellste Künstler dieser ganzen Gruppe. Seine schönsten Gedichte wirken wie die Freilichtbilder seiner Zeit, sie sind voll von hellen, charakteristischen Farben, eigenartigen, aparten, prägnanten Wendungen. Seine Künstlerseele verrät sich ganz besonders in der Objektivität seiner sozialen Stimmungen, die, plastisch und farbig, zugleich voll Leben und Bewegung sind, und nur durch das Dargestellte wirken, niemals durch eine subjektive Phrase, und außerdem, unparteiisch empfunden, meistenteils sogar voll heiterer, freundlicher Stimmung sind. Ein starkes Talent ist mit ihm leider allzufrüh zugrunde gegangen. Daneben war er freilich auch ein recht barocker und bizarrer Poet. Wilhelm Arent hat nur selten einen originellen, wirklich innerlichen echten Ton getroffen. Er besaß wohl ein feines Kunstempfinden, aber nicht seinen eigenen Poesien gegenüber, die seinen flachen Weltschmerz in unzähligen, immer gleich farblosen und allgemein gehaltenen Reimereien widerspiegeln. Er repräsentiert den poetischen Dandy seiner Zeit, der, mehr Dandy als echter Poet, doch gewisse, nicht uninteressante Stimmungen — freilich äußerlicher Art — seiner Zeit künstlerisch festzuhalten und zu gestalten vermochte. Daneben ist er der eigentliche Erotiker dieser Gruppe, als Künstler ein kraftloser üppiger Feinschmecker, der von Genuß zu Genuß jagt und niemals Befriedigung findet, niemals wirklich zu genießen vermag. Ihm gegenüber steht von der nachfolgenden Generation der als Lyriker recht unbedeutende Felix Dörmann. Vergessen sei auch nicht, daß der um die moderne Lyrik verdiente Begründer des hauptsächlichsten [30]Organes der Jungen: „Die Gesellschaft“ Michael Georg Conrad auch als Lyriker hervorgetreten ist. Freilich ist er als Romancier von größerer Bedeutung; seine Lyrik, persönlich, kräftig und herb im Tone, ist zur Hauptsache Reflexions- und Tendenzdichtung.
Die damaligen sozialen wie literarischen Tendenzen kamen in ihrer ganzen Fülle in dem „Buch der Zeit“ von Arno Holz zum Ausdruck. Holz setzt sich in diesem Buche aber nicht nur mit der alten Kunst, Politik, Moral und Philosophie auseinander, er gibt auch soziale Stimmungsbilder, die wirklich von Stimmung und Empfindung durchtränkt sind, z.B. Erlebnisse auf der Berliner Friedrichstraße, Hinterhaus- und Vorstadtstimmungen. Das ganze Großstadtleben drängt sich so in bunten, bewegten Bildern an uns vorüber. Und der Dichter packt dieses neue Leben derb an, er nimmt es, wie es ist, ohne Sentimentalität, doch mit starkem Mitgefühl; er findet im einzelnen den treffenden, realistischen Ausdruck, er bezeichnet jedes Ding mit dem rechten Namen. So ist er bald lyrisch stimmungsvoll, bald wuchtig pathetisch, bald tritt er mit neuen sozialen, ethischen und ästhetischen Forderungen hervor, bald gestaltet er nur das Milieu, das nackte, wirkliche, rauhe Leben, die Alltagstragödie, bald ist er äußerst sarkastisch und blendend geistreich. Aber er ist in diesen Gedichten — das zeigt sich in ihrer Form und ganzen Anlage — doch noch durchaus Reflexionspoet und Epigone. Die knappe, prägnante poetische Form für ein Lied, für ein soziales Stimmungsbild und gar für eine Idee, Phantasie, Weltanschauung sollte er erst auf Umwegen finden.
Die typischen Vertreter der sozialen bezw. anarchistischen Tendenzpoesie jener Jahre aber waren Karl Henckell und John Henry Mackay. Aus melancholischen Jugendstimmungen heraus entwickelte sich Henckell zunächst zum feurig empfindenden lyrischen Streiter für die neuen sozialistischen Ideen. Der Grimm des Dichters gegen die bestehenden Zu[31]stände kommt namentlich in dem Buche „Amselrufe“ in sehr selbstbewußter Weise zum Ausdruck. Trotzdem nun Henckell so für die soziale Lyrik prädestiniert zu sein scheint, gelingt es ihm infolge seiner überstarken Subjektivität doch selten, ein ergreifendes Bild des Elends und der Not zu entwerfen oder in kraftvoller, präziser Weise das Elend selbst überzeugend reden zu lassen. In fast allen diesen Gedichten überwuchern leider Phrase und Pathos, Reflexion und Tendenz den poetischen Kern der tiefleidenschaftlichen Empfindung und Ergriffenheit. Dazu machen formelle Abenteuerlichkeiten viele Gedichte ganz ungenießbar. Jedoch gibt es unter Henckells Gedichten ein paar, die ich die wahrhaft Henckellschen nennen möchte, und die zu den besten gehören, die die moderne und die deutsche Lyrik in dieser Art geschaffen hat. In ihnen allein zeigt Henckell eignen, seinen idealen Stil. Es sind Gedichte voll stürmischen, trotzigen, hoheitsvollen Selbstbewußtseins, daherschreitend in einem ehernen, klingenden und triumphierenden Stil wie Tubenbläser. Ich meine Gedichte wie „Trutznachtigall“, „Der heimliche Kaiser“, „Torenlied“. Sodann ist Henckell ein feiner und frischer Künstler und Poet in einer Reihe von Liebes- und Naturgedichten. Diese sind teilweise ganz goethisch in Empfinden und Form, Rhythmus und Bild, Einfachheit und Prägnanz. Beeinflussungen durch Goethe werden sich übrigens später in interessanter Weise noch bei anderen Modernen (Dehmel, Morgenstern) zeigen. In den letzten Jahren entwickelte sich Henckell ruhiger, seine Weltanschauung wurde universeller, vom Sozialismus sagte sich der Dichter gänzlich los. — Mackays Poesien hinterlassen fast überall den Eindruck, daß sie aus ehrlichstem Empfinden und tiefstem Erleben heraus entstanden sind; aber sie wirken wenig reizvoll und künstlerisch gar nicht suggestiv, sie zeugen fast alle von dem geringen schöpferischen, künstlerischen Gefühl ihres Verfassers, es sind zur Hauptsache nüchterne, abstrakte Reflexionspoesien. Auch Mackays soziale Gedichte sind Streit- und Kampfgedichte. [32]Am interessantesten noch sind die Bekenntnisgedichte, in denen der Dichter gegen Institutionen wie Schule, Kirche, die heutige Erziehung und für die Rechte der Jugend zu Felde zieht (vgl. Zyklus „Moderne Jugend“). Künstlerisch am vollsten dagegen sind die Gedichte des Buches „Sturm“, so insbesondere die schwungvollen, rhythmisch stolzen und stürmischen Freiheitsgedichte „Am Ausgang des Jahrhunderts“ und einige tendenzfreie, hochgestimmte Gedichte aus dem „Starken Jahr“, wie vor allen, der schöne, unmittelbar wirkende Zyklus „Sonne“. — Auch Maurice von Stern verfaßte „Proletarierlieder“ und „Stimmen im Sturm“, in denen er für die Besitzlosen kräftig eintrat, doch ist sein eigentliches Gebiet das farbensatte Naturgedicht, zu dem er auch in seinen letzten Schöpfungen zurückkehrte. Eine blühende und prunkende Sprache ist für ihn charakteristisch. Aber er weiß auch in weichen romantischen Stimmungen oft den einfacheren lyrischen Ton zu treffen. Sein letztes lyrisches Werk „Blume und Blitze“ enthält eine Reihe edel empfundener lyrischer Gedichte. In diese Gruppe der sozial- naturalistischen Poeten gehört auch der Prager Friedrich Adler; doch sind seine sozialen Gedichte von ruhiger, objektiver Art, es sind Lebens- und Charakterbilder und Milieustudien, oft durchwirkt von eigenartiger Symbolik und warmherziger Empfindung. Seine Kunst ist aber nicht allein von Zeitideen und -empfindungen abhängig, bisweilen offenbart sich vielmehr — und dies sind seine menschlich tiefsten und künstlerisch wertvollsten Schöpfungen — in seinen Poesien ein freieres, universales Empfinden. Von Dichtern, die in jener Zeit wurzeln, sind noch zu nennen Hermann Friedrichs, Richard Zoozmann und Ludwig Jacobowski.
Hermann Friedrichs, einst ein kampffroher Poet, dichtete später mit Vorliebe Balladen und Allegorien im idealistischen Stile, in denen er bisweilen an K.F. Meyer erinnert, aber niemals dessen knappe Prägnanz und suggestive [33]Wucht erreicht. Zoozmanns beste Gedichte sind wohl die erotischen und sozialen seiner Jugend, später lenkte er mehr und mehr in alte Bahnen ein. Jacobowski, ein im Grunde gar nicht originelles und durchaus unselbständiges Talent, begann mit phrasenhafter, abstrakter Titanidenpoesie, seine weitere Entwicklung zeugt von bewunderungswürdiger Willenskraft: er lernte künstlerisch empfinden und gestalten, trat dann bald darauf mit einem Buch zum Teil lyrisch empfundener und formschöner Liebes- und Stimmungsgedichte („Aus Tag und Traum“) hervor, um schließlich in letzten Werken auch intimer und persönlicher Empfundenes in einfacher prägnanter Form zu geben. Freilich von suggestivem Zauber ist seine Lyrik nicht, sie fesselt nicht, sie wird vergessen. Jacobowski war weder ein ursprünglicher Lyriker noch eine freie dichterische Persönlichkeit. Auch seine spätere Lyrik, die neben der Busses und anderer einhergeht, ist von geringer Bedeutung für die Entwicklung der modernen Lyrik. Deshalb habe ich das ganze Schaffen des Dichters hier gleich im Zusammenhange charakterisiert.
Der bei weitem bedeutendste Dichter dieser Gruppe, ja der einzig geniale Künstler dieser Zeit ist, wie schon mehrfach angedeutet, Detlev von Liliencron. Er ist nicht nur eine Persönlichkeit, sondern vor allem ein Dichter, ein Künstler. Man braucht nur ein Gedicht von ihm zu lesen, um dies zu erkennen. In seinen Poesien ist alles anschaulich, konkret empfunden und gestaltet, seine Lyrik wirkt so unmittelbar, so suggestiv wie etwa die Goethes. Liliencron gehört deshalb gar nicht in die Reihe all der soeben geschilderten Tendenz- und Reflexionspoeten. Er ist nur im geringen Maße von ihren Tendenzen und literarischen Bestrebungen beeinflußt. Dagegen offenbart sich in ihm erst recht der realistische Geist der Zeit, oder vielmehr in ursprünglicher Weise das alte realistische Wesen der deutschen Poesie. Und zwar ist Liliencron in seinem ganzen Können, Fühlen und Denken Norddeutscher, er schließt bis jetzt die glänzende Reihe [34]Bürger, Goethe, Droste-Hülshoff, Fontane, Storm. Er erst hat unsere Poesie, die dahinsiechte am blassen, unpersönlichen, sentimentalen, langweiligen Idealismus epigonenhafter Kunstauffassungen wieder gesund gemacht, nicht durch neue künstlerische Theorien, nicht durch soziale und ethische Ideen, sondern durch die Fülle und Frische seiner lebendigen Persönlichkeit, durch die Echtheit und Ursprünglichkeit seiner Kunst. Er erschloß uns vor allem wieder die deutsche Landschaft, die deutsche Natur, insbesondere die norddeutsche Heide, das Moor und die Marschen mit ihrer ganzen stillen und großen Poesie. Sein Gebiet ist daher freilich hauptsächlich das der äußeren Wahrnehmung und des Gefühls. Seine Antipoden sind etwa Schiller und Nietzsche, die sich Weltanschauungen dichteten. Obwohl er so kein Dichter einer Weltanschauung ist, personifiziert er jedoch und gestaltet demgemäß auch unbewußt gewisse Ideen Nietzsches: Er lebte sich aus, er gab sich immer, wie er war, als Mensch und Künstler, er konnte sich nicht anders geben. Wäre Liliencron noch dazu ein Prophet, eine Faustnatur gewesen, wie er ein Phantasiegenie ist, so hätte er gewiß das Größte geschaffen. So ergeben sich aus seiner genialen Veranlagung auch seine Mängel. Charakteristisch in dieser Beziehung ist namentlich sein Epos „Poggfred“, in dem sich Ansätze zu höherem Fluge finden, die uns sogar an Dante erinnern, aber die Phantasie des Dichters bleibt am Geschauten, an der Erscheinung hängen und vermag zum Sinn der Dinge nicht vorzudringen. Hingewiesen sei im besonderen, außer auf seine Naturpoesie, auf seine frische, flotte, oft aber auch unsagbar innige Liebespoesie, auf seine markigen, farbigen und plastischen, lyrisch tiefen und zugleich episch und dramatisch bewegten Balladen und auf seine einzige ganz persönliche Gelegenheitspoesie, besondere auf seine Sizilianen. Und nicht vergessen seien seine prächtigen Phantasiedichtungen, Gedichte wie „Pietà“, „Die Sündenburg“, „Die heilige Flamme“ und „Krischan Schmeer“. In ihnen offenbart sich, wie schon angedeutet, [35]mehr eine tiefe, selige Freude am Geschauten, am Gestalteten und am Visionären, als am Tiefsinnigen und Symbolischen. Aber aus dem bunten Tanze scheinen sich doch bisweilen die ernsten Masken des tieferen Lebens und die Allegorien der ewigen Ideen zu lösen. Auch hier steht, bevor wir uns dessen ganz bewußt werden — kaum ist es vielleicht dem Dichter selbst bewußt geworden — auf einmal eine Offenbarung oder ein Rätsel vor uns, — und vielleicht ist grade dies: höchste Kunst.
Liliencron hat natürlich auf die ganze neuere Poesie anregend und befruchtend gewirkt. Selbst sein Antipode Richard Dehmel ist stark von ihm beeinflußt worden, insbesondere auch Gustav Falke und Bierbaum im Anfang ihres Schaffens. Vergleichen wir die Entwicklung der neuen Poesie mit einer Kurve, so hat diese in Liliencrons Schaffen („Die Adjutantenritte“, „Der Heidegänger“, „Neue Gedichte“) einen Höhepunkt erreicht. Noch einmal erreicht sie einen solchen in Richard Dehmels Schaffen („Aber die Liebe“).
Um das Jahr 1890 treten Wandlungen in den Anschauungen und in der Entwicklung der modernen Lyrik ein. An Stelle der Stürmer und Dränger, der Persönlichkeiten mit sozialen und ethischen Tendenzen treten Dichter der lyrischen Empfindung, geborene Lyriker und Künstler, und anderseits Propheten, Weltanschauungsdichter und Philosophen. Als Beispiele nenne ich von jeder Gruppe ein paar Dichter: Karl Busse und Gustav Falke; Johannes Schlaf, Franz Evers, Bruno Wille und Julius Hart (letzteren in weiterer Entwicklung). Die moderne Weltanschauungspoesie erreicht in Dehmels Poesie ihren Höhepunkt, weil sie hier in einem eignen, durchaus persönlichen und originellen, konkreten und suggestiven Stil erscheint. Von Anfang der neunziger Jahre an also ist die moderne Lyrik bestrebt, einerseits sich zu veräußerlichen (im guten Sinne), konkret und prägnant, Kunst und Stil zu werden, anderseits sich zu verinnerlichen, Empfindungs- und Weltanschauungspoesie zu werden.
[36]Inzwischen erledigten sich auch, allerdings mehr in der neuen Dramatik und Prosakunst als in der Lyrik, die naturalistischen Theorien. Auch andere Faktoren wie bisher fingen an von außen her die deutsche Lyrik zu beeinflussen. An Stelle der Sozialethiker und Gesellschaftsreformatoren trat der Denker und Dichter und vor allem der Stilist Friedrich Nietzsche. Außer ihm wäre noch Theodor Fechner zu nennen. Daneben aber war es namentlich der französische (aber oft deutsch fühlende) echte Lyriker Verlaine, an dessen lyrischen Formen und Stimmungen, Klängen und Rhythmen sich die deutschen Dichter bildeten. Am deutlichsten wird dieser beiden Einfluß bei Richard Dehmel bemerkbar, der Nietzsches auch bei seinem ihm wenig kongenialen Nachahmer, dem pathetischen Franz Evers. Auch der spezifisch amerikanische Dichter Walt Whitman wirkt hier und da befruchtend auf die deutsche Lyrik; ebenso Baudelaire, später Maeterlinck und jüngere Skandinavier und Franzosen.
Bedeutungsvoll für die weitere Entwicklung der deutschen Lyrik sind insbesondere die Jahre 1832 und 1893, in welchen die ersten bezw. die originellsten und besten Gedichtbücher von Karl Busse („Gedichte“ 1892 ), Otto Julius Bierbaum („Erlebte Gedichte“ 1892), Richard Dehmel („Aber die Liebe“ 1893) und Gustav Falke („Tanz und Andacht“ 1893) erschienen. Diese vier Bücher geben die neue Richtung an, ja sie sind mit die besten ihrer Art und der modernen Lyrik überhaupt geblieben.
Ein ungemein frisches faszinierendes Talent tritt uns in Karl Busse entgegen. Busse ist originell in einem Sinne, im andern nicht. Kein Neutöner, wirkte er doch unmittelbar, natürlich, echt lyrisch, immer ist er — wenigstens in seinen ersten beiden Büchern — konkret, prägnant, stimmungsvoll, und es fehlt ihm nicht an persönlicher Tiefe, wie seine schönen Sehnsuchtsgedichte beweisen. Ich rechne ihn zu denjenigen Dichtern, die die gute deutsche Tradition mit ihrer [37]Kunst fortsetzen, die für uns Deutsche charakteristische Kunst. Er ist, auch wenn er von den Dichtern des deutschen Volksliedes, weiter von Eichendorff, Storm, Novalis, Schoenaich-Carolath beeinflußt wurde, grade aus jenem Grunde nicht Epigone. Dichter dieser Art sind niemals Epigonen, wie ich bereits anfangs hervorhob. Freilich die spätere Entwicklung des Dichters entspricht durchaus nicht ihrem Anfange. Ich halte Busses drittes Buch „Vagabunden“ für eine verhältnismäßig sehr schwache Leistung; der gesucht burschikose Ton der meisten Gedichte dieses Buches ist leider epigonenhaft.
Ein feineres, kräftigeres und reicheres, ebenso Ursprüngliches wie künstlerisch bewußtes Talent ist Gustav Falke. Busse und Falke verhalten sich zueinander wie Jüngling und Mann. Das tertium comparationis ist beider deutsche Art. Darum ist auch Gustav Falke nie und nimmer ein Epigone. Nur in seinen ersten Gedichten machen sich Beeinflussungen durch Liliencron und Konrad Ferdinand Meyer bemerkbar. Ich habe Falke einmal den größten Künstler unter den Modernen genannt, hierbei hatte ich die Form im Sinne. Zu jenen großen Individualitäten, die hauptsächlich durch die Macht und Urwüchsigkeit, Fülle und Tiefe ihrer Persönlichkeit, durch den Universalismus ihres Empfindens zur Bewunderung zwingen, gehört Falke nicht. Seine Dichtungen haben den Ewigkeitsgehalt der rein menschlichen, leise durch das Persönliche nuancierten und vertieften Empfindung. Aber diese Empfindung gibt Falke in der edelsten, charakteristischesten Form. Darum nannte ich ihn den größten Künstler unter den Modernen. Innig und melodisch, elastisch und lebendig, von Empfindung und künstlerischer Intelligenz belebte und beseelte Harmonie ist seine Lyrik. Freilich auch seine letzten Gedichtbücher wirken nicht mehr so künstlerisch fein und menschlich eigen wie die ersten. — Insbesondere ist Falke ganz deutsch in seinen empfindungstiefen Eheliedern, in den Gedichten, in denen er Herdglück und Gattenliebe besingt. Durch plastische Anschaulichkeit zeichnen sich seine Naturgedichte aus, [38]in denen er bisweilen eine gradezu shakespearische Tiefe und Spannung der Stimmung erreicht. Eigen ist ihm auch ein drolliger, kindlich naiver, oft dagegen auch kernig derber Humor. Auch in dieser Beziehung empfindet er ganz deutsch: seine Wander- und Trinklieder sind von urwüchsiger Frische. Nicht vergessen seien seine rhythmisch schönen harmonischen, oft gedanklich originellen Phantasien.
Auch Bierbaums Lyrik ist im formellen Sinne keine neuwertige. In ihr erscheinen allerlei ältere Stile modernisiert, wodurch sie im wesentlichen den Charakter der Barocklyrik erhält. Vielfach zeigt sie deutsches Wesen, besonders in den Gedichten, in denen der Matthias Claudius-Ton glücklich getroffen ist. So sind für mich die einfach schlichten, rhythmisch ruhigen Abendlieder die schönsten Gedichte Bierbaums. Auch seine graziösen, oft bizarren Pfingst-, Tanz- und Weinlieder seien erwähnt — sie sind voll frischer und heitrer Poesie —, ferner die Allegorien und schließlich die flotten realistischen Liebeslieder. Beeinflußt wurde übrigens Bierbaum von Liliencron und vom deutschen Naturalismus. Es sei hier nachgeholt, daß alle diese Dichter, so verschieden geartet sie sonst sind, also Busse, Falke, Bierbaum, Dehmel, Dichter der Natur, der Stimmung sind, ebenso wie Liliencron. Das ist überaus charakteristisch.
Ein Bierbaum in mancher Beziehung geistig verwandter Poet ist Otto Erich Hartleben, dessen Lyrik an dieser Stelle deshalb kurz charakterisiert wird. Hartlebens Verse sind vor allem frisch und flott empfunden. Sein drastischer Humor wirkt wahrhaft herzerquickend. Als ein feiner lyrischer Stilist erscheint er in dem prächtigen „Pierrot lunaire“, einem Buche, das vielfach anregend auf die deutsche Lyrik (vgl. z.B. Bierbaums, Morgensterns, Schaukals Gedichte) gewirkt hat. Daß er auch eigen, künstlerisch vornehm und tief zu empfinden vermag, das zeigt Hartleben in seinem letzten Buche „Von reifen Früchten“ (1902).
Das vierte und bedeutendste Gedichtbuch, das in jenen [39]beiden Jahren erschien, ist Richard Dehmels „Aber die Liebe“ (1893). Auch Dehmels starkes und a priori selbstständiges Talent ist natürlich nicht ganz frei von Beeinflussungen geblieben. Nicht spurlos ging die Bewegung der achtziger Jahre an ihm vorüber, und namentlich von Liliencron hat auch er gelernt. Anderseits zeigt sein lyrisches Wesen Verwandtschaft mit Heine und mit ähnlich gearteten Dichtern, z.B. mit Grisebach. Insbesondere aber hat er sein künstlerisches Empfinden an Verlaines Lyrik gebildet. Das alles vermindert seine Bedeutung für die moderne Lyrik nicht im geringsten. Und seine Lyrik ist in mehrfacher Beziehung bedeutend und bedeutungsvoll. Dehmel ist ein Dichter, dem universales und individuelles Fühlen in gleichem Maße eigen ist, er ist eine dichterische Persönlichkeit mit wirklich eigenem kosmischen und ethischen Empfinden, das sich auch in einem durchaus individuellen und charakteristischen Stile äußert. Er wollte vor allem sich selbst ganz erkennen lernen, sich ausleben im Sinne Nietzsches. So stieg er hinab zu den tiefsten Wurzeln des Trieblebens und bekannte mit ehrlichster Offenheit alles das, was er in den unheimlichen trüben Tiefen erlebte. Ebenso wie das tiefste Erkennen entspringt aber auch wahrhaft schöpferische Phantasie, d h. originelle Kunst (origineller Stil), dem innersten geheimnisvollen Wesen der Sinne und der Seele (ich sagte vorhin in diesem Sinne: Kunst ist Triebleben!). Dies wird ganz besonders an Dehmels Kunst offenbar: sie wirkt sowohl in ihrem Ausdruck wie Triebleben und deshalb so suggestiv, als auch offenbart sie inhaltlich die Phasen eines besonderen seelischen Trieblebens. Aus so tiefem Durchfühlen und Erkennen alles Menschlichen wächst ein höheres Bewußtsein und Selbstbewußtsein, eine freiere Ethik empor, die nach einer Vereinigung christlicher und hellenischer, metaphysischer und naturphilosophischer Ideen strebt: die Individualität wird zur Menschheitsseele, zum „Kulturgewissen“, wie es Dehmel ausdrückt. Ich möchte behaupten, daß sich so in mehrfacher Beziehung goethisches [40]und schillersches Wesen in Dehmels Kunst bekämpfen, sich gegenseitig anziehen und auch vereinigen, wie dies auch in der bald dithyrambischen, bald einfach prägnanten, bisweilen direkt goethischen Darstellungsweise des Dichters sich offenbart. Natürlich basiert Dehmels Empfinden auch auf den letzten naturwissenschaftlichen Erkenntnissen: er hat aus diesen einen neuen lebensstarken befreienden Optimismus gewonnen, der in der Idee vom irdischen Gottmenschentum gipfelt, in der Idee, daß es höchstes Recht und höchste Pflicht des Menschen sei, sich individuell auszuleben, sinnlich und seelisch, — er ist ein Dichter des Egoismus, aber eines sich stetig läuternden Egoismus. Man vergleiche hierzu das, was ich vorhin über den gefesselten Promethiden, den an seinem Schicksal und der Menschheit verzweifelnden Conradi sagte und man wird den Unterschied zwischen den Weltauffassungen jener und dieser Jahre am besten erkennen. Dehmels spätere Werke: „Weib und Welt“, „Lebensblätter“ und „Zwei Menschen“ zeigen in aufsteigender Entwicklung dasselbe individuelle und universale, von seiner hohen Mission durchdrungene Wesen. Wenn man einen Dichter wie Dehmel beurteilt, so soll man dies nach seinem Gesamtwesen und nach dem Besten, was er geschaffen hat, tun. Ich bin mir aber wohl bewußt, daß Dehmel durchaus nicht immer groß und suggestiv wirkt, daß seine Art oft in Manier ausartet, daß sein Gefühl oft Reflexion ist, seine Ergriffenheit Pathos, seine Bilder bisweilen gradezu geschmacklos wirken. Auch er ist anderseits in mancher Beziehung noch ein Kind unserer Übergangskultur.
Zu diesen modernen Weltanschauungsdichtern gehören, abgesehen von jüngeren Talenten, die später zu charakterisieren sind, auch Franz Evers, Julius Hart, Bruno Wille, Johannes Schlaf und Adolf Schafheitlin.
Es lassen sich gewisse Beziehungen zwischen Richard Dehmel und Franz Evers feststellen. Beide sind in erster Linie von individuellen Empfindungen beseelt und offenbaren so in ihrer Kunst ein dem Nietzsches verwandtes Fühlen. Aber [41]sie unterscheiden sich voneinander, wie sich eben der echte originelle Künstler von dem wortreichen Pathetiker, wie sich konkrete, lebendige, sprachschöpferische und beseelte Kunst von abstrakter Rhetorik unterscheidet. Wie es dem Denker und Dichter Evers an selbständiger Tiefe, an wirklich neuen und fruchtbaren Ideen, an eigentlicher seelischer und sinnlicher Tiefe fehlt, so fehlt es dem Künstler Evers an schöpferischem Kunstgefühl. Nur in den seltensten Fällen wirkt seine Poesie vermöge der Prägnanz und der charakteristischen Sprache von Seele zu Seele. Diese Kunst der großen Worte mit geringem Sinn, der grundlosen Inbrunst und der wesenlosen heroischen Gesten kann man deshalb kaum Weltanschauungs- und Persönlichkeitskunst nennen. Im Gegensatz zu Dehmel widmete sich Evers auch einer weltfremden, abstrakten Askese, Empfindungen, die seine Persönlichkeit erst recht als eine unfreie erscheinen lassen. Mancherlei Anregungen hat er aus theosophischen Studien geschöpft, aus jener abstrakten Mystik, die um das eigentliche Welträtsel herumgeht wie die Katze um den heißen Brei. Ich möchte aber mein Urteil korrigieren, indem ich zugebe, daß Evers einzelne schöne schwungvolle dekorative Gedichte geschaffen hat — sei es daß in ihnen individualistische oder pantheistische Stimmungen zum Ausdruck kommen — und ebenso einzelne schöne stimmungsvolle und lyrisch tiefe wie zarte Liebes- und Naturgedichte. Seine Gedichtbücher „Königslieder“ (1894), „Hohe Lieder“ (1896) und „Erntelieder“ (1902) dürfen in einer Darstellung der modernen Lyrik nicht übersehen werden.
Ähnliches kann man über Julius Harts spätere Poesien („Triumph des Lebens“) sagen, doch ist Julius Hart als Denker und als Künstler eine viel tiefere Natur als Evers. Dies zeigt sich nicht nur in einzelnen Gedichten Harts — auch in den von pantheistischen Grundempfindungen getragenen Stimmungen herrscht oft eine an tiefsinnigen Bildern und an persönlichen Nuancen reiche Sprache —, sondern auch in der Vielseitigkeit seiner Lyrik. So sind [42]ganz besonders seine kraftvollen, von Leben strotzenden sozialen sowie seine üppigen, inbrünstigen erotischen Gedichte hervorzuheben. Seine pantheistisch-mystische Lyrik zeigt denn doch einen weiteren Gesichtskreis als etwa die Everssche. Auch Hart bleibt an der Peripherie hängen; aber seine Phantasie umkreist das ganze Weltall, und sein mystisches Denken und Fühlen ist befruchtet von den kosmischen Ideen der modernen Naturwissenschaft. Ein schöner freier leben- und menschenfreundlicher Idealismus, ein religiöses Fühlen, das in der Illusion von der Identität alles Seienden wurzelt und in der Erkenntnis, daß die metaphysische (kantische) und die naturwissenschaftliche (darwinische) Weltanschauung nur als verschiedene Spiegelungen des Kosmos aufzufassen seien, und daß der Mensch das Maß aller Dinge sei, offenbart sich in seinen Poesien. Es ist hier nicht zu untersuchen, ob nicht auch eine derartige Weltanschauung gewissen Ideen Nietzsches entspricht, obwohl grade Julius Hart sich theoretisch gegen Nietzsche wendet. Jedenfalls aber liegen die Wurzeln der Weltanschauungen eines Julius Hart einerseits und eines Nietzsche und Richard Dehmel anderseits — wenn sich die Kronen der Bäume auch berühren — weit auseinander. — Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß es Hart nicht gelingen will, den Lebensnerv seines auch grade in seiner Lyrik pulsierenden Weltempfindens bloßzulegen — hier zeigt sich die größere Reife einer vor der absoluten Wahrheit nicht zurückschreckenden ironischen Weltanschauung. Dem entsprechend vermag der Dichter die Quintessenz seines tiefsten Wissens, Lebens und Fühlens auch nicht in knapper, epigrammatischer Weise darzustellen. Aber grade — und dies sei an dieser Stelle nachgeholt — an der epigrammatischen, prägnanten, künstlerischen Wiedergabe gleichsam des menschlichen Extraktes der Persönlichkeit, ihres tieffsten und geheimsten Fühlens erkennt man die Originalität und Meisterschaft eines Künstlers (vgl. Goethe, Nietzsche, Dehmel, bei letzterem die Leitverse zu seinen Büchern). Ge[43]danken-, Weltanschauungspoesie hat dann höchste künstlerische Berechtigung und ist dem zartesten lyrischen Stimmungsgedicht, etwa einem Volksliede gleichzustellen — weil sie nämlich dann ebenso unmittelbar wirkt —, wenn sie mit dieser stärksten künstlerischen Ergriffenheit (Konzentration) dargestellt ist, wenn sie in dieser einfachsten und zugleich umfassendsten Synthesis der Persönlichkeit, in dem lebendigen Blütenkleide der unwillkürlichen, d.h. also einzig dem Inhalt entsprechenden Symbolik erscheint. So offenbaren sich die ewigen, uralten Gesetze der Kunst, an denen alle Theorien scheitern, insbesondere auch die naturalistischen, deren Methode eine auflösende ist. Anderseits kann sich künstlerische Konzentration selbstverständlich auch in einer überschwenglichen Form äußern (vgl. z.B. Goethes Harzreise, Prometheus). Doch hier sind wir wieder an dem Punkte angelangt, der Reflexionspoesie überhaupt von Kunst scheidet.
Nicht vorhanden jedoch ist nun diese Konzentration bei den meisten der sogenannten modernen Prosagedichte. Ich denke z.B. an Johannes Schlafs Dichtung „Der Frühling“ und an Julius Harts Dichtungen ähnlichen Gepräges, die der Dichter aber ausdrücklich in dem Nachworte zu denselben (vgl. „Stimmen in der Nacht“) Novellen nennt. Übrigens ist Johannes Schlafs lyrische Dichtung „Frühling“ auch als Weltanschauungsgedicht und nach der ungefähren Zeit ihrer Entstehung an dieser Stelle zu würdigen.
Man kann zunächst über diese Dichtung und über Harts lyrisch-rhythmische Prosakunst dasselbe wie über Harts Poesien überhaupt sagen: es sind subjektive Reflexionspoesien, die an sich durch den Überschwang der Empfindung und Phantasie fesseln, stellenweise sogar packen, stellenweise jedoch langweilig, abstrakt, unklar und zerrissen wirken. Also im ganzen sind diese Dichtungen als unvollkommene künstlerische Gebilde zu bezeichnen. Höchste Kunst wird sich auch in Zukunft nie so offenbaren. Grade diese — analytische — Kunst wirkt nicht unmittelbar, obwohl sie anscheinend die Eindrücke [44]genau so wiedergibt wie sie gewonnen wurden. Hier zeigen sich die Grenzen zwischen Kunst und Natur, die Hart, wie seinem Nachwort zu den Novellen zu entnehmen ist, nicht zu kennen scheint. Ich möchte gegen diese analytische Methode behaupten, daß selbst das Psychologisch-Tiefste und Aparteste, also modernstes Empfinden, sich desto suggestiver offenbart, je synthetischer, je weniger analytisch, je weniger naturalistisch die Darstellungsmethode ist. Die naturalistische Darstellungsmethode kann höchstens nur dann eine suggestive Wirkung erzeugen, wenn vermittelst derselben rein deskriptive Stoffe, z.B. ein äußeres Milieu, eine breite Landschaft, ein Idyll behandelt werden, wie die Großstadtstudien von Arno Holz und Schlaf und die vielen, sehr poetischen Kleinstadt- und Dorfstimmungen von Schlaf (vgl. z.B. „In Dingsda“) beweisen. Der analysierende unkünstlerische Charakter der naturalistischen Methode kommt dagegen bei der Verwendung derselben für das rein lyrische Stimmungsgedicht und für großempfundene Phantasielyrik in der poetischen Wirkung klar zur Erscheinung: Die die Empfindung des Dichters zerfasernde Darstellung vermag die Stimmung und das eigentliche Wesen derselben dem Leser oder Hörer nicht zu suggerieren. Mir wenigstens ging es so bei der Lektüre des „Frühling“ und der Hartschen Novellen.
Im übrigen ist Schlafs „Frühling“ moderne Weltanschauungspoesie. Schlaf jagt, ebenso wie Hart in seinen letzten Poesien, dem Phantom, der Illusion von der Identität alles Seienden nach und umkreist die Formel, die er nicht finden kann, ebenso unablässig wie Hart. Anregungen hat er indes auch noch von andrer Seite her empfangen, namentlich von Fechner, von dem urwüchsigen amerikanischen Originalgenie Walt Whitman und von Verlaine, wie auch sein letztes Gedichtbuch „Helldunkel“ beweist, in dem sich Verse finden, die beinahe so echt lyrisch schlicht und innig wie ein Volkslied wirken. Übrigens wenn ich Schlafs „Frühling“ einen verfehlten Versuch in bezog auf die Darstellungs[45]methode nannte, so will ich damit nicht sagen, daß hier die naturalistische Methode durchaus und nur zur Anwendung gelangte. In so strikter Weise wird natürlich ein Künstler niemals von einer Theorie beeinflußt. Ich möchte sogar betonen, daß Schlaf sehr viel eigenstes und ursprünglichstes poetisches Empfinden in der Dichtung gibt: so ist vor allem die Sprache in derselben stellenweise rhythmisch stark bewegt.
Schlaf ist eine analytische, passive, wenn auch echt dichterische Natur, Arno Holz, den ich nun zu charakterisieren habe, ist in mehr bewußter Weise Dichter und Künstler. Zielbewußt durchdachte er die Prinzipien des künstlerischen Schaffens, suchte er zu den Ursachen künstlerischer Wirkung zu gelangen. Ich erkenne drei Stadien seines Schaffens. Seine Kunst, erst nur dem Inhalte nach naturalistisch und der Form nach epigonenhaft („Buch der Zeit“), wurde vorzugsweise in den mit Schlaf zusammen geschaffenen Werken (Novellen, Dramen) auch der angewandten Darstellungsmethode nach naturalistisch. Dieser Naturalismus (als Darstellungsmethode) wurde in der Lyrik durch Schlaf für alle stofflichen Gebiete verwendet; daß Schlaf dennoch häufig hochpoetisch wirkt, hat seine Ursache in dem Temperamente und in dem künstlerischen Feingefühl des Dichters, die von den natura listischen Beeinflussungen nicht ganz unterdrückt werden konnten. Holz dagegen mit seiner scharfsinnigen künstlerischen Intelligenz fand bald, daß nicht die konsequente Anwendnng der naturalistischen Methode zur Kunst führte, sondern die Methode des prägnanten Naturalismus, des Impressionismus. Man darf nicht den Eindruck sezieren und wieder zusammensetzen, man muß vielmehr den fruchtbaren Moment, den Stimmungsträger, das suggestive Wesen des künstlerischen Objekts zu erfassen und zu gestalten suchen. Das Mittel, um dieses Wesen, die Seele der Stimmung gewissermaßen, auszudrücken, war bisher und bleibt die künstlerische Form. Auch Holz ist durchaus dieser Ansicht. Nach seiner Auffassung haben nämlich auch die Gedichte seiner „Phan[46]tasus“-Bücher Form; aber er verwirft die nach seiner Ansicht äußerlich dem Gedichte aufgezwungene Form, die Vers- und Strophengliederung, den Reim und das künstlerische Schema eines Rhythmus. Empfindung und Stimmung in höchster Einfachheit und Prägnanz darzustellen, wodurch sich ein natürlicher Rhythmus, Hebungen und Pausen von selbst ergäben, dies sieht Holz, soweit ich ihn verstehe, als Ziel und Wesen seiner Kunst an.
Ich möchte auf dies Problem der Holzschen lyrischen Form etwas näher eingehen. Zunächst muß ich gestehen, daß es mir bis jetzt unklar geblieben ist, weshalb Holz seine Verszeilen nach der Mittelachse stellt. Herrscht hier Willkür oder Gesetz? Offenbaren sich so die natürlichen Pausen, oder der vorhin erwähnte natürliche Rhythmus? Steht dieser überhaupt fest bei einer lyrischen Impression? Lese ich diese nicht heute so und morgen anders, je nach Stimmung, Zufall und Verständnis? Und wenn ich sie mit andren Pausen lese als der Dichter und sie doch genau so wie der Dichter empfinde? ... Welcher Zwang und welche Willkür offenbart sich durch dieses feine Gewebe! Ich sehe in der Tat nichts andres in Holz' poetischer Form als hier und dort rhythmisch bewegte, im allgemeinen aber nur impressionistische Prosa. Die Form ist hier tatsächlich in nichts anderem zu finden, als in der Prägnanz des einzelnen Wortes und des einzelnen Satzes, also in der richtigen Auswahl der rein sprachlichen Mittel, und in der knappen Abgeschlossenheit des ganzen Gedichtes. Im übrigen ist die Verseinteilung eine willkürliche, und die äußere Form in dieser Beziehung eine verschiebbare, flüssige. Jeder kann das Gedicht schreiben, wie er will, wie es für ihn am schönsten aussieht und am bequemsten zu lesen ist.
Wie weit diese Prosa-Poesie nun in Werken der Vergangenheit wurzelt, will ich hier nicht untersuchen. Jedenfalls hat Holz als erster diese Methode der Darstellung theoretisch entwickelt und für das kleine selbständige lyrische Stimmungsgedicht angewendet. Und es gibt moderne Stoffe, [47]die sich ohne Gewaltsamkeit kaum in eine andre Art von prägnanter Fassung einkleiden lassen. Daß diese Form auch eine natürliche poetische ist, wird dadurch bewiesen, daß auch andre Lyriker der Vergangenheit und Gegenwart (ich meine hier nicht die Schule des Arno Holz), nur von ihrem Gefühl geleitet, immer wieder und wieder versucht haben, gewisse Eindrücke rein impressionistisch — unabhängig von Reim und Rhythmus — wiederzugeben. Freilich bezweifle ich es, daß diese Form allgemein anwendbar ist, dem Wesen jeder Stimmung entspricht, kurz, daß sie Reim und Rhythmus ersetzt, daß sie entwicklungsfähig ist. Nur für gewisse Stimmungen, Phantasien wird sie geeignet bleiben, und der rechte Künstler wird sie wie den ihr verwandten freien Rhythmus, dessen ruhige Schwester sie ist, an der rechten Stelle anzuwenden wissen. Holz hat vermittelst dieser Methode auch grade kleine, rein lyrische Gedichte geschaffen, die fast so zart und schlicht, innig und tief, lyrisch und gradezu melodisch wie ein Volkslied wirken. Freilich habe ich beim Lesen dieser Gedichte das Gefühl, als ob sie in gleichmäßig wiederkehrender Form, im einfachen Versmaß des Volksliedes, noch einfacher wirken würden. Bei solcher Gleichartigkeit der Empfindungen und Einfachheit der Mittel berühren sich aber die Methoden und gehen fast ineinander auf... Aber ich bezweifle es, daß individuelle, subjektive, leidenschaftlich bewegte und ideenvolle Lyrik sich dieser Form bedienen wird. Zum Ausdruck des Tiefsten, Geheimsten und Größten bedarf die wahrhaft dichterische Persönlichkeit einer stärkeren, einer mächtigeren und individuelleren Synthese, bedarf sie der an sich wandelbaren, an sich entwicklungsfähigen, poetischen Formen. Diese sind bei einem wahren Kunstwerke (ich habe die Totalität seines Wesens im Auge, brüchige, fehlerhafte Stellen spielen keine Rolle) trotzdem niemals von außen her gleichsam mit dem Inhalt verquickt worden, sondern sie sind mit Naturnotwendigkeit aus dem Wesen der Stimmung, aus ihrem Keime gleichsam hervorgewachsen. Eine derartige künst[48]lerische Form vermag erst ganz die Persönlichkeit, die Tiefe einer Idee und Empfindung zu versinnbildlichen, sie erst vermag auszudrücken, was vermittelst des nackten, auch des prägnantesten Wortes allein nicht auszudrücken ist: In den Formen gleichsam schwimmt das Fluidum der Empfindung von Seele zu Seele, und die Symmetrie und Harmonie der Formen, die Wesen allen Lebens ist, ist und bleibt auch Wesen der Kunst. Abgesehen von der inneren Notwendigkeit des Gleichklangs und des wiederkehrenden Rhythmus als der die Empfindung übertragenden Media (der Klang des Reimes z.B. entspricht der Bedeutung des Gesagten, dem Sinne der Stimmung), abgesehen von der Aufgabe des Reims und Rhythmus, die Teile eines Gedichts zu einer geschlossenen Einheit zu verbinden und die Harmonie, die Grundstimmung aufrecht zu erhalten, wodurch eine Dichtung doch erst Kunstwerk und vollkommen wirksam wird — sogar aus rein klanglichen und rein rhythmischen Gründen vertiefen beide Mittel die Wirkung des Gedichts und erhöhen so die poetische Stimmung und Erregung des Zuhörers bezw. Lesers. Und zum Schluß: Angenommen, Holz' Methode wäre die offizielle, dann befürchte ich, daß sie zum mindesten eben solchen Zwang auf den sie anwendenden Künstler ausübt wie die alte.
Ich habe mich mit Absicht bei dieser Frage so lange aufgehalten, weil sie die modernen Probleme des lyrischen Schaffens überhaupt berührt und nicht allein in den Theorien des Arno Holz die Hauptrolle spielt. Die Frage ist nochmals zu berühren bei der Darstellung des entgegengesetzten Prinzips, des formalistischen, das in Stephan George seinen bekanntesten Vertreter gefunden hat, und bei der Darlegung der Kunst eines jüngeren Dichters, Alfred Momberts. Arno Holz selbst hat Schule gemacht. Der begabteste und selbständigste dieser Jünger ist Georg Stolzenberg, ein feiner und tiefer Poet, der an originellem Empfinden fast seinen Meister übertrifft. Von anderen seien genannt Martens, Piper und Reß. Übrigens ist auch Holz' lyrisches Em[49]pfinden von pantheistischen Vorstellungen beeinflußt, wie häufig in seinem „Phantasus“ zum Ausdruck kommt.
Von pantheistischen Empfindungen wird auch ein andrer Poet beherrscht, der mit Kunsttheorien jedoch wenig zu schaffen hat, aber an dieser Stelle seiner Entwicklung nach zu nennen ist: Bruno Wille. Wille ist mehr Philosoph als Dichter und als Philosoph wieder mehr Dichter als Logiker. Insbesondere haben ihn die poetische und in ihren Spekulationen tiefe Naturphilosophie Fechners, speziell die Ideen desselben von der Psyche der Pflanze (Nana), von der Beseeltheit der ganzen Natur und von der Identität alles Lebens beeinflußt. In eigenartiger Weise hat er diese Ideen und seelische Erlebnisse in den „Offenbarungen des Wacholderbaumes“ poetisch bearbeitet. Seine eigene künstlerische Art wurzelt wohl in realistischen und auch romantischen Empfindungen. Jenes kommt vor allem in seinen schönen kräftigen, von wahrhafter Ergriffenheit zeugenden Frühlingsgedichten, dieses in seinen an Novalis erinnernden Grab- und Friedhofsphantasien zum Ausdruck, beides in den einfach schönen, ruhig schwungvollen und sprachlich oft eigenartigen Klausnergedichten. Eine ähnliche, aber nicht so impulsive, sondern mehr in sich gekehrte, weichere Natur offenbart sich in Karl Hauptmanns Poesien „Aus meinem Tagebuch“, die, obwohl anscheinend erst in späterer Zeit entstanden, hier deshalb erwähnt seien. Auch hier äußert sich ein — ich möchte es nennen: vegetatives — Allempfinden in einer natürlichen, persönlichen und oft suggestiven, wenn auch weniger von poetischer (künstlerischer) Gestaltungskraft zeugenden Form. Dieser Generation gehört auch ein Dichter an, dessen Weltanschauung nicht durch philosophische und persönliche Tiefe fesselt, sondern durch ihre schlichte, innige Wahrhaftigkeit und Genügsamkeit: Cäsar Flaischlen schöpft als Lyriker aus deutschester Gemütstiefe. Es haftet seiner Kunst etwas Lehrhaftes an, aber er gibt dies mit einer tiefen Empfindung, die nichts Überlegenes an sich hat, und mit einem treuherzigen, sonnigen, [50]oft auch melancholisch-fröhlichen Humor. Ein Paar Naturbilder, nichts Symbolisches, keine psychologische Tiefe, keine Persönlichkeitskunst und doch Persönlichkeit und Stil, eigene Art. Ein stilles Sein, eine stille Kunst, die das, was uns allen gehört, von Seele zu Seele kündet. Unwillkürlich fügten sich auch Flaischlen Stimmungen zu zarten Prosagedichten oder prägnanten Impressionspoesien. Die Form des Arno Holz ist auch ihm, wie vielen anderen modernen Dichtern, gelegentlich durchaus nicht fremd.
Der pessimistische Geist schläft niemals in der deutschen Literatur. Im eigenartigen Verein mit klassisch idealistischen und anderseits modern naturwissenschaftlichen Ideen erscheint er in den Dichtungen Adolf Schafheitlins. Schon in den achtziger Jahren gab Schafheitlin eine Reihe von Dichtungen heraus, die sich durch Gedankentiefe, weniger durch persönlichen Stil auszeichnen. Gelegentlich nimmt er in ihnen auch Stellung zur modernen literarischen und sozialen Bewegung. Ein eigenartiges Werk sind jedoch die später erschienenen „Saturnischen Phantasien“. Eine merkwürdige Disharmonie offenbart sich in diesen Gedichten. Schafheitlin sehnt sich nach einem neuen Reiche der Schönheit und des Friedens — das klassische Altertum schwebt ihm vor, und den Anschauungen der Griechen entnimmt er auch seine Symbole —, aber seine lyrische Form ist durchaus keine klassisch edle, mehr eine gradezu chaotische, nur durch kraftvolle Bilder und Rhythmen eigenartig belebte. Mehr entspricht diese Form seinen Prometheus-Ideen. Die Titanen sind ihm die Kräfte der Natur (Magnetismus, Elektrizität), die wir aus ihrer Verbannung befreien müssen, um mit ihrer Hilfe selbst Götter zu werden. Hier ist schließlich ein moderner befreiender Gedanke an Stelle der ursprünglich pessimistischen Ideen des Dichters getreten. Ganz und gar pessimistisch dagegen war ursprünglich und ist geblieben die Weltanschauung einer hochbegabten Dichterin, Marie E. delle Grazie, die auch zu dieser Generation gehört. Bei der Darstellung der [51]modernen Frauenlyrik werde ich das Wesen dieser Dichterin näher zu charakterisieren versuchen. Von jüngeren Dichtern huldigt pessimistischen Anschauungen sodann noch namentlich Gustav Renner, der der nächsten Gruppe angehört.
In den Jahren 1894 und folgenden erstand eine neue Generation von Lyrikern, unter welchen sich wiederum Dichter mit eigenem Weltempfinden und eigenem Stil befanden, andere, die in erster Linie das ganze von Stimmungen beherrschte Leben der modernen Seele in impressionistischen Momentbildern künden und noch andere, die nur Stilisten und Formkünstler sein wollten, und schließlich Dichter der deutschen Tradition, die sich in ihrem lyrischen Empfinden Dichtern wie Storm oder Fontane, von neueren Liliencron, Falke oder Busse anschlössen. Immerhin haben sie fast alle eine persönliche Note. Sie sind auch alle in erster Linie Künstler. Die Zeit der Tendenzpoesien und der lyrischen Theorien ist vorüber. Alle diese Dichter befinden sich noch stark in der Entwicklung. Ich nenne einige von ihnen: Christian Morgenstern, Wilhelm von Scholz, Gustav Renner, Hans Benzmann, Hans Bethge, Rainer Maria Rilke, Richard Schaukal, Börries Freiherr von Münchhausen, Fritz Lienhard, Arthur von Wallpach, Emanuel von Bodman, Martin Boelitz, Karl Bulcke, Wilhelm Holzamer, Albert Geiger, Hugo Salus und Georg Busse-Palma. Auch einer der feinsten Poeten der Modernen, Wilhelm Weigand, trat erst jetzt mit reifen, formvollendeten, tief- und eigenempfundenen Poesien hervor. Im Anschluß an diese Poeten, von denen viele vielleicht noch nicht ihr Bestes und Reifstes gegeben haben, sei dann schließlich ein Überblicküber die jüngste Entwicklung gegeben. Für sich sind Alfred Mombert, Maximilian Dauthendey und ebenso Stephan George und Hugo von Hofmannsthal zu charakterisieren.
Eine eigenartig spröde, innerliche Dichternatur spricht aus Christian Morgensterns Lyrik. Morgenstern ist von [52]Nietzsche beeinflußt, daneben beherrscht ihn ein pantheistisches Mitempfinden. Er ging aus von einer visionären, dithyrambischen Poesie, die sich durch kraftvolle, wenn auch zunächst nicht originelle Sprache auszeichnet. Oft konkret in kleinen Naturpersonifikationen, in denen ein gleichsam kosmischer Humor zum Ausdruck kommt, ist er in größeren philosophischen Gedichten ebenso abstrakt, wie sich denn auch in seinen späteren Poesien eine merkwürdige, unausgeglichene Mischung von abstrakter Gedanklichkeit, persönlichem Temperament und echt dichterischem, wenn auch fast nie direkt lyrischem Empfinden zeigt. Seine Weltanschauung wird später immer — ich möchte es einmal so nennen: physikalischer, immer mehr huldigt er einem ehrlichen, aber durchaus nicht pessimistischen Fatalismus, den er in eigenartigen Symbolen darstellt. Bisweilen gelingt ihm ein fast volkstümlich wirkendes Lied, bisweilen eine schöne, in sprachlicher Beziehung fast goethisch reine und ruhige Stimmung. Schließlich bevorzugt er die kleine subjektive lyrische Impression, die bei ihm zumeist der Ausdruck eines reichen und gefestigten Innenlebens ist, ein Stück Seelenleben, seltener eine reine Natur- oder Milieustimmung. Wie er gehört auch Wilhelm von Scholz zu den tiefsten und originellsten jüngeren Poeten. Scholz hat Verse gedichtet, die von einer gradezu genialen Ursprünglichkeit, Konzeption, Tiefe und Größe in Empfindung, Idee, Bild und Sprache sind, im allgemeinen aber leidet seine Kunst an einer Unklarheit und Dunkelheit, die oft bis zur gänzlichen Unverständlichkeit geht. Charakteristisch ist für ihn ein merkwürdig lyrisch-epischer, realistisch-romantischer, innerlicher, eigner Stil: Balladenhafte, märchenhafte Bilder und Klänge, geheimnisvoll wie aus alten Mythen und Volksempfindungen emporsteigend, wollen etwas Neues, wollen im Neuen das Ewig-Alte, das Ewig-Vergängliche und im Vergänglichen das Ewig-Seiende, die Ideen an sich verkünden. So vermischt sich ein das All umfassendes Lebensgefühl im Weltempfinden dieses Dichters mit jenen sehnsüchtigen und ahnungsvollen Em[53]pfindungen, die uns drängen, das Geheimnis des Todes zu enträtseln und die Furcht vor dem Tode in uns zu überwältigen. Aber der düstere Schatten, den der Tod vorauswirft, weicht nicht. Wohl dem, der dann die Kraft behält, schöpferisch tätig zu sein, trotz seines Erkennens der absoluten Wahrheit. Die Kunst allein vermag ihn zu befreien und zu erlösen. Etwas von jener ernsten Ironie, aus der die gewaltigen Schöpfungen Shakespeares hervorgingen, lebt auch in den Dichtungen des Wilhelm von Scholz; nicht anders läßt sich der Abgrund, der zwischen Leben und Tod gähnt, überbrücken. So sind Scholz' Dichtungen Stimmungen geworden voll dunkler Mystik, voll Dämmerlicht und Schatten, voll paradoxer Ideen und Bilder, Träume und Spiegelungen der Seele, voll bald erhabener und herrlicher, bald wirrer und grotesker Phantastik. Hiermit wäre nur die Grundstimmung des Buches „Der Spiegel“ skizziert, in der Tat ist das Buch reicher an tiefen Ideen. Seine Gedichte wirken oft so eigen poetisch, daß man das Unfaßliche, das ihnen anhaftet und das nur oft wie eine Hyperbel erscheint, schlechthin als Poesie hinnimmt. — Verlor sich Wilhelm von Scholz in mystischer Dunkelheit und Unverständlichkeit, so herrscht bei Fritz Lienhard („Gedichte“) allzuviel Helle, verstandesmäßige Reflexion, die in künstlerischer Beziehung die Masse seiner Poesien wenig originell und poetisch erscheinen läßt. Seine Gedichte sind von überraschend ungleichem künstlerischen Wert. Hier abstraktes Empfinden und nüchterne Darstellung, dort feine intime und inbrünstig empfundene Naturpoesie, rhythmisch kräftige, impulsive Heidestimmungen im Tone des Robert Burns und seraphisch zarte, romantische Sehnsuchtsklänge, die in Rhythmus und Sprache an Novalis erinnern, und von einem keuschen, religiösen Empfinden Kunde geben. — Eine tiefe und vornehme Dichternatur ist Gustav Renner. Wenn ich ihn vorhin einen pessimistischen Dichter nannte, so bezieht sich dies auf seinen überstarken Drang nach Wahrheit, auf seine allen Illusionen abgewendete Weltanschauung, auf die [54]schwere, ernste, deutsche Grundstimmung seines ganzen Wesens. Trotz aller Not und Drangsal aber durchbricht ein kraftvolles Lebensgefühl immer wieder mit elementarer Gewalt diese dunkle Grundstimmung des Dichters — ein Idealismus, der nicht allein seine Hoffnung, sein Vertrauen auf die Zukunft, auf den Fortschritt der Kultur setzt, sondern auch das Leben tapfer zu überwinden sucht. Diese Ideen und Empfindungen bilden zur Hauptsache den Inhalt seiner Gedichte. Insbesondere zieht ihn die symbolische Gestalt des Ahasver an, wie überhaupt auch für ihn — ähnlich wie für Wilhelm von Scholz — ein lyrisch-epischer Stil charakteristisch ist, eine große visionäre Bildlichkeit, wuchtige Symbolik und Rhythmik. Daneben findet man bei ihm lyrisch weiche Naturstimmungen.
Charakteristisch ist für alle diese Dichter ein spezifisch männliches Empfinden. Erotische Neigungen haben sie sehr selten behandelt, ein wirkliches Liebeslied hat keiner von ihnen gedichtet.
In gewisser Beziehung als dichterische Persönlichkeit ist ihnen Börries Freiherr von Münchhausen verwandt. Auch dessen Kunst geht aus lyrisch-epischem Empfinden hervor. Seine Sprache ist eine männlich kraftvolle, konkrete, vor allem nach plastischer Wirkung strebende, nach einem festen Stil und strengem Gefüge. Der Stil der deutschen und englischen Ballade, aber nicht minder der feinere, biegsamere der Romanze, zieht ihn ganz besonders an. Er ist neben Liliencron einer der wenigen wirklichen Balladendichter der Gegenwart. Einen Dichter mit eigenem Weltempfinden im obigen Sinne dagegen kann man ihn kaum nennen. Ihm kommt es vor allem darauf an, kräftige Empfindungen in Balladen zu gestalten. In dieser Beziehung gehört er zu den begabtesten modernen Vertretern des deutschen Stils. Seine Balladen erinnern an die Fontanes und des Grafen Strachwitz, obwohl sie nicht von so seinem lyrischen und seelischen Leben und Sprachzauber erfüllt sind wie die des ersteren, und [55]daher nicht so elementar wirken. Geringere Bedeutung kann ich seinen Juda-Gesängen beimessen: im Text der Bibel lese ich diese Geschichten lieber.
Ein männlich tüchtiger und deutscher Geist herrscht auch in den Poesien des Tirolers Arthur von Wallpach. Freilich hier geht der Streiter für das Deutschtum oft mit dem Poeten durch, Wallpachs Gedichte sind vielfach abstrakt und unpersönlich im Tone, so stark persönlich sie inhaltlich auch empfunden sein mögen. Mit Vorliebe entnimmt Wallpach seine Motive und Symbole dem deutschen Mythus, alten germanischen und nordischen Gebräuchen. Wo er gleichzeitig auch sprachlich einen subjektiv realistischen, herben Ton anschlägt, da erscheint er mir als ein origineller Dichter von seinem poetischen Empfinden. Derartige Gedichte sind namentlich seine Natur- (Frühlings- und Gebirgs-)stimmungen.
Der feinste Künstler unter den bisher genannten ist jedenfalls Wilhelm Weigand, dessen Buch „In der Frühe“ zu den vornehmsten lyrischen Erscheinungen der Gegenwart gehört. Hier herrscht edelstes und feinstes Formempfinden neben Tiefe und Eigenart der persönlichen Empfindung. Wenn irgend ein moderner Poet sich mit Konrad Ferdinand Meyer vergleichen läßt, so ist es dieser. Freilich von Beeinflussung ist hier keine Rede, sondern nur von verwandtem Fühlen und Formen. Weigand ist innerlich viel weicher, lyrischer als Meyer; aber beiden ist die gleiche deutsche Gemütstiefe neben feinstem Gefühl für volle harmonische Gestaltung des individuell Empfundenen eigen. Bei Weigand zeigt sich, wie verschieden von echter lauterer Kunst, von schöner und klarer Formenkunst die formalistische und dennoch so wirre unharmonische Wortkunst etwa eines Stephan George ist.
Auch der Süddeutsche Albert Geiger gehört in diesen Kreis. Er gibt sich vielseitig: schwungvolle, hochgestimmte Tristangesänge wechseln mit seelisch zarten Liebesgedichten, [56]Mädchenliedern, Waldträumereien und ganz süddeutsch empfundenen legendenartigen Gedichten, die in ihrem lapidaren Stil an alte Holzschnitte erinnern.
Schwere seelische Erlebnisse haben Wilhelm Holzamer, der in seinen ersten Versen eine gewisse Eigenkraft zeigte, aber viel mehr Abhängigkeit, z.B. von Gustav Falke, zur lyrischen Kunst des Herzens hingeführt (vgl. das Buch „Carnesie Colonna“). Die feineren Reflexionen der Seele erscheinen in einer zarten, träumerischen, melodischen Sprache und gleiten wie Träume voll süßer schwerer Melodie vorüber. Bisweilen unterbricht eine Phantasiedichtung größeren Stiles diese stillen Poesien: auch sie ist dann zart abgetönt, in ihren matten seidenweichen Farben reich und warm wirkend wie alte Gobelins.
Ein Dichter der Seele ist auch Hans Bethge. Freilich hier wirkt nichts so tief erlebt wie etwa bei Holzamer, hier wiegt die Freude am äußeren zarten Klange des Worts und Rhythmus vor, so daß diese zerbrechliche und glatte kraftlose Kunst oft der äußerlichen, rein formalistischen Art moderner Ästheten, wie Stephan George, bedenklich nahe kommt, wie denn Bethge überhaupt durchaus nicht persönlich und originell wirkt. Es steht kein Lebensinhalt hinter dieser Kunst. Am besten gelingt dem Dichter der Ton der Sehnsucht. Wenn er uns die stille Heide Norddeutschlands, die duftenden, silberglänzenden Nächte Spaniens schildert, von verschwiegener Liebe und süßer Entsagung, von traumhaftem Glück und Leid erzählt, dann lauschen wir wohl ein Weilchen gern seiner kleinen Harfe.
Auch fernere, stärkere und originellere Talente wie Rainer Maria Rilke und Richard Schaukal verlieren sich allzusehr im Absonderlichen: Rilke in Formspielereien, Schaukal in exaltierten Posen, in nichtigen Selbstbespiegelungen. Das feinere Talent von beiden ist entschieden Rilke. Es ist wirklich schade, daß dieser durch und durch ursprüngliche, phantasiebegabte Poet und echte Lyriker, dessen starkes Können [57]sich so oft in den prachtvollsten Bildern und Metaphern, in einer tiefen Natursymbolik und Empfindung für das Volksliedmäßige, Einfache, Vegetative offenbart, sich so oft im Bizarren, Manirierten, Äußerlichen oder im gekünstelten, daher ebenso äußerlich wirkenden psychologischen Tiefsinn verliert; so daß leider zu befürchten ist, daß er stets ein Unfertiger und Suchender bleiben wird. Man kann ähnliches von Schaukal sagen. Im Grunde ist auch er keine Persönlichkeit, die sich zu sammeln vermag. Alles zerfließt in Stimmungen und Impressionen. Diese wirken an sich kräftiger, voller, realistischer in Linie und Farbe als die Rilkes. So weiß der Dichter den Charakter oder Stimmungsgehalt einer originellen Zeit, etwa der Ludwigs XIV. oder des Rokoko, ebenso seltsame, ja perverse psychologische Stimmungen in geistvoller, fesselnder Weise darzustellen. Oft sind seine Verse voll Schönheit und unbestimmter Dichtersehnsucht, und bisweilen gelingt es ihm ebenso wie Rilke, den einfachen lyrischen Ton des Herzens zu treffen. Ganz und gar repräsentieren diese Dichter den weichen unbestimmten Charakter der österreichischen Poesie. Es sei bei dieser Gelegenheit auch auf einige andere jüngste österreichische Talente hingewiesen, in deren Poesien ebenfalls dieses weiche Empfinden vibriert. Als Künstler weniger originell zwar als jene, zeigen sie anderseits ein reineres Formempfinden. Zarte Innerlichkeit und klare Einfachheit ist der Lyrik Emil Faktors eigen, persönliche Tiefe und stärkere Ergriffenheit, oft schöne Gedanklichkeit der Josef Adolf Bondys, lyrische Weichheit und romantische Naturbeseelung der Camill Hoffmanns und Paul Leppins, ein zwischen sensibler weicher, melancholischer Stimmung und temperamentvolleren Aufbegehren persönlichen Empfindens wechselndes Wesen der Stephan Zweigs. Auch Paul Wertheimer und Adolf Donath mögen genannt werden.
Zu dieser Gruppe österreichischer Dichter gehört dagegen kaum der Prager Hugo Salus. Sein Empfinden ist von derberer Art. Während in den Poesien von einigen der ge[58]nannten Dichter auch das feinere Empfindungsleben des modernen Juden entschieden zum Ausdruck kommt, ist Salus' Poesie zum gut Teil jüdische Reflexions- und Verstandeslyrik; daher das geistreiche und pointierende Wesen derselben. Anderseits aber wirkt Salus' Lyrik gesunder, frischer, norddeutscher wie die jener Dichter, sie ähnelt in mancher Beziehung der Gustav Falkes. Von herzerquickender Frische sind seine poetischen Genrebilder. Bisweilen trifft er auch den gemütvollen Ton und einige wenige Gedichte überraschen durch tiefere gedankliche, nicht nur geistreiche Originalität.
Wenig originelle, aber frische, erfreuliche Talente (im Sinne der deutschen Tradition) sind die Norddeutschen Martin Boelitz und Karl Bulcke. Auch Paul Remer und Karl Vanselow sind an dieser Stelle zu nennen. Emanuel von Bodman, ein süddeutscher Lyriker, hat eine Vorliebe für impressionistische Naturstimmungen, für pikante reizvolle Pointen. Nicht mit Unrecht hat man seinen Stil Variétéstil genannt. Nicht ohne Eigenart, vermag er jedoch selten sich natürlich oder besser künstlerisch harmonisch zu geben.
Aus einer Münchener Gruppe, der auch Otto Falckenberg, Hermann Eßwein und Richard Scheid angehören, ragt Leo Greiner hervor, der zwar persönlich eigenartig und tief, aber als Künstler noch zu exaltiert und brüchig wirkt.
Nur gelegentlich habe ich bereits allerjüngste Dichter charakterisiert; jetzt bin ich mitten unter ihnen. Georg Busse- Palmas Gedichte sind ungleich an künstlerischem Wert. Bisweilen überrascht der Dichter durch eine fast volksliedartige Tiefe, Einfachheit und Schönheit des lyrischen Ausdrucks. In solchen Gedichten lebt dann die ganze Empfindungsschwere des niederdeutschen Menschen, künstlerische Vorstellungen lösen sich in uns, deutsche Stimmungen ähnlicher Art, wie sie etwa ein Lied aus dem dreißigjährigen Kriege oder jene wunderbaren Landschaften und Genrebilder der [59]Holländer in uns erwecken. Auch Busses Balladen sind echte Balladen, einfach, prägnant, von fester Struktur und grade deshalb von suggestiver Wirkung. Ein in manchem ähnliches Talent ist Agnes Miegel, die ich im Kapitel Frauenlyrik zu charakterisieren haben werde. Jüngste Dichter dieser feinen deutschen romantischen Richtung sind sodann noch Hermann Hesse und Alfons Paquet. Auch ein schwächeres Talent, Adolf Holst, sei in dieser Reihe genannt. Man könnte die lyrische Kunst dieser Dichter eine deutsche Renaissancekunst en miniature nennen: so voll feiner persönlicher Tiefe, so voll Freude am Farbigen, Lichten, am Helldunkel und bisweilen am Schwermütig-Dunklen und Sehnsüchtig-Mystischen ist sie. Goldne Fäden verbinden sie mit Eichendorff, Novalis, Gottfried Keller und Mörike. Verwandten Geistes waren schon Dichter der früheren Generation, z.B. Rainer Maria Rilke und Ricarda Huch, wie ja überhaupt dieses feine romantische Fluidum durch die ganze deutsche Kunst ebbt und flutet, ähnlich wie zwei andere: das einfachere naivere des deutschen Volkslieds und das goethische.
Als stärkere, eigenartige Talente sind sodann noch zu nennen die freilich gänzlich verschieden gearteten Fritz Philippi und Gustav Schüler, beide Kämpfernaturen, Gottessucher, beide entschieden dichterische Persönlichkeiten, jener eine passive Natur voll Sehnsucht nach Frieden mit Gott, voll mystischer Tiefe, dieser ein Revolutionär und Verneiner. Jener findet unwillkürlich für sein Welt- und Naturempfinden eine fast lapidare, biblische, impressionistische Sprache und enthüllt so künstlerische Schönheiten von apartester und einfachster Tiefe und Prägnanz. Dieser, pathetisch, wuchtig und schwer, schwelgt in kraftvoller Wortsymbolik, im skeptischen Paradoxismus und enthüllt in visionären Träumereien den Unfrieden und die dämonischen Triebe seiner Seele.
Ein anderer Dichter, den religiöses Empfinden zur Poesie hinleitete, Karl Ernst Knodt, ist erst spät — er ist deshalb erst jetzt zu erwähnen — mit lyrischen Sammlungen [60] hervorgetreten, in denen sich manches tief und innig empfundene Gedicht, manche feine persönliche Stimmung findet.
Talentvoll sind auch Karl Wilhelm, der bereits schwungvolle Liebesgedichte und aparte Naturstimmungen veröffentlicht hat, Peter Baum und Hugo Philipp, die nach gedanklich tieferer und ruhiger Wirkung in ihren Gedichten streben, und Wilhelm Popp, ein Dichter frischer Natur- und Kinderlieder.
In dieser Stelle ist auch der Rheinländer Rudolf Herzog am besten zu charakterisieren. Erst spät rang er sich aus wenig originellen Anfängerpoesien zu eignerem Empfinden durch. In seinen jüngst erschienenen Gedichten offenbart sich eine temperamentvolle Natur, die seelisches Erleben am liebsten in breiter Hingebung der Empfindungen poetisch ausströmen läßt. So gelingen dem Dichter am besten leidenschaftlich bewegte Liebesstimmungen, die er auch plastisch wirksam herauszuarbeiten weiß, ferner frische liedartige Romanzen und von dramatischem Leben bewegte Balladen, bisweilen eine verträumte Naturstimmung.
Von jüngsten Dichtern ist sodann der Elsässer René Schickele zu erwähnen, ein vielleicht starkes, aber noch gänzlich ungeklärtes Talent. Seine stürmischen Rhythmen erinnern bisweilen an die breit ausströmende impulsive Lyrik Walt Whitmans, doch daneben offenbart sich in seinen Dichtungen eine bewegte, fast epische Bildlichkeit, die den Leser an alte nordische Gesänge denken läßt. Chaotisch erscheinen noch die Gedichte, in denen religiöse Empfindungen behandelt werden. (Von älteren elsässischen Dichtern sei an dieser Stelle Christian Schmitt, ein Dichter inniger einfacher Poesien, genannt; auch Lienhard ist Elsässer.)
Die westfälische Heide besingt Fritz Stöber. K. T. Tielo ist bisher namentlich mit charakteristischen litauischen Landschaftsstimmungen und Balladen hervorgetreten.
Ich habe hiermit die sogenannte Heimatpoesie berührt. Ich möchte mich mit diesem vagen Begriff nicht [61]weiter aufhalten. Nur soviel: Alle echten Dichter sind mehr oder weniger, in diesem oder jenem Sinne Heimatdichter, Dichter ihrer weiteren oder engeren Heimat, mögen sie sich auch noch so persönlich geben. Auch jene besondere Heimatpoesie, die das Wesen der Heimat schildert und zum ausgesprochenen Inhalt hat, die also ein spezifischer Ausdruck derartiger Stimmungen und Zustände ist, lasse ich gelten, wenn sie wie jede andere Poesie sich gibt: unbeabsichtigt, ohne Tendenz, als eine besondere Art unter gleichberechtigten anderen. Sobald aber „Heimatpoesie“ in tendenziöser Weise als ein neues Stichwort verkündet wird, dann stehe ich ihr mit Mißtrauen gegenüber: dann wird diese Heimatpoesie vielfach dem Wesen aller echten widersprechen. Vor allem aber ist zu befürchten, daß durch solche Heimatpoesie und ihre Propheten ein intoleranter, gradezu undeutscher Geist in der Literatur erzeugt wird.
Von jüngeren Dichtern, die, obwohl von geringerer Bedeutung für die Entwicklung der modernen Lyrik, doch durch ein persönlicheres oder feineres künstlerisches Empfinden aus der ganzen breiten Schar der reimenden Poeten hervorragen, seien schließlich noch erwähnt: Hermann Hango, ein melancholischer Pessimist von bisweilen gedanklicher Tiefe und Eigenart, Ginzkey, ein Lyriker von oft überraschender, fast volkstümlicher Tiefe und Einfachheit der Empfindung, Anton Renk, dem intimere Naturstimmungen gelingen, Franz Himmelbauer, dessen einfache, schlichte Ergriffenheit bisweilen an Martin Greif erinnert, und Karl Bienenstein, den ebenfalls ein tiefes Naturgefühl auszeichnet, der aber auch persönliche Empfindungen dichterisch wirkungsvoll zu geben weiß. Diese fünf Dichter sind Österreicher.
Genannt seien als Dichter, die einen selbständigen Charakter zeigen, auch Karl Frommel, Kurt Geucke, Paul Grotowsky, Jeannot Emil Freiherr von Grotthuß, Otto Ernst und Rudolf Presber.
[62]Für sich zu betrachten sind die Dichtungen einiger jüngerer Lyriker von allerdings ganz verschiedener Individualität. Diese Dichter haben aber das miteinander gemein, daß jeder von ihnen das seinem Fühlen entsprechende Kunstprinzip, sei es mit künstlerischer Absichtlichkeit oder „vom Gott getrieben“, ad extremum, wenn nicht ad absurdum, führt. So ist Stephan Georges Kunst ganz formalistisch, die Alfred Momberts, seines Antipoden, dagegen ganz Intuition, direkt wiedergegebenes Seelen- und Traumleben, der Darstellungsmethode nach durchaus naturalistische Kunst. Die exklusive Stellung, die beide als extremste Vertreter entgegengesetzter Kunstanschauungen einnehmen, rechtfertigt diese Sonderbetrachtung. Freilich sind beide, als Persönlichkeiten und Könner an sich, durchaus nicht etwa gleichwertig. Als der an sich bedeutendere und originellere erscheint von vornherein Alfred Mombert. Seine Kunst ist eine neuwertige, zu neuen Zielen wenigstens hinweisende. Stephan George dagegen wirkt in seinem Erstlingswerke recht unbedeutend, und, zu seinen Zielen gelangt, bleibt er doch immer ein Nachahmer älterer und fremder Stile, etwa des Platenschen oder der französischer und englischer Lyriker wie Baudelaire und Dante Gabriel Rossetti. — Außerdem wird in diesem Abschnitt Hugo von Hofmannsthal zu charakterisieren sein, der, in seinem Stilempfinden George zwar verwandt, doch nicht so konsequent wie jener nach Prinzipien dichtet. Hofmannsthal ist sogar tiefer, persönlicher, innerlicher, freier und künstlerisch auch feiner und von intensiverer Wirkung als George. Auch Maximilian Dauthendey, ein Dichter von komplizierter Eigenart, und einige andere jüngere Lyriker ähnlicher Art sind im Anschluß daran zu charakterisieren.
Wenn man heute von Artistenpoesie spricht, so meint man damit vorzugsweise die Poesien Stephan Georges und seines Kreises. Es war natürlich, daß grade, als der Naturalismus seine letzten Konsequenzen gezogen und sich selbst widerlegt hatte, eine andere Bewegung — die gegen[63]sätzliche — einsetzte: eben die Stephan Georges und seines Kreises. Nach der unvollkommnen Natur des Menschen drohte aber der Kunst sogleich auch die entgegengesetzte Gefahr. Diese neuen Poeten gingen nämlich in ihrer Weise ebenso wie die Naturalisten über Ziel und Wesen der Kunst hinaus. Sie hetzten das formalistische Prinzip bis zum äußersten. Sie waren, wie sie durch ihr Schaffen bewiesen, leider zur Hauptsache auch nur Theoretiker. So kam jene Artistenpoesie auf, die das Formelle übertreibt und ihm eine übers Ziel hinausgehende Bedeutung zumißt, die Kunst der leeren Worte, die Form an Form, Bild an Bild, Klang an Klang fügt, und oft nur rein um des schönen Wortes und des schönen Klanges willen. Ein neuer Irrtum! Denn das Wesen der Kunst ist nicht Form an sich, sondern Versinnbildlichung. Das Wesen der Kunst ist beileibe nicht starre Schönheit und sinnlose Erhabenheit, Wortwirrsal ohne innere Notwendigkeit. Ebenso wichtig wie die Form ist der Inhalt, ja er ist das Primäre, das Schaffende, er ist die Seele, die sich sehnt, sich zu offenbaren. Sehen wir von dem Empfindungsgehalt einzelner Georgescher Gedichte ab, so ist der allgemeine Eindruck, den diese Kunst in uns hinterläßt, der: Wir ergötzten uns an schillernden, zerbrechlichen Formen, wir lauschten leeren Worten, wir sahen zusammengehäufte Bilder und Figuren, wir nahmen eine bald überplastische und überhelle Wirkung, bald unverständliche, ja chaotische Wort- und Satzgebilde wahr. Trotzdem möchte ich dem Dichter nicht nur abweisend gegenüberstehen. Es fehlt ihm nicht an tiefer Empfindung, in manchen Gedichten kommt auch eine immerhin eigenartige Weltanschauung klar zum Ausdruck. Am besten gelingt ihm das Idyll, die Elegie, die sinnvolle Allegorie und ruhige Hymne. Diese Dichtungsarten entsprechen seinem leidenschaftslosen, berechnenden Wesen. Er liebt das gedämpfte Pathos, er feiert immer Feste der Freundschaft, der Liebe, der Natur. Und, wie ich vorhin betonte, daß die Starrheit und Dunkelheit [64]seiner Worte und Allegorien oft bis zur chaotischen Unverständlichkeit geht, so will ich auch anderseits zugeben, daß seine Verse manchmal voll feiner, aparter Schönheit, voll Farbe, Glanz und zarter Innigkeit sind, ja, daß sie bisweilen auch im hohen Grade plastisch wirken. Folgende Verse, die genau in der Schreibweise des Dichters wiedergegeben werden, mögen für den wirklichen Dichter und Künstler Stephan George charakteristisch sein.
Juli-Schwermut
Traum und Tod
Bedeutender ist der Österreicher Hugo von Hofmannsthal. Er ist entschieden der tiefste und originellste in einem Kreise junger Wiener Dichter, zu denen auch der Dramatiker Arthur Schnitzler und der Novellist Peter Altenberg gehören. Diese Kunst ist keine oberflächliche, sie zeigt einen eigentümlichen Stil und ist insbesondere psychologisch tief und fein. Sie ist üppig emporgewachsen aus den Reflexionen der modernen komplizierten und egoistischen Seele, die sich fortwährend nur mit sich selbst beschäftigt und an nichts Großem und Kräftigem sich begeistern kann, vielleicht weil sie die Nichtigkeit alles Seienden durchschaut. Alle naive Kraft, alle Freude am großen, zukunftsfrohen Leben, alle Fühlung mit der Volksseele ist diesen Dichtern bei ihrer steten Beschäftigung mit ihrer Kunst und ihrer Seele abhanden gekommen. Sie sind die rechten Artisten. Hofmannsthal, der tiefste Dichter und der eigentliche Lyriker dieser Gruppe, wirkt manchmal ebenso dunkel, unverständlich, manieriert, ja geschmacklos wie Stephan George. Anderseits ist ihm anscheinend der alte Goethe vorbildlich gewesen. Denn eigen ist ihm in seinen besten Gedichten eine vornehme Schönheit und Bedeutsamkeit des Ausdrucks. Und wie der alte Goethe gibt er seine frühreife Lebensweisheit, die ebenfalls von dem feinen realistischen Fühlen Goethes beeinflußt ist und in einem ruhigen leben- und genußfreundlichen Fatalismus gipfelt, in blühenden Allegorien und Sinngedichten. Seine feinste Lyrik ist in seinen Dramen enthalten, insbesondere in dem „Tod des Tizian“. Hervorgehoben sei aus diesem Drama die wunderbare, seelisch tiefe und sprachlich schöne Nachtstimmung.
[66]Alfred Momberts Poesien sind seelische Erlebnisse Traumbilder, Halluzinationen und Vorstellungen subjektivster Art in direkter Wiedergabe. Es liegt dem Dichter nur daran, sich von diesen furchtbaren, oft die Seele aufs schrecklichste peinigenden Bildern, Visionen und Phantasien zu befreien; wie sie auf andre wirken, danach fragt er nicht. Wer sich oberflächlich mit den Dichtungen Momberts beschäftigt, der wird daher nichts weiter als ein Chaos von wirren Bildern und seltsamen Visionen wahrnehmen. Auch die, die sich mit Liebe in diese merkwürdigen Poesien vertiefen, werden immer wieder auf Stellen stoßen, die ihnen durchaus unverständlich bleiben. Und den besten Freunden des Dichters mag es so gehen. Man muß Momberts Poesien wie Tagebücher lesen, die Kapitel enthalten, die der Autor gewissermaßen im Dunkel der Nacht schrieb, als seine Augen nicht sahen, was er schrieb. Eine eigentümliche bannende Stimmung lebt dennoch in diesen ungeformten Vorstellungen, jene Zwielichtstimmung, die wir selbst so oft durchleben, wenn Unbewußtes in uns bewußt wird, wenn Einfälle und Eindrücke sich zu Empfindungen, Vorstellungen, Träumen, Ideenassoziationen dichten, wenn nur das vegetative, noch kaum vom Willen gezügelte Triebleben der Seele sich regt, und aus geheimnisvollen, schöpferischen Gründen Bilder, Gestalten und Visionen magnetisch emporzieht. Wer in dieses schöpferische Chaos hinabzutanchen vermag, dem wird Momberts Poesie Offenbarungen gewähren, dem einen diese, dem andern jene. Nur von solchem Standpunkte aus wird man den Dichter verstehen und würdigen können, nur insofern bringt er Neues, Fruchtbares und Keimendes, stellt er Empfindungen dar, wie sie bisher noch nicht dargestellt worden sind. Wo die Vorstellungen selbst noch wirre, halbwache, kommende und schwindende sind, da kann natürlich noch keine Kunst vorhanden sein, sondern nur werdende Kunst. Als solche erscheint mir Momberts Poesie, als solche bietet sie mir des Interes[67]santen und Bedeutsamen viel: Höchst originelle Gedanken, Bilder, Symbole, Empfindungen und seelische Regungen, oft bereits mit höchster Prägnanz durch ein Wort versinnbildlicht; sie gewährt mir Einblicke in eine ganz persönliche, sich in ewiger Entwicklung befindende Weltanschauung, die in der Überwindung des Todes und des Lebens durch die schöpferische menschliche Phantasie und Intelligenz gipfelt, in der Illusion, daß nur der Mensch kraft seines bewußten Denkens, kraft seiner alle Reiche der Geschichte und des Lebens, Ewigkeit und Unendlichkeit durchfliegenden, das tote starre Sein also eigentlich erst belebenden Phantasie, Schöpfer und Gott ist. Erst dieses Leben der Vorstellungen, der Phantasie ist das Leben, das Heimatland des „Glühenden“. Auch Mombert gelangt wie andere moderne Dichter zum pantheistischen Monismus, freilich seine Wege sind andre wie die der meisten von jenen: sie sind die Wege des sich vorwärts fühlenden, tastenden, vorwärts getriebenen Elementargeistes, des Menschen und Dichters, die Wege jener sind gegen die seinen die kluger Intelligenzen. Hierin liegt der Wert der Mombertschen Poesie: in ihrem elementaren Wesen. Darum schweigen hier alle Theorien... Es geht aus dem Gesagten hervor, um dem Einwurf wenigstens zu begegnen, daß eine derartige Poesie auch Pathologisches umfaßt, obwohl sie an sich durchaus nicht pathologisch ist. — Momberts Lyrik halte ich, wie gesagt, insofern für zukunftskräftig, als sie neue Quellen seelischer Empfindungen und Vorstellungen poetisch erschlossen hat; dem gegenüber aber, der sie für vollendete neue Kunst, für die Kunst der Zukunft hält, betone ich, daß auch in Zukunft ein großer Künstler für seine Muttersprache stets ein so inniges Gefühl haben wird, daß sein sprachliches Empfinden so sehr, so innig mit dem seines ganzen Volkes gleichsam verwachsen sein wird, daß er gar nicht anders kann, als sich und sein tiefstes Wesen in zwingender, suggestiver, unzweideutiger Deutlichkeit zu offenbaren: Durch seine vollendete Kunst wird gleichsam die ganze Atmosphäre [68] seiner Stimmung in uns wach und wirksam werden; Vorstellungen wird er in uns lösen und dieselben durch keinen äußeren Umstand, keine formelle Disharmonie und Dunkelheit stören, mögen sie an sich auch von höchster Tragik, voll Schrecken und Pein, voll Wirrnis und Disharmonie sein. So muß meines Erachtens Kunst wirken, und solcher Art ist auch das Wesen des durch sie erregten künstlerischen Genusses.
Eine ähnliche, wenn auch nicht so elementare, phantasie- und ideentiefe Natur wie Mombert offenbart sich in Maximilian Dauthendeys Dichtungen. Auch hier ein Zurückgehen auf einfachste Tiefe, auf den Urton, auf einen fast lapidaren Stil, aber doch auch ein Gestalten und Abtönen mit der Absicht, künstlerisch intensiv zu wirken; und kein Verschmähen bisher in der Poesie angewendeter Mittel, wie Reim und Rhythmus, sondern eine äußerst freie Anwendung aller poetischen Mittel: auch hier zur Hauptsache die Offenbarung eines Innenlebens, die Entwicklungsgeschichte einer Seele, eines Künstlermenschen, — ein Schwanken zwischen wesenlosen, vagen, mystischen Stimmungen und blutvollen Empfindungen, zwischen orgiastischer Weltfreude und weher einsamer Trauer — bis die Liebe Erlösung bringt. Und schließlich sei noch auf einen jüngeren Dichter dieser Richtung aufmerksam gemacht, der, eigentlich Maler von Beruf, als Poet in erster Linie durch die edle natürliche Rhythmik seiner Verse, weniger durch farbige Plastik, originell und oft bedeutend erscheint: E.R. Weiß ist viel mehr Lyriker als die beiden soeben charakterisierten, seine ersten Naturgedichte sind von zartester Weichheit in Empfindung und Ton, seine späteren, Gesängen ähnliche Gedichte sind dithyrambisch im Rhythmus und Gefühl und spiegeln kosmisches Empfinden mit jener schönen Unmittelbarkeit, die z.B. — wenn auch vielleicht in höherem Maße — den freien Rhythmen Goethes eigen ist.
Erwähnt sei auch ein vor einiger Zeit viel genannter [69]Dichter von besonderer Art, doch geringerer Begabung: Ernst Schur. Sein Buch „Seht es sind Schmerzen, an denen wir leiden“, das viel verspottet und verlacht wurde, zeugt doch von einer gewissen Verinnerlichung und Vereinfachung des lyrischen Stiles, abgesehen von aller äußerlichen und barocken Schreibweise. Von gradezu nüchterner Einfachheit sind seine späteren Poesien. Dieses und jenes seiner Gedichte erinnert in der zarten Linienführung und Farbigkeit an die aparte Lyrik der Japaner.
Ein echtes poetisches Talent ist dagegen ein andrer Sonderling: Peter Hille. Seine hymnenartigen Gedichte, die man freilich nicht auf die Bedeutung des einzelnen Worts oder Epithetons hin untersuchen darf, sind intuitiv empfunden, sie sind durchsetzt von einem starken Naturgefühl, das in seiner vegetativen Art bisweilen an das Böcklins erinnert.
Die ältere Weltliteratur hat im ganzen nur wenige Lieder aufbewahrt, von denen es feststeht, daß sie von Frauen gedichtet worden sind. Auch ist es eine interessante Tatsache, daß unter den späteren Liederdichtern, z.B. unter den Dichtern der romantischen und schwäbischen Schule, keine Liederdichterin sich befindet. Das spezifisch weibliche Empfinden, das naive keuschsinnliche Liebesempfinden des Mädchens und das Mutterempfinden hat bisher seinen natürlichsten und originellsten Ausdruck in den Liedern von Männern (Goethe, Chamisso) gefunden. Die Frau ist ihrer ganzen Natur und kulturellen Entwicklung nach anscheinend nicht naiv oder nicht Künstlerin genug, um diesen lyrischen Urton rein zu treffen. Jedoch gibt es unter den modernen Dichterinnen ein paar, die zeigen, wie sehr sich auch nach dieser Richtung hin das künstlerische Empfinden der Frau verfeinert hat (z.B. Ricarda Huch, Agnes Miegel).
Ziel der weiblichen Kunst ist vielmehr Offenbarung eines Innenlebens, nicht künstlerische Wirkung an sich. Alle Frauen- [70]dichtung, auch die Prosa, ist lyrischer Art, d.h. in diesem Sinne: subjektiver, persönlicher Art, sie ist je nach dem Temperament und der Art der Begabung leidenschaftlich bewegte Empfindungs-, Phantasie- und Tendenzdichtung oder sinnvolle ruhige Reflexionspoesie. Die Frau empfindet nur sich, nur ihr Glück, nur ihren persönlichen Schmerz, nicht das Glück und Leid des Mädchens und das Mutterglück. Aber auch in ihrem subjektiven Empfinden stehen der Frau Grenzen entgegen. Bei aller Subjektivität fehlt es ihr an Originalität, sei es nun im Welt- oder im Stilempfinden. Hier zeigt die Frau, insbesondere die deutsche, ihre ganze Unselbständigkeit. Daher ist Frauenkunst zumeist Zeitkunst, sie kündet Leben und Bestreben, selten Weltempfinden. Doch diese Entwicklung ist eine natürliche! Die Frau steht den Wurzeln des Lebens, der Familie und der Zeit in gewisser Beziehung näher als der Mann, dessen natürliche Helferin in seinem Bestreben, sich individuell und zugleich zu einer universal empfindenden Persönlichkeit zu entwickeln, seine physische und soziale Selbständigkeit ist. Nicht allein historische Entwicklungsgesetze veranlaßten also dieses Ergebnis. Demgemäß zeigt der Mann auch mehr Stilempfinden als die Frau, er war dazu berufen, das Absolute in der Kunst, die Form, zu hüten und weiter fortzubilden und zu entwickeln. Auch die modernen Weltanschauungen und die modernen Stile sind vom Manne vorzugsweise aufgestellt und entwickelt worden. Dagegen spiegelt sich das ganze moderne soziale und politische Leben, die Zeit, insbesondere natürlich die Frauenbewegung und die komplizierte Seele der modernen Frau in der heutigen Frauenliteratur, und zwar vorzugsweise im Frauenroman, weniger in der Lyrik.
Von älteren lyrischen Dichterinnen sind von einiger Bedeutung Frida Schanz, in deren Lyrik eine durch innere Kämpfe geläuterte, resignierende, kluge und künstlerisch feinfühlende reflexionäre Frauennatur zum Ausdruck kommt, ferner Isolde Kurz, deren starke, energische und phan- [71]tasievolle Natur sich an dem Schönheitsempfinden der Griechen und der italienischen Renaissancekünstler bildete — so erinnern ihre Sonette, in denen sich ein feines individuelles Seelenleben offenbart, in der Symbolik und Zartheit der Sprache an die Liebessonette Dantes und seiner Freunde; doch auch Verse voll weicher deutscher Sentimentalität hat sie geschrieben —, sodann Alice von Gaudy, die kräftige Balladen und sinnvolle Naturgedichte verfaßte, und endlich Alberta von Puttkamer, in deren von Leidenschaft und Phantasie durchglühten Gedichten sich so recht die subjektive, in künstlerischer Beziehung wenig harmonische Natur der Frau, ein überschwengliches Selbstbewußtsein, ein unbändiges, vielleicht weniger tiefes als vielmehr pathetisches Empfinden — freilich oft in großer episch-lyrischer Bildlichkeit und Symbolik — offenbart.
Die bedeutendste Persönlichkeit unter den jüngeren Versdichterinnen ist meines Erachtens jedoch die Österreicherin Marie Eugenie delle Grazie. Insbesondere ist das großgedachte und -empfundene Epos „Robespierre“ derselben reich an lyrischen Stimmungen und Ideen. In dem Wesen und in den verschieden gearteten Charakteren der Revolutionsmänner, in den verschiedenen Weltanschauungen derselben bricht sich gleichsam wie das Licht im prismatischen Glase vielfarbig der Dichterin eignes Empfinden und eigne universale, kaum von einem Punkte aus zu erfassende Weltanschauung. Diese ist eine auf Grundlage der Darwin-Haeckelschen Philosophie tief pessimistische. Unbarmherzig schreitet die Entwicklung vorwärts, machtlos steht ihr der Mensch, selbst das Genie gegenüber. Nur die Idee des Fortschritts geht trostvoll nebenher. Ähnliche Ideen kommen auch in den „Gedichten“ und in den „Italienischen Vignetten“ zum Ausdruck. Viele Gedichte weisen auf ein leidenschaftliches Seelenleben hin. Das eigentliche lyrische Stimmungsgedicht gelingt der Dichterin selten. — Einen heroisch-pantheistischen Charakter zeigen die Gedichte der Maria Janitschek, sie [72]sind in mancher Beziehung den Dichtungen Franz Evers' ähnlich. Maria Janitschek ist eine typische Vertreterin moderner Frauenlyrik. Temperamentvolle Strophen wechseln mit langatmiger, abstrakter, unkünstlerischer Reflexionspoesie. Obgleich alle möglichen Themen berührt werden, fehlt es der Dichterin doch an eigentlich originellen Ideen. — Die einzige Dichterin, die die naturalistische Bewegung mitgemacht hat, ist Anna Croissant-Rust. An ihrer Lyrik zeigt sich aber so recht das Unkünstlerische der naturalistischen Theorien. Eindruck ist an Eindruck gesetzt, bisweilen wird eine Stimmung, ein Akkord angeschlagen, aber alle Detailmalerei erfaßt nicht Wesen und Seele der Stimmung und läßt eine suggestive Wirkung nicht aufkommen. — Ist M. Eugenie delle Grazie die bedeutendste Persönlichkeit, die gedankenreichste und ideentiefste der modernen Dichterinnen, so ist Ricarda Huch die feinste Künstlerin, die eigentlich lyrische Dichterin unter ihnen. In ihren kleinen einfachen und doch so prägnanten Liedern kommt wirklich das unmittelbar zum Ausdruck, was ich das spezifisch weibliche Empfinden nennen möchte. Daneben besitzt sie das feinste Gefühl für eine treffende lyrische Symbolik, für jene weiche zarte Wort- und Lautmalerei, die das Leben der Seele eher offenbart als alle naturalistische Impressionslyrik, und die den deutschen Romantikern einst in hohem Maße eigen war. — An dieser Stelle sei auch einer anderen Dichterin Erwähnung getan, die an Selbständigkeit des Denkens und künstlerischen Empfindens leicht alle anderen übertrifft: Hedwig Lachmann. Freilich ihre grüblerische paradoxe Natur läßt sie kaum zu künstlerischer Klarheit und poetisch reinen Stimmungen gelangen. Bedeutend ist sie als Übersetzerin, besser Nachdichterin.
Diesen Dichterinnen, deren ernstes Streben und mannigfaltiges Können alle Beachtung verdienen, stehen zunächst ein paar andere gegenüber, die in ihrer Lyrik das rein sinnliche, erotische Empfinden der Weibesseele bloßlegen. Im ganzen hinterläßt diese wenig aparte Kunst einen unerquicklichen Ein- [73]druck, zumal man nicht zu der Überzeugung gelangen kann, daß hier wirklich dämonische Naturen ihr Tiefstes und Geheimstes offenbaren, sondern das peinliche Gefühl behält, daß Manie und Mode die eigentlichen Urheber dieser zum Teil perversen Lyrik sind. Von älteren Dichterinnen ist an dieser Stelle Hermione von Preuschen zu erwähnen, deren ursprünglich temperamentvolle, wenn auch wenig künstlerische Lyrik schließlich aller tieferen und wahren Empfindung entbehrt, weil die Verfasserin um jeden Preis erotisch und dämonisch wirken will. Sie hat sich jeder künstlerischen Zucht entzogen. Von jüngeren Dichterinnen gehören hierhin Marie Madeleine und Dolorosa. Beide, nicht unbegabt, suchen im Gegensatz zu Hermine von Preuschen durch eine glänzende Rhetorik zu wirken, und in der Tat gelingt es ihnen, seltsame erotische Stimmungen, die uns von merkwürdigen menschlichen Verirrungen erzählen, plastisch, farbig und außerordentlich lebendig darzustellen. Immerhin sind diese Dichterinnen auch interessante Künstlerinnen, obwohl die eine von ihnen, Marie Madeleine, bereits in ihrem zweiten Buche ihre wenig ursprüngliche und geringe Begabung erkennen läßt. Auch Else Lasker-Schüler gehört in diese Reihe. Ein exaltierter unkünstlerischer Stil ist für sie cha- rakteristisch, ebenso ein zigeunerhaftes erotisches Empfinden. Ihre Lyrik wirkt mehr verstandesmäßig gekünstelt als etwa originell.
In erfreulicher Weise sind aber gleichzeitig weibliche Talente — und zwar stärkere als jene — aufgetreten, deren Lyrik vor allein in echter weiblicher Empfindung wurzelt. Es ist viel über diese Dichterinnen geschrieben worden, mit Begeisterung hat man hierbei sogar Dilettantinnen wie Thekla Lingen gepriesen. Auch Anna Ritter ist meines Erachtens kein starkes Talent. Ihre Gedichte sind allerdings lyrisch empfunden; aber von einer epigonenhaften Farblosigkeit und Gleichförmigkeit. Immerhin gelingt ihr bisweilen eine zartere, echtere und prägnantere Weise. Die schwere, [74]süße, träumerische Poesie des Mädchens, die der Seele entquillt und doch sinnlich ist, konkret wie eine Frühlingslandschaft und einfach — freilich ungesucht einfach — wie ein Volkslied, suchen wir bei Anna Ritter vergebens. Auch bei Clara Müller. Dafür bietet uns aber die temperamentvolle, starke Persönlichkeit der letzteren mehr, sie ist die des leidenschaftlichen reifen Weibes, das einmal geliebt hat und seitdem sich verzehrt in Erinnerungslust und -qual. Ihre Verse zeigen ein typisches Gepräge, und dennoch haftet ihnen der Zauber persönlicher Empfindung an. Insbesondere hält ihr Buch „Mit roten Kressen“ eine Entwicklungsgeschichte des Weibes in echt lyrisch empfundenen Stimmungen. Ein ähnliches, doch schwächeres Talent ist T. Resa. Marie Stona, anfangs recht konventionell und farblos, wirkt in ihren späteren Gedichten persönlicher und künstlerisch feiner. Zu nennen wären in dieser Reihe noch Anna Klie, die ein paar Verse gedichtet hat, die lauter und einfach tief wie ein Volkslied klingen, Maidy Koch, der ein zartes Naturempfinden eigen ist, Hans Gabriel (pseud.), der kleine aparte seelische Stimmungen gelingen, — dasselbe kann man von Margarete Beutler sagen —, Elsa Zimmermann, die in voller tönender Sprache und in romantischer Einkleidung ihre lyrischen Vorstellungen wiedergibt, Frida Jung, in deren Lyrik in schöner Unmittelbarkeit die natürlichsten Empfindungen des Mädchen- und Frauenherzens Ausdruck gefunden haben, und Helene Diesener, eine neue Dichterin der Mutterliebe.
Schließlich sei noch auf zwei Dichterinnen besonders hingewiesen, die wohl die begabtesten von den jüngsten sind: Agnes Miegel und Lulu von Strauß und Torney.
In ihrer Lyrik vereinigt sich weibliches und persönliches Empfinden zu abgeklärter künstlerischer Wirkung. Sie sind Dichterinnen des deutschen Stils, welcher in ihren Stimmungen in schöner persönlicher Vertiefung erscheint. Agnes Miegel ist die feinere, intimere Künstlerin von den beiden. [75]Ihre Romantik ist oft von der weichen vegetativen Art I.P. Jacobsons. Lulu von Strauß und Torney dagegen ist realistischer, als Persönlichkeit stärker und vielleicht tiefer. Beide sind ausgezeichnete Balladendichterinnen. Namentlich in den Balladen von Agnes Miegel herrscht eine reißende Ursprünglichkeit der Empfindung, eine Sprache von bezaubernder Prägnanz, Schönheit und Ausdrucksfülle. Oft ist es, als habe sich in diesen Versen die süße Empfindungsweichheit der Romantiker, eines Mörike und Storm mit der realistischen Kraft und Klarheit eines Fontane vereinigt. Die Balladen von L. von Strauß und Torney sind im Tone weniger originell; aber auch unter ihnen sind einige von starker, tiefer und volkstümlicher Wirkung, anschaulich und prägnant im Stil und Rhythmus, kurz lebensvolle deutsche Kunst.
Ich kann mich, da ich von bestimmten Gesichtspunkten aus der Entwicklung der modernen Lyrik gefolgt bin und die markierenden Linien und Wesenszüge immer wieder bezeichnet habe, in dem Schlußwort über das allgemeine Ergebnis kurz fassen. Ich meine, daß alle heutige Lyrik im Gegensatz zu der vor zwanzig Jahren herrschenden, ein individuelles und prägnantes Gepräge zeigt. Empfinden und Sprache ist nicht nur viel persönlicher, sondern auch künstlerisch feiner geworden. Neben einer erfreulichen stilistischen Vielseitigkeit ist von Bedeutung der neue, aus den philosophischen, naturwissenschaftlichen, ethischen und sozialen Errungenschaften basierende Universalismus im Weltempfinden der bedeutendsten modernen Lyriker, so daß letztere als die wahrhaften Repräsentanten moderner Weltanschauungen und eines zukünftigen religiösen Empfindens gelten können. Anderseits ist in der Kunst hochbegabter neuerer Lyriker der deutsche romantisch-realistische Stil wieder zur Blüte gekommen. Die moderne Lyrik zeigt ihr gesundes, lebenskräftiges [76]Wesen grade auch in dieser Erscheinung. Es geht ein Strom von Poesie von den Minnesängern und dem alten Volkslied aus durch die Seelen späterer Poeten zu den Seelen der heutigen. Die deutschesten Dichter, nämlich die des Volksliedes, die Romantiker und namentlich Goethe, wirken heute stärker denn je. Wir haben wieder eine lyrische, eine persöhnliche und eine deutsche lyrische Kunst.
Am Wasserfall
[77]Beethoven
(Neunte Symphonie, vierter Satz)
Ich bin ein Mensch und will meine Freude!
Dämmerstunde
Lenzbilder
[81]I.
II.
La palomela
Begegnung
Eine Segellustpartie
Mondnacht
Melancholie
Vorfrühling
[85]Hirschröhren
Jugenden und Alter
Nacht war's
Mittag
[88]Die Mütter
In der Fremde
[89]Abendstimmung
Geheimnis
[90]Das Leben aber ist doch groß und weit
Der Greis
Parzifal
Hans, der Schuster
Mädchenträume
In dämmerdunklen Wegen
In gelben Ähren
[94]Die Hochzeit zu Kana
Herbststimmung
Reiter im Herbst
Christus beruhigt das Meer
Ein Traum
Kosmische Wanderung
Stille Fahrt
Abendsegen
Frühlingsabend
[101]Heimwehlied
Prolog
(Zu den „Festen der Jugend“)
Trübe Zeit
Bei Saragossa
Unruhige Stunde
Ritt durchs Leben
Und doch
I.
II.
III.
IV.
Das alte Schloß
Feldbank
[106]Zügenglöcklein
Zu spät
Zwei Flammen
Jeanette
Josefine
I.
II.
Traumsommernacht
(Ein Lied für Hans Thoma.)
Die schwarze Laute
[110]Ein Pfingstlied
Lied in der Nacht
Genug
[112]Neuweinlied
Apokalypse der Schöpfung
Aus „Sirenenlieder“
Kosmische Lieder
Erde
Unterwegs
[118]Das Haus
Am Rande
Mein Wesel
[120]Wanderung
Abend im Hyde Park
Der Künstler
Prag
Der Vater
Tot
Heimkehr
Es ist eine alte Stadt —
Nacht auf dem Felde
Das zertretene Herz
[126]Einsiedel
Nächte
I.
II.
Sommervormittag
[128]Deine Hand...
Ich und du
Wilde Liebe
In der Vollmondnacht
Herbstbeginn
Über den Bergen
Stimme der Sehnsucht
Hochzeit
Goldhaar der junge
Das stille Königreich
Schöne Nacht
Morgengruß
[133]Heimat
Pygmäen
Das verlorene Paradies
Tiefste Qual
Sommerrosen
Fragment
Gewißheit
Geruch der Walderde
Aus „Gesänge der Düfte“
[139]Jasmin
Aus „Gesänge der Düfte“
Am süßen lila Kleefeld vorbei
Aus „Reliquien“
Maimond über dem Dach
Aus „Reliquien“
[140]Die Nacht lastet hart
Aus „Reliquien“
Ich habe sogar zum Himmel gerufen
Aus „Reliquien“
Meine Augen voll Asche
Aus „Reliquien“
[141]Wer rief?
Aus „Reliquien“
Die Glocken läuten in den Stühlen
Aus dem Buche „Herzlied“
Ich schaute in den Garten
Aus dem Buche „Herzlied“
Die Raben schreien wie verwundet
Aus dem Buche „Herzlied“
Am Wege
[143]Turm der Schrecken
Lethe
Mein Trinklied
Hieroglyphe
Venus Primitiva
Helle Nacht
(Nach Verlaine)
Beichtgang
Drückende Luft
Venus Regina
Die Harfe
[155]Geheimnis
Über den Wassern
Manche Nacht
Die stille Stadt
[158]Der Arbeitsmann
Lied an meinen Sohn
Hohes Lied
[160]Vater- und Mutterliebe
Die trippelnden Füße
Interieur
[162]Interieur
Was ich liebe
Elevatio
[164]Regina martyrum
Laubhütten
(2. Esra, 8, 15 — 17.)
Der Prophet
Geigender Mönch
Der gutmütige Tod
Der Erbe
Lütt Jan
Timm Clasen
Das Lied des Fischers
Der Leser
Feldweg
Heide im Herbst
Nacht
[175]Der Priester
Die Dichter
Leben
[179]Lerchen
An kleine Mädchen
Peccavi?
Erlösung
Der Dichter
Auf einem andern Stern
Himmelfahrt
Aus dem Takt
Die feinen Ohren
(Meiner Mutter)
Ein Unterschied
Unheimliche Stunde
Ein Harfenklang
Mein Herz
[188]Nachtwandler
Nach Jahren
Erwacht
Märchen
Fromm
[191]Vor Schlafengehen
Seele
[192]Der Alte
Fraue, du Süße
[193]Liselore
Bettler
Sonnenkraft
Rügen
Bleistiftskizzen
[196]Was müde macht!
Bleistiftskizzen
Tagebuchblätter
[197]I.
II.
III.
Die Alten und die Jungen
Was mir gefällt
Meine Gräber
Die Gans von Putlitz
und Die Erstürmung von Angermünde. 25. März 1420
(Nach dem Altpommerschen)
Der 6. November 1632
(Schwedische Sage)
Maria Duchatel
(Aus der Zeit Maria Stuarts)
[204]Grabschrift
(Auf einem Grabstein im Kirchhof von Melrose-Abbey)
Nebelphantasie
I.
II.
Sommervögel
Die Regenfrau
Toter Herbst
Sturmnacht
Auf der Hallig
Meeresträume
(Helgoland)
Abend
Stromab
Nachtbild
Verborgener Schimmer
Träumerei
[215]Gustav III. von Schweden auf dem Maskenball
(1792)
Die Spinnerin
Die Wolke
Lied der Knospen
Zwei Marienbilder
I.
II.
Die Kranke
I.
II.
[221]Das Kummerschifflein
[222]Schlaf
Wie es kam
[224]Das Grab
Aus einem Zyklus „Zigeunermusik“
[225]Capella Sistina
[226]Mondnacht
Kindheit
Morgengang
Der Wanderer und der Bach
Die Schnitterin
Vor der Ernte
[230]Sunnwendnacht
Liebesnacht
Die wilden Frauen vom Untersberg
Der Geworbene
[232]Erhellte Ferne
Abend im Tal
Novemberstimmung
[233]Der Bacchant
Wunsch
[235]Aus „Der neue Tanhäuser“
Der toten Mutter
Gebet der Ähre
Gottsuchers Frühlingslied
Abendlied des Türmers
Nachtschwalbe
[241]In Abendglut
So möcht ich ruhn
Der Musikant
Gott
Abendgang zur Geliebten
[245]Berlin
[246]Trommelklang
Aus „Walpurgisnacht“
Aus „Totentanz“
Prosa der Liebe
Ich sah dich, Freund
[253]Gebet an Pierrot
Aus dem Pierrot Lunaire des Albert Giraud
Störche
Aus dem Pierrot Lunaire des Albert Giraud
Moquerie
Aus dem Pierrot Lunaire des Albert Giraud
Von reifen Früchten
Liebesfeier
[255]Epistel
San Giovanni
Ein Abschied
Im Nachtzug
[257]Die Selbstmörder
(Vision im Grunewald)
Ahnung
Erdgeboren
Nacht
[263]O Welt, du Wunder
Der Faden der heiligen Jungfrau
Wo nur?
Tant pis!
Trutznachtigall
[267]Das Lied des Steinklopfers
Goethe
Aus einem Notizbüchlein der Liebe
I.
II.
[269]III.
Sommerabend
Komm in den Wald, Marie!
Mein Ça ira
[271]Sternennacht
Der Welt gelacht
Lebe!
Rosen
Die Bismarcknacht
Frühling
Die frühe Stunde
Con sordino
Hafen von Livorno
Gondelgespräch
Waldesstimme
Arnold Böcklin
Mitten im Tode sind wir vom Leben umfangen.
Königssee
Geänderte Landschaft
Am Wiesenbach
Wanderung
Meinem Bruder
Riesengebirge
I.
II.
Die Glocken
Die Linde
Andacht
Vorfrühling
Reiselied
Die Beiden
[289]Ballade des äußeren Lebens
Terzinen über Vergänglichkeit
Manche freilich müssen unten sterben
Botschaft
Gestorben
Wanderschwäne
Meine Nachbarschaft
Aus „Buch der Zeit“
Tagebuchblatt
Aus „Buch der Zeit“
Sieben Billionen Jahre vor meiner Geburt
Aus „Phantasus“
[297]Schönes, grünes, weiches Gras
Aus „Phantasus“
Über die Welt hin ziehen die Wolken
Aus „Phantasus“
Rote Rosen
Aus „Phantasus“
Vor meinem Fenster
Aus „Phantasus“
Nachts um meinen Tempelhain
Aus „Phantasus“
Meine weißen Marmorfinger
Aus „Phantasus“
In rote Fixsternwälder, die verbluten
Aus „Phantasus“
Er drillert ihr ein Qwodlibet
Qwodlibet
Aus „Lieder auf einer alten Laute“ („Lyrisches Porträt aus dem siebzehnten Jahrhundert“)
Wiedergeburt
Deine Hände
Harfenspiel
Letztes Leid
Das Grab
Erinnerung
Bestimmung
[307]Mädchenträume
Der Tod
Heimweh
[308]Aus dem Dreißigjährigen Kriege
Über versinkende Gräber hin...
Mitternacht
Hoffnung
Auf Bergeshöhe
Gott
[311]Sommernacht
Ich erzähle Märchen...
[312]Grabschrift
Junge Frauen
Liebeszauber
[314]In der letzten Stunde
Fang sie!
Ohne Liebe
In der Sommernacht
Zeitlosen
Dem Andenken meiner Mutter
Jugendtage
Frühlingslied
In fremdem Garten
Verträumte Jugend
„Alle Kreatur sehnt sich mit uns.“
[322]An den Flieder
Weißt du — wo?
„Süß sind mir die Schollen des Tales.“
An meine Waldecke
Aus „Dämmerung“
Nach dem Glück!
Mittagszauber
Wegwarte
Serenade auf dem Meer
[327]Aus „Asphodill“
Lied eines Toren
Ich liebe die, die nicht zu leben wissen...
Seele der Natur
[329]Landschaft
In die Ferne
Charleroi
(Nach Verlaine)
Frühling
[331]Weltende
Schön Suse
[332]Der Brandfuchs
Rosenhistorie
Lied
Hohe Stunden
Die Husarenbraut
Oft am verstaubten Weg
Glaube
Milde Nacht
Der Bauer von Lupstein
Ein Gesicht
Die aufständischen Bauern (1585), zusammengedrängt in Zabern, hatten sich gegen das Versprechen freien Abzugs ergeben. Als sie aber herauskamen, hub ein furchtbares, drei Tage dauerndes Morden an, das die Felder bis zur Kapelle von Lupstein in ein Leichenfeld verwandelte.
Burenpatrouille
Im Land der blauen Seen
Fühler und Vorhang
Wer weiß wo
(Schlacht bei Kolin, 18. Juni 1757)
Auf dem Kirchhof
Nach dem Balle
[344]Du hast mich aber lange warten lassen
Kurz ist der Frühling
Auf dem Hühnengrabe
(Nach der Jagd)
König Abels Tod
(In den Marschen am 29. Juni 1252)
Das Schlachtschiff Téméraire
1796
(Frei nach Henry Newbolt)
Nach der Hühnerjagd
Sizilianen
Reinigung
Sizilianen
Die Insel der Glücklichen
Sizilianen
Grabschrift
Sizilianen
[351]Sommernacht
Sizilianen
Schwalbensiziliane
Sizilianen
Acherontisches Frösteln
Sizilianen
Der Ländler
[352]Aus der Kinderzeit
Einer Toten
Cincinnatus
[355]In einer Winternacht
Pietà
Der Turmbläser
Das geneigte Haupt
In der Nacht
Sonne
Erwartung
Chillon, 7. April 1889
Das Winzerfest
Vevey, August 1889
Morgenfrühe
Les ich euch, ihr Lieder...
Im Felde
Notturno
[365]Auf dem Nachhauseweg
Der Sklave
Im Park
[367]Aus „Befreite Flügel“
Schillers Bestattung
[369]Liebesflämmchen
Dämmergang
Neujahrsglocken
Vor der Ernte
Erntegewitter
Requiem
Der Reisebecher
Der römische Brunnen
In der Sistina
Thespesius
Ein Pilgrim
(Epilog)
Mainacht
[375]Mädchengebet
Johannisnacht
Der Tanz
Santa Cäcilia
Das Licht
Aus „Tag und Nacht“
[379]Ruhe
Aus „Tag und Nacht“
Mondaufgang
Aus „Tag und Nacht“
Schlummerlied
Aus „Tag und Nacht“
[381]Winterabend
Aus „Tag und Nacht“
Nur daß ich wachte
Aus „Der Glühende“
Schlafend trägt man mich
Aus „Der Glühende“
Nun ich der Riesen Stärksten überwand
Aus „Der Glühende“
[383]Um eine dunkle Felswand biegend
Aus „Die Schöpfung“
Im Donnersang, da ich erschuf das Meer
Aus „Die Schöpfung“
Ich tat große Dinge
Aus „Die Schöpfung“
Es schweben so viele Vögel über unsern Häuptern
Aus „Der Denker“
In der Nacht überschritt ich den Gebirgpaß
Aus „Der Denker“
Ich lieg in einem weit- und dunklen Dome
Aus „Der Denker“
Hier ist ein Gipfel, um drauf einzuschlafen
Aus „Der Denker“
[386]Mondaufgang
Erdriese
Der Born
Vöglein Schwermut
Legende
Bestimmung
Abendläuten
[391]Nordstrand
Erster Schnee
Das Horn
[392]Altes Gebetbuch
Aus „Mit roten Kressen“
O, einen Sturm!
[395]Im Novembersturm
Ostára
Gräfin Monbijou
Der Pantoffel
Radierungen
Bauernaufstand
Radierungen
[399]Zu jung
Jagdlied
Straßenlied
Saul bei der Hexe von En Dor
An den Mistral
Ein Tanzlied
An Goethe
Vereinsamt
Nach neuen Meeren
Sils-Maria
Bei der dritten Häutung
Niedergang
Der Weise spricht
Sternenmoral
Die Sonne sinkt
[407]Um Mitternacht
Vor dem Christuskopf
(Gemalt von Gabriel Max)
[408]Juninacht
Das Stoppelfeld
Reiterschlacht
Am Wärterhaus
Lied des Mädchens am Fenster
Im Gespräch mit dem Geliebten
Wohin ich jetzt sehe...
Der Wanderer
[414]Einsamer Wanderer
[415]Halt mich!
[416]Das Glöcklein beim Gewitter
Nachts übers weiße Grabfeld
[417]Mich suchte Gottes Auge
Am Abend wird die Tiefe leuchten
[418]Aus „Meine Jugend“
Spätherbst
[420]Heimatglocken
Neue Jugend
Erinnerung
[422]Urquell
Via passionis
[424]Stürb ich in deinem Arm
Warten
[425]Dramatische Landschaft
Liebesterzinen
[427]Ballade der Untreue
— — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — als Eduard III. gestorben war, stahl ihm seine Geliebte kostbare Ringe von der Hand, und sein Windspiel lief zu seinen Feinden — —
Ein Lied der Bauern
Aus den „Federzeichnungen“ und dem „Lyrischen Skizzenbuch“
Die heiligen drei Könige
[434]Wir
Wintergang
Heilige Nacht
Mondscheinfahrt
[436]Die Muschel
Ewigkeiten
Mondeszauber
[438]Tagebuchblätter
Gebirge
Cäsar
Ahasver
An des Glückes Pforte
Zu den Gipfeln des Himalaja
Aus „Farben“
[443]Fern unter Blüten vergraben
Aus „Farben“
Um das graue Schloß
Aus „Farben“
Volksweise
[444]Aus „Vigilien“
Es gibt so wunderweiße Nächte
Aus „Traumgekrönt“
Das war der Tag der weißen Chrysanthemen
Aus „Traumgekrönt“
Das ist mein Streit
Aus „Advent“
Die Mädchen singen
Aus „Advent“
Casabianca
[446]Die Mühle
Bodensee
Schau unsre Tage sind so eng
Aus „Gebete der Mädchen zur Maria“
[447]Nach den Gebeten
Aus „Gebete der Mädchen zur Maria“
Auf der Schwelle
Warnung
Frühlingsmärchen
Das hat die Sommernacht getan
Schlafe, ach, schlafe
Das sind die schwülen Sommernächte
Was geht das fremde Lied mich an
Du und ich
Wunder
[451]Am Tor des Hamadan
Die Entfernte
Alter
Der Ziegelschlag
Miserere!
Ottilie
[455]Die Teppichklopferinnen
Kammermusik
Erinnerung
Acherontische Sizilianen
Der Gott
Die Blindenschlacht
Bergphantasie
Geheimnis
Der Mond spielt in den Blattgeflechten
Nichts ward anders
Einschlafen
Herbstklage
Schneebeere
Sprüche
[465]Sturmeswehen
Traumbild
[466]Der bleiche Verbrecher
Todes-Eiland
Alte Schlösser...
Die Fürstin
Meldung
Der Gesandte
Porträt des Marquis de...
Goya
März
Die stille Seele
Das lange Lied
[472]Gesang der Weltwalrosse:
Und es sangen die Säulen:
Nach diesem langen Gesange rufen die Wale sämtlich, als wär ihnen ein Stein vom Herzen gefallen:
Die Wale sinken in die Tiefe und singen:
Der Künstler
Werden
Leben!
Sturmnacht
Im Garten
Im Heidekraut
I.
Auf der Klippe
II.
Regen
Herbst
[481]Spätherbst
Winter
Spuren im Tau
[482]Das Dritte
Ohnmacht
Anfang vom Ende
Vorüberreitend
[485]Nebeltag
Über dem Leben
Ver sacrum
Der säumige Landsknecht
Der fremde Wandrer
[490]Nachtbild
Abend
In einer Dämmerstunde...
[492]Nächtlicher Weg
Zwiegespräch im Raum
Brunneninschrift
Eine andere Brunneninschrift
Der Wandrer
Meine Väter
[495]Klingers Beethoven
Die Sphinx
Dein Mund ist überreif zum ersten Kuß
Meiner toten Mutter
Das Ende wird so wie der Anfang sein
[499]Dein Leben sei ein ewiges Suchen
Herbst
Mein Haus...
Die Totenstadt
[501]Das Begräbnis
Die Blütenfee
Die Prophetenwahl
[503]Die Korrektur des Weibes
Adamsruh
Triumphzug der Nacht
[505]Traumschloß
Donner
Purpur
[507]Heimat
Sonnenaufgang in der westfälischen Heide
Heidegespenst
[509]Nun ist es Herbst
Aus „Neues Leben“
[510]Ich singe ihnen meine Lieder vor
Aus „Neues Leben“
An des Himmels blauer Wölbung
Aus „Neues Leben“
Onkel, wir wollen in den Wald gehn
Aus „Neues Leben“
Einst grub auch ich nach Weisheitsgold
Aus „Neues Leben“
Durch die Nikolausnacht, aus schneegebeugtem Tann
Aus „Neues Leben“
In unser dunkles Stübchen leuchtet der Schnee
Aus „Neues Leben“
Unter dem Palastgiebel bauen wieder die Schwalben
Aus „Neues Leben“
Müde
Aus „Neues Leben“
In den herbstvioletten Nebel
Aus „Neues Leben“
Glühende Worte
[514]Komm — Marie!
Meine Lippen brennen so...
Des Braunschweigers Ende
[516]Nachtgesichte
I.
II.
[518]III.
Reise
[519]Meinen Eltern
(Zum 16. November 1887)
[520]Der Scheich
Zwei Grabschriften
An Leopardi
[524]Überschwemmung
(Litauen)
Der Torfbruch
(Litauen)
Selig sind...
Wüßt ich ein Wort...
Carrara
Orangenernte
Am Brunnen
Am Heiligenbild
Die Zikaden
Campagnanacht
Fallendes Laub
[532]Du
Aus „Parzival“
[533]Notturno in G-Dur
[537]Der Landschaften letztes Stück
Aus „Das Buch der Landschaften“
Siegvater
Hartung
Holephann
Knospentage
Nacht und Schweigen
Herbststille
Unendlichkeit
Der Pflüger
[543]Das Begräbnis
Heiliger Hain
Rosen
Auf den Höhen
Seltsame Stunde
[547]Val d'Ema
Brandung
Traumland
Frühlingslied
Herbst
Schwerer Sommertag
[551]Sehnsucht
Aus „Der Wanderer“
[552]Lied beim Champagner zu singen
Bleiche Tage
[555]Tuch der Tränen
Seelen
Totentänzchen
(Menuett)
[557]Lied des Hörigen
Kronenlied
Das Bild
[559]Herbst
I.
II.
Der Grund
Überfall
Gartengespräch
Sie
Er
Sie
Er
[562]Sie
Er
Sie
Er
Sie
Die Nachtigall
Werden
Der Schwarm
Der Haß
Schon ein Lied — ein Vogellied...
Vorfrühling
Wurzelgenossen
[567]Tief im Zypressenhaine
[568]Pilgerfahrt
Fern dem Tage
[570]Adagio
Josefa
Göttin Industrie
Hinab!
Prolog
Begehren
Herbstgang
Brügge
Der dunkle Falter
Erfüllung
Juli-Schwermut
Traum und Tod
- Holder of rights
- The Beginnings of Modern Poetry Project
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- TextGrid Repository (2024). The Beginnings of German Modern Poetry Corpus. Moderne Deutsche Lyrik. Mit einer literargeschichtlichen Einleitung und biographischen Notizen, hrsg. von Hans Benzmann. Leipzig 1904.. Moderne Deutsche Lyrik. Mit einer literargeschichtlichen Einleitung und biographischen Notizen, hrsg. von Hans Benzmann. Leipzig 1904.. The Beginnings of German Modern Poetry Corpus. The Beginnings of Modern Poetry Project. https://hdl.handle.net/21.11113/0000-0014-43D0-3