Vorwort

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Die „Moderne deutsche Lyrik“ will eine literarische Anthologie für jedermann sein. Der Begriff „modern“ wurde von mir in diesem Sinne aufgefaßt: In erster Linie war die neuwertige Lyrik, zu berücksichtigen, die in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts sich Geltung zu verschaffen suchte und seit den neunziger Jahren die herrschende wurde. Ihre Hauptvertreter, sowohl die der älteren Generation, der Stürmer und Dränger, die Conradi, Bleibtreu, Holz, Arent, Henckell u.a., als auch die der nachfolgenden Generation, die Dehmel, Falke, Busse, Bierbaum u.a., waren vorzugsweise zu berücksichtigen; ich mußte ein möglichst vollkommenes Bild von der künstlerischen Persönlichkeit jedes dieser Dichter zu geben suchen. Der Nachwuchs kam bis auf die jüngsten Talente sodann in Betracht. Ich habe mich bemüht, von den meisten auch der begabten Jüngsten ein paar charakteristische Proben zu geben. Alle diese Dichter konnte ich natürlich nicht kennen. Aber vielleicht geben die Proben in ihrer Gesamtheit ein ungefähres Bild von den jüngsten Bestrebungen und erfüllen wenigstens diesen Zweck. Ferner waren die Dichter der Übergangszeit zu berücksichtigen. Ich bin hierbei soweit als möglich zurückgegangen.

Meinem Empfinden nach aber mußten Dichter wie Lingg, Heyse, Jensen, Dahn und andere dieser ältesten Generation fortbleiben. Hier ist die Grenze deutlich sichtbar. In dieser Beziehung bildet meine Anthologie die Fortsetzung zu der Sammlung „Deutsche Lyrik seit Goethes Tode“ von Maximilian Bern. Dagegen habe ich zwei von den Lyrikern dieser ältesten Generation berücksichtigt; den einen, Konrad Ferdinand Meyer, weil er vielen Modernen vorbildlich war und weil er vielleicht der einzige unter seinen Altersgenossen während der letzten zwanzig Jahre war, dessen Lyrik bei höchster Subjektivität von vollkommenster suggestiver Prägnanz ist, — weil seine Kunst im Gegensatz zu der fast aller seiner Altersgenossen wirkliche Persönlichkeitskunst und insofern typisch für eine Art der deutschen Kunst überhaupt war, — und den andren, Theodor Fontane, weil er, der Realist, wenn auch [14]vielleicht nicht als einziger, so doch in hervorragendster Weise unter seinen Altersgenossen während der letzten zwanzig Jahre eben diesen anderen deutschen Typus repräsentierte. Beide verbinden uns am besten mit der Vergangenheit! Weiter zurückgreifen, etwa auf Keller, Storm, Mörike, die Droste, wollte ich nicht.

Es waren endlich noch neue Dichter zu berücksichtigen, die zwar für die Entwicklung der modernen Lyrik nichts Bedeutsames, doch an sich Beachtenswertes geschaffen haben.

Das Gebiet der Lyrik ist unermeßlich. Lyrisch ist schließlich alle Dichtung. Ich zog mir äußere Grenzen und schloß aus: lyrische Partien aus Epen und Dramen, in Prosaform geschriebene und nicht hochdeutsche Lyrik. Einige wenige Übersetzungen nach neuen Dichtern, die ganz besonders die moderne deutsche Lyrik beeinflußt haben, nahm ich aus.

Da dies Buch einen umfassenden Überblick über die gegenwärtige deutsche Lyrik geben sollte, durfte ich auch lyrische Gedichte von anderen bekannten und begabten modernen Dichtern, Dramatikern? und Romanciers, geben.

Vielleicht wird dieser und jener auch von den bekannteren Dichtern vermißt werden. Daran habe ich keine Schuld. Der Verlag und ich haben getan, was wir in dieser Beziehung tun konnten. Einige Dichter lehnten meine Einladung direkt ab, darunter Stephan George, der mir schrieb, „daß es ein Irrtum wäre, ihn zur modernen Literatur zu rechnen“. Andere antworteten mir auf meine Bitte, mir Gedichte zur Verfügung zu stellen, gar nicht.

Eine vollkommene Genauigkeit und Gleichmäßigkeit in den biographischen Angaben war nicht durchzuführen, da einzelne Dichter und Dichterinnen durchaus nichts über ihr Geburtsdatum usw. verraten wollten. Die bibliographischen Angaben konnten ebenfalls nicht durchweg genaue und vollständige sein, einmal weil in einigen Fällen das Veröffentlichungsjahr in den Büchern nicht angegeben und auch nicht aus andere Weise zu ermitteln war, und dann, weil in den Fällen, wo mehr als zwei Auflagen vorliegen, nicht das Jahr jeder Auflage angeführt werden konnte. Neben dem Jahr der ersten ist nach Möglichkeit nur das der letzten mitgeteilt.

Wilmersdorf bei Berlin, im August 1903.

Hans Benzmann

Die Entwicklung der modernen deutschen Lyrik
„O Künstler, deine Mannigfaltigkeit sei ebenso endlos wie die Erscheinungen in der Natur. Indem du das fortsetzest, was Gott begonnen hat, strebe nicht danach, die Werke aus Menschenhand zu vermehren, sondern die ewigen Schöpfungen Gottes. Ahme niemandem nach. Jedes deiner Werke sei eine neue Naturerscheinung.“ Lionardo da Vinci

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Wir können heute nicht beurteilen, ob wir uns noch immer in einer literarischen Übergangsperiode befinden oder ob die literarische Bewegung der letzten zwanzig Jahre nicht schon einen neuen Höhepunkt in der deutschen Literaturentwicklung bedeutet bezw. ob sie den ihrigen bereits überschritten hat. Jedenfalls ist die Zahl wirklich talentvoller, ja eigenartiger Poeten — abgesehen von einigen wenigen Dichtern sogar ersten Ranges — in Deutschland gegenwärtig nicht klein. Anderseits ist seit Mitte der neunziger Jahre nach heftigen literarischen Fehden und nachdem grade vor jener Zeit einige bedeutende und schöpferische Dichter aufgetreten waren, nicht nur der Kampfeslärm verstummt, sondern sogar eine gewisse Schaffensmüdigkeit eingetreten, so daß wir wohl berechtigt sind, die letzten Jahre als eine ein Entwicklungsstadium in gewisser Beziehung vorläufig abschließende Ruhepause zu bezeichnen. Damit ist nun nicht gesagt, daß alles poetische Schaffen und Wirken seit einigen Jahren daniederliegt. Im Gegenteil: Was geschaffen wurde, wirkt in die Tiefe und Breite, wirkt nicht nur auf die jüngeren und jüngsten Ta[16]lente zweiten und dritten Grades, so daß alle neue Kunst allmählich den Charakter des Neuen, Modernen zeigt, sondern auch in das Volk, insbesondere in die gebildeten Kreise hinein. Die entgegengesetztesten Richtungen, Schulen und Theorien wirken auch heute, ohne sich — wie vor zehn Jahren — direkt zu bekämpfen; ein lustiges Leben und Weben, ein Getümmel der verschiedensten Ideen und Prinzipien herrscht, — wenn auch in den letzten Jahren keine neuen bedeutenden Talente zu den älteren hinzugetreten sind so daß man jedenfalls von einem Verfall, einer Dekadenz der deutschen Kunst durchaus nicht reden kann.

Bevor ich auf die Entwicklung der modernen Lyrik eingehe, halte ich es für nötig, zunächst einiges über das Wesen der deutschen Kunst und über den allgemeinen Zusammenhang der modernen deutschen Kunst mit der deutschen überhaupt und über künstlerisches Schaffen und Wirken, Urteilen und Genießen zu bemerken.

Die Kunst der Germanen ist individualistische Kunst: Persönlichkeits- und Empfindungskunst im Gegensatz z.B. zur romanischen, die vorzugsweise Formen- und Verstandeskunst ist. Man kann deshalb nicht gut von einer deutschen Tradition reden (höchstens im besonderen Sinne). Wohl aber ziehen sich gewisse markante Linien durch die ganze germanische Kunst, welche steigen und fallen, sich fliehen oder allmählich (in Blütezeiten) oder jäh und innig (in der Kunst genialer Persönlichkeiten) sich vereinen. Eine dieser Linien — ich möchte sie zunächst einmal die mythische und mystische nennen —, die der Ideen und Ideale, der Symbole und großen Rhythmen, die der Propheten, Märtyrer und Reformatoren, der Zweifelnden und Befreienden, der Zerstörenden und Aufbauenden, geht aus von den Liedern der „Edda“ über das „Nibelungenlied“ (alle Kunst ist im weitesten Sinne lyrisch) und den „Parzival“ des Wolfram, über die Mystiker des Mittelalters, über den Ghibellinen Dante (denn wer hindert uns, anzunehmen, daß Dante etwa von gotischen oder [17]longobardischen Ahnen abstammt), über Shakespeare, Luther zu Schiller, Goethe, Novalis, Kleist, Grabbe, Hebbel, Grillparzer, Anzengruber, K.F. Meyer, Wagner, Nietzsche, Richard Dehmel, — zu Byron, Shelley, Poe, Carlyle, Emerson, Walt Whitman, Ruskin, — zu Ibsen, Björnson, Strindberg, — zu Multatuli und Maeterlinck, zu — beinahe hätte ich noch den von deutschen Voreltern abstammenden Tolstoj genannt. Die andere Linie — hier brauche ich nur die deutsche Kunst zu berücksichtigen — beginnt mit den ältesten Volksliedern, Sagen und Märchen, und geht, auf diese immer wieder zurückgreifend, über Walther von der Vogelweide, über Hans Sachs, über die späteren Dichter des evangelischen Kirchenliedes, um nur einige Verzweigungen zu nennen, zu Goethe (dem Dichter der Balladen und Lieder), zu Claudius, Bürger, Uhland, Eichendorff und Mörike, zu Annette von Droste-Hülshoff, zu Storm und Klaus Groth, von Bürger und Goethe zu Fontane und Detlev von Liliencron. Die Begriffe: idealistische und realistische, sentimentalische und naive Kunst decken nur zum Teil diese Gegensätze. Man könnte, um die Linien kurz zu charakterisieren, die eine die der typischen deutschen Kunst bezeichnen, die andere die der individuellen deutschen bezw. germanischen Kunst. Beiden Kunstarten steht als gewissermaßen dritte die epigonenhafte Kunst gegenüber. Wir werden deshalb Dichter wie z.B. Storm und Johann Georg Fischer niemals Epigonen nennen, obwohl sie nicht zu den starken und originellen Persönlichkeiten gehören.

Der Typns der deutschen Kunst, deren Wesen realistisch ist, wird selbstverständlich immer wieder im Entwicklungsverlauf der deutschen Literatur erscheinen. Das liegt in der Natur der deutschen Kunst, die doch aus dem Volksempfinden, aus der Volksart emporwächst. Dagegen werden niemals neue und noch so originelle künstlerische Theorien ankämpfen können. Und ich behaupte, daß wir, wenn diese Kunst, die ich schlechthin die deutsche nannte, den breiten Untergrund der jeweilig schaffenden und wirkenden Ge[18]samtkunst bildet, daß wir dann von einer natürlichen und gesunden Entwicklung der deutschen Kunst reden können.

Kunst, die aus der Tiefe des Volksgemütes schöpft, erschein nämlich ganz von selbst in einer Form, die auch der ästhetisch Feingebildete gelten lassen muß, gewissermaßen in jener Form, die Anfang und Ende aller Kunst ist, die bewußt oder unbewußt auch von Künstlern subjektivster Art gesucht wird, und sogar von denen, die sie verleugnen, urplötzlich und unwillkürlich geschaffen wird. In der Tat, fast jedem echten Dichter gelingt einmal eine Strophe, die wie ein uraltes Volkslied klingt, wie uralte Poesie, oder sie steht auf einmal vor ihm fertig da, kaum weiß er, woher und wie sie ihm zuflog.

Daß auch innerhalb der modernen Literatur von einer ganzen Reihe von hochbegabten Dichtern — ich nenne neben Liliencron, Falke, Karl Busse — jener deutsche Kunsttypus vertreten wird, gereicht ihr zur Ehre und zeugt von ihrer gesunden Art und Entwicklung. Aber auch grade in der modernen Literatur findet man bei Dichtern, die ganz den entgegengesetzten Kunstanschauungen huldigen, wie z.B. bei Richard Dehmel, Arno Holz, Johannes Schlaf, ja sogar bei Dauthendey, Mombert und Stephan George einzelne Lieder bezw. Strophen, die geradezu volksliedartig wirken. Man kommt auf Umwegen immer wieder auf diese Einfachheit zurück. Auf die mit dieser Frage zusammenhängenden spezielleren modernen ästhetischen Probleme, insbesondere auf die naturalistischen und formalistischen Theorien sowie auf die verschiedenen persönlichen Stile komme ich später bei der Darstellung der Entwicklung der modernen Lyrik bezw. bei den einzelnen Charakteristiken der hervorragendsten modernen Lyriker zu sprechen.

Anderseits ist die deutsche Kunst, und ganz besonders auch die moderne: Persönlichkeitskunst, Ideen-, Weltanschauungskunst, individuelle Stilkunst. Ich habe hierbei im Sinne die Dichtungen eines Richard Dehmel, [19]Johannes Schlaf, Julius Hart, Wilhelm von Scholz, Hugo von Hofmannsthal, Alfred Mombert, um nur einige der bedeutenderen modernen Vertreter dieser Kunst zu nennen. In den Dichtungen der Genannten spiegelt sich die individuelle Seele, Zeitliches und Ewiges, spiegeln sich die mannigfaltigsten Kunst- und Weltanschauungen. Welcher Art jede derselben ist, darüber später.

Es kommt nun nicht darauf an, ob die Weltanschauung bezw. die Kunst eine — im alten Sinne — sittlich wirkende ist. Wenn nur das Kunstwerk aus innerster Ergriffenheit heraus vom Künstler geschaffen wurde, aus einem tiefen Erleben, Fühlen, Denken, aus wahrhaftem Traum und Treiben, wenn es nur in heiliger Wahrhaftigkeit vor uns steht, wie eine Notwendigkeit, wie die Welt, wie das Leben, wie das Schicksal. Nicht das Häßliche, Perverse, Grausenerregende, nur das Verlogene, Unehrliche, Unfreie, das Nachempfundene, Nachgemachte, Konventionelle ist zu verwerfen. Man hat neuerdings wieder gesagt, daß die deutsche Kunst eine aus ureignem sittlichen Geiste heraus geborene sei. Mögen derartige Bestrebungen im Wesen des Deutschen begründet und auch in seiner Kunst bisweilen stark (Schiller) hervorgetreten sein, mag es zu wünschen sein, daß auch von den Künstlern der Zukunft positive, optimistische, an sich erhebende Ideen verkündet werden — an sich hat die Kunst diesen Zweck, dieses Wesen nicht, noch wirkt wahrhafte, ehrlich Kunst unsittlich. Nicht jede Kunst ist für jeden. Fühlen, Schaffen, Genießen und Urteilen ist vielmehr im höchsten Grade subjektiv, ist Triebleben. Künstlerisches Kunstschaffen und -genießen ist wie ein Fluidum, das die ganze Welt, organische und unorganische, durchzieht, ist eine besondere Eigenschaft alles Lebens, ein ureignes, urirdisches und urhimmlisches Phänomen — wie kann man ihm da andere Zwecke und Ziele unterschieben, als die ihm ureignen, die auf Befriedigung dieses Urtriebes bei dem Schaffenden sowohl wie bei dem Genießenden gehen? Freilich, nochmals sei es betont, [20]nicht jede Kunst ist für jeden. Höhenkunst, intime und feine Kunst aber darf in erster Linie nicht an dem Maßstabe des Befangenen und einseitig Einfindenden gemessen werden. Kunst bedarf darum notgedrungen höchster Freiheit, und ihr Schranken und Grenzen zu setzen, ist geradezu widersinnig und unnatürlich. Daß auch in der ernst zu nehmenden Kunst — neben dieser geht natürlich immer eine unehrliche, verlogene Kunst, eine der Nachahmungen und Übertreibungen her — sich heute vielfach ein übersensitives, ja anscheinend perverses Wesen mehr wie sonst breit macht, ist begreiflich; denn in einer nach einer neuen Auffassung des Menschlichen und Göttlichen ringenden Zeit muß auch die Kunst, um neue Ideale und Symbole zu finden, bis an die tiefsten Wurzeln des Menschlichen vordringen.

Es ist und bleibt das Verdienst der Gebrüder Heinrich und Julius Hart, die ersten gewesen zu sein, die mit überzeugendem Pathos für eine Neubelebung der deutschen Literatur und für eine Emanzipation derselben von aller konventionellen und abstrakten Darstellungs- wie herkömmlichen sentimentalen Empfindungsweise eintraten. Bereits im Jahre 1879 hatte Julius Hart eine Gedichtsammlung „Weltpfingsten“ veröffentlicht, in der sich ein neuer, kühner, optimistischer Geist und ein universales und idealistisches Empfinden in schwungvollen Rhythmen und originellen Bildern offenbarte. Das Evangelium der Menschlichkeit wurde in diesen Gedichten verkündet im Gegensatz zur Tagespoesie, die in phrasenhafter sentimentaler und sogenannter Butzenscheibenlyrik aufging, anderseits in gedanklicher Beziehung an einem schwülen Pessimismus krankte, der wiederum ein materialistisches Weltempfinden zur Folge hatte, das sich in sinnlich üppigen, oft freilich auch rhythmisch schönen Strophen äußerte. Abgesehen von den noch rüstig schaffenden älteren Poeten waren damals Julius Wolff und Rudolf [21]Baumbach bie bekanntesten und beliebtesten, jener ein süßlicher doch immerhin phantasiebegabter Poet, dieser ein kecker, temperamentvoller Lyriker! Neben diesen dichtete lustig fort die ganze Schar der Epigonen und Dilettanten, die Rittershaus und andere; sie erst brachten die deutsche Lyrik vollends herab. Nicht vergessen sei aber, daß damals noch einige Dichter der ältesten Generation wirkten, deren Poesien uns heute moderner anmuten, wie etwa die der Gebrüder Hart. Ich meine Theodor Fontane und Konrad Ferdinand Meyer, die denn auch spätere Moderne, namentlich Liliencron und Falke, mehr oder weniger stark beeinflußt haben. Anderseits sind an dieser Stelle auch Dichter wie Martin Greif, Eduard Grisebach, Emil Prinz von Schoenaich-Carolath, Heinrich Vierordt, Ferdinand Avenarius, Heinrich von Reder und Ferdinand von Saar zu nennen, von denen die einen damals bereits ihr Bestes gegeben, die anderen ihre ersten Verse gerade veröffentlicht hatten und von jenen Jahren an neben den eigentlichen Modernen rüstig weiter schufen. So verschieden geartet diese Dichter sind, sie alle repräsentieren doch, sei es in formeller oder in inhaltlicher Beziehung, so recht die Übergangslyrik. Martin Greif ist in seinen besten Poesien durchaus nicht Epigone. Er hat Gedichte geschaffen von einer Knappheit und schlichten Prägnanz des Ausdrucks, die sie unseren besten Volksliedern und Goethes schönsten Gedichten ähnlich erscheinen lassen. Diese Prägnanz und diese die Tiefe und Weite der Empfindung nur andeutende lyrische Unmittelbarkeit ist niemals epigonenhafter Poesie eigen. Greif hat zwar zu den Stürmern und Drängern der Modernen keinerlei Beziehungen, eben weil er mehr Dichter war als diese, den eigentlichen Modernen der neunziger Jahre, namentlich den maßvolleren Vertretern der zweiten Generation, aber ist er in künstlerischer Beziehung entschieden verwandt. In Eduard Grisebachs Gedichten lebt der Byron-Heinesche Ton des Weltschmerzes und der Ironie noch fort. In dieser [22]Beziehung ist Grisebach so recht der Repräsentant jener Zeit der Dekadenz der alten Kunst, für die auch seine sinnlich-üppigen Tanhäusergedichte charakteristisch sind. Anderseits aber zeigt seine Poesie auch viele modernere Momente. Insbesondere kennzeichnen ihn als modernen Dichter ein freieres Formempfinden und eine Vorliebe für kecke, ehrliche Behandlung des Erotischen und für Darstellung sozialer Stimmungen und Disharmonien. Man kann ähnliches über den Prinzen Emil von Schoenaich-Carolath sagen. Auch er steht vielfach im Banne pessimistisch-weltschmerzlerischer Empfindungen; aber in vielen Dichtungen erhebt sich seine Weltanschauung in schöner Ekstase zu den hellen Höhen einer edlen selbstlosen Menschenliebe. Anderseits und vor allem aber ist grade er der bedeutendste Künstler von diesen Poeten der Übergangszeit. Er ist der persönlichste von ihnen und zugleich ein sprachschöpferischer Künstler von einer großen Feinheit und Prägnanz des Ausdrucks, Bildes und Rhythmus. Von den genannten Poeten hat er auch am meisten in formeller Beziehung auf das jüngere Geschlecht gewirkt. Auch der bayrische Oberst Heinrich Ritter von Reder gehört zu diesen Poeten. Freilich ist er ganz anderer Art als etwa Grisebach oder der Prinz von Schoenaich-Carolath. Reder war von den älteren Dichtern eigentlich der einzige, der fortwährend neben den modernsten in den von diesen gegründeten Zeitschriften erschien. Man braucht nur die frischen, flotten, mannhaften, etwas spröden und trocknen, aber wie Pastelle farbigen, hellen Gedichte dieses jugendlichen Greises zu lesen und man wird es erklärlich finden, daß die Jugend ihn verehren mußte. Vieles hat Reder außerdem mit den Modernen gemein: Anschaulichkeit, Natürlichkeit, Präzision und Prägnanz des Ausdrucks. Seine Kunst ist nicht hervorgegangen aus abstrakten Reflexionen, sondern aus Erlebnissen, so wenigstens wirkt sie und darauf kommt es an. Auch der Österreicher Ferdinand von Saar ging mit den Modernen. Weniger in formeller als vielmehr in inhaltlicher Beziehung steht seine [23]Kunst der modernen nahe. In manchen seiner frühesten Gedichte lebt bereits etwas von jenem Naturalismus, der später tonangebend wurde; ich meine hier nicht den formellen Naturalismus der neunziger Jahre, sondern jenen ersten inhaltlichen, stofflichen, der insbesondere in sozialen, in Milieu- und Wirklichkeitsstimmungen die Blüte aller Kunst sah. Auch Ferdinand Avenarius hat bisweilen den konkreten, suggestiven Ton echter Kunst gefunden, sowohl in kleinen Naturstimmungen wie in größeren Phantasiedichtungen und Balladen. Vor den Genannten zeichnet ihn außerdem ein Streben nach Vertiefung und Verinnerlichung der lyrischen Empfindung und Weltanschauung aus. Freilich wirkt er auch vielfach recht farblos, abstrakt und nüchtern. Heinrich Vierordt hat viel geschrieben; aber namentlich unter seinen späteren kleinen italienischen Genrebildern findet sich manches poetisch sehr fein empfundene, sprachlich edle und schöne Gedicht; in solchen Poesien, die an Goethes römische Elegien erinnern, auch an K.F. Meyers leichtere Gedichte, lebt ein feiner, anmutiger Humor, eine einzige Frische und Lieblichkeit der Empfindung. Genannt seien auch noch die Dichterinnen Isolde Kurz, die meines Erachtens als lyrische Dichterin überschätzt wird, Frida Schanz, Alberta von Puttkamer — ich komme auf die Dichterinnen überhaupt, von denen keine viel zur Weiterentwicklung der Lyrik beigetragen hat, später in besonderen Abschnitt zu sprechen —, die beiden Schlesier Theobald Nöthig und Paul Barsch, ferner Rudolf Liebisch, deren Gedichte sich durch Frische und Innigkeit der Empfindung vor anderen auszeichnen, Ernst von Wildenbruch, dessen feinste, einfach schlichte, zarte und melodische Liebeslyrik an die Goethes erinnert. Wildenbruch hat auch ein paar kräftige, wuchtige, in Stil und Fortführung der Handlung suggestiv wirkende Balladen („Die Mette von Marienburg“) geschaffen. Genannt seien auch an dieser Stelle der Österreicher I.I. David, dessen Gedichte, vielleicht erst in späterer Zeit entstanden, sich in Form und Ton doch dieser [24]Lyrik anschließen und an sich durch die Innigkeit und Ehrlichkeit der Empfindung wirken, spätere auch durch eine allegorisierende, eigenartige psychologische Gedankentiefe; ferner ein weniger bekannter, aber interessanter älterer Dichter, der Süddeutsche Albert Roffhack, der zarte Reflexionspoesien und ebenfalls lebendig dargestellte, oft originelle Allegorien gedichtet hat; schließlich der Schweizer Karl Spitteler, der eigentliche Allegoriendichter unter den Lyrikern der Gegenwart. Spitteler, dessen Gedichte wahrscheinlich ebenfalls erst in späterer Zeit entstanden sind, ist sogar ein hervorragender Repräsentant deutscher Allegoriendichtung überhaupt. Er ist in seinen Sinngedichten nicht nur ein tiefsinniger Poet, sondern auch ein feiner ironischer Humorist. Seine Sprache ist kräftig, von plastischer Wirkung; doch nicht immer von jener blühenden Kraft und Schönheit, die der seines großen Landsmannes K.F. Meyer, an dessen Balladen die seinen bisweilen erinnern, eigen ist. Die Zahl der Dichter dieser Epoche und dieses Wesens ist hiermit nicht erschöpft. Ich nenne z.B. noch Adalbert von Hanstein. Es genügt jedoch, einige ihrer Repräsentanten genannt zu haben. Auch von jüngeren und jüngsten Dichtern zeigen viele ein dem dieser Lyriker Verwandtes Wesen, z.B. Georg Fuchs, dessen Seestücke stimmungsvoll empfunden sind. Andere werden später zu nennen sein. Bemerkt sei noch, daß die in diesem Abschnitte charakterisierten Dichter nicht nur in historischer Beziehung die alte Lyrik mit der neuen verbinden, sondern später auch in rein ästhetischer Beziehung die Brücke zwischen der alten und neuen Lyrik gewissermaßen wiederherstellen. In maßvoller konservativer Weise haben auch sie die breite Entwicklung weiter fortgeführt.

Neben ihnen schufen und wirkten, wie oben angedeutet, bereits die beiden Harts, deren erste und auch spätere Poesien sich eigentlich nur inhaltlich von den Dichtungen jener Poeten, die sie überwinden wollten, unterschieden. Hiermit ist die ganze erste Periode der sogenannten moder[25]nen Poesie vom rein ästhetischen Standpunkt aus bereits charakterisiert. Auch die Conradi, Bleibtreu, Holz (im „Buch der Zeit“), Arent, Mackay, Henckell unterschieden sich in formeller Beziehung kaum von den Epigonen, die sie vom Parnaß verdrängen wollten. Sie gebärdeten sich nur temperamentvoller, leidenschaftlicher, persönlicher, ehrlicher als jene; originelle Künstler waren sie ebensowenig als ihre Gegner. Ihre große Bedeutung dürfen wir deshalb aber nicht verkennen. Nichts positives Künstlerisches schufen sie, wohl aber zerstörten sie gründlich all das Morsche und Veraltete, sie reinigten die Bahn für das ihnen nachfolgende Geschlecht. Aber nicht nur negativ wirkten sie bahnbrechend, auch positiv: freilich nicht als Künstler, sondern als starke Persönlichkeiten mit anscheinend neuen sozialen und ethischen Tendenzen. Die Individualität sollte sich ausleben und dies auch in der Kunst zur Darstellung bringen. Die neue Zeit, der Zeitgeist sollte in den Poesien leben. Die alte Moral sollte fallen und an ihre Stelle das frei sich entwickelnde Ich treten. So erweiterten sie die Grenzen der Poesie, ja sie brachen diese ganz nieder. Neue Stoffgebiete erschlossen sie, und es ist begreiflich, daß sie für diese, die sie dem realen, sichtbaren Leben, der Wirklichkeit entnahmen, sich besonders begeisterten. So entstand auch in Deutschland der Naturalismus und zwar zunächst der inhaltliche Naturalismus, eine Wirklichkeitskunst im besonderen Sinne — denn was ist nicht wirklich? —, eine Wirklichkeitskunst, die mit Vorliebe das Großstadtleben, das Leben und Treiben in den Straßen, Fabriken, Hinterhäusern und Vorstädten, anderseits den Menschen in ganzer seelischer Nacktheit darzustellen suchte. Verständlich ist es, daß das an sich Häßliche, Widrige und Niedrige, Absonderliche und Entartete noch mit besonderer Vorliebe von dieser Kunst geschildert wurde; denn bisher war ja gerade all dies dunkle und trübe Leben von der Kunst verabscheut worden. Diese Schilderungen hatten daher den Schein des gänzlich Neuen für sich, [26]und durch sie wurde am überzeugendsten die Existenz einer gänzlich neuen Kunst bewiesen. In der Tat boten diese Dichter neuen — besser jungen — Wein in alten Schläuchen. Neue Kunst ist erst dann vorhanden, wenn die künstlerischen Werte neue sind oder wieder künstlerische geworden sind. Es kommt nicht auf den Inhalt an sich an, es kommt auf die künstlerische Art und Weise an, wie er gegeben wird, auf die Form, auf die Methode. Neue oder besser, relativ neue, also wirkliche, lebendige Kunst — denn was ist neu? läuft nicht alles Streben in der Kunst schließlich auf die alte, ewige, suggestive Einfachheit hinaus? ist erst dann vorhanden, wenn zu dem neuen, zeitgemäßen Inhalt der zeitgemäße Stil hinzutritt, wenn die Persönlichkeit sich auch in einem persönlichen Stile offenbart — oder allgemein und immer gültig, vielleicht einzig gültig: wenn die Knust nach Jahren des Verfalles wieder Kunst wird. Und in diesem Sinne war die Kunst dieser ersten Generation der Modernen noch keine neue Kunst. Sie war — ich habe immer ihr allgemeines Wesen im Auge — überhaupt sehr weit entfernt von Kunst. Sie war zum größten Teil sogar unmoderner, d.h. reflexionärer, abstrakter, tendenziöser, unkünstlerischer als die geschmähte alte Kunst. Sie war nicht einmal imstande, ein klares Bild von der Wirklichkeit zu geben. Die sogenannten sozialen Poesien jener Zeit sind keine sozialen Poesien, weil sie keine Poesien waren. Mit überzeugender Deutlichkeit, d.h. künstlerischer Suggestivität, hat fast keiner jener Dichter das soziale Elend in markanten Bildern zu schildern vermocht. Anderseits auch als gänzlich subjektive Poesie versagte diese soziale Dichtung im allgemeinen. Phrasen, hauptsächlich Phrasen — pessimistischer und idealistischer Art: also auch nicht einmal ein tatsächlich neuer bestimmter Inhalt, sondern nur ein starkes Wollen, ein leidenschaftliches Wollen, Temperament, Kraft in Sprache, Bild und Rhythmus, kurz nur: Sturm und Drang, und allerdings ein starker, wilder und vernichtender Sturm, der das Alte gründlich hinweg[27]fegte. Nur einer war unter ihnen, der ein großer Dichter und Künstler war und ist: Detlev von Liliencron!

Von Lyrikern, die in jener Zeit wurzeln bezw. deren hauptsächlichste Entwicklung, soweit sich dieselbe bis jetzt übersehen läßt, in jene Zeit fällt, sind — abgesehen von Liliencron, der eine Sonderstellung einnimmt und eine Sonderbetrachtung verdient — zu nennen: Hermann Conradi, Karl Bleibtreu, Wilhelm Arent, Ludwig Scharf, Karl Henckell, John Henry Mackay, Franz Held. Arno Holz gehört zu ihnen nur mit seinem „Buch der Zeit“, das neben Conradis „Liedern eines Sünders“ (1887) — immer abgesehen von Liliencron — das bedeutendste lyrische Werk jener Tage ist. Später ging Arno Holz auch als Künstler eigene Wege. Auch die Gebrüder Hart sind natürlich zu nennen, namentlich Julius Hart mit seinen Büchern „Sansara“ (1879) und „Homo sum“ (1890); doch ist er kein eigentlich typischer Vertreter jener Lyrik, er war und blieb immer ein mehr universal als zeitlich empfindender Idealist, und seine von vornherein kosmisch und pantheistisch gestimmte Lyrik, entwickelte sich nach dieser Richtung hin immer breiter und voller, künstlerisch wirkte sie — und wirkt auch die heutige Lyrik Julius Harts — trotz ihrer schwungvollen Rhythmen und tiefsinnigen Bilder wenig originell. Die eigentlichen Stürmer und Dränger, die Titaniden der Gruppe sind Conradi und Karl Bleibtreu, jener ein Dichter leidenschaftlicher, dithyrambischer Empfindung, dieser mehr wirksam durch gedankliche Tiefe, Wucht und Kraft der Ideen, Tiefe der Weltanschauung, die freilich eine pessimistische ist, in welcher Beziehung Bleibtreu gewissermaßen zwischen der alten und neuen Zeit vermittelt. Das relativ Neue zeigt sich bei beiden in den realistischen Momenten und Nuancen ihrer Lyrik, in der Hingabe der ganzen Persönlichkeit an die Kunst, in dem gänzlich persönlichen Inhalt, in der ungebundenen, bald breit hinflutenden Form, der oft nur ein Rhythmus zugrunde liegt. [28]Schon die Harts liebten den freien Rhythmus, dessen Verwendung immer charakteristisch ist für ein neues kräftiges Dichtergeschlecht. Insbesondere ist Conradi in seinen dahinstürmenden Rhythmen ein typischer Vertreter dieser auflösenden Lyrik, die trotz ihrer formellen Frische und oft hinreißenden Spannung doch Reflexionspoesie bleibt wie die ganze Lyrik jener Jahre. Conradis Lyrik spiegelt die seelische Zerfahrenheit und Zerrissenheit ihres Schöpfers. „Erfüllt von dem ehrlichen Drange nach innerer Befreiung vermag er sich doch nicht von den ihn umstrickenden Banden sinnlich leidenschaftlichen Begehrens zu lösen, und wenn er in einzelnen seiner Gedichte Töne warm quellender Empfindung und auf jauchzender Siegeslust findet, so beklagt er in anderen wieder sein Promethidenlos, das ihn an die Niedrigkeit des Lebens fesselt und die Flugkraft seiner Schwingen lähmt“ (Paul Heinze in seiner Literaturgeschichte). So schafft und wirkt eine innerlich unfreie Persönlichkeit, ein Dichter, der noch ganz in den Fesseln alter Anschauungen liegt. Ein starkes Wollen und leidenschaftliches, doch durchaus nicht dämonisches, im Grunde mehr pathetisches als tiefinnerliches Empfinden machten Conradi zum Dichter. Ein Genie war er weder als Persönlichkeit noch gar als Künstler. Nicht so fesselt Bleibtreu als Lyriker, er gibt sich nicht so seelisch-persönlich wie Conradi. Des letzteren Gedichte spiegeln innere und äußere Erlebnisse, und so nicht nur die Seele des Dichters, sondern auch ihre Zeit. Bleibtreus Gedichte spiegeln mehr eine kritische, intellektuell hochbegabte Persönlichkeit, die unmittelbar nur durch die Kraft des intuitiv gewonnenen Einzelbildes wirkt. Sie offenbaren das universale Wesen ihres Verfassers in kosmischen Ideen, die teilweise auf die pessimistische Philosophie des vorigen Jahrhunderts zurückweisen, teilweise auf letzte naturwissenschaftliche Erkenntnisse, wodurch auch äußerlich eine reizvolle und farbige Symbolik und Bildlichkeit oft an die Stelle nüchterner und abstrakter Reflexionen tritt (vgl. insbesondere des Dichters reifste [29]Poesien: „Kosmische Lieder“ [1890], die sich durch knappe stimmungsvolle Bildlichkeit und gedankliche Tiefe auszeichnen). Gänzlich im Banne einer pessimistischen Weltanschauung steht Ludwig Scharf („Lieder eines Menschen“, 1892). Ursprünglich origineller und tiefer begabt wie die beiden soben geschilderten, zerstörte er in zynischer Welt- und Menschenverachtung selbst sein starkes Können. Ebenso interessant ist Franz Held, wohl der feinste und originellste Künstler dieser ganzen Gruppe. Seine schönsten Gedichte wirken wie die Freilichtbilder seiner Zeit, sie sind voll von hellen, charakteristischen Farben, eigenartigen, aparten, prägnanten Wendungen. Seine Künstlerseele verrät sich ganz besonders in der Objektivität seiner sozialen Stimmungen, die, plastisch und farbig, zugleich voll Leben und Bewegung sind, und nur durch das Dargestellte wirken, niemals durch eine subjektive Phrase, und außerdem, unparteiisch empfunden, meistenteils sogar voll heiterer, freundlicher Stimmung sind. Ein starkes Talent ist mit ihm leider allzufrüh zugrunde gegangen. Daneben war er freilich auch ein recht barocker und bizarrer Poet. Wilhelm Arent hat nur selten einen originellen, wirklich innerlichen echten Ton getroffen. Er besaß wohl ein feines Kunstempfinden, aber nicht seinen eigenen Poesien gegenüber, die seinen flachen Weltschmerz in unzähligen, immer gleich farblosen und allgemein gehaltenen Reimereien widerspiegeln. Er repräsentiert den poetischen Dandy seiner Zeit, der, mehr Dandy als echter Poet, doch gewisse, nicht uninteressante Stimmungen — freilich äußerlicher Art — seiner Zeit künstlerisch festzuhalten und zu gestalten vermochte. Daneben ist er der eigentliche Erotiker dieser Gruppe, als Künstler ein kraftloser üppiger Feinschmecker, der von Genuß zu Genuß jagt und niemals Befriedigung findet, niemals wirklich zu genießen vermag. Ihm gegenüber steht von der nachfolgenden Generation der als Lyriker recht unbedeutende Felix Dörmann. Vergessen sei auch nicht, daß der um die moderne Lyrik verdiente Begründer des hauptsächlichsten [30]Organes der Jungen: „Die Gesellschaft“ Michael Georg Conrad auch als Lyriker hervorgetreten ist. Freilich ist er als Romancier von größerer Bedeutung; seine Lyrik, persönlich, kräftig und herb im Tone, ist zur Hauptsache Reflexions- und Tendenzdichtung.

Die damaligen sozialen wie literarischen Tendenzen kamen in ihrer ganzen Fülle in dem „Buch der Zeit“ von Arno Holz zum Ausdruck. Holz setzt sich in diesem Buche aber nicht nur mit der alten Kunst, Politik, Moral und Philosophie auseinander, er gibt auch soziale Stimmungsbilder, die wirklich von Stimmung und Empfindung durchtränkt sind, z.B. Erlebnisse auf der Berliner Friedrichstraße, Hinterhaus- und Vorstadtstimmungen. Das ganze Großstadtleben drängt sich so in bunten, bewegten Bildern an uns vorüber. Und der Dichter packt dieses neue Leben derb an, er nimmt es, wie es ist, ohne Sentimentalität, doch mit starkem Mitgefühl; er findet im einzelnen den treffenden, realistischen Ausdruck, er bezeichnet jedes Ding mit dem rechten Namen. So ist er bald lyrisch stimmungsvoll, bald wuchtig pathetisch, bald tritt er mit neuen sozialen, ethischen und ästhetischen Forderungen hervor, bald gestaltet er nur das Milieu, das nackte, wirkliche, rauhe Leben, die Alltagstragödie, bald ist er äußerst sarkastisch und blendend geistreich. Aber er ist in diesen Gedichten — das zeigt sich in ihrer Form und ganzen Anlage — doch noch durchaus Reflexionspoet und Epigone. Die knappe, prägnante poetische Form für ein Lied, für ein soziales Stimmungsbild und gar für eine Idee, Phantasie, Weltanschauung sollte er erst auf Umwegen finden.

Die typischen Vertreter der sozialen bezw. anarchistischen Tendenzpoesie jener Jahre aber waren Karl Henckell und John Henry Mackay. Aus melancholischen Jugendstimmungen heraus entwickelte sich Henckell zunächst zum feurig empfindenden lyrischen Streiter für die neuen sozialistischen Ideen. Der Grimm des Dichters gegen die bestehenden Zu[31]stände kommt namentlich in dem Buche „Amselrufe“ in sehr selbstbewußter Weise zum Ausdruck. Trotzdem nun Henckell so für die soziale Lyrik prädestiniert zu sein scheint, gelingt es ihm infolge seiner überstarken Subjektivität doch selten, ein ergreifendes Bild des Elends und der Not zu entwerfen oder in kraftvoller, präziser Weise das Elend selbst überzeugend reden zu lassen. In fast allen diesen Gedichten überwuchern leider Phrase und Pathos, Reflexion und Tendenz den poetischen Kern der tiefleidenschaftlichen Empfindung und Ergriffenheit. Dazu machen formelle Abenteuerlichkeiten viele Gedichte ganz ungenießbar. Jedoch gibt es unter Henckells Gedichten ein paar, die ich die wahrhaft Henckellschen nennen möchte, und die zu den besten gehören, die die moderne und die deutsche Lyrik in dieser Art geschaffen hat. In ihnen allein zeigt Henckell eignen, seinen idealen Stil. Es sind Gedichte voll stürmischen, trotzigen, hoheitsvollen Selbstbewußtseins, daherschreitend in einem ehernen, klingenden und triumphierenden Stil wie Tubenbläser. Ich meine Gedichte wie „Trutznachtigall“, „Der heimliche Kaiser“, „Torenlied“. Sodann ist Henckell ein feiner und frischer Künstler und Poet in einer Reihe von Liebes- und Naturgedichten. Diese sind teilweise ganz goethisch in Empfinden und Form, Rhythmus und Bild, Einfachheit und Prägnanz. Beeinflussungen durch Goethe werden sich übrigens später in interessanter Weise noch bei anderen Modernen (Dehmel, Morgenstern) zeigen. In den letzten Jahren entwickelte sich Henckell ruhiger, seine Weltanschauung wurde universeller, vom Sozialismus sagte sich der Dichter gänzlich los. — Mackays Poesien hinterlassen fast überall den Eindruck, daß sie aus ehrlichstem Empfinden und tiefstem Erleben heraus entstanden sind; aber sie wirken wenig reizvoll und künstlerisch gar nicht suggestiv, sie zeugen fast alle von dem geringen schöpferischen, künstlerischen Gefühl ihres Verfassers, es sind zur Hauptsache nüchterne, abstrakte Reflexionspoesien. Auch Mackays soziale Gedichte sind Streit- und Kampfgedichte. [32]Am interessantesten noch sind die Bekenntnisgedichte, in denen der Dichter gegen Institutionen wie Schule, Kirche, die heutige Erziehung und für die Rechte der Jugend zu Felde zieht (vgl. Zyklus „Moderne Jugend“). Künstlerisch am vollsten dagegen sind die Gedichte des Buches „Sturm“, so insbesondere die schwungvollen, rhythmisch stolzen und stürmischen Freiheitsgedichte „Am Ausgang des Jahrhunderts“ und einige tendenzfreie, hochgestimmte Gedichte aus dem „Starken Jahr“, wie vor allen, der schöne, unmittelbar wirkende Zyklus „Sonne“. — Auch Maurice von Stern verfaßte „Proletarierlieder“ und „Stimmen im Sturm“, in denen er für die Besitzlosen kräftig eintrat, doch ist sein eigentliches Gebiet das farbensatte Naturgedicht, zu dem er auch in seinen letzten Schöpfungen zurückkehrte. Eine blühende und prunkende Sprache ist für ihn charakteristisch. Aber er weiß auch in weichen romantischen Stimmungen oft den einfacheren lyrischen Ton zu treffen. Sein letztes lyrisches Werk „Blume und Blitze“ enthält eine Reihe edel empfundener lyrischer Gedichte. In diese Gruppe der sozial- naturalistischen Poeten gehört auch der Prager Friedrich Adler; doch sind seine sozialen Gedichte von ruhiger, objektiver Art, es sind Lebens- und Charakterbilder und Milieustudien, oft durchwirkt von eigenartiger Symbolik und warmherziger Empfindung. Seine Kunst ist aber nicht allein von Zeitideen und -empfindungen abhängig, bisweilen offenbart sich vielmehr — und dies sind seine menschlich tiefsten und künstlerisch wertvollsten Schöpfungen — in seinen Poesien ein freieres, universales Empfinden. Von Dichtern, die in jener Zeit wurzeln, sind noch zu nennen Hermann Friedrichs, Richard Zoozmann und Ludwig Jacobowski.

Hermann Friedrichs, einst ein kampffroher Poet, dichtete später mit Vorliebe Balladen und Allegorien im idealistischen Stile, in denen er bisweilen an K.F. Meyer erinnert, aber niemals dessen knappe Prägnanz und suggestive [33]Wucht erreicht. Zoozmanns beste Gedichte sind wohl die erotischen und sozialen seiner Jugend, später lenkte er mehr und mehr in alte Bahnen ein. Jacobowski, ein im Grunde gar nicht originelles und durchaus unselbständiges Talent, begann mit phrasenhafter, abstrakter Titanidenpoesie, seine weitere Entwicklung zeugt von bewunderungswürdiger Willenskraft: er lernte künstlerisch empfinden und gestalten, trat dann bald darauf mit einem Buch zum Teil lyrisch empfundener und formschöner Liebes- und Stimmungsgedichte („Aus Tag und Traum“) hervor, um schließlich in letzten Werken auch intimer und persönlicher Empfundenes in einfacher prägnanter Form zu geben. Freilich von suggestivem Zauber ist seine Lyrik nicht, sie fesselt nicht, sie wird vergessen. Jacobowski war weder ein ursprünglicher Lyriker noch eine freie dichterische Persönlichkeit. Auch seine spätere Lyrik, die neben der Busses und anderer einhergeht, ist von geringer Bedeutung für die Entwicklung der modernen Lyrik. Deshalb habe ich das ganze Schaffen des Dichters hier gleich im Zusammenhange charakterisiert.

Der bei weitem bedeutendste Dichter dieser Gruppe, ja der einzig geniale Künstler dieser Zeit ist, wie schon mehrfach angedeutet, Detlev von Liliencron. Er ist nicht nur eine Persönlichkeit, sondern vor allem ein Dichter, ein Künstler. Man braucht nur ein Gedicht von ihm zu lesen, um dies zu erkennen. In seinen Poesien ist alles anschaulich, konkret empfunden und gestaltet, seine Lyrik wirkt so unmittelbar, so suggestiv wie etwa die Goethes. Liliencron gehört deshalb gar nicht in die Reihe all der soeben geschilderten Tendenz- und Reflexionspoeten. Er ist nur im geringen Maße von ihren Tendenzen und literarischen Bestrebungen beeinflußt. Dagegen offenbart sich in ihm erst recht der realistische Geist der Zeit, oder vielmehr in ursprünglicher Weise das alte realistische Wesen der deutschen Poesie. Und zwar ist Liliencron in seinem ganzen Können, Fühlen und Denken Norddeutscher, er schließt bis jetzt die glänzende Reihe [34]Bürger, Goethe, Droste-Hülshoff, Fontane, Storm. Er erst hat unsere Poesie, die dahinsiechte am blassen, unpersönlichen, sentimentalen, langweiligen Idealismus epigonenhafter Kunstauffassungen wieder gesund gemacht, nicht durch neue künstlerische Theorien, nicht durch soziale und ethische Ideen, sondern durch die Fülle und Frische seiner lebendigen Persönlichkeit, durch die Echtheit und Ursprünglichkeit seiner Kunst. Er erschloß uns vor allem wieder die deutsche Landschaft, die deutsche Natur, insbesondere die norddeutsche Heide, das Moor und die Marschen mit ihrer ganzen stillen und großen Poesie. Sein Gebiet ist daher freilich hauptsächlich das der äußeren Wahrnehmung und des Gefühls. Seine Antipoden sind etwa Schiller und Nietzsche, die sich Weltanschauungen dichteten. Obwohl er so kein Dichter einer Weltanschauung ist, personifiziert er jedoch und gestaltet demgemäß auch unbewußt gewisse Ideen Nietzsches: Er lebte sich aus, er gab sich immer, wie er war, als Mensch und Künstler, er konnte sich nicht anders geben. Wäre Liliencron noch dazu ein Prophet, eine Faustnatur gewesen, wie er ein Phantasiegenie ist, so hätte er gewiß das Größte geschaffen. So ergeben sich aus seiner genialen Veranlagung auch seine Mängel. Charakteristisch in dieser Beziehung ist namentlich sein Epos „Poggfred“, in dem sich Ansätze zu höherem Fluge finden, die uns sogar an Dante erinnern, aber die Phantasie des Dichters bleibt am Geschauten, an der Erscheinung hängen und vermag zum Sinn der Dinge nicht vorzudringen. Hingewiesen sei im besonderen, außer auf seine Naturpoesie, auf seine frische, flotte, oft aber auch unsagbar innige Liebespoesie, auf seine markigen, farbigen und plastischen, lyrisch tiefen und zugleich episch und dramatisch bewegten Balladen und auf seine einzige ganz persönliche Gelegenheitspoesie, besondere auf seine Sizilianen. Und nicht vergessen seien seine prächtigen Phantasiedichtungen, Gedichte wie „Pietà“, „Die Sündenburg“, „Die heilige Flamme“ und „Krischan Schmeer“. In ihnen offenbart sich, wie schon angedeutet, [35]mehr eine tiefe, selige Freude am Geschauten, am Gestalteten und am Visionären, als am Tiefsinnigen und Symbolischen. Aber aus dem bunten Tanze scheinen sich doch bisweilen die ernsten Masken des tieferen Lebens und die Allegorien der ewigen Ideen zu lösen. Auch hier steht, bevor wir uns dessen ganz bewußt werden — kaum ist es vielleicht dem Dichter selbst bewußt geworden — auf einmal eine Offenbarung oder ein Rätsel vor uns, — und vielleicht ist grade dies: höchste Kunst.

Liliencron hat natürlich auf die ganze neuere Poesie anregend und befruchtend gewirkt. Selbst sein Antipode Richard Dehmel ist stark von ihm beeinflußt worden, insbesondere auch Gustav Falke und Bierbaum im Anfang ihres Schaffens. Vergleichen wir die Entwicklung der neuen Poesie mit einer Kurve, so hat diese in Liliencrons Schaffen („Die Adjutantenritte“, „Der Heidegänger“, „Neue Gedichte“) einen Höhepunkt erreicht. Noch einmal erreicht sie einen solchen in Richard Dehmels Schaffen („Aber die Liebe“).

Um das Jahr 1890 treten Wandlungen in den Anschauungen und in der Entwicklung der modernen Lyrik ein. An Stelle der Stürmer und Dränger, der Persönlichkeiten mit sozialen und ethischen Tendenzen treten Dichter der lyrischen Empfindung, geborene Lyriker und Künstler, und anderseits Propheten, Weltanschauungsdichter und Philosophen. Als Beispiele nenne ich von jeder Gruppe ein paar Dichter: Karl Busse und Gustav Falke; Johannes Schlaf, Franz Evers, Bruno Wille und Julius Hart (letzteren in weiterer Entwicklung). Die moderne Weltanschauungspoesie erreicht in Dehmels Poesie ihren Höhepunkt, weil sie hier in einem eignen, durchaus persönlichen und originellen, konkreten und suggestiven Stil erscheint. Von Anfang der neunziger Jahre an also ist die moderne Lyrik bestrebt, einerseits sich zu veräußerlichen (im guten Sinne), konkret und prägnant, Kunst und Stil zu werden, anderseits sich zu verinnerlichen, Empfindungs- und Weltanschauungspoesie zu werden.

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Inzwischen erledigten sich auch, allerdings mehr in der neuen Dramatik und Prosakunst als in der Lyrik, die naturalistischen Theorien. Auch andere Faktoren wie bisher fingen an von außen her die deutsche Lyrik zu beeinflussen. An Stelle der Sozialethiker und Gesellschaftsreformatoren trat der Denker und Dichter und vor allem der Stilist Friedrich Nietzsche. Außer ihm wäre noch Theodor Fechner zu nennen. Daneben aber war es namentlich der französische (aber oft deutsch fühlende) echte Lyriker Verlaine, an dessen lyrischen Formen und Stimmungen, Klängen und Rhythmen sich die deutschen Dichter bildeten. Am deutlichsten wird dieser beiden Einfluß bei Richard Dehmel bemerkbar, der Nietzsches auch bei seinem ihm wenig kongenialen Nachahmer, dem pathetischen Franz Evers. Auch der spezifisch amerikanische Dichter Walt Whitman wirkt hier und da befruchtend auf die deutsche Lyrik; ebenso Baudelaire, später Maeterlinck und jüngere Skandinavier und Franzosen.

Bedeutungsvoll für die weitere Entwicklung der deutschen Lyrik sind insbesondere die Jahre 1832 und 1893, in welchen die ersten bezw. die originellsten und besten Gedichtbücher von Karl Busse („Gedichte“ 1892 ), Otto Julius Bierbaum („Erlebte Gedichte“ 1892), Richard Dehmel („Aber die Liebe“ 1893) und Gustav Falke („Tanz und Andacht“ 1893) erschienen. Diese vier Bücher geben die neue Richtung an, ja sie sind mit die besten ihrer Art und der modernen Lyrik überhaupt geblieben.

Ein ungemein frisches faszinierendes Talent tritt uns in Karl Busse entgegen. Busse ist originell in einem Sinne, im andern nicht. Kein Neutöner, wirkte er doch unmittelbar, natürlich, echt lyrisch, immer ist er — wenigstens in seinen ersten beiden Büchern — konkret, prägnant, stimmungsvoll, und es fehlt ihm nicht an persönlicher Tiefe, wie seine schönen Sehnsuchtsgedichte beweisen. Ich rechne ihn zu denjenigen Dichtern, die die gute deutsche Tradition mit ihrer [37]Kunst fortsetzen, die für uns Deutsche charakteristische Kunst. Er ist, auch wenn er von den Dichtern des deutschen Volksliedes, weiter von Eichendorff, Storm, Novalis, Schoenaich-Carolath beeinflußt wurde, grade aus jenem Grunde nicht Epigone. Dichter dieser Art sind niemals Epigonen, wie ich bereits anfangs hervorhob. Freilich die spätere Entwicklung des Dichters entspricht durchaus nicht ihrem Anfange. Ich halte Busses drittes Buch „Vagabunden“ für eine verhältnismäßig sehr schwache Leistung; der gesucht burschikose Ton der meisten Gedichte dieses Buches ist leider epigonenhaft.

Ein feineres, kräftigeres und reicheres, ebenso Ursprüngliches wie künstlerisch bewußtes Talent ist Gustav Falke. Busse und Falke verhalten sich zueinander wie Jüngling und Mann. Das tertium comparationis ist beider deutsche Art. Darum ist auch Gustav Falke nie und nimmer ein Epigone. Nur in seinen ersten Gedichten machen sich Beeinflussungen durch Liliencron und Konrad Ferdinand Meyer bemerkbar. Ich habe Falke einmal den größten Künstler unter den Modernen genannt, hierbei hatte ich die Form im Sinne. Zu jenen großen Individualitäten, die hauptsächlich durch die Macht und Urwüchsigkeit, Fülle und Tiefe ihrer Persönlichkeit, durch den Universalismus ihres Empfindens zur Bewunderung zwingen, gehört Falke nicht. Seine Dichtungen haben den Ewigkeitsgehalt der rein menschlichen, leise durch das Persönliche nuancierten und vertieften Empfindung. Aber diese Empfindung gibt Falke in der edelsten, charakteristischesten Form. Darum nannte ich ihn den größten Künstler unter den Modernen. Innig und melodisch, elastisch und lebendig, von Empfindung und künstlerischer Intelligenz belebte und beseelte Harmonie ist seine Lyrik. Freilich auch seine letzten Gedichtbücher wirken nicht mehr so künstlerisch fein und menschlich eigen wie die ersten. — Insbesondere ist Falke ganz deutsch in seinen empfindungstiefen Eheliedern, in den Gedichten, in denen er Herdglück und Gattenliebe besingt. Durch plastische Anschaulichkeit zeichnen sich seine Naturgedichte aus, [38]in denen er bisweilen eine gradezu shakespearische Tiefe und Spannung der Stimmung erreicht. Eigen ist ihm auch ein drolliger, kindlich naiver, oft dagegen auch kernig derber Humor. Auch in dieser Beziehung empfindet er ganz deutsch: seine Wander- und Trinklieder sind von urwüchsiger Frische. Nicht vergessen seien seine rhythmisch schönen harmonischen, oft gedanklich originellen Phantasien.

Auch Bierbaums Lyrik ist im formellen Sinne keine neuwertige. In ihr erscheinen allerlei ältere Stile modernisiert, wodurch sie im wesentlichen den Charakter der Barocklyrik erhält. Vielfach zeigt sie deutsches Wesen, besonders in den Gedichten, in denen der Matthias Claudius-Ton glücklich getroffen ist. So sind für mich die einfach schlichten, rhythmisch ruhigen Abendlieder die schönsten Gedichte Bierbaums. Auch seine graziösen, oft bizarren Pfingst-, Tanz- und Weinlieder seien erwähnt — sie sind voll frischer und heitrer Poesie —, ferner die Allegorien und schließlich die flotten realistischen Liebeslieder. Beeinflußt wurde übrigens Bierbaum von Liliencron und vom deutschen Naturalismus. Es sei hier nachgeholt, daß alle diese Dichter, so verschieden geartet sie sonst sind, also Busse, Falke, Bierbaum, Dehmel, Dichter der Natur, der Stimmung sind, ebenso wie Liliencron. Das ist überaus charakteristisch.

Ein Bierbaum in mancher Beziehung geistig verwandter Poet ist Otto Erich Hartleben, dessen Lyrik an dieser Stelle deshalb kurz charakterisiert wird. Hartlebens Verse sind vor allem frisch und flott empfunden. Sein drastischer Humor wirkt wahrhaft herzerquickend. Als ein feiner lyrischer Stilist erscheint er in dem prächtigen „Pierrot lunaire“, einem Buche, das vielfach anregend auf die deutsche Lyrik (vgl. z.B. Bierbaums, Morgensterns, Schaukals Gedichte) gewirkt hat. Daß er auch eigen, künstlerisch vornehm und tief zu empfinden vermag, das zeigt Hartleben in seinem letzten Buche „Von reifen Früchten“ (1902).

Das vierte und bedeutendste Gedichtbuch, das in jenen [39]beiden Jahren erschien, ist Richard Dehmels „Aber die Liebe“ (1893). Auch Dehmels starkes und a priori selbstständiges Talent ist natürlich nicht ganz frei von Beeinflussungen geblieben. Nicht spurlos ging die Bewegung der achtziger Jahre an ihm vorüber, und namentlich von Liliencron hat auch er gelernt. Anderseits zeigt sein lyrisches Wesen Verwandtschaft mit Heine und mit ähnlich gearteten Dichtern, z.B. mit Grisebach. Insbesondere aber hat er sein künstlerisches Empfinden an Verlaines Lyrik gebildet. Das alles vermindert seine Bedeutung für die moderne Lyrik nicht im geringsten. Und seine Lyrik ist in mehrfacher Beziehung bedeutend und bedeutungsvoll. Dehmel ist ein Dichter, dem universales und individuelles Fühlen in gleichem Maße eigen ist, er ist eine dichterische Persönlichkeit mit wirklich eigenem kosmischen und ethischen Empfinden, das sich auch in einem durchaus individuellen und charakteristischen Stile äußert. Er wollte vor allem sich selbst ganz erkennen lernen, sich ausleben im Sinne Nietzsches. So stieg er hinab zu den tiefsten Wurzeln des Trieblebens und bekannte mit ehrlichster Offenheit alles das, was er in den unheimlichen trüben Tiefen erlebte. Ebenso wie das tiefste Erkennen entspringt aber auch wahrhaft schöpferische Phantasie, d h. originelle Kunst (origineller Stil), dem innersten geheimnisvollen Wesen der Sinne und der Seele (ich sagte vorhin in diesem Sinne: Kunst ist Triebleben!). Dies wird ganz besonders an Dehmels Kunst offenbar: sie wirkt sowohl in ihrem Ausdruck wie Triebleben und deshalb so suggestiv, als auch offenbart sie inhaltlich die Phasen eines besonderen seelischen Trieblebens. Aus so tiefem Durchfühlen und Erkennen alles Menschlichen wächst ein höheres Bewußtsein und Selbstbewußtsein, eine freiere Ethik empor, die nach einer Vereinigung christlicher und hellenischer, metaphysischer und naturphilosophischer Ideen strebt: die Individualität wird zur Menschheitsseele, zum „Kulturgewissen“, wie es Dehmel ausdrückt. Ich möchte behaupten, daß sich so in mehrfacher Beziehung goethisches [40]und schillersches Wesen in Dehmels Kunst bekämpfen, sich gegenseitig anziehen und auch vereinigen, wie dies auch in der bald dithyrambischen, bald einfach prägnanten, bisweilen direkt goethischen Darstellungsweise des Dichters sich offenbart. Natürlich basiert Dehmels Empfinden auch auf den letzten naturwissenschaftlichen Erkenntnissen: er hat aus diesen einen neuen lebensstarken befreienden Optimismus gewonnen, der in der Idee vom irdischen Gottmenschentum gipfelt, in der Idee, daß es höchstes Recht und höchste Pflicht des Menschen sei, sich individuell auszuleben, sinnlich und seelisch, — er ist ein Dichter des Egoismus, aber eines sich stetig läuternden Egoismus. Man vergleiche hierzu das, was ich vorhin über den gefesselten Promethiden, den an seinem Schicksal und der Menschheit verzweifelnden Conradi sagte und man wird den Unterschied zwischen den Weltauffassungen jener und dieser Jahre am besten erkennen. Dehmels spätere Werke: „Weib und Welt“, „Lebensblätter“ und „Zwei Menschen“ zeigen in aufsteigender Entwicklung dasselbe individuelle und universale, von seiner hohen Mission durchdrungene Wesen. Wenn man einen Dichter wie Dehmel beurteilt, so soll man dies nach seinem Gesamtwesen und nach dem Besten, was er geschaffen hat, tun. Ich bin mir aber wohl bewußt, daß Dehmel durchaus nicht immer groß und suggestiv wirkt, daß seine Art oft in Manier ausartet, daß sein Gefühl oft Reflexion ist, seine Ergriffenheit Pathos, seine Bilder bisweilen gradezu geschmacklos wirken. Auch er ist anderseits in mancher Beziehung noch ein Kind unserer Übergangskultur.

Zu diesen modernen Weltanschauungsdichtern gehören, abgesehen von jüngeren Talenten, die später zu charakterisieren sind, auch Franz Evers, Julius Hart, Bruno Wille, Johannes Schlaf und Adolf Schafheitlin.

Es lassen sich gewisse Beziehungen zwischen Richard Dehmel und Franz Evers feststellen. Beide sind in erster Linie von individuellen Empfindungen beseelt und offenbaren so in ihrer Kunst ein dem Nietzsches verwandtes Fühlen. Aber [41]sie unterscheiden sich voneinander, wie sich eben der echte originelle Künstler von dem wortreichen Pathetiker, wie sich konkrete, lebendige, sprachschöpferische und beseelte Kunst von abstrakter Rhetorik unterscheidet. Wie es dem Denker und Dichter Evers an selbständiger Tiefe, an wirklich neuen und fruchtbaren Ideen, an eigentlicher seelischer und sinnlicher Tiefe fehlt, so fehlt es dem Künstler Evers an schöpferischem Kunstgefühl. Nur in den seltensten Fällen wirkt seine Poesie vermöge der Prägnanz und der charakteristischen Sprache von Seele zu Seele. Diese Kunst der großen Worte mit geringem Sinn, der grundlosen Inbrunst und der wesenlosen heroischen Gesten kann man deshalb kaum Weltanschauungs- und Persönlichkeitskunst nennen. Im Gegensatz zu Dehmel widmete sich Evers auch einer weltfremden, abstrakten Askese, Empfindungen, die seine Persönlichkeit erst recht als eine unfreie erscheinen lassen. Mancherlei Anregungen hat er aus theosophischen Studien geschöpft, aus jener abstrakten Mystik, die um das eigentliche Welträtsel herumgeht wie die Katze um den heißen Brei. Ich möchte aber mein Urteil korrigieren, indem ich zugebe, daß Evers einzelne schöne schwungvolle dekorative Gedichte geschaffen hat — sei es daß in ihnen individualistische oder pantheistische Stimmungen zum Ausdruck kommen — und ebenso einzelne schöne stimmungsvolle und lyrisch tiefe wie zarte Liebes- und Naturgedichte. Seine Gedichtbücher „Königslieder“ (1894), „Hohe Lieder“ (1896) und „Erntelieder“ (1902) dürfen in einer Darstellung der modernen Lyrik nicht übersehen werden.

Ähnliches kann man über Julius Harts spätere Poesien („Triumph des Lebens“) sagen, doch ist Julius Hart als Denker und als Künstler eine viel tiefere Natur als Evers. Dies zeigt sich nicht nur in einzelnen Gedichten Harts — auch in den von pantheistischen Grundempfindungen getragenen Stimmungen herrscht oft eine an tiefsinnigen Bildern und an persönlichen Nuancen reiche Sprache —, sondern auch in der Vielseitigkeit seiner Lyrik. So sind [42]ganz besonders seine kraftvollen, von Leben strotzenden sozialen sowie seine üppigen, inbrünstigen erotischen Gedichte hervorzuheben. Seine pantheistisch-mystische Lyrik zeigt denn doch einen weiteren Gesichtskreis als etwa die Everssche. Auch Hart bleibt an der Peripherie hängen; aber seine Phantasie umkreist das ganze Weltall, und sein mystisches Denken und Fühlen ist befruchtet von den kosmischen Ideen der modernen Naturwissenschaft. Ein schöner freier leben- und menschenfreundlicher Idealismus, ein religiöses Fühlen, das in der Illusion von der Identität alles Seienden wurzelt und in der Erkenntnis, daß die metaphysische (kantische) und die naturwissenschaftliche (darwinische) Weltanschauung nur als verschiedene Spiegelungen des Kosmos aufzufassen seien, und daß der Mensch das Maß aller Dinge sei, offenbart sich in seinen Poesien. Es ist hier nicht zu untersuchen, ob nicht auch eine derartige Weltanschauung gewissen Ideen Nietzsches entspricht, obwohl grade Julius Hart sich theoretisch gegen Nietzsche wendet. Jedenfalls aber liegen die Wurzeln der Weltanschauungen eines Julius Hart einerseits und eines Nietzsche und Richard Dehmel anderseits — wenn sich die Kronen der Bäume auch berühren — weit auseinander. — Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß es Hart nicht gelingen will, den Lebensnerv seines auch grade in seiner Lyrik pulsierenden Weltempfindens bloßzulegen — hier zeigt sich die größere Reife einer vor der absoluten Wahrheit nicht zurückschreckenden ironischen Weltanschauung. Dem entsprechend vermag der Dichter die Quintessenz seines tiefsten Wissens, Lebens und Fühlens auch nicht in knapper, epigrammatischer Weise darzustellen. Aber grade — und dies sei an dieser Stelle nachgeholt — an der epigrammatischen, prägnanten, künstlerischen Wiedergabe gleichsam des menschlichen Extraktes der Persönlichkeit, ihres tieffsten und geheimsten Fühlens erkennt man die Originalität und Meisterschaft eines Künstlers (vgl. Goethe, Nietzsche, Dehmel, bei letzterem die Leitverse zu seinen Büchern). Ge[43]danken-, Weltanschauungspoesie hat dann höchste künstlerische Berechtigung und ist dem zartesten lyrischen Stimmungsgedicht, etwa einem Volksliede gleichzustellen — weil sie nämlich dann ebenso unmittelbar wirkt —, wenn sie mit dieser stärksten künstlerischen Ergriffenheit (Konzentration) dargestellt ist, wenn sie in dieser einfachsten und zugleich umfassendsten Synthesis der Persönlichkeit, in dem lebendigen Blütenkleide der unwillkürlichen, d.h. also einzig dem Inhalt entsprechenden Symbolik erscheint. So offenbaren sich die ewigen, uralten Gesetze der Kunst, an denen alle Theorien scheitern, insbesondere auch die naturalistischen, deren Methode eine auflösende ist. Anderseits kann sich künstlerische Konzentration selbstverständlich auch in einer überschwenglichen Form äußern (vgl. z.B. Goethes Harzreise, Prometheus). Doch hier sind wir wieder an dem Punkte angelangt, der Reflexionspoesie überhaupt von Kunst scheidet.

Nicht vorhanden jedoch ist nun diese Konzentration bei den meisten der sogenannten modernen Prosagedichte. Ich denke z.B. an Johannes Schlafs Dichtung „Der Frühling“ und an Julius Harts Dichtungen ähnlichen Gepräges, die der Dichter aber ausdrücklich in dem Nachworte zu denselben (vgl. „Stimmen in der Nacht“) Novellen nennt. Übrigens ist Johannes Schlafs lyrische Dichtung „Frühling“ auch als Weltanschauungsgedicht und nach der ungefähren Zeit ihrer Entstehung an dieser Stelle zu würdigen.

Man kann zunächst über diese Dichtung und über Harts lyrisch-rhythmische Prosakunst dasselbe wie über Harts Poesien überhaupt sagen: es sind subjektive Reflexionspoesien, die an sich durch den Überschwang der Empfindung und Phantasie fesseln, stellenweise sogar packen, stellenweise jedoch langweilig, abstrakt, unklar und zerrissen wirken. Also im ganzen sind diese Dichtungen als unvollkommene künstlerische Gebilde zu bezeichnen. Höchste Kunst wird sich auch in Zukunft nie so offenbaren. Grade diese — analytische — Kunst wirkt nicht unmittelbar, obwohl sie anscheinend die Eindrücke [44]genau so wiedergibt wie sie gewonnen wurden. Hier zeigen sich die Grenzen zwischen Kunst und Natur, die Hart, wie seinem Nachwort zu den Novellen zu entnehmen ist, nicht zu kennen scheint. Ich möchte gegen diese analytische Methode behaupten, daß selbst das Psychologisch-Tiefste und Aparteste, also modernstes Empfinden, sich desto suggestiver offenbart, je synthetischer, je weniger analytisch, je weniger naturalistisch die Darstellungsmethode ist. Die naturalistische Darstellungsmethode kann höchstens nur dann eine suggestive Wirkung erzeugen, wenn vermittelst derselben rein deskriptive Stoffe, z.B. ein äußeres Milieu, eine breite Landschaft, ein Idyll behandelt werden, wie die Großstadtstudien von Arno Holz und Schlaf und die vielen, sehr poetischen Kleinstadt- und Dorfstimmungen von Schlaf (vgl. z.B. „In Dingsda“) beweisen. Der analysierende unkünstlerische Charakter der naturalistischen Methode kommt dagegen bei der Verwendung derselben für das rein lyrische Stimmungsgedicht und für großempfundene Phantasielyrik in der poetischen Wirkung klar zur Erscheinung: Die die Empfindung des Dichters zerfasernde Darstellung vermag die Stimmung und das eigentliche Wesen derselben dem Leser oder Hörer nicht zu suggerieren. Mir wenigstens ging es so bei der Lektüre des „Frühling“ und der Hartschen Novellen.

Im übrigen ist Schlafs „Frühling“ moderne Weltanschauungspoesie. Schlaf jagt, ebenso wie Hart in seinen letzten Poesien, dem Phantom, der Illusion von der Identität alles Seienden nach und umkreist die Formel, die er nicht finden kann, ebenso unablässig wie Hart. Anregungen hat er indes auch noch von andrer Seite her empfangen, namentlich von Fechner, von dem urwüchsigen amerikanischen Originalgenie Walt Whitman und von Verlaine, wie auch sein letztes Gedichtbuch „Helldunkel“ beweist, in dem sich Verse finden, die beinahe so echt lyrisch schlicht und innig wie ein Volkslied wirken. Übrigens wenn ich Schlafs „Frühling“ einen verfehlten Versuch in bezog auf die Darstellungs[45]methode nannte, so will ich damit nicht sagen, daß hier die naturalistische Methode durchaus und nur zur Anwendung gelangte. In so strikter Weise wird natürlich ein Künstler niemals von einer Theorie beeinflußt. Ich möchte sogar betonen, daß Schlaf sehr viel eigenstes und ursprünglichstes poetisches Empfinden in der Dichtung gibt: so ist vor allem die Sprache in derselben stellenweise rhythmisch stark bewegt.

Schlaf ist eine analytische, passive, wenn auch echt dichterische Natur, Arno Holz, den ich nun zu charakterisieren habe, ist in mehr bewußter Weise Dichter und Künstler. Zielbewußt durchdachte er die Prinzipien des künstlerischen Schaffens, suchte er zu den Ursachen künstlerischer Wirkung zu gelangen. Ich erkenne drei Stadien seines Schaffens. Seine Kunst, erst nur dem Inhalte nach naturalistisch und der Form nach epigonenhaft („Buch der Zeit“), wurde vorzugsweise in den mit Schlaf zusammen geschaffenen Werken (Novellen, Dramen) auch der angewandten Darstellungsmethode nach naturalistisch. Dieser Naturalismus (als Darstellungsmethode) wurde in der Lyrik durch Schlaf für alle stofflichen Gebiete verwendet; daß Schlaf dennoch häufig hochpoetisch wirkt, hat seine Ursache in dem Temperamente und in dem künstlerischen Feingefühl des Dichters, die von den natura listischen Beeinflussungen nicht ganz unterdrückt werden konnten. Holz dagegen mit seiner scharfsinnigen künstlerischen Intelligenz fand bald, daß nicht die konsequente Anwendnng der naturalistischen Methode zur Kunst führte, sondern die Methode des prägnanten Naturalismus, des Impressionismus. Man darf nicht den Eindruck sezieren und wieder zusammensetzen, man muß vielmehr den fruchtbaren Moment, den Stimmungsträger, das suggestive Wesen des künstlerischen Objekts zu erfassen und zu gestalten suchen. Das Mittel, um dieses Wesen, die Seele der Stimmung gewissermaßen, auszudrücken, war bisher und bleibt die künstlerische Form. Auch Holz ist durchaus dieser Ansicht. Nach seiner Auffassung haben nämlich auch die Gedichte seiner „Phan[46]tasus“-Bücher Form; aber er verwirft die nach seiner Ansicht äußerlich dem Gedichte aufgezwungene Form, die Vers- und Strophengliederung, den Reim und das künstlerische Schema eines Rhythmus. Empfindung und Stimmung in höchster Einfachheit und Prägnanz darzustellen, wodurch sich ein natürlicher Rhythmus, Hebungen und Pausen von selbst ergäben, dies sieht Holz, soweit ich ihn verstehe, als Ziel und Wesen seiner Kunst an.

Ich möchte auf dies Problem der Holzschen lyrischen Form etwas näher eingehen. Zunächst muß ich gestehen, daß es mir bis jetzt unklar geblieben ist, weshalb Holz seine Verszeilen nach der Mittelachse stellt. Herrscht hier Willkür oder Gesetz? Offenbaren sich so die natürlichen Pausen, oder der vorhin erwähnte natürliche Rhythmus? Steht dieser überhaupt fest bei einer lyrischen Impression? Lese ich diese nicht heute so und morgen anders, je nach Stimmung, Zufall und Verständnis? Und wenn ich sie mit andren Pausen lese als der Dichter und sie doch genau so wie der Dichter empfinde? ... Welcher Zwang und welche Willkür offenbart sich durch dieses feine Gewebe! Ich sehe in der Tat nichts andres in Holz' poetischer Form als hier und dort rhythmisch bewegte, im allgemeinen aber nur impressionistische Prosa. Die Form ist hier tatsächlich in nichts anderem zu finden, als in der Prägnanz des einzelnen Wortes und des einzelnen Satzes, also in der richtigen Auswahl der rein sprachlichen Mittel, und in der knappen Abgeschlossenheit des ganzen Gedichtes. Im übrigen ist die Verseinteilung eine willkürliche, und die äußere Form in dieser Beziehung eine verschiebbare, flüssige. Jeder kann das Gedicht schreiben, wie er will, wie es für ihn am schönsten aussieht und am bequemsten zu lesen ist.

Wie weit diese Prosa-Poesie nun in Werken der Vergangenheit wurzelt, will ich hier nicht untersuchen. Jedenfalls hat Holz als erster diese Methode der Darstellung theoretisch entwickelt und für das kleine selbständige lyrische Stimmungsgedicht angewendet. Und es gibt moderne Stoffe, [47]die sich ohne Gewaltsamkeit kaum in eine andre Art von prägnanter Fassung einkleiden lassen. Daß diese Form auch eine natürliche poetische ist, wird dadurch bewiesen, daß auch andre Lyriker der Vergangenheit und Gegenwart (ich meine hier nicht die Schule des Arno Holz), nur von ihrem Gefühl geleitet, immer wieder und wieder versucht haben, gewisse Eindrücke rein impressionistisch — unabhängig von Reim und Rhythmus — wiederzugeben. Freilich bezweifle ich es, daß diese Form allgemein anwendbar ist, dem Wesen jeder Stimmung entspricht, kurz, daß sie Reim und Rhythmus ersetzt, daß sie entwicklungsfähig ist. Nur für gewisse Stimmungen, Phantasien wird sie geeignet bleiben, und der rechte Künstler wird sie wie den ihr verwandten freien Rhythmus, dessen ruhige Schwester sie ist, an der rechten Stelle anzuwenden wissen. Holz hat vermittelst dieser Methode auch grade kleine, rein lyrische Gedichte geschaffen, die fast so zart und schlicht, innig und tief, lyrisch und gradezu melodisch wie ein Volkslied wirken. Freilich habe ich beim Lesen dieser Gedichte das Gefühl, als ob sie in gleichmäßig wiederkehrender Form, im einfachen Versmaß des Volksliedes, noch einfacher wirken würden. Bei solcher Gleichartigkeit der Empfindungen und Einfachheit der Mittel berühren sich aber die Methoden und gehen fast ineinander auf... Aber ich bezweifle es, daß individuelle, subjektive, leidenschaftlich bewegte und ideenvolle Lyrik sich dieser Form bedienen wird. Zum Ausdruck des Tiefsten, Geheimsten und Größten bedarf die wahrhaft dichterische Persönlichkeit einer stärkeren, einer mächtigeren und individuelleren Synthese, bedarf sie der an sich wandelbaren, an sich entwicklungsfähigen, poetischen Formen. Diese sind bei einem wahren Kunstwerke (ich habe die Totalität seines Wesens im Auge, brüchige, fehlerhafte Stellen spielen keine Rolle) trotzdem niemals von außen her gleichsam mit dem Inhalt verquickt worden, sondern sie sind mit Naturnotwendigkeit aus dem Wesen der Stimmung, aus ihrem Keime gleichsam hervorgewachsen. Eine derartige künst[48]lerische Form vermag erst ganz die Persönlichkeit, die Tiefe einer Idee und Empfindung zu versinnbildlichen, sie erst vermag auszudrücken, was vermittelst des nackten, auch des prägnantesten Wortes allein nicht auszudrücken ist: In den Formen gleichsam schwimmt das Fluidum der Empfindung von Seele zu Seele, und die Symmetrie und Harmonie der Formen, die Wesen allen Lebens ist, ist und bleibt auch Wesen der Kunst. Abgesehen von der inneren Notwendigkeit des Gleichklangs und des wiederkehrenden Rhythmus als der die Empfindung übertragenden Media (der Klang des Reimes z.B. entspricht der Bedeutung des Gesagten, dem Sinne der Stimmung), abgesehen von der Aufgabe des Reims und Rhythmus, die Teile eines Gedichts zu einer geschlossenen Einheit zu verbinden und die Harmonie, die Grundstimmung aufrecht zu erhalten, wodurch eine Dichtung doch erst Kunstwerk und vollkommen wirksam wird — sogar aus rein klanglichen und rein rhythmischen Gründen vertiefen beide Mittel die Wirkung des Gedichts und erhöhen so die poetische Stimmung und Erregung des Zuhörers bezw. Lesers. Und zum Schluß: Angenommen, Holz' Methode wäre die offizielle, dann befürchte ich, daß sie zum mindesten eben solchen Zwang auf den sie anwendenden Künstler ausübt wie die alte.

Ich habe mich mit Absicht bei dieser Frage so lange aufgehalten, weil sie die modernen Probleme des lyrischen Schaffens überhaupt berührt und nicht allein in den Theorien des Arno Holz die Hauptrolle spielt. Die Frage ist nochmals zu berühren bei der Darstellung des entgegengesetzten Prinzips, des formalistischen, das in Stephan George seinen bekanntesten Vertreter gefunden hat, und bei der Darlegung der Kunst eines jüngeren Dichters, Alfred Momberts. Arno Holz selbst hat Schule gemacht. Der begabteste und selbständigste dieser Jünger ist Georg Stolzenberg, ein feiner und tiefer Poet, der an originellem Empfinden fast seinen Meister übertrifft. Von anderen seien genannt Martens, Piper und Reß. Übrigens ist auch Holz' lyrisches Em[49]pfinden von pantheistischen Vorstellungen beeinflußt, wie häufig in seinem „Phantasus“ zum Ausdruck kommt.

Von pantheistischen Empfindungen wird auch ein andrer Poet beherrscht, der mit Kunsttheorien jedoch wenig zu schaffen hat, aber an dieser Stelle seiner Entwicklung nach zu nennen ist: Bruno Wille. Wille ist mehr Philosoph als Dichter und als Philosoph wieder mehr Dichter als Logiker. Insbesondere haben ihn die poetische und in ihren Spekulationen tiefe Naturphilosophie Fechners, speziell die Ideen desselben von der Psyche der Pflanze (Nana), von der Beseeltheit der ganzen Natur und von der Identität alles Lebens beeinflußt. In eigenartiger Weise hat er diese Ideen und seelische Erlebnisse in den „Offenbarungen des Wacholderbaumes“ poetisch bearbeitet. Seine eigene künstlerische Art wurzelt wohl in realistischen und auch romantischen Empfindungen. Jenes kommt vor allem in seinen schönen kräftigen, von wahrhafter Ergriffenheit zeugenden Frühlingsgedichten, dieses in seinen an Novalis erinnernden Grab- und Friedhofsphantasien zum Ausdruck, beides in den einfach schönen, ruhig schwungvollen und sprachlich oft eigenartigen Klausnergedichten. Eine ähnliche, aber nicht so impulsive, sondern mehr in sich gekehrte, weichere Natur offenbart sich in Karl Hauptmanns Poesien „Aus meinem Tagebuch“, die, obwohl anscheinend erst in späterer Zeit entstanden, hier deshalb erwähnt seien. Auch hier äußert sich ein — ich möchte es nennen: vegetatives — Allempfinden in einer natürlichen, persönlichen und oft suggestiven, wenn auch weniger von poetischer (künstlerischer) Gestaltungskraft zeugenden Form. Dieser Generation gehört auch ein Dichter an, dessen Weltanschauung nicht durch philosophische und persönliche Tiefe fesselt, sondern durch ihre schlichte, innige Wahrhaftigkeit und Genügsamkeit: Cäsar Flaischlen schöpft als Lyriker aus deutschester Gemütstiefe. Es haftet seiner Kunst etwas Lehrhaftes an, aber er gibt dies mit einer tiefen Empfindung, die nichts Überlegenes an sich hat, und mit einem treuherzigen, sonnigen, [50]oft auch melancholisch-fröhlichen Humor. Ein Paar Naturbilder, nichts Symbolisches, keine psychologische Tiefe, keine Persönlichkeitskunst und doch Persönlichkeit und Stil, eigene Art. Ein stilles Sein, eine stille Kunst, die das, was uns allen gehört, von Seele zu Seele kündet. Unwillkürlich fügten sich auch Flaischlen Stimmungen zu zarten Prosagedichten oder prägnanten Impressionspoesien. Die Form des Arno Holz ist auch ihm, wie vielen anderen modernen Dichtern, gelegentlich durchaus nicht fremd.

Der pessimistische Geist schläft niemals in der deutschen Literatur. Im eigenartigen Verein mit klassisch idealistischen und anderseits modern naturwissenschaftlichen Ideen erscheint er in den Dichtungen Adolf Schafheitlins. Schon in den achtziger Jahren gab Schafheitlin eine Reihe von Dichtungen heraus, die sich durch Gedankentiefe, weniger durch persönlichen Stil auszeichnen. Gelegentlich nimmt er in ihnen auch Stellung zur modernen literarischen und sozialen Bewegung. Ein eigenartiges Werk sind jedoch die später erschienenen „Saturnischen Phantasien“. Eine merkwürdige Disharmonie offenbart sich in diesen Gedichten. Schafheitlin sehnt sich nach einem neuen Reiche der Schönheit und des Friedens — das klassische Altertum schwebt ihm vor, und den Anschauungen der Griechen entnimmt er auch seine Symbole —, aber seine lyrische Form ist durchaus keine klassisch edle, mehr eine gradezu chaotische, nur durch kraftvolle Bilder und Rhythmen eigenartig belebte. Mehr entspricht diese Form seinen Prometheus-Ideen. Die Titanen sind ihm die Kräfte der Natur (Magnetismus, Elektrizität), die wir aus ihrer Verbannung befreien müssen, um mit ihrer Hilfe selbst Götter zu werden. Hier ist schließlich ein moderner befreiender Gedanke an Stelle der ursprünglich pessimistischen Ideen des Dichters getreten. Ganz und gar pessimistisch dagegen war ursprünglich und ist geblieben die Weltanschauung einer hochbegabten Dichterin, Marie E. delle Grazie, die auch zu dieser Generation gehört. Bei der Darstellung der [51]modernen Frauenlyrik werde ich das Wesen dieser Dichterin näher zu charakterisieren versuchen. Von jüngeren Dichtern huldigt pessimistischen Anschauungen sodann noch namentlich Gustav Renner, der der nächsten Gruppe angehört.

In den Jahren 1894 und folgenden erstand eine neue Generation von Lyrikern, unter welchen sich wiederum Dichter mit eigenem Weltempfinden und eigenem Stil befanden, andere, die in erster Linie das ganze von Stimmungen beherrschte Leben der modernen Seele in impressionistischen Momentbildern künden und noch andere, die nur Stilisten und Formkünstler sein wollten, und schließlich Dichter der deutschen Tradition, die sich in ihrem lyrischen Empfinden Dichtern wie Storm oder Fontane, von neueren Liliencron, Falke oder Busse anschlössen. Immerhin haben sie fast alle eine persönliche Note. Sie sind auch alle in erster Linie Künstler. Die Zeit der Tendenzpoesien und der lyrischen Theorien ist vorüber. Alle diese Dichter befinden sich noch stark in der Entwicklung. Ich nenne einige von ihnen: Christian Morgenstern, Wilhelm von Scholz, Gustav Renner, Hans Benzmann, Hans Bethge, Rainer Maria Rilke, Richard Schaukal, Börries Freiherr von Münchhausen, Fritz Lienhard, Arthur von Wallpach, Emanuel von Bodman, Martin Boelitz, Karl Bulcke, Wilhelm Holzamer, Albert Geiger, Hugo Salus und Georg Busse-Palma. Auch einer der feinsten Poeten der Modernen, Wilhelm Weigand, trat erst jetzt mit reifen, formvollendeten, tief- und eigenempfundenen Poesien hervor. Im Anschluß an diese Poeten, von denen viele vielleicht noch nicht ihr Bestes und Reifstes gegeben haben, sei dann schließlich ein Überblicküber die jüngste Entwicklung gegeben. Für sich sind Alfred Mombert, Maximilian Dauthendey und ebenso Stephan George und Hugo von Hofmannsthal zu charakterisieren.

Eine eigenartig spröde, innerliche Dichternatur spricht aus Christian Morgensterns Lyrik. Morgenstern ist von [52]Nietzsche beeinflußt, daneben beherrscht ihn ein pantheistisches Mitempfinden. Er ging aus von einer visionären, dithyrambischen Poesie, die sich durch kraftvolle, wenn auch zunächst nicht originelle Sprache auszeichnet. Oft konkret in kleinen Naturpersonifikationen, in denen ein gleichsam kosmischer Humor zum Ausdruck kommt, ist er in größeren philosophischen Gedichten ebenso abstrakt, wie sich denn auch in seinen späteren Poesien eine merkwürdige, unausgeglichene Mischung von abstrakter Gedanklichkeit, persönlichem Temperament und echt dichterischem, wenn auch fast nie direkt lyrischem Empfinden zeigt. Seine Weltanschauung wird später immer — ich möchte es einmal so nennen: physikalischer, immer mehr huldigt er einem ehrlichen, aber durchaus nicht pessimistischen Fatalismus, den er in eigenartigen Symbolen darstellt. Bisweilen gelingt ihm ein fast volkstümlich wirkendes Lied, bisweilen eine schöne, in sprachlicher Beziehung fast goethisch reine und ruhige Stimmung. Schließlich bevorzugt er die kleine subjektive lyrische Impression, die bei ihm zumeist der Ausdruck eines reichen und gefestigten Innenlebens ist, ein Stück Seelenleben, seltener eine reine Natur- oder Milieustimmung. Wie er gehört auch Wilhelm von Scholz zu den tiefsten und originellsten jüngeren Poeten. Scholz hat Verse gedichtet, die von einer gradezu genialen Ursprünglichkeit, Konzeption, Tiefe und Größe in Empfindung, Idee, Bild und Sprache sind, im allgemeinen aber leidet seine Kunst an einer Unklarheit und Dunkelheit, die oft bis zur gänzlichen Unverständlichkeit geht. Charakteristisch ist für ihn ein merkwürdig lyrisch-epischer, realistisch-romantischer, innerlicher, eigner Stil: Balladenhafte, märchenhafte Bilder und Klänge, geheimnisvoll wie aus alten Mythen und Volksempfindungen emporsteigend, wollen etwas Neues, wollen im Neuen das Ewig-Alte, das Ewig-Vergängliche und im Vergänglichen das Ewig-Seiende, die Ideen an sich verkünden. So vermischt sich ein das All umfassendes Lebensgefühl im Weltempfinden dieses Dichters mit jenen sehnsüchtigen und ahnungsvollen Em[53]pfindungen, die uns drängen, das Geheimnis des Todes zu enträtseln und die Furcht vor dem Tode in uns zu überwältigen. Aber der düstere Schatten, den der Tod vorauswirft, weicht nicht. Wohl dem, der dann die Kraft behält, schöpferisch tätig zu sein, trotz seines Erkennens der absoluten Wahrheit. Die Kunst allein vermag ihn zu befreien und zu erlösen. Etwas von jener ernsten Ironie, aus der die gewaltigen Schöpfungen Shakespeares hervorgingen, lebt auch in den Dichtungen des Wilhelm von Scholz; nicht anders läßt sich der Abgrund, der zwischen Leben und Tod gähnt, überbrücken. So sind Scholz' Dichtungen Stimmungen geworden voll dunkler Mystik, voll Dämmerlicht und Schatten, voll paradoxer Ideen und Bilder, Träume und Spiegelungen der Seele, voll bald erhabener und herrlicher, bald wirrer und grotesker Phantastik. Hiermit wäre nur die Grundstimmung des Buches „Der Spiegel“ skizziert, in der Tat ist das Buch reicher an tiefen Ideen. Seine Gedichte wirken oft so eigen poetisch, daß man das Unfaßliche, das ihnen anhaftet und das nur oft wie eine Hyperbel erscheint, schlechthin als Poesie hinnimmt. — Verlor sich Wilhelm von Scholz in mystischer Dunkelheit und Unverständlichkeit, so herrscht bei Fritz Lienhard („Gedichte“) allzuviel Helle, verstandesmäßige Reflexion, die in künstlerischer Beziehung die Masse seiner Poesien wenig originell und poetisch erscheinen läßt. Seine Gedichte sind von überraschend ungleichem künstlerischen Wert. Hier abstraktes Empfinden und nüchterne Darstellung, dort feine intime und inbrünstig empfundene Naturpoesie, rhythmisch kräftige, impulsive Heidestimmungen im Tone des Robert Burns und seraphisch zarte, romantische Sehnsuchtsklänge, die in Rhythmus und Sprache an Novalis erinnern, und von einem keuschen, religiösen Empfinden Kunde geben. — Eine tiefe und vornehme Dichternatur ist Gustav Renner. Wenn ich ihn vorhin einen pessimistischen Dichter nannte, so bezieht sich dies auf seinen überstarken Drang nach Wahrheit, auf seine allen Illusionen abgewendete Weltanschauung, auf die [54]schwere, ernste, deutsche Grundstimmung seines ganzen Wesens. Trotz aller Not und Drangsal aber durchbricht ein kraftvolles Lebensgefühl immer wieder mit elementarer Gewalt diese dunkle Grundstimmung des Dichters — ein Idealismus, der nicht allein seine Hoffnung, sein Vertrauen auf die Zukunft, auf den Fortschritt der Kultur setzt, sondern auch das Leben tapfer zu überwinden sucht. Diese Ideen und Empfindungen bilden zur Hauptsache den Inhalt seiner Gedichte. Insbesondere zieht ihn die symbolische Gestalt des Ahasver an, wie überhaupt auch für ihn — ähnlich wie für Wilhelm von Scholz — ein lyrisch-epischer Stil charakteristisch ist, eine große visionäre Bildlichkeit, wuchtige Symbolik und Rhythmik. Daneben findet man bei ihm lyrisch weiche Naturstimmungen.

Charakteristisch ist für alle diese Dichter ein spezifisch männliches Empfinden. Erotische Neigungen haben sie sehr selten behandelt, ein wirkliches Liebeslied hat keiner von ihnen gedichtet.

In gewisser Beziehung als dichterische Persönlichkeit ist ihnen Börries Freiherr von Münchhausen verwandt. Auch dessen Kunst geht aus lyrisch-epischem Empfinden hervor. Seine Sprache ist eine männlich kraftvolle, konkrete, vor allem nach plastischer Wirkung strebende, nach einem festen Stil und strengem Gefüge. Der Stil der deutschen und englischen Ballade, aber nicht minder der feinere, biegsamere der Romanze, zieht ihn ganz besonders an. Er ist neben Liliencron einer der wenigen wirklichen Balladendichter der Gegenwart. Einen Dichter mit eigenem Weltempfinden im obigen Sinne dagegen kann man ihn kaum nennen. Ihm kommt es vor allem darauf an, kräftige Empfindungen in Balladen zu gestalten. In dieser Beziehung gehört er zu den begabtesten modernen Vertretern des deutschen Stils. Seine Balladen erinnern an die Fontanes und des Grafen Strachwitz, obwohl sie nicht von so seinem lyrischen und seelischen Leben und Sprachzauber erfüllt sind wie die des ersteren, und [55]daher nicht so elementar wirken. Geringere Bedeutung kann ich seinen Juda-Gesängen beimessen: im Text der Bibel lese ich diese Geschichten lieber.

Ein männlich tüchtiger und deutscher Geist herrscht auch in den Poesien des Tirolers Arthur von Wallpach. Freilich hier geht der Streiter für das Deutschtum oft mit dem Poeten durch, Wallpachs Gedichte sind vielfach abstrakt und unpersönlich im Tone, so stark persönlich sie inhaltlich auch empfunden sein mögen. Mit Vorliebe entnimmt Wallpach seine Motive und Symbole dem deutschen Mythus, alten germanischen und nordischen Gebräuchen. Wo er gleichzeitig auch sprachlich einen subjektiv realistischen, herben Ton anschlägt, da erscheint er mir als ein origineller Dichter von seinem poetischen Empfinden. Derartige Gedichte sind namentlich seine Natur- (Frühlings- und Gebirgs-)stimmungen.

Der feinste Künstler unter den bisher genannten ist jedenfalls Wilhelm Weigand, dessen Buch „In der Frühe“ zu den vornehmsten lyrischen Erscheinungen der Gegenwart gehört. Hier herrscht edelstes und feinstes Formempfinden neben Tiefe und Eigenart der persönlichen Empfindung. Wenn irgend ein moderner Poet sich mit Konrad Ferdinand Meyer vergleichen läßt, so ist es dieser. Freilich von Beeinflussung ist hier keine Rede, sondern nur von verwandtem Fühlen und Formen. Weigand ist innerlich viel weicher, lyrischer als Meyer; aber beiden ist die gleiche deutsche Gemütstiefe neben feinstem Gefühl für volle harmonische Gestaltung des individuell Empfundenen eigen. Bei Weigand zeigt sich, wie verschieden von echter lauterer Kunst, von schöner und klarer Formenkunst die formalistische und dennoch so wirre unharmonische Wortkunst etwa eines Stephan George ist.

Auch der Süddeutsche Albert Geiger gehört in diesen Kreis. Er gibt sich vielseitig: schwungvolle, hochgestimmte Tristangesänge wechseln mit seelisch zarten Liebesgedichten, [56]Mädchenliedern, Waldträumereien und ganz süddeutsch empfundenen legendenartigen Gedichten, die in ihrem lapidaren Stil an alte Holzschnitte erinnern.

Schwere seelische Erlebnisse haben Wilhelm Holzamer, der in seinen ersten Versen eine gewisse Eigenkraft zeigte, aber viel mehr Abhängigkeit, z.B. von Gustav Falke, zur lyrischen Kunst des Herzens hingeführt (vgl. das Buch „Carnesie Colonna“). Die feineren Reflexionen der Seele erscheinen in einer zarten, träumerischen, melodischen Sprache und gleiten wie Träume voll süßer schwerer Melodie vorüber. Bisweilen unterbricht eine Phantasiedichtung größeren Stiles diese stillen Poesien: auch sie ist dann zart abgetönt, in ihren matten seidenweichen Farben reich und warm wirkend wie alte Gobelins.

Ein Dichter der Seele ist auch Hans Bethge. Freilich hier wirkt nichts so tief erlebt wie etwa bei Holzamer, hier wiegt die Freude am äußeren zarten Klange des Worts und Rhythmus vor, so daß diese zerbrechliche und glatte kraftlose Kunst oft der äußerlichen, rein formalistischen Art moderner Ästheten, wie Stephan George, bedenklich nahe kommt, wie denn Bethge überhaupt durchaus nicht persönlich und originell wirkt. Es steht kein Lebensinhalt hinter dieser Kunst. Am besten gelingt dem Dichter der Ton der Sehnsucht. Wenn er uns die stille Heide Norddeutschlands, die duftenden, silberglänzenden Nächte Spaniens schildert, von verschwiegener Liebe und süßer Entsagung, von traumhaftem Glück und Leid erzählt, dann lauschen wir wohl ein Weilchen gern seiner kleinen Harfe.

Auch fernere, stärkere und originellere Talente wie Rainer Maria Rilke und Richard Schaukal verlieren sich allzusehr im Absonderlichen: Rilke in Formspielereien, Schaukal in exaltierten Posen, in nichtigen Selbstbespiegelungen. Das feinere Talent von beiden ist entschieden Rilke. Es ist wirklich schade, daß dieser durch und durch ursprüngliche, phantasiebegabte Poet und echte Lyriker, dessen starkes Können [57]sich so oft in den prachtvollsten Bildern und Metaphern, in einer tiefen Natursymbolik und Empfindung für das Volksliedmäßige, Einfache, Vegetative offenbart, sich so oft im Bizarren, Manirierten, Äußerlichen oder im gekünstelten, daher ebenso äußerlich wirkenden psychologischen Tiefsinn verliert; so daß leider zu befürchten ist, daß er stets ein Unfertiger und Suchender bleiben wird. Man kann ähnliches von Schaukal sagen. Im Grunde ist auch er keine Persönlichkeit, die sich zu sammeln vermag. Alles zerfließt in Stimmungen und Impressionen. Diese wirken an sich kräftiger, voller, realistischer in Linie und Farbe als die Rilkes. So weiß der Dichter den Charakter oder Stimmungsgehalt einer originellen Zeit, etwa der Ludwigs XIV. oder des Rokoko, ebenso seltsame, ja perverse psychologische Stimmungen in geistvoller, fesselnder Weise darzustellen. Oft sind seine Verse voll Schönheit und unbestimmter Dichtersehnsucht, und bisweilen gelingt es ihm ebenso wie Rilke, den einfachen lyrischen Ton des Herzens zu treffen. Ganz und gar repräsentieren diese Dichter den weichen unbestimmten Charakter der österreichischen Poesie. Es sei bei dieser Gelegenheit auch auf einige andere jüngste österreichische Talente hingewiesen, in deren Poesien ebenfalls dieses weiche Empfinden vibriert. Als Künstler weniger originell zwar als jene, zeigen sie anderseits ein reineres Formempfinden. Zarte Innerlichkeit und klare Einfachheit ist der Lyrik Emil Faktors eigen, persönliche Tiefe und stärkere Ergriffenheit, oft schöne Gedanklichkeit der Josef Adolf Bondys, lyrische Weichheit und romantische Naturbeseelung der Camill Hoffmanns und Paul Leppins, ein zwischen sensibler weicher, melancholischer Stimmung und temperamentvolleren Aufbegehren persönlichen Empfindens wechselndes Wesen der Stephan Zweigs. Auch Paul Wertheimer und Adolf Donath mögen genannt werden.

Zu dieser Gruppe österreichischer Dichter gehört dagegen kaum der Prager Hugo Salus. Sein Empfinden ist von derberer Art. Während in den Poesien von einigen der ge[58]nannten Dichter auch das feinere Empfindungsleben des modernen Juden entschieden zum Ausdruck kommt, ist Salus' Poesie zum gut Teil jüdische Reflexions- und Verstandeslyrik; daher das geistreiche und pointierende Wesen derselben. Anderseits aber wirkt Salus' Lyrik gesunder, frischer, norddeutscher wie die jener Dichter, sie ähnelt in mancher Beziehung der Gustav Falkes. Von herzerquickender Frische sind seine poetischen Genrebilder. Bisweilen trifft er auch den gemütvollen Ton und einige wenige Gedichte überraschen durch tiefere gedankliche, nicht nur geistreiche Originalität.

Wenig originelle, aber frische, erfreuliche Talente (im Sinne der deutschen Tradition) sind die Norddeutschen Martin Boelitz und Karl Bulcke. Auch Paul Remer und Karl Vanselow sind an dieser Stelle zu nennen. Emanuel von Bodman, ein süddeutscher Lyriker, hat eine Vorliebe für impressionistische Naturstimmungen, für pikante reizvolle Pointen. Nicht mit Unrecht hat man seinen Stil Variétéstil genannt. Nicht ohne Eigenart, vermag er jedoch selten sich natürlich oder besser künstlerisch harmonisch zu geben.

Aus einer Münchener Gruppe, der auch Otto Falckenberg, Hermann Eßwein und Richard Scheid angehören, ragt Leo Greiner hervor, der zwar persönlich eigenartig und tief, aber als Künstler noch zu exaltiert und brüchig wirkt.

Nur gelegentlich habe ich bereits allerjüngste Dichter charakterisiert; jetzt bin ich mitten unter ihnen. Georg Busse- Palmas Gedichte sind ungleich an künstlerischem Wert. Bisweilen überrascht der Dichter durch eine fast volksliedartige Tiefe, Einfachheit und Schönheit des lyrischen Ausdrucks. In solchen Gedichten lebt dann die ganze Empfindungsschwere des niederdeutschen Menschen, künstlerische Vorstellungen lösen sich in uns, deutsche Stimmungen ähnlicher Art, wie sie etwa ein Lied aus dem dreißigjährigen Kriege oder jene wunderbaren Landschaften und Genrebilder der [59]Holländer in uns erwecken. Auch Busses Balladen sind echte Balladen, einfach, prägnant, von fester Struktur und grade deshalb von suggestiver Wirkung. Ein in manchem ähnliches Talent ist Agnes Miegel, die ich im Kapitel Frauenlyrik zu charakterisieren haben werde. Jüngste Dichter dieser feinen deutschen romantischen Richtung sind sodann noch Hermann Hesse und Alfons Paquet. Auch ein schwächeres Talent, Adolf Holst, sei in dieser Reihe genannt. Man könnte die lyrische Kunst dieser Dichter eine deutsche Renaissancekunst en miniature nennen: so voll feiner persönlicher Tiefe, so voll Freude am Farbigen, Lichten, am Helldunkel und bisweilen am Schwermütig-Dunklen und Sehnsüchtig-Mystischen ist sie. Goldne Fäden verbinden sie mit Eichendorff, Novalis, Gottfried Keller und Mörike. Verwandten Geistes waren schon Dichter der früheren Generation, z.B. Rainer Maria Rilke und Ricarda Huch, wie ja überhaupt dieses feine romantische Fluidum durch die ganze deutsche Kunst ebbt und flutet, ähnlich wie zwei andere: das einfachere naivere des deutschen Volkslieds und das goethische.

Als stärkere, eigenartige Talente sind sodann noch zu nennen die freilich gänzlich verschieden gearteten Fritz Philippi und Gustav Schüler, beide Kämpfernaturen, Gottessucher, beide entschieden dichterische Persönlichkeiten, jener eine passive Natur voll Sehnsucht nach Frieden mit Gott, voll mystischer Tiefe, dieser ein Revolutionär und Verneiner. Jener findet unwillkürlich für sein Welt- und Naturempfinden eine fast lapidare, biblische, impressionistische Sprache und enthüllt so künstlerische Schönheiten von apartester und einfachster Tiefe und Prägnanz. Dieser, pathetisch, wuchtig und schwer, schwelgt in kraftvoller Wortsymbolik, im skeptischen Paradoxismus und enthüllt in visionären Träumereien den Unfrieden und die dämonischen Triebe seiner Seele.

Ein anderer Dichter, den religiöses Empfinden zur Poesie hinleitete, Karl Ernst Knodt, ist erst spät — er ist deshalb erst jetzt zu erwähnen — mit lyrischen Sammlungen [60] hervorgetreten, in denen sich manches tief und innig empfundene Gedicht, manche feine persönliche Stimmung findet.

Talentvoll sind auch Karl Wilhelm, der bereits schwungvolle Liebesgedichte und aparte Naturstimmungen veröffentlicht hat, Peter Baum und Hugo Philipp, die nach gedanklich tieferer und ruhiger Wirkung in ihren Gedichten streben, und Wilhelm Popp, ein Dichter frischer Natur- und Kinderlieder.

In dieser Stelle ist auch der Rheinländer Rudolf Herzog am besten zu charakterisieren. Erst spät rang er sich aus wenig originellen Anfängerpoesien zu eignerem Empfinden durch. In seinen jüngst erschienenen Gedichten offenbart sich eine temperamentvolle Natur, die seelisches Erleben am liebsten in breiter Hingebung der Empfindungen poetisch ausströmen läßt. So gelingen dem Dichter am besten leidenschaftlich bewegte Liebesstimmungen, die er auch plastisch wirksam herauszuarbeiten weiß, ferner frische liedartige Romanzen und von dramatischem Leben bewegte Balladen, bisweilen eine verträumte Naturstimmung.

Von jüngsten Dichtern ist sodann der Elsässer René Schickele zu erwähnen, ein vielleicht starkes, aber noch gänzlich ungeklärtes Talent. Seine stürmischen Rhythmen erinnern bisweilen an die breit ausströmende impulsive Lyrik Walt Whitmans, doch daneben offenbart sich in seinen Dichtungen eine bewegte, fast epische Bildlichkeit, die den Leser an alte nordische Gesänge denken läßt. Chaotisch erscheinen noch die Gedichte, in denen religiöse Empfindungen behandelt werden. (Von älteren elsässischen Dichtern sei an dieser Stelle Christian Schmitt, ein Dichter inniger einfacher Poesien, genannt; auch Lienhard ist Elsässer.)

Die westfälische Heide besingt Fritz Stöber. K. T. Tielo ist bisher namentlich mit charakteristischen litauischen Landschaftsstimmungen und Balladen hervorgetreten.

Ich habe hiermit die sogenannte Heimatpoesie berührt. Ich möchte mich mit diesem vagen Begriff nicht [61]weiter aufhalten. Nur soviel: Alle echten Dichter sind mehr oder weniger, in diesem oder jenem Sinne Heimatdichter, Dichter ihrer weiteren oder engeren Heimat, mögen sie sich auch noch so persönlich geben. Auch jene besondere Heimatpoesie, die das Wesen der Heimat schildert und zum ausgesprochenen Inhalt hat, die also ein spezifischer Ausdruck derartiger Stimmungen und Zustände ist, lasse ich gelten, wenn sie wie jede andere Poesie sich gibt: unbeabsichtigt, ohne Tendenz, als eine besondere Art unter gleichberechtigten anderen. Sobald aber „Heimatpoesie“ in tendenziöser Weise als ein neues Stichwort verkündet wird, dann stehe ich ihr mit Mißtrauen gegenüber: dann wird diese Heimatpoesie vielfach dem Wesen aller echten widersprechen. Vor allem aber ist zu befürchten, daß durch solche Heimatpoesie und ihre Propheten ein intoleranter, gradezu undeutscher Geist in der Literatur erzeugt wird.

Von jüngeren Dichtern, die, obwohl von geringerer Bedeutung für die Entwicklung der modernen Lyrik, doch durch ein persönlicheres oder feineres künstlerisches Empfinden aus der ganzen breiten Schar der reimenden Poeten hervorragen, seien schließlich noch erwähnt: Hermann Hango, ein melancholischer Pessimist von bisweilen gedanklicher Tiefe und Eigenart, Ginzkey, ein Lyriker von oft überraschender, fast volkstümlicher Tiefe und Einfachheit der Empfindung, Anton Renk, dem intimere Naturstimmungen gelingen, Franz Himmelbauer, dessen einfache, schlichte Ergriffenheit bisweilen an Martin Greif erinnert, und Karl Bienenstein, den ebenfalls ein tiefes Naturgefühl auszeichnet, der aber auch persönliche Empfindungen dichterisch wirkungsvoll zu geben weiß. Diese fünf Dichter sind Österreicher.

Genannt seien als Dichter, die einen selbständigen Charakter zeigen, auch Karl Frommel, Kurt Geucke, Paul Grotowsky, Jeannot Emil Freiherr von Grotthuß, Otto Ernst und Rudolf Presber.

[62]

Für sich zu betrachten sind die Dichtungen einiger jüngerer Lyriker von allerdings ganz verschiedener Individualität. Diese Dichter haben aber das miteinander gemein, daß jeder von ihnen das seinem Fühlen entsprechende Kunstprinzip, sei es mit künstlerischer Absichtlichkeit oder „vom Gott getrieben“, ad extremum, wenn nicht ad absurdum, führt. So ist Stephan Georges Kunst ganz formalistisch, die Alfred Momberts, seines Antipoden, dagegen ganz Intuition, direkt wiedergegebenes Seelen- und Traumleben, der Darstellungsmethode nach durchaus naturalistische Kunst. Die exklusive Stellung, die beide als extremste Vertreter entgegengesetzter Kunstanschauungen einnehmen, rechtfertigt diese Sonderbetrachtung. Freilich sind beide, als Persönlichkeiten und Könner an sich, durchaus nicht etwa gleichwertig. Als der an sich bedeutendere und originellere erscheint von vornherein Alfred Mombert. Seine Kunst ist eine neuwertige, zu neuen Zielen wenigstens hinweisende. Stephan George dagegen wirkt in seinem Erstlingswerke recht unbedeutend, und, zu seinen Zielen gelangt, bleibt er doch immer ein Nachahmer älterer und fremder Stile, etwa des Platenschen oder der französischer und englischer Lyriker wie Baudelaire und Dante Gabriel Rossetti. — Außerdem wird in diesem Abschnitt Hugo von Hofmannsthal zu charakterisieren sein, der, in seinem Stilempfinden George zwar verwandt, doch nicht so konsequent wie jener nach Prinzipien dichtet. Hofmannsthal ist sogar tiefer, persönlicher, innerlicher, freier und künstlerisch auch feiner und von intensiverer Wirkung als George. Auch Maximilian Dauthendey, ein Dichter von komplizierter Eigenart, und einige andere jüngere Lyriker ähnlicher Art sind im Anschluß daran zu charakterisieren.

Wenn man heute von Artistenpoesie spricht, so meint man damit vorzugsweise die Poesien Stephan Georges und seines Kreises. Es war natürlich, daß grade, als der Naturalismus seine letzten Konsequenzen gezogen und sich selbst widerlegt hatte, eine andere Bewegung — die gegen[63]sätzliche — einsetzte: eben die Stephan Georges und seines Kreises. Nach der unvollkommnen Natur des Menschen drohte aber der Kunst sogleich auch die entgegengesetzte Gefahr. Diese neuen Poeten gingen nämlich in ihrer Weise ebenso wie die Naturalisten über Ziel und Wesen der Kunst hinaus. Sie hetzten das formalistische Prinzip bis zum äußersten. Sie waren, wie sie durch ihr Schaffen bewiesen, leider zur Hauptsache auch nur Theoretiker. So kam jene Artistenpoesie auf, die das Formelle übertreibt und ihm eine übers Ziel hinausgehende Bedeutung zumißt, die Kunst der leeren Worte, die Form an Form, Bild an Bild, Klang an Klang fügt, und oft nur rein um des schönen Wortes und des schönen Klanges willen. Ein neuer Irrtum! Denn das Wesen der Kunst ist nicht Form an sich, sondern Versinnbildlichung. Das Wesen der Kunst ist beileibe nicht starre Schönheit und sinnlose Erhabenheit, Wortwirrsal ohne innere Notwendigkeit. Ebenso wichtig wie die Form ist der Inhalt, ja er ist das Primäre, das Schaffende, er ist die Seele, die sich sehnt, sich zu offenbaren. Sehen wir von dem Empfindungsgehalt einzelner Georgescher Gedichte ab, so ist der allgemeine Eindruck, den diese Kunst in uns hinterläßt, der: Wir ergötzten uns an schillernden, zerbrechlichen Formen, wir lauschten leeren Worten, wir sahen zusammengehäufte Bilder und Figuren, wir nahmen eine bald überplastische und überhelle Wirkung, bald unverständliche, ja chaotische Wort- und Satzgebilde wahr. Trotzdem möchte ich dem Dichter nicht nur abweisend gegenüberstehen. Es fehlt ihm nicht an tiefer Empfindung, in manchen Gedichten kommt auch eine immerhin eigenartige Weltanschauung klar zum Ausdruck. Am besten gelingt ihm das Idyll, die Elegie, die sinnvolle Allegorie und ruhige Hymne. Diese Dichtungsarten entsprechen seinem leidenschaftslosen, berechnenden Wesen. Er liebt das gedämpfte Pathos, er feiert immer Feste der Freundschaft, der Liebe, der Natur. Und, wie ich vorhin betonte, daß die Starrheit und Dunkelheit [64]seiner Worte und Allegorien oft bis zur chaotischen Unverständlichkeit geht, so will ich auch anderseits zugeben, daß seine Verse manchmal voll feiner, aparter Schönheit, voll Farbe, Glanz und zarter Innigkeit sind, ja, daß sie bisweilen auch im hohen Grade plastisch wirken. Folgende Verse, die genau in der Schreibweise des Dichters wiedergegeben werden, mögen für den wirklichen Dichter und Künstler Stephan George charakteristisch sein.

Juli-Schwermut

Blumen des sommers duftet ihr noch so reich:
Ackerwinde im herben Saatgeruch
Du ziehst mich nach am dorrenden geländer
Mir ward der stolzen gärten sesam fremd.

Aus dem vergessen lockst du träume: das Kind
Auf keuscher scholle rastend des ährengefilds
In ernte-gluten neben nackten schnittern
Bei blanker sichel und versiegtem krug.

Schläfrig schaukelten wespen im mittagslied
Und ihm träufelten auf die gerötete stirn
Durch schwachen schütz der halme-schatten
Des mohnes blätter: breite tropfen blut.

Nichts was mir je war raubt die Vergänglichkeit
Schmachtend wie damals lieg ich in schmachtender flur
Aus mattem munde murmelt es: wie bin ich
Der blumen müd. Der schönen blumen müd!

Traum und Tod

Glanz und ruhm! so erwacht unsre welt
Heldengleich bannen wir berg und belt
Jung und groß schaut der geist ohne vogt
Auf die flur auf die flut die umwogt.

Da am weg bricht ein schein fliegt ein bild
Und der rausch mit der qual schüttelt wild.
Das gebot weint und sinnt beugt sich gern
„Du mir heil du mir ruhm du mir stern.“

Dann der traum höchster stolz steigt empor
Er bezwingt kühn den Gott der ihn kor
[65]
Bis ein ruf weit hinab uns verstößt
Uns so klein vor dem tod so entblößt!

All dies stürmt reißt und schlägt blizt und brennt
Eh für uns spät am nacht-firmament
Sich vereint schimmernd still licht-kleinod
Glanz und ruhm rausch und qual traum und tod.

Bedeutender ist der Österreicher Hugo von Hofmannsthal. Er ist entschieden der tiefste und originellste in einem Kreise junger Wiener Dichter, zu denen auch der Dramatiker Arthur Schnitzler und der Novellist Peter Altenberg gehören. Diese Kunst ist keine oberflächliche, sie zeigt einen eigentümlichen Stil und ist insbesondere psychologisch tief und fein. Sie ist üppig emporgewachsen aus den Reflexionen der modernen komplizierten und egoistischen Seele, die sich fortwährend nur mit sich selbst beschäftigt und an nichts Großem und Kräftigem sich begeistern kann, vielleicht weil sie die Nichtigkeit alles Seienden durchschaut. Alle naive Kraft, alle Freude am großen, zukunftsfrohen Leben, alle Fühlung mit der Volksseele ist diesen Dichtern bei ihrer steten Beschäftigung mit ihrer Kunst und ihrer Seele abhanden gekommen. Sie sind die rechten Artisten. Hofmannsthal, der tiefste Dichter und der eigentliche Lyriker dieser Gruppe, wirkt manchmal ebenso dunkel, unverständlich, manieriert, ja geschmacklos wie Stephan George. Anderseits ist ihm anscheinend der alte Goethe vorbildlich gewesen. Denn eigen ist ihm in seinen besten Gedichten eine vornehme Schönheit und Bedeutsamkeit des Ausdrucks. Und wie der alte Goethe gibt er seine frühreife Lebensweisheit, die ebenfalls von dem feinen realistischen Fühlen Goethes beeinflußt ist und in einem ruhigen leben- und genußfreundlichen Fatalismus gipfelt, in blühenden Allegorien und Sinngedichten. Seine feinste Lyrik ist in seinen Dramen enthalten, insbesondere in dem „Tod des Tizian“. Hervorgehoben sei aus diesem Drama die wunderbare, seelisch tiefe und sprachlich schöne Nachtstimmung.

[66]

Alfred Momberts Poesien sind seelische Erlebnisse Traumbilder, Halluzinationen und Vorstellungen subjektivster Art in direkter Wiedergabe. Es liegt dem Dichter nur daran, sich von diesen furchtbaren, oft die Seele aufs schrecklichste peinigenden Bildern, Visionen und Phantasien zu befreien; wie sie auf andre wirken, danach fragt er nicht. Wer sich oberflächlich mit den Dichtungen Momberts beschäftigt, der wird daher nichts weiter als ein Chaos von wirren Bildern und seltsamen Visionen wahrnehmen. Auch die, die sich mit Liebe in diese merkwürdigen Poesien vertiefen, werden immer wieder auf Stellen stoßen, die ihnen durchaus unverständlich bleiben. Und den besten Freunden des Dichters mag es so gehen. Man muß Momberts Poesien wie Tagebücher lesen, die Kapitel enthalten, die der Autor gewissermaßen im Dunkel der Nacht schrieb, als seine Augen nicht sahen, was er schrieb. Eine eigentümliche bannende Stimmung lebt dennoch in diesen ungeformten Vorstellungen, jene Zwielichtstimmung, die wir selbst so oft durchleben, wenn Unbewußtes in uns bewußt wird, wenn Einfälle und Eindrücke sich zu Empfindungen, Vorstellungen, Träumen, Ideenassoziationen dichten, wenn nur das vegetative, noch kaum vom Willen gezügelte Triebleben der Seele sich regt, und aus geheimnisvollen, schöpferischen Gründen Bilder, Gestalten und Visionen magnetisch emporzieht. Wer in dieses schöpferische Chaos hinabzutanchen vermag, dem wird Momberts Poesie Offenbarungen gewähren, dem einen diese, dem andern jene. Nur von solchem Standpunkte aus wird man den Dichter verstehen und würdigen können, nur insofern bringt er Neues, Fruchtbares und Keimendes, stellt er Empfindungen dar, wie sie bisher noch nicht dargestellt worden sind. Wo die Vorstellungen selbst noch wirre, halbwache, kommende und schwindende sind, da kann natürlich noch keine Kunst vorhanden sein, sondern nur werdende Kunst. Als solche erscheint mir Momberts Poesie, als solche bietet sie mir des Interes[67]santen und Bedeutsamen viel: Höchst originelle Gedanken, Bilder, Symbole, Empfindungen und seelische Regungen, oft bereits mit höchster Prägnanz durch ein Wort versinnbildlicht; sie gewährt mir Einblicke in eine ganz persönliche, sich in ewiger Entwicklung befindende Weltanschauung, die in der Überwindung des Todes und des Lebens durch die schöpferische menschliche Phantasie und Intelligenz gipfelt, in der Illusion, daß nur der Mensch kraft seines bewußten Denkens, kraft seiner alle Reiche der Geschichte und des Lebens, Ewigkeit und Unendlichkeit durchfliegenden, das tote starre Sein also eigentlich erst belebenden Phantasie, Schöpfer und Gott ist. Erst dieses Leben der Vorstellungen, der Phantasie ist das Leben, das Heimatland des „Glühenden“. Auch Mombert gelangt wie andere moderne Dichter zum pantheistischen Monismus, freilich seine Wege sind andre wie die der meisten von jenen: sie sind die Wege des sich vorwärts fühlenden, tastenden, vorwärts getriebenen Elementargeistes, des Menschen und Dichters, die Wege jener sind gegen die seinen die kluger Intelligenzen. Hierin liegt der Wert der Mombertschen Poesie: in ihrem elementaren Wesen. Darum schweigen hier alle Theorien... Es geht aus dem Gesagten hervor, um dem Einwurf wenigstens zu begegnen, daß eine derartige Poesie auch Pathologisches umfaßt, obwohl sie an sich durchaus nicht pathologisch ist. — Momberts Lyrik halte ich, wie gesagt, insofern für zukunftskräftig, als sie neue Quellen seelischer Empfindungen und Vorstellungen poetisch erschlossen hat; dem gegenüber aber, der sie für vollendete neue Kunst, für die Kunst der Zukunft hält, betone ich, daß auch in Zukunft ein großer Künstler für seine Muttersprache stets ein so inniges Gefühl haben wird, daß sein sprachliches Empfinden so sehr, so innig mit dem seines ganzen Volkes gleichsam verwachsen sein wird, daß er gar nicht anders kann, als sich und sein tiefstes Wesen in zwingender, suggestiver, unzweideutiger Deutlichkeit zu offenbaren: Durch seine vollendete Kunst wird gleichsam die ganze Atmosphäre [68] seiner Stimmung in uns wach und wirksam werden; Vorstellungen wird er in uns lösen und dieselben durch keinen äußeren Umstand, keine formelle Disharmonie und Dunkelheit stören, mögen sie an sich auch von höchster Tragik, voll Schrecken und Pein, voll Wirrnis und Disharmonie sein. So muß meines Erachtens Kunst wirken, und solcher Art ist auch das Wesen des durch sie erregten künstlerischen Genusses.

Eine ähnliche, wenn auch nicht so elementare, phantasie- und ideentiefe Natur wie Mombert offenbart sich in Maximilian Dauthendeys Dichtungen. Auch hier ein Zurückgehen auf einfachste Tiefe, auf den Urton, auf einen fast lapidaren Stil, aber doch auch ein Gestalten und Abtönen mit der Absicht, künstlerisch intensiv zu wirken; und kein Verschmähen bisher in der Poesie angewendeter Mittel, wie Reim und Rhythmus, sondern eine äußerst freie Anwendung aller poetischen Mittel: auch hier zur Hauptsache die Offenbarung eines Innenlebens, die Entwicklungsgeschichte einer Seele, eines Künstlermenschen, — ein Schwanken zwischen wesenlosen, vagen, mystischen Stimmungen und blutvollen Empfindungen, zwischen orgiastischer Weltfreude und weher einsamer Trauer — bis die Liebe Erlösung bringt. Und schließlich sei noch auf einen jüngeren Dichter dieser Richtung aufmerksam gemacht, der, eigentlich Maler von Beruf, als Poet in erster Linie durch die edle natürliche Rhythmik seiner Verse, weniger durch farbige Plastik, originell und oft bedeutend erscheint: E.R. Weiß ist viel mehr Lyriker als die beiden soeben charakterisierten, seine ersten Naturgedichte sind von zartester Weichheit in Empfindung und Ton, seine späteren, Gesängen ähnliche Gedichte sind dithyrambisch im Rhythmus und Gefühl und spiegeln kosmisches Empfinden mit jener schönen Unmittelbarkeit, die z.B. — wenn auch vielleicht in höherem Maße — den freien Rhythmen Goethes eigen ist.

Erwähnt sei auch ein vor einiger Zeit viel genannter [69]Dichter von besonderer Art, doch geringerer Begabung: Ernst Schur. Sein Buch „Seht es sind Schmerzen, an denen wir leiden“, das viel verspottet und verlacht wurde, zeugt doch von einer gewissen Verinnerlichung und Vereinfachung des lyrischen Stiles, abgesehen von aller äußerlichen und barocken Schreibweise. Von gradezu nüchterner Einfachheit sind seine späteren Poesien. Dieses und jenes seiner Gedichte erinnert in der zarten Linienführung und Farbigkeit an die aparte Lyrik der Japaner.

Ein echtes poetisches Talent ist dagegen ein andrer Sonderling: Peter Hille. Seine hymnenartigen Gedichte, die man freilich nicht auf die Bedeutung des einzelnen Worts oder Epithetons hin untersuchen darf, sind intuitiv empfunden, sie sind durchsetzt von einem starken Naturgefühl, das in seiner vegetativen Art bisweilen an das Böcklins erinnert.

Die ältere Weltliteratur hat im ganzen nur wenige Lieder aufbewahrt, von denen es feststeht, daß sie von Frauen gedichtet worden sind. Auch ist es eine interessante Tatsache, daß unter den späteren Liederdichtern, z.B. unter den Dichtern der romantischen und schwäbischen Schule, keine Liederdichterin sich befindet. Das spezifisch weibliche Empfinden, das naive keuschsinnliche Liebesempfinden des Mädchens und das Mutterempfinden hat bisher seinen natürlichsten und originellsten Ausdruck in den Liedern von Männern (Goethe, Chamisso) gefunden. Die Frau ist ihrer ganzen Natur und kulturellen Entwicklung nach anscheinend nicht naiv oder nicht Künstlerin genug, um diesen lyrischen Urton rein zu treffen. Jedoch gibt es unter den modernen Dichterinnen ein paar, die zeigen, wie sehr sich auch nach dieser Richtung hin das künstlerische Empfinden der Frau verfeinert hat (z.B. Ricarda Huch, Agnes Miegel).

Ziel der weiblichen Kunst ist vielmehr Offenbarung eines Innenlebens, nicht künstlerische Wirkung an sich. Alle Frauen- [70]dichtung, auch die Prosa, ist lyrischer Art, d.h. in diesem Sinne: subjektiver, persönlicher Art, sie ist je nach dem Temperament und der Art der Begabung leidenschaftlich bewegte Empfindungs-, Phantasie- und Tendenzdichtung oder sinnvolle ruhige Reflexionspoesie. Die Frau empfindet nur sich, nur ihr Glück, nur ihren persönlichen Schmerz, nicht das Glück und Leid des Mädchens und das Mutterglück. Aber auch in ihrem subjektiven Empfinden stehen der Frau Grenzen entgegen. Bei aller Subjektivität fehlt es ihr an Originalität, sei es nun im Welt- oder im Stilempfinden. Hier zeigt die Frau, insbesondere die deutsche, ihre ganze Unselbständigkeit. Daher ist Frauenkunst zumeist Zeitkunst, sie kündet Leben und Bestreben, selten Weltempfinden. Doch diese Entwicklung ist eine natürliche! Die Frau steht den Wurzeln des Lebens, der Familie und der Zeit in gewisser Beziehung näher als der Mann, dessen natürliche Helferin in seinem Bestreben, sich individuell und zugleich zu einer universal empfindenden Persönlichkeit zu entwickeln, seine physische und soziale Selbständigkeit ist. Nicht allein historische Entwicklungsgesetze veranlaßten also dieses Ergebnis. Demgemäß zeigt der Mann auch mehr Stilempfinden als die Frau, er war dazu berufen, das Absolute in der Kunst, die Form, zu hüten und weiter fortzubilden und zu entwickeln. Auch die modernen Weltanschauungen und die modernen Stile sind vom Manne vorzugsweise aufgestellt und entwickelt worden. Dagegen spiegelt sich das ganze moderne soziale und politische Leben, die Zeit, insbesondere natürlich die Frauenbewegung und die komplizierte Seele der modernen Frau in der heutigen Frauenliteratur, und zwar vorzugsweise im Frauenroman, weniger in der Lyrik.

Von älteren lyrischen Dichterinnen sind von einiger Bedeutung Frida Schanz, in deren Lyrik eine durch innere Kämpfe geläuterte, resignierende, kluge und künstlerisch feinfühlende reflexionäre Frauennatur zum Ausdruck kommt, ferner Isolde Kurz, deren starke, energische und phan- [71]tasievolle Natur sich an dem Schönheitsempfinden der Griechen und der italienischen Renaissancekünstler bildete — so erinnern ihre Sonette, in denen sich ein feines individuelles Seelenleben offenbart, in der Symbolik und Zartheit der Sprache an die Liebessonette Dantes und seiner Freunde; doch auch Verse voll weicher deutscher Sentimentalität hat sie geschrieben —, sodann Alice von Gaudy, die kräftige Balladen und sinnvolle Naturgedichte verfaßte, und endlich Alberta von Puttkamer, in deren von Leidenschaft und Phantasie durchglühten Gedichten sich so recht die subjektive, in künstlerischer Beziehung wenig harmonische Natur der Frau, ein überschwengliches Selbstbewußtsein, ein unbändiges, vielleicht weniger tiefes als vielmehr pathetisches Empfinden — freilich oft in großer episch-lyrischer Bildlichkeit und Symbolik — offenbart.

Die bedeutendste Persönlichkeit unter den jüngeren Versdichterinnen ist meines Erachtens jedoch die Österreicherin Marie Eugenie delle Grazie. Insbesondere ist das großgedachte und -empfundene Epos „Robespierre“ derselben reich an lyrischen Stimmungen und Ideen. In dem Wesen und in den verschieden gearteten Charakteren der Revolutionsmänner, in den verschiedenen Weltanschauungen derselben bricht sich gleichsam wie das Licht im prismatischen Glase vielfarbig der Dichterin eignes Empfinden und eigne universale, kaum von einem Punkte aus zu erfassende Weltanschauung. Diese ist eine auf Grundlage der Darwin-Haeckelschen Philosophie tief pessimistische. Unbarmherzig schreitet die Entwicklung vorwärts, machtlos steht ihr der Mensch, selbst das Genie gegenüber. Nur die Idee des Fortschritts geht trostvoll nebenher. Ähnliche Ideen kommen auch in den „Gedichten“ und in den „Italienischen Vignetten“ zum Ausdruck. Viele Gedichte weisen auf ein leidenschaftliches Seelenleben hin. Das eigentliche lyrische Stimmungsgedicht gelingt der Dichterin selten. — Einen heroisch-pantheistischen Charakter zeigen die Gedichte der Maria Janitschek, sie [72]sind in mancher Beziehung den Dichtungen Franz Evers' ähnlich. Maria Janitschek ist eine typische Vertreterin moderner Frauenlyrik. Temperamentvolle Strophen wechseln mit langatmiger, abstrakter, unkünstlerischer Reflexionspoesie. Obgleich alle möglichen Themen berührt werden, fehlt es der Dichterin doch an eigentlich originellen Ideen. — Die einzige Dichterin, die die naturalistische Bewegung mitgemacht hat, ist Anna Croissant-Rust. An ihrer Lyrik zeigt sich aber so recht das Unkünstlerische der naturalistischen Theorien. Eindruck ist an Eindruck gesetzt, bisweilen wird eine Stimmung, ein Akkord angeschlagen, aber alle Detailmalerei erfaßt nicht Wesen und Seele der Stimmung und läßt eine suggestive Wirkung nicht aufkommen. — Ist M. Eugenie delle Grazie die bedeutendste Persönlichkeit, die gedankenreichste und ideentiefste der modernen Dichterinnen, so ist Ricarda Huch die feinste Künstlerin, die eigentlich lyrische Dichterin unter ihnen. In ihren kleinen einfachen und doch so prägnanten Liedern kommt wirklich das unmittelbar zum Ausdruck, was ich das spezifisch weibliche Empfinden nennen möchte. Daneben besitzt sie das feinste Gefühl für eine treffende lyrische Symbolik, für jene weiche zarte Wort- und Lautmalerei, die das Leben der Seele eher offenbart als alle naturalistische Impressionslyrik, und die den deutschen Romantikern einst in hohem Maße eigen war. — An dieser Stelle sei auch einer anderen Dichterin Erwähnung getan, die an Selbständigkeit des Denkens und künstlerischen Empfindens leicht alle anderen übertrifft: Hedwig Lachmann. Freilich ihre grüblerische paradoxe Natur läßt sie kaum zu künstlerischer Klarheit und poetisch reinen Stimmungen gelangen. Bedeutend ist sie als Übersetzerin, besser Nachdichterin.

Diesen Dichterinnen, deren ernstes Streben und mannigfaltiges Können alle Beachtung verdienen, stehen zunächst ein paar andere gegenüber, die in ihrer Lyrik das rein sinnliche, erotische Empfinden der Weibesseele bloßlegen. Im ganzen hinterläßt diese wenig aparte Kunst einen unerquicklichen Ein- [73]druck, zumal man nicht zu der Überzeugung gelangen kann, daß hier wirklich dämonische Naturen ihr Tiefstes und Geheimstes offenbaren, sondern das peinliche Gefühl behält, daß Manie und Mode die eigentlichen Urheber dieser zum Teil perversen Lyrik sind. Von älteren Dichterinnen ist an dieser Stelle Hermione von Preuschen zu erwähnen, deren ursprünglich temperamentvolle, wenn auch wenig künstlerische Lyrik schließlich aller tieferen und wahren Empfindung entbehrt, weil die Verfasserin um jeden Preis erotisch und dämonisch wirken will. Sie hat sich jeder künstlerischen Zucht entzogen. Von jüngeren Dichterinnen gehören hierhin Marie Madeleine und Dolorosa. Beide, nicht unbegabt, suchen im Gegensatz zu Hermine von Preuschen durch eine glänzende Rhetorik zu wirken, und in der Tat gelingt es ihnen, seltsame erotische Stimmungen, die uns von merkwürdigen menschlichen Verirrungen erzählen, plastisch, farbig und außerordentlich lebendig darzustellen. Immerhin sind diese Dichterinnen auch interessante Künstlerinnen, obwohl die eine von ihnen, Marie Madeleine, bereits in ihrem zweiten Buche ihre wenig ursprüngliche und geringe Begabung erkennen läßt. Auch Else Lasker-Schüler gehört in diese Reihe. Ein exaltierter unkünstlerischer Stil ist für sie cha- rakteristisch, ebenso ein zigeunerhaftes erotisches Empfinden. Ihre Lyrik wirkt mehr verstandesmäßig gekünstelt als etwa originell.

In erfreulicher Weise sind aber gleichzeitig weibliche Talente — und zwar stärkere als jene — aufgetreten, deren Lyrik vor allein in echter weiblicher Empfindung wurzelt. Es ist viel über diese Dichterinnen geschrieben worden, mit Begeisterung hat man hierbei sogar Dilettantinnen wie Thekla Lingen gepriesen. Auch Anna Ritter ist meines Erachtens kein starkes Talent. Ihre Gedichte sind allerdings lyrisch empfunden; aber von einer epigonenhaften Farblosigkeit und Gleichförmigkeit. Immerhin gelingt ihr bisweilen eine zartere, echtere und prägnantere Weise. Die schwere, [74]süße, träumerische Poesie des Mädchens, die der Seele entquillt und doch sinnlich ist, konkret wie eine Frühlingslandschaft und einfach — freilich ungesucht einfach — wie ein Volkslied, suchen wir bei Anna Ritter vergebens. Auch bei Clara Müller. Dafür bietet uns aber die temperamentvolle, starke Persönlichkeit der letzteren mehr, sie ist die des leidenschaftlichen reifen Weibes, das einmal geliebt hat und seitdem sich verzehrt in Erinnerungslust und -qual. Ihre Verse zeigen ein typisches Gepräge, und dennoch haftet ihnen der Zauber persönlicher Empfindung an. Insbesondere hält ihr Buch „Mit roten Kressen“ eine Entwicklungsgeschichte des Weibes in echt lyrisch empfundenen Stimmungen. Ein ähnliches, doch schwächeres Talent ist T. Resa. Marie Stona, anfangs recht konventionell und farblos, wirkt in ihren späteren Gedichten persönlicher und künstlerisch feiner. Zu nennen wären in dieser Reihe noch Anna Klie, die ein paar Verse gedichtet hat, die lauter und einfach tief wie ein Volkslied klingen, Maidy Koch, der ein zartes Naturempfinden eigen ist, Hans Gabriel (pseud.), der kleine aparte seelische Stimmungen gelingen, — dasselbe kann man von Margarete Beutler sagen —, Elsa Zimmermann, die in voller tönender Sprache und in romantischer Einkleidung ihre lyrischen Vorstellungen wiedergibt, Frida Jung, in deren Lyrik in schöner Unmittelbarkeit die natürlichsten Empfindungen des Mädchen- und Frauenherzens Ausdruck gefunden haben, und Helene Diesener, eine neue Dichterin der Mutterliebe.

Schließlich sei noch auf zwei Dichterinnen besonders hingewiesen, die wohl die begabtesten von den jüngsten sind: Agnes Miegel und Lulu von Strauß und Torney.

In ihrer Lyrik vereinigt sich weibliches und persönliches Empfinden zu abgeklärter künstlerischer Wirkung. Sie sind Dichterinnen des deutschen Stils, welcher in ihren Stimmungen in schöner persönlicher Vertiefung erscheint. Agnes Miegel ist die feinere, intimere Künstlerin von den beiden. [75]Ihre Romantik ist oft von der weichen vegetativen Art I.P. Jacobsons. Lulu von Strauß und Torney dagegen ist realistischer, als Persönlichkeit stärker und vielleicht tiefer. Beide sind ausgezeichnete Balladendichterinnen. Namentlich in den Balladen von Agnes Miegel herrscht eine reißende Ursprünglichkeit der Empfindung, eine Sprache von bezaubernder Prägnanz, Schönheit und Ausdrucksfülle. Oft ist es, als habe sich in diesen Versen die süße Empfindungsweichheit der Romantiker, eines Mörike und Storm mit der realistischen Kraft und Klarheit eines Fontane vereinigt. Die Balladen von L. von Strauß und Torney sind im Tone weniger originell; aber auch unter ihnen sind einige von starker, tiefer und volkstümlicher Wirkung, anschaulich und prägnant im Stil und Rhythmus, kurz lebensvolle deutsche Kunst.

Ich kann mich, da ich von bestimmten Gesichtspunkten aus der Entwicklung der modernen Lyrik gefolgt bin und die markierenden Linien und Wesenszüge immer wieder bezeichnet habe, in dem Schlußwort über das allgemeine Ergebnis kurz fassen. Ich meine, daß alle heutige Lyrik im Gegensatz zu der vor zwanzig Jahren herrschenden, ein individuelles und prägnantes Gepräge zeigt. Empfinden und Sprache ist nicht nur viel persönlicher, sondern auch künstlerisch feiner geworden. Neben einer erfreulichen stilistischen Vielseitigkeit ist von Bedeutung der neue, aus den philosophischen, naturwissenschaftlichen, ethischen und sozialen Errungenschaften basierende Universalismus im Weltempfinden der bedeutendsten modernen Lyriker, so daß letztere als die wahrhaften Repräsentanten moderner Weltanschauungen und eines zukünftigen religiösen Empfindens gelten können. Anderseits ist in der Kunst hochbegabter neuerer Lyriker der deutsche romantisch-realistische Stil wieder zur Blüte gekommen. Die moderne Lyrik zeigt ihr gesundes, lebenskräftiges [76]Wesen grade auch in dieser Erscheinung. Es geht ein Strom von Poesie von den Minnesängern und dem alten Volkslied aus durch die Seelen späterer Poeten zu den Seelen der heutigen. Die deutschesten Dichter, nämlich die des Volksliedes, die Romantiker und namentlich Goethe, wirken heute stärker denn je. Wir haben wieder eine lyrische, eine persöhnliche und eine deutsche lyrische Kunst.

Am Wasserfall

[77]
Schweigend seh ich den Fall der Wasser.
Wo sich die Felsen verengen,
ein mächtig Ringen und Drängen,
das rauschend den Weg sich bricht;
und breit hervor ans Licht,
gleißend im leuchtenden Sonnenstrahl,
stürzen die weißen Massen zu Tal.
Und ein Schäumen, Tosen und Zischen,
eine wirbelnde hastige Flucht,
und dazwischen
dumpf mit ewig gleicher Wucht
füllt des Aufschlags Donner die Schlucht.
Der Fels bebt, darauf ich stehe.
Und staunend sehe
ich die Wasser fallen und wallen
in zerstäubenden Wellenkristallen,
Augen und Ohren
in den gewaltigen Takt verloren.
Berauschend ist das schrankenlose
wilde Gebrause und Getöse,
eine begeisternde Bergespredigt,
welche die Seele der Fessel entledigt.
Der Fessel getragen
in Plagen und Klagen,
[78]
der Fessel, kaum mehr empfunden
im Kreislauf pflichtiger Stunden.
Nicht mag ich's mißachten
das Sinnen und Trachten,
das Sorgen und Wirken
in engen Bezirken —
Aber das Höchste ist doch die Kraft,
die nicht sinnt, nicht schafft,
die hinbraust ohne Zweck und Ziel,
keine Mühle treibt und trägt keinen Kiel,
nicht die Tropfen zählt und nicht die Frist,
herrlich und prächtig, weil sie ist
ungebunden und unbändig,
weil sie nur lebt, doppelt lebendig!

Beethoven
(Neunte Symphonie, vierter Satz)
Ich bin ein Mensch und will meine Freude!

Schal wird der Trunk,
den das Glück kredenzt
Millionen von Lippen;
ungenossen und unempfunden,
bringt er nur dumpfes
Gefühl der Trägheit.
In mir aber
sollte er aufglühn
in unendlicher Glut
und von dem Rausche
in meiner Brust
sollte in tausend Herzen hinüber
springen der Funke
doppelten Lebens,
doppelten Heils!
Aber vergebens!
Ein Spiegel bin ich,
den Licht nicht traf,
[79]
eine klangvolle Saite,
die den Meister nicht fand,
ein Echo, harrend auf ein erlösendes Wort,
das nicht gekommen.
Und nun schau ich in Bitterkeit
zurück auf den Weg.
Mir schlägt kein Herz,
das selig macht,
mir ward kein Boden,
auf dem ich stehe,
einsam leb ich
mit meiner Seele,
und selbst die Pforte,
durch welche die Welt des Klanges einströmt,
ist mir verschlossen.
Und doch, du klagendes Herz,
belügst du mich nicht? —
Was immer mir gestorben,
eins lebt in mir:
die Kraft zu schaffen,
die mich gleich macht dem Gott!
Laß sie zersplittern, die morsche Welt!
Ich bau sie aus Nichts
herrlicher, reiner,
und all das, was im Traum ich ersehnt,
gibst du mir, meine Kunst!
Unendliche Seligkeit,
Wonne sonder Reue,
das Schweben über dem Abgrund
ohne Sorge, ohne Grauen.
Wunderbar Geheimnis,
das aus Geräuschen Töne bildet,
aus nüchternen Worten hehren Gesang,
leuchtende Farben aus grauer Erde —
Du überwindest
des Leibes Gebrechen,
[80]
du füllst mit Göttern
den entvölkerten Himmel
und überschüttest mit blühenden Blumen
die Wüste der Seele!
Aus der Nacht,
aus dem Trotz mit dem Schicksal
ringt es sich auf —
im Herzen innen
wallt und wogt mir
ein uferloses Meer,
und siegreich tönt
aus Leid und Not,
aus dem flüchtigen Taumel des Lebens,
aus dem wilden Schäumen des Grolls,
aus schmerzlich nutzlosem Sehnen
hell und klar
nicht die Verheißung des Glücks,
das Glück selbst,
Und meine Seele jauchzt:
Freude, schöner Götterfunken!

Dämmerstunde

Sprich nur, sprich!
ich höre die Rede rinnen,
ich höre dich.
Durch das Ohr nach innen
gleitet die Welle;
Frieden trägt sie und Helle
tönend mit sich.
Ich höre die Worte rinnen —
ich will mich auf keins besinnen:
ich höre dich.

Lenzbilder

[81]

I.

Grüne Gärten traumhaft still
in mein kleines Fenster grüßen,
wie ein liebliches Idyll
blühen sanft sie mir zu Füßen;
Blumen, Gräser goldighell
knospen in der Bäume Schatten,
leise rauscht der Blumenquell
zwischen sanften Rasenmatten...
Süßer Zukunftsbilder Flut
will mein trunknes Herz berauschen
und mit wonnevoller Glut
muß ich träumen, träumend lauschen:
Der Romantik Alphornklang,
bunter Fahnen Freudenwallen,
bleicher Nixen Zaubersang
in tiefgrünen Waldeshallen...

II.

Warm küßt mich ein roter Mund,
weiche Arme mich umschlingen,
lind hinab zum Höllengrund
mich Sirenenlieder singen...
In der Venus Feenschloß
tönen Sehnsuchtsmelodien,
und ich seh mich hoch zu Roß
in das ferne Welschland ziehn! ...

La palomela

La palomela, du köstlich Lied,
von Iradier, als ich zum erstenmal
dich unter Südens Palmen hörte,
des Tajo Wogen lind mir rauschten,
[82]
und Afrika den Träumer grüßte —
die dunkle Riesin ohne Herz —:
Wie war ich unaussprechlich selig!
Ein schönes, liebeglühendes Weib
im Schatten lauschiger Kastanien
pochenden Herzens mich umfing
und sprach zu mir: Ich liebe dich!
und ich, ich rief: Wie bin ich glücklich!
Die Stunden rannen wie ein Traum.
Wir hielten selig uns umschlungen
und frei wie Falter buhlen, Blumen
kosen — also liebten wir.
Und nur der grünlich-weiße Himmel,
der südlich-schöne, tausendsternige,
sah unsrer Liebe süße Freuden...

Begegnung

Hei, hussa! Mazeppa, Turriddu!
Staub wirbelt empor!
Tripp trapp, tripp trapp —
husch, wie der Blitz —
naht mein Herzblatt, mein Lieb;
rosigfrisch wie ein Morgen
im Wonnemond, im fröhlichen Mai:
so lichttrunken und lustig
schaut sie wie eine Fürstin
in die lenzselige Welt!
Seht, wie eine Welle
taublinkender Gräser
umkost die schelmischen Guckäugelein
der blauwallende Schleier!
Und jetzt, o wie herrlich! —
tiefmetallisch erglänzt
das Gold des venezianischen Blondhaars
im Schimmer der aufglühenden Sonne...
Mein Herz pocht überlaut! ...
Auf mich nur schaut
das süße, blasse Antlitz,
[83]
mir lächelt es Liebe
und jauchzende Hoffnung
ins sehnende Herz...
Husch! ist sie vorbei!
Fern nur Kindergeschrei —
dann Stille, tiefe Stille...
Und ich sinne und träume...
Meine Seele fliegt,
wie die Wolke sich schmiegt
in des Himmels Lichtazur:
durch die lichten Räume des Alls,
durch die lenzduftende Flur
zum Tempel des Glücks...

Eine Segellustpartie

Auf enger, weicher Waldchaussee
mit kupferbrauner Loh bestreut,
mit dürrem Wald- und Dünenmoos,
führt uns holpriges Landgefährt
durch Busch und Sand und tiefen Forst
vom Bord der See ins Herz der Insel...
Mit Brombeerblüten überdeckt —
zuseiten üppige Besingbeete,
Fuchshöhlen und Ameisenberge —
kommt ganz zuletzt ein stiller Fußpfad,
der welteinsam, an stolzer Lichtung
vorbei durch dichte Fichtennacht
zum Dorf sich und zum Flusse schlängelt...
Im englischen Nankingjackett,
den Panama keck auf dem Schopfe,
den „Ülmantel“ vom Schifferbaas
fest um die Schulter hingepackt,
schlendr' dort auch ich seemännisch-flott
vom Meer zum Flusse, wo die „Lydia“,
die Segeljacht vom „Mister Jung
aus Baltimore“, der Gäste harrt.
Rauchend, sektschlürfend sitzen wir
[84]
an Bord und plaudern mit dem „Stürmann“.
Da setzt das Segel ein — und mit
lautkräftigem Seemannshallo
trägt der Südwestwind uns zur Mündung...
Zum stolzen, blauen Griechenmeer
dünkt mich geht kühn die schnelle Fahrt,
nach Syrakusas Lorbeerhainen
und Rhodus' stolzem Bogentor.
Homeros Freudensonnen scheinen —
Hell jubl' ich auf im trunknen Chor
an des Olympos Sonnentor...

Mondnacht

Ein Lorbeerblatt auf einem Schwanenrücken
fand ich in stiller, grüner Waldesnacht:
O süßer, keuscher Anblick zum Entzücken —
von einer Meisterhand göttlich erdacht!
Die Wasser küßte traumhaft-tiefes Schweigen,
kein Hauch lag auf der märchendunklen Flut,
das Mondlicht troff rings von den blühenden Zweigen,
färbte den Wald rings mit Rubinenglut.

Melancholie

Meiner Jugend Träume,
wo seid ihr hin?
Ihr himmlischen Räume,
wie fern ich euch bin!
Draußen grünen die Bäume,
Flur in Blüte steht —
Meine Lieder sind Schäume,
die der Wind verweht...

Vorfrühling

[85]
Verloren im Raume
ein erster Vogelruf.
Doch schwer hinschnaubend
durchs dampfende Marschland
mit dem Eisen durchwühlt's
der gewaltige Stier.
Und festen Tritts hinter ihm
schreitet der Mensch,
die Körner schleudernd,
wo auseinander
mit schwarzroten Wellen
schäumt der Grund.
Regenschwanger
der Himmel darüber,
breit lagernd
in schlafender Kraft.

Hirschröhren

Mondennacht
über den Bergwäldern weit
durch den Nebel streift!
Dünner Regen
und Wind, wie vom Sterbenden
der Odem pfeift.
Plötzlich stöhnt's —
Das ist der Hirsch, der röhrt! —
stöhnt die Leidenschaft
und schreit.
Da erwacht
im Widerhallen
[86]
an den Hängen allen,
in allen den Dunkeln das Tote
und rafft
sich auf und fragt
in die Nacht
und klagt
und erschlafft.

Jugenden und Alter

Leis aus Dunkeln löst sich mir ein stilles
Abendsonnenbild. Ich selber drinnen
schreit, ein Jüngling, an des Vaters Seite
durch das Wallen segenschweren Korns.
Deutlich seh ich bis aufs kleinste Fältchen
seine feinen, klugen, guten Züge,
seh die Felder, wo jetzt Straßen starren,
und die grüne Bank am alten Birnbaum
dort am Hügel, fern im West die Türme,
und die blauen Blumen rings im Golde...
Welt wo bist du?
Da vor meinem Auge sinken Schatten,
mir berührt ein fernes Licht die Seele,
und ich sehe mit erhelltem Blicke.
Welten seh ich in die Ewigkeiten
langsam sinken, wie vergeßne Lande
in die Meere sanken. Auf der Fluten
Grund seh ruhn ich dies mein Einst. Doch tiefer
seh ich wieder Meer und unterm Meere
wieder eine Welt, und wieder Meere,
wieder Welten, Jugenden und Alter
von Geschlechtern. Und ich höre deutlich,
wie die Stimmen aus den Welten hallen,
Lebensstimmen. Ja, sie leben alle,
jede lebt für sich ihr reiches Leben
unter ihrer eignen fremden Sonne.
Lebt es weiter ohne uns hier oben,
[87]
die wir selten nur sie, staunend hören,
immer seltner, immer leiser, wie sie
tiefer in die ewigen Meere sinken.

Nacht war's

Tief in den Dunkeln unsrer Seele wühlt,
uns unbekannt, ein Böses wild und heiß.
Doch selten nur dehnt's plötzlich sich und tastet
murrend am Boden unsrer Sonnenwelt
und rüttelt dran und reißt sich einen Spalt
und glüht hinauf. Doch vor dem Schein des Tags
erschrickt's und kriecht in sich zusammen.
Nacht war's. In einem langen, dumpfen Saal
stand ich im Siechenhaus. Nur Stöhnen hört ich
und Röcheln. Grelle Streifen warf der Mond
jäh durch die Fenster, lang die Reihe fort
zwischen die Pfeilerschatten. Die verbargen
die Betten: ich erkannt sie nicht, trat ich
nicht dicht davor. Da faßt es plötzlich mich
wahnwitzig an — ein weißes Linnentuch
umwand ich mir, und aus dem Schatten jetzt
trat ich ins helle Schlaglicht vor und nickte
als Sterbegeist dem Kranken zu. Der schrie
in Grausen auf, warf sich zurück und zuckte
und starb. Und ich, im Dunkel schlich ich fort
und trat ins Licht vors nächste Siechenbett
schauspielernd hin, und wieder schrillt der Schrei.
Und weiter schritt ich, und sie schrien und starben,
bis endlich aus mir selber auch herauf
ein Schrei sich preßte — weg von meiner Brust
schrie er die Hölle, und im Schrei erwacht ich.

Mittag

[88]
Kein Ton, kein Hauch. Das Bergtal ruht
in greller Mittagsonnenglut.
Und Gras und Blumen, Strauch und Baum
umfängt es wie ein tiefer Traum.
Da plötzlich — aus dem Blumenflor
blitzt jäh ein Schlangenhaupt empor.
Es starrt zur Ferne unbewegt,
als ob sich's leise dort geregt.
Nur Täuschung war's. Die Schlange neigt
sich still zurück. Die Flur, sie schweigt.
Wie Traum liegt's auf dem Blumenflor,
und Frieden ist es, wie zuvor.

Die Mütter

Wenn das Spiel am schönsten war
Sommerabends in den Gärten,
Mußt ich scheiden aus der Schar
meiner kleinen Spielgefährten;
denn die Mutter rief: Mein Kind,
komm geschwind!
du mußt schlafen.
Nun, da lang die Mutter tot,
winkt die ewige Mutter leise;
deutet hin zum Abendrot,
und sie spricht die alte Weise
in das schönste Spiel: Mein Kind,
komm geschwind!
du mußt schlafen — schlafen.

In der Fremde

[89]
Ich möchte still nach Hause gehn
und nimmer wieder fort,
mein Knabenstübchen wiedersehn
und manchen andern lieben Ort,
in meines Vaters Garten
wie einst den Lenz erwarten —
o wär, o wär ich dort!
Vor meinem Fenster steht ein Baum,
der ist nun lange leer.
Den blauen Himmel sieht er kaum
vor grauen Wänden ringsumher.
Bald ist der Baum erstorben,
bald bin ich hier verdorben,
seh nie die Heimat mehr.

Abendstimmung

Ein heller Streifen noch im Westen dort —
auch er erblaßt, und Abend ist es wieder.
Ich lege müde meine Feder fort
und blicke träumend in die Gasse nieder.
Dort strahlt bereits des Gaslichts gelber Schein,
und unaufhaltsam seh ich Menschen wogen.
Mir ist, als sei nur ich zu Haus allein,
die ganze Welt der Freude nachgezogen.
Mir ist, als fliehe mich die ganze Welt,
und nahe sei die Nacht, die letzte, grause,
wo alles wankt und stürzt und jäh' zerfällt —
und mich alleine träfe sie zu Hause.

Geheimnis

[90]
Du wandeltest so leise durch die Auen,
daß kaum dem Mohn vor deinen Schritten bangte,
die Hand erhobst du, ohne aufzuschauen,
nach einem Zweige, der zu Häupten schwankte.
Und vor dir Zitternden die Blüten stäuben,
und kränzen deine jungen, leichten Wege,
und dich umspielt ihr wohliges Betäuben,
gleich dem Geheimnis, das ich heilig hege.

Das Leben aber ist doch groß und weit

Ich stand im Morgenglanz auf hohem Gipfel,
und bunte Dörfer lagen ringsumher,
und über Hügeln schwankten Waldeswipfel.
Sie schwankten wie ein Ährenfeld, ein Meer,
und leichte, federweiße Wolkennachen,
im roten Glanze, glitten drüberher.
Und aus den Lüften grüßte mich ein Lachen
von jungen Vögeln, die die Flügel schwangen
im Frühlichtschimmer, zu des Tags Erwachen.
Es hielt mich warm ihr froher Ton umfangen,
und weithin über Erdenglück und Leid
des mächtigen Sturmes Riesenschwingen sangen
des großen Lebens Unermeßlichkeit.

Der Greis

Ströme und Seen durchschwommen,
brünstig allen Fernen! —
Wittre nun in den Nächten
nach Ländern über Sternen.
[91]
Als ich ein Kind war,
glänzte so weit mein Teich;
hinter jedem Wipfel
grünte ein Zukunftsreich.
Stützt zu Berg mich Söhne,
dicht in meine Nähe! —
daß ich noch einmal
die kleine Erde sehe.

Parzifal

Horch, über das blühende Heidekraut
träumt zierlicher Schellen Silberlaut —
schrill warnt ein scheuer Rebhahnruf
vor eines Rößleins tappendem Huf —
wer reitet über die Heide?
Und hell ein Wiehern und ein Geschnauf,
aus wilden Rosen taucht es auf:
ein Rößlein weiß und ein Rittersmann,
der hat ein Kleid von Seide an,
ein Kleid von roter Seide.
Das Rößlein niest in den frischen Klee,
der Ritter lacht: „Mein Rößlein heh!
Frisch über Dorn und Sonnenbrand,
es ist eine Lust das ganze Land,
es macht mich frei vom Leide!
War meiner Seele tumber Knecht,
macht's keinem in der Welt gerecht,
drum ritt ich aus dem finstren Tor:
zu meinem Gott wollt ich empor —
und sah die blühende Heide.
[92]
Hier lacht mich alles fröhlich an,
hier werd ich Kind, hier werd ich Mann,
hier bin ich klar und deute nicht
und träume nur im goldnen Licht,
hier bin ich frei vom Leide!“
Und er singt und lacht und lacht und singt,
das Torenglöcklein leise klingt —
und wieder ein schriller Rebhahnruf —
in Rosen gedämpft des Rößleins Huf —
und weite blühende Heide...

Hans, der Schuster

Nun war der Mai gekommen:
im blonden Haar ein blaues Band,
im lilienweißen Kleide,
ein Rosenstenglein in der Hand,
so zog er über die Heide.
Da dachte Hans, der Schuster:
nun hast du einen Winter lang
geschustert und genäht,
nun wirst du einen Sommer lang
hell siedeln früh bis spät.
Und holt die muntre Fiedel:
doch als er setzt den Bogen an,
die Saiten schrill erklingen,
und welches Lied er auch begann,
ihm wollte keins gelingen.
Da dachte Hans, der Schuster:
das hat man von der Schusterei,
nun sind die Finger krumm,
das alte ewige Einerlei
macht Kopf und Herze dumm.
Und griff zu Draht und Pfriemen.
Und draußen sang die Nachtigall,
es strömt von allen Zweigen
ein süßer Duft, ein Glanz und Schall;
doch Hans vergaß das Geigen.
[93]
Zwar wollt sein Herz oft brechen:
dann war es ihm, als läg es bloß,
als läg's auf seinem Schuh,
als schlüg sein Hammer flink drauf los,
als schlüg er's auch zur Ruh...

Mädchenträume

Sie saß und stickte emsig fort,
sie sang das schwere Lied vom Königsmord,
von Lilien sang sie, die verblühn,
von Liebesgluten, die verglühn,
vom Schiffer, fern in Nacht und Wind,
von Mädchen, die verlassen sind.
Sie sang, bis daß der Abend kam...
Als sie das Tüchlein von den Brüsten nahm,
legt sie ein Blättchen Wegebreit,
das gegen Sucht und Sehnsucht feit,
in ihren Gürtel still hinein
und schlief mit einem Seufzer ein...

In dämmerdunklen Wegen

Wir liebten uns in dämmerdunklen Wegen,
es schwamm der Mond im warmen Sommerregen
gleich einem Glück im fernen Schoß der Zeit,
wie Liebe, süß verträumt in Heimlichkeit,
so hat sein Bild im grünen Teich gelegen —
wir liebten uns in dämmerdunklen Wegen...
Und von den Büschen tropfte leis der Regen,
Holunderdüfte quollen uns entgegen,
das Buschwerk rauschte unsern Schritten nach,
und hinter deines Schirmes rotem Dach
verstummten wir in süßer Liebesfeier...
Da riß ich fiebernd dir den braunen Schleier
in süßer Hast vom tauig feuchten Mund,
da küßt ich deine roten Lippen wund:
so hab ich in den sommerschwülen Wegen,
von Glück betäubt, an deiner Brust gelegen...

In gelben Ähren

[94]
Wir gingen in gelben Ähren.
Nachmittagsstille! Von Grillenheeren
nur ein summender Sang,
nur der leise Klang
verliebter Worte,
von deines Kleides seidener Borte
ein Flüstern in gelben Ähren...
Wir legten uns müde nieder.
Leises Knistern von deinem Mieder...
Kornblumen standen
zu Häupten uns; wir wanden
zu Kränzen sie und bliesen vom Mohn
die roten Fahnen — kein Ton!
nur Knistern von deinem Mieder...
Und der Abend kühlte die Ähren.
Unsre Augen, die liebeschweren,
tranken den Purpurwein
der Abendröten in sich hinein;
unsre Seelen in sich versanken,
in Liebesgedanken,
in Frieden, in liebeschweren...

Die Hochzeit zu Kana

Und Rosenduft und süßer Duft vom Wein
vermählten sich im goldnen Abendschein...
Das war ein Tag der Freude! Jubelnd klang
zum Saal empor der Mägde Festgesang,
und himmelsrein das Lied der Harfe scholl.
Die Gäste lauschten süßen Weines voll.
Auf seinem Purpurpfühl das selige Paar
in sich und seinem Glück versunken war...
Sprach Thomas, einer von den Zwölfen, leise
zu Petrus da: „Ich deut in meiner Weise
das heilige Wunder, das wir heut gesehn —
Gott ließ ein größres hier vor uns geschehn —
[95]
Sieh diese beiden! Wasser ward zu Wein:
zum Liebesrausch ihr ganzes Erdensein!“
Und jubelnd klang und schwamm auf Rosenduft
das Lied der Liebe durch die goldne Luft! ...
Indes stieg fern im Ost der Mond empor.
Und leise ging das morsche Gartentor;
und Christus war allein. Er sah zurück:
in diesem Blick lag all sein reiches Glück...
Und leichten Schrittes ging er durch das Korn.
Leis durch die Sommernacht klang süß verworrn
der Vögel Ruf im mondbeglänzten Ried,
das Rauschen reifer Ähren und das Lied
der Sehnsucht, süß das Harfenlied der Liebe...
Und Christus war allein.

Herbststimmung

Der Himmel, herbstlich schon gestimmt,
in kupferfarbnem Rot verschwimmt.
Ich blicke übers fahle Ried
und lausche dem letzten Vogellied...
Indes geht still von Haus zu Haus
die Nacht und bläst die Lichter aus...
Und alles schweigt. Der Nebel steigt
und neigt sich schwer. Und alles schweigt.
Und blaß der Mond aus Wolken tritt —
da schlürft ein scheuer Schleicherschritt —
von einer Blendlaterne fällt
ein Licht kalt in die Sommernacht —
— der Tod...

Reiter im Herbst

Vier wilde Gänse schrecken scheu empor —
wer reitet noch zum Abend übers Moor?
Der dicke Nebel teilt sich schwer und träg —
ein rotbraun Rößlein klappert übern Weg.
[96]
Ein Rittersmann! Sein Fähnlein schwimmt in Tau,
schwarz ist die Rüstung, und sein Auge grau
blickt starr und still wie in ein weites Grab,
sein Rößlein nagt am Weg die Kräuter ab.
Er reitet wie verdrossen, wie im Traum,
wohin er blickt, erschauern Busch und Baum,
und was er streift mit seiner Eisenhand,
Riedgras und Rohr, sinkt nieder wie verbrannt.
So taucht er langsam in das Nebelmeer —
dicht fallen welke Blätter hinterher.

Christus beruhigt das Meer

Am flachen Heiderand, weit hinter Schilf
und fernen Fichtenwäldern glimmt und schwelt
noch dunkelviolette Sonnenglut.
Die Berge und weißen Dörfer ringsumher
verdämmern im scharlachroten Nebelmeer...
Leis über den See hallt der Sang der Jünger.
Der Ruderschlag, der in die klare Tiefe
wie träumend taucht, beschwingt mit sanftem Takt
des Liedes süße schwere Melodie...
Und nun verklingt der dunkle Sehnsuchtschor,
es stirbt der letzte Ton, den weiche Winde
wie eine Seele in den Himmel tragen.
Die Jünger lächeln tiefbeglückt sich zu:
Vom heißen Tage müde, war der Herr
in seines Lieblings Armen sanft entschlummert...
Ganz leiser Ruderschlag... ein seliges Träumen,
ein stilles Gleiten über Ried und Riff —
weltfern... Und mählich schleicht die Nacht heran...
die Wellen funkeln stumpf... wo bleibt der Mond?
die Wellen murmeln dumpf... —
Fern Wetterleuchten! ...
Fern rauscht und braust der See!
Es naht ein Wehn, naht schneller, immer schneller —
ein Wirbelwind treibt Wellen vor sich her —
ein Wolf, der seine gelben Zähne bleckt,
springt weiße Gischt am Nachen jäh empor! —
[97]
Verwehter Ruf! ein greller Blitz erlischt!
Dumpf dröhnend rollt der Donner aus dunklen Wolken,
der Sturm heult nach und höhlt die schwarze Flut
und schleift das Schifflein über Höhn und Tiefen...
Die Jünger, aus süßen Träumen jäh gerüttelt,
ringen ratlos die Hände, nur Petrus, steif
am Steuer sitzend, blitzt mit grauem Blick
furchtlos umher; Johannes schirmt den Herrn, —
den immer noch der tiefe Schlaf erquickt...
Indes wächst maßlos des Gewitters Wut,
Blitz fällt auf Blitz! ein Meer von grünen Flammen!
Dann wieder Finsternis... Die Ruder brechen,
die Hände sinken müd — ein geller Schrei!
ganz dicht am Schiffe fuhr der Blitz vorbei —
der Herr erwacht! — der Sturm horcht atemlos —
Der Herr hebt seine Augen traumhaft groß
und lächelt über das aufgeregte Meer
und blickt die Jünger seltsam lächelnd an:
„Kleingläubige, was seid ihr so verzagt,
wenn euch der milde Tod zu nahen wagt...
Doch als ein mächtiger Tröster kam ich her!
Seht meine Hand beruhigt Sturm und Meer!
Gehorche deinem Herrn, Natur! o seht,
wie brünstig sie nach meinem Segen fleht!“
Groß steht der Herr, von Blitzen fahl umleuchtet,
weiß glänzt sein Haupt, das von den schwarzen Wolken
umdrängt, vom Sturm geküßt, hoch in den Himmel
zu ragen scheint — — Ein ferner Blitz! Verflammen...
Vertosen... Zitternd spielt ein stilles Licht
weit über verrollende Wogen — Ruderschlag! —
der Mond! ... das Boot fährt knirschend auf den Strand...

Ein Traum

Hoch stand die Sonne. Ich ging allein,
nein nicht allein: zu zwein, zu drein,
zu tausenden gingen wir über ein Feld...
Mir sagt es der Traum: dies sei die Welt.
Ich sah, wie jeder still für sich
[98]
mit seinen Sorgen von dannen schlich,
wie jeder, nur auf sich bedacht,
der Seele Geheimnis mit List bewacht, —
wie dieser weich, der andre hart,
doch jeder, jeder ein andrer ward...
Nein, nicht doch... sieh doch: wer ist das dort?
der geht ja mit meinem Gesichte fort —
dort wieder einer: wie im Bann
seh ich den ein'n und andren an,
wie streng ich alle auch verglich,
auf einmal waren alle: ich! —
Ich schrie entsetzt, — doch sieh: schon barg
mein Retter mich: ein schwarzer Sarg...
Ich starb und sank — nein, wunderbar:
ich steh ja an meiner eignen Bahr — —
und seh mich sterben, — seh daneben
mich immer wieder weiter leben...
Und konnte schließlich nichts als fragen
mit Zagen halb, halb mit Behagen,
mit Grausen und mit tiefster Ruh:
Wer bin ich? bin ich's oder du? ...

Kosmische Wanderung

Ich ging gen Sonnenuntergang...
und meine stille Seele trank,
leis faltend ihre Flügel,
den Duft der Heidehügel.
Ich sprach beglückt: O Seele du,
wie wunderbar ist diese Ruh!
Hast du ihn nicht vernommen?
Gott ist zu uns gekommen.
Fuhr meine Seele da empor: O du vergißt,
daß du weit mehr als Gott und Weltall bist!
Laß weiter uns und weiter gehn:
du wirst nur dich in allem sehn!
***
[99]
Und rüstig schritt ich weiter fort —
als wieder eine Frage schlich
scheu über meines Herzens Bord,
der meine Seele nicht entwich.
O Seele, groß ist deine Macht!
Du bist das All, nur du allein!
Und was dich überirdisch macht:
sieh, deine Fülle, sie ward dein —!
Sprach meine Seele: Doch du siehst
nicht weiter, als dein Atem fließt!
Nun wandern wir den Weg zurück
und suchen deiner Kindheit Glück.
***
Und eine Nacht war's wie ein Traum...
O seliges Schauen! Mich erfaßt,
rief ich, o Seele, Erd und Raum
wie eine Sehnsucht, eine Last...
O Seele, wennn noch mehr als dies
die ferne Menschheit froh genießt,
die Erde wie ein Paradies
an Frucht und Fülle überfließt —?
Komm, sprach die Seele, du wirst sehn:
an aller dieser Erdenpracht
wirst du nun still vorübergehn
schlaftrunken in die ewige Nacht...

Stille Fahrt

Ich stand an einem dunklen Meer.
Da kam vom grünen Eiland her
ein stiller Kahn geschwommen.
Mir ward so leicht, mir ward so schwer,
mein Herz ward aller Unrast leer,
der Schmerz ward mir genommen.
[100]
Still stieß das Schifflein an den Strand;
sein Lenker winkte mit der Hand,
er lachte wie im Traume
und lud mich ein zum andern Land,
das in der Ferne unbekannt
grün glänzte aus dem Schaume.
Und ich stieg ein. Der stille Mann
zog stumm die schwarzen Ruder an,
wir schwammen aus dem Hafen.
Er sang ein seltsam Liedchen dann
und nickte müde dann und wann,
und ich bin eingeschlafen...

Abendsegen

Das ist des Abends Segen
und seine stille Tat,
daß Sturm und Kampf sich legen,
wenn seine feuchten Schwingen
hinschatten übern Pfad.
Das hat er vor dem Tage,
daß er des Herzens Drang,
daß Sorgen er und Plage
besänftigt still mit mildem,
mit süßem Schlafgesang, —
daß er mit dichtem Schleier
des Landmanns Pflug umhüllt,
mit stiller Dankesfeier
die Hütten und die Herzen
allüberall erfüllt...

Frühlingsabend

[101]
Die Nachtigall sang ohne Ende,
der Flieder war noch regenschwer.
Du gabst mir deine leisen Hände,
fern durch das blühende Gelände
sang ein verträumtes Mühlenwehr.
Von deinem Haar, dem märchenschönen,
ward ich gar stillen Duft gewahr.
In deinen Augen schliefen Tränen
und von den Händen ging ein Sehnen
durch meine Glieder wunderbar...

Heimwehlied

O wie die Tale glänzen
durch die silberne Sommernacht.
Dort wo der Mond am Himmel steht,
muß meine ferne Heimat sein.
O Glanz der silbernen Tale,
wie machst das Herz du weh und wund.
Ich möchte vergehn in Sehnen
nach meiner fernen Heimat.
O warum zog ich junger Tor
zu diesen blühenden Ländern aus?
Nun bin ich müd und ist mir bang dahin,
wo stille Nebel über die Felder gehn —
O meine ferne Heimat —

Prolog
(Zu den „Festen der Jugend“)

Aus schimmernden Gefäßen schöpft ich mir
des Lebens goldenen Wein und bin mir ganz
der vollen Kränze meines Glücks bewußt.
[102]
Ich bin gewandert durch das holde Licht
des Tags und sang; und habe süße Frucht
aus meiner Jugend blühendem Baum gepflückt.
Auch blieb das Grauen der Nächte mir nicht fremd,
und ihre Schmerzen läuterten die Glut
des weiten Lebens, das mich wogend trägt.
Euch seltsam bunten Jahren, die mir nun
des tiefsten Daseins Schönheit offenbart,
dank ich mit Lächeln. Blick ich heut zurück,
so will mir scheinen, daß ein kunstvoll Werk
vor meinen Augen sich erhöbe, des
ich Meister bin. Ich nehm das grüne Laub
aus meinem Haar und streu es glücklich der
Vergangenheit, die mir nun nie vergeht;
und ich bin froh wie wohl ein Künstler ist,
der ein geliebtes Werk vollendet sieht:
denn eine Kunst war meine Jugend auch.

Trübe Zeit

Denn du warst mehr als die Geliebte mir:
du warst mir Licht des Tages und der Nacht
und goldner Frühling und das Glück und alles.
Was soll ich nun mit dieser dunkeln Welt,
darin die Rosen in den Tod geblüht
und in ein ewiges Grab der Frühling fuhr?
Ich bin ein Blinder diesem Sonnenlicht,
und von den Bergen, die ihr köstlich heißt,
verlangt mich nieder in das graue Tal,
wo meine Klage an dem Stein zerbricht
und eure Lieder meinen Schmerzen fern.

Bei Saragossa

Auf allen Gärten Saragossas lag
der Mond wie blaue Seide. Das Gesträuch
stand funkelnd um die Marmorbrunnen da,
gleich silbernen Wolken, die ein schöner Duft
ins Leben wies, das ihnen nur ein Traum.
Wir glitten aus dem flüsternden Fluß zu Tal,
[103]
bekränzte Jugend, schöne Frauen auch,
und sahn den Glanz und fuhren weit ins Land,
durch viele Gärten, blühenden Feldern zu.
Da hub die schönste von den Mädchen in
dem schwebenden Kahn mit sanfter Stimme an
ein Lied zu singen, das wie Heimweh war,
und lieblich gleich dem Mondlicht rings im Land.
Wohl mancher Wandrer an dem Ufer, der
es hörte, manches späte Liebespaar,
das einsam seine glücklichsten Pfade ging,
hielt an, verwundert, lauschte dem Gesang
der schönen Stimme, bis das ferne Licht
ihn ganz begrub, und lenkte seinen Schritt
nachsinnend weiter, an dem Wasser hin...

Unruhige Stunde

Nachts über die Wiesen, die Erlen entlang,
geht ein Gesang, geht ein Gesang,
der ist wie stilles Weinen.
Der ist wie ein tiefes Klagegedicht,
das aus dem ärmsten Herzen bricht —
Armes Herz, was weinst du so?
Die Nebel ziehn übers blasse Land.
Was wird mir die Stunde so wohlbekannt
und die fernen verlorenen Töne?
Was schlägt meine Brust so lauten Schlag?
Die Nacht ist lang. Kurz ist der Tag —
Armes Herz, was weinst du so?

Ritt durchs Leben

Ein Reiter, der vor Tau und Tag
die Straße liebte, zog ich aus,
und meine Hände hielten kaum
die Zügel an dem Sattelknopf,
und meine Stute schnob vor Lust
und dämmte ihrer Füße Sturm
mit Mühe nur. Ich jubelte,
und schlummernd lag das Leben da...
[104]
Am hohen Mittag kehr ich heim,
in wundervollem Sonnenlicht,
ein Reiter, der die Freiheit sich
gleich Blüten in die Locken wand,
und meine Hände halten kaum
die Zügel an dem Sattelknopf,
und lachend spring ich ab vom Gaul,
und leuchtend liegt das Leben da...

Und doch

I.

Hier ist es still an meinem dunklen Teiche,
den nur der Mondfrau blasser Schleier streift,
und ich bin Fürstin diesem Abendreiche,
in das kein fremdes Menschendenken greift —
und ich befehle meinem dunklen Teiche,
und ich befehle seinen lauen Fluten,
daß sie mich tragen, ihre Königin:
sie tragen mich zu meiner Insel hin,
da blühen aus dem Schilfe Blumenkronen,
die einsam auf den hohen Stielen thronen
und Blütenstaub aus matten Kelchen bluten.
Und zwischen meinen Blumen will ich liegen
und meinen Leib ans starre Schilfgras schmiegen.

II.

Die Mondfrau hüllt mich ein in bleiche Strahlen,
ich steh im Schilf — es leuchten meine Glieder
mir aus dem dunkelfeuchten Spiegel wieder,
und hundert Sterne tauchen um mich nieder
und blühn empor aus violetten Schalen.
Kühn lebt mein Heute, müde schläft mein Gestern,
— mich trennen Welten jetzt von meinen Schwestern!
[105]

III.

Allein in meinem schweigenstarken Eden —
sehn ich mich heiß nach wirren Liebesreden,
ich sehne mich nach einem wilden Sehnen,
ich sehne mich nach schwachen Mädchentränen,
ich sehne mich nach roten Sonnenküssen
und weiß, mein Leib wird daran welken müssen.

IV.

Es wird ein Schatten in mein Dasein treten,
der Schatten weiß von weiten Königsrechten,
der Schatten wird mir Leib und Seele knechten,
der Schatten wird sich um mein Dasein flechten,
und meine Sinne werden zu ihm beten,
und meine Seele wird ihn herrschen lassen —
doch meine arme Seele wird ihn hassen.

Das alte Schloß

Von Porphyr rot, mit marmornen Altanen
steigt es empor im Mondesmärchenlicht,
das Fürstenschloß aus rauschenden Platanen,
ein steingewordnes Sommernachtgedicht.
In Myrtenhecken Götterbilder ragen,
um weiße Treppen spielt das blaue Meer,
und von der dunklen Roseninsel klagen
die Nachtigallen liebestoll und schwer.
Zuweilen dann ein leises Degenklirren
und dann ein Fensteröffnen, heimlich, sacht,
und Lauten, sehnsuchtswilde Lauten girren
brennende Liebe durch die schöne Nacht...

Feldbank

[106]
Wie eine Insel tief im grünen Meer,
umraunt von schwüler Mittagseinsamkeit,
steht eine Bank im Felde draußen weit.
Die reife Ähre neigt sich drüber her.
Es schläft das Land, erschlafft in Sonnenglut,
nur tief am Boden schwirrt der Grillen Sang,
des Mohnes Flammenrot den Rain entlang
schwimmt um dein Aug wie eine Purpurflut.
Kam jetzt das Glück, das dich noch nie erhört,
in dieser Stunde könnt es wohl geschehn:
du ließest es an dir vorübergehn,
auf daß es dich in deinem Traum nicht stört.

Zügenglöcklein

Die bleiche, wächsern bleiche Mondessichel stand
hoch überm Kiefernwald mit stumpfem Schimmer,
der mattem Blei gleich tropfte auf das Land.
Und rings kein Laut, als nur ein bang Gewimmer
von einem Zügenglöcklein, das im Dorfe zog
der greise Küster, immer betend, immer.
Das war ein Ton! O wie der flog und immer flog
wehklagend durch die dämmergraue Heide,
ein schreiender Vogel, der todwund zum Neste zog.
Wir lauschten ihm, bis um die alte Weide
ein Rauschen strich, als ginge wer vorbei.
Da eilten fröstelnd wir von dannen beide.

Zu spät

Du kamst zu mir in der stillen Nacht,
ich habe die Tür nicht aufgemacht!
Du riefst mich mit zitterndem Liebeswort,
ich wies dich barsch von der Schwelle fort.
[107]
Da gingst du von dannen, stumm und schwer,
mein reuiges Wort fand dich nicht mehr.
Nun stehe ich nächtens an Brücken und Steg,
doch gehst du weitab, weitab deinen Weg.
Wie ein Lockvogel sing ich dein Lied ohne Ruh,
doch trägt dir's kein Hauch barmherzig zu.
Und selbst meinen Schrei aus Sehnsucht und Not
vertändelt der Wind in Blumen rot.

Zwei Flammen

Wie zwei blasse Opferflammen
zugvereint verlodern sacht,
fließen Glück und Schmerz zusammen
in die eine stille Nacht.
Und du kommst aus dunklem Land,
wo da Wunsch und Wille schweigen,
stehst vor diesem Doppelbrand, —
welcher will sich dir zuneigen?
Sind's die bleichen Schmerzensflammen?
Sind es, die das Glück entfacht?
Sei getrost! sie lohn zusammen
in die eine stille Nacht.

Jeanette

Was ist mein Schatz? — Eine Plättmamsell.
Wo wohnt sie? — Unten am Gries.
Wo die Isar rauscht, wo die Brücke steht,
wo die Wiese von flatternden Hemden weht:
da liegt mein Paradies.
[108]
Im allerkleinsten Hause drin,
mit den Fensterläden grün,
da steht mein Schatz am Bügelbrett;
hoiho, wie sie hurtig den Bügelstahl dreht,
Gott, wie die Backen glühn.
Im weißen Röckchen steht sie da,
ihre Bluse ist blumig bunt;
kein Mieder schnürt, was drunter sich regt,
sich wellenwohlig weich bewegt,
der Brüste knospendes Rund.

Josefine

I.

Der Himmel ist blau, das Wetter ist schön,
Madame, wir wollen spazieren gehn!
Da ist sie dabei!
In den blühenden Mai
aussegeln wie Frühlingfregatten wir zwei.
Wie Blütenschnee ihr Kleid so klar,
ein Blumengarten ihr Strohhut war,
ein moosgrün Band vom Hute hing,
wie Wimpelwurf im Winde ging.
Recht wie ein schwarzer Würdebär
Ging neben der Fee mein Leibrock her.
Wie wunderbar
der Maitag war!
So frisch, so hell, so kühn, so jung,
wie Kinderglückerinnerung,
und so voll Liebe und Heiligkeit;
ach, kranke Welt, wie bist du weit,
weit von uns, fern mit deiner Gier,
mit deinem Haß, mit deinem Streit —
wir seligen, seligen Kinder wir!

II.

Und es senkt sich die Nacht.
Kühle Winde, blasse Sterne.
[109]
„Du, hast du mich gerne?“
Und sie küßt mich und lacht.
Und wir gehen nach Haus.
Alle Menschen schon schlafen.
Die Fregatten im Hafen...
Und die Lampe löscht aus.

Traumsommernacht
(Ein Lied für Hans Thoma.)

Sommernacht, Traumsommernacht...
Die Brunnen rauschen leise,
die Trauerweide wiegt sich sacht;
nun steigt der Mond in voller Pracht
empor zur Wolkenreise.
Traum und Frieden...
Was hienieden
unruhvoll das Herz verstört,
senkt sich in des Traumes Tiefen.
Und der Ruhe Geigentöne,
die in Tages Lärme schwiegen,
in der heißen Helle schliefen,
seelentiefe, seelenschöne,
kommen nun heraufgestiegen,
werden nun gehört.
Sommernacht, Traumsommernacht...
Ein Rauschen lieb und leise,
die Seele wiegt sich süß und sacht
nach ihrer Geigenweise:
Traum und Frieden...
Hingeschieden
alles, was uns traurig macht.
Sterne glimmen,
Wolken schwimmen,
und das Märchen ist erwacht.

Die schwarze Laute

[110]
Aus dem Rosenstocke
vom Grabe des Christ
ein schwarze Laute
gebauet ist;
der wurden grüne Reben
zu Saiten
gegeben.
O wehe du, wie selig sang,
so erossüß, so jesusbang
die schwarze Rosenlaute.
Ich hörte sie singen
In mailichter Nacht,
da bin ich zur Liebe
in Schmerzen erwacht,
da wurde meinem Leben
die Sehnsucht
gegeben.
O wehe du, wie selig sang,
so jesussüß, so erosbang
die schwarze Rosenlaute.

Ein Pfingstlied

Den Maien führ ich an der Hand,
den Degen an der Seiten,
Pfingstjunker bin ich zubenannt
und will in das gelobte Land
auf meinem Schimmel reiten.
Auf einem Schimmel blührieselweiß
mit seidenen Schabracken.
Der Mai ihn wohl zu führen weiß
mit einem Apfelblütenreis.
Stolz trägt er seinen Nacken.
Doch nicht allein ich reiten mag,
mag nicht alleine reiten,
mich soll durch Tag und Nacht und Tag,
[111]
mich soll durch Feld und Wald und Hag
ein Mädel jung begleiten.
Ein Mädel jung, das soll mit mir
auf meinem Schimmel schacken.
Heida, du helle Maienzier!
Durchs Grüne galoppieren wir,
der Wind bläht die Schabracken.
Nun gehe, Mai, und klopfe an,
wo liebe Mädel hausen,
und sag, ich bin ein rischer Mann,
der seinen Schimmel reiten kann
und im Galoppe sausen.
Führ her zu mir an deiner Hand,
die lieb mich will begleiten.
Der Schimmel scharrt schon in den Sand,
ich muß in das gelobte Land
mit einer Holden reiten.

Lied in der Nacht

Straßen hin und Straßen her
wandre ich in der Nacht;
bin aus Träumen dumpf und schwer
schluchzend aufgewacht.
Tränen,
Sehnen,
Lust und Schmerz, —
Ach, wohin treibt mich mein Herz?
Ach, wohin treibt mich mein Herz?
Steht ein Haus in Grün gebaut
draußen vor der Stadt,
wo der Fluß mit leisem Laut
sein Geströme hat.
Blüten
hüten
dicht es ein;
dort möcht ich zu Gaste sein.
Dort möcht ich zu Gaste sein.

Genug

[112]
Ein Ritter ritt durch das reife Korn,
den Zügel laß und ohne Sporn;
es fraß der breite Gaul im Schritt,
nahm manche gelbe Ahre mit.
Der Sommersonne heller Strahl
lag funkelnd auf dem schwarzen Stahl
des Rüstkleids, das der Ritter trug;
im Schild stand ihm ein Wort: Genug.
Es lag die Lanze vor ihm quer,
darauf die Eisenrechte schwer.
Als er an eine Quelle kam,
den Helm er sich vom Haupte nahm,
kniete nieder in den Kieselsand,
schöpfte Wasser mit der Eisenhand.
Und ließ es wieder fließen dann,
liebreich sah er das Fließen an:
Mein Herz war heiß im Kampfgetos;
mich ließ die Liebe nimmer los;
nun reite ich nach Haus im Schritt
und bringe bloß ein Lächeln mit:
Genug.

Neuweinlied

Das hat Gott-Vater gut gemacht,
daß er zum Herbst den Wein gebracht,
den weißen und den roten.
Die Welt wird alt, der Wein ist jung,
Herz bringt und Beine er in Schwung;
wir tanzen ohne Noten.
Wir tanzen nach dem ältesten Takt,
nach dem im Paradiese nackt
die beiden schon sich drehten,
[113]
die unser aller Eltern sind;
wir tanzen zum Oktoberwind
wie trunkene Propheten.
Daß ihr mir nicht dem Herbste glaubt,
es sei nun alles abgelaubt,
und alle Keime schliefen!
Seht unsern Kranz und unsern Tanz
und unsrer Augen glühen Glanz:
Es wird was in den Tiefen!
Wie dieser junge Wein im Faß
sich gärend regt ohn Unterlaß
bis zu der klaren Stärke,
so braut in uns gesunder Sinn
durch Winternis und Starre hin
zu neuem Frühlingswerke.
Die Gläser alle an den Mund!
Glaubt nicht dem Herbst! Wir sind gesund
und wollen's euch beweisen:
Der Herrgott hoch! Hat's gut gemacht,
daß er zum Herbst den Wein gebracht,
den roten und den weißen.

Apokalypse der Schöpfung

Die abgestorbnen Äste knarren
unheimlich unter meinem Fuß.
Die greisen bärtigen Fichten schnarren
seltsamen Gruß.
Mein Herz versteht der Bäume Schweigen.
Was weiß denn ich? Sie wissen mehr.
Wie altklug sie sich niederneigen
gedankenschwer!
[114]
Mit allen ihren Wurzeln lauschen
sie nieder in den stillen Grund
und tuen sich im Windesrauschen
viel Rätsel kund.
Denn hier der Mutterschoß der Erden
das ewige Geheimnis trägt,
worin sich das Vergehn und Werden
gleichmäßig wägt.
O wie beneid ich diese Ruhe!
Es hat der schaffende Merlin
dem Allerheiligsten als Truhe
den Stamm verliehn.
***
Es treibt der Saft, das Mark in allen Poren —
doch ich verwelke wie dies dürre Laub.
Mein Leben, das zu Qualen nur geboren,
verweht wie Staub.
Ich kenne dich an deiner starren Miene.
Du bist Merlin, o moosbewachsner Fels.
Steh Antwort mir, o Waldfee Melusine,
im Lied des Quells.
Ich grabe forschend hier nach Wurzelknorren.
Urwurzel du vom morschen Lebensbaum,
Igdrasil, möchtest du doch ganz verdorren
im Weltenraum!
Die Störche dort im Försterhause klappern,
der Kuckuck reizt mit liederlichem Spott —
die Liebe weiß nur von Natur zu plappern,
doch nichts von Gott.
Horch, wie die Spechte dummgeschäftig hämmern!
Sind dieser Frühlingserde Konterfei
die Wolken, die so rosig droben dämmern?
O Narretei!
[115]
Gespiegelter Gebilde Widerspieglung!
Die Herde hält den Grasfleck für das All.
Mir scheint ein Blick aufs All des Nichts Besieglung
in jedem Fall.

Aus „Sirenenlieder“

Mein Stern, kennst du mein Schicksal?
Vor dir rollt jede Wolke,
du Stolzer, auseinander...
Doch unterm Erdenvolke
da wander ich und wander
mit müdem wundem Fuß
und les' im Sternenbuch
gewirkt mein Leichentuch.
Vernimmst du meinen Gruß?
Mein Stern, kennst du mein Schicksal?
Was soll mir eine Wohnung,
die nicht mein Wille wählte?
Das Leben kennt nicht Schonung,
das Sterben nicht Belohnung...
Du, der ins Sein mich quälte,
mein Stern, kennst du mein Schicksal?
Sieh, wie die Wolke dort zerfließend lang
sich breitet über seinen Strahlengang!
Schon in des Himmels tiefere Tiefen steigt
er auf zu höherer Kreisbahn Herrlichkeit.
Mein Stern sich neigt,
bald ist es Zeit.
***
Ich kniete lauschend hin am Wasserfalle,
Rotkehlchen sangen nur am Efeuwalle.
Ich betete zum unbekannten Gott,
das Wasser rauschte nur mit hohlem Spott.
Ich schaute in der Seele Eingeweide,
ich schwebte über allem Herzeleide.
Der Sterne kalter Speer in mir erstach
die Todesfurcht, da ich den Dunst durchbrach.
***
[116]
Das ist der Kirchhof, weiß und still,
wo meine Jugend begraben.
Um das Gemäuer flattern nur
grämlich verschlafene Raben.
Wo wir dereinst gewandelt sind,
da säuseln welke Bäume,
es fällt das Laub, es fällt der Schnee,
es fallen Schleier und Träume.

Kosmische Lieder

Still wie Glas die Silberfläche,
endlos lichter Meerestraum.
Wie von Blütenstaub der Lilie,
wird das Boot betupft von Schaum.
Vollmond dort im tiefen Glanze,
bist der Schild du eines Riesen,
der mit güldner Sternenlanze
hier gepirscht auf Seewaldwiesen.
***
Das Meer blitzt kupferölig,
ein gallengrüner Pfuhl...
Doch mich birgt einsam Schatten
auf hartem Klippenstuhl.
Mag dräuen mir zu Häupten
der wüste Menschenorkan...
Rast hin, Vermaledeite!
rast hin ohne Ziel und Bahn!
***
Hissa, hussa jauchzt der Wind,
daß die Bäume knacken.
Hei, der wilde Jäger treibt
seine grimmen Bracken.
Aufgelöst als Leichenstaub
so in Sturm und Regen,
das alleine wäre Glück,
durch die Welt zu fegen.
[117]
Körperleben — morscher Baum,
der in sich verdorrte.
Nur der Sturm des Todes bricht
uns der Freiheit Pforte.

Erde

Das keimte rings. Ich saß beim Erlenstand,
es dufteten die braunen Frühlingsschollen,
und lange Schatten fielen in das Land,
ich sah das späte Gold der Sonne rollen.
Dann kam er leis, der Tod, im Wanderrock.
Was willst du? sprach ich dumpf, willst du mich knicken?
Er kniff den Mund und stieß den Sensenstock
ins Feld und sagte unter tiefen Blicken:
„Noch lange nicht. Was willst du? Sieh, du träumst
von ungenoßnen und genoßnen Stunden,
und während du die beste Kraft versäumst,
hast du mich nun im voraus schon empfunden.
Nimm diese Handvoll Erde da! Greif zu:
forme dir deine Lüste, Schmerzen wieder
zu deiner Lust. Sie leben! so wie du,
und so wie dich mäh ich sie einmal nieder.
Und wie aus deinem sprießt aus ihrem Blut
ein junges, nacktes, freudedurstiges Leben,
auch dieses knick ich einst, viel junge Glut
hat noch der alte Bauch der Welt zu geben!“
Er ging. — Ich hielt... hielt Erde in der Hand,
begann ein lieb Gesicht draus zu gestalten.
Dann schritt ich durch mein dunkles Heimatland,
sah in mir einen Frühling sich entfalten.

Unterwegs

[118]
Und als ich an den Schattenbusch kam
tief im Heidegrund,
da schlief unter wilden Rosen
ein Bub mit zerlumpten Hosen.
Und als ich ihn frisch beim Arme nahm,
ihn fragte nach Weg und Stund,
wehrte er dem Sonnenglast,
lallte sein Mund:
„Mir war, ich lag im Marmorpalast
in einem neuen Kleide.
Ein hohes Mädchen kam und trug —
sie rauschte ganz von gelber Seide —
einen großen Krug,
und sie neigte zu mir den Rand,
und ich sog und küßte ihr stumm die Hand,
die duftete wie Heide.“
Und die Lider sanken ihm wieder zur Ruh.
Grell flitterte der Sonnenglast,
und leise leise schritt ich zu,
ließ ihn im Marmorpalast.

Das Haus

Das sind die runden Bäume,
die Wiesen sind von Blumen schwer,
drüben schimmert das Haus.
Hier ging, versenkt in seine Träume,
mein toter Vater hin und her.
Über den Weg huscht eine Maus.
Mir ist: ich höre seinen Schritt,
und ich bin klein und gehe mit,
und Funken glimmen auf im Grund.
Mein Auge hängt an seinem Mund,
daß er mir Antwort sage
auf eine große Frage.
[119]
Es glänzt sein Bart im Dämmerlicht,
und ruhig leuchtet sein Gesicht.
Was fragte damals wohl mein Mund! —
Horch: fremde Knaben singen
in unserem Haus.
Und nun breitet die Nacht ihre Schwingen
auf alle Menschen aus.

Am Rande

Ich saß am Rande der Unendlichkeit
und sah die dunklen Wellen leise beben.
Mir war: mein Herz versank vor langer Zeit.
Ich führte wie der Fels ein stummes Leben.
Und eine Ruhe lagerte umher,
in der unmerklich alles sich bewegte.
Mit jedem Tage spürte ich es mehr,
wie Kälte sich auf meine Seele legte.
Da kam ein Frühling und ich hörte laut
in mir die Sehnsucht ihre Flügel schlagen,
die fernen Häuser glänzten so vertraut,
ich ließ mich in das Reich der Menschen tragen.
Ich lag dem Leben an der vollen Brust.
Ich sah: in eines schwankt Wissen und Wähnen.
Ich sah die Brücke zwischen Schmerz und Lust,
und alle Schönheit rührte mich zu Tränen.
So schreite ich über die Erde, muß
in tiefem Glanze alle Dinge sehen,
denn hinten höre ich den dunklen Fluß,
in dem die Dinge werden und vergehen.
Die Sonne blitzt und eine Wolke gießt,
gleich wird ein Regenbogen sich entfalten.
Er strahlt! In sieben Farben! und zerfließt! ...
Und meiner Seele bleibt sein Bild erhalten.

Mein Wesel

[120]
Morgens um acht Uhr müßt ihr's sehn,
wenn die Mädel zur Schule gehn,
wie das vorbeidrängt mit Lärmen und Hasten,
Arbeiter, Bauern, Gymnasiasten,
und auf dem Markt, das nenn ich Glück,
hurra! die Regimentsmusik.
Das blinkt und glitzert im Sonnenschein,
die liebe Jugend hinterdrein,
und bis zum Tor im strammen Tritt,
zieht stolz die kleine Garde mit.
Ich kenne wohl andre Heimatstädte,
keine doch, die ich lieber hätte,
keine, die in der Rosenzeit
so voll tiefheimlicher Seligkeit.
— Ihr lächelt und wollt mich nicht verstehn?
Kommt, wenn die Mädel zur Schule gehn!

Wanderung

Der Abend dämmert überm Heideland,
tauglitzernd neigen sich die Ginsterdolden,
mit jedem Schritt versinkt der Fuß im Sand,
ein letzter Streif verschimmert schmal und golden.
Entlang den Bahndamm dehnt sich's flach und frei
von abertausend bunten Feuerzungen,
mit grellen Augen rast ein Zug vorbei,
und ein Signal hat irgendwo geklungen.
Dahinten — weit — versinkt das Häusermeer
im hellen Glanz entflammter Gaslaternen,
im Walzwerk dröhnt der Hammer dumpf und schwer,
die gelben Funken sprühen zu den Sternen.
[121]
Zwei matte Fenster noch im Kätnerhaus
umsingt der Wind, eh sie in Nacht verglühten,
und immer weiter wander ich hinaus
durch Gras und Staub und rote Heideblüten.

Abend im Hyde Park

Spätdämmerstunde, tiefe, wunderbare,
geheimnisvolle Künderin der Nacht...!
Blumen im Haar, auf goldverbrämter Bahre,
wird nun mein toter Tag zur Ruh gebracht.
Die Sehnsucht folgt dem Wanderzug in Fernen,
die nie ein Wunsch erspäht, kein Traum gesehn,
schon flimmert und verglimmt der Glanz von Sternen,
und leis umhaucht mich kühler Winde Wehn.
Der feuchte Kies erhallt von leichten Schritten,
zwei Schatten schwinden, wo der Ahorn blüht.
Das warme Glück ist scheu vorbeigeglitten,
wohin...? Noch sind die Wipfel überglüht.
Aus tiefen Zweigen tönt das süße Rollen
der Nachtigall laut durch die dunkle Flur,
ich lausche, lausche — heimatlos — verschollen —
ein Mensch, ein Nichts, ein müder Herzschlag nur.

Der Künstler

Ich ging auf fremden Gartenwegen,
die Brunnen waren still und tot,
da trat ein Knabe mir entgegen,
der mir die schönsten Rosen bot,
er sprach: „Die Schwester wartet dein,
tritt ein.“
Da lag, als wär es längst verlassen,
von hohen Ulmen dicht umdrängt,
ein graues Haus, die Steinterrassen
von Moos und Ginster oft zersprengt;
mit leichtem Fuß eilt ich hinauf,
das Tor stand auf.
[122]
Nie sah ich je so müde Leere,
nie solche tiefe Einsamkeit,
wie eine Insel fern im Meere,
von ewigem Winter überschneit, —
doch fühlt ich eine warme Hand
in meiner Hand.
Und sanft, mit bittender Gebärde,
löst ich, als sei mein Tag erfüllt,
des Kleides schimmernde Beschwerde,
die einen Götterleib verhüllt.
Doch jene bog das Haupt zurück:
„Sieh dein Geschick!
Ich weiß, dich wird der Gram verzehren
nach dieser Stunde ewiglich,
ich kann dir keine Gunst gewähren,
und dennoch, Fremdling, liebst du mich!
Nimm diesen silbernen Pokal,
drin schläft die Qual!
Und immer, wenn die Sterne sinken,
hebst du ihn stöhnend an den Mund,
du wirst ihn leeren, mußt ihn trinken,
bis in den Tod, bis auf den Grund.
Ich aber, durch dein Menschenleid,
lebe von Ewigkeit zu Ewigkeit!“

Prag

Tauche auf in Abendschöne
über Türmen, altes Prag,
und mit goldnen Fenstern kröne
der Hradschin den Werketag.
Von den Kirchen in die Gassen
rinnt des Schweigens dunkle Flut,
[123]
nur der Moldau Wogenmassen
kochen wie empörtes Blut.
Und ein Heer von Schatten reitet
über Brücken hoch von Stein,
und es teilt sich und es gleitet
in die Winkelstadt hinein.
Friedhofstür geht auf. Die spitzen
alten Blöcke dicht gedrängt,
kaum daß sich in schmalen Ritzen
Moos durch grauen Marmor zwängt.
Tausend Köpfe ohne Regung
wie geduckt vor der Gefahr,
und auf einmal kommt Bewegung
in die ungeheure Schar.
Steine springen aus der Erde,
schwere Steine aus der Gruft,
nun zerreibt die wilde Herde
Fledermäuse in der Luft.
Plötzlich stürzt der Tanz der Steine,
und sie ragen kunterbunt...
alle ruhn im Dämmerscheine
noch wie taumelnd auf dem Grund.

Der Vater

Ich kenne dein Gelüst nach Herrlichkeit,
nur ich, dein Blut,
und ahne deinen Königsübermut,
sie aber gaben dir des Dienstes Kleid.
Wär dein Geschick der heißen Sehnsucht gleich,
es wär entloht,
ein kühner, goldvergeudender Despot,
so aber wurdest du an Liebe reich.
Der Liebe Kranz, mir drückt er schwer das Haupt,
o, nimm den Dank!
Und in geheimster Seele weiß ich lang:
du glaubst dem Sohne, weil du dir geglaubt.
[124]
Die Nöte überritten deine Saat,
sie liegt zerknickt.
Nur in den Nächten, wo kein Auge blickt,
da heben sich die Halme wie zur Mahd.

Tot

Ich legte dich ins Leichenhemd
voll Inbrunst, und ich fühlte,
wie mir dein nasser Leib so fremd
die heißen Hände kühlte.
Und meine dunkle Angst um dich,
die mich an dich gekettet,
entschwebte: groß und priesterlich
lagst du dahingebettet.
Von mir, von uns, von allen frei,
durchsonnt von fernem Frieden,
sogar von meinem Schmerzensschrei
durch eine Welt geschieden.

Heimkehr

Wieder zog ich in die schmale,
graue, winkeltiefe Gasse,
wo mich alle Leute kennen,
deren Namen ich vergessen,
und dieselben alten Hüte
mich gevattermäßig grüßen.
Kehr ich spät und immer später,
mag ich draußen König werden
und den Erdball umgestalten:
sie sind immer noch dieselben,
und ich wuchs auf ihrem Pflaster,
und ich spielte ihre Spiele,
und so bin ich ihresgleichen.
Und es ist, als wär Verwirrung
draußen aller Kampf gewesen,
und ich wär von langem Fieber
diese Stunde erst genesen.
[125]
Und da stehn sie in den Toren
mit den Frauen, mit den Kindern,
um mir linde Luft und Sonne,
Mut auf neuem Weg zu wünschen.
Wenn ich Dankesworte streue
wie Dukaten für die Güte,
heben sie die alten Hüte
und verneigen sich aufs neue.

Es ist eine alte Stadt —

Es ist eine alte Stadt,
fernab der Städte Heer;
der Sturm braust über die Stadt,
und draußen donnert das Meer.
Es ist ein altes Haus,
verschlossen ist lange das Tor;
aus grauen Mauern sprießen
grüne Halme hervor.
Es ist ein banges Herz
fremd und allein;
die Stadt und das Haus und das Herz —
meine Jugend schlossen sie ein.

Nacht auf dem Felde

Der Tau fiel auf die Felder nieder,
die Nacht war kalt und nebelfeucht;
ich ging durch meine Heimat wieder
und durch ihr rätselhaft Geleucht.
Ein Hirschruf scholl aus weiter Ferne,
ich stand am Wege wie gebannt:
inbrünstig leuchteten die Sterne
auf armes totes Ackerland.

Das zertretene Herz

[126]
Trüb war mein Herz den ganzen Tag,
nun wird es trüber und trüber,
Trompeten und Geigen und Paukenschlag —
Du tanzt mir lachend vorüber.
Es jauchzen Flöte und Klarinett,
du lachst so selig, du Süße!
da springt mein Herz auf das blanke Parkett
und rollt dir unter die Füße.
Es hüpft wie ein roter Kinderball
und hüpft und will nicht ruhen,
es folgt im Saal allüberall
deinen kleinen tanzenden Schuhen.
Die Damen und Herren lachen wie toll,
wie klingt doch Lachen so herzlich!
Ich bücke mich tief und kummervoll
und lächle selber schmerzlich.
Da seh ich dich plötzlich vor mir stehn,
du hast so rührend gebeten:
Verzeihung, — es ist nicht mit Absicht geschehn!
ich habe ihr Herz zertreten...

Einsiedel

Da droben am Berge,
ei, seht doch mal an!
unserm braven Einsiedel
hat's der Mai angetan!
Da droben am Berge,
wo die Nachtigall singt,
da tanzt der Einsiedel,
daß der Kuttenrock springt!
Und nieder zum Dorfe,
ei, seht wie er lauft!
da hat der Einsiedel
sein Kutte verkauft.
[127]
Ei, laßt ihn nur lachen,
was nützt ihn sein Kleid?
das Beten und Wachen
hat alles sein Zeit!
Will Fahrender werden,
will Spielmann sein,
und grün ist die Erden,
und rot ist der Wein!
Da steht der Einsiedel
in Sonne und Glanz!
Jetzt hebt er die Fiedel, —
auf, Mädel, zum Tanz!

Nächte

I.

Das ferne Rauchen selbst der Quellen
verwehte längst und ging zur Ruh,
den silberroten Mondeswellen
neigt sich die nächtige Blüte zu.
Der weiße Flieder atmet leise,
süß über schwüle Rosenpracht
klingt eine wundersame Weise,
und blau verdämmernd liegt die Nacht.

II.

Der Vögel Sonnenlieder starben,
nachzitternd seiner Königin
dehnt blaß sich und orangefarben
der weite Abendhimmel hin.
Und schwüler wird die Luft und wärmer —
dich stört kein Ton! Nur manchmal singt
unhörbar ein Ligusterschwärmer,
der aus den vollen Kelchen trinkt.

Sommervormittag

[128]
Rings in rundblühenden Scharen
steht roter Wiesenklee,
es traben rote Husaren
auf entfernter Chaussee.
Leuchtende Sonnenkronen
glühn über Land und Luft,
es reiten die beiden Schwadronen
in lauter Glanz und Duft.
Die schmetternden Fanfaren
durchklingen die Sommerruh,
die roten Königshusaren
reiten immerzu...

Deine Hand...

Deine Hand so schmal, deine Hand so kühl,
du selbst kaum sechzehn Jahre,
es steigt ein Duft so liebesschwül
aus deinem vollen Haare.
Deine großen Augen irren und glühn
nach droben in Sommergedanken,
wo träumend in dem Blättergrün
Kastanienblüten schwanken,
nach droben in die leuchtenden Höhn,
die tausend Grüße dir schicken,
du selbst so jung, so sündhaft schön
und den Frühling in lachenden Blicken.

Ich und du

Rebhahnruf und Glockenlaut,
ich und du im Heidekraut.
Wandernde Marienseide
macht den Kuppler für uns beide.
[129]
Weiße Fäden uns umschlingen,
Glocken läuten, Glocken klingen,
immer leiser, immer linder,
ich und du — zwei Sonntagskinder.

Wilde Liebe

Noch spielst du die kindischen Spiele fort,
suchst Frühlingsblumen im Hage,
noch klang kein wildes, berauschtes Wort
in deine Mädchentage...
Doch hat sich erst purpurn das Weinlaub gerollt
und sind die Astern gegangen,
und peitscht deines Haares aufleuchtendes Gold
dir sturmgeschüttelt die Wangen,
dann werd ich jählings mit siegender Kraft
deine goldenen Strähnen packen,
dann reiß ich in trutziger Leidenschaft
dein Haupt hintüber zum Nacken,
dann wird meines Mundes brennender Durst
dir von wilder Liebe erzählen,
und droben wird orgelnd der Sturmwind gehn
mit mächtigen Brautchorälen.

In der Vollmondnacht

Brünstig durch die Vollmondnacht
hör ich fern das Damwild rufen,
durch die Schonung, mäuschensacht,
zieht es hin auf scheuen Hufen.
Seltsam packt und ängstigt mich
sein ersticktes Liebessehnen,
und im Herzen fühl's auch ich
brennen wie verhaltne Tränen.

Herbstbeginn

Es geht zum Herbst; die Luft wird seltsam blaß,
die reifen Äpfel fallen dumpf ins Gras,
[130]
die Störche suchten längst den Wanderpfad,
die Nacht wird kalt und Allerseelen naht.
Bald stirbt das Laub, und so kommt eins zum andern.
— Mein lieber Freund, wann müssen wir wohl wandern?

Über den Bergen

Über den Bergen, weit zu wandern,
sagen die Leute, wohnt das Glück,
ach und ich ging im Schwarme der andern,
kam mit verweinten Augen zurück.
Über den Bergen, weit, weit drüben,
sagen die Leute, wohnt das Glück...

Stimme der Sehnsucht

Ich raun dir am Bette in schlafloser Nacht,
ich hab deine Tage so müde gemacht,
und was ich gewesen, und was ich dir bin,
das flutet in ewigem Wechsel hin.
Ich bin ein dunkler, verworrener Klang,
der weit aus Thule herüberdrang!
ich bin deiner Jugend verblühender Traum,
dein erster Kuß unterm Apfelbaum,
ich bin deine heilige Herzensnot,
ich ruf dich im Morgen- und Abendrot —
Deine Felder verkommen, dein Pflug bleibt stehn,
es treibt dich, in purpurne Fernen zu gehn.
Und ich flieg dir voraus, und dein Fuß wird wund,
und immer verdüsterter brennt dein Mund.
Und du schreist nach mir, nach Erfüllung und Licht,
wie du hungerst und frierst! und du findest mich nicht.
Ich bin nur ein Klingen, ich bin nur ein Hauch —
Dein Herz wird schweigen; dann schweig ich auch.

Hochzeit

Die Graugans zog gen Süden heut
wohl auf geschwindem Flügel,
[131]
da fuhr mit Schall und Brautgeläut,
juchheirassa!
ein' Hochzeit über die Hügel.
Viel helle Geigen mischten sich
und riefen laut und leise,
und klang ein süßer Bogenstrich,
juchheirassa!
verbuhlt aus ihrer Weise:
„Es wird ein heißes Sternlein stehn
und hundert Nächte scheinen,
und soll dein Kränzel heut verwehn,
juchheirassa!
lieb Mädel, laß das Weinen!
Gib hin, gib hin dein' Jungfernkron! —“
Und weiter scholl der Reigen.
Wie Kinderstimmen schrie es schon,
juchheirassa!
hell aus dem Chor der Geigen.
Das fiel zu Tal und stieg zu Höhn,
die Graugans schwang die Flügel,
und war ein Schall und Lustgetön,
juchheirassa!
noch lang auf Heid und Hügel.

Goldhaar der junge

Es klang wohl über Wälder her
wie einer Geige süßer Ton,
es sang so schön kein zweiter mehr
wie König Goldhaars jüngster Sohn.
Er sang von einer Mühle,
die hat er tief im Traum gesehn,
er sah das Wasser kühle
gar still durch ihre Räder gehn.
Wohl liegt sie weit verborgen
im Schindeldach und grau bemoost,
[132]
da wäscht sich jeden Morgen
die schöne Jungfrau Herzenstrost.
Nach einem Tag voll Kampf und Spiel
hat er sie einst im Traum erschaut,
da ward das Heimweh sein Gespiel
und Sehnsucht seine Herzensbraut.
In allen Ländern trieb's ihn her
und trieb's ihn hin viel Jahre schon,
es sang seitdem kein zweiter mehr
so schön wie Goldhaars jüngster Sohn.
Er sang durch alle Fernen
gleich Engelchor und Cherubim —
Ein Heimweh nach den Sternen
lag tief in seinem Lied und ihm.

Das stille Königreich

Es ist ein stilles Königreich,
ist keinem Land der Erde gleich,
liegt über Wolken und Winden —
O weh, wer wird es finden?
Und wer es find't, ich sag es dir:
Wer so in Sehnsucht lebt wie wir!

Schöne Nacht

Schöne Nacht, Gestirne wandeln
heilig über dir,
und des Tags bewegtes Handeln
stillt zum Traum sich hier.
Was ich sehne, was ich fühle,
ist nun doppelt mein,
ach, in deiner keuschen Kühle
wird es gut und rein!
Und so bringst du diese Erde,
bringst mein Herz zur Ruh,
daß es still und stiller werde,
schöne Nacht, wie du!

Morgengruß

[133]
Heraus, mein Kind! Die Eichenwälder rauschen
den Sturmesgruß dem ersten Lenzestag,
die junge Welt erbraust und Blitze sausen
und Frühlingsdonner krachen Schlag auf Schlag.
Heraus, mein Kind! Der Winter liegt im Sterben,
die letzte Fessel bricht in Feld und Hag,
die kalte Tyrannei geht jäh in Scherben,
die Freiheit glüht im strahlenwarmen Tag.
Heraus, mein Kind, und recke froh die Glieder,
in Sturm und Drang steigt tosend jetzt der Saft,
stimm an aus voller Brust das Lied der Lieder,
Den Psalm der Schönheit ewiger Sonnenkraft.

Heimat

Fränkischer Heimat traute Gauen,
euch mit den Augen des Herzens zu schauen,
ungetrübt, ich preise mein Glück,
so oft meine Seele sich heimgefunden.
Aus Auslands-Fernen
und Traumessternen
bei Tag und bei Nacht in heiligen Stunden,
wie wandelte ich selig die Wege zurück
zu dir, wie grüßt ich dich froh mit Mund und Hand,
meine Frankenheimat, mein Jugendland!
Wald und Wiese, Weinberg und Feld,
stillbesonnte Fluren, sanftgewellte Auen,
durchzogen vom klaren, bedächtigen Main
in schwungvollen Linien,
geschmeidig zwischen waldigen Höhn
und Rebenhügeln und leuchtendem Stein.
Herrlicher als des Südens Pinien
ragende, phantastisch gestaltete Föhren
[134]
auf Bergeskuppen, mit Warttürmen gekrönt
und Burgruinen aus Bauernkriegszeit:
Wie ist dies alles, mein Herz zu betören,
in die Gotteswelt so frei und breit
hineingezeichnet und geformt von ewiger Künstlerhand,
so lieblich von ziehenden Wolken verschönt,
so freudig in hellen Farben getönt,
so gütig vom mildblauen Himmel bestrahlt!
Meine Jugendheimat, mein Frankenland!
Weiß mir nichts Schöneres in der Welt.
Wär mir nicht feil um Rothschilds Geld.
Kluge und liebe Menschen, heldische Männer und Frauen,
der Schönheit, der Freude, der Lust vermählt,
mußten hier ihre Hütten bauen,
kein Gut der Erde hat ihnen gefehlt.
Und wie heimlicher Reize ist voll dies Land
zwischen Würzburg und Rothenburg an der Tauber,
in Künsten und Liedern lebt's, es singt's des Weines Zauber.
Von Nürnberg in seiner Wunderpracht
bis Frankfurt, wo uns Goethe erstand,
Hans Thoma seine Werkstatt fand,
lebt je ein Mensch in deutschem Land,
dem darob nicht das Herz im Leibe lacht?
Erführ ich's besser, ich sagt's euch noch.
Franken hoch!
Nichts, wo ich auch suchte, kommt dir gleich,
mein Jugendsonnenreich,
mein Friedensreich.

Pygmäen

Die Zeit ist tot, da große Helden schufen,
die mit der Fackel der Begeisterung,
mit kühn erhabenem Gedankenschwung
des Lebens florumhüllte Stufen
[135]
und weiter — weiter bis zum Gipfel klommen,
wo ihnen vor den sehgewaltigen Blicken
jach barst der Vorhang mitten in zwei Stücken —
wo über sie der Friede dann gekommen!
Die Zeit ist tot — die Zeit der großen Seelen,
wir sind ein ärmlich Volk nur von Pygmäen,
die sich mit ihrer Afterweisheit frevelnd blähen
und dreist sich mit der Lüge Schmutz vermählen,
mit jener Lüge, die da Prunk und Kronen
um leere Schädel flicht, um schmale Stirnen
das Diadem der Gottentstammtheit schlingt,
die Weihrauchduft ohnmächtigen Götzen bringt!
Was wir vollbringen, tun wir nach Schablonen,
und unsre Herzen schrein nach Gold und Dirnen,
und keinen gibt's, der tief im Herzen trüge
den Haß, der aufflammt gegen diese Lüge —
Wir knieen alle vor den Götzen nieder
und singen unserer Freiheit Sterbelieder.

Das verlorene Paradies

Es hat die Dirne mich geküßt:
da ward ich von süßem Taumel trunken,
und als ob es Frau Venus selber wär,
bin ich ihr an die wildwogenden Brüste gesunken...
Es hat die Dirne mich geküßt,
ihre reifroten Lippen auf den meinen erblühten —
da vergaß ich die harte Not und den Tod
und meiner Mutter liebfrommes Behüten...
Es hat die Dirne mich geküßt —
da war's mir, als quöllen Flammenbäche
wie der Hölle Sengstrom durch meinen Leib,
als ob bacchantische Brunst mir den Schädel zerbreche...
Es hat die Dirne mich geküßt —
schluchzend lag ich vor ihr im Staube —
da war's mir, als stürbe der Gott in mir,
als stürb an sündlose Lieb mir der Glaube...
[136]
Es hat die Dirne mich geküßt,
da wußt ich, daß ich die Seele verloren —
da wußt ich, daß ich dem Schächer gleich,
meine Seele der Hölle zugeschworen! ...
Es hat die Dirne mich geküßt —
wohl trink ich in ihren Armen Wonne — —
in meinem Herzen aber ist Finsternis,
und verdorrt ist mir des Glückes Bronnen! ...
Verdorrt ist mir der lebendige Mut,
für meine Brüder die Gasse zu bahnen, —
zerbrochen hab ich die blitzende Wehr,
zerbrochen die wurfzerfetzten Fahnen...
Seitdem die Dirne mich geküßt
kann ich nur ihr gehören zu eigen — —
in Brünsten umklammre ich den weißen Leib
und küsse sie — und der Rest ist Schweigen...

Tiefste Qual

Hast du des Daseins tiefste Qual empfunden?
Kam über dich einmal der wilde Schmerz,
der zu dir schreit aus deiner Seele Wunden?
Es krampft sich in Titanenweh das Herz,
vom Daseinsekel angepackt, zusammen,
und von der Lippe stiehlt sich Hohn und Scherz,
verweht von deines Schmerzes Riesenflammen.
Du sinnst und sinnst... in tollen Takten fliegt
dein Puls — — als müßtest du den Fluch verdammen,
der felsenschwer auf deiner Seele liegt —
den Fluch verfluchen — ja als müßtest du
die Welt verfluchen, die dich eingewiegt
in deiner Jugend süße Märchenruh,
um dich zu hartem Qualendienst zu wecken:
So ist es dir! — Das Auge schließt sich zu —
[137]
der Schmerzen Wogen glätten sich und strecken
gebändigt sich, wie fromme — Tigerkatzen,
zu deinen Füßen hin — bis sie sich recken —
empor sich recken und mit Riesentatzen
dich niederschlagen, daß du wie ein Sklav
um Gnade betteln mußt bei — Götterfratzen! ...
— — — — — — — — — — — — — — —
— — — — — — — — — — — — — — —
Komm über mich, o traumlos ewiger Schlaf! ...

Sommerrosen

Ich wollte dich mit Rosen überschütten,
mit roten Rosen dein goldbraunes Haar
und deines Mieders Knospenrundung schmücken...
Als noch der Lenz mit süßem Veilchenodem,
ein milder Sieger, durch die Lande schritt,
sprach ich zu dir: Geliebte! hat sein Mund
mit letztem heißem Abschiedskuß die Rose,
die rote Sommerrose, aufgebrochen,
dann will ich zu dir kommen und mit Rosen,
mit roten Rosen deine Schönheit krönen...
Nun kam der Sommer... und der Rosen Fülle
seh ich allorts und alle Stunden blühn...
die ganze Welt scheint ihrer Macht verfallen
und ihre Keusche wirbt Vasallen um Vasallen...
Selbst einen Bettler sah ich heute lächeln,
als sein vertränter Blick von ungefähr
auf einen Korb mit roten Rosen fiel...
Ich kauf sie in der ganzen Stadt zusammen
und schütte sie auf tote Liebesflammen...
— — — — — — — — — — — — — —
Nun schmückt ein andrer wohl dein Knospenmieder,
und morgen wohl begegne ich euch beiden...
ich blick euch lächelnd nach...
und denke ganz aus Zufall
bei der Gelegenheit an einen Frühlingstag,
[138]
da wir uns sahn... am Abend dann
schlug uns die Nachtigall in ihren Bann,
umduftete uns süß der Flieder...
Wir aber liebten uns...
— — — — — — — — — — — — —

Fragment

Wir gehen so stumm nebeneinander
und haben das Herz doch so voll...
süß duftet der Oleander
aus deiner Locken Geroll...
Mit ihren schwellenden Armen
klammert die Leidenschaft
sich mir um die Brust... sie packt mich
mit wilder, dämonischer Kraft...
Ich möchte dich an mich reißen,
dich überströmen mit Glut —
schwelgen in deinen weißen
Armen und rauschende Flut
süß betäubender Minne
schlürfen aus blitzendem Krug...
und mit seligem Sinne
feiern den süßen Trug...

Gewißheit

Ich weiß — ich weiß: nur wie ein Meteor,
das flammend kam, jach sich in Nacht verlor,
werd ich durch unsre Dichtung streifen!
Die Laute rauscht. Es jauchzt wie Sturmgesang, —
wie Südwind kost, — es gellt wie Trommelklang
mein Lied und wird in alle Herzen greifen...
Dann bebt's jäh aus in schriller Dissonanz...
Die Blüten sind verdorrt, versprüht der Glanz —
es streicht der Abendwind durch die Zypressen...
Was ich geträumt: sie geben ihm Gestalt —
ich aber werde bald vergessen...

Geruch der Walderde
Aus „Gesänge der Düfte“

[139]
Unter schwarzen, röchelnden Algen,
scharfen Harzen, roten Blättern
stumm eine qualmende Quelle.
In lallender Welle sengender Wein,
Nelken, entzündet, scharlachwild,
müdes Glimmen schwüler Amethysten.
Kühler Narzissen weiße Stimmen
singen und lachen im Welken.
Nächte fliehen auf eisigen Schwingen,
heiß schleichen der Wein und die Nelken.

Jasmin
Aus „Gesänge der Düfte“

Wachsbleich die Sommernacht,
auf erddunkeln Moderlachen
singen rosigblaue Irislichter.
Wetterleuchten, schwefelgrün in Splittern,
eine weiße dünne Schlange sticht
züngelnd nach dem blassen Mond.

Am süßen lila Kleefeld vorbei
Aus „Reliquien“

Am süßen lila Kleefeld vorbei,
zu den Tannen, den zwei,
mit der Bank inmitten,
dort zieht wie ein weicher Flötenlaut
der sanfte Fjord,
blau im Schilfgrün ausgeschnitten.
Gib mir die Hand.
Die beiden Tannen stehen so still,
ich will dir sagen,
was die Stille rings verschweigen will.
Gib mir die Hand...
Gib mir in deiner Hand dein Herz.

Maimond über dem Dach
Aus „Reliquien“

[140]
Maimond über dem Dach,
Maimond sieht in das Haus,
golden stehen die Scheiben,
Sehnsucht leuchtet heraus.
Draußen Blatt bei Blatt
schlafen dunkel die Bäume,
drinnen unter dem Dach
liegt die Liebe wach.
Schwüre glühen im Dunkel,
funkeln hinaus in die Nacht.

Die Nacht lastet hart
Aus „Reliquien“

Die Nacht lastet hart.
Alt starrt die schwarze, erkaltete Erde.
Mein Herz will jung schwingen,
meine Lippen sind buttvoll,
mein Blut will singen.
Meine Adern möchten die Erde zersprengen,
mein Herz in den Weltraum
als Erde hängen,
als siedende Erde.

Ich habe sogar zum Himmel gerufen
Aus „Reliquien“

Ich habe sogar zum Himmel gerufen,
er ließ einen Regenbogen prangen,
ich wollte dich doch lachend und weinend
mit allen Himmelsfarben empfangen...
Ich stand auf den Klippen
und schaute und schaute,
das Auge hungrig,
das Herz glückschwer,
ich sandte die Möwen,
nach dir zu spähen,
hinaus auf das leere, herzleere Meer;
der Himmel welkte,
die Nacht hob sich ernst,
ernster und kälter als alle Nächte;
sacht stieg ich nieder,
ging sacht zum Haus,
ernster und kälter noch als diese Nächte.

Meine Augen voll Asche
Aus „Reliquien“

[141]
Meine Augen voll Asche,
meine Ohren haben die Töne verloren,
Bäume, Wind, Gestein,
eure Sprache fällt mir nicht mehr ein,
höre im Weltraum nur mich,
mein wildes, hungerndes Ich.

Wer rief?
Aus „Reliquien“

Wer rief?
Ich fliege auf, erschreckt,
die stille, bleiche Kerze wacht.
Mein Bett so weiß,
und um mich abgrundtief die Nacht.
Mein Herz, das mit der Erde schlief,
steht aufgereckt.
Wer rief? Wer rief?
Ein Wolfhund keift an meiner Tür,
sein Aug greift scheel nach meinem Herz,
sein Zahn greift hart nach meinem Blut,
mein Blut erstarrt.
An alle Wände pochen Hände.
Wer pocht? Wer pocht?
Die Erde pocht.
Der Kerzendocht flackt lang und weht,
an meinem Bett die Sonne steht,
und winkt, und geht.
Das Leben geht.
O ist es dies: das Leben geht?
Du bist der Tod?
Die Erde, die ich einst verließ,
die dunkle Erde pocht und ruft,
und ruft mich aus der Luft zurück.
Die Luft war rot.
„Sei mein, sei mein!“
Ich wehre nicht,
ich fliehe nicht.
[142]
Ich höre nur, die Erde spricht:
„Mit jedem Gliede bist du mein!“
Und dann war Friede.

Die Glocken läuten in den Stühlen
Aus dem Buche „Herzlied“

Die Glocken läuten in den Stühlen, wenn sich der Mittag stolz erfüllt,
so läutet jubelnd mir das Blut, wenn ich dich küsse, und die Sehnsucht stirbt.
Ich war wie die erfrornen Bäume armselig und blind vor der Sonne,
doch als unsere Blicke sich kreuzten, rauchte mein Herz.
Wie ein Stahl steckt mir dein Blick in der Brust,
ziehst du ihn aus, muß ich verbluten und sterben.

Ich schaute in den Garten
Aus dem Buche „Herzlied“

Ich schaute in den Garten, da schaute mir die Glut einer Rose entgegen,
ich fühlte sie aus der Ferne in meiner Hand wie deine Liebe.
Seit ich dich küsse, geht die Zeit der Rosen nicht aus,
der Garten lacht mit roten Lippen wie du.
Tag und Nacht sind kaum wie ein Fächerschlag
und ein Jahr ist nur ein Hahnenschrei,
ich lebe es mit geschloßnen Augen.

Die Raben schreien wie verwundet
Aus dem Buche „Herzlied“

Die Raben schreien wie verwundet
und prophezeien Nacht und Not.
Der Frost hat jede Tür umstellt
und der Hungerhund bellt.
Wir halten uns immer enger umschlungen,
im Küssen fanden wir noch kein Wort,
die Lerchen haben sich tot gesungen
und Wolken wälzten den Sommer fort.
Doch dein Haupt, das in meinem Arm sich wiegt,
weiß nicht mehr, wo die Erde liegt.

Am Wege

[143]
Ich kannte eine. Wie sie hieß?
Wer nennt das Wort, das mir verklang?
Vergessen ist's. Ich weiß nur dies:
daß ich sie liebte und umschlang.
Das Lied von der, die mir entschwand,
singt nun der Nachtwind meinen Ohren —
Am Wege hab ich sie verloren,
die sich zu mir am Wege fand...

Turm der Schrecken

Ein böses Traumgesicht hab ich geträumt.
Wer mir es deuten kann, soll Antwort geben.
In eines Turmes Nächten sah ich zwei
zum Tod gefangen um geheime Sünde.
Unkund selbst ihnen. Eingenistet hatte
sich allenthalben Finsternis. Sie schlug
in beider Augen ihre spitzen Fänge.
Sie gänzlich blendend, so daß ihrer keines
des anderen Gegenwart empfinden konnte.
Einmal im Jahre, nur ein einzigmal
stand so die Sonne, daß durch eine Ritze,
die nah der Wölbung sacht sich aufgetan,
ein Licht sich stahl in ihre Dunkelheiten.
Ein schmales Stäbchen glomm es auf dem Boden
und flirrte zitternd.
Sich erhoben beide
vom Estrich, drauf sie Jammer hingestreckt,
und hinter sich die schwere Kette schleifend,
so nahten sie einander, sahn sich an
im ungewissen Licht mit Zweifelblicken
der Mann, das Weib. Ein mächtig Wohlgefallen
fand jegliches am andern. Und sie boten
die Hände sich — nicht litt die Fessel weiteres —
[144]
und Trostesworte tauschten sie — unsinnig,
und dennoch mit geheimer Zuversicht
das Herz erfüllend.
Dann erlosch das Licht,
und mächtig rauschend schlug die Finsternis
um sie den Fittich. Sie verharrten so
verschlungner Hände, bis die Müdigkeit
zum Scheiden zwang. Doch klang fortan ein Flüstern
oft heimelnd durch den Raum, und jedes zählte
die Tage, Monde, bis zum künftigen Jahre,
zum Augenblick des Lichts, danach sie bangten.
Ein böses Traumgesicht hab ich geträumt.
Wer's immer deuten kann, soll Antwort geben.

Lethe

Im Irren war ich überlang gegangen,
nun senkte heimwärts sich mein müder Pfad;
ich saß allein; der Himmel war umhangen,
und schluchzend schlug die Seeflut ans Gestad.
Zum Ufer sah ich starke Wogen rollen,
stahlgrün geharnischt und die Helme blank;
ich sah ihr Drängen und vernahm ihr Grollen,
indes ein Träumen meine Brust bezwang.
Und da ich so, die Augen halb geschlossen,
in wachem Schlummer saß und einsam sann:
ahnt ich, wie alles, das ich kaum genossen,
wie selbst das helle Bild um mich zerrann.
Das Leid verflog, das ich als mein empfunden,
die Stürme schwiegen, die in mir gewühlt;
ich rührte sacht die Narben alter Wunden,
ich hab verwundert keinen Schmerz gefühlt...
Begehrt ich einst, das Glück der Welt zu zwingen?
und schlug mein Herz verlangend einst und heiß?
mir schien mein Sein, mein Wollen und mein Ringen
ein wüster Traum, des Ende niemand weiß.
[145]
Geträumt die Schläge, die zu tiefst mich trafen,
geträumt auf meinem Pfad das späte Licht...
als wäre meine Seele längst entschlafen —
woran und wie? ich weiß es selber nicht...

Mein Trinklied

Noch eine Stunde, dann ist Nacht;
trinkt, bis die Seele überläuft,
Wein her, trinkt!
Seht doch, wie rot die Sonne lacht,
die dort in ihrem Blut ersäuft;
Glas hoch, singt!
Singt mir das Lied vom Tode und vom Leben,
djagloni gleia glühlala!
Klingklang, seht: schon welken die Reben.
Aber sie haben uns Trauben gegeben!
Hei! —
Noch eine Stunde, dann ist Nacht;
im blassen Stromfall ruckt und blinzt
ein Geglüh.
Der rote Mond ist aufgewacht,
da kuckt er übern Berg und grinst:
Sonne, hüh!
Singt mir das Lied vom Tode und vom Leben,
Mund auf, lacht! das klingt zwar sündlich,
klingklang, sündlich! Aber eben:
trinken und lachen kann man bloß mündlich!
Hüh! -
Noch eine Stunde, dann ist Nacht;
wächst übern Strom ein Brückenjoch,
hoch, o hoch.
Ein Reiter kommt, die Brücke kracht;
[146]
saht ihr den schwarzen Reiter noch?
Dreimal hoch!!!
Singt mir das Lied vom Tode und vom Leben,
djagloni, Scherben, klirrlala!
Klingklang: neues Glas! Trinkt! wir schweben
über dem Leben, an dem wir kleben!
Hoch! —

Hieroglyphe

In allen Tiefen
mußt du dich prüfen,
zu deinen Zielen
dich klar zu fühlen.
Aber die Liebe
ist das Trübe.
Jedweder Nachen,
drin Sehnsucht singt,
ist auch der Rachen,
der sie verschlingt.
Aber ob rings von Zähnen umgiert,
das Leben sitzt und jubiliert:
Liebe! —

Venus Primitiva

O daß der Kuß doch ewig dauern möchte
— starr stand, wie Binsen starr, der Schwarm der Gäste —
der Kuß doch ewig, den ich auf die Rechte,
tanztaumelnd dir auf Hals und Brüste preßte!
Nein, länger duld'ich nicht dies blöde Sehnen,
ich will nicht länger in verzücktem Harme
die liebekranken Glieder nächtens dehnen;
o komm, du Weib! komm! betteln meine Arme.
O komm! noch fühlt dich zitternd jeder Sinn,
vom heißen Duft berauscht aus deinem Kleide;
noch wogt um mich, du Flammenkönigin,
und glüht im Aschenflor die Kupferseide.
[147]
Gieß aus in mich die Schale deiner Glut!
ich dürste nach der Sünde: nach dem Grauen
vor dieses Feuerregens wilder Brut,
vor diesen Wehn, die wühlend in mir brauen.
Es schießt die Saat aus ihrem dunklen Schoß,
die lange schmachtend lag in spröder Hülle;
ich will mich lauter blühn, lauter und los
aus dieser Brünstigkeit zu Frucht und Fülle!
O komm! satt bin ich meiner Knabenlust.
Komm, komm, du Weib! Nimm auf in deine Schale
die Furcht, die Sehnsucht dieser jungen Brust!
Noch trank ich nie den Rausch eurer Pokale.
Auf Nelkendüften kommt die Nacht gezogen;
o kämst auch du so süß und so verstohlen,
so mondesweiß! O sieh: auf Sammetwogen,
auf Purpurflaum, auf schwärzeste Violen
will ich dich betten, oh, dich an mich betten,
daß alle meine Mächte an des Weibes
blendenden Göttlichkeiten sich entketten,
hinschwellend in den Teppich deines Leibes!

Helle Nacht
(Nach Verlaine)

Weich küßt die Zweige
der weiße Mond;
ein Flüstern wohnt
im Laub, als neige,
als schweige sich der Hain zur Ruh,
Geliebte du.
Der Weiher ruht, und
die Weide schimmert;
ihr Schatten flimmert
in seiner Flut, und
der Wind weint in den Bäumen.
Wir träumen — träumen.
[148]
Die Weiten leuchten
Beruhigung;
die Niederung
hebt bleich den feuchten
Schleier hin zum Himmelssaum.
O hin — o Traum.

Beichtgang

Ich war der Herr der Welt vor dir,
im Traum;
wie eine Sonne warst du mir,
im Traum.
Ich schmückte dich mit allen guten
Glücksehnsuchtsgluten
in diesem Traum,
und hieß dich leuchten, ließ dich schweben.
Und habe mich in den Staub gebogen,
vor dir, im Traum,
und dich belogen und betrogen
im Staub, im Traum —
komm, laß uns leben!

Drückende Luft

Der Himmel dunkelte noch immer;
ich fühlte tief bis in mein Zimmer
der fahlen Wolken vollen Schoß.
Die Esche drüben drehte schwer
die hohe Krone um sich her,
zwei Blätter trieben wirbelnd los.
Laut tickte durch die schwüle Stube,
wie durch die stille Totengrube
der Holzwurm ticken mag, die Uhr.
Und durch die Türe hinter mir
klang dünn und schüchtern ein Klavier
über den Flur.
Der Himmel lastete wie Schiefer;
ihr Spiel klang immmer trauertiefer,
ich sah sie wohl.
[149]
Dumpf rang der Wind im Eschenlaub,
die Luft war grau von Glut und Staub
und seufzte hohl.
Und blasser tönten durch die Wände
die tastenden verweinten Hände,
sie saß und sang;
sang sich das Lied, in sich gebückt,
mit dem sie mich als Braut entzückt;
ich fühlte, wie ihr Atem rang.
Die Wolken wurden immer dumpfer,
die wunden Töne immer stumpfer,
wie Messer stumpf, wie Messer spitz;
und aus dem alten Liebeslied
klagten zwei Kinderstimmen mit —
da fiel der erste Blitz.

Venus Regina

Ich träumte, und ich wußte, daß ich träume;
ich träumte, eine Fürstin sei gestorben.
Barhäuptig, nur ein spärliches Gefolge
von Trauernden, so stehn wir auserwählt
in einem grauen Raume, dumpf beengt
vom düstern Kreis der alten Sandsteinsäulen,
vom Balsamdufte, den die Tote atmet.
Am Sarkophage, der von Eisen ist,
steht der gebeugte Fürst; von oben stiebt
ein fahles Licht in die Rotunde, streift
sein jugendliches Haar, den Sarg und flimmert
zu seinen Füßen in der offnen Gruft.
Der Fürst weint. Seine Tränen, einzeln, langsam,
zerblitzen an dem Eisenrand der Truhe,
der Stein des Bodens saugt die Tropfen ein.
Und auf der Truhe les'ich wie im Traum,
nein nicht, ich träume nicht, ich lese deutlich
in großen, grauen, eisernen Buchstaben:
REGINA MORTUA ET SEMPITERNA —
seltsam: die tote, ewig lebende,
die Herrscherin. Ich habe ein Gefühl:
[150]
der Fürst hat seine Gattin sehr geliebt!
Ich höre staunend, wie wir alle singen,
ich selbst mitsingend:
Selig trauern
Edle um ein edles Leben.
Nie verliert sich, was gewesen;
wenn du deines Grams genesen,
wird in Sehnsucht, wird in Schauern
dir dein Wesen
das Verlorne wiedergeben.
Jetzt hat der junge Fürst sich aufgerichtet.
Er wendet sich. Es ist ein Kaiser. Ja:
ich träume nicht: es ist ein deutscher Kaiser,
im Krönungskleide steht er. Nein: es ist:
ich träume doch wohl? ja, du bist mein Freund,
mein einst in Lumpen umgekommner Freund,
in Schuld und Schande, jetzt ein Kaiser — nein:
ich träume nicht: ich selbst, Ich bin der Fürst.
Ich winke. Meine Edeln nahn und heben
und senken mir mein Liebstes in die Gruft.
Ich höre die gestrafften Seile gleiten,
ich stehe abgewandt, ich weine nicht;
nur selbst mit Hand anlegen konnt ich nicht,
nur nicht es sehn, nur diesen Balsamduft
nicht riechen mehr — o singt! singt mir das Lied,
ich kann dies marternde Geräusch nicht hören,
ich will nicht schluchzen! Und im Chore schluchz'ich,
schluchzt das Gewölbe:
Selig preisen
Freie ein befreites Wesen.
Was lebendig ist, will leben.
Lerne mit den Geistern schweben!
Wenn sie dich aus deinen Kreisen
mit sich heben,
bist du deines Grams genesen.
Und ich beherrsche mich. Mein Herz verlangt
nach Licht. Und während hinter mir gedämpft
[151]
die dunkle Halle tönt, tret' ich ins Freie —
taumle —: der blaue Mittagshimmel drückt mir
blendend die Augen zu, betäubend stürmt ein
vieltausendstimmiger Jubel in mein Ohr,
der Atem stockt mir, ich erinnre mich,
ich kann jetzt sehn, es ist mein jubelnd Volk,
ich habe gestern ein Edikt erlassen
„Mein Volk soll fröhlich seine Toten ehren“
so wollte sie's — und wieder stürmt der Jubel.
Sie feiern Frühling. In Terrassen leuchtet,
vom Glitzergrün der Wipfel übersät,
ein weiter Park von Linden unter mir.
Ich steige nieder. Durch das schwärzliche
Gewirr der Äste glänzt das Festgewühl,
flimmern die Wiesen her. Von weißen Tauben
scheint alles Laub durchschwirrt; ein Maigeruch
bewegt die warme Luft und macht sie köstlich.
Doch Tauben fliegen nicht so wellenlinig —
nein, Blütenquirle! Blüten weißen Flieders,
ein Meer von weißen Fliederblüten quirlt
zwischen dem Menschenjubel. Ich erkenne:
sie fassen, sie verlassen sich im Reigen,
im Reigen reichen sie die Blütenzweige
sich dar, und dem Geruch zuschreitend seh ich:
sie sind ganz nackt! Nein: ihre Glieder atmen
ein Licht aus, das sie einhüllt wie ein Schleier
durchsichtig dicht. Um Hals und Handgelenke
schimmern Geschmeide. Ihre Schultern schmücken
zartzarte Flügel wie von märchengroßen
Tagschmetterlingen oder Blumenblättern;
und wer in Blondhaar geht, hat blauen Schmelz,
wer braun ist, feuerroten — nirgends Schwarz.
So tanzt mein Volk und schwingt die Fliederzweige
und ehrt den Willen Meiner Lieben Frau
und sieht mich schreiten, wie im Traume schreit'ich,
und jeder jubelt. Und auf einem Rasen
sprudelt ein Brunnen, den ein Schwarm von Mädchen
singend umwandelt:
[152]
Tröstliche Lüfte
halten im Tode Leben verborgen.
Wissen macht Sorgen.
Wenn er sich drückte an meine Brüste,
wenn er mich küßte,
wußten wir nichts von gestern und morgen.
Mein Krönungskleid beengt mich. Eine Wärme
strahlt wärmer als der Himmel aus dem nackten
Geleucht der Jünglinge und Mädchen — seltsam:
von Schar zu Schar beschau ich mir mein Volk,
es sind nur jugendliche Menschen da.
Von Plan zu Plan sucht mein besorgtes Herz:
auch für die Alten ist doch Frühling! Aber
die Alten, seh ich, sind zu Haus geblieben,
sie murren wohl im Zwielicht ihrer Stuben,
sie kennen nicht mein kaiserliches Herz.
O, meine Jünglinge, singt lauter! ihr,
ihr ehrt den Willen Unsrer Lieben Frau —
o lauter! Und das Laub der Linden bebt
vom Chor der Männer:
Lust ist Verschwenden,
leben heißt lachen mit blutenden Wunden,
Jahre sind Stunden!
Wenn sie an deinen beseligten Lenden
schien zu verenden,
hieltet ihr Höllen mit Himmeln verbunden!
Und immer wärmender wird ihr Geleucht
und immer drückender mein Krönungskleid,
es brennt mich schon, ich werde rasten müssen;
ich will das Fest verlassen! Schon zerfließt
das Spiel der bunten Flügel fern im Grünen,
die Schultern schmerzen mir, der Park scheint endlos.
Die Bäume werden dichter, werden Wald;
ich komme in ein Tal von alten Birken,
ich atme auf. Hier dringt der helle Jubel
nur noch wie heiliges Wipfelbrausen her,
kaum lauter als der Quell, der meinen Schatten
[153]
murmelnd begleitet. Tiefer sinkt das Tal
und biegt um einen Vorsprung, und der Quell
zerrieselt im Geröll zu Silberfäden,
die wie ein Lied — nein: eine Stimme klingt,
das Tal wird Schlucht, ein Strudel blinkert unten,
die Birken streuen ihre Schatten drauf,
ein Brückensteg — und am Geländer lehnen
von Sonnenlichtern überdämmert zwei
der nackten Mädchen. Singend läßt die Blonde
ihr Haar vom Wasserstaub besprühn, ich horche,
ich bebe — träum ich denn? — sie sieht mich, beide
sehn mich und singen:
Warum beben?
Nur im Herzen ist es dunkel.
Was die Tiefen uns gegeben,
auszuleben,
mahnt des Baches Quellgefunkel.
Nein, nicht Traum! nein: mein süßer Schreck ist Leben,
und ihre Stimmen leben, beide lebt ihr!
Du aber, du da mit den Himmelsfarben,
du hast die Stimme Meiner Lieben Frau,
du sollst mein Trost sein, wie sie mir verhieß!
Ja, sie erwartet mich: sie winkt, sie kommt.
Ich sehe, wie der Schimmer ihrer Brüste
zwischen den Birken auftaucht und verschwindet.
Schon hebt sich deutlich von den weißen Stämmen
ihr Hals ab, ihr Türkisenschmuck und Arm,
ihr Gang, und der Rubinenschmuck der andern.
Wie Atemzüge höht und senkt sich sacht
der Flügel Himmelsblau und Höllenrot.
Schon kann ich ihre Augenlichter sehn —
und seh sie, sehe sie, und wieder schießt mir
der süße Schreck vom Herzen in die Schläfen,
denn Du da, du da mit den braunen Augen,
du hast die Augen Unsrer Lieben Frau,
du sollst der Trost sein, den sie mir verhieß! —
Jetzt haben sie sich Hand in Hand gefaßt,
[154]
sie bleiben stehn, sie winken mich heran,
hinab! hin! ich! Sie fliehn; ich keuche schon.
Sie schwimmen durch den Bach ans andre Ufer.
In meinem Krönungskleide breit'ich ihnen
die Arme nach, ihr helles Lachen klingt,
sie stehn und singen:
Kannst du schweben?
Aus dem Tal der Einsamkeiten,
wo die Kräfte sich erheben,
ruft das Leben
heim zum Wettspiel die befreiten.
Sie wenden sich, sie wollen mich verlassen,
wieder hinauf die Schlucht, zurück zum Fest.
Sie brechen Zweige vom Gebüsch, sie kränzen
im Gehn ihr Haar damit — o bleibt doch! wartet!
ich kann nicht nach so schnell! der Wassersturz!
die Brücke liegt zu weit! mein Krönungskleid,
mein schweres Krönungskleid! o wartet doch,
ich werf es ab! da liegt es! O wie leicht
atmet der nackte Mensch! — Das Wasser schäumt mir
um Brust und Schultern. Ich bin drüben; ich
erreiche euch! Sie flüchten. Ich bin schneller.
Ich höre hinter mir ein Schwirren: ich
bin auch beflügelt. Sausend, doppelfarbig,
aus Himmelsblau und Höllenrot geflammt,
treibt mich mein Schwingenpaar der Blonden zu;
ich halte sie. Ich — beide muß ich haben,
dich mit den braunen Augen will ich noch!
Jetzt! Nein. Die Blonde ist entschlüpft. Sie jauchzen.
Sie reichen sich die Hände. Jubelrufe
begrüßen unsre Jagd, Gesang: ein Reigen
tanzt blütenschwingend uns vom Fest entgegen.
Jetzt: zwischen meinen Fingerspitzen — ja:
hier braun, hier blond, ihr fliegendes Haar — und jetzt:
ich halte beide... ach... ich bin erwacht.

Die Harfe

[155]
Unruhig steht der hohe Kiefernforst,
die Wolken wälzen sich von Ost nach Westen;
lautlos und hastig ziehn die Krähn zu Horst,
dumpf tönt die Waldung aus den braunen Ästen,
und dumpfer tönt mein Schritt.
Hier über diese Hügel ging ich schon,
als ich noch nicht den Sturm der Sehnsucht kannte,
noch nicht bei euerm urweltlichen Ton
die Arme hob und ins Erhabne spannte,
ihr dunkeln Riesen rings.
In großen Zwischenräumen, kaum bewegt,
erheben sich die graugewordnen Schäfte;
durch ihre grüngebliebnen Kronen fegt
die Wucht der lauten und verhaltnen Kräfte
wie damals.
Und eine steht, wie eines Erdgotts Hand
in fünf gewaltige Finger hochgespalten;
die glänzt noch goldbraun bis zum Wurzelstand
und langt noch höher als die starren alten
einsamen Stämme.
Durch die fünf Finger geht ein zäher Kampf,
als wollten sie sich aneinanderzwängen;
durch ihre Kuppen wühlt und spielt ein Krampf,
als rissen sie mit Inbrunst an den Strängen
einer verwunschnen Harfe.
Und von der Harfe kommt ein Himmelston
und pflanzt sich mächtig fort von Ost nach Westen,
den kenn ich tief seit meiner Jugend schon,
dumpf tönt die Waldung aus den braunen Ästen:
komm, Sturm, erhöre mich!
Wie hab ich mich nach einer Hand gesehnt,
die mächtig ganz in meine würde passen!
wie hab ich mir die Finger wundgedehnt!
dir ganze Hand, die konnte Niemand fassen!
Da ballt' ich sie zur Faust.
[156]
Ich habe mit Inbrünsten jeder Art
mich zwischen Gott und Tier herumgeschlagen —
ich steh, und schmerzhaft reiß ich mir den Bart:
nur Eine Inbrunst läßt sich treu ertragen:
zur ganzen Welt.
Komm, Sturm der Allmacht, schüttel den starren Forst!
schüttelst auch mich, du urweltliches Treiben.
In scheuen Haufen ziehn die Krähn zu Horst.
Gieb mir die Kraft, einsam zu bleiben,
Welt!

Geheimnis

In die dunkle Bergschlucht
kehrt der Mond zurück.
Eine Stimme singt am Wassersturz:
O Geliebtes,
deine höchste Wonne
und dein tiefster Schmerz
sind mein Glück —

Über den Wassern

Und es rauscht nur und weht.
Es liegt eine Insel, wohl zwischen grauen Wogen.
Es kommen wohl Vögel durch die Glut geflogen,
die blaue Glut, die stumm und stet
die Dünen umschlingt.
Da gebiert die Erde im stillen wohl ihr Empfinden
und nimmt ihre Träume und giebt sie den Wellen, den Winden.
Die Seele eines Weibes singt:
O laß mich still so liegen,
an deiner Brust, die Augen zu.
Ich sehe zwei Wolken fliegen,
die eine Sonne wiegen;
wo sind wir, du?
Und es rauscht und weht.
Es liegt eine Düne, wohl zwischen tausend andern;
[157]
es werden wohl Sterne den blauen Raum durchwandern,
der über den bleichen wilden Hügeln steht
und golden schwingt.
Die Seele eines Mannes singt:
Still, laß uns weiter fliegen,
beide die Augen zu.
Ich sehe zwei Meere liegen,
die einen Himmel wiegen.
O Du —
es rauscht, es weht;
über die heißen Höhenzüge geht
höher und höher der goldne Schein
ins Blaue hinein,
wo das Dunkel schwebt.
Und aus dem Dunkel herüber, auf großen Wogen,
kommt die Einsamkeit gezogen.
Und zwei Seelen singen: Eine Seele lebt,
wohl zwischen den Sternen, den Sonnen, den Himmeln, den Erden,
die will uns wohl endlich leibeigen werden:
es schwellen die Wogen herüber, wie Herzen klingen,
Menschenherzen! — Zwei Seelen singen —

Manche Nacht

Wenn die Felder sich verdunkeln,
fühl ich, wird mein Auge heller.
Schon versucht ein Stern zu funkeln,
und die Grillen klingen schneller.
Jeder Laut wird bilderreicher,
das Gewohnte sonderbarer,
hinterm Wald der Himmel bleicher,
jeder Wipfel hebt sich klarer.
Und du merkst es nicht im Schreiten,
wie das Licht verhundertfältigt
sich entringt den Dunkelheiten.
Plötzlich stehst du überwältigt.

Die stille Stadt

[158]
Liegt eine Stadt im Tale,
ein blasser Tag vergeht;
es wird nicht lange dauern mehr,
bis weder Mond noch Sterne,
nur Nacht am Himmel steht.
Von allen Bergen drücken
Nebel auf die Stadt;
es dringt kein Dach, nicht Hof noch Haus,
kein Laut aus ihrem Rauch heraus,
kaum Türme noch und Brücken.
Doch als den Wandrer graute,
da ging ein Lichtlein auf im Grund,
und durch den Rauch und Nebel
begann ein leiser Lobgesang
aus Kindermund.

Der Arbeitsmann

Wir haben ein Bett, wir haben ein Kind,
mein Weib!
Wir haben auch Arbeit, und gar zuzweit,
und haben die Sonne und Regen und Wind,
und uns fehlt nur eine Kleinigkeit,
um so frei zu sein, wie die Vögel sind:
nur Zeit.
Wenn wir Sonntags durch die Felder gehn,
mein Kind,
und über den Ähren weit und breit
das blaue Schwalbenvolk blitzen sehn,
o, dann fehlt uns nicht das bißchen Kleid,
um so schön zu sein, wie die Vögel sind:
nur Zeit.
Nur Zeit! wir wittern Gewitterwind,
wir Volk.
Nur eine kleine Ewigkeit —
[159]
uns fehlt ja nichts, mein Weib, mein Kind,
als all das, was durch uns gedeiht,
um so kühn zu sein, wie die Vögel sind —
Nur Zeit!

Lied an meinen Sohn

Der Sturm behorcht mein Vaterhaus,
mein Herz klopft in die Nacht hinaus,
laut; so erwacht'ich vom Gebraus
des Forstes schon als Kind.
Mein junger Sohn, hör zu, hör zu:
in deine ferne Wiegenruh
stöhnt meine Worte dir im Traum der Wind.
Einst hab ich auch im Schlaf gelacht,
mein Sohn, und bin nicht aufgewacht
vom Sturm; bis eine graue Nacht
wie heute kam.
Dumpf brandet heut im Forst der Föhn,
wie damals, als ich sein Getön
vor Furcht wie meines Vaters Wort vernahm.
Horch, wie der knospige Wipfelsaum
sich sträubt, sich beugt, von Baum zu Baum;
mein Sohn, in deinen Wiegentraum
zornlacht der Sturm — hör zu, hör zu!
Er hat sich nie vor Furcht gebeugt,
horch, wie er durch die Kronen keucht:
sei Du! sei Du!
Und wenn dir einst von Sohnespflicht,
mein Sohn, dein alter Vater spricht,
gehorch ihm nicht, gehorch ihm nicht:
horch, wie der Föhn im Forst den Frühling braut!
Horch, er bestürmt mein Vaterhaus,
mein Herz tönt in die Nacht hinaus,
laut...

Hohes Lied

[160]
Fern dem Menschenschmerz,
zwischen Eis und Stein:
reines Herz, nun lausche,
du bist nicht allein!
Horch, die Gletscheradern rauschen,
Quellen singen — und ein Geist stimmt ein:
Meine Kinder werden einst
auf dem Regenbogen spielen.
Folgt dem Vater denn, ihr vielen,
bis ihr oben über den schwülen
Schluchten der Berge, durch die er muß,
schimmern dürft!
In die Niederungen
führ ich euch gezwungen,
der ich mit dem Erdreich ringen muß.
Seht, da giebt es Herzen,
die das Reinste schwärzen;
Gift und Geifer tropft in meinen Fluß.
Aber weiter, weiter,
Kinder, auf vom Grund!
Seht, mein Herzschlag läutert
jeden Tropfen — und
alle, alle werden einst
oben auf dem Regenbogen spielen.

Vater- und Mutterliebe

Mein rosiges, lockiges Töchterlein,
bist Wonne mir und Sonnenschein.
Dein zierlicher Schritt und dein Schelmenkinn,
dein klarer Blick, dein heitrer Sinn,
[161]
dein herziges Lachen, dein Händchen glatt,
ich seh und hör mich gar nicht satt.
Und küß ich den taufrischen, kleinen Mund,
bin glücklich ich aus Herzensgrund.
Wie hab ich den Liebreiz, der dich umgibt,
wie lange an deiner Mutter geliebt.
***
Du strammer Bube, mein ganzer Stolz,
von Gott gefügt aus festem Holz.
Treuherziger Sinn, das Auge klar,
just wie es stets beim Vater war.
Wie glücklich bin ich, daß jung du lernst:
die Arbeit fordert heiligen Ernst.
Und daß ich ruhig und voll Vertraun
kann auf dein kindlich Wort schon baun.
Mein Sohn, wie macht es mich stolz und reich,
daß du deinem Vater so gleich.

Die trippelnden Füße

Eilt ich durch die Räume im flüchtigen Schritt,
so trippelten sicher zwei Füßchen mit.
Wohin mich auch immer das Tagwerk gebracht,
zwei Äuglein, die haben mich angelacht,
zwei Füßchen, die waren flink wie der Wind,
die folgten dem Mütterlein geschwind.
Nun ruht, was des prickelnden Lebens voll,
und einst vor Jugendlust überquoll!
Doch ich ziehe wie damals durch das Haus,
und höre im Lärm die Schritte heraus.
Sie folgen mir in der Freunde Kreis,
sie huschen hinter mir, flüchtig und leis.
So leis wie ein Hauch und doch so schwer,
wo nehmen die Füßchen die Kraft nur her?
Sie treten nieder mein Ährenfeld,
— du hast es geboten, Herr der Welt, —
die trippelnden Füße, die doch ruhn,
wie können sie weh dem Herzen tnn!

Interieur

[162]
Ein Interieur von lichter Scharlachseide,
ein wohldurchwärmtes, traulich-enges Heim.
Aus schlankgeformten Ständerlampen quillt,
von buntgefärbten A bas-jours gedämpft, —
ein rosig warmer Lichtstrom zitternd nieder.
Orangen und Narzissen hauchen träumend
die duftig-schweren Blütenseelen aus —
und tiefes, tiefes Schweigen. — Hingelagert
auf üppig weichen Eisbärfellen, ruht
ein schlankes Weib, die Lippen halberbrochen,
mit leicht umblauten, müden Schwärmeraugen, —
und träumt und träumt von seelenheißer Freude,
von zügellosem Schwelgen, trunknem Rasen,
von einem hochgepeitschten Taumelreigen
der abgestumpften, wurzelwelken Nerven,
von einem letzten, nie gekannten Glück,
von einer Wonne, die der Wonnen höchste,
und doch nicht Liebe heißt — und träumt und träumt.

Interieur

Verdunkelt war dein weites Schlafgemach,
so ganz wie damals, und ein schwerer Hauch
von welkem Lorbeer, Veilchen und Lavendel,
erstickend, süß-betäubend, koste, ganz
wie damals, um die wonnig müden Nerven.
Mit schwanken Schritten trat ich ein bei dir.
Ein schlankes Wachslicht schüttet fahlen Schein
aus bronze-geschnittenem Riesengirandol
und spielt und huscht und tänzelt launentoll
um deines breiten Lagers üppig weiße
geraffte Schillerseide — um dich selbst,
die nackt und reglos ruht wie ein Gebilde
von Künstlerhand, aus dunklem Erz getrieben.
Aus deinem Aug, dem weiterschloßnen, starrt
[163]
erstickter Haß und höhnende Verzweiflung.
Und aus zernagten, breitgewölbten Lippen
in schwarzen Perlen rieselt langsam Blut
auf deines breiten Lagers üppig-weiße
geraffte Schillerseide...
Eintönig hackt dein Rosenpapagei
an seines Käfigs gelbe Messingstäbe — —
er weiß ja nicht — — —

Was ich liebe

Ich liebe die hektischen, schlanken
Narzissen mit blutrotem Mund;
ich liebe die Qualengedanken,
die Herzen, zerstochen und wund.
Ich liebe die Fahlen und Bleichen,
die Frauen mit müdem Gesicht,
aus welchen in flammenden Zeichen
verzehrende Sinnenglut spricht.
Ich liebe die schillernden Schlangen,
so schmiegsam und biegsam und kühl;
ich liebe die klagenden, bangen,
die Lieder voll Todesgefühl.
Ich liebe die herzlosen, grünen
Smaragde vor jedem Gestein;
ich liebe die gelblichen Dünen
im bläulichen Mondenschein.
Ich liebe die glutendurchtränkten,
die Düfte, berauschend und schwer;
die Wolken, die blitzedurchsengten,
das graue, wutschäumende Meer.
Ich liebe, was niemand erlesen,
was keinem zu lieben gelang:
mein eignes, urinnerstes Wesen
und alles, was seltsam und krank.

Elevatio

[164]
— Und ringsum ward es still. — Verklungen war
des siegesfrohen Sanktus letzter Ton;
ich aber kniete vor dem Hochaltar
und harrte gläubig der Elevation.
Ein lilienschlanker, junger Priester stand
an dem Altare, schön und marmorbleich;
um seine Glieder floß das Meßgewand
von Goldbrokat in Falten schwer und weich.
Er stand blaß wie der Tod und weltentrückt
in einer lichten Sonnenstrahlenflut
und hob das Sakrament und rief verzückt:
„Nehmt alle hin: das ist mein Fleisch und Blut!“
— — Und ich sank, überstrahlt von seinem Licht,
vor Liebe brennend an die Erde hin;
und ich verhüllte zitternd mein Gesicht
und betete ihn an auf meinen Knien...

Regina martyrum

Es hat in deiner Brust geschäumt
zu heiß die rote Lebensflut;
es ist dein junges Herz verbrannt
an seiner Sehnsucht großer Glut.
Sie haben dich in sündigen Nächten
gequält, gemartert und verhöhnt
und deine weichen, braunen Flechten
mit einem Dornenkranz gekrönt.
In schweren Tropfen fließt dein Blut
dir purpurn über Stirn und Wangen;
dein Licht, dein Licht ist ausgelöscht
und tot dein junges Glücksverlangen.
[165]
Ich will dich, du gequältes Kind,
nun fest in meinen Armen halten, —
all deine Wunden deck ich zu
mit meines Mantels weißen Falten.
Im Schmuck der blutigen Dornenkrone
bist du erlöst von deinen Sünden;
nun will ich still in deine Locken
den Kranz von frischen Myrten winden.
In allem Leid, in aller Schuld
ist meine Seele dein geblieben;
all deine Sünden deck ich zu
mit meinem großen, reinen Lieben.

Laubhütten
(2. Esra, 8, 15 — 17.)

Und als der Abend nahte feierlich,
stieg in uns auf ein Frieden ohnegleichen,
denn über unsern Häuptern wölbte sich
ein grünes Dach von dichtbelaubten Zweigen.
Wir, die wir heimatlos durch alle Welten,
freudlos und rastlos durch die Länder irrten,
wir ruhten unter heimatlichen Zelten
von Palmenzweigen und von duftigen Myrten.
Da hat sich jedes Herz zu Gott gewandt
und jedes ward von heißem Dank gerührt,
daß uns der Herr in unsrer Väter Land
aus der Verbannung endlich heimgeführt.
Und plötzlich ward im Volk ein Jubel wach,
der durch die Täler brauste tausendtönig,
der von den Bergen hallte tausendfach:
„Dank, Dank sei unserm Gott, der Juden König!“
— — Ich aber küßte selig deinen Mund
und deine Stirn und deine blonden Haare,
und meine kranke Seele ward gesund
von allem Leid vergangner Wanderjahre.
[166]
Die Palmen und die Myrten hielten Wacht,
als unsre große Sehnsucht sich erfüllte
in jener feierstillen Herbstesnacht. —

Der Prophet

Niemand kannte ihn im Ghetto,
und es hieß, er sei aus weiten
Fernen in das Land gekommen,
um der Sehnsucht, die verglommen,
neue Ziele zu bereiten.
Doch es spotteten die Juden
und verhöhnten seine Lehren,
und sie wollten des Propheten,
dieses törichten Asketen,
durch Verachtung sich erwehren.
Denn die meisten von den Juden
hatten Furcht, wenn einer sagte,
daß sie nichts als Sklaven wären,
daß sie nur die Last des leeren
Selbstbetruges immer plagte,
daß sie nur dem Gott des Goldes
opfern, wenn die Knuten schwirren,
und dann wieder still beglückt sind,
wenn der Peitsche sie entrückt sind
und die Ketten fernher klirren.
***
Täglich wuchs der Haß im Volke.
Nur em kleines Häuflein Armer
scharte sich um seinen Sprecher,
pries ihn als des Volkes Rächer
und als seines Leids Erbarmer.
[167]
Und des Abends, wenn die letzte
Sonne aus den Wolken strahlte
und mit ihren Feuerbränden
an des Tempels weißen Wänden
rote Flammenzeichen malte,
lauschten sie dem Lied des Weisen,
der da sang: Im tiefen Leide
liegt die Zionsburg im Osten,
ihre Zinnen, die verrosten,
und wie Knistern morscher Seide
geht es durch die Zedernwälder...
Weine, Tochter Zions, weine!
deine Leier ist verdorben,
deine Sehnsucht ist erstorben,
deine nimmermüde reine
Glaubensstärke ist zerronnen,
deine Mutterliebe schwindet:
denn dein Volk ist siech geworden,
und die abtrünnigen Horden
sind schon längst für dich erblindet.
Weine, Tochter Zions, weine!
Aber deine Tränen sollen
unser Mutterland verjüngen.
Neue Blüten werden dringen
aus den feuchten Ackerschollen.
An des Libanons Gehängen
wird die Zeder wieder grünen,
Kranke werden dort gesunden,
und in weihevollen Stunden
wird dein Volk die Frevel sühnen...
Voll ertönten diese Laute,
und das Echo gab sie wieder,
und es schien, als glitten leise
aus der Sterne Silberkreise
Diamantensplitter nieder.
[168]
Und es glühten alle Rosen,
und durch Wälder und durch Haine
klang, wie eine Wundersage,
des Propheten Judenklage:
Weine, Tochter Zions, weine...

Geigender Mönch

Der blasse Mond löscht nicht mehr aus,
steht immer überm Heidehaus,
bei Tage und bei Nacht.
Die Eschen nicken traurig her,
die roten Beeren sind so schwer,
welke Blätter fallen sacht.
Die Wasser liegen stumm und kalt
und alle Lüfte schweigen;
es steht ein brauner Mönch am Wald,
mit einer Geige fern am Wald,
will mir das Herz zergeigen.
Mich schauert! ich will heimwärts gehn,
will nach dem traurigen Mönch nicht sehn,
nicht hören auf seine Geige.
Über mir der Abendstern
leuchtet meinem Pfad wohl gern,
hellschimmernd durch die Zweige.
Leis und leiser, weit und weit
geigt es durch die Einsamkeit.

Der gutmütige Tod

Gebt Raum! so rief der Tod ins Tal
und fuhr herab auf schwarzen Schwingen.
Die roten Rosen wurden fahl
und still verblühten die Syringen.
[169]
Der Sturm fuhr keuchend übern See
und wühlte in den schwarzen Tiefen,
die Möwen schreckten in die Höh —
und nur die Menschen schliefen, schliefen.
Schon hob der Tod die Knochenhand
hoch auf, das Träumervolk zu strafen.
Doch plötzlich blinzelt er ins Land
und gähnte grinsend: Laß sie schlafen!

Der Erbe

Ich hebe meine Geige
ganz heimlich unters Kinn
und zieh mit leisem Bogen
ganz heimlich drüber hin.
Da hebt mein blondes Dirnlein
den Fuß zum Tanzeschritt;
der Braunen lichtes Stimmlein
singt schon die Weise mit.
Die Jüngste wiegt ihr Püppchen:
„Marie Maruschka-ka“ —
Mit großen dunklen Augen
sitzt stumm mein Bube da.
Er kennt vor unserm Fenster
den alten Weidenbaum.
Wiegt aus dem höchsten Wipfel
im Winde sich sein Traum?
Mein Sohn, in meinen Tönen
hörst du der Winde Tanz?
Mein Sohn, in meinen Tönen
siehst du der Wolke Glanz?
[170]
Mein Sohn, ich bin ein König,
willst du mein Erbe sein?
Du wirst im Sonnenpurpur
ein Fürst der Ferne sein.
Ich hab ein Schloß voll Schimmer
an einem fernen Meer —
Heb ich ans Kinn die Geige,
kommt Gruß und Glück daher.

Lütt Jan

Jan Boje wünscht sich lange schon
ein Schiff — ach Gott, wie lange schon!
ein Schiff so groß — ein Schiff — hurra:
von hier bis nach Amerika.
Die höchsten Tannen sind zu klein,
die Masten müßten Türme sein,
die stießen — hei, was ist dabei? —
klingling das Himmelsdach entzwei.
Die Wolken wären Segel gut,
die knallen wild im Wind vor Wut,
Jan Boje hängt am Klüverbaum
und strampelt nackt im Wellenschaum.
Jan baumelt an der Reeling, Jan!
und schaukelt, was er schaukeln kann.
Wenn's an die Planken plitscht und platscht,
der blanke Steert ins Wasser klatscht.
Wie greift er da die Fische flink;
ein Butt bei jedem Wellenblink!
die dörrt auf Deck der Sonnenschein,
und Jantje beißt vergnügt hinein.
Jan Boje segelt immerfort,
spuckt über Back- und Steuerbord,
und kommt zurück trotz Schabernack,
das ganze Schiff voll Kautabak.
[171]
Wer aber ist Jan Boje, he?
der Teufelsmaat und Held zur See?
Jan Boje ist ein Fischerjung,
ein Knirps, ein Kerl, ein frischer Jung.
Grad liegt er auf dem Bauch im Sand
und lenkt ein schwimmend Brett am Band,
und ob die Woge kommt und geht,
ob sich sein Brett im Wirbel dreht — :
sein starrer Blick ins Ferne steht.
Da schwillt's heran im Sonnengleiß
von tausend Segeln breit und weiß;
da hebt sich manch ein Riesenbug
wie düstrer Spuk und Augentrug...
Das wandert ewig übers Meer.
Wann kommt Jan Bojes Schiff daher?

Timm Clasen

Am Fischerewer träumt ein Licht
und nickt, als ob's im Traume spricht
mit seinem Widerschein — der blinkt
aus stiller Flut — und blinkt — und winkt —
Hoo, Timm Clasen, heut gibt's einen Fang!
Timm Clasen aber sinnt anderm nach.
Was glitscht im Mondschein her gemach?
ei, Jan Frerk — der kommt mir in'n Griff!
Ein dumpfer Ruf — ein leiser Pfiff —
Hoo, Timm Clasen, das gibt einen Fang!
Jan Frerk, der küßte Trin Antjes Mund —
Die Krebse sollen dich fressen, du Hund!
und er ruft ihn an und keucht und zischt,
herüber, hinüber fliegt Gall und Gischt,
hoo, Timm Clasen, nun gibt's einen Fang!
Timm langt aus — und da kentert das Boot;
Jan grapst an den Planken in Todesnot;
[172]
Timms Ruder krachend niederschlug!
da — der hat für diesmal genug.
Hoo, Timm Clasen, das gab einen Fang! —
Timm Clasen, wie wird der Fluß nun still,
und der Mond tut, als ob er reden will. —
Timm lichtet den Anker und schwimmt stromab
mit der Ebbe und läßt das Netz hinab —
Hoo, Timm Clasen, nun gibt's einen Fang!
Teufel, wie schwer — oha! Er zieht?
er bringt es herauf — und starrt — und sieht —
Timm Clasen, wie scheint der Mond heut rot!
da glotzt Jan Frerk; Jan Frerk ist tot —
Hoo, Timm Clasen, das gab einen Fang!
Und das Netz fiel klatschend! Vom Uferrohr
ein schwarzer Vogel stieg steil empor
Und schoß ins Land. Übern Birkenschlag
starrt mit einem Auge der Tag —
Hoo, Timm Clasen, das gibt einen Fang!

Das Lied des Fischers

Schon siebenzig Jahre sah ich vergehn
und siebenzig Sonnen am Himmel stehn
und viele Monde durch die Nächte gehn.
Die Düfte der Lotosblumen kenn ich seit meinen Knabenjahren
und weiß, was sie singen.
Seit ich zum erstenmale ausgefahren,
weiß ich, was ihre süßen Glocken klingen.
Einst fuhr ich mit meiner Laute
auf diesen duftenden Fluten
und sang meiner Guten,
während der schöne Mond des Frühlings blaute
[173]
Lieder von Silber, von Gold und von Seiden
und mußte dann scheiden
zu bitteren Leiden. —
Trotzig bin ich den Strom hinuntergefahren
bis in das rauhe Land der Barbaren
und habe gestritten.
Und habe gerungen
und habe die Lieder der Männer gesungen
und alle Leiden der Männer gelitten.
Als mein Weib gestorben
und meine drei Söhne gefallen,
da war ich verlassen von allen...
Und habe mir meine drei Raben erworben.
Dschumi, Dschagi und Dschan
fischen für mich und essen mein Brot
und fliehen mit mir im Kahn,
bis uns einholt und frißt — der Tod...

Der Leser

Was er wohl sinnt und so still bedenkt,
so fürchterlich stille? ...
Durch enge Gänge
irrt wie im Traum sein Wille.
Seine Lampe ist rot verhängt.
In ihrem schwülen Schein sind ferne Gesänge.

Feldweg

Es führt durchs Feld ein schmaler Pfad,
den gehn nun ich und du.
Ein Seiler dreht sein Seilerrad
und summt und singt dazu.
[174]
Wie das doch klingt, so tief und traut,
des jungen Seilers Gang,
als ob ihm eine junge Braut
sich schmücke zum Empfang.
Wie das doch klingt und in uns bebt
und in uns Wurzel schlägt,
und was an Frieden darin lebt,
dem Glück entgegenträgt.
Der Seiler singt... sein Lied verhallt...
Es gilbt das Korn im Rund.
Und jener traute Sang erschallt
mir nun aus Mädchenmund.
Es führt ein schmaler Pfad durchs Feld;
den fanden ich und du.
Und unsre Saat ist gut bestellt
und reift der Ernte zu.

Heide im Herbst

Nun bist du fern in meinem Heimatland
und siehst die Heide mit den braunen Hügeln,
und über dir an grauer Nebelwand
steht wohl ein Weih mit unbewegten Flügeln.
Und dich umschwebt schon kühler Herbstesdampf,
denn der September macht die Erde rauchen,
du siehst die Recken schon im Kampf,
die nächstens aus den vollen Nebeln tauchen.
Und du verstehst den Boden, der mich schuf,
die graue Fläche, die sich endlos dehnt;
nur selten stört die Luft ein Eulenruf
hier, wo kein Berg sich in den Himmel sehnt.
Nur selten findet hier die Brust ein Wort,
als ob sie sich der Erde ganz befehle,
und du verstehst mein tiefes Schweigen dort
in jenem Land, das grau wie meine Seele.

Nacht

[175]
Die Sterne sind so hell, so hell,
nun leuchten meine Lande.
Die Sonne glühte gar zu grell,
nun ward die Nacht mein Weggesell,
nun leuchten meine Lande,
leuchten in stiller Pracht.
Nehmt ihr den Tag mit seiner Hast
und seiner harten Frone.
Die ihr des Schaffens Grund nicht faßt,
nehmt ihr den heißen Tag und laßt
mir meine Sternenkrone,
meine Krone der Nacht.
Und geht ihr euern breiten Weg,
ich schreite wie ein König.
Denn was ich tief im Herzen heg,
das leuchtet mir auf meinen Weg:
Ich schreite wie ein König
zu meiner Königin.
Die Nacht ist weit, die Nacht ist tief,
von ungebornem Leben.
Was seit Jahrtausenden schon schlief,
und was die Sonne noch nicht rief,
das ungeborne Leben:
Leben, ich grüße dich.

Der Priester

Zehn Jahre Einsamkeit. Felsen und Gletscher
und Ungewitter prüften meine Brust;
und mancher Adler stieg mit harten Schwingen
mir himmelwärts — ich sehnte mich ihm nach;
und manche Wolke hüllte mich in Zweifel,
und mancher Sonnenschein versuchte mich.
Dort in den Schluchten lebt noch meine Stimme
und ruft und wird euch merkbar, wenn ihr lauscht,
so voller Sehnsucht hat mein Mund geschrien,
[176]
so voller Sehnsucht hab ich mich entblößt
und meine Seele nackt emporgehalten
in flehendem Gebet.
Die Jahre gingen...
Es sind der heißen Mühen viel gewesen:
Blutkampf und Hunger und der Durst ums Licht.
Ich habe mich mit Martern überhäuft,
mit Selbstverrat und Kreuzigung. Das Zeichen
drückte sich brennend meiner Seele auf.
Die Menschen von den Tälern sah ich nicht,
ich sah nicht ihrer Werke dunkles Führen,
ich sah kein Sterben.
Und in mir erwachte
ein Bild der Menschheit, schön in Stolz und Stärke,
ein Bild der Menschheit, wie ich haben wollte,
daß es lebendig sei.
So kam der Tag...
Es war der Tag nach einer tiefen Nacht;
die war erfüllt von einem schweren Winde
und war sehr dunkel. Sterne sah man nicht.
Und in der Mitternacht wurde zum Brausen
der schwere Wind. Mit offnen Augen lag ich
und wachte... und mein Atem ging... und stand.
Da kam durchs Dunkel eine lichte Hand —
ich fühlte alles, aber sah sie nicht —
und kam mir nahe — und mein Herz stand still —
und legte sich auf mein erstauntes Blut...
und war wie milder Tau, und tränkte mich.
Dann fiel auf mich ein seelentiefer Schlaf.
Ich fühlte einen Schmerz, der lieblich war,
und ahnte, daß mein Herz hinweggenommen,
und wußte nur ein grenzenloses Licht
in allen Adern, in den warmen Augen —
und schlug sie auf... und ging.
So kam der Tag...
In meinem Blut war's still; da war kein Schmerz mehr
da war nur Licht und Kraft, ein lächelnd Tun.
Und meine Augen sprachen leuchtend mit
[177]
vom Licht in meiner Brust, von Offenbarung,
von euch, ihr Menschen!
Draußen war kein Wind.
Ewige Ruhe nahm mich bei der Hand
und sah mich an — und hin zu euch, ihr Menschen,
trieb mich der blaue Tag, trieb mich der Geist.
Denn wer sein Herz und alle Qual verwunden,
bringt dieser Erde neue Feierstunden,
der muß nach Stadt und Welt die Schritte lenken
aus aller Einsamkeit, und sich verschenken.
Nun bin ich hier in diesen goldnen Talen.
Die Wege dürsteten nach meinem Schritt
und liegen klar, seit sie mein Fuß betrat.
Die Lüfte schweigen, wenn ich sprechen will.
Mein weißes Kleid trägt eurer Küsse Schmuck
und ist mit Dank besäumt. Denn ich bin reich.
Des Vaters Kraft hat mir die Macht verliehn —
Mein priesterlicher Schritt geht euch voran
zum Allerheiligsten — ins neue Reich.
Ich bin euch Gott: Vertreter und Erfüller.
Kniet hin! Das Wunder schläft in meiner Hand.
Das ist die Kraft! Das Wunder wird lebendig.
Die Stille jubelt... Eure Herzen schimmern...
Ich segne euch... Menschen, ich bin der Sohn! ...
Ich bin die Kraft.

Die Dichter

Uralt ist unsre Sippschaft wie die Erde;
tief wühlt in uns die alte Weltmeerflut
voll Salz und Fruchtbarkeit und voll Beschwerde.
Wir tragen dran, Gefesselte der Glut,
Spiegel der Tage, dumpfer Nächte Beute,
mit schwangerm Herzen und voll Übermut.
So treiben wir ruhlosen Wandersleute
durchs Leben hin, kaum daß ein Heim uns hält,
und uns zerrinnt das Gestern wie das Heute.
[178]
Allein im Morgen waltet unsre Welt
mit Hoffnungssternen und mit jenen Sonnen,
die über Tod und Leben sind gestellt.
Verheißung allem Tun, das wir begonnen,
Erfüllung aller Sehnsucht, die uns trieb,
enthüllt sich uns in bangsten Schöpferwonnen.
Wir haben ja dies bunte Leben lieb,
wir sind ihm Könige und Fortgestalter,
weil unser Wort seine Geschichte schrieb.
Wir herrschen über Zeit- und Menschenalter,
ohne den Dichter bleibt kein Volk bestehn,
wir sind des Ewigen irdische Verwalter.
Ob Heldentrotz und Weltreich untergehn,
wir deuten ihr Geschick, das klein' und große,
der Mensch lernt es mit unserm Auge sehn.
Wir stürzen Throne, küren Erdenlose,
wir geben allem Leben Spruch und Sinn,
wir heben Kinder aus dem Mutterschoße.
Bettlern und Irrenden sind wir Gewinn,
der Dürftigste labt sich an Himmelsschätzen;
wir werfen uns an Unverdiente hin.
Mit scharfen Worten, die wie Säuren ätzen,
zerstören wir Gewalt und Eitelkeit
und bauen auf nach eigenen Gesetzen.
Und sinken wir zu Boden vor der Zeit,
verdoppelt unser Wort sein feurig Werben,
und seine Kraft macht tausend Herzen weit.
O selig, wie ein Sieger hinzusterben,
trunken von Leben und im Tod zu wissen:
ein ganzes Volk sind deines Gutes Erben.

Leben

[179]
Was will die Nacht, die mich umgibt,
mit ihrem bunten Brennen?
Ich weiß wohl, daß es Gärten gibt,
die nur die Träume kennen.
Du goldner Stern dort, strahlenweit,
was lockst du mich hinüber?
O Welt, o Wahn, o Wirklichkeit,
ihr werdet immer trüber.
Und meine Seele stiehlt sich fort,
nach Sternen drängt ihr Wille;
sie sieht den alten Götterort
und tanzt in nackter Stille.

Lerchen

Du horchst, du siehst nicht ihr Gefieder,
du hörst nur lauter Frühlingslieder.
Und immer lauter wird der Chor
von Lerchen, die im Himmel wohnen;
es hält den Atem an der Wind — —
berauschend schlägt es an mein Ohr
wie Jubelsang von Millionen,
die glücklich, überglücklich sind.

An kleine Mädchen

Ich weiß, ihr liebt das Dunkel nicht,
in meiner Stube ist wenig Licht
und wenig Glück zu finden;
drum wandert mir zur Stadt hinaus,
ich bleibe unterdes zu Haus,
wir sehn uns bei den Linden.
[180]
Bevor die Sonne schlafen geht,
Hab ich mein Leid hinweggeweht,
kann wieder Märchen sinnen.
Schließt um die Linden einen Kranz,
die Füßchen hebt zum Ringeltanz,
dünkt euch wie Königinnen.
Im Tanz verrinnt ein Stündchen schnell,
eh ihr es merkt, bin ich zur Stell
und klatsche in die Hände.
Ihr jubelt auf, setzt euch im Kreis,
weil ich so viele Märchen weiß,
und Märchen ohne Ende.
Ein Prinz, ein Fisch, ein blonder Hirt,
ein Nixlein, das im Walde irrt,
und was die Frösche munkeln;
ein dummer Bär — ich werd nicht müd,
bis euch die Wangen hell erglüht,
bis euch die Augen funkeln.

Peccavi?

Was tat ich nur, daß deine Blicke schweigen
und daß kein Lächeln mich wie sonst gegrüßt?
Der Tanzsaal glüht, ich irre durch den Reigen
und dürst nach Freude, die vorüberfließt.
Die Zeit entflieht, ich seh ihr wildes Hasten,
rings tollt das Glück — und nur mein Herz ist leer;
laß gnädig mich in deiner Nähe rasten,
mich trug ein Sturm, bedenk, ein Sturm mich her.
Und zürne nicht, wenn Lieder dich umdrängen,
es sind Gesänge meines tiefsten Seins;
und wehrst du ab, tönt's doch aus meinen Klängen,
kein Auge sieht dich je so schön wie meins.
[181]
Die Stunde preis ich, da ich dir begegnet,
mit Kränzen überschütt ich deinen Groll;
wie hätt Natur mit Wundern dich gesegnet,
wenn ich, der Dichter, sie verschweigen soll.
Mein kurzes Glück sind nur verwirrte Träume,
wer weiß, wer dich, du Herrliche, gewinnt;
drum Gnade, Mädchen, wenn ich überschäume,
ich weiß, ich weiß — ich bin kein Sonntagskind.

Erlösung

Nacht um uns her.
Du schläfst an meiner Seite,
und zwischen uns ein uferloses Meer
von ungesprochenem Schmerz.
Ich horche durch die grauenvolle Weite,
ob nicht mit einem vollen Schlag dein Herz
in meine Einsamkeit herüberklingt,
ob nicht die goldene Saite schwingt,
von der ich oft den einen Ton vernommen,
der leis verzitternd mich in Schlummer sang.
Ich lausche bang.
In meiner Seele ist das letzte Licht verglommen.
Nun ragt um mich die starre Einsamkeit
wie schwarze Felsen riesenhaft empor,
nun führt kein flügelweites Tor
aus diesem engen, tränenlosen Leid.
So war ich nie allein.
So ohne Wunsch und ohne Wille,
lebendig eingesargt in schwarzem Schrein
voll Grabesstille.
[182]
Und doch, aus Tiefen, unergründlich weit,
gleich einer fremden, rätselvollen Kunde,
hör ich, wie heiß in mir das Leben schreit
durch diese ungeheure Todesstunde — —
— — — — — — — —
Da neben mir, ein leises, leises Weinen,
und deine Lippen brennen auf den meinen
so übervoll von wildem Leidverlangen — —
und deine Tränen netzen meine Wangen.

Der Dichter

Links, vom Herd, ein Knistern. Leise, leis.
Asche wird ein letztes dürres Reis.
Rechts der Wanduhr harter, fester Schlag,
rastlos kreist der Zeiger durch den Tag.
Zwischen beiden Mahnern sitzt und sinnt
einer, der an goldnen Fäden spinnt,
eine feine, hohe Brücke schlägt,
die ihn über Tag und Stunden trägt.
Lautlos flammt ein Feuer und erhellt
eine zeitentrückte heitre Welt.

Auf einem andern Stern

Die Purpurdecke deines Zeltes hebt
ganz langsam eine schmale weiße Hand,
und meine Königin, im Rosenschmuck
der schlaferquickten Jugend, grüßt den Tag.
Seit gestern weilen wir auf diesem Stern,
millionenmal Millionen Meilen weit
entrückt der Erde. Als ich von dir ging,
[183]
stand über mir der blasse Erdenmond,
und eines Wächters harte Stimme wies
von deines stillen Gartens Gitter mich,
vermutend den gesuchten Apfeldieb.
Seit gestern weilen wir auf diesem Stern,
und eine Nacht, der selbst der Wettgesang
von vielen hundert Nachtigallen nichts
vom Zauber ihres tiefen Schweigens nahm,
bracht uns Bergessen. Mißverständnis, Stolz
und jede Kluft, die Menschennarrheit schuf,
blieb hinter uns, und die Erinnerung starb.
Die Purpurdecke deines Zeltes hebt
ganz langsam eine schmale weiße Hand,
und meine Königin, im Rosenschmuck
der schlaferquickten Jugend, grüßt den Tag.
Wie bist du schön im vollen Morgenglanz
der sieben Sonnen, die, ein reicher Ring,
hier unseres Glückes Wiegenbett umstehn.
Schneeweiße Seide, lose aufgerafft
von goldnen Spangen, hüllt den schlanken Leib,
und nicht der kleinste Zierat weiter stört
der zarten Formen keuschen Linienfluß.
Seit gestern weilen wir auf diesem Stern,
und niemals ist ein schönerer Morgen wohl
auf eine schönere Nacht, wo auch, gefolgt.
Den sieben Sonnen wich die Siebenzahl
der sanften Silbermonde, die das Amt
der Wächter vor dem Liebeszelt versahn
und blaß und blässer wurden, stündlich mehr,
vor Neid und Neugier. Doch das dichte Tuch
des Purpurdaches wehrte jedem Blick,
selbst jeder Laut verfing im schweren Stoff
des Vorhanges sich, und wie ein Traumakkord
traf leis von draußen das Geschluchze nur
der lauten Liebessänger unser Ohr.
Die Purpurdecke deines Zeltes hebt
ganz langsam eine schmale weiße Hand,
[184]
und meine Königin, im Rosenschmuck
der schlaferquickten Jugend, grüßt den Tag.
Ein wenig neigst die weiße Stirne du
und senkst den Blick, geblendet von dem Licht,
und hold verwirrt von dem Gedenken noch
der Nacht und ihrer süßen Heimlichkeit.
Doch stürmisch reißt mein Arm dich zu mir her,
und stürmisch küßt mein Mund auf deinem Mund
den ersten Morgengruß des Weibes wach.
Dann schreiten wir umschlungen in den Tag,
glücktrunken in das goldne Paradies,
das niemals eines Menschen Fuß betrat.
Denn unser ist der Stern, der uns jetzt trägt,
von Anbeginn, und unserer Liebe ward
er vorbestimmt in Gottes Weltenplan.

Himmelfahrt

Vier Kindlein trugen einen Sarg.
Wen wohl die schlanke Kiste barg?
Auf dem geschlossenen Deckel lag
ein zitternder, schwankender Rosenhag.
Sie gingen auf einer hölzernen Treppen
und hatten gewiß nicht schwer zu schleppen.
Gingen, als hätte Flügel ein jeder,
aber ich sah nicht die kleinste Feder,
hatt keiner etwas von einem Engel,
war jeder ein strammer Erdenbengel,
mit Hemd und Höschen, bauerngemäß,
und der kleinste hatt ein geflickt Gesäß.
Feine, lichte Wölkchen umgaben
mit bläulichem Schleier die vordern Knaben,
so schwanden allmählich alle vier
in einem himmlischen Nebel mir,
zuletzt war's nur ein Hemdzipfel noch,
hing lustig her aus seinem Loch,
schrumpft mehr und mehr in sich hinein,
schien endlich nur ein Stern zu sein.
Ein Blink, und der letzte Erdenrest
ging ein zum ewigen Freudenfest.
[185]
Gedankenvoll blieb ich zurück.
Was soll denn nur dies Wunderstück?
Sind weiter nichts wert, so tolle Sachen,
als ein Gedicht daraus zu machen.

Aus dem Takt

Mein Weib und all mein holder Kreis,
mein Kind und all mein lachend Glück.
Ich rühre an die Saite leis,
wie hell klingt es zurück.
Nur manchmal, wenn von ferne ich
die großen Ströme rauschen höre,
wenn sich der vollern Lebenschöre
ein Ton in meine Stille schlich,
schrei laut ich auf und hebe Klag:
Mehr Licht, mehr Licht, nur einen Tag!
Und blutend leg ich, abgewandt,
mein Herz in eure Liebeshand,
bis es von aller Angst entbunden,
und wieder seinen Takt gefunden,
den Gleichtakt zwischen Wunsch und Pflicht.
Herddämmerglück, Herddämmerlicht.

Die feinen Ohren
(Meiner Mutter)

Du warst allein,
ich sah durchs Schlüsselloch
den matten Schein
der späten Lampe noch.
Was stand ich nur und trat nicht ein?
Und brannte doch,
und war mir doch, es müßte sein,
daß ich noch einmal deine Stirne strich
und zärtlich flüsterte: Wie lieb ich dich.
Die alte böse Scheu,
dir ganz mein Herz zu zeigen,
sie quält mich immer neu.
[186]
Nun lieg ich durch die lange Nacht
und horche in das Schweigen —
Ob wohl ein weißes Haupt noch wacht?
Und einmal hab ich leis gelacht:
Was sorgst du noch,
sie weiß es doch,
sie hat gar feine Ohren,
ihr geht von deines Herzens Schlag,
obwohl die Lippe schweigen mag,
auch nicht ein leiser Ton verloren.

Ein Unterschied

Das war einmal: ich liebe dich!
Wie Jugend wohl zu Jugend sagt,
die sich in ihrem Überschwang
an alle großen Worte wagt.
Jetzt fragst auch du nicht: liebst du mich?
du fragst nur schlicht: hast du mich lieb?
und lächelst, daß nach Lust und Blust
die reife Frucht am Stengel blieb.
Ich hab dich lieb. Das klingt so süß
und klingt so reif. Ein Sommerlaut,
wenn rings der Blick im Vollbesitz
auf segenschöne Felder schaut.
Gib deine Hand, und keinen Kuß,
mein Weib. Nur Blick in Blick. So. Gib.
Und hör das Sommersegenswort,
das reife Wort: ich hab dich lieb.

Unheimliche Stunde

Da sitzt die Nacht am Wegesaum,
und neben ihr stehn Tod und Traum.
Das ist ein Geraune, ein Heimlichtun.
Ein Wind springt hinterm Wald hervor,
erhascht ein Wort mit halbem Ohr,
und ängstet feldein auf erschrocknen Schuhn.
[187]
Im Sumpfrohr hockt eine graue Gestalt,
hundert graue Jahre alt,
eine Frau, eine Hex, eine böse Seel.
Sie hat einen Kessel am Feuer und braut,
ein Kind, eine Kröte, ein Schattenkraut,
Gestank und Geschwel.
Ein grüner Stern steht grad überm Haus,
sieht wie ein böses Auge aus,
und da hinten der Himmel brennt so rot.
Und horch, was war das? Die Uhr blieb stehn.
Wollen wir nicht lieber beten gehn?
Wir haben alle das Beten not.

Ein Harfenklang

Der Wind, im dunklen Laube wühlend, bringt
zu mir den Ruf der wachen Nachtigallen;
dazwischen: welch ein Ton? Ein Fremdes singt.
Woher die Stimmen, die bald sacht,
bald schwer ausklingen aus der Nacht
und jetzt wie in sich selbst verhallen?
Der weiße Apfelzweig,
der sich vor meinem offnen Fenster wiegt,
ans Glas die feuchten Blüten schmiegt,
glänzt märchenhaft im Vollmondlicht
und heilig schimmern Büsche, Beet und Steig,
mein Blick ist fassungslos geweitet:
O welches hohe Fest ist hier bereitet
den feinen Seelen, die in Träumen leben
und unter jedem leisen Ton erbeben,
der von der Harfe der Gottheit klingt und kündet,
daß sie noch immer
zum alten Spiel die fleißigen Finger ründet
und noch zu Ende nicht ihr Lied gebracht.
Sie endet's nimmer,
horch, welch ein Klang der Liebe durch die Nacht!

Mein Herz

[188]
Heute bin ich wieder fröhlich, fröhlich,
alle meine bangen Nächte sind vergessen,
und als hätten Ängste nie besessen
dieses Herz mit seinem Jubelschlag,
Pocht's und läutet ein den schönen Tag.
Herbsttag mit der klaren Morgensonne,
mit dem letzten goldverbrämten Laube,
noch ein Weilchen, eh es stirbt im Staube,
läßt es seine bunten Fahnen wehn,
sich in allen seinen Farben sehn.
Herz, mein altes Herz, ich muß dich lieben,
immer findest du dein Lachen wieder,
singst die lieben Kindheitsmorgenlieder
mit dem alten, hellen, tapfern Ton,
wie vor Jahren schon.
Und so preis ich dich und deine Tugend:
deine immer unverdroßne Jugend.

Nachtwandler

Trommler, laß dein Kalbfell klingen,
und, Trompeter, blas darein,
daß sie aus den Betten springen,
Mordio Michel, Mordio! schrein,
tuut und trumm, tuut und trumm,
Zipfelmützen ringsherum.
Und so geh ich durch die hellen,
mondeshellen Gassen hin,
fröhlich zwischen zwei Mamsellen,
Wäscherin und Plätterin:
Links Luischen, rechts Marie,
und voran die Musici.
Aber sind wir bei dem Hause,
das ich euch bezeichnet hab,
macht gefälligst eine Pause,
und seid schweigsam wie das Grab!
[189]
Scht und hm, scht und hm,
sachte um das Haus herum.
Meine heftige Henriette
wohnt in diesem kleinen Haus,
lärmen die wir aus dem Bette,
kratzt sie uns die Augen aus.
Scht und hm, scht und hm,
sachte um das Haus herum.
Lustig wieder, Musikanten!
Die Gefahr droht nun nicht mehr;
trommelt alle alten Tanten
wieder an die Fenster her!
Tuut und trumm, tuut und trumm,
Zipfelmützen ringsherum.
Ja, so geh ich durch die hellen,
mondeshellen Gassen hin,
fröhlich zwischen zwei Mamsellen,
Wäscherin und Plätterin:
Links Luischen, rechts Marie,
und voran die Musici.

Nach Jahren

Die ruhenden, stillen Felder,
darüber der Vollmond steht,
die weiten, schweigenden Wälder,
daher ein Schauer weht.
Wie hab ich selig genossen
die schöne Nachteinsamkeit,
und habe den Schatz verschlossen
für kommende dürstende Zeit.
Nun träum ich die alten Träume
und rühre leise den Schatz,
sacht rauschen die alten Bäume,
und alles am alten Platz.
[190]
Mir ist, als könnt ich gehen
nur grad ins Feld hinein,
mit geschlossenen Augen sehen
den klaren Vollmondschein.
Und leise Schauer wehen
kühl mich wieder an,
und die alten Sterne stehen
über dem träumenden Mann.
***

Erwacht

Wie selig hat mich's gemacht,
daß unsere Wege sich trafen.
Nun lieg ich in der Nacht
und kann nicht schlafen.
O, welche Liebe war
in meinem Herzen verborgen
und wartete Jahr für Jahr
auf ihren Morgen.
Da kam ihr Tag und Licht,
und sie erwachte.
Du, dein süßes Gesicht —
wie selig mich's machte!

Märchen

In deiner lieben Nähe
bin ich so glücklich. Ich mein,
ich müßte wieder der wilde,
selige Knabe sein.
Das macht deiner süßen Jugend
sonniger Frühlingshauch.
Ich hab dich so lieb. Und draußen
blühen die Rosen ja auch.
O Traum der goldenen Tage!
Herz, es war einmal.
Abendwolken wandern
über mein Jugendtal.

Fromm

[191]
Der Mond scheint auf mein Lager,
ich schlafe nicht,
meine gefalteten Hände ruhen
in seinem Licht.
Meine Seele ist still, sie kehrte
von Gott zurück,
und mein Herz hat nur einen Gedanken:
dich und dein Glück.
***

Vor Schlafengehen

Die Kinder schlummern in den Kissen,
weich, weichen Atems, nebenan,
ein Traum vom heutigen Tag, und wissen
nicht, was mit diesem Tag verrann.
Wir aber fühlen jede Stunde,
die uns mit leisem Flügel streift,
und wissen, daß im Dämmergrunde
der Zeit uns schon die letzte reift.
Wir sitzen enggeschmiegt im Dunkeln.
So träumt sich's gut. Und keines spricht.
Durchs Fenster fällt ein Sternenfunkeln,
vom Ofen her ein Streifchen Licht.
Einmal, im Schlaf, lacht eins der Kleinen
ganz leis. Was es wohl haben mag?
Springt es mit seinen kurzen Beinen
noch einmal fröhlich durch den Tag?
Ein Mäuschen knabbert wo am Schragen,
knisternd verkohlt ein letztes Scheit,
die alte Uhr hebt an zu schlagen —
da sprichst du leis: Komm, es ist Zeit.

Seele

[192]
Dämmerung löscht die letzten Lichter,
noch ein irrer Schall und Schein,
und die Nacht hüllt dicht und dichter
alles Leben ein.
Und die Erde will nun schlafen;
aber ruhelos bist du,
steuerst aus dem stillen Hafen
deinen Sternen zu.

Der Alte

Nun steh ich über Grat und Kluft
in abendlichen Rosen,
und höre durch die klare Luft
das Leben tief vertosen.
Ein Adler rauscht ins Tal hinab,
wo meine Toten schlafen,
was ich geliebt dort unten hab,
weiß ich in sicherm Hafen.
Und bin nun über Leid und Zeit
und meinen Sternen näher,
und schaue in die Ewigkeit,
ein stillgemuter Späher.
Durch eine selige Bläue schwimmt
ein Nachen da herüber,
naht, neigt den schwanken Bord, und nimmt
sanft schaukelnd mich hinüber.

Fraue, du Süße

[193]
O du — um einen leisen Blick von dir
werd ich ein Sänger und Frauenlober,
meine Laute erzittert am Bandelier,
und springt ein roter Ton herfür,
hell wie Zinnober:
Fraue du, du Süße.
***
Ich hab es nicht gewußt, was Liebe ist.
Es ist so, daß man Tod und Welt vergißt,
und Glück und Leid, und alles was es gibt,
und daß man liebt.
Und ist so, daß die leichte Siegerkraft
im Arm sich reckt, die Königreiche schafft, —
daß man im Kissen liegt die ganze Nacht
und weint und lacht.
Was ist die Welt? Ein Stäubchen auf der Hand.
Der höchste Berg ein kleines Körnchen Sand.
Kein Hauch. Kein Laut. Nur ein Gedanke da —
Du bist mir nah...

Liselore

Der Lenz weht mir ein Lied ins Ohr,
das Lied von der schönen Liselor.
Der Wind ging weich, die Drossel schlug,
Liselore hebt sich stolz im Bug,
und träumerisch vor Sonne längst
läßt sie die Zügel ihrem Hengst.
Er grast das erste Spitzengrün.
Ein Apfelbaum wird morgen blühn.
Schon sind die Bäume goldenbraun.
Liselore hört ein Windgeraun...
[194]
Sie reitet leise durch die Nacht,
und neben ihr im Sattel lacht
das Glück: Ei, Liselor, Liselott —
Grüß Gott!
***
Der Schnee knirscht mir ein Lied ins Ohr,
das Lied von der süßen Liselor.
Sie fuhr durch weißen Winterwald,
die starren Zügel fest umkrallt.
Das Glöcklein klirrt, der Rotfuchs saust,
und folgt dem Wink der zarten Faust.
Rasch geht's der Abendsonne zu.
Die glänzt den Winterwald zur Ruh
und überfärbt noch Liselor
und blinkt und schminkt ihr Wang und Ohr.
Aufbäumt der Fuchs, das Glöcklein blitzt
und neben ihr im Schlitten sitzt
der Tod: Ei, Liselor, Liselott —
Grüß Gott -

Bettler

Da ich stumm in Vollmondnächten
durch die Dörfer fiedelnd ging,
fand ich wohl ein Kind zur Rechten,
das mir warm am Halse hing.
Nur ein rascher Kuß im Heue,
der sich vor der Welt vergrub — —
Denn ich bin ein Bettelbub
und brauch keine Treue.
Durch den Sommer, durch den Winter
zog ein fremder Geiger mit,
und er sah bald heimlich hinter
meinen Wimpern, was ich litt.
Was ich wund zutage hub,
stahl er, Rosen, Lieder, scheue.
Denn ich bin ein Bettelbub
und brauch keine Treue.
[195]
Brach die Sonne durch die Grüfte,
daß ich alle Schönheit pries —
und ein Sturm sang durch die Lüfte,
der mir Wunder laut verhieß:
Liebe —
die ich stumm begrub,
ohne Klagen, ohne Reue...
Denn ich bin ein Bettelbub
und brauch keine Treue.

Sonnenkraft

Und immer wieder sinkt der Winter
und immer wieder wird es Frühling
und immer immer wieder stehst du,
und freust dich an dem ersten Grün,
und wenn die kleinen Veilchen blühn,
und immer wieder ist es schön
und macht es jung und macht es froh,
und ob du's tausendmal gesehn:
wenn hoch in lauen blauen Lüften
die ersten Schwalben lustig zwitschern
immer wieder... jedes Jahr...
sag, ist das nicht wunderbar?!
Diese stille Kraft der Seele:
immer neu sich aufzuringen
aus dem Banne trüber Winter,
aus dem Schatten grauer Nächte,
aus der Tiefe in die Höhe...
sag, ist das nicht wunderbar?!
Diese stille Kraft der Seele,
immer wieder
sich zur Sonne zu befrein,
immer wieder stolz zu werden,
immer wieder froh zu sein.

Rügen
Bleistiftskizzen

[196]
Tief und still
in grauem Regen
liegen Wald und
liegen Wiesen...
tief und still
mit müden, schweren
Wellen
schleppt das Meer zum Strand...
graue Möwen
flügelschlagend
schreien um die Kreidefelsen
und im weißen
Dunst der Ferne
zieht in breitgeballter Wolke
dicken Qualmes,
wie der schwarze
Schwan des Todes,
horizontentlang ein Dampfer,
tief und still
in grauem Regen.

Was müde macht!
Bleistiftskizzen

Das ist es,
was müde macht:
dieses heimliche Warten,
dieses ruhelose
stille Horchen nach der Treppe,
dieses Aufspringen,
wenn es klingelt...
statt der erwarteten Freude aber
mit blitzendem Auge,
mit lachendem Mund,
steht ein frierendes Kind draußen,
verhärmt und elend;
und bittet weinend
um ein Stückchen Brot.

Tagebuchblätter

[197]

I.

Auf den Höhen des Lebens...
du dachtest:
in Ewigkeiten zu senken
das trunkene Auge...
und erkennst
noch tiefer nur
des ganzen Getriebes
kernlose Schalheit...
auf den Höhen des Lebens!
Auch diese Erkenntnis aber
ist... Sieg!

II.

Mitunter freilich kommen Stunden
und was du nie bewußt empfunden:
gleich einem grauen Regen regnet's dir ins Herz,
und wie ein scheuer Bettler bleibst du stehn,
verstohlen durch die Hecken zu spähn,
hinter denen sie sitzen und plaudern und lachen,
fröhliche Menschen in fröhlichen Kleidern...
plaudern, lachen, singen und küssen
so leichten Bluts,
so frohen Muts:
als ob es all das Schwere gar nicht gäbe,
an das du so viel Kraft verfehlst!
als ob der Kampf, von dem du sprichst,
und all die Müh und Sorge... nichts!
als ob es eitel Hirngespinste,
worüber du dich härmst und quälst!
und als ob allen, die da sitzen so kinderfroh
und singen und spielen, tanzen und küssen,
erfüllt schon längst,
was du als letzten Dank dir denkst,
als Endlohn für Jahre voll Kampf und Schmerz...
[198]
Und wie ein grauer Regen regnet's dir ins Herz
und wie ein Bettler drückst du dich von dannen
einsam
deinen einsamen Weg.

III.

Und dennoch:
nein, ich beneid euch nicht! ...
hell ist mein Herz und hell mein Blick
und hell in goldener Sonne liegt
die Welt, so sommerklar und schön,
leuchtende Wolken über den Höhn...
und immer tiefer sinkt das Tal
und sein Gewühl
und alle Angst und alles Enge,
alle Schwere, alles Gedränge...
und immer höher, immer breiter,
immer lichter, immer weiter
wird der Himmel,
wird mein Ziel!

Die Alten und die Jungen

„Unverständlich sind uns die Jungen“
wird von den Alten beständig gesungen;
meinerseits möcht ich's damit halten:
„Unverständlich sind mir die Alten.“
Dieses am Ruderbleibenwollen
in allen Stücken und allen Rollen,
dieses sich Unentbehrlichvermeinen
samt ihrer „Augen stillem Weinen“,
als wäre der Welt ein Weh getan —
ach, ich kann es nicht verstahn.
Ob unsre Jungen, in ihrem Erdreisten,
wirklich was Besseres schaffen und leisten,
[199]
ob dem Parnasse sie näher gekommen,
oder bloß einen Maulwurfshügel erklommen,
ob sie, mit andern Neusittenverfechtern,
die Menschheit bessern oder verschlechtern,
ob sie Frieden sä'n oder Sturm entfachen,
ob sie Himmel oder Hölle machen —
eins läßt sie stehn auf siegreichem Grunde,
sie haben den Tag, sie haben die Stunde,
der Mohr kann gehn, neu Spiel hebt an,
sie beherrschen die Szene, sie sind dran.

Was mir gefällt

Du fragst: „ob mir in dieser Welt
überhaupt noch was gefällt?“
Du fragst es und lächelst spöttisch dabei.
„Lieber Freund, mir gefällt noch allerlei:
Jedes Frühjahr das erste Tiergartengrün,
oder wenn in Werder die Kirschen blühn,
zu Pfingsten Kalmus und Birkenreiser,
der alte Moltke, der alte Kaiser,
und dann zu Pferd, eine Stunde später,
mit dem gelben Streifen der Halberstädter;
Kuckucksrufen, im Wald ein Reh,
ein Spaziergang durch die Lästerallee,
Paraden, der Schapersche Goethekopf
und ein Backfisch mit einem Mozartzopf.“

Meine Gräber

Kein Erbbegräbnis mich stolz erfreut,
meine Gräber liegen weit zerstreut,
weit zerstreut über Stadt und Land,
aber all in märkischem Sand.
Verfallene Hügel, die Schwalben ziehn,
vorüber schlängelt sich der Rhin,
über weiße Steine, zerbröckelt all,
blickt der alte Ruppiner Wall,
[200]
die Buchen stehn, die Eichen rauschen,
die Gräberbüsche Zwiesprach tauschen
und Haferfelder weit auf und ab —
da ist meiner Mutter Grab.
Und ein andrer Platz, dem verbunden ich bin:
Berglehnen, die Oder fließt dran hin,
zieht vorüber in trägem Lauf,
gelbe Mummeln schwimmen darauf.
Am Ufer Werft und Schilf und Rohr
und am Abhange schimmern Kreuze hervor,
auf eines fällt heller Sonnenschein, —
da hat mein Vater seinen Stein.
Der dritte, seines Todes froh,
liegt auf dem weiten Teltowplateau,
Dächer von Ziegel, Dächer von Schiefer,
dann und wann eine Krüppelkiefer,
ein stiller Graben die Wasserscheide,
Birken hier und da eine Weide,
zuletzt eine Pappel am Horizont, —
im Abendstrahle sie sich sonnt.
Auf den Gräbern Blumen und Aschenkrüge,
vorüber in Ferne rasseln die Züge,
still bleibt das Grab und der Schläfer drin, —
der Wind, der Wind geht drüber hin.

Die Gans von Putlitz
und Die Erstürmung von Angermünde. 25. März 1420
(Nach dem Altpommerschen)

Ein neues Lied gesungen sei:
Nach dem Winter da kommt der Mai,
das haben wir wohl vernommen;
und daß Kettr-Angermünde märkisch ward,
das soll dem Markgrafen frommen!
***
[201]
Johann von Briefen ließ sich jagen
von Kettr-Angermünde bis Greifenhagen,
all Mut war ihm gebrochen;
da ging er zu Hofe nach Alten-Stettin
und hat zu dem Herzog gesprochen:
„Gnäd'ger Herre, was zu halten stand:
Kettr-Angermünd und das Stolper Land,
ist verloren und verdorben;
der Markgraf hält es jetzt in Hand
und doch hieß es: er sei gestorben.“
Da ließ der Herzog entbieten und holen
all seine Mannschaft, Pommern und Polen,
nach Vierraden ritt man zu Tische;
da setzten sie sich und hielten Rat
und aßen süße Fische.
Dann ritten sie weiter und kaum heran,
Angermünde ward ihnen aufgetan,
alle haben dem Herzog geschworen
und alle riefen: „Stettin, Stettin“
und Brandenburg war verloren.
Aber draußen hinter Wall und Graben,
die Märkischen schon sich gesammelt haben,
vierhundert Reiter und Knechte;
die Gans von Putlitz führet sie,
zischend, auf daß sie fechte.
Ja, die Gans, der wollt es nicht behagen, —
sie streckte zornig ihren Kragen
über die Pommern alle;
da schwebte der märkische Adler hoch
und die Greifen kamen zu Falle.
Die Gans aber wuchs im Grimme noch,
sie schlug mit den Flügeln ein Brescheloch
und da stand sie nun zwischen den Steinen,
und als sie bis zum Markte kam,
waren sie zehn gegen einen.
[202]
Da gingen die Schwerter die Klinker die Klang,
Herr Detleff Schwerin mit dem Putlitz rang
und wollte den Preis erwerben;
da mußte Herr Detleff von Schwerin
für seinen Erbherrn sterben.
Das war des Herzogs schwerster Tag,
als da Herr Detleff vor ihm lag,
zerhackt, in Blut und Wunden,
und er rief: „O hätt ich über den Damm
erst wieder zurücke gefunden!“
Er sprach es und ritt im Zuge vorn,
er gab seinem Rosse Schlag und Sporn
und suchte die Zügel zu fassen;
so kam er bis an das „hohe Haus“,
da ward er eingelassen.
Das war zu Vierraden. Auf Schlosses Brück
einmal noch sah er zurück, zurück,
im Herzen voll Weh und Leide:
„Kettr-Angermünde, du vielgute Stadt,
daß so ich von dir scheide!“
***
Der aber, der dies Lied euch sang,
ein Schmiedeknecht ist er schon lang
und sie nennen ihn Köne Finken;
und er führt ein Hämmerchen auf der Hand
und Gut-Bierchen mag er trinken.

Der 6. November 1632
(Schwedische Sage)

Schwedische Heide, Novembertag,
der Nebel grau am Boden lag,
hin über das Steinfeld von Dalarn
holpert, stolpert ein Räderkarrn.
Ein Räderkarrn, beladen mit Korn;
Lorns Atterdag zieht an der Deichsel vorn,
Niels Rudbeck schiebt. Sie zwingen's nicht,
das Gestrüpp wird dichter, Niels aber spricht:
[203]
„Buschginster wächst hier über den Steg,
wir gehn in die Irr, wir missen den Weg,
wir haben links und rechts vertauscht —
hörst du wie der Dal-Elf rauscht?“ —
„Das ist nicht der Dal-Elf, der Dal-Elf ist weit,
es rauscht nicht vor uns und nicht zur Seit,
es lärmt in Lüften, es klingt wie Trab,
wie Reiter wogt es auf und ab.
Es ist wie Schlacht, die herwärts dringt,
wie Kirchenlied es dazwischen klingt,
ich hör in der Rosse wieherndem Trott:
Eine feste Burg ist unser Gott!“
Und kaum gesprochen, da Lärmen und Schrein,
in tiefen Geschwadern bricht es herein,
es brausen und dröhnen Luft und Erd,
vorauf ein Reiter auf weißem Pferd.
Signale, Schüsse, Rossegestampf,
der Nebel wird schwarz wie Pulverdampf,
wie wilde Jagd so fliegt es vorbei; —
zitternd ducken sich die zwei.
Nun ist es vorüber... da wieder mit Macht
rückwärts wogt die Reiterschlacht,
und wieder dröhnt und donnert die Erd
und wieder vorauf das weiße Pferd.
Wie ein Lichtstreif durch den Nebel es blitzt,
kein Reiter mehr im Sattel sitzt,
das fliehende Tier es dampft und raucht,
sein Weiß ist tief in Rot getaucht.
Der Sattel blutig, blutig die Mähn,
ganz Schweden hat das Roß gesehn; —
auf dem Felde von Lützen am selben Tag
Gustav Adolf in seinem Blute lag.

Maria Duchatel
(Aus der Zeit Maria Stuarts)

[204]
„Welchen Hofstaat bringt unsre Königin mit?“ —
„Sie bringt mit ihre vier Marien,
ihre vier Marieen von Frankreich her,
die müssen mit ihr ziehn.
Die müssen ihr plätten und glätten das Bett
und warten auf der Schwell,
ich kenne die jüngste, die schönste,
das ist Marie Duchatel.“
Maria Duchatel sprang ans Ufer,
im Winde flog ihr Haar,
der König sah Marie Duchatel,
und wie schön und wie schlank sie war.
Marie Duchatel sprang in den Bügel,
ihr Haar war blond und licht,
der König sah Marie Duchatel,
die andern sah er nicht.
Marie Duchatel sprang aus dem Sattel
und zur Kirche schritten sie hin,
der König sah Marie Duchatel
viel mehr als die Königin.
Und eh drei Wochen waren ins Land,
da sangen sie laut und hell:
Was sind alle Mädchen am Hofe
gegen Marie Duchatel.
Und eh drei Monde waren ins Land,
da sangen sie, groß und klein:
Ach, ohne Marie Duchatel
könnten wir gar nicht sein.
Marie Duchatel, Marie Duchatel,
wolle nicht in den Garten gehn,
der König ist da und die Nacht ist nah,
und du kannst nicht widerstehn!
[205]
Nun pflückt sie heimlich vom Klosterbaum
und ringt ihre Hände wund,
doch das Leben unterm Herzen
wird lebendiger jede Stund.
Und endlich hinaus zum Strande
schleicht sie und trägt ihr Kind:
„Nun schwimme oder sinke,“
flüstert sie in den Wind. —
Am andern Morgen läuft's auf und ab:
„Wisset ihr was geschah?
Marie Duchatel hat ein Kleines
und das Kleine ist nicht da.“
Und die Königin ruft Marie Duchatel,
die zittert und kommt geschwind:
„Ich hörte zu Nacht was wimmern!
Sag an, wo ist dein Kind?“
„Ich habe kein Kind, Mylady,
denkt nicht so schlecht von mir,
ich hatte Stiche und Schmerzen
unterm Herzen hier.“
„Und hattest du Stiche und Schmerzen,
wohlan, heut bist du gesund,
bring mir meinen Mantel von Scharlach,
wir reiten noch diese Stund.
Wir reiten von Schloß Stirling
bis Edinburg ohne Müh,
und in Edinburg gibt's Hochzeit
morgen in aller Früh.“
Die Königin stieg zu Rosse,
ihre Herren und Damen mit,
sie ritten all im Trabe,
Marie Duchatel ritt im Schritt.
„Haltet an, liebe Herren und Damen,
ich kann nicht folgen mehr;“
sie hörten's und sprengten weiter,
sie ritt seufzend hinterher.
[206]
Und als sie kamen zum Tore,
da wußten sie's schon in der Stadt,
alle Mädchen und Frauen schluchzten
so oft sie gegrüßet hat.
„Was weinet ihr, liebe Frauen?
kommt mit, es soll Hochzeit sein;“ —
sie schüttelten ihre Köpfe
und traten ins Haus hinein. —
Am Nordertor, wo das Zollhaus steht,
da saßen sie zu Gericht,
sie war erst sechzehn Jahre,
das konnte sie retten nicht.
Durchs Südertor, am andren Tag,
ein Zug und ein Karren schlich,
Marie Duchatel wollte lächeln
und weinte bitterlich.
Sie kamen an den Hügel:
„Lebwohl, liebe Königin,
von deinen vier Marieen
geht eine nun dahin.
Oft hab ich dich angekleidet
und dir das Bett gemacht,
daß es so kommen würde,
das hab ich nie gedacht.
Oft hab ich dir mit Goldband
dein Scharlachmieder gesäumt,
von diesem Tag und dieser Stund
ach, hab ich nie geträumt.
Ihr Schiffer und ihr Matrosen,
wenn ihr zu Schiffe geht,
erzählt kein Wort in Frankreich
von allem, was ihr nun seht.
Erzählt nicht meiner Mutter
von dem Brett, auf dem ich stand,
und nichts von meinem Tode
und nichts von meiner Schand.
[207]
Ach, meine arme Mutter,
als in der Wieg ich lag
und du mich herztest und küßtest,
wie fern war dieser Tag!“

Grabschrift
(Auf einem Grabstein im Kirchhof von Melrose-Abbey)

Erde gleißt auf Erden
in Gold und in Pracht;
Erde wird Erde
bevor es gedacht;
Erde türmt auf Erden
Schloß, Burg, Stein;
Erde spricht zu Erde:
alles wird mein.

Nebelphantasie

I.

Matt, von Dämmrung noch umwoben, schimmern rings die Rebenhügel.
Um die Burgruine jagen Reiter mit verhängtem Zügel;
wild und hastig drängend alle, schattenhafte Luftgebilde,
Nebelsammler... Nach der Tiefe drohen sie mit Speer und Schilde.
Aus des Rheines dunkeln Fluten tauchen blendendweiße Nacken,
greifen zarte Weiberhände nach des Ufers Felsenzacken,
schmiegen eng sich an die Klippen und ein sinnbetörend Klagen,
aus Sirenenmunde tönend, steigt empor, vom Dust getragen.
Droben um die Trümmer starren dichter schon die Nebeldünste;
doch die eifrigsten der Reiter fesseln der Sirenen Künste...
Hastig gleiten sie zur Erde, lautlos führen sie die Rosse
durch die Reben nach dem Ufer, samt dem düstern Nebeltrosse.
[208]
Tiefer stets und tiefer locken die Sirenen sie zu Tale
und verschwinden, untertauchend, schalkhaft dann mit einem Male.
Suchend überm Strome aber irren jene auf und nieder,
rastlos, bis der Sonne Strahlen flammend lösen ihre Glieder,
bis die schaumgekrönten Wellen ihre Rosse kühn bezwingen,
die verworrnen Mähnen zausend, starken Arms sie niederringen.

II.

Undurchdringlich auf dem Strome liegt der Frühduft kalt und bleiern.
Schmückten sich der Fluten Geister über Nacht mit grauen Schleiern?
Ging ein Heer von wilden Schimmeln wandermüde hier zur Ruhe?
Oder leerte ob dem Tale sich des Mondes Silbertruhe? —
Schöngeformte Nixenhände seh ich in den Schleier greifen
und sie haben mit Begierde schon ergattert einen Streifen...
Da beginnt's, empor zu flattern zu der Frühe blassen Schimmern,
und die frohe Schar der Nixen bricht in Klagen aus und Wimmern.
Frisch verdoppeln sie die Kräfte, Duft und Dampf hinabzureißen
mit den seidenweichen Händen, die von Goldjuwelen gleißen.
Und sie schmeicheln und sie drohen und empören rings die Wellen,
schäumend, wie vom Sturm gepeinigt, in den Duft emporzuschnellen.
Jetzt entsteht, vom Hauch der Frühe angefacht, ein ernstes Ringen...
sieh, den grauen Nebelrossen wachsen plötzlich Riesenschwingen.
Erst vereinzelt, dann in Scharen suchen sie der Berge Gipfel,
still zur Ruhe sich zu lagern um die hohen Eichenwipfel.
Klagend in die tiefsten Fluten taucht hinab der Nixenreigen
und das Tal erfüllt mit Schauern, tiefes, wehmutsvolles Schweigen.
[209]
Aus der Nebelrosse Mähnen fließt das Grau ins Blau der Ferne
und durchdringt mit seinen Schatten selbst das Wunderreich der Sterne...
bis es, mählich sich verdichtend, lind und leis beginnt zu rieseln —
während drunten tief die Nixen spielen mit des Stromes Kieseln.

Sommervögel

Meine schönsten Lieder
kommen wie die Sommervögel,
scharenweise
durch die Lüfte flatternd,
spreitend ihre bunten Flügel
in den heißen Sonnenwellen.
Lächelnd laß ich sie vorüberschwirren.
Doch die feinsten,
violett befiederten,
mit den rosenroten Brüsten,
faß ich leicht mit zagem Finger,
berge sie am warmen Busen
trage sie in meine Gärten,
und im stillen Abendscheine,
wenn die Wolken goldig gehen,
füllen sie die Wipfel meiner Linden
mit unsäglich seligen Gesängen.

Die Regenfrau

Leise, leise rieselt's; feinstes Sprühen
trüber, undurchsichtiger Wasserstäubchen,
die in junge Knospenaugen tauen.
Droben wogen graue, nasse Massen,
[210]
die ein schlaffer Föhn kaum weiterwälzt.
Auf der Erde sammelt sich in Lachen
braune Flut; die übertrunkne Scholle
weigert sich, den Himmelswein zu kosten,
dessen duftlos schaler Trank zum Ekel
ihr die schlammbeschmutzte Schale füllt.
Leise rieselt's. An die Fenster pocht es
wie mit feinen krallenspitzen Nägeln.
Vor den Fenstern weht es wie Gesträhne
eines flutentstiegnen Weiberhauptes.
Und ich seh ein blasses, volles Antlitz.
Wässrig blaue, gläsern starre Augen
dämmern durch die angelaufnen Scheiben.
Wird die Regenfrau auf ihrem Gange
auch in meinem Hause Einkehr halten?
Wird sie ihren tränenschweren Schleier
meinem blütenjungen, blütenzarten
Glück auf seinen lockigen Scheitel senken?
Wird sie...? Nein. Sie schüttelt leicht ihr Haupt
Diesmal nicht. Sie wandelt hoch vorüber.
Aber draußen rieselt's leise, leise.

Toter Herbst

Weißt du noch, wie uns das Leben gelacht,
als wir in schwüler Septembernacht
in dem Weinberg uns fanden?
Du in den Haaren den Weinlaubkranz,
ich in den Augen der Luftnacht Glanz,
wie wir uns taumelnd umwanden?
Weißt du noch?
Meine Leidenschaft steckte dich an,
immer den Berghang höher hinan
drängtest du abseits der Menge,
bis ich am äußersten Weingutrand
eine liebliche Hütte fand,
eine verlockende Enge.
[211]
Manchmal traf von der Winzer Chor
ein verlorener Klang unser Ohr,
manchmal blitzten Raketen.
Sanft umwob uns mit blauseidnem Kleid
thymianduftende Einsamkeit,
lauliche Hauche wehten.
Drunten bei schwelender Fackeln Schein
mochten sie tanzen in jauchzenden Reihn,
neidlos weilten wir ferne.
Wir im umrankten Kämmerlein
waren uns Reigen und Becher und Wein,
wir im Glanze der Sterne!
Weißt du noch, wie es damals war?
Wieder neigt sich herbstlich das Jahr,
aber die Nebel brauen.
Keine Traube glüht mehr am Hang,
und wir beide schleppen uns bang
durch ersterbende Auen.

Sturmnacht

Tiefdunkle Nacht. — Es wacht im Hause
kein Schritt mehr, keiner Stimme Klang;
der Sturm nur rüttelt mit Gebrause
am Fenster meiner stillen Klause; —
wie tönt sein Lied so wild und bang!
Ein düstrer Chor verirrter Klagen
fährt seufzend mit ihm durch die Nacht;
er kennt der Reue heimlich Nagen;
er sah die Mutter, die mit Zagen
am Bett des kranken Lieblings wacht.
Er hörte, wie sich in den Schlingen
des Wildrers ächzend wand das Reh,
[212]
sah mit der Not den Genius ringen
und nahm auf seine starken Schwingen
verratner Liebe bittres Weh.
Nun kommt er, mir ans Herz zu legen
die Opfer all der Lebensschlacht,
die er gestreift auf dunklen Wegen; —
gleich tausend Händen streckt's entgegen
sich mir verzweifelnd aus der Nacht.
O heißes Mitleid, sprachlos Grauen,
das jäh der Seele Tiefen schwellt! —
Der Regen rauscht; die Bäume sausen,
und uferlos beim Sturmesbrausen
wogt rings das Leidensmeer der Welt!

Auf der Hallig

Ein Grasfeld, fußhoch ob der Flut erhoben;
zehn dürftige Hütten, strohgedeckt und grau,
geschart um eines Kirchleins morschen Bau;
hier, dort ein Siel, vom Meere selbst gegraben;
ein Möwenschwarm, ein gierig Paar von Raben,
den Strand umflatternd auf der Beuteschau;
des Seewinds rastlos Pfeifen, schrill und rauh;
kein Baum, kein Busch, mit Schatten dich zu laben:
Das ist die Hallig. — Nüchtern, öd und häßlich
scheint sie des Weltkinds wechselndem Verlangen,
doch ernsten Seelen bleibt sie unvergeßlich.
Hier fühlt das Herz, verlernend Lust und Bangen,
sich weiten gleich der Meerflut, unermeßlich,
vom Ewig-Einen traumhaft still umfangen.

Meeresträume
(Helgoland)

Des Meeres Stimme braust in meine Träume,
doch singt sie nicht, wie einst, von toten Städten,
versunknen Kronen, goldnen Prachtgeräten,
glückseligen Inseln voller Palmenbäume.
[213]
Nein, stolze Bilder aus der Zukunft Tagen
erweckt sie mir mit rauhgestimmten Weisen:
Geschwader seh ich ziehn in Stahl und Eisen,
die siegreich Deutschlands Adlerbanner tragen.
Und Häfen schau ich, drin aus allen Zonen
sich Güter türmen, deutschen Fleißes Segen,
und Kolonien, am Urwaldsaum gelegen,
wo deutsche Sprache, deutsche Sitte wohnen.
Was trüb und welk, der Seewind fegt's von dannen,
und freudig schwillt das Herz beim Brandungstosen,
als säh es singend lustige Matrosen
zur Fahrt ins Weite keck die Segel spannen.

Abend

Dieser Tag verglüht nun auch;
wie ein Himmelsgruß der Sterne
wehet abendkühler Hauch
aus der goldgetränkten Ferne.
Regung bringt das leise Wehn
nur den höchsten Wipfelzweigen;
doch ich glaube zu verstehn,
was sie flüstern, was sie schweigen.
Und als ob vom leichten Süd
meine Seele zitternd schwanke,
schwebet still durch mein Gemüt
alles, was ich dir verdanke.

Stromab

Stromab! Stromab! Ich steh am Rand
des Ufers mit verhaltenem Weinen,
und eine liebe, liebe Hand
ruht abschiednehmend in der meinen.
[214]
Stromab! Stromab! Nun ist's geschehn;
die Welle rauscht, die Segel wallen.
Ein weißes Tüchlein seh ich wehn,
hör einer Stimme Ruf verhallen.
Stromab! Stromab! Zwei Furchen nur
verraten wo das Schiff gezogen;
schon überspülen ihre Spur
die fremden teilnahmlosen Wogen.
O letzter Blick! O letztes Wort!
die heiße Träne rinnt hernieder;
so ziehet Glück und Jugend fort
stromab, stromab und kehrt nicht wieder.

Nachtbild

Längst wiegte schon die Nacht gelinde
in sanften Schlummer Wald und Flur;
das leise Atmen nur der Winde
verrät entschlafnen Lebens Spur.
Die Blumen blinzeln in die Ferne
in zarter Träume Zauberbann
und schaun die funkelnd hellen Sterne
als holde Himmelsschwestern an.

Verborgener Schimmer

Heimlich funkeln die Sterne
über dem blauen See,
heimlich über dem Garten,
dran ich vorübergeh, —
und noch heimlicher, heller,
schillernd im Abendwind,
über den Wegen, die heimlich
einst wir gewandelt sind...

Träumerei

[215]
Es dämmert... Leise Schatten
erstehn im stillen Raum, —
die Schatten werden Bilder,
die Bilder werden Traum.
Ich sehe dich, empfinde
beseligt: du bist mein! ...
Die Bilder werden Träume,
die Träume werden Sein...

Gustav III. von Schweden auf dem Maskenball
(1792)

Ein Spiegelsaal, Gelächter. Mummenschanz.
Ein Maskenspiel, bestrahlt von Kerzenglanz.
Gestalten bunt und keck und lebensfroh
im lustigen Geschmack des Rokoko.
Dort tritt ein Spanier stolzen Ganges ein.
Am Samtbarett flammt kostbares Gestein.
Er taucht ins Festgewoge, scherzt und neckt:
Der König ist's, den dichte Larve deckt.
„Was willst du, Narr, der mich von hinnen zieht?“
Der Schellenträger flüstert: „König — flieht!
Man sinnt Verrat!“ Schnell hüpft er klingelnd fort.
Der König, achselzuckend, lacht dem Wort.
„Schon wieder, Narr?“ — „O, traut mir, Majestät.
Verlaßt den Saal. Jetzt. Gleich. Bald ist's zu spät.“ —
„Hör, Freund, wer Narren glaubte —“
„Keinen Spott.
Noch einmal: flieht! Den Warner sendet Gott.“
[216]
Der König mischt sich sorglos in den Schwarm.
Ein Sarazene greift nach seinem Arm.
Dort hängt ein Mohr sich an ihn dreist und bunt.
Unheimlich Flüstern geht von Mund zu Mund.
Er merkt es nicht. Doch enger wird der Kreis.
Der Masken Augen funkeln wild und heiß.
Sie drängen näher. Wie das stößt und zerrt...
Der Spanier weicht zur Tür. Sie ist versperrt.
Jetzt Johlen. Pfeifen. Wie ein Höllenheer
umtanzt es ihn. Er atmet tief und schwer.
Bon soir, beau masque!“ Ein frecher Blick. Ein Knall
Ein Aufschrei — übertönt von dumpfem Fall — —
Verlaßner Spiegelsaal. Erlöschend Licht.
Zertretne Blumen. Kalt und nüchtern bricht
durch seidnen Vorhang erstes Morgenrot.
Gespenstig ragt auf leerem Thron — der Tod.

Die Spinnerin

Sie sitzt am flackernden Feuer und spinnt.
Ihr Auge starrt, ihre Seele sinnt
und wandert zurück in entschwundene Zeit
und kostet noch einmal Glück und Leid.
Ein Scheit in die Flammen. Es lodert die Glut
und rinnt und rieselt wie rotes Blut:
Die Greisin sieht — ihr zittert die Hand —
den Gatten, gestürzt von der Felsenwand.
Der wackerste Führer im Glocknergebiet...
Das Rädchen schnurrt sein eintönig Lied.
Ein andres Scheit. — O, trauriges Los:
Sie zog die drei Buben in Mühsal groß.
Der Franz, der erste, ein schmucker Gesell,
die Augen so leuchtend und falkenhell,
so fröhlich sein Herz und der Stimme Klang,
voll Lebensfreude — voll Jugenddrang...
[217]
er mußte zum Kriege nach Welschland hinein:
Bei Solferino — — —
Das Rad hält ein.
Und wieder ein Scheit in die zuckende Glut.
Wie war der Nazi, der zweite, so gut!
Wie eifrig ging er dem Pfarrer zur Hand
mit Rauchfaß und Glöcklein, als Ministrant,
und schaffte für sie, der schweigsame Sohn,
im Walde um kärglichen Tagelohn.
Doch als die tückische Seuche genaht —
die tückische Seuche — — —
Es säumt das Rad.
Das letzte Scheit. Die Flamme zischt auf.
Wild schwingt sich die Haspel in zornigem Lauf,
und der feine, glänzende Faden reißt...
Der Wenzel, das war ein Feuergeist,
der oft ihr mahnendes Wort verlacht,
der sie in Jammer und Schande gebracht.
Bei Nacht und Nebel mußt er entfliehn —
— — Wo mag er jetzt durch die Lande ziehn?
vielleicht in Elend, in Seelennot?
Es drückt ihr das Herz ab. — O, wäre er tot!
Viel besser ein Grab in der Erde Schoß,
als des Kain qualvolles Wanderlos!
Wo mag er sein?
Wo Gott es will.
Das Feuer verglimmt. — Das Rad steht still.

Die Wolke

Noch ist es still. Noch schlummert rings die Erde.
Nur frühe Vöglein zwitschern, halb im Traum.
Hoch droben segelt eine lichte Wolke
im Morgendämmern durch den Himmelsraum.
Und schwebend, wie auf weitgespannten Schwingen,
gleicht einem Engel sie, der heimwärts zieht:
Vielleicht hat an verlaßnem Sterbelager,
ein stiller Hüter, er zur Nacht gekniet,
[218]
vielleicht auf eine Stirn in Fiebergluten,
mit lindem Trost die kühle Hand gelegt,
vielleicht ein leidgeprüftes Herz beruhigt,
das hoffend nun dem Licht entgegenschlägt...
... Da ich noch sinnend in die Ferne träume,
zerfließt die Wolke still im Sonnenschein.
Der Himmel öffnet seine blauen Tore:
er läßt den heimgekehrten Seraph ein.

Lied der Knospen

Ach, daß die dunkeln Nächte,
die feuchten Nächte kämen,
die süßen, dunkeln, feuchten Nächte
von uns die Hüllen nähmen!
Allabendlich kommt eine Jungfrau,
uns sorglich zu begießen,
aus ihrem Kännlein des Wassers Perlen
zitternd über uns fließen.
Ihr schönes, weißes Antlitz
steht über uns mit Verlangen,
ob von den vielen, vielen Knospen
noch keine aufgegangen?
Ach, daß die dunkeln Nächte,
die feuchten Nächte kämen,
die süßen, dunkeln, feuchten Nächte
von uns die Hüllen nähmen!...

Zwei Marienbilder

I.

Maria, Rosenblüte rot,
sitzt in der Lauben still.
Ihr Herz ist schwer von süßer Not,
die ihr was sagen will.
[219]
Und durch den blühenden Flieder
gehn sanfte Gotteslieder —
Da wird der Himmelsbraut
gar liebe Ahnung laut.
Gar leise Ahnung wird ihr laut,
eindringlich spricht die Welt.
Sie bebt und in das Weite schaut:
Ein Engel kommt durchs Feld.
Er kommt durchs Felde gangen
in silberweißem Prangen
und zu Maria spricht:
Ein' Wonne dir geschicht.
Ein' große Wonne soll geschehn
vor allen Weiben dir!
denn du, Maria, bist ersehn
zum Heil der Menschen hier.
Du sollt in hohen Ehren
den Herrn der Welt gebären!
Maria seufzt und schweigt
und sanft ihr Köpflein neigt.

II.

Maria sitzt im Blütengarten,
den kleinen Jesus tut sie warten.
Er liegt im sommerlichen Duft,
die großen Augen in die Luft.
Die Fliegen ihn umsummen leise,
sie schaukelt ihn und summt die Weise:
„Schlaf, Kindlein, schlaf!
auf der Wiese gehn die Schaf'.
Weiße und schwarze durch den Klee,
das tut den schönen Blumen weh.
Schneeweiß ist eines, das ist für dich,
der Vater schenkt es dir sicherlich.
[220]
Doch mußt du erst wachsen und größer sein,
dann darfst du es führen ganz allein.
Darfst es führen an einem Seidenband,
es frißt dir gar niedlich aus der Hand.
Schlaf, Kindlein, schlaf!
auf der Wiese gehn die Schaf'.“
Meister Josef gönnt eben sich Ruh,
sieht vom Vespern behaglich zu —

Die Kranke

I.

Mutter, liebe Mutter, jeden Tag
weicht die Sonne mehr von meinem Kissen.
Bald, so ahnt mein Herz mit bangem Schlag,
werd ich die geliebte völlig missen.
Blatt um Blatt verliert der wilde Wein;
so entblättert leise sich mein Hoffen.
Von dem Garten flieht der bunte Schein,
den der Frost wie mich ins Herz getroffen.
Eh die letzten Lichter löschen aus,
alles gleich mir selbst wird fahl und kalt sein,
einmal noch in Feld und Wald hinaus!
aber es muß bald sein, es muß bald sein...
Tage gibt es jetzt, so schmerzlich hold,
Farben, o so wundersame, reine!
Und der Sonne melancholisch Gold
fließt gelinde über Flur und Haine.
In der letzten Blumenzier des Felds
möcht ich meinen müden Körper betten,
und des Herbsteshimmels blassen Schmelz
in das dunkelnde Gemach mir retten...
Eh die letzten Lichter löschen aus,
alles gleich mir selbst wird fahl und kalt sein,
einmal noch in Feld und Wald hinaus!
aber, Mutter, es muß bald sein... es muß bald sein...

II.

[221]
Meine Hand ist welk, mein Knie so schwer,
mein Herz, mein Kopf von Wünschen so leer.
Nur noch den einen Wunsch ich hab:
man lege mich ins kühle Grab...
Totengräber, grabe!
Es ist mein Bettlein auch schon gemacht.
Geschneit hat's ja die ganze Nacht.
Es fiel ein Linnen gar fein und weiß
vom Himmel nieder heimlich leis.
Totengräber, grabe!
Ihr Schwestern all in Kränzen rot,
ihr ahnt noch nichts von Sterbens Not.
Ich trage nun bald ein Kränzlein blaß,
das wird von Muttertränen naß...
Totengräber, grabe!
Lieb Vater, hast es nicht gedacht,
als man das Töchterlein dir gebracht,
du würdest es legen so bald hinein
in den unbarmherzigen Totenschrein.
Totengräber, grabe!
Lieb Mutter, lieb Vater, drückt mir die Hand!
Dann kehr ich stille mich an die Wand.
Von ferne klingt es wie Tanzmusik,
dort lacht das Leben, dort ruft das Glück...
Totengräber, grabe!

Das Kummerschifflein

[222]
Fließe, Faden, fließe;
Silberschifflein, schieße!
fahre über, hin und her,
meine Tränen sind dein Meer,
meiner Seufzer Hauch dein Wind —
fahr, mein Schifflein, fahr geschwind!
Spule, spule, fließe;
Kummerschifflein, schieße;
schnell dich hin und schnelle her —
hab mein Kind, mein Kind nicht mehr!
Stich ins Herze, Stich und Schlag...
Gott — wann wird es endlich Tag?!
Schalte, Rädchen, schalte;
halte, Schifflein, halte! —
Muß das leere Bettchen sehn
meiner kleinen Magdalen!...
Warst mein Glanz, mein Sonnenschein
und mußt nun begraben sein!
Spiele, Schifflein, spiele,
Meilen sind noch viele!
schnelle hin und schnelle her —
's ist ein Leben, ach so leer,
wie die Nacht, so bitter kalt! —
will es noch nicht tagen bald?!
Eile, Faden, eile,
fließe ohne Weile:
hier das Linnen muß noch sein,
draußen für ein Kreuz aus Stein! —
Ach, wenn erst Maßliebchen blühn,
Primeln, Veilchen, Immergrün!...
[223]
Schnurre, Rädchen, schnurre;
surre, Faden, surre;
Jahr wie Jahre, Tag und Nacht,
bis der Tod herangewacht. —
Fädlein, Rädlein, willst du gehn?
ja nicht müde stillestehn!
Fließe, Faden, fließe;
Silberschifflein, schieße!
Wie schon trüb die Lampe brennt,
Leben auf den Gassen rennt —
Flink, mein Schifflein — Ruck und Schlag —
Gott — es ist schon wieder Tag!

Schlaf

Wenn von des Weltenmünsters Hochaltar
die Nacht sich neigt im funkelnden Geschmeide,
und sanft, gleich einem losen Schlummerkleide,
schlingt um die Welt ihr flimmernd Rabenhaar —
dann träufft auch Gnade, reich und wunderbar,
du Schlaf, du Friedensbringer allem Leide,
dem Menschenauge draußen auf der Heide,
dem ärmsten Haupt, für das kein Heimblick war!
O heiliger Schlaf, Entwöhner aller Schmerzen,
wenn einst verlöschen unsre Pilgerkerzen:
Du lösest, weiß ich, auch aus jener Nacht
verwelktes Sein zu neuer Blütenpracht!
Denn jedem Aug wohnt tief im Grund ein Schimmer:
was in uns Wesen ist, das stirbt uns nimmer!

Wie es kam

[224]
Er pochte an manche Herzenstür,
und drinnen rief's: Herein!
Er bat um einen Bissen Brot,
man gab ihm einen Stein.
Und so bekam er Stein für Stein.
Er trug sie heimatwärts
und baute sich ein Mauerwerk
rings um sein eignes Herz.

Das Grab

Ich schritt als Kind an des Vaters Hand
durch den Friedhof, den schweigenden Garten.
Der Friedhof lag am Meeresstrand,
die Wogen stampften und scharrten.
Wir suchten hin, wir suchten her —
wir fanden der Mutter Grab nicht mehr.
Wir wußten, es trug ein Kreuzchen klein,
gezimmert aus brauner Rinden.
Das mochte wohl fortgekommen sein,
wir konnten das Kreuz nicht finden.
Bekümmert schauten wir ringsumher
und endlich traurig aufs weite Meer.
Dann nahm der Vater aus meiner Hand
die mitgebrachten Rosen
und streute sie aufs Hügelland
wahllos den Namenlosen...

Aus einem Zyklus „Zigeunermusik“

[225]
Was zucken die braunen Geigen
so seltsam in eurer Hand?
„Wir haben darüber als Saite
ein Menschenherz gespannt!
Ein armes, närrisches Herze
zergeigen wir Stück für Stück —
das lacht in seinem Schmerze,
und weint in seinem Glück!“
***
Irgendwo, irgendwo
hab ich mein Glück begraben —
Helft suchen mir, helft suchen mir,
ich muß es wieder haben!
Ich kenn das Grab, ich kenn das Grab:
ein Rosenstrauch welkt inmitten,
mein Liebster geht darüber hin
mit langen, harten Schritten!
***
Nun laß die Liebe! In der Luft
liegt es wie Hyazinthenduft,
klingt es wie Raserei —
Das Leben ist ein frecher Tanz,
nur wer verachtet, hat es ganz,
und klagt nicht, wenn's vorbei!
Tokayer füll mir den Pokal —
Daß ich das Gift nicht seh im Mahl,
betäube mich der Wein!
Gott sei's geklagt, nach diesem Tanz
wird ja mein armes Herz auch ganz,
ja ganz zertreten sein!

Capella Sistina

[226]
Durchs Herz des Lebens geht ein Sehnsuchtsschauer
und über sich hinaus schafft es den Geist,
den Reinen, Ewigen, den es in Trauer
und Wonne bang zu sich herniederreißt.
Es träumt Vollendung... und in heißem Ringen
strebt's aufwärts, aufwärts — seinem Traume nach,
und die Begeistrung leiht ihm Riesenschwingen —
Abstreifen will der Mensch des Tieres Schmach,
zerreißen, was an die Natur ihn kettet,
entgegenstemmen sich dem irren Lauf —
wie auch die Blinde rast — er ist gerettet,
denn in ihm schlug sie groß die Augen auf!
So wähnt er — und schon hat der Streit begonnen —
ein wilder, banger, fürchterlicher Streit —
Sie schuf derweilen lächelnd neue Sonnen,
er ward zum Narren der Gottähnlichkeit!
Und du, o Meister, hast es festgehalten,
dies Ringen, grauenhaft, dämonisch-groß,
aufbäumt es sich in deinen Machtgestalten —
dann sinkt's zurück: zerschmettert, hoffnungslos!
Nicht jeder wird aus deinem Bilde lesen,
was ich drin las — nur wer sich selbst erkannt,
nur wem das Leben mehr als — Zeit gewesen,
dem reichst du, wie Gott-Vater, hier die Hand!

Mondnacht

Der Mondnacht Schimmer und des Meeres Blau,
sie flossen märchenhaft in eins zusammen,
hinausgedehnt zu wundersamer Schau;
die Wellen hoben sich wie magische Flammen
und tanzten weithinleuchtend um den Strand
und zogen um die Klippen Phosphorkreise
und warfen Silberperlen in den Sand,
und flüsterten und raunten, süß und leise...
In weichen Zügen atmete die Luft,
es war, als wollte sie die Nacht belauschen;
[227]
verlorne Klänge nur, verlornen Duft
trug sie mir zu, und das verstohlne Rauschen
der blühenden Orangen unter mir,
die in die Fluten ihre Wurzeln tauchten
und ins Gekos des Nachtwinds süß und irr
den Atem kaum erbrochner Knospen hauchten.
Kein Laut... kein Ruderschlag... und wie die Welt
um mich, so voll mein Herz von Glück und Hoffen,
so reich an Wünschen, wie das Himmelszelt
an Sternen; holdem Trug die Seele offen,
wie dort, dem Vollmondlicht der Meeresschoß;
ein heimliches Aufleuchten und Empfangen,
ein irres Glühn, ein Sehnen namenlos
und stummer Qual gepaart ein heiß Verlangen...
O Wundernacht! Es blühte knospenschwer
die Seele mir von ungesungnen Liedern,
und strich der Südwind seufzend übers Meer,
dann rieselte es nach in meinen Gliedern.
Im Takt der Flut ging meines Herzens Schlag —
ein Märchen lebte ich und gäb euch Kunde
davon — doch grausam nahm der junge Tag
mit goldnen Fingern mir das Wort vom Munde!

Kindheit

Ob der Reigen noch um die Linde geht
in meiner Heimat fern?
des Zimbels tieftonig Gebrumm,
der Geigen schluchzendes — „Warum?“
Ich hört es gar so gern...
Ob der Reigen noch um die Linde geht?
In weißen Blüten stand der Baum
gekleidet wie in Schnee,
und unten wandelte im Schritt
der Reigen, und der Mond ging mit,
so hell, daß ich's noch seh...
In weißen Blüten stand der Baum!
Nun hat das Leben mich gepackt,
die heißersehnte Welt —
[228]
im Kampf, der tobend mich umsaust,
erwehr ich mich der ehernen Faust,
die mordend niederfällt —
Nun hat das Leben mich gepackt!
Doch schleichen in das Dunkel sich
Gestalten, wie im Traum.
Von Stimmen klingt es, süß und leis,
und Kleider flattern, blütenweiß,
und keusch bis an den Saum —
Sie schleichen in das Dunkel sich...
Ob der Reigen noch... um die... Linde geht?
Dann leg ich wohl die Hand
vors Aug, und sinn das Herz mir wund —
Mein Leben, ach! für eine Stund
in jenem Zauberland!
Ob der Reigen noch... um die Linde geht... ?

Morgengang

Ich geh auf stillen Wegen
frühtags ins grüne Feld,
wie lacht mir da entgegen
die junge Morgenwelt!
Wohl tausend Blüten schauen
von Wald und Wiesen her,
die alle tropfig tauen
von edlen Perlen schwer.
Ich brech mir ein Geschmeide
von nassen Rosen ab:
wärst du an meiner Seite,
von der geträumt ich hab!
[229]
Ich hing dir's in die Locken
als deinen Hochzeitskranz —
Da gehn die Morgenglocken,
ich steh in Tränen ganz.

Der Wanderer und der Bach

Wohin, o Bächlein, schnelle?
„Hinab ins Tal.“
Verhalte deine Welle!
„Ein andermal.“
Was treibt dich so von hinnen?
„Ei, hielt ich je?“
Willst du nicht ruhn und sinnen?
„Ja, dort im See.“
Bist du schon gram der Erden?
„Ich eile zu.“
Du wirst schon stille werden!
„Nicht minder du.“

Die Schnitterin

Vor einem grünen Walde
da liegt ein sanfter Rain,
da sah ich auf der Halde
ein rosig Mägdelein.
Das fährt mit ihrer blanken
geschliffnen Sichel 'rum,
und mähet in Gedanken
die schönsten Blümlein um.
Kuckuck ruft immer weiter
im Holz den ganzen Tag,
und alles prophezeit er,
was ihr gefallen mag.

Vor der Ernte

[230]
Nun störet die Ähren im Felde
ein leiser Hauch,
wenn eine sich beugt, so bebet
die andre auch.
Es ist, als ahnten sie alle
der Sichel Schnitt —
die Blumen und fremden Halme
erzittern mit.

Sunnwendnacht

In der Sunnwendnacht
beide Hand in Hand
sind wir durchs Feuer gangen.
Durch die Flammennacht
brachten wir's Gewand —
das Herz tat Feuer fangen.
In der Sunnwendnacht
hat ein Regenguß
verlöschet alle Flammen.
Heiße Flammenmacht
schmolz uns Kuß in Kuß —
da brach die Glut zusammen.

Liebesnacht

O weile, süßer Geliebter!
Es trügt dich nur,
es hellt, nur wolkengetrübter,
der Mond die Flur.
„Doch nimmer weilen und halten
die Wolken dort,
es führen sie wilde Gewalten
von Ort zu Ort.“
[231]
Ein Traum ist alle das Treiben
in dunkler Höh,
doch uns muß ewig verbleiben
der Sehnsucht Weh.
„Ich seh nur Kommen und Scheiden
am Himmelszelt,
es zieht die Seele der Leiden
durch alle Welt.“
Die Wolken wandern so nächtig
ohn Schmerz und Lust,
ich aber ziehe dich mächtig
an meine Brust.

Die wilden Frauen vom Untersberg

Die wilden Frauen vom Untersberg
verachten alles verschrumpfte Gezwerg,
sie wollen gewachsene Knaben
zu ihrer Kurzweil haben.
Naht so ein Schnitter schmuck und jung,
gleich sind sie da im luftigen Schwung,
das Haar, goldgelb wie Seiden,
und helfen ihm Ähren schneiden.
Sie wirbeln verlockend um ihn her:
„Komm gern, es reut dich nimmermehr,
komm gern zu Tanz und Spiele
in Bergesschoß und Kühle!“
Was will der arme Knabe tun?
Bald läßt er Kampf und Sträuben ruhn,
daß er die goldgelben Haare
nur länger noch gewahre.
Er zieht bergein an ihrer Hand,
kein Mensch erfährt, wohin er schwand,
bis er aus wolkigen Höhen
wird schlafend einmal gesehen.

Der Geworbene

[232]
Sie gruben einen Soldaten ein,
sie trommelten, präsentierten,
sie schossen ihm ins Grab hinein,
die Degen salutierten:
„Lebwohl, Kamrad, lebwohl!“
Und wie ihm nach die Trommel schlug
dem Kriegsmann in der Erden,
da schwur der Knab, der's Kreuz ihm trug,
auch ein Soldat zu werden:
„Wohlan, o Knab, wohlan!“

Erhellte Ferne

Nach entladnem Wetterregen
hat die Ferne sich erhellt,
und der Alpen Zug entgegen
siehst du einsam dich gestellt.
Die im Wolkenduft verschwammen,
tief erblauend stehn sie da,
und so eng geschart zusammen,
wie sie nie dein Auge sah.
Vor den wildgetürmten Massen
hebt ein Dorf sich friedlich ab: —
deinem Sehnen überlassen,
lehnst du still am Wanderstab.

Abend im Tal

Tiefblau ist das Tal,
über den Wäldern gehet
die Sonne still zur Ruh,
im sinkenden Strahl
der Wipfel Regung wehet
den leisen Sternen zu.

Novemberstimmung

[233]
Die Flur umher
es kalt durchweht,
wo nirgend mehr
ein Blümlein steht.
Im Wald zerstiebt
das welke Laub —
Die ich geliebt,
sind alle Staub.
***
Sich frühe neigt
der Sonne Lauf,
am Himmel steigt
der Mond herauf.
Es füllt sich sacht
das Sternenzelt.
Sie sind erwacht
in jener Welt.

Der Bacchant

Lag ich nicht gestern auf steinernen Kissen
im Herbstwald, der rauschende Kronen wiegt,
die Haare von packender Sturmhand zerrissen,
die seinen Nacken zu Boden biegt?
War ein Felsen und streckte rings
lange Schatten ins schwankende Dämmern.
Waldzwerge hatten mit klingenden Hämmern
den splitternden Block gehackt zur Sphinx.
Hoch oben lag mein heißes Gesicht
[234]
auf den kühlen Steinen —
laut aus meinem brennenden Weinen
rang sich ein Lachen in rauschende Nacht —
der ganze Wald hat mitgelacht.
Doch heute leuchten wunderbar
meine Angen hinaus in den goldhellen Tag.
Trunkenes Lachen und Zimbelschlag,
Weinlaub im Haar!
Mein blitzender Mantel ist Sternengold,
das mir wie Feuer zu Füßen rollt.
Und all das erbärmliche Lumpenpack,
das sonst gewandelt in Asche und Sack,
die kriechenden Horden:
prunkende Könige sind sie worden!
Und ihre Häuser sind Marmorpaläste
und glänzen und klingen im Rausche der Feste.
Und die Sonne ist ein Jungfräulein
und morgen wird unsre Hochzeit sein.
Hei! wie die Fackeln zum Tanze flacken,
wie fliegen die schimmernden, bebenden Nacken,
wie biegen sich lüstern die Leiber der Fraun!
Und dann im schwarzen, schwülen Saale
zum erstenmale
werd ich die nackte Sonne schaun.
Horch: wie sie lachen!
Laßt sie nur lachen!
Lauter lachend, über dem Spott
zieh ich zu sonnigen Zielen.
Bacchus ist der Gott,
wenn alle Götter fielen.
Nun auf zur donnernden Hochzeitsfahrt,
goldnes Gespann!
Poche mit deinen silbernen Hufen!
Lockende Stimmen singen und rufen —
Sturmwind, zause mir lachend den Bart,
Panther, zieh an!

Wunsch

[235]
Auf diesem halben Leide,
das nie zum Rausch erblüht,
möcht ich zur Rosenfreude
des Schmerzes, der durchglüht,
der in durchbrausten Tiefen
verworrnen Wandel schafft,
die Wünsche, die ihn riefen,
aufreckt zu Todeskraft.
Dann hoch auf traumesbunten
Luftbrücken rausch ich sacht
aus Tag und Schein hier unten
dem Wesen zu: der Nacht.

Aus „Der neue Tanhäuser“

Der Würfel fiel; o heiße Jugend,
o Schönheit, Wein und Sommernacht!
Der Würfel fiel, es fiel die Tugend —
doch ich verlor sie gern, die Schlacht.
Und schlaflos lieg ich in den Kissen,
seit ich von ihrem Bette fern:
ihr Bild taucht aus den Finsternissen
empor mir, gleich dem Venusstern.
Des Auges halbgeschloßne Blicke
wollüstig blinzeln sie mich an,
die Wimper feucht von jenem Glücke,
das gestern uns zu schnell entrann.
Die Brüste starren gleich den schweren
Weintrauben Ungarns, süß und heiß,
ihr Haar ist blond wie Weizenähren
und ihre Haut so zart und weiß.
[236]
Die üppige Lippe, voll erschlossen,
blutrot und brennend, wie zum Kuß,
erzählt von dem, was ich genossen,
und ach, von künftigem Genuß...
Ihr sagt: es ist nur eine Dirne,
schön, doch gemein trotz alledem —
Ich aber seh auf ihrer Stirne
der Venus heiliges Diadem.
Ja, sie ward Fleisch in diesem Weibe,
Frau Venus lacht aus diesem Mund,
umschmeichelt mich mit diesem Leibe,
mit dieser Hüften seligem Rund.
Was will die Tugend, kalt und düster?
Wir sind ja Sünder — sündigen wir!
Ich bin der Venus Hoherpriester
und heute opfer ich bei dir!
***
Daß andre dich vor mir besessen,
hab ich an deiner Brust vergessen,
du sahst mich an so kindlich rein —
der erste glaubt ich stets zu sein.
Und immer, wenn ich wieder kam,
umhüllte dich so süße Scham,
daß ich nicht wußte, keusches Weib,
war wirklich mein schon dieser Leib.
So wie der Mai stets wieder mailich,
warst du von neuem stets jungfräulich;
und eine bange Brautnachtsfreude
entzückte täglich so uns beide.
***
Die Glocken dröhnen so dumpf vom Dome,
es leuchten die Lichter durch Weihraucharome
tieftraurig, es summen die Trauergebete —
dicht nebenan klingt Geig und Trompete,
[237]
Sie spielen auf zu üppigen Tänzen,
lustbunte Lampen locken und glänzen —
Neben das heilige Haus des Herrn
baut Häuser die Teufelin Venus sich gern.
Unsterbliche Lust ihr im Auge glänzt,
ihr Mund den Becher des Lebens kredenzt —
Im Gotteshaus hängt Gottes Sohn,
der Tod mit blutiger Dornenkron.
Der gekreuzigte Gott will uns verkünden:
Verneinet diese Welt der Sünden,
verneint euch selbst, und alles Leid
wird Ruh in Gott und Seligkeit.
Ihr fragt verzweifelnd: was ist Gott?
Was nicht die Welt ist, das ist Gott!
Das selige Nichts, die Todesruh —
O schließt das Auge der Dinge zu!
Wir aber haben Wachs in den Ohren,
wir sind des Teufels schwachköpfige Toren,
er will und immer sagen wir: ja!
Und die leidende Welt steht immer noch da.
Ja, unser Wille, ohne Zweifel,
das ist die Welt, das ist der Teufel:
Zögst du den alten Adam aus,
so ginge die Weltgeschichte nach Haus;
so stünde still das Rad der Natur,
so wäre die Flamme der Kreatur
gedämpft und ausgelöscht ihr Wehe —
Indessen, der Wille der Menschheit geschehe!
Sie träumt ja gern den großen Traum
noch immer fort in Zeit und Raum,
und ewig hängt am Kreuz vergebens
der tote Gott des ewigen Lebens.
[238]
***
(Nach einem italienischen Madrigal)
Auf einer Wiese sah ich holde Frauen,
die, Lilien pflückend, Liebeslieder sangen,
indessen andre sich im Tanze schwangen.
Dann saßen sie an einer Quelle nieder,
die Blumen flechtend zu anmutigen Kränzen,
als Schmuck auf ihrem goldnen Haar zu glänzen.
Ich ging und schaute nach vom Wiesenraine
den Süßen — und verliebte mich in eine.

Der toten Mutter

Mein Herz, das ist ein stilles Grab,
darin ich dich gebettet hab.
Dort wächst und grünt ein Lebensbaum:
von deiner Liebe mein steter Traum.
Ob meine Tage in Wehmut wallen,
dort schluchzen und jauchzen die Nachtigallen
und singen uns, die der Tod nicht schied,
ein seliges Auferstehungslied.

Gebet der Ähre

Herr, ich harre deiner Sonne Glut,
sieh mein Leben, das im Schatten ruht.
Niederwarf mich deiner Stürme Heer,
tief am Boden lieg ich regenschwer.
Herr, so gern trüg ich den Armen Korn,
gieße nieder deines Lichtes Born,
eh mich tiefer noch die Windsbraut tritt:
Herr, jetzt bangt mir vor der Sichel Schnitt,
vor dem Sinken in die finstre Nacht
als ein Halm, der keine Frucht gebracht! —
[239]
Herr, gebiete deiner Stürme Wehn,
laß mich wieder deine Sonne sehn,
laß mich wachsen ohne Ruh und Rast,
bis mich beugt der eignen Fülle Last...
Träum ich golden dann im Julilicht,
reif und schwer, fürcht ich den Schnitter nicht,
klingt die Sense durch die Sommerruh,
fall ich still der großen Ernte zu!

Gottsuchers Frühlingslied

Es spielt der Lenz die alte Weise,
die alle Erdenwunden heilt;
er hat auch mich auf meiner Reise,
den müden Wanderer, ereilt.
Er stößt mit übermächtigem: „Werde!“
des Blitzes Speer am Wolkenschaft
tief in die Brust der harten Erde
und löst sie aus des Winters Hast.
Sie schlägt in weicher Lüfte Kosen
die blauen Veilchenaugen auf,
es spritzt ihr Blut in roten Rosen
aufs grüne Kleid in tollem Lauf.
Befreiend stürzen ihre Tränen
in tausend Flüssen in das Tal —
o wollustvolles Frühlingssehnen!
o schöne, wilde Frühlingsqual!
Hier kann ich erst mein Ich begreifen,
den Widerspruch, aus dem ich bin,
den Drang zu unbegrenztem Schweifen
und meiner Qualen tiefen Sinn.
[240]
Mir ist, als hört ich's fragen leise,
als ob Natur, die Göttin, spricht:
„Entfremdet Kind, wohin die Reise?
Erkennst du deine Mutter nicht?“

Abendlied des Türmers

Schon taucht die Sonne ihr Gefieder,
das strahlende, in Meeresflut,
und Schatten sinken sanft hernieder
aus Waldesgrün und Felsenglut.
Am dunkeln Horizont erglimmen
die Sternlein ruhig, mild und kühl;
bald schweigen auch die lauten Stimmen,
und müde löst sich das Gewühl.
Was sich am Tage streng geschieden,
in scharfe Formen abgegrenzt,
es eint sich sanft im Abendfrieden,
vom milden Mondenstrahl beglänzt.
Die starren Formen werden milder,
es stirbt die laute Welt des Scheins,
die vielen wirren Einzelbilder
verfließen allgemach in eins.
Mein Auge schmerzt vom scharfen Spähen —
wer darf dem leicht betrognen traun? —
Ach, allzuviel hab ich gesehen,
nun laßt mich feiern, laßt mich schaun.
Versinkt, ihr Bilder der Verneinung!
Mir strahlt in Erdenlust und -leid
durch flüchtge Wolken der Erscheinung
der stille Mond der Ewigkeit.
Es reift der Wein am Bergeshange,
sanft beugt der Wind das schwere Korn —
so stimm ich denn zu tiefem Klange
mein abendkühles Türmerhorn:
in süßen Weisen zu genießen
was Bleibendes der Tag gebracht,
und Morgensehnsucht auszugießen
hin durch das stille Tal der Nacht...

Nachtschwalbe

[241]
Dich lieb ich, geisterhafter Schatten,
der mich begleitet ohne Scheu
durch Wald und abendliche Matten,
so wie Erinnerung, so treu;
so lind, wie ohne ein Verlangen
das Denken ist an einstige Lust —
so dunkel wie das dunkle Hangen
an einem ewigen Verlust...

In Abendglut

Einst auf den Rosen hat mein Blick geruht,
und ihres Zaubers war ich trunken,
für jede Torheit fand ich einen Mut —
bis mir das Wunderreich versunken.
Dann dies und das und immer noch ein Traum...
Nun ist's schon Abend... Wie wir lehnen
im Garten, häng ich an der Wölkchen Saum,
an ihrer Glut mit meinem Sehnen.
Als gäb es noch vor jener ewigen Nacht,
nach jenen Rosen und den Lenzen
ein letztes Glück voll ungeheurer Macht
und eine Torheit ohne Grenzen!

So möcht ich ruhn

So möcht ich ruhn... Mein Grab allein
auf einem Kap ins Meer hinein,
und über mir des Schiffers Mal,
ein hoher Baum im Sonnenstrahl.
Und modern nicht, wo Grab an Grab
endlose Reihen liegt hinab,
wo alles ruht, was lebenslang
geflohen ich, um Höheres bang.
[242]
Und schlafen nicht in Mauern still,
wo kaum ein Vogel flattern will;
doch ruhen, wo mir ins Gebein
noch bebt der Lebenspuls hinein;
das Meer noch schüttert meinen Staub,
bis Grab und Fels der Wellen Raub
und aufgellt einer Möwe Schrei,
als ob es meine Seele sei.

Der Musikant

Rumdaradei! Rumdaradei! —
Tanzt! Ich schlage auf die Tasten!
klappern soll der alte Kasten!
Walzer — Polka — Hopser — Springer!
dreht euch, dreht euch, bunte Dinger!
Während meine Finger scherzen,
brennt die Hölle mir im Herzen!
Rumdaradei! Rumdaradei!
Tod und Leben einerlei!
Einst, in meines Vaters Hause,
bei dem frohen Tanzgebrause
schwang ich mich beim Kerzenscheine,
und ein Mädchen war die Meine.
Zwanzig Musikanten bliesen
einen Tanz wie diesen, diesen —
Rumdaradei, rumdaradei!
Tanz und Teufel einerlei!
Und mich riß die Kunst von hinnen,
nach der Sonne stand mein Sinnen.
Ewiges Wort aus Dichters Munde,
Bühnenglanz und selige Stunde,
[243]
göttlich Sehnen, heilig Ringen —
Nie Erfolg und nie Gelingen! —
Rumdaradei, rumdaradei,
und die Sonne zog vorbei!
Und ich hab von fernen Höhen
meines Vaters Schloß gesehen,
bin ins grüne Gras gesunken,
hab die traute Luft getrunken.
Fort mein Glück und tot mein Sehnen —
All mein Gut im Aug die Tränen!
Rumdaradei! Rumdaradei!
Dreht euch! Dreht euch! Eins, zwei, drei!
Dreht euch, daß die Funken stieben! —
Und wo ist mein Lieb geblieben? —
Wo ich lag, vom Gram zerschlagen,
fuhr vorbei ein Fürstenwagen,
hielten zwei sich drin umwunden,
bis mir Sinn und Geist entschwunden
Rumdaradei, rumdaradei!
Weib und Weib ist einerlei!
Als ich in die Stadt gekommen,
hat der Wirt mich aufgenommen.
Spiele nun bei jedem Feste
für die Kinder, für die Gäste,
bis erlahmt die alten Tatzen,
bis die Saiten schrill zerplatzen —
Rumdaradei, rumdaradei —
Tod und Leben einerlei!

Gott

Der du nicht Stein bist, doch des Steines Kraft,
die Kern und Schale hält in enger Haft.
Der du nicht Rose bist, doch ihre Pracht,
ihr Duft, ihr Auge, das zur Sonne lacht.
[244]
Der du nicht Eiche bist, doch wohl ihr Mark,
der Stolz, der aus ihr atmet, lebensstark.
Die Welt ist nichts als Form, in der du prägst,
ist nichts als die Gewandung, die du trägst.
Ist nichts als Spiegelbild von deinem Sein!
nur du bist Wahrheit, doch das Bild ist Schein.
Ich bin ein Mensch, mein Geist umspannt das All,
durch meine Seele rauscht der Sphären Hall.
Ich höre was der Lerche Jubel sagt,
ich höre was des Meeres Brandung klagt.
Ich sehe was des Feuers Auge glüht,
ich sehe was im Schoß der Lilie blüht.
Ich fühle was im Blut der Erde ringt,
den Hauch, der von den Sternen niederdringt.
Nein, nein, nicht ich; was gilt dem Fleische Duft,
was gilt dem Leibe reine Himmelsluft!
Was gilt dem Staubkorn unermeßner Raum,
was gilt der Fäulnis ewigen Lebens Traum!
Nicht ich, nicht ich; mein Ich, dem Tod geweiht,
ist lauter Elend, lauter Niedrigkeit.
Mein Ich hört nur den Schrei der eignen Not,
Du hörst in mir der Liebe Allgebot.
Mein Ich sieht nur den Glimmer, nur den Schein,
Du siehst in mir ins Herz der Welt hinein.
Mein Ich fühlt nur, was schmeichelnd ihm behagt,
Du fühlst in mir, was sich zu opfern wagt.
Du zehrst an mir, wie Glut an Eisen zehrt,
Du ruhst nicht, bis ich schlackenlos verklärt.
Läßt Du von mir, bin ich ein Spiel, ein Spott;
Mein Ich, erfüllt mit Dir, ist selber Gott.

Abendgang zur Geliebten

[245]
Nun ist der Abend kommen,
die Sterne sind entglommen,
die Straßen schlummern mählich ein.
Abwerf ich all mein Mühen
und laß in mir erblühen
der Liebe Sehnsucht ganz allein.
Rings grüßen von den Zweigen
die Vögel und es neigen
sich flüsternd Busch und Blume mir;
so festlich ist mein Wesen,
sie mögen leicht es lesen,
wie meine Seele fliegt zu dir.
Die Kinder, die am Wege
sich tummeln durchs Gehege,
sie reichen lächelnd mir die Hand.
Die Winde, die da wehen,
die Wolken, die da gehen,
sie knüpfen mir ein rosig Band.
Wie weit seid ihr entschwunden,
ihr sorgenschweren Stunden,
wie fern, wie fern liegt Kampf und Streit;
die Welt ist so voll Frieden,
als läg sie abgeschieden —
ein See in grüner Einsamkeit.
Nun steh ich an dem Hause,
vor meines Glückes Klause,
und meiner Freuden Inbrunst wird Gebet;
laß jedes Herz hienieden
durch Liebe finden Frieden,
du göttlich Feuer, das die Welt durchweht.

Berlin

[246]
Endlos ausbreitest du, dem grauen Ozean gleich,
den Riesenleib; in dunkler Ferne stoßen
die Zinnen deiner Mauern ins Gewölk, und bleich
und schattenhaft verschwimmen in der großen
und letzten Weite deine steinigen Matten:
Weltstadt, zu Füßen mir, dich grüßt mein Geist
zehntausendmal; und wie ein Sperber kreist
mein Lied wirr über dich hin, berauscht vom Rauch
und Atem deines Mundes: Sei gegrüßt du, sei gegrüßt.
's ist Sommermittagszeit, und leuchtende Sonnenflut
strömt aus den Himmeln über dich; rings blitzen
und flammen deine Mauern, und in weißer Glut
erglühen deine Dächer und der Türme Spitzen,
und helle Wolken Staubs, die aus den Tiefen steigen.
Gleich einem glühenden Riesenkessel liegst du, — Brand
dein Atem, Feuer dein weitfließendes Gewand,
starr, unbewegt, gleich wie ein Felsenmeer,
das nackt mit weißen Rippen aus der Wüste steigt.
Erstorben scheinst du, doch du bist es nicht.
Erzittert nicht die Luft vom dumpfen Toben
des Meeres, das in deinen Schlünden bricht
und wühlt und brandet, wie vom Sturm durchstoben,
und donnernd tausend Schiffe zusammenschleudert?
Wild gellt der Schrei der Schiffer Tag und Nacht
durch Licht und Nebeldunst, und ewig tost die Schlacht
in deinen Tiefen: trümmerübersät
von bleichen Knochen starrt dein dunkler Grund.
Schäum auf, du wilde Flut, und tose an!
Die du zerreißend hinfegst und mit gierigem Maule
zehntausende verschlingst; ein Schrei und dann
in dunkeln Wirbeln schwemmst du alles Faule
und Schwache tief hinab in deinen Abgrund...
[247]
Dich rührt kein Weinen und kein heiß Gebet,
der Klagenden Geschrei lautlos und stumm verweht
in deiner Brandung Donnern, aber sanft
und weich umschmeichelst du des Starken Fuß.
Du ström in meinen Busen deinen Geist,
gieß deine rauhe Kraft in meine Glieder...
Gewaltig faßt's in meine Seele, reißt
in deiner Schlachten wirr Gedräng mich nieder,
wo Schwert und Lanze auf die Brust mir fahren.
Erstick die Träne und den Klagelaut,
der feig von meinen Lippen sonst getaut.
Den Becher trüben Weins, der nur zu lang
die Zeit berauscht, werf ich in deine Flut.
Grämliche Weisheit, die in unsre Brust
den Giftpfeil stößt und uns als Schuldgeborne,
ewig Verdammte zeichnet, unsere Lust
und Schaffen mordet, und gleichwie Verlorne
verachtet macht: hier will ich ihrer lachen.
Aus deinen düstern Mauern, Weltstadt, reckt
ein Geist sich mächtig auf und streckt
die Hand gewaltig aus, und deiner Flut
Gesang stürmt mir ins Ohr ein besser Lied.
Dich fühl ich, Menschengeist, dein Schatten steht
gewaltig über der Stadt lichtglühenden Mauern,
ich fühl es, wie dein Odem mich umweht
und mich durchrinnt gleich heiligen Liebesschauern...
Gewitter rollen auf, die Sinne dunkeln:
Schlachtruf durchgellt die Luft, der Himmel bricht,
durch schwarze Wolken fährt ein feurig Licht,
und bleiche Schatten fliehn, ein Antlitz blutbeströmt
und dort ein anderes versinkt in Nacht.
Dich, Kraft, besing ich, die Natur du zwingst
in deinen Dienst, und dumpfen Sinnesträumen,
des Fleisches totem Kerker uns entringst —
du Kraft, laß alle meine Adern schäumen
von deinem warmen Blut... Euch alle sing ich,
[248]
Arbeiter, Krieger, die der Menschheit Baum
mit ihrem Schweiß und mit dem heilgen Schaum
des Blutes düngen... Singen will ich den Kampf
mit dir, Natur, Fleisch, Staub und Tod.

Trommelklang

Hört ihr es nicht? In meinem Ohre bang
ewig tönt herber dumpfer Trommelklang.
In heller Lenznacht, in der Nachtigall
verträumtes Lied rauscht schwerer Waffenschall.
Der Sommer glüht in dunkler Rosen Duft —
Wie Rossestampfen dröhnt es durch die Luft.
Und wenn der Wein im grünen Glase quillt —
Hörst du das Schlachthorn nicht, das blutig schrillt?
O Winternacht! Der Sturmwind heulend fährt,
sein Odem leer die starrenden Wege kehrt.
Vergebens glüht am Feuerherd der Rost, —
stärker als Feuer brennt der kalte Frost.
An Haus und Wand und an des Wegs Geleis
fliegt Schnee und knarrt das demantharte Eis.
O Winternacht! durch Eis und fliegenden Schnee
lauter als Sturmgeist schreit ein wildes Weh.
Geschrei und Schlachtruf durch die Nacht hinschallt,
gleichwie am Strand die Sturmflut dumpf hinhallt.
In dunklen Scharen drängt es finster an,
mit Beil und Hammer wogt es schwarz heran.
Zerlumpte Haufen, wie im Sturm verwirrt,
das Eisen dröhnt, das blanke Messer klirrt.
Das Angesicht, blaß wie ein Wintertag,
sagt, wie das Elend gar so fressen mag.
Das Auge tief, die Wange hohl und schmal,
auf Stirn und Wang der Krankheit brandig Mal.
[249]
Gelöst das Haar auf schmutzigem Nacken hängt,
den harten schweren Fuß kein Schuh umzwängt.
Das Banner glüht wie Herzblut dunkelrot, —
die Fahne droht schwarz wie der Würger Tod.
Es drängt heran, — es wogt die dunkle Flut, —
den Himmel überschwemmt's wie trübes Blut...
Hört ihr es nicht? In meinem Ohre bang
ewig tönt herber dumpfer Trommelklang.

Aus „Walpurgisnacht“

Schwül weht herauf die heiße Sommernacht
mit schwerem Blumenduft, die Blütenhänge
hinunter geht der müde Wind, stumm, still und sacht.
Verstummt der Lärm, nur fern verbuhlte Klänge
und süßer Flötenton, — wie taumelnd streicht
ein Vogel kreischend durch des Gartens Gänge.
Die Fenster offen, am Balkon verzweigt
hängt wilder Wein und schattenhafte Bäume
stehn schwarzverworren, Blatt und Haupt geneigt.
Auf eines Löwenfells gelbhaarigen Säumen
lieg ich zu Füßen dir, mein Haar verwirrt
und bloß die Brust, im Kopfe wirr von Träumen.
Blutfarbnes Licht sprüht durch den Saal verirrt,
leis wiegt die Ampel sich an goldnen Ketten,
daß Wand und Decke rings von rotem Golde flirrt
Doch du ruhst müd auf purpurdunklen Betten,
den braunen Arm entblößt, die Stirn geschmückt,
mit blauen Orchideen und Perlenketten.
Vom Busen ist der Schleier leicht verrückt,
der blasse Nacken frei, das Aug geschlossen,
die schmale Hand ans laute Herz gedrückt.
Vom Haupte kommt das schwarze Haar geflossen
in engen Fluten, und um Stirn und Haupt
liegt's gleichwie dunkle Blüten hingegossen.
[250]
Still ist's und stumm, die Hand hab ich geraubt,
und fiebernd sie geküßt mit heißem Munde
und deinem starren Lächeln fast geglaubt.
Müd zog herauf die mitternächtige Stunde,
der Himmel sah's durch Fenster hoch herein,
und letzter Blütenduft stieg auf vom Grunde...
und müd erlosch der Ampel letzter Schein...

Aus „Totentanz“

In den frostverglasten Scheiben
hebt es leise an zu flimmern,
silbrig, Nebel halb — halb Licht,
mattes Leuchten, bläulich Schimmern.
Steigst du wieder zu mir nieder,
Bote du, aus Licht gewoben,
in mein kaltes leeres Zimmer,
du aus kaltem leeren Droben?
Fenster auf! von drüben zieht es
über der schwarzen Fichtenwand
glänzend aufwärts, weithin leuchtend
durch das schneevergrabne Land.
Wie ein Greisenhaupt hinschwebst du
auf dem dünnen Wolkenrauch,
strahlenvolle Mondesscheibe,
und ein kalter Todeshauch
weht um deine fahle Stirn,
weht aus deinem eisigen Licht,
und wie von gestorbnen Lippen
streift ein Atem mein Gesicht.
***
Eisschiff du in Winterwolken!
Fahles — fahles Totenhaupt,
über meines Lebens Fichten
hängst du, kahl und ganz entlaubt.
[251]
Deine bleichen Scheine fallen
auf mein schweres Haupt hernieder,
und mir ist's, als fiel ein Leichen-
tuch auf die erstarrten Glieder.
An den Boden drückt's mich nieder,
und mein Mark rinnt im Gebein,
mit gebrochnem Auge stier ich
in dein Totenaug hinein.
Nur des Geistes letzte Flamme
glüht mit krankem und mit mattem
Flackern einmal in das rätsel-
dunkle Land der Todesschatten —
in die ungestaltet wüste
ungeheure schwarze Leere,
drin versunken und ertrunken
ungezählte Sternenheere.
Als ein Toter ausgerichtet
lieg ich fahl im Mondesscheine,
fern durch Winternacht herüber
rauschen düstre Fichtenhaine.
***
Fichtenrauschen — Mondscheinleuchten
heben an ein seltsam Singen,
und im lichten Glaste flimmert's
wie von weißen Geisterschwingen...
Wirfst du endlich ab die Hülle,
kehrst du wieder heim, Verlorner?
wachst du auf aus deinen Träumen,
nie Gestorben — nie Geborner?!
Sahst du dich im goldnen Kahne
durch des Lebens Fluten gleiten,
nur gewichen sind die Ufer,
und erweitert sind die Weiten...
[252]
Deine Flügel sind entfaltet
über Raum und alle Zeiten,
Tod und Leben sind nur Formen,
Träume dumpfer Sinnlichkeiten.
***
Leuchtend schweb ich in des Mondes
nächtigruhevollem Glanze,
als ein lichter Schimmer fließ ich
aus der Sterne Blütenkranze.
Alle Räume, alle Tiefen
sind von meinem Blut durchflossen,
über allen Welten lieg ich
zeugend, keimend ausgegossen.
Und ich trinke und ich trinke
alles Sein und alles Scheinen
aus der Welten grünen Schalen,
duftend von gewürzten Weinen.
Alles Sein fließt in mich nieder,
und ich selber bin nur Fließen,
bin Erzeuger und Gezeugtes,
ewig Schaffen und Genießen.
Still im Mondeslichte schwebend
trink ich und entström ich Gluten,
überall spürst du den Atem
meiner Silberregenfluten.

Prosa der Liebe

Ehemals glaubt ich im Rausch mich flammender Liebe ergeben,
Jünglingslieder voll Glut sang ich in schmachtendem Ton.
Besser nun kenn ich mich selbst und meide den lyrischen Dusel,
und es erhellt mir die Nacht ruhiger heitrer Genuß.

Ich sah dich, Freund

[253]
„Ich sah dich, Freund, durchs hohe Saatfeld schreiten.
Du gingst allein, dein Haupt nur überragte
die Ähren, die das Abendrot vergoldet.
Doch beugtest du von Zeit zu Zeit dich nieder,
und immer wieder warst du ganz verschwunden.
Nun sage mir: was suchtest du im Felde?“
— Mein Freund, die hohe Saat hat dich betrogen.
Ich war allein — mit einem kleinen Mädchen.
Zu ihrem Munde beugt ich mich hernieder
und suchte dort und fand gar süße Früchte,
indes die goldnen Ähren uns verhüllten.

Gebet an Pierrot
Aus dem Pierrot Lunaire des Albert Giraud

Pierrot! Mein Lachen
hab ich verlernt!
Das Bild des Glanzes
zerfloß — zerfloß!
Schwarz weht die Flagge
mir nun vom Mast.
Pierrot! Mein Lachen
hab ich verlernt!
O gib mir wieder,
Roßarzt der Seele,
Schneemann der Lyrik,
Durchlaucht vom Monde,
Pierrot — mein Lachen!

Störche
Aus dem Pierrot Lunaire des Albert Giraud

Melancholisch ernste Störche,
weiß, auf schwarzem Hintergrunde,
klappern mit den langen Schnäbeln
monoton des Abends Rhythmen.
[254]
Eine hoffnungsleere Sonne
trifft mit matten, schrägen Strahlen
melancholisch ernste Störche,
weiß, auf schwarzem Hintergrunde.
Und der Sumpf, verträumt und müde,
mit metallisch grünen Augen,
drin des Tages letzte Lichter
scheidend blinken — spiegelt wider
melancholisch ernste Störche.

Moquerie
Aus dem Pierrot Lunaire des Albert Giraud

Der Mond gleicht einem blassen Horn
am duftig blauen Himmelszelte,
Kassander mit dem Kahlkopf schaut
mißtrauisch zu ihm auf.
Verstimmt schiebt er im Weitergehn
sein letztes Haar mehr in die Stirne —
der Mond gleicht einem blassen Horn
im duftigen Himmelsblau.
Mit ängstlich scheuem Aug bewacht
er Colombine, seine Frau,
die neben ihm, an seinem Arm,
oft nach Pierrot zur Seite schielt...
Der Mond gleicht einem Horn.

Von reifen Früchten

Von reifen Früchten träumt ich eine volle Nacht,
von goldigen im dunkel üppigen Gebüsch.
Am Berge war es, unter altem Mauerwerk...
und Duft und Sonne glühten da in Heimlichkeit.
Von gelben Marmorschwellen rieselte müd ein Quell,
und eine Nymphe lauschte dem leisen Tropfenfall
und fing die kühlen Perlen mit der offnen Hand...
Von reifen Früchten träumt ich eine volle Nacht.

Liebesfeier

[255]
Siehst du die Perlen springen im kristallnen Glase,
silbern und weiß? — O küsse mich, du Geliebte!
Heut sind die unsichtbaren Festgirlanden
tiefer gehängt in stolzen und reichen Bogen — —
Warum gedenk ich heute der stillen Frühlingsstunde,
da ich zuerst gebebt an deinem Mädchenmunde,
zuerst an meine Brust die jungen Brüste gedrückt,
die ersten, frühen Liebesfrüchte zitternd mir gepflückt? ...
Still! — Hörst du die Perlen klingen im kristallnen Glase,
silbern und leis? — O küsse mich, du Geliebte!

Epistel

Des Meeres Gang ist höher heut und lauter auch!
Wohl dem, der hinter Wällen seines Lebens Arbeit fand
und sicher steht, gefestet auf ererbtem Grund.
Durch reichen Boden, den das Meer vordem genährt,
auf seinem Boden schreitet er und lenkt den Pflug
in grader Bahn und wendet ihn getrost am Ziel.
Dann rastet er — und läßt die Blicke schweifen rings,
und sieht um sich in Ruhe wachsen seiner Hände Werk.
Nur manchmal horcht er wohl hinüber nach dem weiten Meer,
wann's einmal ungestümer donnert an den festen Damm,
und denkt des Freundes — der auf wilder Fluten Spiel
sein Los erkor und seines Willens Güter fand...
Des Meeres Gang ist höher heut, doch stolzer auch!

San Giovanni

Die letzte Sichel des verfallnen Mondes
am Himmel Roms in der Johannisnacht
hab ich erlebt und früher nicht geruht,
bis ich für mich den Sinn erdeuten konnte.
[256]
Ich habe neue Menschen liebgewonnen —
und silbern zum Gedenken steht nun da
die letzte Sichel des verfallnen Mondes
am Himmel Roms in der Johannisnacht.
Mein Leben denk ich auch. — Es ruht der Blick
auf den Gesimsen schweigender Paläste.
Da färbt sich die Colonna Morgenrot,
die Schwalben werden wach — und schon verblaßt
die letzte Sichel des verfallnen Mondes.

Ein Abschied

„Du willst nun gehn?“ — Weißt du denn nicht, daß ich schon lang
von dir gegangen bin? Daß nur ein Schatten noch,
ein Schein vor deinen Augen steht, den du nur siehst?
Fest glaubt ich mich gewappnet mit dem Panzerhemd
heiter klirrenden Hasses wider eine Welt,
nur wenige Eisenmaschen standen offen noch
von ungefähr — die fandest du und trafst mich gut!
Wie einsam war ich schon — und war's noch nicht genug!
Jetzt kann ich erst leicht mit vielen spöttisch und freundlich sein,
in Stunden, wo der Ekel überlistet ist —
jetzt tanzen die Götter mir auf der flachen Hand!
Und das dank ich dir und meinem geflickten Eisenwams.
Du aber wußtest nicht, was du getan — du stehst
und fragst: „Du willst nun gehn?“ — Und bin doch schon so weit! —
O sichre dir in der Brust dein unfühlend Herz — :
Wertvolleres Erbteil spendet uns die Erde nicht.

Im Nachtzug

[257]
Es poltert der Zug durch die Mondscheinnacht.
Die Räder dröhnen und rasen.
Still sitz ich im Polster und halte die Wacht
unter sieben schnarchenden Nasen.
Die Lampe flackert und zittert und zuckt,
und der Wagen rasselt und rüttelt und ruckt,
und weit, wie ins Reich der Gespenster,
weit blick ich hinaus in das dämmrige Licht,
und schemenhaft schau ich mein blasses Gesicht
im lampenbeschienenen Fenster.
Da rast es nun hin mit dem brausenden Zug,
an Wiesen und Wäldern vorüber,
über Mauern, Stakete und Zäune im Flug,
und trüber blickt es und trüber.
Und jetzo, wahrhaftig, ich täusche mich nicht,
jetzt rollen über mein Schattengesicht
zwei schwere und leuchtende Tränen.
Und tief in der Brust mir, da klingt es und singt's,
und fiebernd das Herz und die Pulse durchdringt's —
ein wildes, ein brennendes Sehnen.
Ein Sehnen hinaus in das Mondscheinreich,
das fliegend die Drähte durchschneiden.
Sie tauchen hernieder und steigen zugleich,
vom Zauber der Nacht mich zu scheiden.
Doch ich blicke hinaus, und das Herz wird mir weit,
und ich lulle mich ein in die selige Zeit,
wo nächtlich tanzte am Weiher
auf Mondlichtstrahlen die Elfenmaid,
dazu ihr von minniger Wonne und Leid
der Elfe spielte die Leier.
Der Elfe, er spielte die Leier so schön,
die Gräslein, sie mußten ihm lauschen.
Der Mühlbach, im Sturze, hielt an und blieb stehn,
[258]
vergessend sein eigenes Rauschen.
Maiblumen und Rotklee weineten Tau,
und wonnige Schauer durchbebten die Au,
und Sänger lauschten im Haine;
sie lauschten und lernten vom Elfen gar viel
und stimmten ihr duftendes Saitenspiel
so zaubrisch, so rein wie das seine.
Vorüber, vorüber im sausenden Takt.
Kein Zauber nimmt dich gefangen,
der du schwindelhoch über den Katarakt
und tief durch die Berge gegangen.
Du rasender Pulsschlag der fiebernden Welt;
du Dämon, der in den Armen mich hält
und trägt zu entlegener Ferne!
Ich bliebe so gerne im Mondenschein
und lauschte so gerne vergessen allein
der Zwiesprach seliger Sterne!
Rauchmassen umwölken das traumhafte Bild
und schlingen weißwogende Reigen.
Doch unter mir stampft es und schmettert es wild,
und unter mir will es nicht schweigen.
Es klingt wie ein Ächzen, es rieselt wie Schweiß,
als schleppten Kyklopen hin über das Gleis
den Zug mit ehernen Armen.
Und wie ich noch lausche, beklommen und bang,
da wird aus dem Tönegewirr ein Gesang
zum Grauen zugleich und Erbarmen.
Wir tragen euch hin durch die duftende Nacht,
mit triefenden Wangen und Brüsten,
wir haben euch güldene Häuser gemacht,
indessen wie Geier wir nisten.
Wir schaffen euch Kleider. Wir backen euch Brot.
Ihr schafft uns den grinsenden, winselnden Tod.
Wir wollen die Ketten zerbrechen.
Uns dürstet, uns dürstet nach euerm Gut!
Uns dürstet, uns dürstet nach euerm Blut!
Wir wollen uns retten — ! uns rächen!
[259]
Wohl sind wir ein rauhes, blutdürstend Geschlecht
mit schwieligen Händen und Herzen.
Doch gebt uns zum Leben, zum Sterben ein Recht
und nehmt uns die Last unsrer Schmerzen!
Ja, könnten wir atmen, im keuchenden Lauf
nur einmal erquickend, tief innerlich auf,
so, weil du den Elfen bewundert,
so sängen wir dir, mit Donnergetön,
das Lied, so finster und doch so schön,
das Lied von unserm Jahrhundert!
Willst lernen, Poetlein, das heilige Lied,
so lausche dem Ratzen der Minen,
so meide das schläfrige, tändelnde Ried
und folge dem Gang der Maschinen;
beachte den Funken im singenden Draht,
des Schiffes schwindelnden Wolkenpfad,
und weiter, o beuge dich nieder
zum Herzen der Armen, mitleidig und mild,
und was es dir zitternd und weinend enthüllt,
ersteh es in Tönen dir wieder!
Es poltert der Zug durch die Mondscheinnacht.
Die Räder dröhnen und rasen.
Still sitz ich im Polster und halte die Wacht
unter sieben schnarchenden Nasen.
Die Lampe flackert und zittert und zuckt,
und der Wagen rasselt und rüttelt und ruckt,
und tief aus dem Chaos der Töne,
da quillt es, da drängt es, da perlt es empor
wie Hymnengesänge bezaubernd mein Ohr
in erdenverklärender Schöne.
Und leise auf schwillt es und ebbend verhallt's
im schmetternden Eisengeklirre.
Und wieder erwacht es, und himmelauf wallt's
hervor aus dem Tönegewirre.
Und immer von neuem versinkt es und steigt's.
Und endlich verweht's im Tumulte und schweigt's
[260]
und läßt mir ein heißes Begehren,
das sinneberückende Zaubergetön
von himmlischen Lenzen auf irdischen Höhn
zn Ende, zu Ende zu hören.

Die Selbstmörder
(Vision im Grunewald)

Die Sturmnacht schlägt den Mantel schwarz und dicht
rings um Berlin und um den Grunewald,
und sie verschlingt des Himmels Sternenlicht.
Die Havelseen erbrausen dumpf und kalt
und schleudern ihrer Wogen weißen Schaum
bis hoch hinauf mit siegender Gewalt,
wo seine Wurzeln schlägt der Kieferbaum
tief in den Sand und seinen schwarzen Schaft
senkrecht erhebt. — Wild fahren durch den Raum
Gestalten, Worte, Flüche, geisterhaft
erschreckend, wehvoll, grauenvoll zumal.
Einfällt der Sturm und peitscht mit Riesenkraft,
gleichwie ein Fronvogt, hügelab zu Tal
mit schwarzen Ruten, was da stöhnt und weint
durch bange Lust in namenloser Qual.
Und weiter mit des Regens Schwall vereint,
bricht er herab und wühlt weithin die Fluten
der Seen auf! Ein fahler Schimmer scheint
aus Wolken, dran in dunkelblassen Gluten
den Flammenkuß die nahe Riesenstadt
gedrückt; es ist, als ob die Wolken bluten.
Der Schimmer strahlt zurück auf Wogen matt,
und wieder ist's, als wäre dunkles Blut
im aufgewühlten See an Wassers Statt;
heiß kochend noch, wie's in den Adern tut,
und rauchend, wie entflossen kaum dem Herzen,
und hoch aufbäumend, wie in Jugendmut,
dann wieder stöhnend, wie in wilden Schmerzen
und brandend nutzlos an den kahlen Strand,
der ihm entgegenstarrt versteint und erzen.
[261]
Der Schein verlischt! — Und ihre Mutterhand
spannt aus von neuem schwarz und kalt und groß
die alte Nacht und deckt den blutigen See;
und wieder öffnet sich der schwarze Schoß.
Und jetzt: Ein tausendstimmig wildes Weh
brüllt auf. In herzzerreißend grausem Chore
mit glasigen Augen, Wangen, fahl wie Schnee,
enttauchen sie den Wassern, schwarze Flore
gewickelt um die blauen Stirnen, stier
hinlauschend nach der Stadt mit halbem Ohre.
Und an zu donnern schwillt's: „Wir fluchen dir,
graunvolles Chaos, das uns ausgespien,
du feile Metze, Schlange, wildes Tier!“
Und seine Wolkenfäuste ballt Berlin
glutlodernd, furchtbar durch das Haus der Nacht.
Und grollt und droht, bis daß die Geister fliehn
und eine hämisch heisre Stimme lacht
fernher durch Sturmgetos: „Ihr, die ihr sucht
zu rächen euch, kommt her, mein ist die Macht!
Ob ihr auch Schuld auf Schuld anklagend bucht;
ich wälze meiner Riesenlocken Pracht
rot, ungebändigt, — und ihr bleibt verflucht.“

Ahnung

Braune Scholle am Märzentag,
kahles Gehügel und dürrer Hag.
Raget im blassen Sonnenschein
einsam ein Pflug am Ackerrain.
Fern am Berge leuchtet die Stadt.
Wasser rauschen noch trüb und matt — —
[262]
Huschet leise, fast nicht zu sehn,
rosiger Schimmer, duftiges Wehn.
Und im zerwühlten Ackergrund
dränget Geheimnis in weiter Rund,
strecket verstohlen Finger ans Licht,
tastet und tastet zum Sonnenlicht.
Will aus der frischen Erde blühn,
will mit Blüten die Welt durchziehn,
Frühling will werden mit Sang und Tanz,
Seelen und Bäume umblühet der Kranz,
Jubel und Jauchzen durchhallet den Hain,
klinget und knospet in buntem Gedeihn —
Sauge den Odem, fühle es wehn,
lausche, wie heimlichem Liebesgetön — —
Sitz auf dem Pfluge am Ackerrain,
träume und träume vom Frühlingsein.

Erdgeboren

Über mir in wolkigen Lüften
wogen Lerchen, traumverloren.
Tief im Heidekraute lieg ich,
fühle mich so erdgeboren.
Ganz, als ob ich aus der Scholle
wildentwachsen war, wie Bäume,
leicht vom Heidewind geschaukelt,
Erde halb — und halb auch Träume.
Ganz, als ob ich aus der Scholle
aufgeflogen wär mit Schwingen,
hoch im Sommerwind aufsteigend,
Erde halb — und halb doch Klingen.

Nacht

[263]
Dämmern Wolken über Nacht und Tal.
Nebel schweben. Wasser rauschen sacht.
Nun entschleiert sich's mit einem Mal.
O gib acht! gib acht!
Weites Wunderland ist aufgetan,
silbern ragen Berge traumhaft groß,
stille Pfade silberlicht talan
aus verborgnem Schoß.
Und die hehre Welt so traumhaft rein.
Stummer Buchenbaum am Wege steht
schattenschwarz — ein Hauch vom fernen Hain
einsam leise geht.
Und aus tiefen Grundes Düsterheit
blinken Lichter auf in stumme Nacht.
Trinke Seele! trinke Einsamkeit!
O gib acht! gib acht!

O Welt, du Wunder

Die Welt ist schön, wenn der Flieder blüht,
wenn die Jungbuche leuchtet und lacht,
wenn im hohen Grase die Kleeblume glüht,
wenn die Grasmücke singt und die Welle rauscht —
und die Liebe heimlich erwacht.
Die Welt so strahlend im Sommerschein,
wenn die Ernten in Golde stehn.
Wenn zwischen Garben Säuglinge schrein,
wenn die Sense blinkt — und im Ringeltanz
aus Schwarzhaar Mohnblüten Wehn.
Die Welt ist schön, wenn im Herbststurmstreit
Blätter und Frucht zerstiebt —
wenn Wolken jagen so weit, so weit —
und hoch in Lüften die Krähen ziehn
und gestorben, was du geliebt.
[264]
O Welt, du Wunder im Flockentanz,
der stumm die Erde einhüllt,
und in stillen Kammern in tiefem Schlaf
die Blumen und Herzen in himmlischer Ruh
mit leuchtendem Glanz überfüllt.

Der Faden der heiligen Jungfrau

Wißt ihr, warum der schnellen Schwalben
Nester Glück in die Hütten bringen?
Hört: auf dem Plattdach saß Maria
schlummernd, es ruht ihres Spinnrads Schwingen
Denn nachdem sie im Abendwallen
schaut auf Bethlehems träumenden Plan,
ließ sie das Haupt auf die Linke fallen,
sah im Traume die Zukunft nahn.
Sah ihr herrliches Kind mit neuen
Kräften die alternde Welt beleben,
sah ihn den Hüttenfirst benedeien,
Ackersklaven zu Menschen erheben —
O wie hat sie gelächelt im Traume,
daß sie den Sohn des Herren trug!
Doch hinab zu des Lichtkleids Saume
fließt ein Schleier, düster genug.
Pfeifende Schwalben pfeilen und schlüpfen
kühn vorbei, weil das Rad nicht saust;
von der Schläferin Rocken zupfen
sie den Flachs — und wo Einfalt haust,
baun sie getrost mit der Jungfrau Faden
über den kleinen Türen ihr Nest;
dort ist Friede zu Gast geladen,
Weizen und Herzen gedeihen aufs best!
***
[265]
Als nun die Sommerfäden schifften
(nachmals Marienfäden genannt),
fühlte die Jungfrau in volleren Hüften
einer himmlischen Liebe Pfand.
Aber wie sonst mit feinem Tritte
schritt sie im Schühlein hurtig dahin
an den Bronn, in der Mägde Mitte,
die sie neckten mit spöttlichem Sinn:
„Sage, Maria, wir wüßten's gerne,
wie du nur eilends schreiten magst,
wo man doch munkelt nah und ferne,
daß du vom Zimmrer ein Kindlein tragst?“ —
„Seht ihr die Sommerfäden eilen?
Schaut ihr die reifenden Schwalben dort?
Mich auch drängt's, wie durch tausend Meilen,
denn ich trage das Flügelwort!“

Wo nur?

Am kleinen Tag Sonnenaufgangschein
wie ein Bronzegeschmeid auf dem Kuppeldach lag,
über der Öde von Zink und Stein
schwebte schmetternder Finkenschlag,
während doch alles von Schlöten umragt,
rings kein Baum zu erblicken.
Habe mich drum erstaunt gefragt:
wo singt nur der Vogel voller Entzücken?
Das hohe Eckhaus meiner Rue Monge
mit seiner gewölbten Giebelmauer,
mit seinen gestäbten Reifenbalkons
sieht aus, wie ein riesiges Vogelbauer.
Ach, und der Vogel flötet so feucht,
ob auch aus Dachkammerlücken
kaum ein kümmerlich Grünwerk schleicht —
Wo steckst du nur, Buschkind voller Entzücken?
Fröstelnd trat ich zurück ans Bett,
drin meine heiße Braune träumte —
[266]
bald im Takt mit dem Atem-Duett
draußen der schwebende Triller sich bäumte.
Zitternd küßt ich die wallende Brust,
schwamm in den halben Blicken —
und da hab ich's auf einmal gewußt:
aus den stummen Häusern jauchzt das Entzücken!

Tant pis!

Kai-Fenster blitzen im Abendgold
glühend, wie Carmenküsse —
O bleib dieser prächtigen Erde hold
und mach keine grämlichen Schlüsse!
Auf Brüstungen Ahornblätter verstreut;
der Winter kommt, der Mai ist so weit...
Da drüben der Dom, ein harmonisch Juwel!
Das Stadthaus in Wehr und Waffen!
Aber auf Erden ist alles scheel —
Schönheit gibt's nur bei Schlaraffen.
Dicht hinter dem Dom das gekauerte Haus,
das ist die Morgue, ein grämlicher Graus —
die dort so stumpf zusammengeklappt,
haben auch einst ihren Mai gehabt.
Violette Wölkchen in träumenden Lüften.
Vorbei mir tänzeln mit runden Kinnen,
speckigen Hälsen, wiegsamen Hüften
zwei kleine, kokette Arbeiterinnen.
Um so schlimmer für ihn, den die Morgue hält —
Welch patente Erfindung ist doch die Welt!

Trutznachtigall

[267]
Mein Lied das rollt wie Sonnengold,
dem Purpurstrom des Daseins hold.
Wenn violett erblüht die Nacht,
flieg ich zur weiten Sternenwacht.
Gedämpften Echos meld ich Streit
und Menschenleid.
Wo scharfes Elend Lust zerstört,
schmettr und schluchz ich qualempört!
Weh, wenn mein Auge Not erblickt!
Ich schlage, daß der Busch erschrickt.
Der Schönheit schwillt mein Klang zu Schutz,
zu Schutz und Trutz.
Wo einer wund von Kampf und Pein,
Trostnachtigall, da tröste fein!
Frisch wie der Tau gen Morgen quillt,
gib Kraft und Wohllaut stark und mild!
Wirf Wonnen in der Lauscher Schoß,
schlag schmelzend los!

Das Lied des Steinklopfers

Ich bin kein Minister,
ich bin kein König,
ich bin kein Priester,
ich bin kein Held;
mir ist kein Orden,
mir ist kein Titel
verliehen worden
und auch kein Geld.
Dich will ich kriegen,
du harter Plocken,
die Splitter fliegen,
der Sand stäubt auf —
[268]
„Du armer Flegel,“
mein Vater brummte,
„nimm meinen Schlegel;“
und starb darauf.
Heut hab ich Armer
noch nichts gegessen,
der Allerbarmer
hat nichts gesandt;
von goldnem Weine
hab ich geträumet
und klopfe Steine
fürs Vaterland.

Goethe

Goethe, wenn je mir der Schmerz das Herz zerstach und verschnürte,
trank ich aus deinem Pokal, bebt ich in Wonne empor.
Wir sind ein siedend Geschlecht. Nur selten zittert ein Lied in uns
leis wie gebändigte Flut. Wogen schreien im Sturm.

Aus einem Notizbüchlein der Liebe

I.

Ich hab gesät
das Korn der Liebe,
tiefinnig Lächeln,
maiwarmen Blick;
nun frag ich immer
bei Nacht und Tage,
ruhlos zu wissen,
was mein Geschick:
Hat deine Seele
das Korn empfangen,
ist es im Herzen
dir aufgegangen?

II.

[269]
Die Rechte hebt den Maienwein,
Narzisse in der Linken!
Ich will ein frommer Zecher sein
und gottesfürchtig trinken.
Wie schön leucht't mir der Morgenstern
der lieblichen Narzisse!
Ich flehe opferfroh zum Herrn
um Liebchens Erstlingsküsse.
Für solchen Trank ich solchen Lohn
zu fordern mich erdreiste —
Lob sei dem Vater und dem Sohn
sowie dem heiligen Geiste!

III.

Es dampft die Burg, der Schwaden steigt,
die Sonne siegt, der Nebel weicht —
Ereignis voll Entzücken!
Befreit der Berg, erlöst das Tal,
den Äther füllt der heilige Strahl,
nun, liebe Seele, laß einmal,
ach laß dich ganz beglücken!
Im feuchten Grase blitzt der Tau,
die Rosen flammen durch die Au,
die weißen Lilien blinken:
so lang noch Ros und Lilien blühn,
wirst du, mein Herz, in Freuden glühn,
wirst liebesselig, siegeskühn
den Kelch des Lebens trinken.

Sommerabend

Schall des Tagwerks ist gestillt,
müd am Neubau träumt die Winde,
Abendhauch der Höhe quillt
mir ins Fenster frischgelinde.
[270]
Nachbarin pflückt noch so spat
Lattich in dem grünen Garten,
ihrem Manne mit Salat
zum Pfannkuchen aufzuwarten.
Windeln schlürfen Lindenduft —
Gott gesegne es den Kleinen! —
Wolken pilgern durch die Luft,
noch ein Stündchen und sie weinen.
Weinen durch die Sommernacht,
daß die Blumen neu erblühen,
daß die Sonne lustiger lacht,
Morgenbüsche Tropfen sprühen.
Hoch vom Walde ruhig rauscht
mir des Berges Psalm herunter,
mein schattige Seele lauscht
segenschwer und liedesmunter.

Komm in den Wald, Marie!

Komm in den Wald, Marie!
Wir wandern durch die dunklen Föhren,
du läßt dein helles Lachen hören.
Mir ist so traurig heut zu Mut,
dein Lachen tut der Seele gut,
wenn's munter schallt, Marie.
Setz dich ins Moos, Marie!
Des Lebens sonnigste Gestalt
hält heut mich nebelfeucht umkrallt.
Gespenster streichen aus den Ecken,
ich muß mich vor dem Spuk verstecken
in deinen Schoß, Marie!
Mach mir ein Nest, Marie!
mußt wie ein Kind mich an dich schmiegen
und meine Geisterfurcht besiegen.
Wenn zwei sich halten treu umfaßt,
hat Schwermut den Moment verpaßt.
O halt mich fest, Marie!

Mein Ça ira

[271]
Volksführer? Nein! die Toga paßt mir nicht.
Ich bin zu schüchtern, Politik zu treiben.
Ich bilde mich und bilde mein Gedicht,
was meinem Innern fern liegt, laß ich bleiben.
Aus Mitgefühl sang ich mein Lied der Not,
mein Menschheitslied aus Höhentrieb der Seele,
doch dem Parteigetriebe bin ich tot —
nun hängt mich aus — empfehle mich, empfehle!
Die heißen Geister der Gerechtigkeit
verlockten mich, mit Knütteln dreinzuschlagen,
doch tut es fast mir um das Pathos leid,
wehmütig lernt ich solchem Strauß entsagen.
Ich mag nicht mehr, aus innerster Natur,
und eins mit mir darf ich's getrost gestehen:
ich werde fortan nur auf einer Spur,
auf eigner Spur des reinern Daseins gehen.
Kein Ehrgeiz jagt mich auf das Podium,
kein Agitator geht an mir verloren,
der Eifersucht des Siegers bin ich stumm,
und für das Bravo hab ich schlechte Ohren;
das heute dem und morgen jenem schallt,
ja augenblicklich treulos sich verwandelt,
das eben noch Empörungsfäuste ballt
und gleich darauf mit Schwätzern schon verhandelt.
Hinweg, ihr Stelzen der Vergänglichkeit,
der Überredung aufgeblasne Robe!
Man wird so klein, wenn man sich täglich weiht
dem Wahrheitskult der menschlichen Mikrobe.
Zu eitel dünkt mich dieses Priesterkleid,
weshalb ich mir den Rock des Weltmanns lobe
und dem Augurendienst der Menschheit fremd
ein Lächeln spare, das mein Herz beklemmt.
***
[272]
Versteht mich wohl! Der Menschheit großem Zug
werd ich mit Sinnen nachzuziehen suchen,
denn ihren sonnenkühnen Adlerflug
verleugnen nur ästhetische Eunuchen.
Es steigt empor das menschliche Geschlecht
bedächtigen Schritts die wunderbaren Stufen,
und auch der rohe Bruch von Herr und Knecht
wird einem feineren Verhältnis rufen.
Wo sich des Denkers reiner Eifer müht,
wo Forscherlust lebendige Schlüsse gattet,
wo der verborgne Baum der Weisheit blüht,
dort birg dein Lied, von Einsamkeit beschattet!
Was du nur lebst, abseits dem grellen Licht
der augenbeizenden Gewöhnlichkeiten,
was ganz dein eigen, tränke dein Gedicht,
du leite dich, laß sich die andern leiten!
Nur frei sein, frei, auch von der „Freiheit“ frei,
die vollen Mundes Herrscherlaunen pachtet,
und sich mit bettelarmem Marktgeschrei
den größten Kundenkreis zu sichern trachtet.
Zeit meiner Ausrufkunst, du bist vorbei,
nach Lauschereinsamkeit die Seele schmachtet...
Zurückgezogen in den Kreis der Kraft
genüg ich zarter Dichterleidenschaft.

Sternennacht

Wie fließt der Schimmer der Gestirne
beseligend durch diese Nacht!
In weichen Tönen taucht die Firne
durch zarte Schleier traumessacht.
Auf kühler Gärten stille Pfade
rinnt baumdurchfilbernd blaues Licht,
ich bade meine Seele, bade
im Sternenstrom mein Angesicht.
Verrauscht der Festklang lauter Chöre,
dem sich der Beifall brausend weiht!
[273]
Ich bin allein im All und höre
das leise Lied der Ewigkeit.
Ich lausche: Was so wild durchschüttelt
der jähen Jugendtage Schwall,
von kühlem Ätherlicht umzittert,
wiegt sich verklärt im Weltenall.

Der Welt gelacht

Heut bin ich mit schmerzlich zuckendem Mund
jäh gegen Morgen erwacht:
ich fühlte mich von Menschen wund,
Verachtung wuchs im Herzensgrund —
da spürt ich einen lieben Leib,
schlang meine Arme um mein Weib
und habe leise der Welt gelacht.

Lebe!

Lebe, liebe! Grüble nicht!
Frisch den Saft der Stunde pressen!
Alles Leben heißt vergessen —
ewig gleich bleibt Gottes Angesicht.

Rosen

Hundert schlanke, schwere Rosenblüten,
vollen Früchten gleich auf schwankem Stengel,
sanft und sehnsuchtsweich und ohne Mängel,
meine Hände und mein Schoß behüten.
Und ich streichle ihre Blütenblätter,
bade meine Augen in der Kühle,
preß an Mund und Brust sie; und ich fühle
einen Hauch, wie selig Frühlingswetter.
[274]
Frühlingswetter, wie's mich fühlen lehrte
— zeitenlos, im Lenz, im Wintertosen —
oft der Liebste, wenn von allen Rosen
eine Menschenrose er begehrte.
Seines Mundes Kuß auf meinen Gliedern
zauberte auf weißer Haut im Spiele
Rosenblätter, ungezählte, viele —
Du, o du! Könnt ich sie jetzt erwidern!
Die ich halt im Schoße und in Händen,
Maréchal- und Zentifolienprangen:
wie die Düfte meinen Sinn umfangen,
welch ein sieghaft üppiges Verschwenden!
Von den Kelchen streif in süßem Hasten
ich die Blätter, tausend, abertausend;
eine Flut umgibt mich, die nicht brausend,
die nur schmeichelnd ladet mich zum Rasten.
Eine Woge! Welch ein wonnig Lager!
Von Gewändern frei, im Rosenmeere
tief versteckt, ruf ich, den ich begehre:
deine Rose such, mein wilder Wager!
Und du stehst verwirrt und weißt nicht, welche —
Meine Lippen Blumen gleichen sollen,
und die Brüste, die du liebst, die vollen,
sollen ragen wie zwei Rosenkelche...
Draußen lockt des Lebens buntes Treiben.
Schließ die Läden vor dem lauten Tosen.
Uns die Welt! wenn unter unsern Rosen
du und ich auf Erden einsam bleiben.

Die Bismarcknacht

Der Nachtwind jagt durch meinen Wettermantel.
In kurzen, scharfen, eiseskalten Stößen
fährt er ins Land, das mit dem Sommer buhlt.
Zieht ein Gewitter auf am Horizont?
[275]
Trägt er der Elemente Schlachtenruf
Schweigen gebietend auf die Menschenerde?
Daß sich der Häusler duckt in seinem Bett,
der Bauer forschend durch die Ställe schreitet,
den Viehstand sichernd und die Luken schließend —
der mit dem Waldwuchs alt gewordne Förster
fluchend an Windbruch denkt im stolzen Forst
und grantelnd murrt: was will der Sturm die Nacht?
Nun wird es still. Ein einzig-tiefes Schweigen —
als ob der Weltgeist zum Entscheidungsringen
die Winde in der Hand zusammenraffte.
Starr horcht der Baum, und jeder Halm im Gras
steht unbeweglich wie in Todesahnung.
Man hört im Wald ein dürres Blatt sich lösen,
vorjährig war's, es macht dem jüngern Platz.
Angstvoll noch einmal schreit ein Kauz im Turm,
ein Hirsch gibt Antwort, schaurig langgezogen,
und fern im Echo stirbt der letzte Laut.
Mit schweren Schritten schreit ich durch die Nacht;
fast widerwillig setz ich Fuß vor Fuß,
der wurzeln möchte an der Ackerscholle.
Es preßt die Brust ein wunderlich Gefühl,
halb Angst, halb Staunen...
Dort blitzt es auf! Ein Schloß im dunklen Forst.
Weltabgeschieden unter stummen Eichen.
Wie eine Stätte, die ein Klausner schuf,
ein Mann, der Lieb und Haß und Ehre kannte,
der alles, was des Lebens Brandung birgt,
mit scharfem Auge durch und durch gemustert,
hier Menschengröße, dort die Menschenkleinheit,
und der die Summe seines Lebens zog.
Vorüber an der Fenster langer Flucht
seh ich ein Windlicht hasten — ist's ein Zeichen
für nächtlichen Besuch, daß er nicht irr,
daß er die rechte Pforte find zur Einkehr? ...
Lebendig wird's im alten Mauerbau,
gespenstig sieht man Dienerschatten huschen,
[276]
in toller Eile hin und her geworfen.
Trotz Nacht und Graun gilt's einen Willkommgruß?
Und wahrlich, ein Gewaltiger muß es sein.
Ein mächtiger Herrscher, stärker noch als der,
der hier das Amen sprach zu seinen Werken,
ein Herrscher, der selbst diesen Erzkoloß
zwingt, ihm das Tor zu öffnen bei der Nacht.
An einem Feldstein vor dem Parkportal
steht, seltsam lächelnd, unerschütterlich,
einsam ein Mann und dengelt seine Sense...
Ein schwarzer Mantel wallt ihm um den Leib,
doch die Kapuze ist zurückgefallen
vom nackten Schädel, der im Nachtschein glänzt...
Und wie er spöttisch seine Sense schärft,
lacht er geheimnisvoll und summt ein Lied:
Ich fahr durch die Welt wie die stolzesten Herrn,
Jagd mach ich auf Menschenleiber,
kein Palast mir zu hoch, keine Höhle zu fern,
ich finde euch, Männer und Weiber.
Wenn die Sense erklingt, ist es Zeit in der Welt,
daß Kaiser und Bauer sein Haus bestellt!
O du Jugendblut, wie bist du so rot,
wie so schneeig, du Mädchenwange!
Du harrst auf den Liebsten? Komm, tanz mit dem Tod,
dann wird dir im Leben nicht bange.
Die Blumen herunter vom lockigen Haupt,
ich habe schon andere Blumen geraubt.
Was frag ich nach Liebe, was frag ich nach Ehr,
Wahn ist es von Menschengehirnen.
Ich blas in die Lüfte, da stürzen umher
die Kronen von Fürstenstirnen.
Jedes Lächeln erstirbt, jeder Haß, jede Reu,
die Sense schwirrt, dann ist es vorbei. —
Nur dieser, nur dieser, er machte mir Not,
der der Stärkste ist unter den Starken.
[277]
Doch heut wird er mein, und das Morgenrot
begrüßt er in anderen Marken.
Geht trauern, ihr Menschen, die Flagge halbmast!
Der Tod hat sich edle Beute gefaßt. —
So sang der Mann, der einsam stand am Stein
und hurtig dengelnd seine Sense schärfte;
griff mit den Daumen prüfend längs der Schneide,
schultert die Waffe und schritt schwer zum Tor,
das wie von Geisterhänden selbst sich öffnet,
schritt schwer hindurch, und auf dem blanken Kies
knarrt fern sein Gang...
Und wieder hasten Lichter durch die Räume,
treppauf, treppab, in schreckhaft toller Wirrnis,
als suchten sie umsonst die Nacht zu scheuchen,
die dunkler, unaufhaltsam bricht herein;
jetzt treffen sie zusammen — schwanken — bleiben —
und feierlich gießt sich ein Lichtmeer aus.
Und durch den Park des Friedrichsruher Schlosses
läuft es von Baum zu Baum: Der Fürst ist tot!
Die Blätter raunen und die Zweige weinen
um ihren Herrn... Da preß ich meine Hände
fest zum Gebet und schreite schweigend heimwärts,
im Ohre des allmächtigen Todes Sang.

Frühling

In dämmrigen Grüften
träumte ich lang
von deinen Bäumen und blauen Lüften,
von deinem Duft und Vogelgesang.
Nun liegst du erschlossen
in Gleiß und Zier,
von Licht übergossen
wie ein Wunder vor mir.
[278]
Du kennest mich wieder,
du lockest mich zart,
es zittert durch all meine Glieder
deine selige Gegenwart.

Die frühe Stunde

Silbern überflogen
ruhet das Feld und schweigt,
ein Jäger hebt seinen Bogen,
der Wald rauscht und eine Lerche steigt.
Der Wald rauscht und eine zweite
steigt auf, und fällt.
Ein Jäger hebt seine Beute
und der Tag tritt in die Welt.

Con sordino

Mir zittern die Saiten
und stimmen die Weise an,
die ich für dich vorzeiten,
die ich für dich in einem Mai
aus lauter Glück ersann.
Ich führe den Bogen
so scheu und leis gespannt,
wie ich ihn da gezogen,
da ich in einer fernen Nacht
vor deinem Fenster stand.
Mein Herz ist beklommen
von Liedern andrer Zeit —
Weiß Gott, wie das gekommen,
daß mir aus deiner Liebe ward
so eitel Weh und Leid.

Hafen von Livorno

Nach einem Bild, das ich vor Jahren sah,
verläßt mich eine milde Sehnsucht nie.
Es ist mir oft in Träumen fern und nah
[279]
wie eines Jugendwanderliedes
vergeßne, traumbekannte Melodie.
Die Sonne sank und war voll müder Glut,
der fernen Inselberge Linie schwand
in Duft und Himmel. Und die schwere Flut
des Meeres schlug in wunderlichen Takten
an meines dunklen Fischerbootes Rand.
Ein gelbes Dreiecksegel flammte schwer
am Molo auf. Ein sattes Leuchten glitt
mit jäher Schönheit übers goldne Meer
und nahm die letzten roten Strahlen
ins violette Reich des Abends mit.

Gondelgespräch

Was ich träume, fragst du? Daß wir beide
gestern starben und im weißen Kleide,
weiße Blumen in den losen Haaren,
in der schwarzen Gondel meerwärts fahren.
Glocken läuten fern vom Kampanile,
werden leiser, werden bald vom Kiele
übergurgelt, den die Wellen schlagen.
Weiter meerwärts werden wir getragen
dorthin, wo mit himmelhohen Masten
Schiffe schwarz am Horizonte rasten,
Wo die Fischerbarken mit den feuchten
rot und gelben Segeln tiefer leuchten,
wo die blauen großen Wogen brausen,
wo die wilden Schiffermähren hausen.
Dort durch eines Wassertores blauen Rachen
segelt abwärts unser leichter Nachen
in die Tiefen, deren weite Räume
fremd erfüllen die Korallenbäume,
wo in Muscheln, die verborgen glimmern,
bleiche Riesenperlen köstlich schimmern.
Scheue Silberfische glänzen leise
uns vorbei und lassen Farbengleise,
deren Furche andre überglänzen
mit den goldenroten, schlanken Schwänzen.
[280]
Träumend dort in meilentiefer Tiefe
wird uns sein, als ob zuweilen riefe
einer Glocke Ton, ein Windeswehen,
deren fernes Lied wir nicht verstehen,
deren fernes Lied von engen Gassen
redet, die wir langeher verlassen,
und von Dingen, die wir ehmals kannten,
und von Wegen, die wir ehmals fanden.
Einer Straße, eines Kircheninnern
werden wir verwundert uns erinnern,
eines Gondelrufs und vieler Namen,
die wir manches Mal vorzeit vernahmen.
Lächelnd, wie im Schlaf die Kinder pflegen,
werden wir die stummen Lippen regen
und das Wort wird, eh wir's können lallen,
in Vergessenheit und Traumtod fallen.
Über uns die großen Schiffe gleiten,
dunkle Barken bunte Segel breiten,
weiße Vögel in der Sonne fliegen,
blanke Netze auf dem Wasser liegen,
und darüber hoch und rein gezogen
eines Sonnenhimmels blauer Bogen.

Waldesstimme

Wald, du mosiger Träumer,
wie deine grüngoldenen Augen funkeln,
Einsiedel, schwer von Leben,
wie deine Gedanken dunkeln,
saftträumender Tagesversäumer!
Über der Wipfel Hin-und Wiederschweben,
wie's näher kommt und voller wogt und braust
und weiter zieht und stiller wird und saust.
Über der Wipfel Hin-und Wiederschweben
[281]
hoch droben steht ein ernster Ton,
dem lauschten tausend Jahre schon
und werden tausend Jahr lauschen...
und immer dieses starke donnerdunkle Rauschen.

Arnold Böcklin
Mitten im Tode sind wir vom Leben umfangen.

Er ging dahin, wo seine Werke wohnen...
Mit angetürmtem Nacken ihm zur seiten
trabt der Eroberer.
Aus tiefem Sande grinsen fremde Zeichen:
Gebeine sind es, die so leuchtend bleichen.
Vor rohen Hufen knirscht die heiße Wüste;
grün steigt ein Hügel auf und ruht
in Blumenkühle aus vom heißen Gleißen.
In träger Schräge ruht ein alter Faun
und glotzt in Weiten, die wie bald verloren ihm,
mit schwerem Auge, fremdbekümmert.
Ein Fäunlein, goldnes Stroh im roten Nacken,
reckt tief zum Quell die drallen Bäcklein nieder.
Genug gesehn! Ich will mir selber lauschen;
da kommt ein Wald, der soll mir rauschen!
Wie klopft des Mittags Angst! —
Gespannt und horchend, eine Harfe,
die starren, steilen Stämme.
Hoch und tückisch,
das seltsam bösgedrehte Horn voraus:
Das Einhorn...
Sinnig-wild
aufblickt des Märchens üppig-fremdes Auge.
Da von der Rechten schwellend atmet's Raum,
hebt grüne Gipfel hoch noch über die blauen —
brausendes überstürzendes Bauen! —
und bietet der Erde, bietet dem Himmel Sträuße Schaum
und schlägt lustkreischeud einen Purzelbaum:
und blickt wie Angst, wie Trauer der Unendlichkeit,
[282]
wie Irrsinn, wie wehlachend Spotten:
das wilde Element! —
Und Abend wird's; das Meer ging ferne schlafen.
Ein braunes Glöckelhäuslein.
Da steht, geneigt
das weiße, stille Haupt, der braune Mönch und geigt
und streut wie Blumen nieder
zu Füßen der Maria späte Glut.
Aus Zehen, seine Wangen voll und fromm,
ein Büblein lugt; leis zittert seiner Schwinge
blaugrüner Reif...
***
Er ging dahin, wo seine Werke wohnen;
sie leuchten heißer auf in ihrer Seele Saft,
die Urgeburten dieses großen Lebens!
Ein frohes Tosen wiehert der Stromsturz
nieder; die Wälder öffnen atmend
befreite Brust.
Und all die großen stummen Seelen
der ungeheuren Dinge und der wilden Welt:
„Du löstest unsere Lippen; unser Träumen,
unser Brausen war dir: das Leben!
Wie du den Wein in heitrer Andacht trankest,
so leicht bei hohem Lächeln neigt
dein Manneshaupt sich, da Freund Hein
auf seiner Fiedel dir so Wundersames geigt...“
In bleicher Stille ein zypressendichter Schlaf...

Königssee

Wolken sinken aus den Höhen,
auf den See sich zu ergießen,
längst schon kann der Blick nicht dringen
zu den Wänden, die ihn schließen.
[283]
Nur noch seine dunkle Fläche
und sein hoheitsvolles Schweigen
lassen ahnen, welche Riesen
sich zu ihm herunterneigen.

Geänderte Landschaft

Die hohen Berge grüßen
schon fast am fernen Rand,
es dehnt zu meinen Füßen
sich grünes Wiesenland.
Das Höh und Schlucht umflogen,
mein Herz, nun kehrest du,
dein ganzes Liebeswogen
der stillen Blume zu.

Am Wiesenbach

Nimmer will ich haschen dich,
bunter Falter, Frohgeselle,
nicht an dir vergreifen mich,
zierlich schwebende Libelle,
nur an Flor und Farb mich freuen,
Kinderwonne still erneuen,
wenn ihr wie im Ringeltanz
flattert in der Sonne Glanz.
Ei, kein Schläfchen jetzt gemacht,
muß dich scheuchen, loser Alter,
zeigen müßt ihr eure Pracht,
Wasserjungfer, Sommersalter!
Fein die Flüglein in die Wage,
daß der Wind euch spielend trage,
daß ich wie im Zauberkreis
folge und es selbst nicht weiß.

Wanderung

Ich wandre fort beim letzten Schein,
der lieben Sonne nach,
und hinten bricht die Nacht schon ein,
wo meiner Hütte Dach.
[284]
Doch schneller geht der Sonne Lauf,
schon steh verlassen ich —
Da leuchten tausend Welten auf
und winken mir zu sich.

Meinem Bruder

Was wissen wir von Ewigkeiten,
die ringsumher im Gottesacker
der blühenden Welt geblendet schlafen?
Von all den Blumen, die wir trafen,
von all den Liedern, die wir sangen,
und Liebesworten, die erklangen
in seliger Nacht — was wissen wir?
Jenseits des Ruhmes, jenseits, Freunde,
von Chronos' ewiger Marmortafel,
auf die sein Dichtergeist die Namen
und Taten unsrer Besten schreibt,
jenseits gekrönten Heldentums
liegt auch ein lichtes Land des Ruhms.
Dort wohnt die Mutter — tausendfach
als Trostgestalt, als Liebe einfach
wie Sonnenlicht und Windeswehn.
Dort würdet ihr die Bräute sehn
von Bettlern, Künstler ohne Namen
und Kinder, die zum Tode kamen,
bevor des Lebens Schuld geschehn.
Dort wohnst auch du, mein teurer Bruder,
dort wohnst auch du, du Lichtgestalt,
mit Lächeln rings des Daseins Wolken
und deines Leidens Schwermut teilend,
dem Tode listig, froh enteilend,
bis du erlagst der Nachtgewalt.
[285]
Was wirktest du in deiner Pein?
den höchsten Ruhm: Ein Mann zu sein.
Und seltsam greift es an die Seele,
Erkenntnis halb und halb auch Schmerz,
ob ich den Ruhm des Helden wähle,
ob meines Bruders stummes Herz.
Denn beide, hab ich jetzt erkannt,
sind sich im Wesen tief verwandt,
und alles, was die Könige erben,
muß in den Bettlern täglich sterben.

Riesengebirge

I.

Du tratest oft im Traum zu mir,
viel Leid und Nächte trennten mich
von deinem Frieden.
O wenn es hienieden
Sehnsucht gibt,
so war sie bei dir.
Und blick ich heute
hinaus auf der Berge
mächtige Ruhe,
in der Täler
blühendes Glück,
so wendet der Blick
sich dennoch in mich selbst zurück.
Wenn alle sich einen,
dir Liebe zu bringen,
das ruhlos stürmende Herz
in Schlaf zu singen —
wie kannst du noch weinen?

II.

Alles ist dir treu geblieben,
treu die Güte der Natur,
und dieselben Götter lieben
noch die alte junge Flur.
[286]
Meine Blicke suchen schweigend
deine große Weltenruh,
wenden sich in Demut neigend
deinen milden Augen zu.
Hab Geduld mit deinem Kinde,
kehr ich reuig bei dir ein —
wenn ich dich noch ganz empfinde,
werd ich deiner würdig sein.

Die Glocken

Wie seltsam läuten, seltsam ernst und tief
die alten Glocken meiner Heimatsstadt!
als ob ein Märchentraum in ihnen schlief,
daß mancher schon den Kopf geschüttelt hat.
Im morschen Glockenstuhl mit einem Mal
raunt auf das dunkle Gold... es wiegt sich, zieht
dann durch den Abend, durch das stille Tal,
von Schwermut krank, doch voll im Klang sein Lied.
Wenn aus dem Schlaf ein Schmerz mich plötzlich stört
oft in der Fremde, spät um Mitternacht,
hör ich das Glockenspiel ganz fern und matt...
Wohl wie aus einer längst versunknen Stadt
der Schiffer auf der See ein Klingen hört.
Und niemand ahnt, wie traurig es ihn macht.

Die Linde

Beim Anblick einer blütengelben Linde
kam über mich ein Glück von ungefähr,
sie wiegte sich nur leis und stolz im Winde,
doch war ihr Duft von vielen Sommern schwer.
[287]
Ich lehnte mit dem Herzen an die Rinde:
du guter Baum, ich kenne mich nicht mehr,
und seit ich deines Frühlings Schönheit finde,
ist mir, als ob die Welt voll Gnade war!
Du Lebensbaum! Du wunderreiche Blüte,
du unbewußte, stolz und stumme Güte,
sieh, weiße Tauben flattern um uns her!

Andacht

Die Nächte sind lau und hangen voll Blüten!
Die Säfte regen sich, schwellen und fließen, —
nun möge Gott unsern Garten hüten
und den Wald und das Feld, wo die Saaten sprießen.
Schon rüsten sich die ersten Gewitter,
die Winde fiebern am fernen Gelände...
Da lehn ich am goldenen Gartengitter
und breite aus meine betenden Hände.

Vorfrühling

Es läuft der Frühlingswind
durch kahle Alleen,
seltsame Dinge sind
in seinem Wehen.
Er hat sich gewiegt,
wo Weinen war,
und hat sich geschmiegt
in zerrüttetes Haar.
Er schüttelte nieder
Akazienblüten
und kühlte die Glieder,
die atmend glühten.
[288]
Durch die glatten
kahlen Alleen
treibt sein Wehen
blasse Schatten
und den Duft,
den er gebracht,
von wo er gekommen
seit gestern Nacht.
Lippen im Lachen
hat er berührt,
die weichen und wachen
Fluren durchspürt.
Er glitt durch die Flöte
als schluchzender Schrei,
an dämmernder Röte
flog er vorbei.
Er flog mit Schweigen
durch flüsternde Zimmer
und löschte im Neigen
der Ampel Schimmer.

Reiselied

Wasser stürzt uns zu verschlingen,
rollt der Fels uns zu erschlagen,
kommen schon auf starken Schwingen
Vögel her, uns fortzutragen!
Aber unten liegt ein Land,
spiegelnd Früchte ohne Ende
in den alterslosen Seen,
Marmorstirn und Brunnenrand,
steigt aus blumigem Gelände
und die leichten Winde wehn!

Die Beiden

[289]
Sie trug den Becher in der Hand,
ihr Kinn und Mund glich seinem Rand.
So leicht und sicher war ihr Gang,
kein Tropfen aus dem Becher sprang.
So leicht und fest war seine Hand:
er saß auf einem jungen Pferde,
und mit nachlässiger Gebärde
erzwang er, daß es zitternd stand.
Jedoch, wenn er aus ihrer Hand
den leichten Becher nehmen sollte,
so war es beiden allzu schwer:
denn beide bebten sie so sehr,
daß keine Hand die andre fand
und dunkler Wein am Boden rollte.

Ballade des äußeren Lebens

Und Kinder wachsen auf mit tiefen Augen,
die von nichts wissen, wachsen auf und sterben
und alle Menschen gehen ihre Wege.
Und süße Früchte werden aus den herben
und fallen nachts wie tote Vögel nieder
und liegen wenig Tage und verderben.
Und immer weht der Wind und immer wieder
vernehmen wir und reden viele Worte
und spüren Lust und Müdigkeit der Glieder.
Und Straßen laufen durch das Gras, und Orte
sind da und dort, voll Fackeln, Bäumen, Teichen
und drohende, und totenhaft verdorrte...
Wozu sind diese aufgebaut? und gleichen
einander nie? und sind unzählig viele?
Was wechselt Lachen, Weinen und Erbleichen?
Was frommt das alles uns und diese Spiele,
die wir doch groß und ewig einsam sind
und wandernd nimmer suchen irgend Ziele?
[290]
Was frommt's, dergleichen viel gesehen haben? ...
Und dennoch sagt der viel, der „Abend“ sagt,
ein Wort, daraus Tiefsinn und Trauer rinnt
wie schwerer Honig aus den hohlen Waben.

Terzinen über Vergänglichkeit

Noch spür ich ihren Atem auf den Wangen:
wie kann das sein, daß diese nahen Tage
fort sind, für immer fort und ganz vergangen?
Dies ist ein Ding, das keiner voll aussinnt,
und viel zu grauenvoll, als daß man klage:
daß alles gleitet und vorüberrinnt
und daß mein eignes Ich, durch nichts gehemmt,
herüberglitt aus einem kleinen Kind,
mir wie ein Hund unheimlich stumm und fremd.
Dann: daß ich auch vor hundert Jahren war
und meine Ahnen, die im Totenhemd
mit mir verwandt sind wie mein eignes Haar.
So eins mit mir als wie mein eignes Haar.

Manche freilich müssen unten sterben

Manche freilich müssen unten sterben,
wo die schweren Ruder der Schiffe streifen,
andre wohnen bei dem Steuer droben,
kennen Vogelflug und die Länder der Sterne.
Manche liegen immer mit schweren Gliedern
bei den Wurzeln des verworrenen Lebens,
andern sind die Stühle gerichtet
bei den Sibyllen, den Königinnen,
und da sitzen sie wie zu Hause,
leichten Hauptes und leichter Hände.
Doch ein Schatten fällt von jenem Leben
in die anderen Leben hinüber,
und die leichten sind an die schweren
wie an Luft und Erde gebunden:
[291]
Ganz vergessener Völker Müdigkeiten
kann ich nicht abtun von meinen Lidern,
noch weghalten von der erschrockenen Seele
stummes Niederfallen ferner Sterne.
Viele Geschicke weben neben dem meinen,
durcheinander spielt sie alle das Dasein,
und mein Teil ist mehr als dieses Lebens
schlanke Flamme oder schmale Leier.

Botschaft

Ich habe mich bedacht, daß schönste Tage
nur jene heißen dürfen, da wir redend,
die Landschaft uns vor Augen, in ein Reich
der Seele wandelten: da hügelan
dem Schatten zu wir stiegen in den Hain,
der uns umfing wie schon einmal Erlebtes,
da wir auf abgetrennten Wiesen still
den Traum vom Leben niegeahnter Wesen,
ja ihres Gehns und Trinkens Spuren fanden
und überm Teich ein gleitendes Gespräch,
noch tiefre Wölbung spiegelnd, als der Himmel:
Ich habe mich bedacht auf solche Tage
und daß nächst diesen drei: gesund zu sein,
am eignen Leib und Leben sich zu freuen
und an Gedanken, Flügeln junger Adler,
nur eines frommt: gesellig sein mit Freunden.
So will ich, daß du kommst und mit mir trinkst
aus jenen Krügen, die mein Erbe sind,
geschmückt mit Laubwerk und beschwingten Kindern
und mit mir sitzest in dem Gartenturm:
zwei Jünglinge bewachen seine Tür,
in deren Köpfen mit gedämpftem Blick
halbabgewandt ein ungeheueres
Geschick dich steinern anschaut, daß du schweigst:
und meine Landschaft hingebreitet siehst,
daß dann vielleicht ein Vers von dir sie mir
veredelt künftig in der Einsamkeit,
und da und dort Erinnerung an dich
[292]
im Schatten nistet und zur Dämmerung
die Straße zwischen dunklen Wipfeln rollt
und schattenlose Wege in der Luft
dahinrollt wie ein ferner goldner Donner.

Gestorben

Die heiligen Engel haben mich bei Gott verklagt:
„Sein Lieb sei schöner, hat der Knabe gesagt,
als alle Engel schöner um Gottes Stuhl und Altar,
viel heiliger und reiner denn der Erlösten Schar,
schwarzlockig und süß wie die Gottesmutter Marie,
so rein und heilig und tausendmal schöner als sie!“
Da ward eine große Stille, eine Stille zornatmend und bang,
darein die Stimme Gottes durch sieben Himmel erklang;
über die Dächer Zions, übers kristallne Meer
rauschte da Gottes Stimme: „Führet das Mägdelein her.“
— — — — — — — — — — — — — — — —
Das war eine wolkenverhängte, blütenduftige Nacht,
da haben sie zwei Englein zur Himmelstür gebracht.
Sie ging in bloßen Füßen; in ihrem Rabenhaar
verfingen sich alle Sterne goldknisternd, Paar um Paar;
und all die Blätter vom Baume des Lebens, der säuselnd steht,
hingen im Schnee ihres Nackens, purpurn herübergeweht.
Doch als sie selig geneigt die klingenden Gassen durchschritt,
neigten sich alle Engel und alle Heiligen mit.
Und Gottesmutter Maria neigte sich lächelnd zum Christ:
„Sieh, wie holdseligen Herzens, ach — und wie schön sie ist!“
Vor Gottes Thronstufen kniete sie weinend hin:
„Herzliebster Jesu, daß ich nun bei dir bin!“
Und Gott sprach: „Weil du so demütig rein,
sollst du von Stund an ein Engel in Eden sein.
Friede mit dir! Und da du so demütig schön,
magst an der Stiege des Himmels als Engel der Sehnsucht du stehn.“
[293]
Und Engel und Erzengel grüßten sie küssend: „Vergib!
Ehre sei Gott in der Höhe! Siehe, wir haben dich lieb.“
— — — — — — — — — — — — — — — —
Ich aber weiß, warum zu jedweder Frist
mir so weh, so weh nach dem Himmelreich ist.

Wanderschwäne

Meine scheuen Lieder,
die sind wie wilde Schwäne:
sie brausen über Meere
und finden keine Heimat.
Verwunschne Königskinder,
sie tragen nachts ihr Krönlein —
und morgens überm Schneekleid
den Tau in Herzbluttropfen.
Hörtest du je sie tönen,
die purpurweißen Schwingen,
wie sie die Wolken schlugen
im Brausen ihrer Sehnsucht —
und dröhnten an die Sterne?
Ach, falte brünstige Hände,
daß Gott sie bald erlöse,
daß sie die Heimat finden!

Meine Nachbarschaft
Aus „Buch der Zeit“

Mein Fenster schaut auf einen düstern Hof,
auf schmutzige Dächer und auf rußige Mauern,
doch wer wie ich ein Stückchen Philosoph,
läßt darum sich noch lange nicht bedauern.
[294]
Ein wenig Luft, ein wenig Sonnenlicht
dringt schließlich auch durch seine trüben Scheiben,
zu hungern und zu frieren brauch ich nicht
und all mein Tun ist nur ein wenig Schreiben.
Ein wenig Schreiben, wenn ich stundenlang
mich einlas in die Wunderwelt der Alten,
bis endlich, endlich es auch mir gelang,
was ich gefühlt, zum Wohllaut zu gestalten.
Dann fließt es um mich wie ein Heiligenschein,
und mir im Herzen bauen sich Altäre;
so könnt ich glücklich und zufrieden sein,
wenn ach, nur meine Nachbarschaft nicht wäre!
Kein Schwärmer ist es, der die Flöte liebt
und auf ihr nur „des Sommers letzte Rose“,
kein Tanzgenie, das ewig Stunden gibt,
auch kein klavierverrückter Virtuose:
Ein armer Schuster nur, der nächtens flickt,
wenn längst aufs Dach herab die Sterne scheinen,
indes sein Weib daneben sitzt und strickt
und seine Kinderchen vor Hunger weinen!
O Gott, wie oft nicht schon hat dieser Laut
mich mitten aus dem tiefsten Schlaf gerüttelt!
Und wenn ich halbwach dann mich umgeschaut,
hat wild es wie ein Fieber mich geschüttelt.
Des Mädchens Schluchzen und des Knaben Schrei
und ganz zuletzt des Säuglings leises Wimmern —
mir war's, als hörte ich dann nebenbei
drei kleine, kleine schwarze Bettlein zimmern.
Mir war's, als rollte dumpf dann vor das Haus
der nur zu wohlbekannte Armenwagen
und jene Bettlein trügen sie hinaus
und luden sie in seinen düstern Schragen.
Der Kutscher aber nahm noch einen Schluck
und peitschte fluchend seine magren Schinder
und übers Pflaster dann ging's Ruck auf Ruck,
doch ach, noch immer wimmerten die Kinder!
[295]
Und immer, immer noch klang's mir im Ohr,
wenn schon der Morgen durch das Fenster blickte,
und mir ums Auge hing einen Tränenflor,
wenn ich dann stumm mein Tagewerk beschickte.
Was half mir nun mein „Stückchen Philosoph“?
In Trümmer fiel, was ich so luftig baute!
Doch tat's das Haus nicht, nicht der düstre Hof,
nein, nur die abgebrochnen Kindeslaute! —
Die Armut bettelt um ein Stückchen Brot,
doch herzlos läßt der Reichtum sie verhungern;
Millionen tritt die Goldgier in den Kot,
und einen einzigen nur läßt sie lungern.
In seidne Betten wühlt sie ihn hinein,
wenn er beim Sekt sich endlich ausgeplappert,
indes beim flackernden Laternenschein
das bleiche Elend mit den Zähnen klappert.
O Gott, warum dies alles, o warum?
Wie Zentnerlast drückt mich die Frage nieder!
In meinen Reimen geht sie heimlich um
und ächzt und stöhnt durch meine armen Lieder.
Was bleibt mir noch auf diesem Erdenball?
Denn auch die Kunst, längst stieg sie vom Kothurne —
einst schlug mein Herz wie eine Nachtigall,
doch ach, nun gleicht es einer Tränenurne!

Tagebuchblatt
Aus „Buch der Zeit“

Die letzten Sterne flimmerten noch matt,
ein Spatz versuchte früh schon seine Kehle,
da schritt ich müde durch die Friedrichstadt,
bespritzt von ihrem Schmutz bis in die Seele.
Kein Quentchen Ekel war in mir erwacht,
wenn mich die Dirnen schamlos angelacht,
kaum, daß ich stumpf davon Notiz genommen,
wenn mir ein Trunkner in den Weg gekommen.
Und doch, ich spürte dumpf: mir war nichts recht,
selbst die Zigarre schmeckte schlecht.
[296]
Halb zwei. Mechanisch sah ich nach der Uhr,
an was ich dachte, weiß der Kuckuck nur;
vielleicht an meinen Affenpinscher Fips,
an ein Bonmot, an einen neuen Schlips,
vielleicht an ein zerbolztes Ideal,
vielleicht auch nur — ans Café National.
Da, plötzlich — wie? ich wüßt es selber nicht —
fuhr mir durchs Hirn phantastisch ein Gesicht,
ein Traum, den ich vor Jahren mal geträumt,
ein Glück, das zu genießen ich versäumt.
Ich fühlte seinen Atem mich umstreifen,
ich konnt es förmlich mit den Händen greifen!
Ein verwehender Sommertag, ich war allein,
auf einem grünen Hügel hielt ich im Abendschein
und still war mein Herz und fröhlich und ruhte.
Leise unter mir schnupperte meine Stute,
die Zügel locker, lang und laß,
und rupfte büschelweise das Gras.
Es ging ihr fast kniehoch und stand voller Blumen.
Dazwischen roch es nach Ackerkrumen
und hinten, die Flügel noch grade besonnt,
mahlten drei Mühlen am Horizont;
drei alte Dinger, fuchsrot beschienen
und schon halb begraben hinter einem Feld Lupinen.
Sonst nichts, soweit der Blick auch schweifte,
als mannshohes Korn, das rauschend reifte;
dazu drüber ein ganz, ganz blaßblauer Himmel
voll Grillengezirp und Lerchengewimmel.
Das war das Ganze. Doch ich sah die Farben
und hörte den Wind wehn und roch die Garben.
Ein Sonnenblitz, drei helle Sekunden,
gekommen — verschwunden!
Die Friedrichstraße. Krumm an seiner Krücke
ein Bettler auf der Weidendammer Brücke:
„Kauft Wachs—streich—hölzer,
schwedische, Storm- und Wachs—streich—hölzer...“
Mich fröstelte!

Sieben Billionen Jahre vor meiner Geburt
Aus „Phantasus“

[297]
Sieben Billionen Jahre vor meiner Geburt
war ich eine Schwertlilie.
Meine Wurzeln
saugten sich
in einen Stern.
Auf seinen dunklen Wassern
schwamm
meine blaue Riesenblüte.

Schönes, grünes, weiches Gras
Aus „Phantasus“

Schönes, grünes, weiches Gras.
Drin liege ich.
Mitten unter Butterblumen!
Über mir
warm,
der Himmel;
ein weites, zitterndes Weiß,
das mir die Augen langsam, ganz langsam
schließt.
Wehende Luft... ein zartes Summen.
Nun bin ich fern
von jeder Welt,
ein sanftes Rot erfüllt mich ganz,
und deutlich spüre ich, wie die Sonne mir durchs Blut rinnt —
minutenlang.
Versunken alles. Nur noch ich.
Selig!

Über die Welt hin ziehen die Wolken
Aus „Phantasus“

Über die Welt hin ziehen die Wolken.
Grün durch die Wälder
fließt ihr Licht.
Herz, vergiß!
[298]
In stiller Sonne
webt linderndster Zauber,
unter wehenden Blumen blüht tausend Trost.
Vergiß! Vergiß!
Aus fernem Grund pfeift, horch, ein Vogel...
Er singt sein Lied.
Das Lied vom Glück!
Vom Glück.

Rote Rosen
Aus „Phantasus“

Rote Rosen
winden sich um meine düstre Lanze.
Durch weiße Lilienwälder
schnaubt mein Hengst.
Aus grünen Seeen,
Schilf im Haar,
tauchen schlanke, schleierlose Jungfraun.
Ich reite wie aus Erz.
Immer,
dicht vor mir,
fliegt der Vogel Phönix
und singt.

Vor meinem Fenster
Aus „Phantasus“

Vor meinem Fenster
singt ein Vogel.
Still hör ich zu; mein Herz vergeht.
Er singt
was ich als Kind besaß
und dann — vergessen.

Nachts um meinen Tempelhain
Aus „Phantasus“

Nachts um meinen Tempelhain
wachen siebzig Bronzekühe;
tausend bunte Steinlampen flimmern.
[299]
Auf einem roten Thron aus Lack
sitz ich im Allerheiligsten.
Über mir
durch das Gebälk aus Sandelholz,
im ausgestochnen Viereck,
stehn die Sterne.
Ich blinzle.
Wenn ich jetzt aufstünde,
zertrümmerten meine elfenbeinernen Schultern das Dach,
und der eirunde Diamant vor meiner Stirn
stieße den Mond ein!
Die dicken Priester dürfen ruhig schnarchen.
Ich stehe nicht auf.
Ich sitze mit untergeschlagenen Beinen
und beschaue meinen Nabel.
Der ist ein blutender Rubin
in einem nackten Bauch aus Gold.

Meine weißen Marmorfinger
Aus „Phantasus“

Meine weißen Marmorfinger
tasten über meine Brüste.
Mich schuf Korinth; ich sah das Meer.
Tausend Jahre
unter Schutt und Tempeltrümmern
lag ich in schwarzer Erde.
Zwischen roten Disteln im Abendschein weideten Ziegen,
über mein blühendes Grab bliesen Hirten.
Tausend Jahre war ich tot.
Jetzt scheint die Sonne, der Himmel lacht, ich lebe!
Auf meine Schultern durch gezacktes Laub
fallen zitternde Tupfen.
Meine Augen,
weit geöffnet,
starren auf ein grünes Wasser.
[300]
In breiten, überhängenden Kastanienblättern
spiegelt sich und spielt
sein Licht.

In rote Fixsternwälder, die verbluten
Aus „Phantasus“

In rote Fixsternwälder, die verbluten,
peitsch ich mein Flügelroß.
Durch!
Hinter zersetzten Planetensystemen, hinter vergletscherten Ursonnen,
hinter Wüsten aus Nacht und nichts
wachsen schimmernd neue Welten — Trillionen Krokusblüten!

Er drillert ihr ein Qwodlibet
Qwodlibet
Aus „Lieder auf einer alten Laute“ („Lyrisches Porträt aus dem siebzehnten Jahrhundert“)

Wie das hagelt / wie das schneyt!
O du angenähme Zeit!
Der Ofen bufft und knallt /
das Feuer in ihm tukkert /
itzt steht der gantze Wald
mit Eyß bezukkert.
Dorillgen sizz dich ans Spinett /
nun drillr ich dir ein Qwodlibet:
Juhch Holla Juhch / Sa Sa!
Du göldne Musica /
nach der mein Hertz zu jeder Zeit
fast wie Apoll nach Dafne schreyt:
ich gäbe deinen lihben Krantz
nicht ümb die Käyser-Stadt Byzantz!
Dihß so jauchtz ich Drallala /
Febus ist mein Grohß-Bapa!
Meinen bundt-verschnührten Rokk
buzzen sihben Krägen /
heut zihrt mich der Schäffer-Stokk /
morgen schon der Dägen.
[301]
Heut sizz ich im grünen Klee /
morgen auf dem Canape;
doch offt so trukk ich auch die Bäncke
in einer guhten Pauren-Schäncke /
wo man fidelt / dantzt und stampfft /
oder wo der Knaster dampfft!
Wo bräunt der braunste Brahten /
wo klükkt der klährste Wein?
Mit Ungrischen Dukahten
muß man behafftet seyn!
Kaum fühlt sie meinen Dhaler Göldt /
gleich dhut sie / was mir wohl-geföllt.
Ein Küßgen hihr / ein Küßgen dort /
ein Griffgen und ein kleines Wort /
daß ist for meinen Zahn
Vergnügungs-Marzipan!
Ey / ey / waß stäkkt denn dorten drin?
Waß seynd denn daß for Oepffelchin?
Subtil sind sie erbaut
und ümb und ümb auß Haut!
Verstatte drümb / Belinde /
daß ich dich zahrt ümbbinde /
ich will mich dan auch recht befleissen /
nicht in sie hinein zubeissen!
Frihrt uns / gleich so kriechen wir
in das fehdrige Qwartir /
wo wir uns zur Seite ruhn
und mit Recht vertraulich dhun.
Ihr stuzzt und dhut erstaunt?
Botz Klekk / bün ich kapaunt?
Seyd ihr denn daub und blind?
Bün ich ein Windel-Kind?
Die nichts alß kläun und klaffen /
seynd for mich blohß Affen /
dihses abgeschahbte Rohr
hau ich ümb ihr Midas-Ohr!
[302]
Sich an Mägdgens delectiren /
fleissig sich die Gurgel schmihren /
Mäntelgens auß Sammt und Seyden /
Tobac fein zu Streiffgens schneiden /
Bomper-nikkel und Confäkkt /
alles waß nach Ceres schmäkkt /
darzu bün ich stähts bereit /
Dafnis ist for Biderkeit!
Drümb so blahs ich alß Damöte
auff der Teutschen Opitz-Flöte /
biß kein Baum mehr über blihben /
der nicht gäntzlig voll geschrihben.
Braucht die Rohse drümb zu stincken /
weil auß ihr die Weßben drincken?
Zoilus / du falscher Wanst /
tichte bässer / wenn du kanst!

Wiedergeburt

Du fragtest mich, wo wir uns schon gesehn,
und wie wir schon einmal geboren waren?
Ich hab im Scherz so mancherlei geraten,
und sagt dir auch, du seist Kriemhild gewesen,
und ich ein Wilder aus dem Hunnenheer,
dem du an Wildheit dann nichts nachgegeben.
Ein Scherz mir war's; doch der Gedanke hat
mich viel gequält, und heute weiß ich,
wo wir uns schon einmal begegnet sind:
Die goldnen Zeiten von Venedig träum ich wieder,
in Glück und Glanz, in frohen Festen schwelgte
die Stadt — viel fremder Völker auserlesnen Männern
bot Herberg sie schon sieben volle Wochen,
und sieben volle Wochen waren wie ein Festtag.
[303]
Die Hochzeit galt's des Dogen. — Ha, er war
ein alter Graukopf, gichtig, und sein Auge
stach wie im Fieber, sein Gesicht war welk,
und spitz sein Kinn, und seine Finger waren Krallen.
Und du, Geliebte, warst die Dogaressa!
Von Griechenland war ich als Gast gekommen,
nicht gleich zu Anfang, denn ich hatte
nicht reiche Schätze, die ich dir hätt bringen können;
ich brachte einen Schmuck, den einst Praxiteles
für einer Göttin Statue geformt.
Er stach nicht in die Augen — bei dem Reichtum,
der in den Sälen aufgestapelt war,
bei so viel Gold und Seide, so viel Edelsteinen,
schien dieses seltne Kunstwerk ärmlich und gering.
Und niemand sah danach — nur du, Geliebte,
verrietst mit einem hellen Freudeblick,
daß du zu würdigen wußtest, was mein Herz dir darbot.
Dann sah ich täglich dich — doch nur von ferne,
und immer meint ich diesen Blick zu sehen,
der glücklich meine Seele noch durchglühte.
Der letzte Tag der Feste war gekommen!
du solltest dich noch einmal allem Volke
in deiner Schönheit stolzer Würde zeigen.
Wie Sonnenaufgang war es, da die Sklaven
den Vorhang hoben, und du nun wie im Traume
fast wankend auf die goldnen Stufen tratest,
die du zu deinem Volke überschreiten mußtest.
Und hinter dir des Dogen gelbes Geierantlitz.
Und unten stand ich — auf der zwölften Stufe
vielleicht rotüberglüht, denn eine Freude
sang hell in meinem Herzen: — Königin, du hattest
den Schmuck, den ich dir dargebracht, erwählt
zum schönsten Feste deinen Hals zu kränzen!
Dann sahst du mich — ein Blick, ein tiefer, tiefer Blick —
ein Ach — ein weher Atemzug — und schrittest weiter,
[304]
und wanktest mehr, als du vorher gewankt,
und standst noch einmal, und du hobst die Hand,
und schattetest die Augen, die in Schmerz und Glück,
in Licht und Tränen seltsam schimmernd strahlten.
Der bleiche Doge winkte einem Sklaven —:
du warst noch nicht drei Stufen weiter, Dogaressa,
da war der Mordstahl mir ins Herz gefahren,
veratmend fiel ich auf die goldne Stufe.
Das Fest ging weiter, niemand sah nach mir,
und heimlich rann mein Herzblut deinen Schritten nach.
Und als du wiederkehrtest, Dogaressa,
tratst du in eine dünne Lache meines Blutes,
sahst nicht zu mir, ganz Fürstin, königlich und würdig,
nicht einen Blick dem toten jungen Griechen,
von dessen Blut dein seidner Schuh nun rot war.
So sahn wir damals uns, geliebte Dogaressa!

Deine Hände

Laß mich allein mit meinen Schmerzen —
deine Hand auf meinem Herzen,
Geliebte, tut mir weh:
Ich fühl es zucken drin und brennen,
von Leiden, die nicht Lippen nennen,
von einem unstillbaren Weh.
Was selbst dein Auge mir verschwiegen,
in deinen Händen fühl ich's liegen,
wie kalt erstarrte, schwere Glut...
Und doch, Geliebte, meine Schmerzen
sind leichter, wenn auf meinem Herzen
der Kummer deiner Hände ruht.

Harfenspiel

Du liebst die Harfe — und du batest mich,
da Dämmerung jetzt die Träumeraugen aufschlug,
[305]
aus meines Spieles nun verblaßtem Gold
ein Lied zu locken, das du leben wolltest,
das wie ein sanfter Kerzenschimmer sei,
der einem Schlafenden die Lider hebt.
Ich hab im Dämmer leise dir, du Liebe,
da draußen schon die gelben Blätter fielen,
und fernher eine letzte Sense klang,
ein Lied gespielt — ich find es niemals wieder —
geschloßnen Auges — tief in mich versunken —
dem Nahen fern — fern aller Wirklichkeit,
in stilles Schauen aufgelöst und Beben,
den letzten Wellen lauschend, die am Strande,
an einem fernen, harten Strande brachen...
Und nicht ein leiser Atemzug auch störte
die Melodie, die aus den Saiten schwebte,
und zitternd nachklang, da die Finger ruhten.
Du weintest, da du mir die Hand gereicht,
und da des Tages müder Sonnenglanz
zum letztenmal in deinen Blick versank,
sprachst du und küßtest meine heiße Hand:
„Es war ein Liebestraum, den eine Seele
noch einmal vor dem Sterben träumt, du Armer!
Allein das Leben ruft auch dir — — So lebe!“

Letztes Leid

Ich suche eine Hand, die ich nicht finden kann —
die Sterne find ich, die im Klaren leuchten,
und auch den Mond, der aus den Fluten steigt,
die Wege auch, die wir zusammen gingen,
so kindergut und ohne Arg und Fehle.
Ich suche einen Mund, den ich nicht hören kann —
die Wellen hör ich, die im Meere wandern,
und auch den Sturm, der durch Zypressen rauscht,
die Tauben, die im Haine gurren, und
die Schiffer, die zu ihren Hütten ziehn.
[306]
Und alles hab ich, was wir einst besessen,
nur deine Hand nicht, nur nicht deinen Mund,
daß sie mich trösten, da ich sterben muß.

Das Grab

Ich hab ein Grab gegraben
in einem stillen Grund,
da weint kein Auge Tränen,
da klagt kein trauriger Mund.
Da ist es schweigend-öde,
die Schatten liegen weit,
und grau und starr am Wege
hockt da die Einsamkeit.
Nur wenn die ersten Sterne
heben die Lider empor,
und aus den drängenden Wolken
scheu lugt der Mond hervor,
geht ein seufzendes Wehen
durch das tote Tal —
das ist meiner weinenden Liebe
unstillbare Sehnsuchtsqual.

Erinnerung

Von vieler Vöglein Singen
bin ich aufgewacht;
an meines Vaters Garten
Hab ich da gedacht,
wo ich bei den Syringen
manche Sommernacht,
den Liebsten zu erwarten,
heimlich zugebracht.

Bestimmung

[307]
Was ist in deiner Seele,
was ist in meiner Brust,
daß ich mich dir befehle,
daß du mich lieben mußt?
Vom Haus, wo ich gewohnt
und zart behütet bin,
ziehst du mich, wie der Mond,
nachtwandelnd zu dir hin.

Mädchenträume

Mondenschein hat sich ergossen
über diese stille Welt.
Wär mir heute zum Genossen
doch ein lieber Freund gesellt!
Jenen Berg möcht ich besteigen,
wo sich Tann an Tanne drängt,
schauen, ob in ihren Zweigen
Mondlicht oder Silber hängt.
***
Jüngst um Mitternacht im Bette träumt ich
einen Traum, den Gott gesegnet hatte;
du warst bei mir, sprachst: da bin ich, Liebste!
und ich: sei willkommen, süßer Gatte.
Darauf küßten wir uns fest und lange,
aller Kummer schwand aus unserm Sinn,
und die Nacht ging unserm Liebesdrange
wie ein Hauch, wie Blumendüfte hin.

Der Tod

Schon will sich im Wald das Laub vergolden.
Dort aus purpurroten Beerendolden
flicht ein Wandrer einsam einen Kranz.
Alter, scherz ich, schenkst du den zum Tanz
einer schmucken, vielgeliebten Dirne?
Jener blickt mich an aus tiefen Augen:
„Schmücken soll er eine bleiche Stirne;
wer ihn trägt, wird nicht zum Tanz mehr taugen.“

Heimweh

[308]
Woran denk ich, wenn es Abend wird?
An mein fernes, fernes Vaterhaus.
Hab im dichten Walde mich verirrt,
finde all mein Lebtag nicht heraus.
O mein Vaterhaus im fernen Vaterland,
Fluch dem Armen, der sich von dir schied!
Jede Blume welkt in seiner kranken Hand,
jeden Freund verscheucht sein düstres Lied.

Aus dem Dreißigjährigen Kriege

Horch, Kind, horch, wie der Sturmwind weht
und rüttelt am Erker!
Wenn der Braunschweiger draußen steht,
der faßt uns noch stärker.
Lerne beten, Kind, und falten fein die Händ,
damit Gott den tollen Christian von uns wend!
Schlaf, Kind, schlaf, es ist Schlafens Zeit,
ist Zeit auch zum Sterben.
Bist du groß, wird dich weit und breit
die Trommel anwerben.
Lauf ihr nach, mein Kind, hör deiner Mutter Rat;
fällst du in der Schlacht, so würgt dich kein Soldat.
„Herr Soldat, tu mir nichts zuleid
und laß mir mein Leben!“ —
„Herzog Christian führt uns zum Streit,
kann kein Pardon geben.
Lassen muß der Bauer mir sein Gut und Hab,
zahle nicht mit Geld, nur mit dem kühlen Grab.“
Schlaf, Kind, schlaf, werde stark und groß;
die Jahre sie rollen.
Folgst bald selber auf stolzem Roß
Herzog Christian dem Tollen.
Wie erschrickt der Pfaff und wirft sich auf die Knie —
„Für den Bauer nicht Pardon, den Pfaffen aber nie!“
[309]
Still, Kind, still, wenn Herr Christian kommt;
der lehrt dich zu schweigen!
Sei fein still, bis dir selber frommt,
ein Roß zu besteigen.
Sei fein still, dann bringt der Vater bald dir Brot,
wenn nach Rauch der Wind nicht schmeckt, und nicht der Himmel rot.

Über versinkende Gräber hin...

Über versinkende Gräber hin wandr ich. Wer ruft
dumpf aus der Tiefe mich? „Fremdling, mich weckte dein Fuß.
Sag, fährt der Herbst oder März mir jetzt über die Gruft?“
Ach, ich erkenne des Frühlings stürmischen Gruß.
„Weißt du,“ so rauscht er, „wie oft du auf einsamen Höhn
träumend geruht und gelauscht auf mein wildes Getön?
Wie ich frohlockend gesaust durch dein flatterndes Haar?
Wie deine Wange voll Glut und so feurig dein Herz noch war?“

Mitternacht

Komm am Morgen nicht,
Lieb, zu meinem Grabe,
komm auf dunklen Wegen
bei des Mondes Dämmerlicht.
Wenn der Glocken Chor
Mitternacht verkündet,
steig ich aus der Erde
zu der holden Luft empor.
Weiß im Sterbekleid
sitz ich auf dem Grabe,
achte auf die Sterne
und den stillen Gang der Zeit.
Komm und sei nicht bang!
Kannst du auch noch küssen?
Schlafend nicht vergaß ich's
manchen dunklen Winter lang.
[310]
Küß mich fest und lang.
Ach, im Osten hör ich
schon der Morgensonne
wonnevollen Frühgesang.
Warst nun wieder mein!
Geh ins süße Leben! —
In der schwarzen Tiefe
schlaf ich ungern wieder ein

Hoffnung

Hoffnung wiegt sich auf dem Aste
meines Herzens; bleibe, raste
noch ein Weilchen in der Laube
meiner Brust, du wilde Taube!
Flügel, wie sein Rad der Pfau,
spannt sie, hundertaugig, blau;
duckt sich, schwingt sich auf; es wanken
meines Herzens leichte Ranken.

Auf Bergeshöhe

Überm Staub und Lärm der Gassen,
Wind und Wolken zugesellt,
fühl ich tröstend mich umfassen
eine makellose Welt.
Seine Flügel senkt mein Sehnen,
alle Wünsche gehn zur Ruh,
und die Quelle meiner Tränen
schließt sich sacht von selber zu.

Gott

[311]
Auf hohem Berge, da wohnest du,
ich wandle empor immerzu, immerzu...
Millionen Jahre wandle ich schon
und schaue noch immer nicht deinen Thron.
Einst rauchen die Höhen wunderbar,
da stehe ich oben, Sonne im Haar.
Wir schauen uns an und lächeln uns zu,
denn du bist ich und ich bin du.

Sommernacht

Wie deine Finger leis die Tasten greifen!
Durchs Zimmer flüstern sanfte Melodien,
das letzte Tageslicht will sacht entschweifen
und Dämmrung ihre grauen Schleier ziehn.
Ich lehne hinter dir auf deinem Stuhle,
die schlanken Mädchenflechten in der Hand.
Du spielst mein Lieblingslied vom Schloß in Thule
das klingt wie Geistergruß aus Geisterland.
Wie schön, im blonden Mädchenhaar zu wühlen,
verweht im Abendwind dein Märchenlied,
wenn dir zu Häupten blasse Strahlen spielen,
die letzten, die das Abendrot versprüht...
In blaue Nacht ist längst dein Lied verklungen,
wir stehn am Fenster, wo der Ahorn blüht,
und hören schweigend, Arm in Arm geschlungen,
zwei Sprosser zwitschern ihr verliebtes Lied.
Die weite Nacht wird stumm bei ihrem Singen,
der Brunnen weiß nicht, ob er weiterrinnt,
mit offnen Kelchen horchen die Syringen
und kaum zu atmen wagt der Sommerwind.

Ich erzähle Märchen...

[312]
... Die Riesentochter steigt von ihren Bergen
und schüttet Pflug und Bauer in den Schoß.
Schneewittchen lebt zufrieden bei den Zwergen
und plaudert mit der Hexe ahnungslos.
Sirenen locken mit verliebter Stimme.
Die sieben Schwaben führen ihren Spieß,
und Ritter Blaubart würgt in wildem Grimme
die zehnte Frau im dunklen Burgverließ.
Der kleine Hans fällt in den schwarzen Graben,
das kam, er guckte immer in die Luft.
Hoch oben kreischt der Schrei der sieben Raben,
und Däumling fährt die Brüder aus der Kluft...
Wie lautlos hockt dein Knabe mir zu Füßen!
die Augen glänzen ihm vor Kindesglück.
Das Märchenland mit seinen wundersüßen,
geheimen Schauern grünt vor seinem Blick.
Noch manches Märchen wüßt ich dir zu sagen,
doch schweig ich still, im Innersten bewegt.
Wir hören nur die Wanduhr langsam schlagen,
und nur den Wind, der um die Ecke fegt.
Es ist so still; ein Engel schwebt durchs Zimmer,
und selbst das kleine Plappermäulchen schweigt.
Am Fenster, überströmt von Abendschimmer,
ganz tief im Sessel ist dein Haupt geneigt.
Längst will die Dämmrung ihre Schleier ziehen,
die Sonne weicht vor ihrer Übermacht.
du siehst noch hell das Abendrot erglühen,
ich aber sitze schon in dunkler Nacht...
... Das Bäumchen prangt in dunkelgrünem Laube,
und wünscht sich, daß es goldne Blätter hätt;
Rotkäppchen guckt Großmutters weiße Haube
und ahnt nicht, daß der grimme Wolf im Bett.
[313]
Jung Siegfried will ein Schwert vom König haben
und reißt die Bäume aus vor Übermut.
Ein blondes Nixlein zieht den Fischerknaben
mit weißen Armen in die blaue Flut.
Wenn dann die Nebel aus den Wiesen steigen,
dann ist die ganze Elfenschar erwacht.
Im Mondschein führt die Königin den Reigen,
und lockt den Wandrer in die Todesnacht...

Grabschrift

„Dem Auge fern, dem Herzen nah!“
Als ich die alte Grabschrift sah
im eingesunknen Marmorstein,
da fiel mein totes Lieb mir ein...
O Gott, ich schrieb schon tausendmal
das gleiche Lied aus gleicher Qual,
und war doch keins wie dieses da:
„Dem Auge fern, dem Herzen nah!“

Junge Frauen

Die Freundin schaut mich an und spricht:
„Verwandelt hat sich dein Gesicht!“
Die zweite spricht: „Ich fühl es schon,
du sprichst mit fremdgewordnem Ton.“
Die dritte hebt betrübt mein Kinn:
„Wo ist mein sonniger Bruder hin?“
Die vierte geht zum Erker still,
als ob sie durchs Fenster sehen will.
Ich weiß, sie fühlt's am tiefsten mit,
ich hör's am unhörbaren Schritt...

Liebeszauber

[314]
Welch schwüle Pracht!
die Luft voll Funken,
als ob die Sterne vom Himmel gesunken!
Im Gras, dem feuchten,
ein heimlich Leuchten,
ein Blitzen im Walde...
Auf der Halde
ein Knistern und Knattern,
Flüstern und Flattern,
ein Rauschen in der Luft
wie vergossener Duft...
Heute bleibt kein Arm leer,
alle Liebe ist erwacht,
heute bleibt kein Arm leer...
Ave, ave Johannisnacht!

In der letzten Stunde

„Piu Have, deine Hand ist so seltsam kalt.
Schläfst du, mein armes Kind?“ —
„Mutter, ich bin in einem großen Wald,
wo die Bäume wie Menschen sind.
Jeder von ihnen hat ein Gesicht,
einen brausenden Singemund,
sie umschlingen sich mit den Armen dicht,
es schauert der grünfeuchte Grund...“
„Piu Have, Kind, du zitterst so,
ich hol den Arzt herbei — “
„O Mutter, mir ist so leicht und froh,
ich brauch keine Arzenei,“
Es schweigt das Kind und die Mutter schweigt,
der Mond blüht silbern herein,
das Totenwürmchen leise geigt
im uralten Ahnenschrein.
[315]
„Und wenn ich im blühendsten Gartenland
wieder duftige Veilchen find — “
Die Mutter faßt schluchzend die kleine Hand:
„Du wirst es, süßes Kind.
Du weißt, was unser Glaube lehrt:
Wo ein Mensch in Sterbenspein,
der seines Gottes Gnade wert,
da kehrt der Heiland ein.
Man sieht ihn, wie er im weißen Gewand
langsam zum Lager schreitet,
in die seine nimmt des Kranken Hand
und zum Himmel ihn geleitet.
Noch kam er nicht, der heilige Gast,
um dich zu trennen von mir —
Piu Have, was bist du so erblaßt,
was starrst du nach der Tür?
Eines weißen Kleides lichter Schein,
ein Raunen wie Morgenwind,
der da eintritt, kann nur einer sein —
Piu Have, mein einziges Kind...!“

Fang sie!

Auf dem Wipfel eines grünen Waldbaums
saß meine goldne Jugend
und rief: Fang mich, fang mich!
Und ich kletterte und strebte,
sie zu erhaschen;
doch lächelnd schwang sie sich
höher und höher...
Von der rosenroten Zinne
eines schwebenden Wölkleins
winkte meine goldne Jugend:
Fang mich, fang mich!
[316]
Und ich stieg auf einen Berg,
in die Einsamkeit,
wo die Wolken wohnen,
sie zu haschen.
Doch höher und höher
schwang sie sich.
Aus dem tiefgoldnen Glanz
des Morgensterns
sah ich ihr Antlitz
winkend sich neigen:
Fang mich, fang mich!
Auf denn,
auf zu den Sternen!

Ohne Liebe

Was wißt ihr, wie es tut,
wenn einem die Myrte im Haare ruht,
und die Leute kommen einem entgegen,
und junge Tannen stehen an den Wegen;
die Schwestern gehn überströmten Gesichts, —
vom Turme läuten die Glocken, —
und das Herz weiß von nichts.
***
O Leben, rühre mich leise an:
ich träume ja noch!
Mein Herz ist voll Licht und Waldesruh,
greif nicht so hart, nicht so eisig zu —
ich träume ja noch!
[317]
So aus dem Licht in die Nacht,
aus dem Lenz in den Schnee,
das hat schon manchen blind gemacht,
das tut so weh!
O rühre mit deinem Flügelschlag
mich leise an,
daß erst allmählich in meiner Brust
die zage Hoffnung, das bißchen Lust
verdämmern kann!
***
Das ist das allerschwerste,
das bittertiefste Weh,
wenn man ein Leid muß tragen
in Lenz und Blütenschnee.
Der Frühling geht vorüber
an meinem kleinen Haus.
Ich halte mein dürres Kränzlein
recht in den Glanz hinaus.
Er segnet Baum und Blüten
auf seinem Siegerlauf.
Aus meinem Kränzlein weckt er
nicht eine Rose auf.
Ich will's in die Lade legen,
an die ich nimmer geh,
und will den Schlüssel werfen
hinaus in den Blütenklee.

In der Sommernacht

Mit großen Augen blick ich in die Nacht.
Der Schmerz hält bei mir seine treue Wacht
und schaut mich an in tiefer, heiliger Ruh.
Der Sommerwind trägt durch das Fensterlein
von reifen Ähren einen Duft herein
und unter Tränen lächle ich dazu.
[318]
Ein banger Seufzer zittert durch die Flur.
Mir ist, als sänge leise die Natur
das Rätsellied vom Werden und vom Sein.
Geheimnisvoll weht's durch mein Schlafgemach,
ich singe träumend ein paar Töne nach — —
und unter Tränen lächelnd schlaf ich ein.

Zeitlosen
Dem Andenken meiner Mutter

Es war ein Tag, wie deren
die Welt so viele sieht,
wo vor dem Gewölk, dem schweren,
die Sonne scheu entflieht;
wo unter Regenschauern
der Himmel leise weint,
daß so viel Leid und Trauern
sich unserm Leben eint.
Da war's, als das Verderben
mich hart und bitter schlug.
Die Mutter kam zum Sterben,
die mich im Herzen trug.
Muß alles auch vergehen
im Tod, der täglich wirbt,
mein Weh wird nur verstehen
der, dem die Mutter stirbt.
***
Als Todesängste dräuten
und sie zu stöhnen begann,
da fingen an zu läuten
die Glocken von Sankt Johann.
[319]
Beim schweren Schall im Schmerze
zuckte das blasse Gesicht.
Die gelbe Sterbekerze
warf schauerliches Licht.
Der dröhnenden Glocken Rufen
entbot sie zum Höchsten hin.
Doch daß sie ihr Schmerzen schufen,
will nicht aus meinem Sinn.
So gern ich höre die Glocken,
die Stunde tat es mir an:
mich ängstigt das werbende Locken
der Glocken von Sankt Johann.
***
Und aus der offenen Kirche drang
das Meßlied uns entgegen
erschütternd, wie das Volk es sang:
„Ström uns dein Vatersegen!“
Da ging die liebste Seele fort,
dem Richterstuhl entgegen.
Und weinend schluchzte ich das Wort:
„Ström ihr dein Vatersegen!“ —
***
Doch als wir sie zur letzten Ruh
zur Stadt hinaus gebracht,
da hat der Sonnenschein dazu
gestrahlt in schönster Pracht.
Oktoberfriede hüllte rings
die Herbstesfluren ein;
die Schwingen eines Schmetterlings
umgaukelten den Schrein.
In stiller Wehmut die Natur,
verklärt im späten Glanz.
So hat des schlichten Lebens Spur
sich uns entschleiert ganz:
[320]
Sie wollte ja vom Leben nichts
als was sich just so gab,
ein Streifchen späten Sonnenlichts
und ein zufrieden Grab.

Jugendtage

Wir saßen auf dem Karren hoch im Heu,
von Wiesenblumen einen Kranz im Haare.
Just heute spür ich jenen Duft aufs neu,
und unsre Knabenlust der dreizehn Jahre.
Der Vetter Hanni führte das Ochsenjoch,
die breiten Rücken sahn wir vor uns glänzen.
Vom fernen Hüttenwerke kam Gepoch,
sonst herrschte Sabbatstille ohne Grenzen.
Blutrot im Westen hing der Sonnenball,
ein Rudel Rinder drängte sich zum Flusse,
und an den Büschen blitzten überall
Demanten noch vom letzten Regengusse.
Dann plötzlich klang die Abendglocke weich
des Kirchturms, der vom Eifelstädtchen grüßte...
Wir fuhren gradeswegs ins Himmelreich,
Kön'ge im Heu, von einer Fee geküßte!

Frühlingslied

Wo, am fernen Himmelssaum
rot die Sonnenstrahlen starben,
deckt des Waldes Knospentraum
still ein Schleier veilchenfarben.
[321]
Drüben weiß ich Blumen stehn,
viele tausend Frühlingsglocken
zittern dort im Windeswehn,
schimmernd wie des Himmels Flocken.
Ach, ich trag es nicht allein,
all dies heiße Lenzentzücken!
Komm und hilf, Herzliebster mein,
mir im Wald die Blumen pflücken...

In fremdem Garten

Das ist ein bitter Leid,
wenn, was dein Herz erfreut,
in fremdem Garten steht,
wo Sturm darüber weht,
und ist keine Hand, es zu stützen —
du aber darfst es nicht schützen.

Verträumte Jugend

Mir liegt ein Lied voll Leide
schon lang, so lang im Sinn.
Über die träumende Heide
trug ich's erst leise hin.
Weit in schlafende Wälder
schleppt ich sein schluchzendes Herz:
über weiße Winterfelder
schmetterte manchmal sein Schmerz.
Heut soll sein Klagen gehen
hinaus mit klingendem Schrei:
Nie hab ich die Jugend gesehen!
Nun ging sie ewig vorbei.

„Alle Kreatur sehnt sich mit uns.“

[322]
Seh ich am Morgen auf dem Feld
im Tau die Gräser stehen,
gewahr ich, wie die weite Welt
in Sehnsucht will vergehen.
Und wenn sich um des Dorfes Turm
die Wandervögel sammeln,
hör ich aus ihrer Flügel Sturm
ein dunkles Heimweh stammeln.

An den Flieder

Flieder, blütenfroher Flieder,
schlägst du bald die Augen auf,
deine leuchtenden blauen Augen?
Sehnsucht nach dir durchblüht das Land.
Veilchen sind fort. Noch reden nicht Rosen.
Aber die leisen Glöckchen des Maien
läuten. Sie lockten dich immer herbei.
Heiß brennt die Sonne,
heißer die heimliche Sehnsucht nach dir.
Flieder, blühst du,
stillt sich die Sehnsucht —
lösest ganz leise die Flügel der Seele,
lähmst durch ein wonnig-weiches Ermüden
die vor Erwartung erregten Gedanken,
wandelnd Lust und Leid in lauter
blühendes, liebendes All-Empfinden.

Weißt du — wo?

Weit — weit —
hart an der Ewigkeit,
über den Zeiten,
ganz hinter Mitternacht,
wo schauernd schreiten
Füße der Geister sacht,
[323]
wo gar kein Wald mehr
und keine Wiese lacht,
wo, dieses Lebens leer,
schläft eines Ozeans Macht,
— dort winkt ein Streifen Strand,
dort kreist die Sehnsucht mein
adlergleich, ganz allein,
suchend nach Land.

„Süß sind mir die Schollen des Tales.“
An meine Waldecke

Süß sind mir die Schollen des Tales.
So oft ich wandre zum Heim
im Geleite des letzten Strahles,
erneu ich den tröstenden Reim:
Süß sind mir des Tales Schollen,
des Tals, das zur Heimat mir ward.
— Die bald auf mich niederrollen,
drücken den Träumer nicht hart.

Aus „Dämmerung“

Ich seh dich oft. Auf meinen Wanderwegen
kommst du mir jeden Abend still entgegen.
Dicht schlingt sich Geißblatt über Hag und Tor,
aus dunkeln Gärten duftet's schwül hervor...
Zuweilen bleibst du wohl tiefatmend stehn,
pflückst einen Blütenzweig im Weitergehn —
Und vor dem Strauch, wo deine Hand ihn brach,
bleib ich in Träumen stehn und schau dir nach...
[324]
Wenn lächelnd so der späte Sommer scheidet,
mit rotem Laub und blassem Sonnenlicht,
das müd und leise schon vom Sterben spricht —
dann fühl ich erst, was meine Seele leidet...
Durch gelbe Stoppeln geht der Wind nun sacht
und Wolken ziehn mit wechselndem Getriebe...
Ein kurzes Vogellied war meine Liebe,
der schwüle Traum nur einer Sommernacht...
***
Mein Schritt hallt leise auf verträumten Wegen.
Um meine Stirne fliegt ein Falter scheu.
Ich hör den Wind sich in den Blättern regen,
die Grillen hör ich singen fern im Heu...
Und eine Sehnsucht packt mich nach dem Leben,
nach Tanz und Torheit... und wird nimmer still...
Ich habe noch so viel, so viel zu geben
und weiß doch niemand, der die Gabe will.

Nach dem Glück!

Altsommer spann Mariengarn
in Feld und Wald und Hecken,
durch all die Seidenherrlichkeit
brach ich mit meinem Stecken.
Ich träumte von des Glückes Haus
im Schatten junger Linden,
drum ziehe ich durch Feld und Wald,
das Glück, mein Glück zu finden.
Ein Kreuzbau war's, und strohgedeckt,
so lag's auf roter Heide:
die große Tür, die kleine Tür,
von grünem Anstrich beide.
[325]
Drum ziehe ich durch Moor und Feld,
das Kleinod aufzuspüren,
ich seh nach jeder Linde aus
und allen grünen Türen.
Und wo in trauter Lindenhut
des Herdes treuer Segen,
da blickt mir aus der Scheiben Glanz
mein junges Glück entgegen.

Mittagszauber

Die Heide glüht, ein stilles Schlafen
geht durch der Linden lange Reihn,
der leere Hof mit blanken Scheiben,
er lullt in ihrem Schatten ein.
Da kommt das Glück — im Leinenkittel,
des Ackers Duft in Bart und Haar,
das schlürft getrost auf schweren Klötzen
hinein — ins Bauernstübchen gar.
Bald räkelt's sich im Lederstuhle
und zählt der Fliesen blaue Wand,
aus all den bunten Pfeifenquasten
nimmt es das längste Rohr zur Hand.
Und pafft und raucht mit viel Behagen:
wie wichtig klingt der Pendelschlag;
hier blüht es rot, dort blau und golden,
wie ist so still der schöne Tag.
Und zieht und qualmt mit satter Miene:
der Tabak schmeckt mir prächtig schier,
das Stübchen will mir just behagen,
wohlan! — für immer bleib ich hier.
Und Gott im Himmel lachte gütig,
wie nur der Ewige lachen kann,
dann hielt sein starker Allmachtsfinger
der Zeiten Spindel leise an.
[326]
Er lacht auch uns. Wo froh Behagen
an unserm Herd sein Pfeifchen will,
da hemmt er selbst die raschen Stunden —
und alle Räder stehen still.

Wegwarte

Mit nackten Füßchen am Wegesrand,
die Augen still ins weite gewandt,
saht ihr bei Ginster und Heide
das Mädchen im blauen Kleide?
— Das Glück kommt nicht in mein armes Haus,
drum stell ich mich hier an den Weg heraus;
und kommt es zu Pferde, zu Fuße,
ich tret ihm entgegen mit Gruße.
Es ziehen der Wanderer mancherlei
zu Pferd, zu Fuß, zu Wagen vorbei.
— Habt ihr das Glück nicht gesehen?
Die lassen sie lachend stehen.
Der Weg wird stille, der Weg wird leer.
— So kommt denn heute das Glück nicht mehr?
Die Sonne geht rötlich nieder,
ihr starren im Wind die Glieder.
Der Regen klatscht ihr ins Angesicht,
sie steht noch immer, sie merkt es nicht:
— Vielleicht es ist schon gekommen,
hat die andere Straße genommen.
Die Füßchen wurzeln am Boden ein,
zu Blumen wurde der Augen Schein,
sie fühlt's und fühlt's wie im Traume,
sie wartet am Wegessaume.

Serenade auf dem Meer

[327]
Stille, stille Nacht!
Nur die Welle murmelt sacht.
Träge wäscht sie um der Klippen
starre Rippen,
und verdrossen unterm Haus
schüttet sie den vollen Eimer aus.
Horch, von ferne her
kommt es tönend übers Meer.
Klänge, die in Wasserbreiten
mondhell gleiten,
körperlos wie Sphärenklang,
wie ein Geisternachen voll Gesang.
Klimmt ein Engelhauf
goldne Leiter ab und auf?
Fühl ich ewiger Freude Wellen
mich umschwellen?
Wolkenbette mich umflockt!
Jeder Ton ein Cherub goldgelockt!
Übers Meer hinan
schweb ich helle Mondenbahn.
Mit den Wolken aufwärts wallend,
sanft verhallend,
trägt mich der beschwingte Chor
schlafend zu den Seligen empor.

Aus „Asphodill“

Nun bist du eins mit der Natur, es ruht
der Streit und schnell geheilt sind deine Wunden,
die Mutter hat den Sohn aufs neu gefunden
und hält den Wildling fest in ihrer Hut.
Ich fühl es mit wie sanft der Friede tut,
von wirrem, wüstem Traumgespinst entbunden,
ein Hauch von deinem Ruhen und Gesunden
weht rein und kühl in meiner Schmerzen Glut.
[328]
Ich kann nicht kämpfen, ringen, widerstreben,
mich bäumen, wo auch du gehorchen mußt,
auch du dich hilflos schmiegst in Mutterpflege.
Verzweiflungsmüd, ans Schicksal hingegeben,
sink ich der Großen, Starken an die Brust
und warte, daß sie dir ans Herz mich lege.

Lied eines Toren
Ich liebe die, die nicht zu leben wissen...

Der Narrheit Raum! Wer hilft mir Berge ebnen!
Mein Wille ist ein Kreislauf, der nie endet.
Dem mühvoll Nutzlosen und dem Vergebnen
hab ich mit Leib und Leben mich verpfändet.
Mein Hirn gab ich dem Wahn zum Herrensitze,
von Truggebilden ist mein Blick umflimmert.
Ich klettre mittags auf die Kirchturmspitze,
weil sie so golden in der Sonne schimmert.
Gestreckten Laufs und nimmermüden Fußes,
zum Horizont, der immer wieder schwindet,
folg ich den Krümmungen des raschen Flusses,
bis er sein Bett im fernen Meere findet.
In Haß und Liebe ohne Maß und Grenzen,
in Überschwang und Frevel ohne Reue,
laß ich mein Gold vor blöden Augen glänzen
und werfe meine Perlen vor die Säue.
Blind hängt mein Torenherz an seinem Bunde.
Die Tage gab ich hin verlornem Sinnen
und laß mir nachts aus einer offnen Wunde
heimlich, zum Spaß, die roten Tropfen rinnen.

Seele der Natur

[329]
Ein Hügel und darauf ein großer Strauß
von jungen Eichen überm Ackerland.
Und im Gebüsch versteckt ein kleines Haus —
Was ist daran, das dir den Blick so bannt?
Und drüber her das wechselvolle Spiel
vom Licht der Sonne vor dem Untergang —
Was hält dich daran fest? Ein Wunsch, ein Ziel,
ein Fernhintrieb, dein stiller Heimatshang?
Was kommt dich an, wenn plötzlich sich im Raum
der Abriß einer Welt vor dir erhebt?
Was ist die Kraft des Bildes, das wie Traum
und Ahnung sich mit deinem Sinn verwebt?

Landschaft

Die hohen, dichtgedrängten Wälder thronen
auf Hügeln sanft gewölbt und abgedacht —
In Heimatschwermut rauschen ihre Kronen.
Sie sind erfüllt von Flucht und Wetterweben
der zündenden Gewölke, die bei Nacht
mit schwerem Flügelschlage drüber schweben.
Zu ihren Füßen, wo die breiten Pflüge
gleichmäßig Furchen ziehn im Ackerland,
baut still ein enges Dasein sich Genüge.
Und von der Spanne Leben und dem Sterben
webt Jahr um Jahr geheimnisvoll ein Band
zu ihrem Blätterprangen und Verfärben.

In die Ferne

Die Mondessichel mit dem Abendstern
an dunkler Himmelswölbung tief und fern —
Das Leben am Gestade, wo ihr treibt,
fließt sachter, bis nur ein Erinnern bleibt.
[330]
Seefahrer ihr, an Bord der Mitternacht,
vor Anker nun auf eurer Wanderwacht!
Seefahrer um den Pol der Ewigkeit
im Kreis von Dunkelheit zu Dunkelheit!

Charleroi
(Nach Verlaine)

Finstere Männer stampfen
durch die schwarze Flur.
Wie dumpfstill! Der Wind nur —
Die Schlote dampfen.
Die Hand am Hute,
im Nebel durchs Feld.
Ein Dornstrauch schnellt
dir ins Aug seine Rute.
Die Häuser — Spelunken,
weithin ins Land
von Essen ein Rand,
es sprühen die Funken.
Am Ziel. Welch Gewirre!
Ein Donnern tönt.
Die Bahnschwelle dröhnt.
Das Auge geht irre.
O Dunst der Grüfte!
Horch! Welch Geräusch!
Ein schrilles Gekreisch
erfüllt die Lüfte.
Ihr verruchten Herde!
Dein Atem ist Schweiß
von Menschenfleiß,
metallene Erde!
Finstere Männer stampfen
durch die schwarze Flur.
Und wieder der Wind nur,
die Schlote dampfen.

Frühling

[331]
Wir wollen wie der Mondenschein
die stille Frühlingsnacht durchwachen,
wir wollen wie zwei Kinder sein,
du hüllst mich in dein Leben ein
und lehrst mich so, wie du, zu lachen.
Ich sehnte mich nach Mutterlieb
und Vaterwort und Frühlingsspielen,
den Fluch, der mich durchs Leben trieb,
begann ich, da er bei mir blieb,
wie einen treuen Feind zu lieben.
Nun blühn die Bäume seidenfein
und Liebe duftet von den Zweigen.
Du mußt mir Mutter und Vater sein
und Frühlingsspiel und Schätzelein!
— — Und ganz mein Eigen...

Weltende

Es ist ein Weinen in der Welt,
als ob der liebe Gott gestorben wär,
und der bleierne Schatten, der niederfällt,
lastet grabesschwer.
Komm, wir wollen uns näher verbergen...
Das Leben liegt in aller Herzen
wie in Särgen.
Du, wir wollen uns tief küssen...
Es pocht eine Sehnsucht an die Welt,
an der wir sterben müssen.

Schön Suse

[332]
Es war ein Jäger zu Münster am Stein,
der blies ein Lied in den Wald hinein
und spielte mit Tönen und Noten
anstatt mit Posten und Schroten —
dumdeila, dumdeliduse —
schön Suse!
Er blies bis die Sonne zu Rüste ging,
und feiernd der Mond in den Wolken hing,
doch schoß er auf grünen Bahnen
kein Rebhuhn und keinen Fasanen —
dumdeila, dumdeliduse —
schön Suse!
Und als es über dem Walde getagt,
hat dennoch der Jäger ein Wildbret erjagt,
trotz allen Traleien und Noten
und sonder Posten und Schroten —
dumdeila, dumdeliduse —
schön Suse!
Es war ein Wildbret gar seltsam und fremd,
ein Wildbret im Mieder, ein Wildbret im Hemd,
mit Brüsseler Spitzen und Kanten,
des Äuglein lohten und brannten —
dumdeila, dumdeliduse —
schön Suse!
Noch öfters tönte am Wiesenborn
zur stillen Nacht das Jägerhorn;
dann sind die metallenen Zungen
ganz leise und mählich verklungen —
dumdeila, dumdeliduse —
schön Suse!
Nun harrt schön Suse am Straßenrain
vergebens auf ihren Jäger vom Stein,
und gängelt und schaukelt die Wiegen
[333]
und wehrt ihrem Knaben die Fliegen —
dumdeila, dumdeliduse —
schön Suse!

Der Brandfuchs

Nun heb ich hier mein Klagen an,
ich fahrender Scholar,
weil Gott den Schädel mir umspann
mit brandfuchsrotem Haar.
Als man das Dasein mir verlieh
und ich in nasser Kufen
zum erstenmal die Welt beschrie,
fing alles an zu rufen:
So schlag uns doch ein Wetter umb;
das ist ein brandfuchsroter Lump,
so da im Herrn geboren!
Und weil ich nun von Jugend an
stets Trockenheit gespürt,
ward ich von einem klugen Mann
ins Tönereich geführt.
So schweif ich nun den Weg fürbaß
mit meiner alten Geigen;
doch wo ich kaum mich blicken laß,
schart alles sich zum Reigen:
Ihr Mädel dreht euch umb und umb!
Der brandfuchsrote Geigerlump
kommt mit der Baßviole.
Was nützt mir denn im Rauch die Wurst,
ein Lied, das nicht beseelt,
was hilft mir denn der schönste Durst,
wenn mir der Heller fehlt?
Und wenn ich komm, ob spat, ob fruh,
— der Teufel mag ihn holen! —
so schlägt der Wirt die Türe zu,
hebt mächtig an zu johlen:
Da kommt der brandfuchsrote Lump,
mit seinem Durst und seinem Pump
und seiner Baßviole!
[334]
Obgleich mir manches nicht genehm
und mich der Schuh gedrückt,
mich hätte fast, trotz alledem,
die schönste Maid beglückt.
Wir ruhten just im reifen Korn,
ein Täubchen und ein Tauber,
da kam ein Mann im hellen Zorn
und scheuchte unsern Zauber:
Du legst mir, brandfuchsroter Lump,
mit deinem Schatz die Ähren umb
und deiner Baßviole!
Und wenn die letzte Saite schnarrt
und auseinander klingt,
mein Sterbliches sei dort verscharrt,
wo Fink und Drossel singt.
Doch komm nach manchem Hindernis
ich an die Himmelspforte,
so schreit, des bin ich ganz gewiß,
Herr Petrus noch die Worte:
Da kommt der brandfuchsrote Lump,
mit seinem Durst und seinem Pump
und seiner Baßviole!

Rosenhistorie

Ich kenne ein Herz aus klingendem Stein,
da wachsen wildrote Rosen hinein,
und geht die einsame Frau durch den Park,
dann wird seine Sehnsucht jung und stark,
dann weiß es und kennt es mit einem Mal
die selige Schönheit seiner Oual.
Der Muttergottes im leuchtenden Kleid,
der ist das steinerne Herz geweiht,
[335]
die stolze Demut in ihrem Sinn
und ihre Schmerzen sind darin,
und ihrer Bitten bange Gewalt
und ihre Lieder süß und alt.
Der Dorn der Rosen schmerzt und nagt,
und kommt die schöne Frau und fragt
und legt die Hand auf den klingenden Stein,
dann fällt ihm das Lied von der Liebe ein:
die kam in sein Leben im heiligen Jahr,
dann ist sie gestorben und ging und war.

Lied

Mädel mit den weichen Wangen,
gib mir deine Hände her,
die nach einem Glück verlangen,
dem ich selbst auf müden, bangen
fremden Wegen nachgegangen,
und das ohne Ende wär.
Mädel mit den seidnen Haaren,
und den Augen tief und scheu,
komm, wir trotzen den Gefahren,
die in unserer Sehnsucht waren.
Unser Herz ist stark und neu.
Mädel mit den seidnen Haaren
und den Augen groß und treu!
Sieh, das Leben schenkt und spendet!
Und die Liebe macht so jung,
weißt du, daß sie niemals endet,
daß sie ihre Ritter sendet
in ein Land voll Spiel und Prunk,
wo kein dunkler Schmerz sie schändet,
weit — in die Erinnerung?

Hohe Stunden

In tiefe Nächte will ich dich entführen
und wartend spähn,
[336]
wenn leise die goldenen Gartentüren
im Schloßpark gehn,
wenn die Träume kommen mit ihrem Singen
und wundersame Sagen bringen.
Wenn die Fontäne hinter grünen Kronen
einsam fließt
und in den Liedern, die in ihren Wassern wohnen,
ein Klingen ist,
daß die Königin im Schloß beim Fenster lauscht,
was heute durch die Nacht so seltsam rauscht.
Wenn der Silberteich mit den Schwänen
schweigend ruht,
und die steinernen Löwen am Ufer sich dehnen
in der Mondenflut,
wenn leise an den goldkiesigen Wegen
die Rosen sich im Schlafe regen.
Wenn die Sehnsucht mit dunklen Füßen
beim Tore steht
und die Fenster wunderbar grüßen
in den Abend spät,
wenn die Sehnsucht hinauf zur Königin steigt
und ins Zimmer tritt und sich neigt.

Die Husarenbraut

Sie reiten am rosigen Morgen
zum schimmernden Tore hinaus —
da lausch ich am Fenster verborgen,
in meines Vaters Haus.
Und kommt nun auf feurigem Rosse
mein schöner, mein lustger Sergeant,
da lächelt der süße Genosse,
und grüßend bewegt er die Hand.
[337]
Ein flammender Blick fliegt herüber,
kein anderer wird es gewahr —
o Glück auf den Weg, du mein lieber,
mein blühender, stolzer Husar!
Vorbei! — Und ich lächle und sinne:
o, wüßt es der strenge Obrist,
wie treu auch im Dienste der Minne
sein Prächtigster Reiter ist!

Oft am verstaubten Weg

Oft am verstaubten Weg
kommt mir goldhaarig oder braun —
nichts Liebres mag mein Herz erschaun —
ein Mädchen ins Geheg.
Da hemm ich flugs den Schritt:
„Gott grüße dich, mein schönes Kind —
zwei Kirschen deine Lippen sind,
die nähm ich gerne mit!“
Da lacht die Schöne hell —:
„Ei sieh, du bist ein kluger Wicht!
Und wären's zwei, so sind sie nicht
für dich gemacht, Gesell.“
Ich handle, wie's ihr frommt:
Geschwind zu ihr herab gebückt,
ist Kirsch um Kirsche schon gepflückt,
eh sie zu Sinnen kommt.
Wenn sie auch glutbedeckt
mir dann mit leeren Worten droht —
ihr Mund im Zorn nur süßer loht,
und nimmer sich versteckt...
Bald wie ein Kamerad
erzählt sie mir so nebenbei,
daß Arbeit viel im Städtchen sei —
da lach ich: „Gott, wie schad!“
[338]
„Du nähmst, ich glaub es wohl,
für immer mich in treue Hut,
ich aber bin ein Wanderblut,
vom Scheitel bis zur Sohl!“

Glaube

Wie eine Blume in milder Nacht,
vom Mond gespeist, vom Tau getränkt,
wachs ich von deiner Erde auf
zu dir, der mich hier eingesenkt.
Deine Stürme fahren daher, dahin,
deine Lenzluft lockt, deine Mondnacht taut —
tue mit mir nach deinem Sinn:
Du bist mein Gärtner, ich dein Kraut!

Milde Nacht

Hinter dem Turme hängt
der verglühende Mondball
wie ein Heiligenschein.
Dunkel steht das Kloster,
ein Träumer der Mondnacht,
der über die Nebel der Tiefe schaut,
das Haupt umleuchtet.
Hab ich's erlebt, was mir im Sommer
das Herz erschüttert?
Hab ich's geträumt nur..?
Kein Blättchen zittert im Wasgau.
Tief nur rauscht ein Wasser zu Tal.
Da flüstr' ich traumhaft
in die liebliche Nacht:
„Waldfrau, wo bist du?“
Und horch!
[339]
Tönt mir ein Waldhorn Antwort,
das sich am Tag im Astwerk verstrickte,
das sich in milder Nacht nun löst?
Fernher haucht's, wie ein süß Erinnern,
wie ein wunschlos Lächeln der Wehmut:
„Trauter, wo bist du?“

Der Bauer von Lupstein
Ein Gesicht

Die aufständischen Bauern (1585), zusammengedrängt in Zabern, hatten sich gegen das Versprechen freien Abzugs ergeben. Als sie aber herauskamen, hub ein furchtbares, drei Tage dauerndes Morden an, das die Felder bis zur Kapelle von Lupstein in ein Leichenfeld verwandelte.

Sturmwindzerrissen ein Läuten aus wilder, wilder Nacht!
Unter den schnaufenden Wolken Geräusch von ferner Schlacht!
Darein vielstimmiges Weinen, schräg fallender Tropfen Heer!
Ein Flügelschlagen und Flügelstoß,
als tappt ein Untier fittichgroß
und ungefüg und federschwer
durch feuchte Nacht, durch nasse Nacht, durch wilde, wilde Nacht daher!
Sturmwindzerrissen ein Läuten — so schwarz und hohl das Land!
Ist das ein Feuerläuten? Steht wo ein Dorf in Brand?
Aufweinend bäumt sich die Linde vor meinem Herberghaus,
als wollte mit stampfenden Wurzeln sie in die Nacht hinaus,
als wollte sie rauschend sich heben und kämpfen im breiten Zug,
mit tausend Krallen zerreißen den Wolkenbannerflug!
Sturmwindzerrissen ein Läuten — die Nacht so schwarz und schwer!
Gott schirme verirrte Wandrer! — — Wo kommt das Läuten her?
***
Steht ein Kapellchen um Mitternacht,
ein längst zerstörtes, wieder am Hain:
[340]
Dort wurden in der Mörderschlacht
achtzehntausend zu Leichen gemacht!
Der Landsknecht brüllt, der Schädel kracht,
von Bauern rieseln hernieder am Rain
schaumrote Bäche und Schreie der Not —
hochbeinig schreitet der Tod!
Dort steht in weißer Kapelle
magisch beleuchtet ein Geist,
der am zerschlissenen Strange
toll in die Mordnacht reißt!
Ein Bauer in letztem Grimme,
ein Bauer, zu Tod getroffen im Feld,
ein Bauer, des Glockenstimme
herzzerreißend gen Himmel gellt:
„Hilf, o du Vater der Armen!
Mordvolk ist hinter mir her,
kein Aufschrei um Erbarmen
schirmt mich mehr!
Hilf, hilf, hilf — mein Herz ist wund,
im Sturzbach schießt mein Blut aus dem Mund,
daß ich nicht lallen noch beten kann —
dein Glöckchen reiß ich — dich ruf ich an!“ ...
***
Schmerzzerrissen ein Läuten aus wilder, wilder Nacht!
Über Felder und Städte wehheult die alte Schlacht!
An Scheiben gepreßt mit Schrecken beschau ich den grellen Ort —
Sturmwindzerrissen ein Läuten: mein Ahne läutet dort!

Burenpatrouille

Im Tale flimmert eine feine Schnur:
Des Feindes Zelte! Die Gewehre stehn
in Pyramiden. Tropische Natur
umglüht den Kegel, wo ein leises Wehn
um Staub und Steine schleicht und hart Gesträuche.
Ganz tot der Berg! Ein rasches Rieseln nur
von einem Eidechs, lang und schuppendick,
[341]
der ins Geröll erschreckend fuhr.
Und dann ein Pferdekopf, ein leis Gekeuche —
ein Hut und Karabiner — Lauerblick
ins Tal — und wieder fort —
Das war ein Bur.

Im Land der blauen Seen

Kommst du in Zagen gegangen
und bleibst errötend stehn?
O komm mit glühenden Wangen
ins Land der blauen Seen!
Das ist das Land der Frommen,
ein ewig Lenzrevier!
Hast du mein Rufen vernommen,
so mußt du kommen zu mir!
Du kannst ja gar nicht warten,
du mußt ja gehn und gehn
in meinen Blumengarten,
ins Land der blauen Seen! ...
Wir gehn in edlen Träumen,
wir gehn im Blütentanz:
sie fallen von weißen Bäumen
und sie umhüllen uns ganz.
Die Störche darüber im Blauen,
die Lerchen sind kaum zu sehn,
lustwandelnd singen die Frauen
im Land der blauen Seen.
Auf grünem Wiesenplane
tummelt sich manch ein Roß,
es schaukelt in manchem Kahne
manch lachender Knabentroß.
Die wilden Schwäne stehen
weit an den Ufern hin,
in Kränzen von blühenden Schlehen
seh ich die Kinder ziehn.
[342]
Und von den fernsten Hängen
leuchtet ein weißes Haus:
Sie ziehen mit Gesängen
auch dort ins Land hinaus.
Hier ist von Jubeln und Prangen
nicht Anfang noch Ende zu sehn
Nie wirst du fort verlangen
vom Land der blauen Seen!

Fühler und Vorhang

Weit der Schwadron war ich voraus geritten,
und hielt im Nebel, horchend, auf dem Hügel.
Kommandoruf, vom Winde abgeschnitten,
verworren klang Geklirr von Roß und Bügel.
Da brach ein Reiher, nah, aus Nebelsmitten,
und nahm den Schleier auf die breiten Flügel:
Sonnübersponnen, unten tief, durchschritten
die Furt Husaren, Zügel hinter Zügel.
Den Gaul herum, die Seligkeit vergessen,
schieß ich zurück, mein Schatten ist betrogen,
„Fertig zum Aufsitzen“ und „Auf—gesessen“,
dann weg, wie von der Erde aufgesogen,
vorsichtig, still, in richtigem Ermessen,
schlau wie die Rothaut zieht im Gräserwogen.
Halt... Säbelwink... Der Eisensporn dem Blessen,
und in den Feind sind wir hineingeflogen.

Wer weiß wo
(Schlacht bei Kolin, 18. Juni 1757)

Auf Blut und Leichen, Schutt und Qualm,
auf roßzerstampften Sommerhalm
die Sonne schien.
[343]
Es sank die Nacht. Die Schlacht ist aus,
und mancher kehrte nicht nach Haus
einst von Kolin.
Ein Junker auch, ein Knabe noch,
der heut das erste Pulver roch,
er mußte dahin.
Wie hoch er auch die Fahne schwang,
der Tod in seinen Arm ihn zwang,
er mußte dahin.
Ihm nahe lag ein frommes Buch,
das stets der Junker bei sich trug,
am Degenknauf.
Ein Grenadier von Bevern fand
den kleinen erdbeschmutzten Band
und hob ihn auf.
Und brachte heim mit schnellem Fuß
dem Vater diesen letzten Gruß,
der klang nicht froh.
Dann schrieb hinein die Zitterhand:
„Kolin. Mein Sohn verscharrt im Sand.
Wer weiß wo.“
Und der gesungen dieses Lied,
und der es liest, im Leben zieht
noch frisch und froh.
Doch einst bin ich, und bist auch du,
verscharrt im Sand, zur ewigen Ruh,
wer weiß wo.

Auf dem Kirchhof

Der Tag ging regenschwer und sturmbewegt,
ich war an manch vergessenem Grab gewesen.
Verwittert Stein und Kreuz, die Kränze alt,
die Namen überwachsen, kaum zu lesen.
Der Tag ging sturmbewegt und regenschwer,
auf allen Gräbern fror das Wort: Gewesen.
Wie sturmestot die Särge schlummerten,
auf allen Gräbern taute still: Genesen.

Nach dem Balle

[344]
Setz in des Wagens Finsternis
getrost den Atlasschuh!
Die Füchse schäumen ins Gebiß,
und nun, Johann, fahr zu!
Es ruht an meiner Schulter aus
und schläft, ein müder Veilchenstrauß,
die kleine blonde Komtesse.
Die Nacht versinkt in Sumpf und Moor;
ein erster roter Streif.
Der Kiebitz schüttelt sich im Rohr
aus Schopf und Pelz den Reif.
Noch hört im Traum der Rosse Lauf,
dann schlägt die blauen Augen auf
die kleine blonde Komtesse.
Die Sichel klingt vom Wiesengrund,
der Tauber gurrt und lacht,
am Rade kläfft der Bauerhund,
all Leben ist erwacht.
Ach, wie die Sonne köstlich schien,
wir fuhren schnell nach Gretna Green,
ich und die kleine Komtesse.

Du hast mich aber lange warten lassen

Es lauscht der Wald.
Komm bald, komm bald,
eh noch verschallt im Lärm des neuen Tages
der Quelle Murmeln, und verhallt.
Geschwind, geschwind,
mein süßes Kind,
eh noch im Wind die Schauer tiefer Stille
verzogen und verflogen sind.
Durch Wipfel bricht
das Morgenlicht.
O, länger nicht, mein holdes kleines Mädchen,
laß nun mich warten, länger nicht.
[345]
Die Sonne siegt,
allendlich schmiegt
und lachend wiegt sie sich in meinen Armen.
Zum Himmel auf die Lerche fliegt.

Kurz ist der Frühling

Kam in ein Wirtshaus, ich weiß nicht wie,
tanzt der Soldate, tanzt der Kommis.
War ein so schöner Frühlingstag,
schlug mein Herz so besonderen Schlag.
Trug ein wunderbar Verlangen,
mit einem Mädel heut anzufangen.
Und, alle Wetter, da seh ich sie tanzen,
dichtete gleich zehntausend Stanzen.
Kurz ist der Frühling.
Als wieder am Platze die Tänzerin,
ging ich stracks zu der Kleinen hin,
bat sie, ein Glas zu trinken mit mir,
ja, sagte sie gleich und ohne Gezier.
Bestellt ich uns eine kalte Flaschen,
und dem Holdchen etwas zum Naschen.
Blitzt mir ihr Auge dankbar entgegen,
zuckt um die Lippen es noch verlegen.
Kurz ist der Frühling.
Kindel, mein Kutscher schlief draußen aus,
wir fahren, ich bitt dich, nun nach Haus.
Lacht sie, die schelmische Tänzerin,
das wäre gar nicht nach ihrem Sinn.
Ließ ich mich weiter von ihr bestricken,
mußte den Kutscher zum Kuckuck schicken.
Doch als der Morgen in Saal und Ecken,
führt ich am Arm sie durch Schlehdornhecken.
Kurz ist der Frühling.
War so ein süßes, verliebtes Ding,
noch ohne Schmuck und noch ohne Ring,
freute sich kindisch über ein Band,
über ein Kettchen und allerlei Tand.
[346]
Tranken zusammen die Schokolade,
besahen uns dann die Wachtparade,
kaufte zum Hut ihr eine Feder,
schenkt ihr Handschuh vom feinsten Leder.
Kurz ist der Frühling.
Wohnten im hübschen Vorstadthaus,
fern vom Markt und vom Straßengebraus.
Schaut in die Welt ihr Auge braun,
ging ihre Welt bis zum Gartenzaun.
War so gefällig, war so bescheiden,
dacht ich nimmer an Scheiden und Meiden.
Doch als der Sommer kam in die Lande,
trennten sich unsere Liebesbande.
Kurz ist der Frühling.

Auf dem Hühnengrabe
(Nach der Jagd)

Kalter Ente, kalten Eiern
Rotspohn hinterher geschickt.
Feld und Welt in grauen Schleiern,
müde bin ich eingenickt.
Auf dem Grabe, tief erschrocken,
starrt mich an die Enaksschar,
und vorsichtig neigt die Locken
auf mich König Ringelhaar.

König Abels Tod
(In den Marschen am 29. Juni 1252)

Der König schläft im purpurnen Zelt,
der Posten klirrt auf und nieder.
Blauampellicht gefangen hält
des Königs schwere Lider.
Vor den Deichen ebben die Wasser dumpf,
die Wachtfeuer qualmen und knistern,
durch die Nacht wiehert ein Pferd. Die Frösche im Sumpf,
sie stimmen in tausend Registern.
[347]
Auf heimlichen Wegen, mit Axt und Beil,
mit Keulen und Morgensternen,
kommen die freien Friesen in Eil,
sie kommen aus Näh und Fernen.
Das Bild des heiligen Christian
rumpelt voran auf dem Wagen.
Bitt für uns, betet der Kapellan,
wir wollen mit Gold dich beschlagen.
Mit Gold schon beschlägt ihn der gelbe Mond
und leuchtet auf Freund und Feinde.
Wenn morgen er wieder am Himmel thront,
er sieht eine stille Gemeinde.
Der König träumt im Purpurzelt,
der Posten klirrt auf und nieder.
Der blauen Ampel Dämmer fällt
auf des Königs zuckende Lider.
König Erich steht vor ihm, naß aus der Flut,
und steckt den Arm nach oben.
„Hinweg, hinweg, bei Christi Blut,
zehn Klöster will ich geloben.“
Steilauf der König: „Gratias.
Wulff Bokwoldt! Helm und Schienen,
mein Schuppenhemd, und rufe rasch
Uk Rugmoor und Caj Thienen.“
Wulff Bokwoldt, der Page, wie der Hund
schlief treu zu des Königs Füßen.
Im Traume lächelt sein junger Mund,
schön Heilwig sieht er grüßen.
Im Walde, voll des süßen Schalls,
er und schön Heilwig gingen.
Sie knotet lustig um seinen Hals
ihr Langhaar in Maschen und Schlingen.
Zwei Ritter mit schwarzem Panzer bewehrt,
stehn vor des Königs Bette.
Der Page gürtet dem König das Schwert
und reicht ihm Schild und Kette.
[348]
Im Lager lärmt es. Des Himmels Zier
sind gierige Geierflüge.
„Die Hengste vor! Der Friesenstier
muß heut noch in die Pflüge.“
Der König ruft es, die Sonne glitzt,
Gekrach und Lanzensplitter.
Des Königs goldene Rüstung blitzt,
Seit' jagen die schwarzen Ritter.
Dicht drängt Wulff Bokwoldt den Schecken heran,
wild flattern Schweif und Mähnen.
Heut wird er ein Ritter, heut wird er ein Mann,
er beißt mit Eisenzähnen.
Die Friesen kämpfen für Herd und Weib,
König Abel ist verloren.
Die schwarzen Ritter strecken den Leib,
Caj Thienen und Uk Rugmooren.
Der König allein, er irrt auf dem Deich,
hoch spritzt die Flut an den Wällen.
Ringsum der Feind. Keinen Sünder bleich,
einen König sollen sie fällen.
In die Friesen trug er sein Schwert Hilfnot,
das hat ihn heute betrogen.
Wessel Hummer aus Pellworm schlug ihn tot
und schleudert ihn in die Wogen.
Der Page, wo blieb der Page klein?
Sie warfen ihn nackt in den Graben.
Um seine weißen Glieder fein
zanken und raufen die Raben.

Das Schlachtschiff Téméraire
1796
(Frei nach Henry Newbolt)

Der Morgenruf will verklingen,
keine Nachtwache legt sich aufs Ohr.
Die Blaujacken summen und singen
beim Putzen von Raum und Rohr.
[349]
Der Morgenruf will verklingen,
das Schiff fährt mit schwellenden Schwingen,
die Blaujacken summen und singen
beim Putzen von Raum und Rohr.
Lustig! Laßt die Lunten glimmen,
Téméraire! Téméraire!
Los, Kartaunen! Löst die Stimmen,
Téméraire! Téméraire!
Lustig! Laßt die Lunten glimmen,
los, Kartaunen! Löst die Stimmen,
laßt in Liebe uns ergrimmen
für die Fighting Téméraire.
Der Mittagsruf will verklingen,
die Schlacht gebar sich schwer,
das Schiff fliegt mit sausenden Schwingen,
sie laden Geschütz und Gewehr.
Der Mittagsruf will verklingen,
das Schiff fliegt mit sausenden Schwingen,
die Blaujacken summen und singen
und laden Geschütz und Gewehr.
Wut und Weh aus Donnerschlünden,
Téméraire! Téméraire!
Wer bleibt nach, wer wird's verkünden,
Téméraire! Téméraire!
Wut und Weh aus Donnerschlünden,
wer bleibt nach, der Welt zu künden,
wie sich Tod und Ruhm verbünden
auf der Fighting Téméraire.
Kein Abendruf will erklingen,
die Sonne taucht unter in Blut.
Und Geisterstimmen singen
von Lorbeer und Löwenmut.
Es breitet die Nacht ihre Schwingen,
kein Abendruf will erklingen,
nur Geisterstimmen singen
von Lorbeer und Löwenmut.
[350]
Fern im letzten Abendschimmer,
Téméraire! Téméraire!
Treibt das Schiff im Flutgeflimmer,
Téméraire! Téméraire.
Fern im letzten Abendschimmer
treibt das Schiff im Flutgeflimmer,
doch in Englands Liedern immer
lebt die Fighting Téméraire.

Nach der Hühnerjagd
Sizilianen

Erhitzt und müde, durstig, stark verbrannt,
kehr ich in meine Waldherberge ein.
Gewehr und Mütze häng ich an die Wand,
den Eimer sucht mein Hund und schlappt ihn rein.
Die junge Witwe lehnt am Schenkenstand,
freudarm und stumm, im letzten Abendschein,
dann lächelt sie verstohlen, abgewandt,
der Gäste Aufbruch läßt uns bald allein.

Reinigung
Sizilianen

Es singt ein Lied von Felix Mendelmaier
der lange Leutnant mit dem Ordensbändel.
Das alte Fräulein brütet Rätseleier,
besorgt den Tee und duftet nach Lavendel.
„O Isis“ baßt der Rat, der liebe Schreier.
Weh mir, wie langsam schwingt der Abendpendel!
Zu Ende. Gott sei Dank. Ich atme freier,
und bade mich daheim in Bach und Händel.

Die Insel der Glücklichen
Sizilianen

Das Hängelämpchen qualmt im warmen Stalle,
in dem behaglich sich zwei Kühe fühlen.
Der Hahn, die Hennen, um den Sproß die Kralle,
träumen vom wunderbaren Düngerwühlen.
Der Junge pfeift auf einer Hosenschnalle
dem Brüderchen ein Lied mit Zartgefühlen.
Und Knaben, Kühe, Hühner lassen alle
getrost den Strom der Welt vorüberspülen.

Grabschrift
Sizilianen

[351]
„Wie der von Wölfen wild verfolgte Schlitten,
so hetzte mich das Leben durch das Leben.“
Ich sah mich plötzlich selbst in ihrer Mitten,
von heißen Zungen war ich rings umgeben:
Verleumdung, Neid und Bosheit unbestritten
die gierigsten mit gierigstem Bestreben.
Es lies ein gräßlich Tier mit leisen Tritten,
gedankenlose Klatschsucht, faul daneben.

Sommernacht
Sizilianen

An ferne Berge schlug die Donnerkeulen
ein rasch verrauschtes Nachmittaggewitter.
Die Bauern zogen heim auf müden Gäulen,
und singend kehrten Winzervolk und Schnitter.
Auf allen Dächern qualmten blaue Säulen
genügsam himmelan, ein luftig Gitter.
Nun ist es Nacht, es geistern schon die Eulen,
einsam aus einer Laube klingt die Zither.

Schwalbensiziliane
Sizilianen

Zwei Mutterarme, die das Kindchen wiegen,
es jagt die Schwalbe weglang auf und nieder.
Maitage, trautes Aneinanderschmiegen,
es jagt die Schwalbe weglang auf und nieder.
Des Mannes Kampf: Sieg oder Unterliegen,
es jagt die Schwalbe weglang auf und nieder.
Ein Sarg, auf den drei Handvoll Erde fliegen,
es jagt die Schwalbe weglang auf und nieder.

Acherontisches Frösteln
Sizilianen

Schon nascht der Star die rote Vogelbeere,
zum Erntekranz juchheiten schrill die Geigen,
und warte nur, bald nimmt der Herbst die Schere
und schneidet sich die Blätter von den Zweigen,
dann ängstet in den Wäldern eine Leere,
durch kahle Äste wird ein Fluß sich zeigen,
der schläfrig an mein Ufer schickt die Fähre,
die mich hinüberholt ins kalte Schweigen.

Der Ländler

[352]
Auf die Terrasse war ich hinbefohlen,
der jugendlichen, schönen, geistvollen,
holdseligen Prinzessin vorzulesen.
Ich wählte Tasso.
Durch den Sommerabend
umschwirrt uns schon das erste Nachtinsekt.
Die Sonne war gesunken. Rot Gewölk
stand hellgetönt, mit Blau vermischt, im Westen
Der Garten vor uns, tief gelegen, hüllt
sich ein in dunkle Schatten mehr und mehr.
Und eine Nachtigall beginnt.
Der Diener
setzt auf den Tisch die Lampe, deren Licht
nicht durch den schwächsten Zug ins Flackern kommt.
Von unten, aus dem Dorfe, klingt Musik.
Und deutlich aus der Finsternis heraus,
Leuchtstriche, blitzen eines Tanzsaals Fenster;
die Paare huschen schnell vorbei dahinter.
Zuweilen, wenn die Tür geöffnet steht,
erschallt Gestampf, der Brummbaß, Kreischen, Jauchzen.
Unbändig scheint die Freude dort zu sein.
Ich trage unterdessen weiter vor,
wie flüchtige Bilder, unbewußt, den Trubel
im Tal an mir vorüberziehen lassend.
Und jene Verse hab ich grad getroffen:
„Beschränkt der Rand des Bechers einen Wein,
der schäumend wallt und brausend überquillt?“:
als ich die Lider hob und die Prinzeß,
die säumig ihre Linke das Geländer
hinüber ruhen läßt, erblicke, wie sie,
nicht meiner Lesung achtend, niederschaut,
das braune Auge träumerisch, sehnsüchtig
hinunterwendet auf den fröhlichen Ländler...
„Wie wär es, fänden wohl Durchlaucht Vergnügen,
sich dort dem frohen Reigen anzuschließen?“
Und sie, ein Seufzer: „Ach, ich tät's so gern.“
[353]
Wenn ich's nur bringen könnte, wiedergeben,
wie jenes Wort von ihr gesprochen klang,
das „so“, das „gern“, wenn ich's nur treffen könnte,
wie sie das sagte: „Ach, ich tät's so gern.“

Aus der Kinderzeit

In alten Briefen saß ich heut vergraben,
als einer plötzlich in die Hand mir fiel,
auf dem die Jahresziffer mich erschreckte,
so lange war es her, so lange schon.
Die Schrift stand groß und klein und glatt und kraus
und reichlich untermischt mit Tintenklecksen:
„Mein lieber Fritz, die Bäume sind nun kahl,
wir spielen nicht mehr Räuber und Soldat,
Türk hat das rechte Vorderbein gebrochen,
und Tante Hannchen hat noch immer Zahnweh,
Papa ist auf die Hühnerjagd gegangen.
Ich weiß nichts mehr. Mir geht es gut.
Schreib bald und bleibe recht gesund.
Dein Freund und Vetter Siegesmund.“
„Die Bäume sind nun kahl,“ das herbe Wort
ließ mich die Briefe still zusammenlegen,
gab Hut und Handschuh mir und Rock und Stock
und drängte mich hinaus in meine Heide.

Einer Toten

Ach, daß du lebtest!
Tausend schwarze Krähen,
die mich umflatterten auf allen Wegen,
entflohen, wenn sich deine Tauben zeigten,
die weißen Tauben deiner Fröhlichkeit.
Daß du noch lebtest!
Schwer und kalt bedrängt
die Erde deinen Sarg und hält dich fest.
Ich geh nicht hin, ich finde dich nicht mehr.
Und Wiedersehen?
Was soll ein Wiedersehn,
[354]
wenn wir zusammen Hosianna singen
und ich dein Lachen nicht mehr hören kann?
dein Lachen, deine Sprache, deinen Trost:
Der Tag ist heut so schön. Wo ist Chasseur?
Hol aus dem Schranke deinen Lefaucheux
und geh ins Feld, die Hühner halten noch.
Doch bieg nicht in das Buchenwäldchen ab,
und leg dich nicht ins Moos und träume nicht.
Paß auf die Hühner und sei nicht zerstreut,
blamier dich nicht vor deinem Hund, ich bitte.
Und alle Orgeldreher heut verwünsch ich,
die mit verlornem Ton aus fernen Dörfern
dir Träume senden — dann gibt's keine Hühner.
Und doch, die braune Heide liegt so still,
dich rührt ihr Zauber, laß dich nur bestricken.
Wir essen heute abend Erbsensuppe,
und der Margaux hat schon die Zimmerwärme;
bring also Hunger mit und gute Laune.
Dann liest du mir aus deinen Lieblingsdichtern.
Und willst du mehr, wir gehen an den Flügel
und singen Schumann, Robert Franz und Brahms.
Die Geldgeschichten lassen wir heut ruhn.
Du lieber Himmel, deine Gläubiger
sind keine Teufel, die dich braten können,
und alles wird sich machen.
Hier noch eins:
ich tat dir guten Kognak in die Flasche.
Grüß Heide mir und Wald und all die Felder,
die abseits liegen und vergiß die Schulden,
ich seh indessen in der Küche nach,
daß uns die Erbsensuppe nicht verbrennt.
Daß du noch lebtest!
Tausend schwarze Krähen,
die mich umflatterten auf allen Wegen,
entflohen, wenn sich deine Tauben zeigten,
die weißen Tauben deiner Fröhlichkeit.
Ach, daß du lebtest!

Cincinnatus

[355]
Frei will ich sein.
Meinen Jungen im Arm, in der Faust den Pflug,
und ein fröhlich Herz, und das ist genug.
Und schleichen die Wünsche wie schmeichelnde Panther,
tobt einer im Blut mir, ein höllengesandter,
daß ich Ruhe nicht finde bei Tag und Nacht,
daß ich ganz wirr bin und überwacht,
daß mir die Wangen einfallen und bleichen,
und kann doch und kann doch den Wunsch nicht erreichen:
ich schluck ihn zu den begrabenen andern,
fein still, und es säumt schon das rastlose Wandern.
Das Wort klingt herb und hat traurigen Mund
und tröstet mich doch und macht mich gesund,
meinen Jungen im Arm, in der Faust den Pflug,
und ein fröhlich Herz, und das ist genug.
Frei will ich sein.
Bietet der Staat mir Würden und Amt,
und trüg er mir's an auf purpurnem Samt,
ich winke den Bringern, ich lache dem Tand,
und wehre sie ab mit verneinender Hand.
Mich schaudert vor Joch und Fessel und Druck,
vor des Dienstes grauem Bedientenschmuck,
vor des Dienstes Sklavenarbeiten,
vor seinen Rücksichtslosigkeiten.
Ich beuge den Menschen nicht meinen Nacken,
und lasse sie nicht an den Kragen mir packen.
Der Geier des Ehrgeizes richtet den Schnabel
ewig nur gegen den eigenen Nabel
und frißt sich selbst in den Eingeweiden
und schafft sich selbst nur die bittersten Leiden.
Weg da, ihr Narren, und laßt mich in Ruh,
und dröhnend werf ich mein Hoftor zu.
Meinen Jungen im Arm, in der Faust den Pflug,
und ein fröhlich Herz, und das ist genug.
Frei will ich sein.
Doch ruft mich der Kaiser in Not und Gefahr,
ich entstürze dem Haus mit gesträubtem Haar,
[356]
bin um ihn, wenn er von Feinden umdrängt,
bis wieder die Streitaxt am Nagel hängt.
Und will es mein Schicksal, fällt für ihn mein Hanpt,
ich küsse den Block, an den ich geschraubt,
ich küsse den Block, von dem mein Rumpf
ohne Kopf in den Sand rollt, ein zuckender Stumpf.
Muß das Vaterland drangvoll die Sturmflaggen hissen,
ho heida! die Klinge der Scheiden entrissen.
Und droht es von Osten und dräut es von West,
wir schlachten den Bären, den Hahn uns zum Fest.
Fällt neidisch uns an auch die ganze Welt,
sie lernt uns schon kennen, der Angriff zerspellt.
Und der Frieden strahlt auf, von Sonnen gezogen,
der Teifun erstarb in sanft plätschernden Wogen,
der Ackersmann sät, und der alte Verkehr
findet verkettete Straßen nicht mehr.
Dann stemm ich die Spitze von meinem Schwert
fest auf den häuslichen Feuerherd,
umfasse den Griff mit der einen Hand,
und trockne das Blut von Rill und Rand,
und schleif es, gewärtig zu neuem Tanz,
doch heute bedeckt es ein Eichenkranz.
Meinen Jungen im Arm, in der Faust den Pflug,
und ein fröhlich Herz, und das ist genug.
Frei will ich sein!

In einer Winternacht

Viel Tausende haben sich aufgemacht
in stürmischer, schneeiger Winternacht.
Die Menge staut sich, steht Fuß an Fuß,
dem Kaiser zu danken mit letztem Gruß.
Plötzlich am Schloß zwei Flammen wie Schlangen,
vom Dom her wimmert ein Glockenbangen,
bald dröhnt es gleichmäßig, ohn Unterlaß
in grausamem Takt, in furchtbarem Baß.
Und wo sich die Massen zusammengeschoben,
über die Köpfe schwimmt hoch erhoben
ein dunkler Sarg, so tränenschwer,
[357]
ein Troß von Königen hinterher.
Wie die Wolken erschrocken hasten,
der Wind packt: halt! halt! des Bahrtuchs Quasten,
doch durch das bewegte Lüfteleben
seh ich wohl hundert Adler schweben
mit wundervoll ruhigem Flügelschlag,
so stolzes Geleit wie am Siegestag.
Rauch schlägt nieder aus ehernen Becken,
drin die Feuer geschürt, den Rand überlecken.
Die Erde zittert, dumpf ist es zu spüren,
wie die Hufe des Zuges das Pflaster berühren.
Die Fackeln strecken als Leuchten sich vor,
in den Helmen sich spiegelnd der Gardes du Corps.
Und senken sich nieder, verlöschen im Schnee —
vorüber, vorüber das schluchzende Weh.
Aus der offenen Domtür tönt Orgelgebraus,
ein Palmenwald grüßt in den Winter hinaus.
Alles grün, alles Frühling, wo sonst weißer Kalk,
Lorbeer umlaubt den Katafalk.
Selbst Gärten, die einst unser Sturmschritt geknickt,
heut haben sie Rosen und Kränze geschickt.
„Laßt mich durch, die Gasse mir aufgetan,
laßt mich durch, laßt mich durch, sonst brech ich mir Bahn!
Noch einmal auf Knieen vor ihm will ich liegen,
meine Stirn an die purpurne Ruhstatt biegen.
Bei Gravelotte, spät war die Stunde,
der König! rief es in weiter Runde,
und jauchzend hemmten wir seinen Zügel,
bedeckten mit Küssen Hand und Bügel.
Die Sonne in sinkender Abendflut
umrahmt seinen Helm in Gloriaglut,
sein Auge tropft, seine Lippe bebt,
mit ihm, mit ihm hab ich's durchgelebt.“

Pietà

Wie kommt hierher Maria mit dem Leichnam?
Er liegt im Sand, am Ufer hart auf Muscheln,
und unbegrenzt dehnt sich die See hinaus.
[358]
Der Abendhimmel zeigt Gewitterstimmung,
und bis zum Wasserspiegel reicht die Wolke,
die einzige, große, schwarze Wolkenmasse.
Ganz schwache Wellen, ohne Mützchen selbst,
die träge spielen, spülen an den Strand,
und lassen einen schmutzigen Schaum zurück,
der längs der Küste wie ein Strich hinzieht.
Auf harten Muscheln liegt der Kruzifixus.
Die Füße sind, die noch gekrümmten Hände
mit weichem Tuch umwickelt, daß die Male
der Nägel nicht, die schrecklichen, zu sehn.
Und über ihn neigt sich Maria hin
in ungeheuerm Gram, und kann es nicht
und kann es nicht begreifen, daß wir Menschen
so schändlich ihren Sohn verraten konnten.
War er die Liebe nicht? War nicht sein Trieb,
sein einziger Trieb auf seinem Lebenswege:
Versöhnung, Friede, Herzenslauterkeit?
„O Haupt voll Blut und Wunden,“ und Maria,
mit ihren Tränen wäscht den Staub sie ab
von seinem Antlitz; und mit ihren Fingern
kämmt, trocknet sie den Bart vom Todesschweiß.
Am Horizont, wo nun die Sonne scheidet,
die hinter dickem Dunste sich verbirgt,
bricht Licht hervor, doch nur zurückgeworfnes.
Und dieses Licht ergießt sich übers Meer
und geht in Streifen schnell darüber hin
und trifft das Ufer und die Leidensgruppe,
bis sich der Himmel plötzlich wieder schließt.
Ein Augenblick ist's dunkelschwerer Nacht —
Da lodert in der Ferne, landeinwärts,
ein Flammenchaos: Städte, Länder brennen,
und wüstes Schreien, Lärm von Schwert und Schilden
dröhnt her, und Roßgestampf und Kriegsmusik;
und gen einander tobt's: In Jesu Namen!
Die Sonne sank, die Dämmerung beginnt,
ein linder Westwind hat sich aufgemacht
und streichelt sanft den spitzen Dünenhafer
[359]
und kühlt die Augen unsrer lieben Frau
und küßt die Schmerzenszüge des Erbarmers
und gibt der Woge leichten Plätscherton,
der sich verbündet mit dem leisen Weinen,
das unaufhörlich auf den Heiland tropft.

Der Turmbläser

Es war am längsten Tag. Um neun Uhr abends
durchschritt ich eine lange helle Straße.
Sie schien bewohnt von allen Menschenrassen.
Und ein Gewimmel war es überall.
Ich hörte im Vorbeigehn immer nur
von jedem mir begegnenden drei Worte:
Genuß und Geld, und nur Genuß und Geld,
und auch, wo Arbeit wer gesucht, gefunden,
und wer vergebens Arbeit nachgegangen.
Und Arbeit, Arbeit nur, um zu genießen,
um Weib und Kind mit Sorgen zu ernähren,
zu atmen, welch ein kümmerliches Los.
Als ich mich mühte nun, mich durchzudrängen,
fiel mir ein Zug auf jedem Antlitz auf,
auf jedem Antlitz, das in schneller Folge
an mir vorüberschoß und schob und trieb:
Entsagung war's, und hinter dieser Trauer
ein rasendes Verlangen, mitzunehmen,
was mitzunehmen ist im kurzen Leben.
Als ich am Dom des heiligen Michael
vorüberkam, da hört ich plötzlich klar,
da hört ich eine einsame Posaune,
die oben auf dem Turm geblasen wurde.
Ich sah hinauf: aus einem Schallloch blinkte
das Instrument im letzten Abendschein.
Und der es blies, so hoch und fern er stand,
ich konnt ihn deutlich sehn: den alten Mann
mit seinem langen weißen würdigen Barte.
Und der Choral erscholl, den alle kennen:
Wer nur den lieben Gott läßt walten
und hoffet auf ihn alle Zeit,
[360]
den wird er wunderbar erhalten
in jeder Widerwärtigkeit.
Und feierlich und in virtuosem Spiele
klang es wie Engelstöne durch die Luft
hinüber allen Wust und Schmutz und Lärm,
hinüber alle Gier in hehrer Reinheit.
Ist das der letzte Christ, der oben steht,
der jetzt, unangefochten von der Sünde,
in Glaubenstiefe seinem frommen Herzen
die Warnung mild und ernst entströmen läßt?
Ein letzter Mahnruf: Kommt, o kommt zu mir,
eh euch ein furchtbares Ereignis alle,
euch alle in den Schlund der Hölle zieht?

Das geneigte Haupt

Ich sehe tief dein Haupt geneigt,
tief über eines Buches Blätter.
Dein Mund, dein stolzer Mund, er schweigt —
dein Herz, es schreit nach seinem Retter!
O teures, o geliebtes Haupt!
Von dunklen Flechten reich umwunden,
von tausend Sorgen grau bestaubt,
in roher Arbeit Joch gebunden,
ich sehe — niemals täuschst du mich! —
dein Antlitz, überströmt mit Tränen...
Geliebtes Haupt, wann hebst du dich,
an meine Schulter dich zu lehnen?

In der Nacht

Was war das?! — Rief nach mir ein banger Klager?
Ich richte jäh mich auf im weichen Lager.
[361]
Wer rief nach mir? — Wer stört mein einsam Kissen?
Noch einmal rufe mir! Ich will es wissen!
Doch nichts will Antwort meiner Frage geben — —
O Gott, das war kein Laut aus warmem Leben!!
Das war im Traum das Rufen deiner Stimme,
die weckte mich in nie versöhntem Grimme!
***
Das war ein Ton aus einer toten Zeit!
Wie furchtbar! — — Still! — Ich lausche weit und breit...
Doch alles schweigt... und schweigt... und keiner mehr?
Wie? drang nur dieser eine zu mir her?
Und zornig schleudre ich ein Fluchwort hin —
Was störst du wieder meinen müden Sinn?
Ich lausche... Stille. — Und nun packt sie mich,
die kalte, wilde Angst um mich und dich!
***
Ich will nichts hören! — Langsam legt sich wieder
erkämpfte Ruhe auf die schlaffen Glieder.
Doch wie ich auch den Schlummer mir erflehe,
einmal verjagt, meidet er meine Nähe.
Ich springe wieder auf und gehe hastend
im Zimmer auf und ab, zuweilen rastend,
und lauschend... doch kein Ton. Er ist zerklungen,
als hätte ihn die müde Nacht verschlungen.
***
Die Schritte hallen an der dunklen Wand,
und nach dem Licht sucht zitternd meine Hand.
Es flammt hellauf. Ich seh mich schauernd um.
Das Knistern nur des Lichts. Sonst alles stumm.
[362]
Und wieder packt mich ein Gedenken an,
das ich ermorden möchte und nicht kann.
Und tief aufatmend stehe ich... Es rinnt
die Nacht an mir vorbei, der Tag beginnt.

Sonne

Erwartung
Chillon, 7. April 1889

Ich lehne müd mein Haupt an Felsenwände.
An meiner Lippe schon vorüberstreift
der Duft der Traube, die an dem Gelände
hoch über mir dem Herbst entgegenreift.
Die Wonne sybaritischen Genießens
kam über mich in dieser schönen Zeit...
Die Lust des Dämmerns und des Augenschließens,
die dem Vergessen nur sich einzig weiht...
Wenn dann der Herbst kommt, werde ich erwachen
(ich weiß nicht, ob die Tage fern, ob nah)
und bei der Freunde und der Gläser Lachen
die Wonne trinken, die ich reifen sah...

Das Winzerfest
Vevey, August 1889

Nun weiß ich es, die Tage waren nah mir.
Sie sind gekommen, eh ich es gedacht,
des Festes Freudentage! — Wie geschah mir?
Vom schweren Traume bin ich jäh erwacht.
Das Licht fiel hundertmal auf diese Fluten,
und hundertmal die Nacht mit schwerem Kuß —
Ich sah sie nicht. Denn ich war fern. Es ruhten
die Füße dessen, welcher wandern muß...
Ich schlief. Ich träumte schwer. Zuweilen hörte
ich fernes Klingen, und ein Lachen — (fast
klang es wie Glück, das nahen will) —, es störte
auf Stunden meines Schlafes tiefe Rast...
***
[363]
Das Winzerfest! — Durch drei gewölbte Bogen,
umgossen hell vom Gold des Sonnenscheins,
sind sie mit Siegerlächeln eingezogen:
Pales. Und Ceres. Und der Gott des Weins.
Nun spielen sie die wunderbarsten Spiele,
die je ein Menschenauge durfte schaun...
Wenn jetzt die ewige Nacht herniederfiele,
ich würde sorglos mich ihr anvertraun!
Die Chöre singen. Und die Farben glühen...
Im Tanze sich die sonnige Anmut schwingt...
Ein ewiges Eilen — Nahn... Ein Loh'n — Versprühen...
Das ist die Schönheit, die mein Auge trinkt!
***
Und als die Mutter Nacht sich niederbeugte
zum Kuß auf ihres Sees schlafmüden Mund,
sah sie, was fremd und doch bekannt ihr deuchte:
getaucht im Feenlicht Veveys Ufer-Rund.
Der bunten Scharen jauchzendes Gewimmel —
die Jugend doppelt frisch, das Alter jung,
sie stehlen seine Sterne diesem Himmel
und jedem Schmerze die Erinnerung!...
O wie die Ufer zauberisch erglänzten,
heller, je tiefer sie herniedersank,
die einzige Nacht, in der am rebbekränzten
Becher der Lust ich ohne Reue trank!...

Morgenfrühe

O silberne Morgenfrühe!
Ich habe nach ruhloser Nacht
die Fracht gehäufter Mühe
in deinen Hafen gebracht.
[364]
Ich werfe beruhigt die Anker
in Wasser, kaum bewegt.
Über die mein Wunsch, mein schwanker,
für heute sich schlafen legt...

Les ich euch, ihr Lieder...

Die ihr einst mein Herz berauschtet, da ich noch ein Knabe war,
— unverändert treue, bunte, bunte und geliebte Schar —,
leg ich euch, ihr Lieder, wieder in des Lebens Mittag nun,
und noch immer kann mein Herz nicht aus bei euren Tönen ruhn,
klopft, als stünde ich wie damals an dem Waldsaum auf der Wacht,
mit geheimer Angst erwartend meines Glückes erste Nacht!...
Les ich euch, ihr Lieder, wieder, rührt mich eine weiche Hand,
seh ich blonde Locken flattern und ein weißes Seidenband,
kommt ein Duft von gelben Rosen fernher, fern herüber mir,
liegt der Himmel meiner Jugend wieder offen über mir!

Im Felde

...Die Taille geformt wie aus zartestem Ton
bückt sie rechts sich und links nach Gräsern und Mohn.
Nun kniet sie, sie knipst sich vom Sonntagsschuh
ein Zipflein Schuhband und bind't sich ihr Sträußchen zu.
Die Sonne, die rings Millionen Ähren bräunt,
hell-hellrot durchs Daumenspitzchen ihr scheint.
Sie zeigt's mir — ich küß es — sie lacht mich an,
und klemmt in den Gürtel das Sträußchen sich dann...

Notturno

[365]
Im treibenden Nachen.
Dämmerung. Stille.
In den Uferbäumen
dann und wann
ein Atemzug Nachtwind.
Eine Fledermaus schwirrt.
Eine Welle gluckt müde.
Noch eine.
Noch eine.
Ich sitze, am Hut die Nebeltropfen,
und zähle am Ufer
die roten Lichtchen, —
auf den nassen Rudern
— preißelbeerklein —
flirrt's von Reflexchen...

Auf dem Nachhauseweg

Vom Karpfenweiher — den langen Weg
zusammen nach Hause...
Wie liebreizend sie ist!...
Den Muff dicht unter
die siebzehnjährigen
Brüstchen gedrängt, —
aus ihrem kleinen
Munde kringelt
ihr Atem in die stille,
graue Schneeluft...
Die glimmernden Schlittschuh
— zusammengeriemt —
klirren von Zeit
zu Zeit an ihr linkes
Knopfstiefelchen...
Wie liebreizend sie ist!
Wir schlendern langsam...
Weit und breit — meilentief —
nur beschneite Felder,
[366]
voll kleiner, krauser
Krähenfußtapfen; —
schräg links, verrinnend,
— isabellenfarb —
ein Abendrotstreifchen...
Wir schlendern langsam...
.................

Der Sklave

Wie ist mein zitterndes Herz entbrannt,
du brauner Sklave von Samarkand!
Die Sonne lodert wie Gift und Glut
über der Stadt und über der Flut!
Komm du mit mir in mein weißes Haus!
Und küß ich den blassen Mund dir rot, —
deine Augen sind traurig wie der Tod.
Deine Augen blicken so leer und starr
unter dem seidenen Wimperhaar,
du Allerschönster von Samarkand!
Schweigst du noch immer? — Und kalt bleibt dein Mund!
Nieder mit dir auf die Kniee, du Hund!
Über dem Bett, das spitzenbesäumt
hinter des Baldachins Falten träumt,
hängt eine Peitsche mit goldenem Griff.
Nieder mit dir auf die Kniee, du Sklav,
hei, — wie der sausende Hieb dich traf!
— — — — — — — — — — — — —
Und seltsam leuchten und wunderbar
die Lotosblumen in deinem Haar,
und die Tropfen Blut auf deiner Haut!

Im Park

[367]
Es sind des Nachts in meinem Park die Teiche
wie tote Augen. Oder wie Opale.
Hoch über ihnen aber droht das fahle
Himmelsgewölb, das sterndurchflammte, bleiche.
Es sind des Nachts in meinem Park die Rosen
wie weiche, junge Lippen. Und sie können
gerad so kühl und so verzehrend brennen
wie solche jungen Lippen, wenn sie kosen.
Die dunklen Pflanzen hängen wild hernieder,
und zärtlich ziehe ich die hohen, schwanken,
die wildverflochtnen, dunkelgrünen Ranken
wie einen Königsmantel um die Glieder.
Und schauernd liege ich im feuchten Gras,
den jugendheißen Körper ganz umgeben
von dem geheimnisvollen, stummen Leben,
von all den Ranken, schwer von Tau und naß.
Da senk ich tief mein Haupt zur Mutter Erde
und denk verzweifelt an den Tag vor allen,
an jenen Tag, da ich, zu Staub zerfallen,
den wilden Pflanzen Nahrung geben werde.

Aus „Befreite Flügel“

In meinem Marmorpalast,
aus kristallener Schale, trinke ich Nektar.
Ein nacktes Märchenweib
flicht mir Rosen um die Stirn.
Singt,
singt mir das Lied von griechischer Freude!
[368]
Da
— Schmerz und Verzweiflung —
gellt ein Schrei.
Meine Menschenbrüder!
Aus finstren Fabriken,
wo ihr nach Glück dürstendes Leben Maschinenrädern gleich dahinrollt,
aus Kellern und Dachstuben, wo sie hungern und frieren,
wo Not sie schlecht macht.
Millionen!
Im Prunksaal
stirbt
Lied und Lust.
***
Einst
war meine Seele ein Lämmchen.
Sie packten es,
schoren ihm gierig seinen weißen Flaum,
und auf sein rosiges Schnuffelschnäuzchen schlugen sie mit Knütteln.
Sein jämmerliches Weinen
rührte sie nicht.
Aus meinen Schwielen
wurden Schuppen.
Ich wuchs zum grünen Drachen mit langer Krokodilschnauze,
unter jedem Zahn eine Giftdrüse.
Ich beiße alle in den Bauch!
Sie weichen mir aus.
Ich bin böse, unchristlich und überhaupt ein Gemütsmensch.

Schillers Bestattung

[369]
Ein ärmlich düster brennend Fackelpaar, das Sturm
und Regen jeden Augenblick zu löschen droht.
Ein flatternd Bahrtuch. Ein gemeiner Tannensarg
mit keinem Kranz, dem kärgsten nicht, und kein Geleit!
Als brächte eilig einen Frevel man zu Grab.
Die Träger hasteten. Ein Unbekannter nur,
von eines weiten Mantels kühnem Schwung umweht
schritt dieser Bahre nach. Der Menschheit Genius war's.

Liebesflämmchen

Die Mutter mahnt mich abends:
„Trag Sorg zur Ampel, Kind!
Jüngst träumte mir von Feuer —
auch weht ein wilder Wind.“
Das Flämmchen auf der Ampel,
ich lösch es mit Bedacht,
das Licht in meinem Herzen
brennt durch die ganze Nacht.
Die Mutter ruft mich morgens:
„Kind, hebe dich! 's ist Tag!“
Sie pocht an meiner Türe
dreimal mit starkem Schlag
und meint, sie habe grausam
mich aus dem Schlaf geschreckt —
das Licht in meinem Herzen
hat längst mich aufgeweckt.

Dämmergang

Du lebst meerüber
in blauer Ferne
und du besuchst mich
beim ersten Sterne.
[370]
Ich mach im Felde
die Dämmerrunde,
umbellt, umsprungen
von meinem Hunde.
Es rauscht im Dickicht,
es webt im Düster,
auf meine Wange
haucht warm Geflüster.
Das Weggeleite
wird trauter, trauter,
du schmiegst dich näher,
du plauderst lauter.
Da gibt's zu schelten,
da gibt's zu fragen,
und hell zu lachen
und leis zu klagen.
Was wedelt Barry
so glückverloren?
Du kraust dem Liebling
die weichen Ohren...

Neujahrsglocken

In den Lüften schwellendes Gedröhne,
leicht wie Halme beugt der Wind die Töne:
leis verhallen, die zum ersten riefen, —
neu Geläute hebt sich aus den Tiefen.
Große Heere, nicht ein einzler Rufer!
Wohllaut flutet ohne Strand und Ufer.

Vor der Ernte

An wolkenreinem Himmel geht
die blanke Sichel schön,
im Korne drunter wogt und weht
und rauscht und wühlt der Föhn.
[371]
Sie wandert voller Melodie
hochüber durch das Land,
frühmorgen schwingt die Schnittrin sie
mit sonnenbrauner Hand.

Erntegewitter

Ein jäher Blitz. Der Erntewagen schwankt.
Aus seinen Garben fahren Dirnen auf
und springen schreiend in die Nacht hinab.
Ein Blitz. Auf einer goldnen Garbe thront
noch unvertrieben eine frevle Maid,
der das gelöste Haar den Nacken peitscht.
Sie hebt das volle Glas mit nacktem Arm,
als brächte sie's der Glut, die sie umflammt,
und leert's auf einen Zug. Ins Dunkel wirft
sie's weit und gleitet ihrem Becher nach.
Ein Blitz. Zwei schwarze Rosse bäumen sich.
Die Peitsche knallt. Sie ziehen an. Vorbei.

Requiem

Bei der Abendsonne Wandern,
wann ein Dorf den Strahl verlor,
klagt sein Dunkeln es den andern
mit vertrauten Tönen vor.
Noch ein Glöcklein hat geschwiegen
auf der Höhe bis zuletzt.
Nun beginnt es sich zu wiegen,
horch, mein Kilchberg läutet jetzt!

Der Reisebecher

Gestern fand ich, räumend eines langvergeßnen Schrankes Fächer,
den vom Vater mir vererbten, meinen ersten Reisebecher.
Währenddes ich, leise singend, reinigt ihn vom Staub der Jahre,
war's, als höbe mir ein Bergwind aus der Stirn die grauen Haare,
[372]
war's, als dufteten die Matten, drein ich schlummernd lag versunken,
war's, als rauschten alle Quelle, draus ich wandernd einst getrunken.

Der römische Brunnen

Aufsteigt der Strahl und fallend gießt
er voll der Marmorschale Rund,
die, sich verschleiernd, überfließt
in einer zweiten Schale Grund;
die zweite gibt, sie wird zu reich,
der dritten wallend ihre Flut,
und jede nimmt und gibt zugleich
und strömt und ruht.

In der Sistina

In der Sistine dämmerhohem Raum,
das Bibelbuch in seiner nervigen Hand,
sitzt Michelangelo in wachem Traum,
umhellt von einer kleinen Ampel Brand.
Laut spricht hinein er in die Mitternacht,
als lauscht ein Gast ihm gegenüber hier,
bald wie mit einer allgewaltigen Macht,
bald wieder wie mit seinesgleichen schier:
„Umfaßt, umgrenzt hab ich dich, ewig Sein,
mit meinen großen Linien fünfmal dort!
Ich hüllte dich in lichte Mäntel ein
und gab dir Leib, wie dieses Bibelwort.
Mit weh'nden Haaren stürmst du feurigwild
von Sonnen immer neuen Sonnen zu,
für deinen Menschen bist in meinem Bild
entgegenschwebend und barmherzig du!
So schuf ich dich mit meiner nichtigen Kraft:
damit ich nicht der größre Künstler sei,
schaff mich — ich bin ein Knecht der Leidenschaft —
nach deinem Bilde schaff mich rein und frei!
[373]
Den ersten Menschen formtest du aus Ton,
ich werde schon von härterm Stoffe sein,
da, Meister, brauchst du deinen Hammer schon,
Bildhauer Gott, schlag zu! Ich bin der Stein.“

Thespesius

Zwei Greise ruhten unter einer Pinie,
Stab neben Stab, an einer Quelle klarer Flut,
wo wandernd sie begegnet sich von ungefähr.
Sie führten Zwiegespräch und sie behagten sich.
„Man nennt mich Eukrates, und wer, mein Freund, bist du?“
— „Mich nannten Aridäus lange Jahre sie,
seit langen Jahren bin ich nun Thespesius. “
— „Zwei Namen trugst du?“ — „Beide Namen, Eukrates.
Hör an! Ein Jüngling, peitscht ich rasend das Gespann.
Die Rosse flogen. Becher, Buhlen, Würfelspiel,
Wut, Zorn, vergossen Blut — verklagend Blut!
dem ich entfloh, die Eumeniden hinter mir.
Sie folgten meiner raschen Füße schnellstem Lauf,
ich warf mich in den Fluß, sie sprangen jauchzend nach
und hoben schwimmend ihrer Fackeln düstre Glut.
Ich klomm bergan — verirrt stürzt ich von einer Wand —
die Sinne schwanden mir. Dann lebt ich wieder — war's
im Traum? — und schritt auf einem weichen Wiesengrün,
wo Selige, solche schienen sie, lustwandelten
in still bewegten Scharen. Kränze trugen sie.
Den einen kannt ich wohl und ward von ihm erkannt:
mein Blutsverwandter, welcher jüngst geschwunden war
aus dieser Erde Staub nach einem reinen Lauf.
Der sprach mich an: 'Ich grüße dich, Thespesius!' —
'Wozu der neue Name, wundersamer Ohm?
Wie nennst du mich? Dein Aridäus bin ich ja!'
Die Locken schüttelt leis er, die ambrosischen,
und abermals: 'Ich grüße dich, Thespesius!' ...
Jetzt wacht ich wirklich auf. Am Hange lag
ich blutbefleckt, von gierigen Raben schon umschwärmt.
Was mehr? Ich ward ein andrer. Nicht mit kleinem Kampf!
Der Kampf ist groß! Mein neuer Name stärkte mich,
[374]
der makellose, der so rein und göttlich klang!
Hab gute Fahrt!“ — „Fahr wohl auch du, Thespesius!“

Ein Pilgrim
(Epilog)

's ist im Sabinerland ein Kirchentor —
mir war ein Reisejugendtag erfüllt —
ich saß auf einer Bank von Stein davor,
in einen langen Mantel eingehüllt;
aus dem Gebirge blies ein harscher Wind —
vorüber schritt ein Weib mit einem Kind,
das, zu der Mutter flüsternd, scheu begann:
„Da sitzt ein Pilgerim und Wandersmann!“
Mir blieb das Wort des Kindes eingeprägt,
und wo ich neues Land und Meer erschaut,
den Wanderstecken neben mich gelegt,
wo das Geheimnis einer Ferne blaut,
ergriff mich unersättlich Lebenslust
und füllte mir die Augen und die Brust,
hell in die Lüfte jubelnd rief ich dann:
„Ich bin ein Pilgerim und Wandersmann!“
Es war am Comer- oder Langensee,
auf lichter Tiefe trug das Boot mich hin
entgegen meinem ewigen, stillen Schnee
mit einer andern lieben Pilgerin —
rasch zog mir meine Schwester aus dem Haar,
dem braungelockten, eins, das silbern war,
und es betrachtend, seufzt ich leis und sann:
„Du bist ein Pilgerim und Wandersmann.“
Mit Weib und Kind an meinem eignen Herd
in einer häuslich trauten Flamme Schein
dünkt keine Ferne mir begehrenswert,
so ist es gut! So sollt es ewig sein...
Jetzt fällt das Wort mir plötzlich in den Sinn
der kleinen furchtsamen Sabinerin,
das Wort, das nimmer ich vergessen kann:
„Da sitzt ein Pilgerim und Wandersmann.“

Mainacht

[375]
Noch denke ich manche Stunde
jener Tage am Ostseestrand,
wenn in den grauen Schluchten
jeder Baum in Blüte stand.
Ich denke der stillen Nächte,
am offnen Fenster durchwacht;
ferne Gewitter rollten
im Westen die ganze Nacht.
Und über den Lindenwipfeln
führten im Blitzesschein
die alten Preußengötter
ihren ersten Frühlingsreihn.
Herden und Saaten segnend,
schwanden sie über das Meer;
ihre hohen Bernsteinkronen
blitzten noch lange her.

Mädchengebet

Ich bitte dich, Herrgott, durch Christi Blut,
bewahr mir meinen lieben Liebsten gut!
Ich bitte dich, Herrgott, aus Herzensgrund,
daß mich mein Liebster küßt auf meinen Mund!
Kniefällig bitt ich dich, bei meiner Seligkeit,
Gib, daß er stirbt, wenn er ein' andre freit.

Johannisnacht

Wir fuhren heim durch die Johannisnacht,
im Mondschein träumten die Vogesenwälder,
der Nachtwind trieb um unsre Stirnen sacht
den Heuduft und den Ruch der Roggenfelder.
[376]
Dann kam der Wald — da klang der Hufschlag kaum,
der Nebel tanzte auf den stillen Wiesen,
Leuchtkäfer stoben dicht um Busch und Baum —
des Elflands ferne Silberhörner bliesen.

Der Tanz

Der Schritt der letzten Gäste klang im Flur,
dann wurde dumpf die Haustür zugeschlagen,
und in die Sturmnacht fuhr der letzte Wagen.
Des Hauses junge Töchter blieben nur
allein im Saal, im traumhaft goldnen Glanze
herabgebrannter Kerzen, deren Duft
wie Weihrauchqualm durchzitterte die Luft,
so schwül und schwer noch von dem wilden Tanze.
Die älteste der schlanken Schwestern stand
an dem Klavier, und ihre Lippen sangen
die Walzerweisen, die ihr Herz durchklangen,
bis Ton auf Ton die schmale Rechte fand.
Die müden blonden Zwillingsschwestern kamen
langsam herbei und sangen leise mit,
und wiegten lächelnd sich im Walzerschritt,
als ihre Lieblingsweise sie vernahmen.
Die jüngste aber zog aus ihrem Strauß
langsam der roten Nelke Glut heraus
und steckte sie in ihre Gürtelspange,
und raffte schweigend, wie im tiefen Traum,
ihr weißes Kleid und schien's zu merken kaum,
daß sie schon tanzte nach der Schwestern Sange;
mit großen Augen schwebte sie dahin,
langsam und feierlich, als ob sie lauschte,
wie schwer und starr die weiße Seide rauschte
bei jedem Schritt der blassen Tänzerin.
Sie gab nicht acht, daß allgemach verhallten
der Schwestern Stimmen, und sie sah es nicht,
wie leise qualmend auslosch Licht um Licht;
vor ihren Ohren tausend Geigen hallten,
[377]
auf ihrem Scheitel lag der Schönheit Glanz
strahlend und heiß, bis rot wie Apfelblüten
die weichen runden Mädchenwangen glühten.
Und immer schneller ward der stille Tanz
und immer wilder. — Ihre Arme hoben
in Seligkeit und Sehnsucht sich nach oben,
um ihre heiße Kinderstirne flog
das langgelöste Haar in blonden Strähnen,
in ihren Augen brannten heiße Tränen,
und tief ihr Haupt sich in den Nacken bog.
Lautknisternd losch die letzte Kerze aus,
die Schwestern riefen fern aus ihrem Zimmer —
hoch atmend aber stand das Kind noch immer,
und horchte, wie der Nordsturm fuhr ums Haus.

Santa Cäcilia

Langsam und drohend steigt die Wolkenwand,
die Luft ist schwül. Aus angstgepreßten Kehlen
zwitschern die Schwalben. Heidefeuer schwehlen
wie Weihrauchbecken qualmend übers Land.
Ein Windstoß raschelt durch das Haferfeld
und rüttelt an den weißen Birkenstämmen;
von schwarzer Wetterwolken zackigen Kämmen
posaunengleich des Sturmes Stimme schallt,
und Antwort ruft das purpurdunkle Meer;
mit ehrnen Stimmen singen die Geschwister —
Durch ihrer Orgel heilige Register
spielt die Begleitung, grollend, tief und schwer,
Santa Cäcilia, die blonde Magd.
Auf hoher Wolken Schieferfelsen ragt
hoch eine weiße Burg ins selige Blau.
Um ihre Türme Silbermöwen fliegen,
um ihrer Fenster goldne Gitter biegen
sich große Lilien, schwer von Duft und Tau.
Aufblitzend rauscht ein goldgesticktes Kleid
durch weißer Säle helle Feierstille —
[378]
das Haupt umflossen von des Blondhaars Fülle,
naht stumm die Herrin dieser Einsamkeit,
Santa Cäcilia.
Ihre Hände sind,
die fürstlich schlanken mit den blauen Adern,
viel weißer als der Brüstung Marmorquadern.
Gesenkten Hauptes horcht sie auf den Wind,
der traumhaft durch die goldnen Harfen rauscht,
die blitzend in den Bogenfenstern hängen,
es klingt wie Widerhall von Festgesängen,
ihr Blick wird blau und leuchtend, wie sie lauscht,
und wandert götterruhig durch das Licht...
Von drunten klingt empor zu ihren Sälen
der Lebensschrei aus Liebe, Haß und Quälen,
der sich am Fels wie ferne Brandung bricht.
Zu ihrer hohen Silberorgel geht
die Heilige lächelnd, ihre Finger streifen
die schwarzen Tasten. Durch die Orgelpfeifen
ein Säuseln, wie von Taubenschwingen, geht,
das wächst und schwillt und jubelt auf und grollt;
vom Schlaf gestörte Feuerschlangen recken
sich züngelnd auf in ihren Felsverstecken
und schießen leuchtend nieder.
Weiter rollt
die Fuge, die die weiße Burg durchklingt,
im Sturmwind Sankt Cäcilias Haare wehen,
und auf und ab die weißen Finger gehen,
und ihre ewig junge Stimme singt...

Das Licht
Aus „Tag und Nacht“

[379]
's ist Dämmerzeit. Ich steh am Fenster
und schau ins Pfründnerhaus hinüber.
An jedem Fenster ein Mütterchen.
Das Eine webt mit seinem Schädel.
Das Eine ringt die welken Hände.
Das Eine stützt das scharfe Kinn.
Und mählich flort die Dämmerung
um all die seltsamen Gestalten
und schlürft sie auf. Und es ist Nacht.
In einem Zimmer wird es Licht.
Das Wärtermädchen bringt die Lampe
und stellt sie schraubend auf den Tisch.
Im nächsten Zimmer so. Und weiter.
Es ist das Totenhaus beleuchtet.
Von jedem Fenster trippelt jetzt
ein Mütterchen zu seinem Licht...

Ruhe
Aus „Tag und Nacht“

...Wie lange ist das her, daß ich gelebt?
Denn vor mir liegt die Welt im goldnen Licht.
Und Alles ist so, wie es immer war.
Ich selber hingestreckt am Waldrand.
Mein grüner Berghang. Das stumme Bächlein.
Der junge Mähder, der die Sense wiegt.
Und drunten tief endloses gelbes Korn...
Und Alles blieb, so wie es immer war...
Und Alles wird so bleiben wie es ist.
Denn diese Sonne kann nicht untergehn.
Aus diesem Korne wird kein Brot gebacken.
In keine Krippe wird dies Heu geworfen.
[380]
Und dieser gute Junge wird nie wandern
ins frohe Dörfchen...
Das Alles
ist...

Mondaufgang
Aus „Tag und Nacht“

Es war in einer großen grauen Stadt,
drin ich auf einer Reise nächtigen sollte.
Ich schritt hinab die lange Straße
im Traum, den die Dämmerung bringt.
Da plötzlich blickt ich auf! ein Fremdes, Neues
hielt mich umwogt mit schaudervollem Hauch.
Es standen Menschen staar vor ihren Läden.
Bäcker und Metzger schauten feiernd
mit glänzenden Augen nach dem Ziel der Straße,
die schnurgerad von West nach Osten zog.
Ein riesengroßer roter Feuerball
erstieg dort kämpfend schwarze Wolkenwälle.
O riesengroß... o roter Feuerball...
Ich, und sie alle schauten, und schauten,
ein unbekanntes Gottgefühl im Busen.
Ein heilig mildes Flüstern.
Und einen sah ich das weiße Haupt entblößen...
Da schlürften schwere Schritte übers Pflaster,
dann eine spitze Stimme: „Ihr Narren,
was glotzt ihr denn? das ist doch nur der Mond!“
Ich wendete mich rasch — wohl hundert Fäuste
sah ich auf einem Rücken niedersausen.
Sie schlugen ihn zugrund, den frechen Schreier.
Dann aber standen sie verwirrt, wie jäh
aus einem tiefen Tramn erwacht, sie huschten
als Mordgesindel scheu in rote Häuser.
Die Jalousien rasselten — Totenstille. —
Ich trat bestürzt zu dem geschlagnen Manne.
Tot. Er war tot. Ein Ausdruck der Verwundrung,
des Nichtbegreifens in den roten Augen.
In Scherben neben ihm die goldne Brille.
Ich sah zu seinem Mörder auf, dem Monde.
Der stieg minütlich, schrumpfte, wurde gelber.
In einer Stunde wird er silbern sein.

Schlummerlied
Aus „Tag und Nacht“

[381]
Leise fällt ein Schnee auf das Land.
Leise fällt ein Schnee auf das Herz.
Bald sind wir zugeschneit.
Wie schön du müde bist,
du junge Frau!
Und rot in weißem Nebel träumt die Sonne,
im Nebel ein feurig Herz.
Es hat sich müd geglänzt,
das hat sich mild geliebt.
Nun will es ruhn; und
schlafen.
Wie schön du schlafen wirst,
du junge Frau.

Winterabend
Aus „Tag und Nacht“

Die sinkende Sonne weint blutig auf starren Schnee...
Leise leise hör ich dich singen, Sankta Maria...
„Mein Mund ist wund und weh, ich hab ihn geküßt.
Mein Leib ist krank und kalt, ich hab ihn gewärmt.
Mein Herz ist hohl und tot, ich hab ihn geliebt“ ...
Leise im Traum hör ich dich singen, Sankta Maria...

Nur daß ich wachte
Aus „Der Glühende“

Nur daß ich wachte.
Nur daß ich eine Fackel trug,
die zuckend rot den dunklen Gang beblutete,
den steinernen Gang, in dem wir wandelten.
O wie ich wachte!
O jeder Nerv und jeder Zoll ist wach.
Und während ich hieroben gespannt die Wand beschaue,
fühl ich tiefinnen hinaus — zurück den dunklen Gang!
und weiß auch: ich fühle — weiß selbst, daß ich weiß!
Kristalle — Kristalle — leuchtende Kristalle! —
Die Seele erblindet am eignen Glanze! ...
Der ganze Gang ward von mir ausgewuchert,
[382]
ist ein Gewächshaus, drin meine Seele haust —
ist nichts als Ausdruck! Außenform,
die meine Seele launenvoll sich schuf! —
Doch damals ward zugleich ewiger Schmerz geboren,
ward der Gewalt ihr ewiges „Halt!“ geboren:
Sie weiß es nicht, warum sie also formte,
warum nicht anders...
Und wann ich jetzt die blutende Fackel ans Gewölb stieß,
wußt ich:
Das war in der Seele lange vorher schon getan:
Von einer Urhand, die manchmal aus Urtiefen
die blutende Fackel ans Gewölb stößt...
Und jetzt lausch ich dem allerspätesten fernsten Echo...
Nur: Ich wachte.
Sie aber, düster Volk von Männern,
magre Weiber, greishafte Kinder
schritten schlafend, geschloßne Augen hinter mir,
graue Gesichter schmerzlos stumpf,
etwas seitlich neigten die schweren Häupter.
Nur wann ich manchmal die blutende Fackel ans Gewölb stieß,
glühende Kohlen brannten auf sie nieder,
auf Gesichter schmerzlos stumpf geneigt:
Es zuckte leise darunter —
ach so leise...
Eine Spannung —
ach so leise...
Ein Wissen, das kaum schon Atmen ist —
ach so leise...
Das allerfrüheste fernste Glänzen des Bewußt-Seins —
ach so leise...

Schlafend trägt man mich
Aus „Der Glühende“

Schlafend trägt man mich
in mein Heimatland.
Ferne komm ich her,
über Gipfel, über Schlünde,
über ein dunkles Meer
in mein Heimatland.

Nun ich der Riesen Stärksten überwand
Aus „Der Glühende“

[383]
Nun ich der Riesen Stärksten überwand,
mich aus dem dunkelsten Land
heimfand
an einer weißen Märchenhand —
Hallen schwer die Glocken.
Und ich wanke durch die Straßen
schlafbefangen.

Um eine dunkle Felswand biegend
Aus „Die Schöpfung“

Um eine dunkle Felswand biegend,
in meines Lebens träumendem Irregang
fand ich ein Weib auf grüner Wiese liegend,
bei träumendem Gesang
die Sonnekugel in dem Schoße wiegend.
Und all der Fels erklang.
Und langsam meine Starrheit niedersiegend
trat ich herzu, und drang
langsam in ihre Seele ein.
Und saß auf abgestürztem Felsgestein.
Bis ich zuletzt nur noch die Sonne sah,
und das Weib ist nicht mehr da.
Auf der Stirn ruht träumend meine Hand
Es ist hoher Sonnestand.
Es muß hoher Mittag sein.
Es ist ganz still. Ich bin allein.

Im Donnersang, da ich erschuf das Meer
Aus „Die Schöpfung“

Im Donnersang, da ich erschuf das Meer,
war seine Schöpfung alt, schon tausend Jahre her,
und ich selbst urmitternächtig alt,
und verlor Halt und Gestalt,
verfiel trübsinnig in Traum,
überspritzt von weißem Wogenschaum.
Schreiende Adler, mich beschwirrend,
durch die Höhlen meines Mantels wirrend.
Alle meine Seelen schliefen.
Da hob sich strahlend die Sonne aus den Tiefen.
Ich erschauere,
[384]
merkend, wie ich tigerhaft mich belauere:
meine Hand steil zur Wölbung hochgereckt,
und das Himmeldach schon abgedeckt,
die Sonne hinaus zu lassen
in ihre goldnen Gassen.
Und die Hand schafft ohne den Geist,
ich liege von schreienden Adlern bekreist,
es geschieht alles sonder meinen Willen.
Ich liege: stiller Mann im Stillen.
Mich überrollt der Luftgeister Gespann,
es fängt ein neues weites Leben an.
Es hebt sich lächelnd die Erde aus den Fluten,
sie ist grün,
ihre seligen Kelche glühn,
mein Auge blickt und blickt,
wie zwischen lichten Birkenruten
eine Meise sich ihr Nestchen flickt.

Ich tat große Dinge
Aus „Die Schöpfung“

Ich tat große Dinge,
und gab dem Saturn wundervolle Ringe.
Aber da sah ich dann Alles von selber geschehen,
nichts mehr warten und stehen,
mein Geist geriet in Zwang,
hinein in fürchterlichen Zusammenhang,
daß ich wahnsinnig in einer Kette rang.
Seit der Zeit schaff ich nichts Neues mehr.
Sonne und Mond sind mein einziger Verkehr.
Vielleicht noch das Feuer, vielleicht noch das Meer.
Weite Stillen
überwölben meinen Willen.
Unsichtbare Geigen
bereden mich, zu schweigen.

Es schweben so viele Vögel über unsern Häuptern
Aus „Der Denker“

Es schweben so viele Vögel über unsern Häuptern,
hoch in Lüften.
Doch das sind alles Schatten, Träume, Trug und Geister.
[385]
Der ernste Mensch blickt weg von solchen Dingen
und legt sich kühle Erde auf sein Herz.
***
Die Erde grab ich gern, die braune, feuchte.
Ich bin so oft gestorben.

In der Nacht überschritt ich den Gebirgpaß
Aus „Der Denker“

In der Nacht überschritt ich den Gebirgpaß
und gelangte an einen See,
da der Mond rot untersank.
Am Ufer stehend,
und schöpfend aus der stummen Flut,
hing mein Traumblick
an meiner trankgefüllten Hand.
Da sah ich wie im Spiegel Einen dastehn
am Rande eines ungeklärten Chaos;
dunkel Gewölk war vor seinem Antlitz,
die Hand hielt er hinausgestreckt,
drin ruhte alles uferlose Meer,
aus der Tiefe aufgeschöpft.
Und seltsam war's, daß Jener ganz mir glich,
unzertrennbar, ja schier Eins mit mir.
Nur daß Er fernerher noch,
traumstärker noch
in seine trankerfüllte Hand starrte.

Ich lieg in einem weit- und dunklen Dome
Aus „Der Denker“

Ich lieg in einem weit- und dunklen Dome.
Neben mir steigt Einer,
ein Glühender,
eine Wendeltreppe auf.
Und immer liegt sein Blick auf mir
in tiefen Gedanken,
und sieht mein weißes Haar,
mein verzehrt Gebein,
und Alles, was mit mir geschehen ist.
Und über mir hält ein Schritt;
oftmals — —
als wär's mein eigner Geist...

Hier ist ein Gipfel, um drauf einzuschlafen
Aus „Der Denker“

[386]
Hier ist ein Gipfel, um drauf einzuschlafen.
Hier schweben leichte Wolken dicht drüberher,
die feuchten dir die Stirn und heiße Hände.
Und Wasserstürze singen selig in der Tiefe,
vom Mond durchwühlt.
Besessen hab ich die Welt. Ich sog alle Feuer
in mich hinein, und jedes Glück war mein.
Hier ist ein Gipfel, um drauf einzuschlafen.
Hier ruht der Schlafend-Träumende
zwischen hochgetürmten funkelnden Schätzen;
mitten im Menschlich-Herrlichen.

Mondaufgang

In den Wipfeln des Waldes,
die starr und schwarz
in den fahlen Dämmerhimmel
gespenstern,
hängt eine große,
glänzende Seifenblase.
Langsam löst sie sich
aus dem Geäst
und schwebt hinauf
in den Äther.
Unten im Dickicht
liegt Pan,
im Munde
ein langes Schilfrohr,
dran noch der Schaum
des nahen Teiches
verkrustet schillert.
Blasen blies er,
der heitere Gott:
[387]
die meisten aber
platzten ihm tückisch.
Nur eine
hielt sich tapfer
und flog hinaus
aus den Kronen.
Da treibt sie schimmernd,
vom Winde getragen,
über die Lande,
immer höher steigt
die zerbrechliche Kugel.
Pan aber blickt
mit klopfendem Herzen —
verhaltenen Atems —
ihr nach...

Erdriese

Grab tausend Klafter
hinab in den Grund,
da weckt dein Scheit
ein hallend Gewölb —:
den Kugelkerker
aus zwölffachem Erz,
darin Erdriese
gefangen.
Hörst du ihn
bei seinem Werk?
Mit Fersen und Fäusten
stampft und stößt er,
wirft mit dem breiten Nacken
sich dumpf an die Wände,
scharrt mit Nägeln und Zähnen...
lautlos nun,
und nun brüllend
wie zehntausend Stiere.
Gleich einer Espe
zittert der Ball...
[388]
Die Meerunholde
schrecken aus ihrem Spiel
und stürzen den Festen zu...
Die Feuerhexen
schießen mit sprühendem Brandhaar
aus ihren Küchen...
Die Acker- und Felsenschläfer
rücken und recken sich:
Städte und Länder
versinken
in Trichter und Schächten.
Hörst du ihn noch?
Ward er nun still?
Horch!
Er schnarcht!
Wie es brummt und sägt! ...
Nun schläft er, der Alte.

Der Born

Im Garten Gottes
wirft ein Born
sein Silber
Tag und Nacht empor:
Ohn maßen stürzt
die Flut hinauf
und fällt zurück
ein Perlenmeer.
Urewig türmt
der Strahl sich ab
und baut sich wieder
aus sich selbst,
urewig kreißt
der Schoß und nimmt
Empfängnis
von der eignen Frucht.
In Silberschauern,
wirbeln sich
[389]
Legionen Tropfen
durch den Raum...
Im Garten Gottes
spielt ein Born
gedankenlos
das Spiel der Welt.

Vöglein Schwermut

Ein schwarzes Vöglein fliegt über die Welt,
das singt so todestraurig...
Wer es hört, der hört nichts andres mehr,
wer es hört, der tut sich ein Leides an,
der mag keine Sonne mehr schauen.
Allmitternacht, Allmitternacht,
ruht es sich aus auf dem Finger des Todes.
Der streichelt's leis und spricht ihm zu:
„Flieg, mein Vögelein! Flieg, mein Vögelein!“
Und wieder fliegt's flötend über die Welt.

Legende

Vom Tisch des Abendmahls erhob
der Nazarener sich zum Gehn
und wandte sich mit seiner Schar
des Ölbergs stillen Wäldern zu.
Erloschen war der Wolken Glut;
in Hütt und Höfen ward es licht;
hell glänzten nah und näher schon
die Fenster von Gethsemane.
Aus einer Scheune klang vertraut
das Tanzlied eines Dudelsacks,
und Mägd und Bursche drehten sich
zum Feierabend drin im Tanz.
Und Jesus trat ans Tor und sah
mit tiefem Aug dem Treiben zu...
Und plötzlich übermannte ihn
ein dunkles, schluchzendes Gefühl.
[390]
Und Tränen in den Augen, trat
er zu auf eine junge Magd
und faßte lächelnd ihre Hand
und schritt und drehte sich mit ihr.
Ehrfürchtig wich der rohe Schwarm;
die Jünger standen starr und bleich —
Er aber schritt und drehte sich
als wie ein Träumer, weltentrückt.
Da brach auf eines Jüngers Wink
des Spielers Weise jählings ab —
ein krampfhaft Zucken überschrak
des Meisters hagre Hochgestalt — :
Und tief verhüllten Hauptes ging
er durch das Tor dem Garten zu...
Wie dumpf Gestöhn verlor es sich
in der Oliven grauer Nacht.

Bestimmung

Von dieser Bank hinaus zu träumen,
wenn ferner Erdsaum, lichtverwaist,
entgegen den gestirnten Räumen,
die Sonne dampfend überkreist! ...
Da fühle deine treue Erde,
wie sie ihr Weltwerk schafft und schafft,
daß jedes Land gesegnet werde
von ihrer Mutter trunkner Kraft!
Und wie du heiß die Arme breitest,
von mächtigem Gefühl erfaßt,
und dein Gefühl zur Menschheit weitest,
die dumpf und dunkel liebt und haßt, —
ergreifst du, was du bist, von ferne,
und was du darfst und was du mußt,
und wirst dir deiner guten Sterne
von neuem still und stolz bewußt.

Abendläuten

[391]
In deine lange Wellen,
tiefe Glocke,
lege ich die leise Stimme
meiner Traurigkeit;
in deinen Schwingen
löst sie
sanft sich auf,
verschwistert nun
dem ewigen Gesang
der Lebensglocke,
Schicksalsglocke,
die
zu unsern Häupten
läutet, läutet, läutet.

Nordstrand

Tiefsinnig blaun die Berge durch die Dämmernacht,
(im Dorf die Glocke scholl soeben zwölf)
vom wolkenvollen Himmel brütend überbrückt,
vom regungslosen Fjorde bleiern eingefaßt.
Und eine Stille! Hämmer schmieden hallend Erz, —
unzählige Glocken läuten Sturm, — Gesang
erfüllt die Lüfte, — Unterweltliches reckt sich dumpf, —
ein Ringen wie ein Schatten wälzt sich durch den Raum,
und aus der Ferne klagt ein langgezogener Ton — — —

Erster Schnee

Aus silbergrauen Gründen tritt
ein schlankes Reh
im winterlichen Wald
und prüft vorsichtig, Schritt für Schritt,
den reinen, kühlen, frischgefallenen Schnee.
Und deiner denk ich, zierlichste Gestalt.

Das Horn

[392]
Ein Knabe stand im gelben Sonnenstrahl
und stand in weiten, seidenen Gewändern.
Vom Halse hing ein Horn an bunten Bändern,
wie Linnen weiß und leuchtend wie Opal.
Der Knabe hob das Horn an seinen Mund,
sein junges Lebensleid darein zu singen:
O du mein Lied, falt aus die schweren Schwingen,
wach auf in meiner Seele tiefem Grund!
Da sang das Horn, es blühte die Schalmei,
als sei ein Heiland just geboren worden.
Der Knabe stand und lauschte den Akkorden,
und wußte nicht, wie ihm geschehen sei.
Es war ein Lied, von Glück nicht, nicht von Leid,
es war ein Lied von einem Menschenleben;
und ging das Feld entlang wie Frühlingsbeben
und wuchs empor in die Unendlichkeit.
Der Knabe stand, vor Staunen bleich und bang,
ihm war mit einem Mal, als könnt er beten
und reinen Herzens vor den Herrgott treten.
Das war das Horn mit seinem Wundersang.
Da ging der Knabe in die Welt zurück,
wie Jesus war, so fromm und mild und weise
und reich. Er sagte in den Abend leise:
Du junges Leid, dich heiß ich Leidensglück.

Altes Gebetbuch

In meiner Mutter vergilbtem Gebetbuch fand
ich heut in einem schluchzenden Gebete
dies zärtliche Blatt von fremder Männerhand:
„Geliebtes Mädchen, sei mir Rausch und Lethe!“
[393]
Auf leisen Flügeln schwebt, verträumt und lind,
der Mutter Antlitz her aus fernen Tagen:
Am Sonntag nahm sie das heilige Buch vom Spind
und tat es still zu St. Magdalena tragen.
Doch ach, der Liebe glutumhauchtes Blatt
verbrannte fast die kleinen, rosigen Hände.
Und wenn der greise Pater gepredigt hat
und gefleht, daß Jesus Schuld und Sünde wende.
Da hat sie zitternd ihr Büchlein aufgetan,
just an der heimlichen, an der verwegenen Stelle,
wie sieht die Muttergottes sie gütig an,
wie schweben die Engel selig in Duft und Helle!
„Geliebtes Mädchen, sei mir Rausch und Lethe...“
Wenn's nur der Vater nicht durch die Brille sieht!
In die dunkle Kirche schwebt, eine windverwehte,
weiße Blüte, das lächelnde Liebeslied.

Aus „Mit roten Kressen“

Mit roten Kressen hatt ich mich geschmückt —
Du hast sie jäh an deiner Brust zerdrückt.
Mit bleichen Wangen bot ich dir den Gruß —
In Flammenwogen tauchte sie dein Kuß.
Mit ruhigem Herzschlag trat ich zu dir her, —
und nun, und nun: ich kenne mich nicht mehr...
***
Nun lachst du mich verstohlen an
mit dunklem Auge, du fremder Mann;
mit brennender Lippe streifst du mich —
heiß pocht mein Herz: ich kenne dich!
[394]
Aus schwüler Träume Zauberspuk,
aus wüsten Schemen voll Lug und Trug,
aus Frühlingsnächten voll Windeswehn
hab ich dein Bild mir winken sehn!
Aus düster flammendem Morgenrot,
das Hagelschauer den Saaten droht,
aus lohendem Blitz, wenn ein Wetter braut,
hat schon dein Auge mich angeschaut...
Nun trittst du selbst in meinen Pfad:
Ich weiß, daß mein Verhängnis naht;
mit brennender Lippe streifst du mich —
wild rast mein Blut — ich grüße dich!
***
Und weil du meinem besseren Wesen mich
entfremdet hast in jener schwülen Stunde,
weil ich dich liebe, darum haß ich dich,
ja, haß ich dich aus meines Herzens Grunde!
Ich rüttle wild das eiserne Geflecht,
das ich mir selber habe schmieden müssen;
in deinen Armen haß ich dich erst recht —
und töten möcht ich dich mit meinen Küssen!
Laut pocht dein Herz — und dürstend blickt dein Aug:
den Becher hebst du, — wohl, so laß uns trinken!
verglühen sollst du noch in meinem Hauch
und sterbend mit mir in die Flammen sinken!
***
Und wo ich geh im Dämmerschein,
im öden Park — ich geh zu zwein:
im Märzschneetreiben um mich wallt
ein Lenzhauch, eine Duftgestalt
mit flehenden Kinderaugen...
Ein wehes Weinen irrt im Wind;
empor aus feuchter Tiefe spinnt
ein Brodem, der mich kühl umfängt,
der weich an meine Brust sich drängt
mit dürstenden Kinderlippen...

O, einen Sturm!

[395]
O schilt nicht, daß mein Flug erlahmt,
daß farblos meine Lieder kranken:
Mein Herz ward müde, stumpf mein Hirn,
zu stumpf für einen Glutgedanken.
Im öden Dünensand verweht
ist all mein Ringen — Lust und Fehle —
Es tönt wie müder Wogenschlag
das Lied aus meiner kranken Seele.
O, einen Sturm, mein Gott, mein Gott,
daß er die Kraft mir neu belebe,
daß er in Blitz und Wetterschlag
von meinem Pfad die Nebel hebe!
Nur einen Strahl des Lichtes, Herr! —
Ich hebe aus den Eisenketten
den wundgeriebenen Arm empor:
Noch kann mich deine Gnade retten.
Du schenktest einst im Morgengraun
ein köstlich Kleinod deinem Kinde,
ein Kronjuwel im Erdenstaub,
nun hilf mir, daß ich nicht erblinde!
Nun schließe du die finstre Kluft,
darin mein Bestes will versinken, —
den bleichen Schemen wehre, die
das Blut aus meinen Adern trinken!
O, einen Sturm, mein Gott, mein Gott,
daß er die Kraft mir neu belebe,
daß er in Blitz und Wetterschlag
den Bann von meiner Seele hebe!

Im Novembersturm

Der Sturmwind rast und der Regen schlägt
ans Fenster in schweren Tropfen — — —
Ich fühl in der tollen Novembernacht
mein Herz wohl hörbar klopfen.
[396]
Es schlägt in brennender Ungeduld
sehnsüchtig und beklommen...
Ach, wenn die Stunde doch Flügel hätt
und wäre der Winter gekommen!
Und deckte die Ströme das blinkende Eis
und der Schnee die schweigende Runde —
Und wären wir endlich allein, allein
in der heimlichen Mitternachtsstunde!
O Liebster, Liebster, — der Sturmwind rast
und der Regen rauscht endlos nieder —
Mir aber fluten durch Haupt und Herz
traumselige Liebeslieder.

Ostára

Vom Himmel ist der Frühlingsregen
herabgerauscht die ganze Nacht, —
ich hört im Traum die Tropfen fallen
und habe lächelnd dein gedacht.
Und nun im lichten Frührotkleide
der Tag vor meiner Türe steht,
nun schließ ich unter Tränenströmen
dich in mein heiligstes Gebet.
***
Komm du, wir wollen traulich schreiten
wie selige Kinder, Hand in Hand,
durch blütenschwangre Frühlingsweiten,
durch warmbesonnten Meeressand.
Die Luft erklingt, die Wipfel lauschen,
die Sonne grüßt uns trunknen Blicks, —
und über unsere Seelen rauschen
die Wogen des Ostáraglücks.
Das ist ein Wachsen und ein Werden,
wir wandeln wie voll süßen Weins:
Eins sind wir mit der Kraft der Erden
und mit dem Himmel sind wir eins.
[397]
Wie rings die Ferne sich entschleiert
in Glut und Glanz und Windeswehn,
so — Aug in Auge! — leuchtend feiert
die Gottheit in uns Auferstehn!

Gräfin Monbijou

Am ersten Tag im Karneval,
— der erste Tag, der machte es, —
am ersten Tag im Karneval,
auf allen Straßen lachte es,
da küßte Gräfin Monbijou
die Perlweinschale von Kristall,
sie trank dem blonden Pagen zu,
der Page, der hieß d'Autreval.
Graf Monbijou, was tatest du? —
Im Saale braust die Karmagnole,
er sah dem Spiel der Masken zu,
wer war die schönste Maske wohl?
Die schönste Maske lacht und tollt,
und mit ihr tanzt ein junger Fant,
vom Nacken fließt wie flüssig Gold
ihr Blondhaar über seine Hand.
Und kühles Haar auf heißer Hand,
ein dunkler Blick, der Blick wird hell, —
das junge Blut hat sich erkannt,
und junges Blut erkennt sich schnell.
„Du lieber, liebster Page, sprich,
kommst du heut nacht zum Schloß am Meer?“ —
Der Page kam, die Nacht verstrich,
das Tor stand auf, der Saal war leer. —
[398]
Am letzten Tag im Karneval,
— der letzte Tag, der machte es, —
am letzten Tag im Karneval
im Forst von Digne lachte es,
vom Digner Paß in aller Früh
durch die Provence ein Jauchzen strich,
im selben Sattel saßen sie
und küßten sich und küßten sich.

Der Pantoffel
Radierungen

Der Schwertgriff war sein heiliges Kreuz,
sein Glaube: die Reiterpistolen,
und sein Gebet hieß kurz und ernst:
„Euch soll der Teufel holen!“
Er war im Heere des Kaisers Obrist,
und focht in vierzig Gefechten,
sieben Jahre saß er im Sattels tags
und würfelte in den Nächten.
Und prasselten dumpf auf das Trommelfell
die beinernen Knöchel nieder,
so holte der Edle von Torney vor
das rauhste der rauhen Lieder.
Er sang nicht schön, aber er sang laut,
das Zelttuch wogte am Pfahle, —
es hatte das Lied nur einen Vers,
doch sang er ihn fünfzehnmale:
Dat größte Swien, dat de Buer hätt,
dat slöpt in sinen Ehebett
un slöpt bi Hinz un Stoffeln,
un löpt es up den Hove rum,
so löpt es in Pantoffeln,
hurrjeh!
dat Swien löpt in Pantoffeln!

Bauernaufstand
Radierungen

[399]
Die Glocken stürmten vom Bernwardsturm,
der Regen durchrauschte die Straßen,
und durch die Glocken und durch den Sturm
gellte des Urhorns Blasen.
Das Büffelhorn, das lange geruht,
Veit Stoßberg nahm's aus der Lade,
das alte Horn, es brüllte nach Blut
und wimmerte: „Gott genade!“
Ja, gnade dir Gott, du Ritterschaft!
der Bauer stund auf im Lande,
und tausendjährige Bauernkraft
macht Schild und Schärpe zu Schande!
Die Klingsburg hoch am Berge lag,
sie zogen hinauf in Waffen,
auframmte der Schmied mit einem Schlag
das Tor, das er fronend geschaffen.
Dem Ritter fuhr ein Schlag ins Gesicht
und ein Spaten zwischen die Rippen, — —
er brachte das Schwert aus der Scheide nicht,
und nicht den Fluch von den Lippen.
Aufrauschte die Flamme mit aller Kraft,
brach Balken, Bogen und Bande, — —
ja, gnade dir Gott, du Ritterschaft:
der Bauer stund auf im Lande!

Zu jung

In der Tempete längs des Saals schassiert,
auf jungem Pferd durchs Heidland galoppiert,
die Quart geschlagen und die Quart pariert,
oder den Stierkopf Weins zum Mund geführt, —
was tat ich lieber?
Viel lieber ist mir als der tollste Tanz
weißblonder Schultern matter Seidenglanz.
[400]
Und bei der Reitjagd seh ich unverwandt,
wie fest das Kleid um ihre Hüften spannt.
Ein junger Haß macht Hieb und Herzen heiß,
und junge Freundschaft wohl zu zechen weiß,
doch Streicheln ist so hold, und hart der Schlag,
ich liebe lieber, als ich hassen mag.
Die Hand ist strenger Ritterschaft nicht wert,
sie liegt in Locken lieber als am Schwert!
Sie streifte auch den Wappenring wohl ab
für einen Reif, den ihr die Liebe gab!

Jagdlied

Die Hohe Jagd hebt wieder an,
ich sag's den Herren allen,
ich sag es Fürst und Edelmann:
Damhirsch und Hirsch muß wieder dran,
den keiner noch im Schuß gewann,
muß fallen!
Die Graugans zieht, die Ente quarrt
im Abendrotglutscheine.
Was dort in zwanzig Enden starrt
und mit gesplißnem Hufe hart
den nachtfrostfesten Boden scharrt,
ist meine!
Aufschreit der Schuß, der Bracke lärmt
durchs Blau des Fingerhutes, —
die Welt, die drüben sorgt und härmt,
und für die kleinen Leute schwärmt,
in Woll und Watte sie sich wärmt,
und wir sind Herrenblutes!

Straßenlied

Es liegt etwas auf den Straßen im Land umher,
in Welschland und in Britannien und am Meer,
[401]
am Rhein und wo die Scholle der Newa splittert wie Glas,
es liegt etwas auf den Straßen, ich weiß nicht was.
Ich hab auf den Straßen verlaufen sieben Paar Schuh,
mein Stecken blieb immer derselbe, mein Herz dazu,
ich wanderte sieben Jahre durch Regen und Sonnenlicht,
und die Straßen wußten mein Glück und sagten es nicht.
Es pfeift eine Drossel in Thule am Holderstrauch,
und hab ich Land Elend gefunden, so find ich Thule auch,
die Drossel weiß meiner Sehnsucht süßesten Reim,
und alle Straßen im Lande sagen: „Kehr heim!“

Saul bei der Hexe von En Dor

Auf Samuels Grabe glänzte die Sonne grell,
und Saul der Düstre ward König von Israel,
schwarz blickte sein brennendes Auge am Morgen der Schlacht
und düster aufs fliehende Volk zur Mitternacht.
Wohl schrie er zum Gotte der Väter am Rauchaltar,
wohl bracht er den weißen Widder zum Opfer dar,
wohl floß das Blut der Farren wie rotes Band
vom weißen Stein über seine braune Hand, —
um ernst Gebet und Blut und die Kraft im Speer,
es hörte der alte Gott sein altes Volk nicht mehr.
Am lodernden Lagerfeuer sprach Saul verstört:
„So sucht mir das Weib, das die Toten heraufbeschwört!“
Und sie ritten zur Hexe von En Dor bei der Nacht,
dreimal schlug Saul an die Tür, sie ward aufgemacht,
dreimal zu den Pforten des Todes schrie Schalomai,
und die Pforten des Todes barsten beim dritten Schrei.
Und es dampfte Gewölk, und es sagte der Hexe Mund:
„Einen Krieger seh ich steigen aus tiefem Grund...“
Da wallte ein Mantel im Rauch und ein Pardelfell,
vor König Saul stand Richter Samuel.
[402]
„Was störst du mich auf von den Toten zu irdischem Licht?“
— — — — — — — — — — — — — — — — —
„Der Ewige hört die alten Gebete nicht!
Es schwelt der Rauch vom Steine nieder zum Grund,
es schweigen Licht und Träume und Priestermund:
Meine Söhne und ich, wir starrten zur Opferglut,
meinen Söhnen und mir versagten Gebet und Blut,
meine Söhne und ich, wir standen im Schrei der Schlacht
— und tausend Erschlagene fielen in einer Nacht!“
Da sprach eine Stimme und sprach nicht dort noch hier
Morgen bist du und deine Söhne bei mir!
Aufschrie der König, — sein Herz schlug schweren Schlag,
und über Gilboa graute sein Schicksalstag.

An den Mistral
Ein Tanzlied

Mistral-Wind, du Wolkenjäger,
Trübsal-Mörder, Himmels-Feger,
Brausender, wie lieb ich dich!
Sind wir zwei nicht Eines Schoßes
Erstlingsgabe, Eines Loses
Vorbestimmte ewiglich?
Hier auf glatten Felsenwegen
lauf ich tanzend dir entgegen,
tanzend, wie du pfeifst und singst:
Der du ohne Schiff und Ruder
als der Freiheit freister Bruder
über wilde Meere springst.
Kaum erwacht, hört ich dein Rufen,
stürmte zu den Felsenstufen,
hin zur gelben Wand am Meer.
[403]
Heil! da kamst du schon gleich hellen
diamantnen Stromesschnellen
sieghaft von den Bergen her.
Auf den ebnen Himmels-Tennen
sah ich deine Rosse rennen,
sah den Wagen, der dich trägt,
sah die Hand dir selber zücken,
wenn sie auf der Rosse Rücken
blitzesgleich die Geißel schlägt, —
sah dich aus dem Wagen springen,
schneller dich hinabzuschwingen,
sah dich wie zum Pfeil verkürzt
senkrecht in die Tiefe stoßen —
wie ein Goldstrahl durch die Rosen
erster Morgenröten stürzt.
Tanze nun auf tausend Rücken,
Wellen-Rücken, Wellen-Tücken —
Heil, wer neue Tänze schafft!
Tanzen wir in tausend Weisen,
frei — sei unsre Kunst geheißen,
fröhlich — unsre Wissenschaft!
Raffen wir von jeder Blume
eine Blüte uns zum Ruhme
und zwei Blätter noch zum Kranz!
Tanzen wir gleich Troubadouren
zwischen Heiligen und Huren,
zwischen Gott und Welt den Tanz!
Wer nicht tanzen kann mit Winden,
wer sich wickeln muß mit Binden,
angebunden, Krüppel-Greis,
wer da gleicht den Heuchel-Hänsen,
Ehren-Tölpeln, Tugend-Gänsen,
fort aus unserm Paradeis!
Wirbeln wir den Staub der Straßen
allen Kranken in die Nasen,
scheuchen wir die Kranken-Brut!
[404]
Lösen wir die ganze Küste
von dem Odem dürrer Brüste,
von den Augen ohne Mut!
Jagen wir die Himmels-Trüber,
Welten-Schwärzer, Wolken-Schieber,
hellen wir das Himmelreich!
Brausen wir... o aller freien
Geister Geist, mit dir zu zweien
braust mein Glück dem Sturme gleich.
Und daß ewig das Gedächtnis
solchen Glücks, nimm sein Vermächtnis,
nimm den Kranz hier mit hinauf!
Wirf ihn höher, ferner, weiter,
stürm empor die Himmelsleiter,
häng ihn — an den Sternen auf!

An Goethe

Das Unvergängliche
ist nur ein Gleichnis!
Gott der Verfängliche
ist Dichter-Erschleichnis...
Welt-Rad, das rollende,
streift Ziel auf Ziel:
Not — nennt's der Grollende,
der Narr nennt's — Spiel...
Welt-Spiel, das herrische,
mischt Sein und Schein: —
Das Ewig-Närrische
mischt uns — hinein! ...

Vereinsamt

Die Krähen schrein
und ziehen schwirren Flugs zur Stadt:
Bald wird es schnein —
wohl dem, der jetzt noch Heimat hat!
[405]
Nun stehst du starr,
schaust rückwärts, ach, wie lange schon!
Was bist du Narr
vor Winters in die Welt entflohn?
Die Welt — ein Tor
zu tausend Wüsten stumm und kalt!
Wer das verlor,
was du verlorst, macht nirgends Halt.
Nun stehst du bleich,
zur Winter-Wanderschaft verflucht,
dem Rauche gleich,
der stets nach kältern Himmeln sucht.
Flieg, Vogel, schnarr
dein Lied im Wüstenvogel-Ton! —
Versteck, du Narr,
dein blutend Herz in Eis und Hohn!
Die Krähen schrein
und ziehen schwirren Flugs zur Stadt:
Bald wird es schnein,
weh dem, der keine Heimat hat!

Nach neuen Meeren

Dorthin — will ich; und ich traue
mir fortan und meinem Griff.
Offen liegt das Meer, ins Blaue
treibt mein Genueser Schiff.
Alles glänzt mir neu und neuer,
Mittag schläft auf Raum und Zeit —:
Nur dein Auge — ungeheuer
blickt mich's an, Unendlichkeit!

Sils-Maria

Hier saß ich, wartend, wartend, — doch auf nichts,
jenseits von Gut und Büse, bald des Lichts
[406]
genießend, bald des Schattens, ganz nur Spiel,
ganz See, ganz Mittag, ganz Zeit ohne Ziel.
Da, plötzlich, Freundin! wurde eins zu zwei —
— Und Zarathustra ging an mir vorbei...

Bei der dritten Häutung

Schon krümmt und bricht sich mir die Haut,
schon giert mit neuem Drange,
so viel sie Erde schon verdaut,
nach Erd in mir die Schlange.
Schon kriech ich zwischen Stein und Gras
hungrig auf krummer Fährte,
zu essen das, was stets ich aß,
dich, Schlangenkost, dich, Erde!

Niedergang

„Er sinkt, er fällt jetzt“ — höhnt ihr hin und wieder;
die Wahrheit ist: er steigt zu euch hernieder!
Sein Überglück ward ihm zum Ungemach,
sein Überlicht geht eurem Dunkel nach.

Der Weise spricht

Dem Volke fremd und nützlich doch dem Volke,
zieh ich des Weges, Sonne bald, bald Wolke —
und immer über diesem Volke!

Sternenmoral

Vorausbestimmt zur Sternenbahn,
was geht dich, Stern, das Dunkel an?
Roll selig hin durch diese Zeit!
ihr Elend sei dir fremd und weit!
Der fernsten Welt gehört dein Schein:
Mitleid soll Sünde für dich sein!
Nur Ein Gebot gilt dir: sei rein!

Die Sonne sinkt

[407]
Tag meines Lebens!
Die Sonne sinkt.
Schon steht die glatte Flut vergüldet.
Warm atmet der Fels: schlief wohl zu Mittag
das Glück auf ihm seinen Mittagsschlaf?
In grünen Lichtern
spielt Glück noch der braune Abgrund herauf.
Tag meines Lebens!
Gen Abend geht's!
Schon glüht dein Auge halbgebrochen,
schon quillt deines Taues Tränengeträufel,
schon läuft still über weiße Meere
deiner Liebe Purpur,
deine letzte zögernde Seligkeit...

Um Mitternacht

Eins! O Mensch, gib acht!
Zwei! Was spricht die tiefe Mitternacht?
Drei! „Ich schlief, ich schlief —
Vier! Aus tiefem Traum bin ich erwacht!
Fünf! Die Welt ist tief —
Sechs! Und tiefer, als der Tag gedacht.
Sieben! Tief ist ihr Weh, —
Acht! Lust — tiefer noch als Herzeleid!
Neun! Weh spricht: Vergeh!
Zehn! Doch alle Lust will Ewigkeit —,
Elf! — Will tiefe, tiefe Ewigkeit!“
Zwölf!

Vor dem Christuskopf
(Gemalt von Gabriel Max)

[408]
Ich war allein im Saal — von außen her
drang nur gedämpft zum Ohr des Marktes Toben,
als wenn von fern man brausen hört das Meer.
Den Sessel nah zum Bilde hingeschoben,
das hell sich hob von dunkler Draperie,
hielt ich mein Auge fromm zu ihm erhoben.
Die bleiche Lippe schien, als hätte sie
sich erst von jenem Schmerzensruf geschlossen:
„Eli, Eli lama asabthani?“
Das Auge hatte Tränen noch vergossen,
bevor sein Lid sich schloß, umflort von Nacht,
auf dorngekrönte Stirn war Blut geflossen.
Den Heiland sah ich, der mit letzter Macht,
indes sein Haupt schon sinkt verscheidend nieder,
den Todesseufzer haucht: Es ist vollbracht!
Schmerzlich bewegt erhob ich mich, und wieder
warf ich den Blick von ferne auf das Bild,
und siehe, offen standen nun die Lider.
Ein Blick traf mich, der unbeschreiblich mild,
ein Lächeln sah ich um die Lippen schweben,
das jede Trübsal, jede Träne stillt.
Mir war, als wollten sie den Trost mir geben:
Ich bin die Liebe, hab erlöst auch dich!
Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben;
niemand gelangt zum Vater, denn durch mich!

Juninacht

Sterne künden die Nacht.
Glänzend wie Schwanengefieder
senkt sie zur Erde sich nieder.
Liebchen, habe nun acht!
[409]
Rings wie Nebel empor
heben sich Zaubergestalten.
Nymphen jetzt Zwiegespräch halten,
zärtlich seufzend im Rohr.
Oberon ruft zum Tanz;
Elfen umfangen sich lüstern.
Horche in den Zweigen das Flüstern!
Sieh, im Grase den Glanz!
Mohn blüht feurig im Korn,
wo sie im Reigen sich drehen.
Schleier wie Spinngeweb wehen
früh an Distel und Dorn.
Tauiger Hauch küßt wach
blühende Rosen und Reben,
läßt ihren Wohlgeruch schweben
bräutlich dir ins Gemach.
Küsse, küsse auch mich!
Liebchen, es bangt meine Seele,
daß mir der Geisterfürst stehle
als Titania dich.

Das Stoppelfeld

Ein kahles Feld vor meinem Fenster liegt.
Jüngst haben dort sich schwere Weizenähren
im Sommerwinde hin und her gewiegt;
vom Ausfall heute sich die Spatzen nähren.
Welch trübes Bild! Doch leiht ihm Sonnenschein
ein Kinderpaar, das auf den Stoppeln schreitet,
die letzte Lese sorgsam sammelt ein
und jeden Fund mit frohem Ruf begleitet.
Schon faßt den Ährenstrauß ihr Tüchlein kaum.
Am Bahndamm beide rastend niederhocken;
der Knabe schießt im Grase Purzelbaum,
das Mägdlein windet Blumen in die Locken.
[410]
Schwebt mir nicht hier mein eignes Leben vor?
Wohl rafften Zeit und Tod hinweg das Beste,
doch lachend zeigen Liebe und Humor:
Noch finden wir genug der Freudenreste!

Reiterschlacht

„Es geht in die Schlacht! Es geht in die Schlacht!
Nun laßt die Trompeten schmettern!
Nun fahret darein wie der Blitz in der Nacht,
mit Leuchten und Donnern und Wettern!
Nun lasset den Rossen den wilden Lauf,
kein Zügel halte ihr Rasen auf!
Nun brauset dahin über Flur und Feld!
Nicht zurückgeschaut! Was fällt, das fällt!
und reitet zu Boden, was sich euch stellt!
Dem Reitersmanne gehört die Welt!“
Und wir brausten dahin, daß die Erde klang,
der Trompeter blies, daß sein Horn zersprang!
Ein rollender Donner dröhnte durchs Tal...
Ein Wutschrei verdoppelt tausendmal!
Mit wildem Gebrüll, in geschlossenen Reihn
ging's wie der Blitz in den Feind hinein!
Ein eherner Wall, in funkelnder Wehr...
Verderben und Tod rings um uns her!
Wir rannten zu Boden, was vor uns stand,
und unter den Hufen der Feind verschwand...
Die Erde stiebte und hüllte uns ein
in dichte Wolken: der Waffenschein
erlosch in tiefer, in dunkler Nacht,
im Staube, dem Pulver der Reiterschlacht!
Nur rechts und links ein prasselnder Laut,
den Nebenmann hat keiner geschaut!
Ein dumpfer Donner und Waffengeklirr...
[411]
ein Säbelgerassel und Klingengeschwirr...
ein schwerer Fall... ein Wehegeschrei...
und Rossesschnauben... dann alles vorbei!
Aus der Ferne verklingender Hufesschlag...
der Staub verzogen und wieder Tag!
Gefallene Rosse im Kreise herum...
viel hundert Reiter am Boden stumm! ...
Nach Siegestaumel die ewige Ruh!
Bluttriefender Lorbeer deckt sie zu!
Gespenstige Stille auf weitem Plan!
Erquickender Frieden nach kurzem Wahn! ...
Wie ein Traum vorüber die Reiterschlacht...
Und über das Blachfeld sinkt nieder die Nacht!

Am Wärterhaus

Ich stand so oft als Knabe
am kleinen Wärterhaus,
lugt nach den Dampfeswolken
der Lokomotive aus.
Und wenn dann heulend, zischend
gebraust kam der Koloß,
von weitem langsam... sausend
an mir vorüber schoß:
dann starrte ich wohl lange
dem letzten Wagen nach,
bis leer vor mir und einsam
der Strang der Schienen lag!
„Wer auch so könnte fahren
hinaus ins weite Land!“
Mir hat im kleinen Herzen
die Sehnsucht heiß gebrannt!
Nun bin ich hinausgefahren
mit sausendem, brausendem Zug,
ein Jüngling, voller Sehnsucht
das Herz mir bebend schlug!
[412]
Und möchte doch wiederkehren
zum kleinen Wärterhaus
und wieder als Knabe lugen
den Schienenstrang hinaus!

Lied des Mädchens am Fenster

Ein Wandrer in der Gassen,
der acht mein Fenster gar so wohl,
ich tät ihn gern was fragen,
weiß nit, ob ich's soll.
Herr Wandrer in der Gassen,
ich hab kein Ruh, kein Ruh habt Ihr.
Will mir's doch keiner sagen,
ob Ihr wollt zu mir.
***
In meiner stillen Gassen,
das war vom Mond so hell und bang.
Im Schlummer wollt ich warten
bis das Fenster klang.
Aus einer stillen Gassen
der Wandrer kam von ungefähr,
in einem silbern Garten
zu herzen mich und trösten sehr.

Im Gespräch mit dem Geliebten

Kapitän in des Herzogs Garde
ist einer der Freier sogar.
Ein schlanker Savoyarde,
hat kohlenschwarzes Haar
[413]
Sein Antlitz wie gelbes Leder,
sein Auge finstre Glut.
Es schillert die schwarze Feder
aus seinem spitzen Hut.
Auf dem schwarzen Leibrock trägt er
ein violettes Band.
An seinem Degen legt er
so oft die hagre Hand.
Er stellt nach allen Frauen,
wo immer klingt sein Sporn.
In seinen scharfen Brauen
liegt's wie Begier und Zorn.
Da unten klirrt er vorüber,
die Hand am Degenknauf!
O tritt zurück, mein Lieber!
er steht, er lugt herauf.

Wohin ich jetzt sehe...

Wohin ich jetzt sehe,
ist hell lichter Tag.
Den Weg, den ich gehe,
geht keiner mir nach.
Ihr Weinenden glaubet
ich steige ins Grab.
Ich leg mein bestaubet
Gewande nur ab.
Mein Gott, der ist stille
und lädt mich zur Ruh,
doch mißt mir sein Wille
viel Freuden noch zu.
Ja, wenn mich im Dunkel
eu'r Auge verlor,
ich bin zum Gefunkel
der Himmel empor.

Der Wanderer

[414]
Ob ich gleichmütig-traurig wandelte
durch enghohe Gassen unterm grau und hellen Märzenhimmel;
oder erschauernd schritte in Regengüssen,
die herniederwehn über die Waldberge;
ob der Sturmwind ränge mit mir
wie ein Räuber, der mich überfällt in der flachen Ebene; —
was treibt mich an, was wärmt mich doch,
was gibt mir Freude, zu widerstehen?
Daß ich weiß, du lebest,
und deine Gedanken fliehen zu mir
und greifen in meinen wehenden Mantel
wie Göttern gehorchende Genien
und führen mich an den Händen
hin zu dir, deren Seele mein Haus ist.
Wenn der feurige Abend verkläret den reinen Himmel
und der Wald düstert, nur die runden Wipfel erglänzen,
und des Tales Seen erblinden in Nebelfloren,
fern schimmert der äußerste noch;
wenn die weißen Schwäne im niedern Fluge, langgestreckt
vorüberziehen, den dunklen Weihern zu;
wenn über den leicht hinschwimmenden Wolken der Ferne
der große Palast der Nacht sich baut
und aus klaren Fenstern grüßet die Freude der Seligen; —
was gibt denn mir Ruhe und milde Kühle
und löset meine Gedanken, und ich entschlafe?
Daß ich weiß, du lebest,
und dieser Arm wird dich herzen,
ehe wieder die Sonne sank.
Morgen, ja ehe die Sonne sank,
zieht der Wanderer in das geschmückte Haus.

Einsamer Wanderer

[415]
Mich sah das Morgenrot schon rüstig schreiten,
nun brennt der Mittag unbarmherzig nieder;
nichts findet er als mich in all den Weiten!
Vergebens such ich Schutz vor seinen Bränden,
in meinen eignen Schatten möcht ich sinken,
denn sonst ist nichts, das Schatten könnte spenden.
Die Fernen sich mit weißem Dunst bedecken,
der öde Weg scheint sich nach jedem Schritte
nur immer endlos weiter auszurecken.
Bald seh ich ihn nach rechts, nach links sich wenden,
als wüßt er sich nicht mehr zurechtzufinden
und würde nie mehr unter Menschen enden!
***
O wundervolle Waldesnacht!
Mein Herz schlägt leis und leiser,
der Mond zu meinen Häupten wacht
als trauter Wegeweiser.
Nun hab ich keine Ruhe mehr
und selig schreit ich weiter;
wie war das Wandern gestern schwer,
wie ist es heute heiter!
Die Linden lüften leis ihr Laub,
es rieselt Blüten nieder...
Vergessen Sturm und Wegestaub:
Ich bin in meiner Heimat wieder!

Halt mich!

[416]
Nachthimmel, hin durch den endlosen Raum
breitet sich dein Kleid
königlich. Deines Gewandes Saum
ist ein Perlengeschmeid.
Und ein Sternlein heißt Erde.
Erde, ich suche dein Ende;
nimmer greifen es meine Hände.
Gewaltige Erde, wie heiße ich? ...
Halt mich! Ich seh rings mit Gewalt
Unendlichkeiten winken.
Halt mich! Ich müßte ohne Halt
als Nichts im All versinken.

Das Glöcklein beim Gewitter

Wilde Wölfe laufen durchs Korn.
Wehe, die Wettermeute!
Über dem Tannwald reckt sich die Faust
dräuender Wolken nach Beute.
Da hebt das Glöcklein zu beten an:
Gott schütze uns Haus und Feld und Tann!
Nieder erdab das Unheil fährt,
sausenden Schwungs wie Hammerschlag.
Flammensprühend der Amboß dröhnt.
Grausend schließt die Augen der Tag.
Dem Glöcklein bricht die Stimm vor der Not:
Die armen Leute, das liebe Brot!
Wo noch früh die Ähre genickt,
liegt ein Grab voll Schlamm und Eis,
liegt zerschlagen, zerstampft im Grund,
was gebaut der Mensch mit Fleiß.
Da ruft das Glöcklein beim Abendstern:
Erhebt die Hände zu Gott, dem Herrn!

Nachts übers weiße Grabfeld

[417]
Nachts übers weiße Grabfeld
suchend des Todes Leuchte streift,
ob er nirgend ein Leben greift.
Bäume schwarz stehn zum Himmel.
Ausgeplünderte, letzte Not.
Ruten, damit der Tod
seinen Weg gezeichnet im Schnee.
Unterm Fuße singelt schneidendes Weh...
Leuchte nicht so auf den einsamen Mann!
Ich trotze dich an!

Mich suchte Gottes Auge

Hinter des Waldes hochstämmigen Buchen
kam ein leuchtend Auge hervor,
groß, am Abend. Und wollt etwas suchen...
Die Leute sagen: Der Mond stieg empor
über dem Berg.
Der Wald aber leis
schüttelt das Haupt: Der Mond ist es nicht —
Gottes Auge!
Und Blatt und Reis
schauert im Licht.
Was kam das Auge zu suchen?
Liebreich Stamm und Wipfel hinan
fühlen die Blicke: daß Gott euch behüte!
Selbst den finster-ernsten Tann
überglänzt die freundliche Güte.
Suchte das Auge den Wald? ...
Mit mir das Auge den Wald verläßt.
Frei umfaßt's mich, heilig und fest!
Auge in Auge! Sein Leuchten spricht:
Dich suchte Gottes Augenlicht —
sein Kind!

Am Abend wird die Tiefe leuchten

[418]
Auf der Düne stand ich abends einsam.
Ruhlose Meerflut, endlos auf und ab!
Wasserwuchten wälzte die See aus der Tiefe
donnernd strandauf. Und wieder zu Gischt und Grad
wich die Welle. Wieder zur Tiefe.
Mir war's, als käm in Sprüngen die dunkle Zukunft
her; als fände mein Ohr hier ihren Mund,
redend das Unnennbare, was die dunkelste Ferne
birgt als das Letzte, tiefunten im Grund.
Und vor der Zukunft tat ich die zitternde Frage:
Was ist das Letzte im Leben, zuletzt?
Was kommt dann, wenn einmal der Wogengang
auch mich auswirft? Lieg ich am Strand wie jetzt
Seestern und Qualle, Trümmer und Tang? —
Wasserwuchten ruhlos auf und ab
wälzte die Tiefe donnernd zu Land.
Immer schäumte das offene Grab...
Und ich lauschte brennenden Auges am Strand:
Antwort! gib Antwort!
Offenbarung! Wahrlich die Zukunft spricht!
Sieh dort, das Dunkel wird leuchtendes Licht!
Die schwarzen Wasser glänzen
mild auf in Strahlenpracht.
Es steigt mit lichten Kränzen
die Tiefe aus der Nacht.
Das ist eine funkelnde Helle,
Meerleuchten weit und breit,
es trägt noch die sterbende Welle
zum Strand ein Perlengeschmeid.
[419]
Das ist die ewige Wahrheit,
daß einst die Nacht zerbricht,
dann tritt unendliche Klarheit
aus dunklem Tor ans Licht! —
Auf der Düne hob ein Mensch die Hände,
freudebebend tat sein Aug sich feuchten!
Habe Dank, du Meer, für deinen Wahrspruch:
Einst, am Abend wird die Tiefe leuchten!

Aus „Meine Jugend“

Die Lampe will mir ausgehn.
Todmüde ziehe ich meine Taschenuhr:
Nach Mitternacht,
Plötzlich sehe ich den Sekundenzeiger rennen,
Entsetzen packt mich.
Halt! Halt!
Er tickert mein ganzes Leben herunter!
Unaufhaltsam versaust meine Zeit ins Nichts.
***
Auf der glühenden Landstraße, die nach dem Himmel führt,
schleppe ich mich vorwärts.
Ich sehe kein Ende.
Schmächtige Pappeln stehen am Weg.
Ihre vertrockneten Blätter
beben.
Mit einem dünnen Schatten um den andern
komme ich der Seligkeit näher,
wo ich zusammenbrechen darf!

Spätherbst

[420]
Fahlgrau verdämmert der Tag...
Nebel in flatternden Stücken,
will mir die Brust bedrücken,
Furcht regt sich im Föhrenschlag.
Und schon nahet der Sturm,
Herbst beugt die greisen Bäume, —
in meine dumpfen Träume
zittern die Glocken vom Turm.
Schall und verworrener Klang
aus dem Häusergewimmel;
Dampf quillt zum nächtlichen Himmel
in aufstrebendem Drang.
Dunkel schleicht mir ins Herz,
Wolken ballen sich dichter —
Aber drüben die Lichter
winken mir heimatwärts.

Heimatglocken

Ich schrecke empor in tiefer Nacht...
Der Heimat Glocken höre ich gehn;
sie haben mir fernen Gruß gebracht,
ihre Klänge wuchten und wehn.
Sie füllen meinen wachen Blick:
eine Kirche seh ich im Mauernkranz,
die Bäume davor im Blütenglück —
meine Heimat im Abendglanz!
Die furchtsame Herde zieht durchs Tor,
jäh scheucht der Hund die erschrocknen Lämmer,
in rußiger Schmiede sausen im Chor
auf glühendes Eisen klingende Hämmer.
[421]
Am Straßenrand ein kleines Haus,
in seinen Scheiben rotgoldnes Glühn —
Hier sah ich einst im Geschwisterstrauß
die Märchenblume der Kindheit blühn.
Das alles hat mir der Traum gebracht,
durch den meiner Heimat Glocken gingen...
Nun lieg ich und lausche die ganze Nacht,
wie sie hallen und zitternd verschwingen.

Neue Jugend

Ach — meine Jugend war schön!
Tiefblaue Lüfte, glänzende Tage,
lärmende Spiele am Bergeshang,
Märchen am Abend, Kindergesänge —
noch in die Träume scholl mir ihr Klang.
Ach — meine Jugend war schön!
Aber nun sah ich sie wieder erstehn:
trabt mir ein Pärlein mit braunkrausen Härlein
lustig und lachend im Zimmer herum,
hascht nach der Sonne mit hastigen Händen,
nimmermehr sind die Mäulchen stumm.
Alte Lieder singen wir wieder,
Lieder der Kindheit mit seligem Klang,
wenn erst die goldenen Märchen erwachen,
lauscht mein Pärlein halb froh, halb bang.
Ach — meine Jugend war schön!
aber nun seh ich sie wieder erstehn,
schöner, viel schöner erstehn.

Erinnerung

[422]
Der Abend kam. Die Schatten fielen.
Rings an den Fenstern ward es hell.
Die Kleine, müd von Lauf und Spielen,
lag mir am Fuß im Bärenfell.
Die nackten Beinchen hochgezogen,
hielt sie in kleiner Hand den Stift
und füllte meinen schönsten Bogen
mit Häkchen einer Runenschrift.
Rings war's so still, wie zum Gebete;
der emsige Stift nur raschelt leis...
Es schrieb kein Dichter und Prophete
sein Weisheitsbuch mit größrem Fleiß!
Da plötzlich schmeichelnd mit den lieben
Äuglein mein Kindchen zu mir schlich:
„Weißt du, Papa, was ich geschrieben?“ —
„Ein Briefchen?“ — „Ja.“ — „An wen?“ — „An dich!“
„Goldkind, an mich? Was steht darinnen?
Der Abend macht die Augen trüb..“
Und sie nach lächelndem Besinnen:
„Daß ich dich lieb hab, furchtbar lieb!“
Es floß ein letzter Sonnenschimmer
ums Köpfchen ihr mit goldnem Hauch —
„Das schreibst du mir im selben Zimmer?
sag's mir doch laut, dann weiß ich's auch.“
Da sah mich an das kleine Wesen
und reicht das Blatt mir lächelnd hin:
„Behalt's, Papa, dann kannst du's lesen,
wenn ich mal nicht im Zimmer bin..“
... O bittres Wort aus lieben Zeiten,
das du der Sehnsucht Flügel leihst!
Es schlug die Stunde längst zum Scheiden,
und dieses Zimmer ist verwaist.
[423]
Und tiefes Herz, die Sorgen machen's
oft müd und schwer auf banger Fahrt;
und kaum ein Echo deines Lachens
hat sich sein Kämmerchen bewahrt.
Von deinem Jauchzen, deinem Lieben,
von all dem, was sich nie vergißt,
ist mir ein Blatt zurückgeblieben,
das wirr und kraus bekritzelt ist...
Und in der Stille heiliger Stunden
ruht lang mein Blick auf dem Papier;
dann brechen auf die alten Wunden,
und meine Seele weint nach dir.
Dann will ein heißer Duft mich streifen
aus meines toten Frühlings Gruft,
und zitternd meine Hände greifen
in leere Luft.

Urquell

Habt ihr von jenen Strömen nie vernommen,
die unversiegbar aus der Tiefe quellen,
doch bald verschwinden? In der Erde Schacht
sind sie aufs neu verborgen und die Sonne
strahlt nur auf Grün und bunte Frühlingsblumen;
doch rast- und ruhelos in tiefster Tiefe
rinnt fort der Strom, rinnt unermüdlich fort.
So flutet in der Seele mir der Schmerz,
der heimlich dunkle, unergründliche,
wenn neues Glück und neue Sonne lachen
und tausend Blumen mir ums Leben blühn,
um euch, die ich für immerdar verlor,
ihr, meine heißgeliebten, süßen Kinder...

Via passionis

[424]
Nach grauen, trüben Tagen, schlaff und still
und stillen, grauen Nächten, schlaff und trüb,
in die nur matt der Sternenflimmer drang,
kam eine Nacht, umwölkt und schwarz und schwer;
— wie müde hatte all die Zeit gepulst
des Meeres Wogenschlag, und sichtbar kaum,
eintönig, schläfrig, leise, sterbensmatt,
als hätt es seiner Tiefen all vergessen.
Heut aber dunkel, schwer, wie schwarzer Samt,
umhüllt die Nacht die weite Wasserwüste
und sie besinnt sich jählings auf sich selber.
... Am Strande steh ich in den Finsternissen
und lausche bang der Wellen Wutgeheul,
die mich geheimnisvoll aus dunklem Graus
mit weißen Wasserschleiern übersprühn,
indes aus tiefster Tiefe drängt empor,
wie Sang vom Jüngsten Tag, ihr wildes Lied;
und jäh auch ich besinn mich auf mich selbst
und auch aus meiner Seele gellt ein Schrei,
verzitternd in der schweren, schwarzen Nacht!
Doch wenn im Ost der Tag sich leise hebt,
dann sind wir wieder still, das Meer und ich.

Stürb ich in deinem Arm

Stürb ich in deinem Arm
den Wonnetod,
wenn wilder Wünsche Schwarm
mich hoch umloht!
Sieh, eine Willis, mich,
die dürstend irrt,
töte mich, rette dich —
daß Friede wird!

Warten

[425]
Mein ganzes Leben war ein qualvoll Warten,
erst wartete ich sehnend auf die Liebe,
bis ich, durch Bitternis und Seelenpein
sie endlich fand.
... Da ich in ihrem Schatten bebend lag,
fühlt ich, daß mir nach Ruhm ein Sehnen wuchs,
bis daß er kam und küßte meine Schläfen;
doch wartend stand ich noch am Schicksalstor,
auf etwas wartend, dessen Nahn ich fühlte.
Mit schaudervoller Schnelle kam's — das Unheil
riß mir das Herz mit tausend Wurzeln aus...
Noch immer steh ich wartend vor dem Tor,
das weiter meinen Fuß und weiter rückt.
... Über zertretene Herzen führt der Weg
und tote Jugend, über welke Blumen,
durch Staub und Kot und Jammer führt der Weg
zum letzten Ziel, —
ein lebenslanges Warten...

Dramatische Landschaft

Wie im Zorn zerrißne Wolken hängen
über den verträumten Taxusgängen.
Hin und hin tropft Mondlicht an den Zinnen
eines Schlosses, als ob Tränen rinnen...
Mit den königlichen Marmorfüßen
tritt das Schloß ins Meer; die Wogen grüßen
rufend und verlangend an den Mauern,
wo im Schlafe wilde Schwäne kauern...
[426]
Einer fliegt erschreckt ins Mondgefunkel,
während aus dem letzten Büschedunkel,
fast als ob er dort geschlafen hätte,
murrend fährt der Wind aus seinem Bette.
Wie er aufsteht, wächst er jach zum Sturme;
zischend greift er auf zum Glockenturme,
durch die Mitternacht hin schreien Töne,
als ob einer tief in Qualen stöhne.
Schlafgestört stürmt nun der Wildgeselle
hin ins Meer; — aufjammernd schwillt die Welle; —
Schiffe, die geruht im Mondenglanze,
taumeln nun, gleichwie in trunknem Tanze...
In den Lüften dröhnt es wie Posaunen
des Gerichts, und fremde Stimmen raunen,
als ob nun die letzten Dinge kämen.
Aus den Wolken nicken wilde Schemen.
Und im Garten dort die Marmorgötter
rüttelt wild das mitternächtige Wetter —
Ruhiger Schönheit bringt es frühes Sterben
und zerbricht die holde Form zu Scherben...
Aus den lebensstarken Eichenzweigen
löst der Sturm sich einen Kranz zum Reigen,
und, hinreißend wie im Liebeswüten,
bricht er dieses reichen Gartens Blüten.
Finster wird's, als ob die Welt erblindet,
und sich nie zurück ins Schöne findet;
es verglimmen alle, alle Sterne —
es erlischt die mondbeglänzte Ferne.
Also stürmt die große Leidenschaft,
blind in ihrer ungebundnen Kraft,
durch das Schöne, das sie wild zerrissen,
sehnsuchts-rastlos hin zum Ungewissen.

Liebesterzinen

[427]
Es schläft die Stadt, die Regentropfen rinnen
am Dachfirst nieder in verträumtem Takt,
die feine Melodie zu meinem Sinnen.
Die Äste, die ins Fenster ragen nackt,
die zeichnen sich wie große Hieroglyphen
ins Himmelnachtgrau, rätselhaft gezackt.
Und ich bin so allein... Aus Herzgrundtiefen
stehn Wunsch und scheue Sehnsucht wandelnd auf,
die ungeweckt von Leidenschaft noch schliefen.
Die Heilige rief sie nun ins Licht herauf
und gibt den beiden ihre Flügelkraft,
und deutet ihnen Ziel und Siegeslauf...
Und also fliegt mein Herz aus seiner Haft,
zerbricht die Ketten, die der Zwang ihm bindet,
und es beginnt die selige Wanderschaft.
Und wie die Stege der Nachtwandler findet,
hart an den dämmerweiten Abgrundtiefen,
wenn sein Gestirn die Sehnsuchtsfackel zündet,
so find ich dich, als ob mich Himmel riefen...

Ballade der Untreue

— — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — als Eduard III. gestorben war, stahl ihm seine Geliebte kostbare Ringe von der Hand, und sein Windspiel lief zu seinen Feinden — —

Der dritte Eduard liegt tot im Saale,
und drüben klingen von dem Rittermahle
die Worte wirr, die Becher scheu hinein;
dort atmen sie im Licht, noch lebenstrunken,
hier ist ein Königssein in Nichts gesunken,
und Schatten weben fürchterlich herein...
Sie haben ihn im Prunkbett hergetragen, —
nun ist's, als ob die weißen Lippen fragen:
„Was krönt ihr meine Stirn mit Perlenband?
[428]
Ich gäb Rubin- und Diamantenflimmer
für einer Liebesträne echten Schimmer,
für einen Lenzeszweig aus süßer Hand.“
Was gehst du, Sonne, groß durch öde Räume,
und stickst noch prunkender die Purpursäume
um diesen reichen, armen Königssarg?
du wärmst ihn nicht! Auf Eduards Gesichte
steht es wie Sehnsucht nach dem süßen Lichte,
das sich weitab in strengen Wolken barg.
Denn die du liebtest, sie ist nicht gekommen.
Ins Ferne ist dein letzter Blick verglommen,
ein Etwas suchend, das nicht irdisch ist.
Du frugest warm um Liebe und um Treue,
doch heißt die Antwort ewig: Leid und Reue!
Der Fluch der Erde ist es: sie vergißt!
— — Doch — was kommt dort ein prächtig Weib geschlichen?
Auf ihren königlichen Wangen blichen
des Lebens dunkelrote Blumen hin.
Ließ Sehnsuchtwehe sie so tief erblassen?
Die Pagen öffnen ihr in Scheu die Gassen —
Sie wandelt, tief gesenkt das stolze Kinn...
Kommt sie nun doch, den Toten warm zu grüßen?
Es schmiegt sich winselnd, zärtlich ihr zu Füßen
des toten Eduard herrlich Windspiel hin.
Sie stockt — als ob sie heiß Gesuchtes fände,
sie faßt die eine seiner blassen Hände —
Es zuckt daran wie Flammen von Rubin...
Ihr Blick bleibt starr — sie weint ihm keine Träne — ,
sie geht, wie eine gierige Hyäne
beim Tode, der da heilig ist, auf Raub.
Vom Stirnband, vom Gewandsaum löst sie Steine;
indes sein Hofgefolge schwelgt im Weine,
begeht sein Lieb die Schmach an seinem Staub.
Nun löst sie den Rubin, die Fürchterliche;
es ist, als ob des Toten Stirn beschliche
ein Schatten wie von namenloser Not...
[429]
Da dröhnt's im Schloß — es nahen seine Sippen — ,
Sie öffnet, wie in böser Lust die Lippen —
Sie leben ja, — sie herrschen, — er ist tot!
Mit warmen Pulsen und in Jugendlocken,
von solcher fremden Schönheit süß erschrocken,
so kreuzen Eduards Erben ihren Pfad.
Sie schließt die Hand fest um die Diamanten
und äugelt im Vorbeigehn mit den Fanten, —
so zahlt dem Toten Liebe mit Verrat.
Und die den dritten Eduard tödlich haßten,
sie neigen dem zum letzten Schlaf Erblaßten
Gebete murmelnd, heuchlerisch das Kinn;
die ihn geliebt, schleicht edelsteinbeladen
abseits, dahin zu neuen Wonnepfaden —
Sein Windspiel läuft zu seinen Feinden hin...

Ein Lied der Bauern

Ich bin der arme Kunrad
und komm von nah und fern,
von Hartematt und Hungerrain
mit Spieß und Morgenstern.
Ich will nicht länger sein der Knecht,
leibeigen, frönig, ohne Recht.
Ein gleich Gesetz, das will ich han,
vom Fürsten bis zum Bauersmann,
ich bin der arme Kunrad,
Spieß voran,
drauf und dran!
Ich bin der arme Kunrad
in Aberacht und Bann,
den Bundschuh trag ich auf der Stang,
hab Helm und Harnisch an.
[430]
Der Papst und Kaiser hört mich nicht,
ich halt nun selber das Gericht,
es geht an Schloß, Abtei und Stift,
nichts gilt als wie die Heilige Schrift.
Ich bin der arme Kunrad,
Spieß voran,
drauf und dran!
Ich bin der arme Kunrad,
trag Pech in meiner Pfann.
Heijoh! Nun geht's mit Sens und Axt
an Pfaff und Edelmann.
Sie schlugen mich mit Prügeln platt
und machten mich mit Hunger satt,
sie zogen mir die Haut vom Leib
und taten Schand an Kind und Weib.
Ich bin der arme Kunrad,
Spieß voran,
drauf und dran!

Aus den „Federzeichnungen“ und dem „Lyrischen Skizzenbuch“

Es war ein heller Wintertag,
der mich ins Moor gelockt,
ein flaches Schneefeld, da und dort
mit Föhren nur bestockt.
Drin strich ein Hungerfuchs herum,
ein Rabe flog vorbei,
der immer wieder nach ihm stieß
mit heiserem Geschrei.
Ich hob's Gewehr, ob schwarz ob rot?
Ich schwankte mit der Wahl —
den Raben schoß ich für den Fuchs
zu einem feisten Mahl.
***
[431]
Schneegänse flogen übers Moor
im spitzen Dreieckzuge,
es reichte nicht der Flinte Blei
hinauf zum hohen Fluge.
Ich hört, am Weidenstamm gelehnt,
von fern ihr Gigack-Schnattern,
sie kamen wohl von einem Schmaus
bei Basen und Gevattern.
Sie schwanden rasch aus meinem Blick
im grauen Schneegestiebe —
wie seltsam, daß ich da gedacht
an Tee dansant und Liebe.
***
Ein Urhahn falzte tief im Forst,
er schliff und knappte brünstig;
ich sprang ihn an von Stamm zu Stamm.
Der Augenblick war günstig.
Ich zielt und schoß; der Schlaue lag
im Moos zu meinen Füßen;
daß ihn die Liebe blind gemacht,
das mußt er bitter büßen.
Doch seltsam wurde mir zu Mut,
mein Glück war mir verleidet;
zu sterben in der Liebe Glut,
ich hab ihn drum beneidet.
***
In einem Steinbruch saß ich lang
auf einem Block und sann,
dieweil vom Rande manches Mal
der Kies hernieder rann.
Gerölle schob sich langsam fort,
Luftsprünge machte der Stein,
doch schließlich lagen alle still
am Boden groß und klein.
[432]
Da fuhr ich auf. Wozu die Hetz,
Gedränge, Druck und Stoß?
Ich eil hinweg und dachte mir,
dem gleicht des Menschen Los.
***
Verfallen steht im Waldesgrund
am Saumweg eine Schmiede,
draus tönt nicht mehr der Hammerschlag
zum arbeitsfrohen Liede.
Nicht weit entfernt ragt in die Luft
ein lang gestreckt Gebäude,
dort walten im Maschinenraum
berußte Hammerleute.
Mit Nägeln aus der Dampffabrik
ward zu der Sarg geschlagen,
der den verarmten Hammerschmied
zu Grabe hat getragen.
***
Trauersang scholl mir entgegen,
auf der Trage lag ein Sarg,
der in nackten Fichtenbrettern
eines Älplers Hülle barg.
Wenig haben ihn begleitet,
arm und schmucklos war der Zug,
doch sein Weib und seine Kinder
hatten an dem Leid genug.
Gläubig, Gott vertrauend schritten
sie den schmalen Steig der Wand,
während ich mit meinem Zweifel
trostlos vor dem Abgrund stand.
***
[433]
Im Wald steht eine Mühle,
ein grau verwettert Haus,
dort drängt aus enger Felsschlucht
der Wildbach sich heraus.
Des Abends sitzt am Fenster
des Müllers junges Weib
und schaut aufs alte Schöpfrad
zu Langerweil Vertreib.
Das Wasser schießt hinunter
und dreht im Sturz das Rad.
Das Weib dreht einen Garnstrang
und sinnt auf böse Tat.
***
Märt schritt am Maienabend
hinaus ins grüne Feld,
er war vergrämt, zerfallen
mit Menschen, Gott und Welt.
Die Wachtel schlug im Klee.
Er zählte still die Schläge:
Bück den Rück, bück den Rück!
Doch weil er sich nicht bückte,
so hatte er kein Glück.
Die Wachtel schlug im Klee.
Im Sinnen ging er weiter
bis zu dem dunkeln Wald.
Er lauschte, wie von ferne
der Wachtelruf noch hallt:
Bück den Rück, bück den Rück!

Die heiligen drei Könige

[434]
Der Wintertag liegt auf dem Dörfchen stumm,
die heiligen drei Könige gehen heut um.
Der erste schreitet gebeugt einher,
sein Alter und Krone drücken ihn schwer.
Der zweite führt trippelnd ein Kind an der Hand,
ihn fröstelt im Königs-Bettlergewand,
Der dritte hebt hoch empor sein Gesicht —
er grüßt eines blinkenden Sternes Licht.
Und als sie die dörfliche Runde vollbracht,
hat jeder sich schweigend davon gemacht.
Im Armenhaus auf der Ofenbank
schlürft bald der eine den wärmenden Trank.
Sein böses Weib trifft der zweite an,
sie schlägt das Kind und sie schimpft den Mann.
Der dritte hat stumm sich hinausgewandt
und schaut übern Schnee und das dunkelnde Land —
schaut lange hinauf zu den Sternenhöhn,
kann sich und ihr Leuchten doch nimmer verstehn!

Wir

Es ist nicht anders und wir wollen's wissen:
wir schweben hin auf einem schmalen Boot,
an stummen Ufern und in Dämmernissen,
entgegen einem lichten Himmelsrot.
Und ob wir sacht des Fahrzeugs Fährte leiten,
wenn Städte türmend steigen, da und dort,
wir müssen dennoch dran vorübergleiten,
uns bietet sich kein gastlich stiller Port.
[435]
Es trägt uns keine Brücke mehr hinüber
zu jenen Stätten, wo die vielen gehn,
ihr blasses Bild verdämmert trüb und trüber,
ihr letztes Licht erlischt im Windeswehn.
Wir aber sprechen mit des Himmels Dunkel,
wir reden mit der Wiesen Wunderlaut,
und Aug in Auge strahlt uns das Gefunkel,
darin den Sinnen Seele sich vertraut...
So laßt denn Land und alle Welten gerne,
nur unsre Fahrt verkünde unser Ziel — :
ob jenes Leuchten in der Himmelsferne
der Sonne Abend- oder Morgenspiel!

Wintergang

Komm, gib mir deine schmale Hand,
wir schreiten in weißes Winterland —
Wir schreiten in lichte reine Weiten,
so sollst du nun immer mich geleiten —
So soll nun immer deine Hand
mich führen in der Reinheit Land.

Heilige Nacht

Vor meinem Kammerfenster steht
ein zitternd Sternlein wie windverweht,
den suchen deine fiebernden Blicke
und bauen eine schimmernde Brücke.
Und auf der schimmernden Brücke schwebt
ein Englein herab und bangt und bebt,
die kleinen Füße straucheln und irren,
die feinen Flügel zittern und schwirren.
Und als der Morgen ans Fenster fliegt,
das Englein in deinem Schoße liegt...

Mondscheinfahrt

[436]
Im blauen Mondlicht gleitet
mein stummer dunkler Kahn
und furcht durch das stille Wasser
eine glitzernde Silberbahn.
Und trägt meine bange Seele
in Glanz und Ewigkeit —
Die Ufer sacht versinken
wie fernes Erdenleid.
Aus Mond- und Sternenschimmer
webt sich ein Schatten licht,
von goldenen Strahlen umflossen
ein Heilandsangesicht.
Und leuchtende Hände senken
sich nieder aus der Höh,
und leuchtende Füße schreiten
über den schauernden See.
„Herr, laß mich zu dir kommen!“
die bange Seele schreit —
Ich fühle von mir genommen
all meine Sterblichkeit,
und meine Seele feiert
in ihrem Sternenkleid...

Die Muschel

Ich halte eine Muschel an mein Ohr,
sie sagt mir tausend Meereswunder vor:
Sie redet von den spiegelnden Palästen,
an deren Marmor längst der Glanz entwich,
[437]
von Gondelfahrt und stolzen Fürstengästen,
von Meister Stainer, der die Geige strich
mit einem tiefen Heimweh in den Saiten
nach einem bergumschirmten Vaterland,
daß Dogentöchtern von den Wangen gleiten
die heißen Tränen auf die weiße Hand...
Sie redet von versunknen Dogenringen,
ein Schmeichelopfer für das große Meer —
Ein liebeschwüles Mandolinenklingen
kommt von den dunkelnden Giardini her...
Sie spricht vom Gastmahl eines Veronese,
von goldnem Becher an dem roten Mund,
sie will es, daß ein jeder schaudernd lese
die blasse Leichenschrift am Meeresgrund.
Buchstaben sind es einer Weltgeschichte,
die in den Algen tief verflochten sind,
mir ist's, als hört ich donnernde Gedichte,
als tönte aus der Ewigkeit ein Chor...
Ich lausche allen Wundern wie ein Kind
und halte meine Muschel an das Ohr.

Ewigkeiten

Es spielen blonde Kinder an dem Meer,
die blauen Blicke leise zu mir gleiten,
die blauen Wogen schenken Muscheln her,
wenn sie zurück vom Meeresstrande schreiten.
Es schenkt das Kind — was eine Unschuld gibt:
den Dankesblick, der Gott und Erde liebt.
Ich sehe Gott im Kinderaugenglanz,
ich höre ihn in stetem Wogenrauschen,
und jetzt erst fasse ich sein Wunder ganz:
Ich sehe Ewigkeiten Schätze tauschen!
und jene Frage ist für mich vorbei,
in welcher Ewigkeit er größer sei.

Mondeszauber

[438]
Auf meiner Stirne liegt des Vollmonds Licht
und schlaflos ruh ich noch auf meinem Lager,
indes die Welt in stundenlangen Zügen
den Schlummer trinkt, den ihr die Nacht gereicht.
Es ist so still, daß man den leisen Atem
von Blatt und Blüte beinah hören kann,
fast hören kann den lautlos zarten Schritt
der Sterne auf des Himmels Sammetteppich,
der bunten Traumgestalten Gehn und Kommen,
die ungehindert, wie durch offne Pforten,
durch Stein und Tor ans Bett der Menschen treten,
entzückend und erschreckend, mild und traurig.
So still, daß fast das Ohr vernimmt das Strömen
des lichten Duftes durch die Fensterscheiben,
den jene weiße Himmelsrose sendet
in Strahlen auf mich nieder, weich und linde.
O daß mein Wesen in dem Duft zerflösse,
sich, steigend himmelan, in ihren Schoß ergösse,
wenn sich die zarte Mondesblüte schließt!

Tagebuchblätter

O, wüchsen mit dem Leben auch die Kräfte!
mit jedem Jahre Macht und Stolz und Geist,
die schwellnden Glieder und die Hochgedanken,
daß dieses rote, quellend heiße Blut,
das jetzt als Bächlein durch die Adern schleicht,
in Katarakten durch die Glieder stürmte —
dann möcht ich ewig leben, ewig wachsen!
Bis ich zuletzt, den weiten Raum beschattend,
des Weltalls ganze Kräfte in mich zöge,
all alle Leidenschaften, Triebe, Formen;
daß dieses Lebens ungeheure Fülle
in Strömen aus dem vollen Herzen bräche,
und alle Sonnen, alle Welten kreisten
[439]
in mir und durch mich — daß ein jeder Hauch,
der kommt und schwindet, mein wär! mein! mein eigen!
Nicht mit dem Schulsack auf dem Rücken trat
bescheiden ich ins weite Reich des Geistes —
Mit meines Willens Eisenhammer schlug
ich an die Pforten, die man mir versperrt
in schnöder Selbstsucht, bis sie niederfielen.
Heulend vor Hunger fuhr ich in die Weiten
auf des Gedankens Fittich, ohne Sättigung
zum tiefsten Abgrund, da, wo schaudernd hüllt
in schreckend Dunkel sich das Weltenrätsel
und jede Frage stummt — ja, Aug in Auge
stand ich der alten Sphinx!

Gebirge

Ein Riesenbau, von Ewigkeit getürmt,
auf steigst du zu der Unsichtbaren Sitzen,
Giganten, die den Himmel einst gestürmt,
bis sie versteinerten vor seinen Blitzen.
Unnahbar, ewig mit dir selbst allein,
säugst du den jungen Tag auf deinen Spitzen,
nur übertönet von des Adlers Schrein,
des grauen, der, höher als du zu steigen,
sich, dein Gedanke, rang aus dem Gestein.
Es geht der Tage und der Nächte Reigen,
die Schatten der Jahrhunderte vorbei
und lassen unberührt dein weißes Schweigen.
Zerrissen, rauh, wie ein Verzweiflungsschrei,
mit dem die Erde auf zum Himmel griffe,
doch tief und groß in deinem Schmerz dabei.
So hundertschlündig, schroff und voller Risse,
hart, kahl und steil, vom Gletschersturz zerschrunden,
als ob der Tod an dir die Sense schliffe.
[440]
So wie ein stolzes Herz wohl wird gefunden,
den Menschen fremd, verschließend seine Schmach
und nur dem Himmel öffnend seine Wunden.
Auf deinen Säulen ruht des Himmels Dach,
du hebst die Stirne in den wolkenlosen,
den reinen Äther hoch der Sonne nach.
Tief unter dir die Prachtgewitter tosen,
dich sengt des Blitzes Glutgefieder nicht,
fern glüht er aus der Wolken Nacht, wie Rosen,
deren verschwiegne Glut durch Dämmrung bricht,
zu dir, des Dulders, der sich durchgerungen,
verklärtem, schmerzerhabenem Gesicht.
Von keines Menschen Fuße noch bezwungen,
unfruchtbar, rein, ist deinem keuschen Schoß
der brünstigen Sonne Werbung nie gelungen,
Gebärerin der kühnsten Träume bloß
und stolzer Herzen letzte Zuflucht du,
des Lichtes Wiege, stehst du ewig groß,
dir selbst genug wie Gott, hehr, einsam, wandellos.

Cäsar

Auf Stirn und Lippe eisiges Verachten,
das Kinn gehackt, und spärlich Haar und Brauen,
die Lider schwer, die Augen klein, die schlauen,
die kaum das Heer, das jubelnde, beachten.
So sitzt er ruhig, sitzt und sinnt auf Schlachten.
Die weißen, wohlgepflegten Finger krauen
des Pferdes Mähne — doch ein tiefes Grauen
liegt über ihm, wie wenn Gewitter nachten.
Doch nun ein Wink mit lässiger Gebärde,
die Rufe donnern und es bebt die Erde,
zum Tode stürzen seine Legionen.
[441]
Es strömt das Blut und schwemmt hinweg die Kronen,
des Todes Tritt zermalmt die Menschenleiber —
Er geht ins Zelt: „Wo blieb ich stehen, Schreiber?“

Ahasver

Wie einsam ist der Mensch, wie einsam ich.
In all der tausendfältigen Überfülle,
die die Natur vor deinen Augen ausstreut,
im Schweigen süßer Sternennächte, wenn
der Himmel, wie in trunkenem Geheimnis
erzitternd, in das Herz herniedersinkt,
im heiligen Glanz des Tages, der emportaucht
aus Purpur und so wiederum verhaucht,
der allen Wesen seine Seele leiht,
die regenbogenglänzende, — wie in
dem Jubel der Gewitter, die die Gipfel
der Berge, eisumstarrt, mit Diademen
aus Blitzen krönen, — auf dem Meere, das
ein zweiter sternenloser Himmel, doch
wie jener schön, — in all der schauerlichen
Pracht des Weltalls — allein bist du, allein,
und Keines, Keines, Keines fühlt mit dir!
Denn was sie sagen, legtest du in sie,
und deine Träne, die herniedertropft,
reicher als alles — denn ihr Glanz ist Seele — ,
fängt Keines in der Schale auf voll Mitleid,
und deine Stimme, die der Wind dahinträgt,
sie findet nirgends, nirgends Widerhall! — —

An des Glückes Pforte

Dich hab ich gesucht — in wilder Hast,
in irrem, fieberndem Wahn.
Nicht hatt ich Ruhe — nicht fand ich Rast,
bis meine Augen dich sahn.
[442]
An deinem Wege hab ich gekniet,
und sah — und sah mich fast blind,
wie dir die lachenden Lippen geglüht
und dein Goldhaar wehte im Wind.
Im Frühlingssturm, mit jauchzendem Ruf,
bist du vorüber geschweift,
es hat deines Rosses silberner Huf
die sinkende Stirn mir gestreift.
Nach deines Mantels flatterndem Saum
habe ich, stürzend, gefaßt —
es sank auf mich — wie flammender Traum
eines Königpurpurs Last...
Noch hör ich dein Lachen — fernher — fernher —
Und der Purpur, den ich gewann,
mein Blut nur war es, das heiß und schwer
mir über das Antlitz rann.
***
Vor deiner Tür brennt ein ewiges Licht,
und Blumen schmücken sie bunt.
Doch bleich ward dein leuchtendes Angesicht
und stumm dein lachender Mund.
Einen Sonnenflug — über Zeit und Raum,
hab heiß ich von dir begehrt, —
einen leuchtenden Tag — einen trunknen Traum,
eine Liebe, die ewig währt...
Blieb nichts dir übrig von all deiner Pracht,
von all deinem Schimmer und Glanz,
als eine Ruhstatt in tiefer Nacht
und ein entblätternder Kranz?

Zu den Gipfeln des Himalaja
Aus „Farben“

[443]
Zu den Gipfeln des Himalaja
aus dem roten Waldtal
singt der Sonnenvogel.
Der kranke Rajah lauscht.
Seine Seele stürmt,
seine Augen glänzen!
Unter einer Kuppel von Blutjaspis und Smaragd,
stumm im Kreis,
hocken die Weisen seines Landes.
Bis auf den Boden
kräuseln sich ihre Silberbärte.
Tiefer in ihre weißen Schleier hüllen sich zitternde Frauen.

Fern unter Blüten vergraben
Aus „Farben“

Fern unter Blüten vergraben
schimmern die tausend Inseln von Japan.
Millionen bunte Papierlaternen
überstrahlt ein gelber Mond.
Schaukelt sich
in kleinen, eirunden Teichen,
eingefaßt mit Perlmutterglanz und stillen Farren.
Er ist selbst nur ein riesiger Lampion
aus ganz dünnem Seidenpapier.

Um das graue Schloß
Aus „Farben“

Um das graue Schloß
blüht in weißem Schweigen
ein Liliengarten.
In das Abendrot,
leise,
jeden Tag,
öffnet sich ein kleines Turmfenster.
Wenn das letzte Purpurwölkchen verblaßt ist,
lautlos,
schließt es sich wieder.

Volksweise

[444]
Mich rührt so sehr
böhmischen Volkes Weise,
schleicht sie ins Herz sich leise,
macht sie es schwer.
Wenn ein Kind sacht
singt beim Kartoffeljäten,
klingt dir sein Lied im späten
Traum noch der Nacht.
Magst du auch sein
weit über Land gefahren,
fällt es dir doch nach Jahren
stets wieder ein.

Aus „Vigilien“

Die falben Felder schlafen schon,
mein Herz nur wacht allein;
der Abend refft im Hafen schon
sein rotes Segel ein.
Traumselige Vigilie!
Jetzt wallt die Nacht durchs Land;
der Mond, die weiße Lilie
blüht auf in ihrer Hand.

Es gibt so wunderweiße Nächte
Aus „Traumgekrönt“

Es gibt so wunderweiße Nächte,
drin alle Dinge Silber sind.
Da schimmert mancher Stern so lind,
als ob er fromme Hirten brächte
zu einem neuen Jesuskind.
[445]
Weit wie mit dichtem Demantstaube
bestreut erscheinen Flur und Flut,
und in die Herzen, traumgemut,
steigt ein kapellenloser Glaube,
der leise seine Wunder tut.

Das war der Tag der weißen Chrysanthemen
Aus „Traumgekrönt“

Das war der Tag der weißen Chrysanthemen,
mir bangte fast vor seiner Pracht...
Und dann, dann kamst du mir die Seele nehmen
tief in der Nacht...
Mir war so bang, und du kamst lieb und leise,
ich hatte grad im Traum an dich gedacht.
Du kamst — und leis wie eine Märchenweise
erklang die Nacht...

Das ist mein Streit
Aus „Advent“

Das ist mein Streit:
Sehnsuchtgeweiht
durch alle Tage schweifen.
Dann stark und breit
mit tausend Wurzelstreifen
tief in das Leben greifen —
und durch das Leid
weit aus dem Leben reifen,
weit aus der Zeit.

Die Mädchen singen
Aus „Advent“

Die Mädchen singen:
Alle Mädchen erwarten wen,
wenn die Bäume in Blüten stehn.
Wir müssen immer nur nähn und nähn,
bis uns die Augen brennen.
Unser Singen wird nimmer froh.
Fürchten uns vor dem Frühling so:
Finden wir einmal ihn irgendwo,
wird er uns nicht mehr erkennen.

Casabianca

[446]
Am Berge weiß ich trutzen
ein Kirchlein mit rostigem Knauf,
wie Mönche in grauen Kapuzen
steigen Zypressen hinauf.
Vergessene Heilige wohnen
dort einsam im Altarschrein;
der Abend reicht ihnen Kronen
durch hohle Fenster hinein.

Die Mühle

Du müde, morsche Mühle,
dein Moosrad feiert Ruh, —
aus der Olivenkühle
schaut dir der Abend zu.
Der Bach singt wie verloren
Menschenlieder nach,
tiefer über die Ohren
ziehst du dein trutziges Dach.

Bodensee

Die Dörfer sind wie im Garten.
In Türmen von seltsamen Arten
klingen die Glocken wie weh.
Uferschlösser warten
und schauen durch schwarze Scharten
müd auf den Mittagsee.
Und schwellende Wellen spielen.
Und goldne Dampfer kielen
leise den lichten Lauf;
und hinter den Uferzielen
tauchen die vielen, vielen
Silberberge auf.

Schau unsre Tage sind so eng
Aus „Gebete der Mädchen zur Maria“

[447]
Schau unsre Tage sind so eng
und bang das Nachtgemach;
wir langen alle ungelenk
den roten Rosen nach.
Du mußt uns milde sein, Marie,
wir blühen aus deinem Blut,
und du allein kannst wissen, wie
so weh die Sehnsucht tut;
du hast ja dieses Mädchenweh
der Seele selbst erkannt:
Sie fühlt sich an wie Weihnachtsschnee
und steht doch ganz in Brand...

Nach den Gebeten
Aus „Gebete der Mädchen zur Maria“

Nach den Gebeten:
Ich aber fühle, wie ich wärmer
und wärmer werde, Königin, —
und daß ich jeden Abend ärmer
und jeden Morgen müder bin.
Ich reiße an der weißen Seide,
und meine scheuen Träume schrein:
O, laß mich Leid von deinem Leide,
o, laß uns beide
wund von demselben Wunder sein.

Auf der Schwelle

Wie regt des Abends
verliebter Hauch
so sanft die Wellen
und Busch und Strauch,
[448]
drückt weiche Falten
in mein Gewand
und hebt mir schmeichelnd
das Gürtelband.
Ein Gruß... ein Seufzer...
ein heimlich Wehn —
ward nichts gesprochen,
ist nichts geschehn,
und dennoch weiß ich
zu dieser Frist,
daß meine Stunde
gekommen ist...
Durch meine Seele ein Ahnen geht,
daß auf der Schwelle die Liebe steht.

Warnung

Ich komme heim aus dem Sonnenland.
Ich bin den ganzen blühenden Tag
in lauter Schönheit gegangen!
Nun fliegt's mir um Stirn und Wangen
noch wie ein verklärter, seliger Schein...
Sieh mir nicht so in die Augen hinein,
sonst nimmt er dich auch gefangen!
Dann kommen wir nicht voneinander los,
wir schauen uns an, so sehnsuchtsgroß,
und finden aus lachendem Märchenglück
nie mehr den Weg in das Leben zurück.

Frühlingsmärchen

Ein Brünnlein im Felde, sechs Linden im Kreis,
und die Wälder so still, und die Sonne so heiß,
und wir beide am Brunnenstein
so mutterseelenallein.
Du botest mir lächelnd den Zauberkelch
und ich trank ihn leer bis zur Neige,
meine Augen sagten dir: „Schweige!
[449]
Es ist ein liebliches Wunder in mir,
wenn die Stunde kommt, verrat ich es dir.“
Da rauschte es leis durch die Zweige:
„Schweige.“

Das hat die Sommernacht getan

Die Nacht ist keines Menschen Freund —
Was flüsterst du von Treue?
Der Mond verblaßt, der Morgen graut...
Am Bette sitzt die Reue.
Die Reue ist ein häßlich Weib
und möcht mich wohl verderben —
Reiß mir das Herz nicht aus dem Leib,
ich will ja noch nicht sterben.
Mein Blut ist heiß, dein Mund so süß...
O Gott, wie kannst du küssen!
Das hat die Sommernacht getan,
daß wir versinken müssen.

Schlafe, ach, schlafe

Und dürft ich dich wecken zum Sonnenlicht
aus Schatten des Todes, ich tät es nicht,
ich sänke nieder an deinem Grab
und leise raunt ich ein Lied hinab:
Schlafe, ach, schlafe!
O laß in dein traumtiefes Kämmerlein
kein Fünkchen des schimmernden Lichts hinein,
denn was die Sonne dir auch verspricht,
so hell, so strahlend — sie hält es nicht.
Schlafe, ach, schlafe.

Das sind die schwülen Sommernächte

Das sind die schwülen Sommernächte,
die fieberheiß die Stirn umwehn,
da wie gefesselte Giganten
die Bäume rings im Kreise stehn.
[450]
Der Nachtwind lockt aus jeder Blüte
die Seele buhlerisch hervor
und trägt auf seinen trunknen Armen
den willenlosen Duft empor.
Die Sterne zucken dort und flimmern,
als trübten Tränen ihren Schein,
das Bächlein schluchzt und will nicht wandern,
es hält sich fest an jedem Stein.
Und durch die atemlose Stille
ein wunderbares Klingen zieht,
ein Sang, aus Leid und Lust gewoben,
ein zitternd süßes Liebeslied.

Was geht das fremde Lied mich an

Ich weiß nicht, was mir gar so bang
heut in die Kammer schallte —
ein Vöglein sang vor Tau und Tag.
vor Tau und Tag im Walde.
Mag auch ein Bursch gewesen sein,
der hier vorbei gezogen,
ein Bursch, der in die Weite ging,
weil ihn sein Schatz betrogen.
Was geht das fremde Lied mich an,
daß ich im blassen Scheine
des Morgens mich ins Kissen drück
und weine... ?

Du und ich

Du und ich... und über uns beiden die Nacht!
Neige die Stirn, damit ich dich küssend umfange.
Neige das Ohr — ich raune dir Süßes hinein,
Wonne und Weh, so wie's mir emporblüht im Herzen.
Du und ich... Es ward uns nichts andres beschert
als dieses Glück, das wir der Sonne verbergen.
Sieh, schon senkt sich abwärts der einsame Pfad —
Selige Lust steht lächelnd im Tale des Todes.

Wunder

[451]
Sorgen trug ich in den Wald hinaus,
Blütenzweige bring ich mit nach Haus —
Was dazwischen hat gelegen,
all das Hin und Her von Lust und Pein,
bis zum vollen, goldnen Frühlingssegen,
soll mein andächtig Geheimnis sein!

Am Tor des Hamadan

Ein alter Priester war's; ihn beugt der Jahre
Gewicht; am Stab hält mühvoll er sich aufrecht.
Doch eifrig liest er noch im Gehn sein Buch,
und durch der Wange Furchen rinnt die Träne.
So traf ich ihn am Tor zu Hamadan.
Gegrüßt sei, Seid! Und sag, weshalb du weinst?
Sohn, sei gegrüßt auch mir! gab er zur Antwort.
Du siehst, ich lese Gottes Wort: so schön
ist dies, daß seine Schönheit Tränen lockt!
Ja, sprach ich, es ist schön, und Schönheit rührt
uns oft zu Tränen, wenn sie plötzlich auftaucht
in allem Häßlichen wie Mond im Sumpf.
Du aber bist ein alter Mann und liest
gewiß im Koran nicht zum erstenmal
und läßt davon dich nicht mehr überraschen!
Drauf er: Ich will den wahren Grund dir sagen:
Wenn sich mein Geist dem Ort voll Eifer naht,
so find ich hundert Stellen, wo mich's jammert,
daß der Prophet nicht schärfer aufgefaßt,
was Engel Gabriel ihm überliefert.
Sonst stünde drin das grade Gegenteil
von dem, was heut uns vorgeschrieben ist!
[452]
Mag sein, sprach ich. Nur sollt es dich nicht kränken:
Wer rechten Sinnes liest, faßt doch das Rechte!
Da fing er an noch heftiger zu weinen:
Ja, wär's nur der Prophet, der Schlummerkopf!
Doch tausend Stellen zeigen allzuklar,
daß nicht einmal der Engel recht begriffen,
was er auf des Allmächtigen Befehl
dem horchenden Propheten künden sollte!
Jetzt traten eben wir durchs Stadttor ein.
Er schämte sich der Tränen, ich versuchte
aufs neu zu trösten ihn, doch eilends nahm
am Eingang einer krummgeschwänzten Gasse
er kurzen Abschied, noch im Gehen murmelnd:
Das wäre freilich nur das halbe Übel,
daß Engel und Prophet nicht wissen, was
sie sagen. Aber wenn man nun noch sehn muß,
daß auch der andre selbst — — —
Nichts mehr vernahm ich,
da hinterm Häuservorsprung er verschwand.

Die Entfernte

In deinen Briefen les ich deine Worte
und hör aus deinen Worten deine Stimme
und aus der Stimme deine ganze Seele.
Du sprichst zu mir, du selbst, wenn du mir schreibst.
Ich horche dir, doch schweigend horch ich nicht.
Kann Schweigen Antwort sein so lieber Rede?
Ich rede selbst, und wie die Felsengründe
auf eines Mädchens holden Sang ertönen,
ist meine Antwort nichts als Widerhall.
So mischen süß sich unsre Sehnsuchtslaute,
und eng umarmen sich getrennte Seelen
und halten sich umstrickt in Liebeshaft.
Vor unsern Blicken schwinden Berg und Täler
zur schmalen Grenze, die den Schritt nicht hemmt.
Gehorsam schmiegt sich selbst das Meer zusammen
und sickert als ein Bach zu Füßen uns
und netzt uns kaum mit leichtbewegter Welle.
[453]
Nah wird das Ferne, was getrennt wird eins,
und über Abgrundstiefe, die sie scheidet,
vereinen sich im Windeszug die Flammen,
von Ursprung zwei, doch eine nur zu schauen!

Alter

Das aber ist des Alters Schöne,
daß es die Saiten reiner stimmt,
daß es der Lust die grellen Töne,
dem Schmerz den herbsten Stachel nimmt.
Ermessen läßt sich und verstehen
die eigne mit der fremden Schuld,
und wie auch rings die Dinge gehen,
du lernst dich fassen in Geduld.
Die Ruhe kommt erfüllten Strebens,
es schwindet des verfehlten Pein —
und also wird der Rest des Lebens
ein sanftes Rückerinnern sein.

Der Ziegelschlag

Weit gedehnte, öde Strecken,
schmutzig-gelbe Wassertümpel;
einsam ragt der Schlot des Ofens
über morsche Bretterschuppen.
Fahle Menschen, wie geknetet
aus dem fahlen Lehm des Bodens,
drin sie wühlen, treiben lautlos
Jahr um Jahr hier ödes Handwerk.
Füllen und entleeren Truhen,
mischen, treten, streichen, schlichten,
so des Backsteins ewig gleiche
Form verdrossen wiederholend.
[454]
Träge ziehn vorbei die Stunden;
aufgelöst in Staub und Hitze,
oder rings in Kot zerfließend,
scheint die Welt auch hier zu Ende.

Miserere!

Tausendstimmig
und aber tausendstimmig
klagt und schreit es empor:
„Herr, erbarme dich unser!
Siehe:
Tausendfältig
und aber tausendfältig
drückt des Daseins Not uns,
zerfleischt uns unerbittlichen Schwunges
des Schmerzes Geißel.
Und wenn wir hinsinken
und aushauchen
mit dem letzten Odemzug den letzten Seufzer:
Emporgewachsen schon
ist wieder ein Geschlecht
zu gleicher Drangsal,
zu gleicher Not...
Ende, o ende die Oual —
Miserere domine!“
Aber ungehört
verhallt der himmelstürmende Aufschrei.
Niederscheint gleichgültig die Sonne,
Leben weckend.
Befruchtender Regen fällt,
die Saaten grünen,
es blühen die Bäume und tragen Früchte,
und Ernte um Ernte nähret die Qual...
Von Zeit zu Zeit nur,
unerwartet und wie zum Hohn,
sprengen vorüber mit wahllos zerschmetterndem Hufschlag
die apokalyptischen Reiter.

Ottilie

[455]
Es hat der ernste Gang der Jahre
dein Antlitz leise schon gekerbt,
und dir die dunkelbraunen Haare
zu mattem Silber fast entfärbt.
Doch hold und schlank sind noch die Glieder,
die du so leicht im Gange regst,
und reich hängt deine Flechte nieder,
wenn du sie tief im Nacken trägst.
Und Stunden gibt es, wo die ganze
zurückgedrängte Jugend bricht
aus deinem Aug mit scheuem Glanze,
der von verlornem Leben spricht.
Dann will es schmerzlich mich durchsprühen,
und küssen möcht ich deinen Mund;
du fühlst es und mit sanftem Glühen
erbebst du tief im Herzensgrund.
So bebt des Herbstes letzte Traube,
vergessen von des Winzers Hand,
mit letzter Glut im fahlen Laube,
wenn sie ein später Wandrer fand.

Die Teppichklopferinnen

Die Mägde klopfen Teppiche im Hofe,
fünf stramme Mägde aus dem Vorderhaus;
selbst aus dem ersten Stock die Kammerzofe
zog heut dazu ihr enges Mieder aus.
Ich hör die Schläge in mein Zimmer dringen.
Ich seh hinaus: ein freudiges Sommerbild!
die nackten Arme, die die Stöcke schwingen,
die roten Wangen, drin das Leben quillt;
[456]
die jungen Brüste unterm dünnen Jäckchen,
dazu der Himmel blau und farbensatt,
durchs Laub verteilt, auf allem Sonnenfleckchen:
ein Stück Natur inmitten dieser Stadt.
Sie fühlen nicht, wie mir beim harten Schalle
vom Hofe Landlust in die Seele dringt;
doch horch! was ist's? auf einmal singen alle
ein Lied, wie man's im Dorf beim Dreschen singt!

Kammermusik

Der Apotheker, der Kaufmann, der Arzt und der Richter,
es sind immer wieder dieselben Gesichter;
so eine Kleinstadt, es ist ein Graus,
Gott gebe, ich wäre schon wieder heraus.
Aber am Sonntag lädt der Herr Richter
„Auf einen Löffel Suppe“ den Großstadtdichter.
Der Apotheker, der Kaufmann, der Arzt, die drei
sind natürlich auch dabei.
Das Essen ist gut, da ist nichts zu sagen,
ihr Minister des Innern ist eben der Magen;
und der Wein nicht übel; nun ja, man spürt,
„man“ hat eben in der Hauptstadt studiert.
Dann spricht man und raucht; es geschieht auch zuweilen,
daß Minuten ohne Gespräch enteilen,
dann spricht man wieder. Und dann, aus Ehr,
bringt die Hausfrau Notenständer her.
Und dann, da ich seufze: „Es ist nicht zu ändern!“
sitzen die Alten schon vor ihren Ständern,
ein jeder den Fidelbogen nimmt,
zwei Geigen, Viola und Cello. „Es stimmt.“
Und sie spielen Beethoven. Erst etwas befangen;
dann steigen Flämmlein in ihre Wangen,
und herrlich durch das Zimmer ziehn
die unendlichen, mächtigen Melodien.
[457]
Ich sitze und lausche, aufs tiefste erschüttert;
mein Herz wird mild und die Seele erzittert.
Der Flügelschlag der Kunst durchrauscht
die Luft, der fromm die Seele lauscht.
Mir wird, versunken im Anblick der Alten,
als müßt zum Gebet ich die Hände falten:
O Himmel, im Alter bewahre auch mir
die Freude am Schönen, wie diesen hier!

Erinnerung

Zünd festlich im Salon die Kerzen an,
zieh aneinander fest des Vorhangs Spitzen,
ich schiebe zum Kamin die Sessel dann,
dort laß uns, uns umarmend, niedersitzen.
Denn sieh, an solchem Winterabend oft
bin als Student ich durch die Stadt gegangen,
mein Auge, das Erfüllung nie gehofft,
ist oft an solchen Lichtes Schein gehangen.
An Lampenschein, der mild ins Dunkel bricht,
an Fenstern, draus ich frohe Stimmen hörte,
an Schatten hinterm Vorhang, eng und dicht,
indes die Sehnsucht drunten sich verzehrte.
Heut ist ein solcher Abend, kalt und rauh,
das Glück vertieft sich mir in diesen Räumen:
lehn fest dein Haupt an mich, geliebte Frau,
recht fest an mich — und laß mich träumen, träumen!

Acherontische Sizilianen

Als wir nun niederstiegen an den Strand,
dran wellenlos die stygischen Wasser rinnen,
wir saßen nieder in den bleichen Sand
und zogen fröstelnd enger unsre Linnen;
wir sehn uns an, vom Zweifel übermannt,
und können uns doch nimmermehr besinnen:
soll nun an dieses Strandes schmalem Rand
das Träumen enden oder erst beginnen?
***
[458]
Nun gleiten wir schon ungezählte Jahre
und sehn noch endlos sich die Wasser breiten.
Von Charons Ruder in die dunkelklare,
bewegte Flut sehn wir die Tropfen gleiten,
und sehn sie werden und ins dunkelklare
und leis bewegte Wasser niedergleiten.
Und dieses ist das große, wunderbare
Mysterium des Tods: wir gleiten, gleiten...
***
Der Schatten eines Mönchs war mit im Boot,
drauf sich nun dicht der stygische Nebel breitet.
Da sprach der Mönch: „Ich starb geweihten Tod,
mir ward am Kreuz das ewige Heil bereitet.
Gib mir das Steuer, heidnischer Pilot,
mein Ferge steht bei mir, der mich geleitet.“
Sprach Charon, der ihm mild das Steuer bot:
„Dies ist das Boot, das ohne Steuer gleitet...“
***
Vom Bootmast wirft ein Lämplein müden Schein,
phantastische Lichter und groteske Schatten.
So gleitet unser Boot ins Grau hinein.
Phantastische Lichter und groteske Schatten
erinnern uns an das entschwundne Sein,
phantastische Lichter und groteske Schatten.
Ins ewige Dunkel folgen uns allein
phantastische Lichter und groteske Schatten...

Der Gott

Zu Theben stand ein Götterbild,
das glänzte im Morgen, wie geisterfüllt.
Wer diesem Gott ins Antlitz gesehen,
um dessen Frieden war's geschehen.
[459]
Er wurde die Blicke nicht mehr los,
so geisterstarr, so flammengroß.
In Menschen wüßt er sich nicht mehr zu finden,
er fühlte sich langsam geistig erblinden.
Aus Menschendrang, aus Menschenstreit
trieb's ihn zur Bergeseinsamkeit.
Ward da sein Licht ihm wiedergegeben?
Der Riesenberg, er begann zu leben.
Es war kein Wahn, es war kein Spott —
riesenhaft flammte im Morgen der Gott!
In diesem Leuchten zaubertrunken
mit all seinem Leid ist er versunken.

Die Blindenschlacht

Erst waren es zwei — (ihr Zwist ein Heringsmahl!) —
dann kam das ganze Hospital,
schon in Parteien lange entzweit;
und heute brach aus der Streit.
Am besten kamen weg, die bucklig und klein,
die bissen den andern ins Bein —
wie sie das fanden, weiß Gott;
aber ihr Biß war kein Spott!
Die Augenhöhlen hoch, doch höher die Krücken!
Hier flog ein Stelzbein in Stücken.
Schon deckten Verknäulte heulend den Grund;
vom Beißen ließ nicht der Mund.
Welch Schimpfen, Fluchen, Kreischen, ein wahres Höllenfest
und schließlich stand keiner mehr fest.
Mit müden Knochen lagen sie herum;
und, wie auf ein Zeichen, ward's stumm.
Sie tasteten aus dem wüsten Hauf
einer am andern herauf,
hustend und prustend; aber es ging.
Und wieder fing
[460]
der Blindenmarsch an,
Mann hinter Mann,
die Hand auf der Schulter. Die Fackel, des Zwistes Graus,
Gewohnheit löschte sie seufzend aus!

Bergphantasie

Verrauscht der Traum, der süße Traum,
der Liebe Seligkeit — Scherben und Schaum!
Was ich glühend gehofft, ist mir nicht gelungen,
die Schale des Glücks, die ich formte, zersprungen.
Du liebliches Wesen, du stilles Gesicht,
das ich einst umschlungen — dich seh ich nicht!
Leer ist das Haus, der Liebe erdacht;
nun mag es zerfallen, in mir ist Nacht,
der auch die Unendlichkeit nur ein Bann —
Und doch, was die Brust nicht missen kann,
was mir entging, erhascht mein Blick,
nicht für andre blinkend, den Stern von Glück:
Ein Gestad, wo Seele an Seele sich schließt
und Liebe von Busen zu Busen ergießt!...
Wie selig der Golf sich im Lichte wiegt,
der Inseln Geschmeid an das Herz geschmiegt.
Zum Himmel hebt betende Händ er dar
vor Vesuvius' rauchendem Opferaltar.
O Erde, Mutter! Im Flehen so schön,
wirst einst alle Kinder du glücklich sehn?
Ach, Dunst verschleiert das Bild voll Licht:
noch hält kein Tag, was der Morgen verspricht!
Da — Jubeln des Blitzes! Die Wimper scheu
hebt auf die Schwüle, und senkt sie aufs neu.
Wo ist der Tag, wo die Ferne, wo
die Küste, so farben- und sonnenfroh?
Wohin ist Neapels lichtblühendes Meer
und der Inselkranz und das fröhliche Heer
der Segel, tanzend im blauen Duft?
Nacht ist die See, ein Alp die Luft!
Frohlockendes Flackern! — Wie taumelnd sich mühn
[461]
Gedanken des Glücks: war's Traumerblühn?
Und wieder loht's auf, und ein Feuer umhüllt
Stadt, Inseln und Meer — und erstickt ist's wild.
Und wieder loht's auf, und greller denn je —
Flamme ist aller Himmel Höh!
Und wieder siegt Nacht. Da braust es heran,
ein Riesenbild stürmt durch des Himmels Bahn.
Ein Mantel von Glut, langwallendes Haar
umlodert das Riesenweib wunderbar.
Laut schlägt ihre Lanze den strahlenden Schild;
der Donner antwortet — vernichtungswild:
ein Heer von Donnern! Die Nacht zerreißt —
ein Geistergetümmel aus Wolken kreist.
Bedrückung und Kraft unterm geißelnden Blitz
streiten sich um der Welt Besitz.
Jetzt bebe, was morsch: jetzt hält nur stand
wider die Flamme, was selber ein Brand!
Was jetzt nicht vom Feuer, vom Licht — gewiß
sinkt unter den Streichen der Nemesis,
die daniedermäht die Saat von Leid,
was nicht entsprossen aus Brüderlichkeit!
Unerbittlich ist ihr Gericht;
was reif dem Fall, sengt ihr Gesicht,
wie des heißen Sirokko Wüstenhauch
zu Gerippen entkleidet Baum, Busch und Strauch.
Vorm Zürnen der göttlichen Richterin schwillt
eine Sintflut sausend aufs dumpfe Gefild,
zerklüftet den Weg, reißt mit den Stamm
der Riesenpinie, zerlacht den Damm,
prasselt dahin im wirren Glanz
und tanzt den großen Vernichtungstanz...
Doch tun sich die Pforten des Himmels auf?
Eine Welt glüht hinter dem Regen hinauf,
stäubt durch den Flor, einer Insel gleich:
zittert empor — das saturnische Reich?
O du Königin über dem wogenden Streit,
laß, Nemesis, wehen dein Feuerkleid,
nimm mich hinauf durch der Donner Gebrüll,
daß vor irrendem Auge sich mir enthüll
[462]
die Blume der Schlachten, der Stern im Erglühn,
deine Tochter, o Fürstin: ein Welterblühn,
eines neuen, freien Weltalters Pracht,
— oder schwemme mich hin in die Nacht!

Geheimnis

Sag, wo bist du? Lebt in diesen Augen
das, was immer mich zu dir entrückt?
Möcht in deine Seele meine tauchen;
wo die ernste landet, sie erschrickt.
Dich ergreif ich nicht! In deiner Nähe
bin ich dir doch fremd. Du Huldgestalt,
die ich nur im Taumeln sehe,
weiße Well, vom Wellenhaar umwallt:
Wo umfang ich dich, vollglühend Leben?
Wo enthüllt sich mir, was dich durchfüllt,
daß ich fühl, was fühlt dein Beben,
„Mein“ und „dein“ mein Wissen überschwillt —
Wie sich meine Arme um dich runden,
deine Glut durchirr ich lange Zeit;
kann ich dich doch nie ergründen —
O Geheimnis der Persönlichkeit!

Der Mond spielt in den Blattgeflechten

Der Mond spielt in den Blattgeflechten,
duftschwere schwüle Winde ziehn.
Wie liegt in diesen Blütennächten
mein ganzes Wesen auf den Knien!
O jetzt die Schwingen auszubreiten
und aufzugehn in deiner Pracht,
in deinen Sternen-Ewigkeiten,
du wunderbare Frühlingsnacht!
[463]
Es schwillt der Duft der Blütenbäume
gleich goldnem Strom zum Äthermeer.
Wo bist du, Land, von dem ich träume?
Wo geh ich hin? Wo kam ich her?
Noch liegt verhalten, ungeboren
mein tiefstes und mein bestes Sein.
In Wahn und Weh bin ich verloren.
Du Licht der Wahrheit, brich herein!
Da wird der Sehnsucht heißer Wille
zum grenzenlosen Schmerzensschrei:
O führ ein Sturm jetzt durch die Stille
und machte mir die Seele frei,
und ließ sie gleich den Düften gleiten
und aufgehn in der Schöpfung Pracht,
in deinen Sternen-Ewigkeiten,
du wunderbare Frühlingsnacht!

Nichts ward anders

Und nichts ward anders seit dem Abendgang,
da ihre Seelen frei die Wahrheit sprachen.
Kein Band umschloß sie, und kein Tor zersprang.
Kein Sturm stand auf, und keine Riegel brachen.
Gefestigter und stolzer nur ihr Mut,
und weicher ihrer Lippen feines Schwellen,
und eine zarte, goldne, tiefe Glut
auf seines Lebens großen dunklen Wellen.

Einschlafen

Eine Stimme flüstert: Komm herein!
Bleibt vom Tor! gebeut sie meinen Schmerzen.
Leise zieht's mich in den Dämmerschein,
leise brennen große duftige Kerzen!
Lagerstätten, thymianumlaubt,
stehn auf Dielen, glatten, mondscheinweißen.
Weiche Schleier wirft es mir ums Haupt,
leise, leise, daß sie nicht zerreißen!
[464]
Leise klingt der Harfen goldner Ton,
und es tragen Knaben durch die Halle
Schalen voll von großem, rotem Mohn, —
leise, leise, daß er nicht zerfalle.

Herbstklage

Es braust durch den Herbst ein Schmerz,
der klagt schwer, so schwer:
Mutter! Mutterherz!
Warum schlägst du nicht mehr?
Mutterbrust, du bist kalt!
Muttermund, du bist stumm!
Aufstöhnt es mit Sturmesgewalt:
„Mutter, warum?
Warum bist du verstummt,
Mund, der uns zum Leben rief?“
Der Wald steht in Nebel vermummt,
trauernd, tief, tief! —
Schlaf zwingt den brausenden Schmerz.
Doch noch im Entschlafen, schwer,
stöhnt der Quell:
Mutter! Mutterherz!
Warum schlägst du nicht mehr?

Schneebeere

Alles kahl. — Und rauh des Windes Hauch.
Nur wachsbleiche Perlen noch am Schneebeerstrauch.
Durch die hohe Tür im Kinderkrankenhaus
geht der ernste Schnitter emsig ein und aus.
Rauhe Herbstzeit, — seine Erntezeit!
Zahllos ist die kleine Schar, die ihm geweiht.
Eine reihte Beeren mit der dünnen Hand,
eine Sanfte, Bleiche, Schneebeerchen genannt,
reihte gestern, mühsam, müde, immerzu.
Heute liegt sie perlenbleich, in süßer Ruh,
mit der Schneebeerkette auf dem Sterbekleid,
die sie, schmerzvoll lächelnd, zierlich aufgereiht.

Sprüche

[465]
Ein Glück, wie wir's uns in der Jugend träumen,
gibt es im Leben kaum.
Du eben bist das höchste Glück: du Überschäumen,
du goldner Jugendtraum.
***
Es gibt uralte Bäume, voll Wunden und Narben,
über und über mit Blüten beschneit.
Und Menschen, denen alle Freuden starben,
und doch sind ihre Seelen voll Heiterkeit!

Sturmeswehen

Es rüttelt der Sturm an Fensterläden
und heult durch die hohle Nacht —
Da sind drei stiere Gedanken mit eins
mir in horchender Seele erwacht.
Das bist du Liebe mit jauchzender Lust
und mit bohrendem Seelengewühl,
von Weihrauch umquirlt, mit Flüchen getränkt
— du satanischer Gott, du Gefühl.
Das bist du Kampf um die Güter der Welt,
du Kampf auf Leben und Tod,
du Kampf, der ewig zerstört und erhält,
— du Dämon der Gier und der Not.
Das bist du Tod mit dem Unlusthauch,
Gott ersehnt, dem Tiere verhaßt,
der Qual ein Engel, ein Teufel der Lust
— du Unding, von niemand erfaßt.
Es rüttelt der Sturm an Fensterläden
und heult durch die hohle Nacht —
Drei stiere Gedanken kreisen im All,
vom Wahnsinn der Gottheit entfacht.

Traumbild

[466]
Aus tiefem Schlaf bin ich erwacht —
War eine kummersatte Nacht.
Ein Traumbild war es, grausig fast,
und lag auf meiner Brust wie Last.
Ich saß in einer Zelle leer —
Es drückte auf das Hirn mir schwer.
In einer Ecke saß ich dort
mit stumpfem Blick und sprach kein Wort.
Schon zwanzig Jahre saß ich hier
und sah zu Boden wie ein Tier.
Und immer stand vor meinem Blick
ein längst gestorbenes Erdenglück:
Ich schlief mit ihr in einem Bett —
als ob ich's jüngst verlassen hätt,
so stand's vor mir. Ich schlief zur Nacht,
da stahl sie sich davon ganz sacht.
Zu einem Buhlen schlich sie hin,
ich kannte ihn am blonden Kinn. —
Dann kam sie wieder mir zurück
mit leerem, kaltem, blödem Blick.
Ich fragte sie, da log sie nicht:
ich sah ihr fahles Angesicht.
Ich weiß nicht mehr, was dann geschah:
in ihrem Blute lag sie da.
Und zwischen Blut und Därmen quoll
ein junges Leben unruhvoll.
Dann kamen sie mit Stricken noch
und schleppten mich in dieses Loch.
So saß ich dumpf in leerer Zell
und saß und sah auf eine Stell.
Wohl zwanzig Jahre war's schon her —
Ich saß und sah und sprach nicht mehr.
[467]
Und immer stand vor meinem Blick
dies ferne tote Erdenglück.
Und immer, wenn der Wärter kam,
er solchen stummen Sang vernahm.
Er sah in mir das Konterfei
der blinden Glücksuchtsraserei.
Er sah in mir das Bild des Manns
verzerrt durch eine dumme Gans.

Der bleiche Verbrecher

Gott, wie haben sie mich durchs Leben gepeitscht —
nirgends Ruhe, nirgends Rast!
Und wie haben sie nur die wunde Seele zerfleischt,
als wär ich der Erde die schwerste Last.
Gärten und Felder standen trächtig von Früchten,
aber Zäune wehrten, welche zu nehmen:
Wollt ich betteln vor ihren Türen: „Mit Nichten!“
sagten sie, „zu betteln mußt du dich schämen.“
Sagten: ich sei verpflichtet, mein Brot zu verdienen
und das tägliche Brot meiner armen Kinder —
sagten alles mit ihren entrüsteten Mienen,
sie, die Lebensergründer und Weisheitsfinder.
Und so haben sie mich durchs Leben gepeitscht,
das mir ein unbegreiflich Geschick nicht kürzen wollte.
Und ich hab die Last meines Leibes weitergeschleift
und mein Herz beschwichtigt, daß es nicht grollte.
Daß es nicht grollte und keine Klage erhob
gegen die reichen, begüterten Herren der Welt,
daß es sich krümmte und schwieg, wenn der Herbstwind schnob,
der ihre faulenden Früchte zur Erde gespellt.

Todes-Eiland

Aus brütender Wogen
tonlosem Zerfallen
aufdürsten granitene
Felsenkolosse.
[468]
Weißglühend verraucht
starr im Zenith
der Lichtball der Erde.
Zurückfloh das Leben.
Kein Laut, kein Hauch —
Nur still-geheimes
Granitkornzerlecken
die Tiefe hinab.
Und an berstender Steinfirst
dumpf-gieriges Nagen
unsichtbaren Zahnes.
Vorbeirauscht die Zeit.
Und leise, ganz leise,
unfehlbar, unhörbar,
jahrhundertewährend
ein langgezogenes
hohles Verröcheln —
Gleich müd und müder
verblutend verzuckendem
Sinken und Heben
gebrochener Flügel...

Alte Schlösser...

Alte Schlösser lieb ich mit gemeißeltem Wappen überm Portale,
dunkeln Bildern gewaltiger Ahnen im düstren Saale,
alte Schlösser, die von zackiger Höh in bewaldete Tale
aus zerbröckelnden Bogenfenstern schauen,
Efeu rankt sich darüber wie wildzerraufte Brauen...
Stille im Burghof, wo auf breiten Quadern die Schritte verhallen,
im verwachsenen Park, wo herbstliche Blätter fallen,
[469]
auf den mächtigen Stiegen,
die vom Gewänderschmiegen,
rauschenden, festlichen Fahrten träumen.
In den Kronen von ergrauenden Bäumen
nisten große Vögel und fliegen
schwarz und schwer
um steile Türme hin und her...

Die Fürstin

Scheuer Knabe in blonden Locken,
was weichst du mir aus?
Sei nicht so schüchtern und erschrocken,
blick nicht bebend auf das hohe weiße Haus.
Sag es niemand: ich will dich lieb haben,
aber mein Glück muß ich wie ein Dieb haben.
Komm nachts zu mir in den Rosengarten,
verschleiert werd ich dich erwarten,
dann wollen wir in das Marmorbad schleichen
mit den glänzenden glatten weißen Wänden,
wir nehmen uns bei den Händen,
und du sollst meinen knospenweichen
königlichen Leib ohne Hüllen
umarmen,
wir wollen die Haare uns füllen
mit weißen und mit roten Rosen,
und über die Stufen zum duftenden lauen
Wasser sollst du mich tragen.
Nur eine von meinen Frauen,
die schönste jüngste in losen
wallenden schwarzen Haaren,
soll am Rande sitzen mit ihren wunderbaren
feinen, schmalen Gliedern und leise Lieder sagen.

Meldung

Ein schwarzer Ritter, Herrin, hält
im Burghof mit verhüllter Miene,
so wahr ich deiner Gnade diene,
er hat nicht Wesen dieser Welt:
[470]
sein Helm trägt eine glatte Schiene,
sein Harnisch ist von schwarzem Stahl,
sein Roß hat Augen wie Rubine,
sein Wink durchfuhr mich ein Strahl...

Der Gesandte

Als der Gesandte schied, ging meine Königin
— sie barg es hinterm Fächer, doch ich sah's —
Tränen verwindend zur Fontäne hin,
das Kleid zu schürzen in dem feuchten Gras
die allzu Eifrige vergaß.
Er aber, den ich nie so schön gesehn,
so braun und scharf gezeichnet,
heldisch und voll edler Art,
hat jeden Blick in seiner Macht bewahrt,
hat ehrerbietig sich verneigt und schritt
dem Ausgang zu und nahm in seinem Auge mit
das leise Zucken ihrer schmalen Schultern...

Porträt des Marquis de...

Halte mir einer von euch Laffen mein Pferd,
hole mir einer von euch Lumpen mein Schwert:
ich ließ es bei einer Dame liegen.
Lasse einer von euch Schurken einen Falken fliegen:
ich will ihm nachsehen und mich ins Blau verlieren,
störe mich keiner von euch Tieren!

Goya

Ich habe die lange schwüle Nacht
bei einer jungen Dame verbracht:
sie liegt und träumt mit offenen Lippen von meinem Nacken...
Ich will jetzt malen, ihr sollt euch packen!
Steht nicht herum und gafft so ledern!
sonst zerr ich euch an euren Agraffenfedern
oder kitzle eure dünnen Waden
mit meinem Degen. Ich bin von Gottes Gnaden,
[471]
ich bin ein Grande im offnen Hemd,
ich liebe das Licht, das die Welt überschwemmt,
ich liebe ein Pferd,
das bäumend sich gegen den Zügel wehrt,
ich liebe den Juden, den keiner bekehrt —
Dem König lasse ich sagen, er solle
klopfen, wenn er mich stören wolle.

März

Frühling, wie bist du überall,
du Fremdling mit den blassen Wangen,
mit Schritten ohne Widerhall
in süßer Traurigkeit gegangen.
Dein Atmen liegt noch in der Luft,
viel scheue Knospen zittern bang,
und ein berauschend weicher Duft
schwebt tälerein und wegentlang.
Mir will die Brust vor Schmerz und Angst,
die liederreiche Brust verzagen:
du bangst in Sehnen und verlangst
nach ihm und kannst es ihm nicht sagen.

Die stille Seele

Die stille Seele, in der sich die Höhen spiegeln,
die große Seele mit allen Wundern der Tiefe,
die klare Seele mit gar keinen heimlichen Quellen,
die werde ich nie, o nie besitzen.
In meiner Seele ist dumpfes Brodeln,
hoher Wellenschlag und wechselnde Wasser,
viele Farben und immer neue Quellen,
heiße Quellen, und jähe böse Strudel.

Das lange Lied

[472]

Gesang der Weltwalrosse:

Ja nun wollen wir singen das lange Lied,
das so still wie ein Schwan durch das Weltmeer zieht,
unser Lied von der sternraumentrannten Zeit
mit der weiterhinflammenden Ewigkeit.
Morgen, Heute, Gestern
sind drei liebe Schwestern,
aber nicht die Ewigkeit.
Wir aber wollten zum Herzen des Lichts
und da die Ewigkeit umfassen.
Urplötzlich aber begriffen wir nichts
und mußten alles Denken lassen.
Als langes wüstes Träumen
erschien uns alles Leben.
Stumpf wie altes Weltgewürm
schwammen wir nun ohne Worte
durch den langen Himmelsraum,
kamen so an eine Pforte,
deren weite Schallgewölbe
auf Säulen ruhten, die aus Glas bestanden
und blitzten, daß wir's überall empfanden.
Als wir nun sehr bald bemerkten,
daß die Schläge sich verstärkten,
riß uns die Geduld — wir schimpften;
unsre dicken Walfischfelle brannten.

Und es sangen die Säulen:

Also scheuert ihr nicht ab
eure Weltnatur.
Diese Pforte sei für euch
starres Sinnbild nur
und ein Jenseitsgruß.
[473]
Denn hier geht es zu den Weltgesichtern,
die auch hinter allen Räumen lachen
und auch hinter allen Farbenlichtern
Leben aus den Sehnsuchtsträumen machen.
Zwar zu der Jenseitsherrlichkeit
kommt ganz allein die Weltenzeit.
Die geht so leicht durch diese Pforte
und weilt an manchem Wunderorte;
sie hängt beinah an jeder Weltallsfalte,
nicht nur an der, die sich mit Sternen schaukelt;
sie ging nach vielen Seiten,
ohne zu verschwinden,
und pflegte fortzuschreiten,
ohne wegzugehen.
Die in Räumen sich befinden,
werden niemals das verstehen.
Es schwebt die leichte Unbekannte
nicht über dem ganzen Allgewande,
doch hat sie viel davon gesehen.
Wollt ihr das Ganze sehen, seht ihr nichts,
wollt ihr das Ganze hören, hört ihr nichts.
Ihr schwimmt im räumlichen Faltenschoß
und wißt von Formen und Farben bloß.
Und die andren Höhen, Weiten und Tiefen,
die im Allgewande wachten und schliefen
und weder Höhen, noch Weiten, noch Tiefen sind —
für euch sind sie nicht da.
Ihr wißt nicht, was geschah.
Was wißt ihr von dem Ganzen?
Mit dem könnt ihr nicht tanzen.
Doch hier vor unsrer Säulenpforte
entwickelt sich ein Ahnungsspiel
von andrer Sinne Sehnsuchtsziel.
Atmet doch in jedem Augenblick
noch manches andre Weltgeschick,
das weder Lichter noch Schatten kennt
und nicht vom einen zum andern rennt.
Und jede selige Stunde
wird von dem Ahnungsspiel durchglänzt,
[474]
daß eure Sehnsuchtsallkunde
sich licht- und schattenlos ergänzt.
Ja, nur Zeit und Ewigkeit
stehn mit einem Bein in andren Sphären,
des Gewürmes Wenigkeit
soll in Sehnsucht sich verzehren
und ein Ahnungsspiel gebären.
Diese Pforte sei für euch
starres Sinnbild nur
und ein Jenseitsgruß
von der Allnatur.

Nach diesem langen Gesange rufen die Wale sämtlich, als wär ihnen ein Stein vom Herzen gefallen:

Schluß!

Die Wale sinken in die Tiefe und singen:

Nun schwimmen wir wieder ohne Begehren,
wir ahnen der Welten Sehnsuchtsziel —
und wollen uns gar nichts weiter erklären,
wir bleiben beim großen Ahnungsspiel.
Und tun wir auch vielen Skorpionen leid,
wir sind doch die Weisen — im Narrenkleid.

Der Künstler

Den Worten, die mein Vater zu mir sprach,
geh ich mit diesen Klängen tastend nach,
daß ihres Sinnes köstliche Belehrung
zum Trost mir werde oder zur Bekehrung.
Mein weiser Vater aber also sprach:
„Der Tag der Freude und die Nacht der Qual,
sie führen beide dich zum heiligen Gral.
[475]
Die süße Unrast und der Sehnsucht Not
sind deiner Seele Labung und Gebot.
Doch sollst du stets in deiner Sonne gehn,
die Welt in deinem Licht und Schatten sehn:
Wir selber sind das irre Fackellicht,
in dem ein müdes Schicksal unsre Stäbe bricht.
Du glaube froh: die ganze Welt ist dein!
damit du lebest, modert das Gebein
vieler Jahrtausende und schwoll die Not
des Lebens also, daß sie jetzt dein Boot
zu deiner Sehnsucht fernen Küsten leitet:
dir ist die Welt von Anbeginn bereitet.
Mit tausend Wurzeln saugst du deine Kraft
aus tausend Herzen — nur dein Wille schafft —
Leben ist Sklave, der den Marmor bringt:
du aber bist es, der den Hammer schwingt.
So wird dein Werden dir zu Fest und Spiel,
in deinem Wissen ruht dein letztes Ziel.
Und aus der Not des tiefbelauschten Strebens
wächst dir das Göttliche und körpert sich
und aus der Schmach des aufgezwungenen Lebens
hebst du mit eigner Hand dein Werk:
erhebst du dich!“

Werden

Es muß wohl sein, daß wir am Morgen
mit hellem Ruf ins Weite ziehn,
um zweifelschwer am Übermorgen
ins letzte graue Tal zu fliehn.
Daß wir um unsrer Seele Wahl
siebenzigmal verzweifeln müssen,
um nach der letzten Nacht der Qual
die eigenen Wunden still zu küssen...
[476]
Nun liegt die Welt vor dir so wahr,
es wächst der Mensch, weit wird das Land —
und jedes Rätsel wird dir klar
und jede Linie deiner Hand.

Leben!

Leben! du purpurner, quellender Sprudel,
ich möchte dich packen mit beiden Händen,
möchte mir baden die durstigen Lenden
in deiner Brandung bacchantischem Strudel!
Möchte mich stürzen in deinen Schlund
jauchzend, mit gierig geöffnetem Mund!
Möcht sie entlodern lassen die Gluten,
die scheu mich durchziehn, die der Erden entstammen,
in deines Taumels Champagnerfluten
zu blühenden, glühenden Flammen!
Jung bin ich — jung, und voller Verlangen;
von Reichtum, von schäumendem, quillt es über,
und es zuckt, es zittert mir jede Fiber,
dich, o du lockende Welt, zu umfangen.
Doch die Zeit, die kostbare Zeit, sie entflieht —
all meine Kräfte sie stehn im Zenith!
und nach deiner Hochflut schillernden Wogen
heimlich begehrlich von ferne nur lugend,
dorren die Blüten, der Labe entzogen,
dorrt meine schwellende Jugend...
— Rings in Weiten, da winken die Wellen,
sie winken und werben mit schluchzenden Bitten...
Ich schleiche mich näher mit zögernden Schritten.
Sie fluten heran, sie steigen, sie schwellen!
Und der Sirenen wildsüßer Chor
tönt lockend herauf an mein lauschendes Ohr.
[476]
Und bäumend und schäumend die Wasser sich mehren,
die gleißenden Arme in Gier nach mir reckend —
schon züngelt's empor mit wildem Begehren,
die brennenden Sohlen mir leckend.
Und so stürz ich denn tollkühn, mit lachenden Lippen,
mit all meiner Jugend entfesselten Gluten,
Leben! in deine purpurnen Fluten
— durchstarrt von tausend zackigen Klippen —,
in deines Mahlstroms Wirbelgetos,
in seiner Fluten hölltiefen Schoß;
ob sie zum Lichte mich mögen erheben,
ob ich im Strudel werde versinken — —
Ihr Götter! nur leben, nur leben, nur leben!
nur trinken, nur trinken, nur trinken!

Sturmnacht

Alles ist in späte Dämmerung getaucht...
Die Nacht brüllt wie ein Raubtier auf,
es ist die Stunde des Mords.
In den Bäumen wühlen Winde,
und in schmutzig-silbernem Wasser
blinkt die Farbe des bösen Blicks.
Auf den Pappeln aber,
die zwischen Himmel und Erde gestemmt sind,
schlägt der Sturm eine schwarze, dumpfe Weise.
Es ist, als peitschten vom Gebirge
ungeheure Schleppen übers Land...
So rauscht sie hin, so alle zarten Töne niederwuchtend,
die da und dort aufzucken — —
Die ganze Nacht tönt nun
in schweren, brandenden Akkorden.
[478]
— — — — — — — — — — —
Den Hornruf bracht ein Windstoß mit!
Und er springt auf, reißt wild sein Weib an sich —
dort, dort! und dort... den Hügel herauf
gellt die Verfolgung... suchen sie den letzten
von den vielen.
Noch klebt an seinen Locken schwarzes Blut,
das ihm drei rote Tage ins Gesicht
und in die Haare spritzten.
Der Walhall Nebelglanz liegt ihm im Herzen,
wie er da steht,
das Haupt entblößt,
den letzten Streich zu führen.
Sie aber hält den Arm um seinen Leib geschlungen,
die Zähne knirschen aufeinander und starr,
starr steht der Blick auf seinem Schwerte...
Groß lehnen beide am grauen Horizonte —
Dumpf stößt der Sturm zum Hügel.
... ein Römerruf... ein Pferd wirft auf...
Sie ist zurückgetreten — einen Schritt zurück,
das Auge immer nur am tanzenden Schwert,
unheimliches Lächeln am Munde —
Der Reiterschwarm umnächtigt sie, und klirrend
springen Schwerter — —
Sie sieht ihn wanken...
fallen... fällt, und dann — —
ertrinkt ihr Blick im Blut.
Der Sturm streicht auf den Pappeln
seinen tiefsten Baßakkord.

Im Garten

Schon ist's die Nacht.
Ein leiser, feiner Duft im Wind,
und Dämmern weißer Nelken...
[479]
Düften weißer Nelken... weiche Mädchenarme,
die sich um den Nacken schmiegen,
stumme, stumme, weiße Luft...
und durch das Schmeicheln drängt zum Mund
die Rose dort, ein roter Mund...
Dann ist's, als schritt in nelkenweißem,
dämmrungleuchtendem Gewande,
das ein goldner Gürtel um die Hüften hält,
ein Mädchen schlank und träumend stolz
den langen, schmalen Weg der Mitte...
als irrt um ihre Schritte zitternd Tönen:
Erwachen aller Blumen und Entschlummern — —
schritte durch den Garten und verschwände...
Nur ein Ton, wie er im Abendsonnenweben schwimmt,
ein Duft nur blieb, dort, wo zum letztenmal
das Goldhaar hergeblinkt. Die Sommernacht...

Im Heidekraut

I.
Auf der Klippe

Hoch oben lieg ich,
im Heidekraut,
hoch über den dunklen Wäldern,
hoch auf dem sonnenglühenden Geklipp.
Ich denke, ich treibe auf einem endlosen Meer.
Das Spiel feiner Wogen ist das helle Himmelsblau,
das unaufhörliche Rauschen und Wühlen des freien Bergwindes in den hohen Kronen,
Vogelgezwitscher und wehende Düfte,
Summen, Schrillen und Knistern der Käfer,
die hundert Geräusche der windbewegten Zweige,
[480]
blitzende Strahlen
und ruhende, gleitende Lichter,
wellende Farben
und das Blinkern und Donnern der Wildwasser —
und meine Gedanken,
meine dummen Gedanken...
Mit Strömen von Wärme und Licht rauscht die Welt Lieder durch meine Pulse,
dunkle, grausige, süße Lieder der Einheit.
Über die blauen Täler hin,
in die weite, sonnige Welt hinein,
schwatzt dich meine Sehnsucht,
du liebes, unergründbares Rätsel;
neckt sich mit kindlichen Torenworten
die uranfängliche Kraft,
ihr eigenes Rätsel
und ihres eigenen Rätsels Sinn...

II.

Heidekraut steck ich an meinen Hut
und wandre.
Was ist mein Ziel?
Der Ruf eines Vogels
glockenhell
aus einem tiefen
fernen Grund...

Regen

Geht ein grauer Mann
durch den stillen Wald,
singt ein graues Lied.
Die Vöglein schweigen alsbald.
Die Fichten ragen so stumm und schwül
mit ihrem schweren Astgewühl.
In fernen Tiefen
vergrollt ein Ton.

Herbst

[481]
Herbstsonnenschein.
Der liebe Abend lacht so still herein.
Ein Feuerlein rot
knistert im Ofenloch und loht.
So! — Mein Kopf auf deinen Knien.
So ist mir gut;
wenn mein Auge so in deinem ruht.
Wie leise die Minuten ziehn! ...

Spätherbst

Prinz Zuckerkant
kommt ins Land.
Seine Pracht schimmert auf gelben Blättern,
an Stamm und Kraut,
auf dunklem Ackerbraun.
Wie heimisch ist sie zu schaun! —
Nun könnt ich hier immer so bei den grauen Weiden stehn
und die blinkenden Tropfen fallen sehn! —

Winter

Der schönste Cherub kommt,
mit weitweißen,
sanften Schwingen
schimmert er durchs Dunkel:
kalt, starr und grausig
und süß wie der Wille Gottes,
heimatliederumraunt.

Spuren im Tau

[482]
Weit glänzt das duftende Mattental
von blitzenden Demantperlen,
und purpurn prangen im Zwielichtstrahl
am Bach die Weiden und Erlen.
Still ist's; nur hier und da ein Hahn
verkündet im Dorf den Morgen.
Ich schreite dahin durch den Wiesenplan,
die Seele voll junger Sorgen.
Sieh da! Hier zeigt sich eine Spur
im Gras von flüchtigen Tritten! —
Wer hat wohl so früh schon die tauige Flur
einsamen Fußes durchschritten?
Es treibt mich, zu folgen mit spähender Hast;
jetzt führt es mich hinter die Hecken: —
da mag sich wahrlich bei stiller Rast
ein Träumer prächtig verstecken! —
Doch schau, ei, schau! zwei Fährten gar!
hier münden sie just in eine!
Und am Busch dort flattert ein Frauenhaar
flachsgolden im Frührotscheine! —
Nun wird es mir klar: Hier kündet sich neu
das tränensonnige Märchen! —
Halt aus, halt aus, trotzmutig und treu,
du hoffnungseliges Pärchen!

Das Dritte

Oft, wenn vergnügt im weichen Dämmerweben
mein muntres Kleinpaar um mich tollt und lacht,
bei heiterm Spiel und Scherz vorm Schlafengehn,
kommt plötzlich unter all der lauten Lust
ein Wehgefühl mich an, und ernst und schweigsam,
[483]
da ich beglückt noch eben mitgelärmt,
setz ich mich abseits. — Leis durchfröstelnd sinkt's
auf mein Gemüt: — Ein bleiches, kaltes Händchen
seh ich verlangend greifen aus dem Nichts
und langsam sich und müd nach irrem Tasten
aufs Herz mir legen; ein Gesichtlein blickt
so heiß begehrend und so traurig fragend
aus leerer Luft mich an, daß länger nicht
die Tränen ich bezwinge. — Weiter schallt
das unschuldvolle Jauchzen mir zu Füßen.
Fremd ist dem ahnungslosen Kindersinn
noch jedes Erdenleid; sie wissen nicht,
daß meine Träume zwischen Gräbern wandeln,
und daß, wo sie des Lebens Freude grüßt,
mit mir geheime Zwiesprach hielt der Tod.

Ohnmacht

In neuen Worten, tiefen, sehnsuchtsbangen,
wie du sie nie gehört, möcht ich dir nahn.
Mit neuen Küssen möcht ich dich umfangen,
dich neue Gluten lehren, bessern Wahn.
Ich möchte dich in Seligkeiten hüllen,
darin dich ungeahnter Schauer faßt,
ich möchte dich mit tiefem Leid erfüllen,
wie du's von keinem noch erlitten hast —
Und kann es nicht! Dasselbe bleibt es immer,
es ist im Wort derselbe irre Klang,
im Aug derselbe liebesfeuchte Schimmer,
die gleichen Bitten sind's, der gleiche Dank.
Und wenn mein Arm den Nacken dir umwindet,
irrt er der Spur vergangner Nächte nach,
und wenn mein Mund den deinen bebend findet,
küßt er ihm kaum vergeßne Küsse wach.
[484]
Und in den reichsten Stunden, liebesüßen,
umschwelgt uns trunkener Erinnrung Bann;
aus meinem Lächeln und aus meinem Grüßen
schaut ein Gewesnes dich vertraulich an.
Und wenn ich mit dem Blick des Hohns dich quäle,
seh ich im Aug dir ein Gedenken glühn.
Und was ich löschen will aus deiner Seele,
in hellern Farben laß ich dir's erglühn.
Und wenn ich mich gemartert von dir wende,
spielt um die Lippen dir ein müder Zug —
der lächelt stumm: Ich kenn ja auch das Ende,
wie's immer kommt — mit Ekel und Betrug.

Anfang vom Ende

Daß all das Schöne nun längst zu Ende,
wie könntest du's verstehn?
Ich hab ja die lieben, süßen Hände
geküßt beim Kommen und Gehn:
Und hab in deinem dämmrigen Zimmer
mit dir gekost und gelacht —
und hab auch geplaudert mit dir wie immer
bis spät, bis spät in die Nacht.
Im Heimgehn wieder, durch stille Gassen,
schlich's über mich so bang,
wie ich mein armes Mädel verlassen,
so lange schon! ach wie lang!
Doch, daß ich so einsam von dir gegangen,
wie käm's dir denn zu Sinn,
und daß ich, von deinem Arm umfangen,
so endlos fern dir bin!
Ich will ja morgen wieder kommen
mit lächelndem Gesicht;
und daß ich längst Abschied von dir genommen,
mein Mädel, — du weißt's ja nicht...

Vorüberreitend

[485]
Dort wo die Wiesen abwärts gehn
zur blauen Bergeskette,
mag tief im rauschenden Walde stehn
die kleine verlaßne Gloriette.
Es liegt das Schlößchen bis an den Hals
im Efeu verstrickt und verloren,
die steinernen Wappen von Mainz und Kurpfalz
bröckeln über den Toren.
Es klettern über den Erker stumm
Wildwein und Feuerbohnen,
vom lecken Brunnen starren dumm
pausbäckige Tritonen.
Einst in den Tannen sang der Wind,
es schwatzten süß die Stare,
im Sonnenscheine stand ein Kind
mit weichem, goldleuchtendem Haare.
Es blühten würzig düsterbunt
die Nelken an den Wegen,
doch heißer schwoll der Liebsten Mund
dem jungen Glück entgegen.
Des Hirsches Brunstruf schnob vorbei,
es war zur Mittagsstunde,
von ferne nur scholl ein Häherschrei
über dem schwülen Grunde,
zuweilen die brütende Flur entlang
zog es wie Taubengirren,
zuweilen murrten die Bäume bang
rauschend in Traumeswirren.
Und um uns schloß im Dämmerschein
der Wald sein goldgrünes Gitter:
da brach ein Windstoß jäh herein,
es kam ein Lenzgewitter...
[486]
Ich habe verlassen mein Heiligtum,
um trügendes Glück zu jagen —
O goldnes Vließ, o finstrer Ruhm,
wie seid ihr schwer zu tragen!
Mag lachen das Leben königlich
aus allen Türen und Toren,
ich trage Reue und Leid um dich,
die ich verkannt und verloren.
Nun decken die Wälder in Ewigkeit
ein Glück, das ich verscherzte;
o Jugend, wie bist du so weltenweit,
du heilige, nie verschmerzte!
Bald küßt die schauernde Heimatflur
der Lenz, der lachend neue,
doch krächzend um meiner Schritte Spur
flattern die Raben der Reue.
Der Tag bricht an, ein Sturm aus West
wälzt sich über die Hügel,
mit Schüttern und Gleißen, in Stahl gepreßt,
traben Heeresflügel.
Wir ziehen des Wegs zum letztenmal,
und auf dem Schild mit Beschwerde
trag ich ein Kreuz von schwarzem Stahl
zur gelobten Erde.

Nebeltag

Vorbei nun ist es mit den blauen Tagen,
es senkt der Herbst die graue Schlußgardine;
vom Garten, der einst Rosenpracht getragen,
dringt Grabesduft verblühter Balsamine.
Ein letztes Ideal ward mir zerschlagen,
Brief zuckt auf Brief verflammend im Kamine;
indessen Schauer überm Parke jagen,
pfeift hell der Sturm die Abschiedskavatine.
[487]
Mir ahnt es trüb: wer um das Glück der Erden
sein Herzblut gab, den trösten nur hinferne
noch Arbeitslämpchen und Kamingefunkel.
Denn alle Wonnen, die begehret werden,
die Welt, der Ruhm, die Frauen und die Sterne,
sie wärmen nicht und sind im Grunde dunkel.

Über dem Leben

Im Schlafgemache, während trüb und fahl
die Schatten um zerwühlte Kissen glitten,
verstarb ein Mann; und als er ausgelitten,
hob seine Seele sich vom Erdental.
Er hatte stets, hochachtbar, vielbeneidet,
zum Wohl der Stadt manch Ehrenamt bekleidet,
drum riefen laut, in windzerrißnem Klang,
bald dumpf bald hell, vom finstern, nebelnassen
Gewirr der Türme, Schlote, Giebel, Gassen
die Trauerglocken. Allgemach versank
des Erdballs Brausen. Schon, auf starken Schwingen,
begann ein großer goldner Ton zu klingen,
schon wuchs ein Weg, ein fremder, weitgebahnter,
schon kam ein Duft, ein frischer, ungeahnter
vom Wellenschaume junger Küstenränder,
dem Wiegenflaume neugeborner Länder;
da stand am Weg, in heißem Felsenspalt,
ein schwarzer Engel, reglos wie Basalt.
Er sprach: nicht ziemt dir Friede, Herzensweide,
es geht dein Pfad zu langem Büßerleide.
Und es ward Schweigen. Scheu begann der Tote:
Ich hielt doch willig Satzung und Gebote,
hab Gottesfurcht gepflogen und beteuert,
zum Kirchenbau manch Scherflein beigesteuert,
war stets ein Freund der Obrigkeit und Sitte,
hielt stets das Maß, des Lebensweges Mitte,
half manchem Werk zu Wachstum und Genesen,
bin selbst beim Kaiser angenehm gewesen,
bin besser nicht, noch ärger, denn manch andrer,
[488]
was schmälerst du den Ruhelohn, der mein?
Gib frei den Weg, verlaß mich, trüber Wandrer,
ich kenn dich nicht.
Nein, sprach der Seraph, nein.
Du kennst mich nicht, du hast mich nie gekannt:
Ich bin der Schmerz, der Menschheit Schmerz benannt.
Wohl stand ich oft mit kummerfahlen Wangen,
im Marktgewühl: du bist vorbei gegangen.
Da hilflos ich, verlassen, unbekleidet,
hast du dein Herz im Schauspielhaus geweidet.
Als mich gewürgt des Hungers hagre Kralle,
hast du, für mich, gespeist beim Armenballe.
Demütig saß ich, zitternd, frostbereift
vor deinem Tor; kein Blick hat mich gestreift,
und wagt ich es zu stören deine Ruh,
fiel zögernd mir ein Kupferheller zu.
Du warst kein Held des Liebens noch des Hassens,
du warst der Mann des lauen Unterlassens,
drum ziemt dir nicht das bunte Feierkleid,
es führt dein Pfad seitab, zu langem Leid,
Du hast gehört der Menschheit Jammerschrei
und gingst vorbei.

Ver sacrum

Wir saßen am Strande der Sarden,
verleuchtend rollte das Meer,
ein Duft von Blüten und Narden
zog fern aus Süden her.
Die Wellen brausen und funkeln,
doch bäumt sich mein Herz vor Weh,
wenn ich das große Verdunkeln
unsres Lebens seh.
Wir haben die weißen Paläste
der Träume hoch getürmt,
wir haben, zwei jubelnde Gäste,
den Himmel des Glücks erstürmt.
[489]
Das mahnt mich an sündige Städte
voll Lichtgewirr und Samt,
wo reich aus goldnem Geräte
der Weihrauch der Lust geflammt.
Da wurde vergeudet, zerrüttet
der Arbeit Segenstat,
da wurde der Weizen verschüttet,
der Jugend heilige Saat.
Da wurde von trunkener Zunge
manch Hosianna gelacht,
bis plötzlich mit Raubtiersprunge
einbrach die Flut bei Nacht,
Versunken im rächenden Meere
die Städte hochbenannt,
die Tempel, drin einst Cythere
im thyrsischen Reigen stand.
Verschwunden die Marmorlöwen,
die Meisterhand einst schuf —
Nur weiße, raublüsterne Möwen
kreisen mit hungrigem Ruf.
Die Stadt mit Tempeln und Türmen,
darüber die Wellen ziehn,
gleicht unsrer Jugend, in Stürmen
versunken wie einst Julin.
Wir wollen vom Haupt uns streifen
der Kränze sengenden Saum,
das fiebernde Lustergreifen,
den großen Griechentraum.
Wir wollen die Hand erfassen
des Schiffsherrn von Nazareth,
der, wenn die Sterne verblassen,
nachtwandelnd auf Meeren geht,
der tief in Wellen und Winden
verlorenen Stimmen lauscht,
um Städte wiederzufinden,
darüber die Sintflut gerauscht.
[490]
Der aus dem brausenden Leben,
drin unser Gut verscholl,
versunkene Tempel heben
und neu durchgöttern soll.

Der säumige Landsknecht

Der Trommler schlägt Parade,
die Seidenfahnen wehn,
nun heißt's auf Glück und Gnade
marschieren gehn.
Das Korn reift auf den Feldern,
es schnappt der Hecht im Strom,
der Wind streicht heiß durch Geldern
hinauf gen Berg op Zoom.
Wer weiß, wer dort den Himmel,
wer hier das Feld gewinnt —
Herab vom Fliegenschimmel
grüßt Herr Carolus Quint.
Wir schlucken Staub beim Wandern,
uns hängt der Säckel hohl,
der Kaiser schluckt ganz Flandern,
bekommt ihm ewig wohl.
Er weilt beim Länderschmause,
bis er die Welt erwürb;
mir lebt ein Lieb zu Hause,
das weinte, wenn ich stürb.

Der fremde Wandrer

[490]
Der fremde Wandrer singt ein Lied
von der Not.
Es lauscht ihm der graubärtige Schmied
und sein blondes Weib, — die beiden Jungen
sind spielend wieder fortgesprungen.
Der fremde Wandrer ist grau und blaß
von der Not.
Sein rissiger Mantel ist schwer und naß.
Und, was der fremde Wandrer singt,
hart an die niedern Mauern dringt.
Zwischen des Liedes Töne klangen
Hammerschläge auf Eisenstangen.

Nachtbild

Wir klirren und klappen durch dunkeln Wald,
dem Schimmel pfeift Wind um die Ohren.
He, halt!
Es klingt; ein Eisen, mein ich, ging verloren.
Am Boden rings leuchtet die Wagenlaterne.
Da, dort!
Ein feiner Strahl wie zwei nahe Sterne...
Süße Frau, deinen Ring warfst du fort?!

Abend

Wir stehn und schaun und sprechen kein Wort —
der Abend zerflattert auf dunklen Wiesen.
Strenge Schatten kommen vom Torf,
steigen als stumme Riesen
über die Schollen behutsam fort
ins Dorf. —

In einer Dämmerstunde...

[492]
Ich wohne, wo die Wolken gehn,
stillhoch in einer Dämmerstunde;
waldtiefer Bäume Wipfel stehn
um meinen Tisch in naher Runde,
die gern mein Licht im Abend sehn.
Alt ist der Leuchter, der es trägt,
alt sind die Bäume, die es schauen,
die Flamm ist alt, die sich bewegt
und flattert durch das ewige Grauen,
wenn die uralte Luft sich regt.
Flüsternd umkreist die Dämmerung
mich und mein Licht, das nach ihr greift.
So alt ist alles, ich so jung —
da ist's, als ob ein Wort mich streift,
das rings um mich zur Fülle reift.
„Du bist so alt als alle wir — “
sprach es das Licht, sprach es der Baum,
sprach's der zersprungne Tisch vor mir,
sprach's um mich her der Dämmertraum?
Ich fühl es dunkel jetzt und hier.
Wie lächeln doch die ewigen Dinge,
wenn solch ein Strudel Erdenzeit,
ein Mensch aufwacht in ihrem Ringe,
aufbraust in ihrer Einsamkeit —
wie lächeln doch die ewigen Dinge!
Sie lächeln mich in ihre Ruh —
Nun rag auch ich uralt vom Grunde.
Du Flamme, warum zitterst du?
Bist du ein Wort aus meinem Munde,
rief dich die Dämmerung mir zu? —

Nächtlicher Weg

Schwer schweigt der Wald in schwarzer Pracht.
Mein Mantel flattert durch die Nacht,
[493]
streift welkes Laub am Boden mit;
und wo die Äste wie Gestalten
hoch über mir die Hände halten,
folgt Zittern meinem festen Schritt.
Und leis an mir herniederglitt,
als woll's im feuchten Gras erkalten,
was in mir kämpfte, rang und litt;
was ich in mir für schlecht gehalten,
das nahm die Nacht im Atem mit.
Und stiller meine Schritte hallten,
wie eines fremden Freundes Tritt.

Zwiegespräch im Raum

Wer bist du?
Der Gestaltende,
der Waltende.
Und du?
Bin der Gewahrende.
Mein Leib, das Blut, das in ihm kreist,
mein dunkles Sein, wird mir zu Geist;
was ohne Worte in mir spricht,
wird mir zu Wort, wird mir zu Licht.
Ich bin der Offenbarende.
Was als Gedanke mich durchwallt,
dem geb ich bleibende Gestalt,
dem geb ich dunkles Sein und Blut,
darin es auf sich selber ruht.
So gib mir Blut!
Gib du mir Licht!
Wären wir eins, Gott wäre nicht. —

Brunneninschrift

Ich bin der Erde kühles Blut.
Hier schöpft von meiner ewigen Flut,
wo sie aus Dunkel kommt und quillt
und rauschend eure Krüge füllt.
[494]
Ihr hört, indes ihr schöpft, mein Wort:
ihr tragt nicht Wasser mit euch fort;
den Schatten meines ewigen Fließens,
den Nachhall meines Sich-ergießens
habt ihr in euren schweren Krügen.
Ihr trinkt — da faßt euch Sehnsucht an,
der keine Wanderfahrt genügen
und die kein Sturm verlöschen kann.
Ihr trankt die Flut der ewigen Zeit:
mein ist die tiefste Trunkenheit.

Eine andere Brunneninschrift

All eures Fragens Sinn ist heißer Durst.
Erwartet keine Antwort. Doch erwartet
vom Quell des Lebens einen kühlen Trunk.

Der Wandrer

Schwermütig wächst mein Frieden
in Herbst und Einsamkeit.
Mein Weg zur Dämmerzeit
vergraut wie abgeschieden.
Ich fühle mich Gestalt
und Wesen tief vertauschen;
wildfremde Schritte rauschen
durchs Blattgewirr im Wald.
Still geh ich, schattenlos
im Grau, als wandle sich
der lange Weg in mich,
auf dem ich wurde groß.
Daß ich der Wandrer bin,
der diesen Weg gegangen,
sind Worte, die verklangen,
und haben keinen Sinn.

Meine Väter

[495]
Meine Väter sind Bauern, derbtrotziger Schlag,
ich bin ihre Lerche am frühen Tag.
Ich fliege und flattre ob ihrem Korn
und blase der Sehnsucht Himmelshorn.
Sie wissen's nicht, wie die Seele fliegt,
wie marternde Angst auf Knieen liegt.
Sie schlafen die Nächte. Ich grüble in Pein:
Will's noch nicht, noch nicht Morgen sein?
Sie gruben stille Jahrzehnt um Jahrzehnt
und wissen nicht, wie Hoffnung höhnt.
Gott gab den Tau, und jedes Jahr
Speise für seine Kinder war.
Kornblumen blauten und wilder Mohn
flackerte purpurn vor seinem Thron.
Uns aber flackert die Sehnsucht ums Haupt,
die unerhörte Wunder glaubt,
die nach neuen Sonnen suchend geht,
die Tag für Tag auf den Bergen steht,
ragend mit ihrer Siegerstirn
über Adlerhorste und Gletscherfirn:
Die trägt die Saat der Ewigkeit
daher in ihrem weiten Kleid.
Die säen wir — die jungen — aus:
Mache der Himmel die Ernte draus!

Klingers Beethoven

Fäuste, die die Erde aufgerissen,
Augen, die von Gott und Satan wissen.
Und die Stirn wie Eisen, das verknittert
und zerhämmert und in Rost verwittert.
Und der Adler? Hier ist Zeus erstanden!
Mehr als das! Ein Zeus aus Erdenbanden!
Mehr als das! Ein Zeus, der rasend grollte,
der die Himmel niederreißen wollte!
[496]
Der aus Felsenschroffen Stufen türmte
und von da die Himmelsfesten stürmte.
Du bist du! Du hast das Meer geschlagen,
eine jede Woge muß dich tragen.
Jede Wolke kannst du meisternd fassen,
dich von ihren Schleppen schleifen lassen.
Jeden Sturm in Wetternächte jagen
und die Blitze gürtend um dich schlagen,
und die schüttelnden Donner, dir Vasallen,
wie die Löwen vor dir niederfallen.
Du bist du! Denn deine Augen haben
Zeus und Gott und jeden Stern zergraben!

Die Sphinx

Und durch die Büsche ging der gelbe Mond,
und eine Stille, in sich selbst erschrocken.
Und durch die Knospen lief ein Zittern her
auf wunderleisen, leisen seidenen Socken.
Und dort vom Neste, wo das Finklein wohnt,
träumte ein Zwitschern, ganz in Glück vergraben.
Und durch die Fliederbüsche atmet's schwer:
Die Mädchen wollen morgen Sträuße haben!
Und rote Tulpen, als ob's Sonne wär,
glühn in den Mond mit sehnsuchtscheuer Blume.
Parkbäume, steilgetrieben, stehen rings
wie Säulenprunk in einem Heiligtume.
Und mitten in der Schönheit ruhigem Meer,
wo selbst Erlöste nach der Erde frügen,
steht eine starre, stumme, steinerne Sphinx
mit unerschüttert harten, höhnenden Zügen.

Dein Mund ist überreif zum ersten Kuß

Dein Mund ist überreif zum ersten Kuß!
Was wehrst du ihm, des Finger fiebernd heiß
an deiner Lippen Tore pochen muß,
da seine Glut sich nicht zu raten weiß?
[497]
Was hüllst du bangend dich in Scham? Wirf's hin,
wirf alles hin, was dich zurücke schreckt!
Dein Haar entfeßle, meine Königin,
daß seine Flut uns beide überdeckt!
Schließ zu der Augen blaues Sternentor,
dann weißt du zitternd nicht mehr, was noch dein,
wer gab, wer nimmt, gewann und wer verlor —
Leib, wundersüßer, laß uns selig sein!

Meiner toten Mutter

Ich ging in stiller, weiter Winternacht
am Waldweg hin, und mit mir ging ein Leid,
das lebt mit mir und läßt mich nicht mehr los...
Ich mußte denken an erloschne Sonnen,
an Frühlinge, die mir kein Licht gebracht,
an Erdenkräfte, die wie Rauch verflogen,
an Himmelskräfte, die ich stolz verlacht,
an Liebesopfer, die ich nicht verstanden...
Das alles sank wie Berge auf mich nieder,
daß ich vor Jammer nicht mehr schreiten konnte.
Wie ein im Dunkel irrgegangnes Kind
sank ich am Wegsaum bitter weinend nieder
und rief erstickt mein totes Mütterlein.
Da kam's wie Hauchen, das aus Rosen geht,
wie Hirtensingen durch die Sonntagsstille.
Und eine Hand legt still sich auf mein Haupt,
so wundersam wie mutterliebe Hände —
Ich wandte mich, und vor mir stand ein Mann,
ein wundersamer, schöner, stiller Mann...
Ich mußte aufstehn, seine Augen sehen
und, selig schauernd, wußt ich: Jesus ist's.
Er sprach kein Wort, er faßte meine Hand
und ging und ging... Der Erdenschwere Staub,
das grausam mattende Nichtweiterkönnen,
das ward zu Licht, das ward zu Flügelspannen...
Ich mußte schaun in seine stillen Augen, —
als ob ich schliefe unter blauen Blumen
[498]
und atmete und wär im Atmen selig.
Wir gingen und die Sterne gingen mit,
und durch die Büsche lief's mit Kinderfüßen,
aus Baumeskronen langte es hernieder
mit Händen, die in Hände sinken müssen.
Die Felder, die ich atmen hörte, schwanden,
von Siberglöckchen klang es durch den Traum
der grünen Fluren, die ja Gottes sind! —
Dann kamen wir an eine niedre Mauer,
die öffnet sich und ließ uns beide ein.
Wir standen unter Gräbern, Hand an Hand,
vor einem Hügel, drin mein Mütterlein
nun schläft und schläft und nicht mehr wachen will.
Da ward mir so: ich mußte niederknieen,
ich mußte weinen, so wie Quellen rinnen...
Da hob der andre seine Augen auf
und sprach mit holder, klarer Menschenstimme:
„Mein Vater, höre mich, daß dieser hier
dein Licht mag sehn und seine Seele stillen.“ —
Und nieder kam's wie Taubenflügelschlag,
und um uns wehten tausend weiße Schleier,
dann sah ich Jesus stehn im hellsten Licht.
Und aus dem Licht hob sich ein Blumenmeer,
ein freudeglühend, wundersames Rot,
wie's nur in Märchenwundern brennt und Himmeln!
Aus jeder Knospe brach ein Schmetterling
mit blauen Flügeln wie der junge Tag.
Die wurden tausend — tausend — o ein Meer,
ein sterneüberwallend Saphirmeer!
Ich aber mußte meine Augen schließen,
wie's arme Menschenaugen immer tun,
wenn sie ein Licht nicht mehr ertragen können.
Und Jesus sprach: „Geh hin, mein Bruder, geh,
und werde reif, daß du mein Licht erträgst,
den Tod verstehst und nicht mehr töricht weinst,
den Toten lebst und sie lebendig machst.“

Das Ende wird so wie der Anfang sein

[499]
Das Ende wird so wie der Anfang sein.
Wir werden gehen, wie wir sind gekommen.
Wie man im Traum durch fremde Wege schreitet,
auf nackter Heide, endlos hingeweitet,
ein Fünkchen flackert, geisternd hergeschwommen,
gelb, tanzend, quirlend, leis und heiß erglommen:
Wie du auch zweifelst, du vertraust dem Schein.
Du gehst mit ihm, dir ist nicht mehr so schwer,
dir ist, als ob dich große Flügel decken,
als ob du stiegst und fühltest nicht das Steigen,
als ob du schwiegst und redetest im Schweigen,
als ob dich, nachtbeklemmt, Gesichte schrecken,
als ob dich, früh am Morgen, Lerchen wecken —
Doch was du siehst, ist nicht die Erde mehr.

Dein Leben sei ein ewiges Suchen

Dein Leben sei ein ewiges Suchen,
ein Irren, ein Jubeln, ein Verfluchen,
bis du die ganze Macht erkennst
und meine Wunder deine nennst
und stillst
die heiße, brennende Sucht,
die dich mit neuer innrer Wucht
in meinen hellen Himmel reißt,
die deinen suchenden, irrenden Geist
erschauernd weist:
Bis du
im Innern dich zerwühlst,
glühst
und zerfließt
und schmerzhaft deine Wollust fühlst —
[500]
Dann wirf dein Letztes in die Schalen —
dann soll dein Blick sich herrlich weiten,
dringen in — ferne Seligkeiten:
von deiner Seele
fallen
letzte
tiefste
Heimlichkeiten.

Herbst

Zu klar-kristallnen Räumen
baut sich der Wald vor mir auf:
— es fällt wie Gold von den Bäumen
und die Sonne leuchtet darauf.
Ich schlürfe trunkenen Mundes,
es blaut vor meinem Gehirn,
nur Frohes flattert, Gesundes
durchsichtig — hell vor der Stirn.
Violetten Schimmers fließen
Waldquellen lauter dahin,
klarweiße Wolken gießen
Starkheit in meinen Sinn.

Mein Haus...

Mein Haus, das einsam steht
an einen Felsen angelehnt,
da trat noch nie ein Gast herein —
die Stürme liegen um mein Haus;
wenn der Wind die Ecken schlägt,
liege ich darinnen
und horche auf den Traum,
singe
nur mein leises Lied:
du lieber wilder Wind —
willst du nicht stille,
stille sein?
und schließe all die Fenster zn.

Die Totenstadt

[501]
Ich weiß nun wie es war.
Aus einem dunklen Walde kam ich,
eine Hirschkuh hat mich gesäugt,
dumpf ging ich einem Licht
entgegen,
und Sterne
standen über mir;
ich sah eine Stadt mit fernen Häusern
— Mondlicht und Ruhe —
ich ging vorbei,
ich wußte:
es war eine Totenstadt.
Die hatte einen hohen Turm,
der hieß
Vergangenheit.

Das Begräbnis

Mir war im Traum, sie täten dich begraben,
an einem Sonntag, draußen unterm Wald,
mit Singen und mit Beten. Leisen Trittes
durch eine Seitenpforte naht ich traurig,
entblößten Haupts von hinten der Versammlung.
Da stockte plötzlich der Gesang. Erstaunt,
mit scheuen Blicken starrten sie nach mir.
Die Meßner zischelten. Ein Gärtnerjunge
schob mir mit dienstbeflißnem Grinsen heimlich
durch meine Finger einen Kranz von Dornen.
Aber die Menge teilend trat der Pfarrer
mir feierlich entgegen, schrieb das Kreuz
auf meine Stirn, legte die Heilige Schrift
mir auf die Brust und las mit lauter Stimme:
„Vergib, auf daß man dir vergebe,“ las er.
[502]
Da regte sich's im Dornenkranz, und wuchs
und quoll wie Blust im Frühling. Rote, samtne,
großmächtige Königsrosen fraßen wuchernd
die lichte Luft, den leiderfüllten Kirchhof.
Blieb nichts mehr übrig als ein stilles Antlitz,
von Schmerz verschönt, die Heimataugen
wehmütigen Blicks mich grüßend durch die Rosen.

Die Blütenfee

Maien auf den Bäumen, Sträußchen in dem Hag.
Nach der Schmiede reitet Janko früh am Tag.
Blütenschneegestöber segnet seine Fahrt,
Lilien trägt des Rößleins Mähne, Schweif und Bart.
Lacht der muntre Knabe: „Sag mir, Rößlein traut:
bist bekränzt zur Hochzeit, doch wo bleibt die Braut?“
Horch, ein Pferdchen trippelt hinter ihm geschwind,
auf dem Pferdchen schaukelt ein holdselig Kind.
Solche kleine Fante nimmt man auf den Schoß,
auf die Schulter wirft er's spielend: Ei! wie groß!
Zappelnd schreit die Kleine: „Böser Bube du!
weh! ich hab verloren meinen Lilienschuh.“
Rückwärts sprengt er suchend ein geraumes Stück.
Wie er mit dem Schuhe eilends kam zurück,
an des Kindes Stelle saß die schönste Maid.
Da geschah dem Jungen süßes Herzeleid.
Flüsterte die Schöne: „Liebster Janko mein,
Hab ein kostbar Ringlein, strahlt wie Sonnenschein.
Bin dir hold gewogen, schenk es dir zum Pfand.
Weh! ich hab's vergessen, badend an dem Strand.“
Wie er mit dem Ringlein wiederkehrte: schau!
hing gebückt im Sattel eine welke Frau.
Ihre Zunge stöhnte: „Janko! du mein Sohn,
weh! ein Tröpfchen Wasser! Schnell! um Gotteslohn.“
Wie er mit dem Wasser kam zum selben Ort,
war zu Staub und Asche Weib und Pferd verdorrt.

Die Prophetenwahl

[503]
Einen Propheten für sein Volk zu wählen,
trat vor die Burg der ungeborenen Seelen
Jehova. Öffnete das Geisterhaus
und gierig schwärmten die Gespenster aus.
„Folgt mir,“ versetzt er, und mit festem Schritt
führt er sie sämtlich vor ein Alptal mit.
„Seht zu, daß ihr den Gipfel nicht verfehlt,
dort unten gähnt die Hölle. Also wählt!“
Die Mehrzahl taumelte den Todespfad,
ein Häuflein stieg zum Himmel schnurgerad,
ein andres tappte blindlings hin und her
und fand den rechten Weg von ungefähr.
Doch einer strich, von Satanas versucht,
hart an der Grenze längs der Lasterschlucht,
beroch den Pfuhl, sog die verdorbne Luft,
trank lüstern jeden giftigen Moderduft.
Kein Teufelsbrünnlein war so wenig rein,
er tauchte jedenfalls den Daumen drein.
Bis endlich ihn sein kluger Witz bewog,
daß er im Winkel plötzlich aufwärts bog.
„Der ist's,“ sprach Gott zum Engel Raphael,
„die stärksten Seelen gehn am längsten fehl.“

Die Korrektur des Weibes

Nachdem der erste Liebeswonnesturm verrauscht
und Kuß und Kosen karger ward getauscht,
nicht konnte Adam leider länger sich's verhehlen:
an seinem Weibe schien ihm allerlei zu fehlen.
Dies war zu viel und jenes fand er nicht darin,
und nicht begriff er seinen Rausch zu Anbeginn.
Im Ärger rief der Herr: „So mag er drauf verzichten.
Das holde Werk, das er nicht schätzt, ich will's vernichten.“
Da lief ein Schrei des Schmerzes durch die Cherubim,
und Ariel sprach, der findigste der Seraphim:
[504]
„O Herr, die Schöpfung kann des Weibes nicht entbehren.
Gestatt es mir, den Nergler will ich schnell bekehren.“
Bei diesen Worten bückte Ariel sich und las
vom Himmelsboden ein gefärbtes Stäubchen Glas.
Das fügt er heimlich hinter Evas Augen ein,
so daß das Stäubchen glänzte durch die Fensterlein.
Und kaum daß Adam den geborgten Schimmer sah,
so jauchzt er: „Haschamajim! Jah! Halleluja!“

Adamsruh

Nachdem umsonst an Edens Tor mit grimmer Hand
Adam gerüttelt, floh er unstet über Land.
Nicht seines Weibes Tränen, nicht der Kinder Klagen
vermochten, daß an einem Ort er dauernd raste.
Nur immer vorwärts stürmen, immer weiter jagen.
Es war, als ob er jeden festen Wohnsitz haßte.
Da opfert eines Mittags, während Adam schlief,
Eva dem Herrn der Berge, betete und rief:
„Sieh meines Opfers Brodem himmelwärts sich winden.
Wann werd ich Unglückselige eine Heimat finden?
Ist denn im Hause des Allmächtigen keine Kette,
die meinen flüchtigen Gatten fesselt an die Stätte?“
Der Herr vernahm das Wort, erhob die Feuerhand
und schlug den Erstgebornen ihr mit Fieberbrand.
Kein Priester könnt ihn heilen und kein Tränklein laben.
Nach sieben Tagen ward er auf dem Feld begraben.
Und als nun Adam trauernd weitertrieb die Reise,
da bog sich heimlich seiner Füße Spur im Kreise.
Näher und näher kehrt er zu dem Grabe wieder,
stach einen Graben, steckt' ein Haus und ließ sich nieder.

Triumphzug der Nacht

[505]
Ein müder Zugstier schreitet schwer und sacht,
vom Flimmerglanz des Mondenlichts umlacht.
Sein warmer Odem haucht durch reifes Korn,
in Rosenketten prangt das Riesenhorn.
Er schreitet still durch Duft und Blütentau,
und wo er rastet, lächelt stumm die Au.
Zu seinen Häupten strahlt ein blauer Stern,
zum Greifen nahe, und doch nebelfern.
So rollt in Ruhe, müde, schwer und sacht,
im Traum dahin das Goldgespann der Nacht.
Im Nebelkleide thront die Königin,
und über Blüten rauscht ihr Schleier hin.

Traumschloß

Ich scheuch dich fort. Gib Raum, du lauter Troß!
Ich träum von meinem traumversunknen Schloß.
Von schwarzem Gitter ist es rings bewacht:
die güldnen Spitzen leuchten in die Nacht.
Sie leuchten durch der Büsche falben Schnee
und blitzen bis hinunter in den See,
wo sich der Nachen schaukelt in der Flut,
die, ein Geheimnis, still im Monde ruht.
O plätschre, Welle, murmle mir im Traum!
In dein Geplätscher rauscht der Schattenbaum.
Wenn sich der Mond in Spiegelscheiben schaut,
die kühle Nacht durch Rosenbüsche taut,
dann klirrt die Pforte. Leise auf dem Kies,
gedämpft noch von des Mondes goldnem Vlies,
[506]
der eigne Schritt tönt durch den stillen Park, —
und Sehnsucht faßt mich in der Seele stark.
Mit deinen Türmen, deinen Scheiben blank,
mein Schloß am See, das Heimweh macht mich krank!
Im Traum seh ich das kühle Mondenlicht,
das sich im Spiegel deiner Tische bricht.
Der alten Schränke mattes Ebenholz
betastend, durch die stillen Gänge rollt's
und weckt mit seinem seelenlosen Strahl
die tote Welt zu eines Traumes Qual.
Nach Leben schluchzend, bleibt dem Tod geweiht,
was ungeboren nach Gestaltung schreit. —
Ich scheuch dich fort. Gib Raum, du lauter Troß!
Ich träum von meinem traumversunknen Schloß...

Donner

Lauwarme Nacht. Am Horizonte sprühn
lautlose Blitze, hingehaucht wie Küsse.
Die blendendweißen Fliederbüsche blühn,
der Himmel schwarz, als wenn er trauern müsse.
Da rauscht es leis in den Kastanienzweigen.
Die lichten Blütenkerzen schwanken sacht.
Ein tiefes, dumpfes Donnern bricht das Schweigen:
es spricht im Traum die schlummernde Sommernacht.
Still, still. Und horcht! — Das Traumgerede tönt
weit von den Bergen wie verworrne Klage,
wie dumpfe Drohung, die verhalten dröhnt,
bevor sie ausholt zum Cyklopenschlage! —
Hörst du das Herz der alten Erde klopfen?
Ein Meergebrüll durchläuft den dunklen Raum.
Und warm und drängend fallen schwere Tropfen:
es spricht und schluchzt die Sommernacht im Traum.

Purpur

[507]
Was sagt die Nacht, wenn sich dein Auge schließt,
dein müdes Haupt ruht in den müden Händen? —
Zuerst siehst du den ruhelosen Purpur,
das Spiegelbild des arbeitsamen Bluts.
Das strömt und kreist und fügt sich marmorgleich
zu ineinandergreifenden Figuren.
Dann mischt sich in des dunklen Purpurs Glühen
ein heller abgetöntes Violett.
Das Violett wird blasser, geht in Blau
und dann in helles Grün, in Gelb dann über.
Im Farbenspiel zeigt sich in matten Linien
das Nebelbild der Lampe auf dem Tisch.
Nun wieder wird das dunstig schwanke Bild
hinweggeschwemmt vom Grundstrom dunklen Purpurs.
Die Farben spielen seifenblasenschimmernd,
doch Siegrin über alles bleibt die Nacht.
Sie schluckt des Lebens buntes Farbenspiel
zuletzt mit allen Bildern und Gestalten.
Der Blindheit traumlos meerestiefer Purpur
grüßt dich als Abendrot der ewigen Nacht.

Heimat

Aus weiter, verworrener Ferne
leiteten mich meine Sterne
heim in die alte Stadt.
Da sah ich auf Erkern und Stiegen
das weiße Mondlicht liegen,
es schien so fremd und matt.
Es ward mir so weh und eigen,
als klagte das glimmende Schweigen
mich des Vergessens an.
Ach, wie man doch nur verlassen
die alten verwitterten Gassen
und ganz vergessen kann!
[508]
Die Menschen ruhen im Schlummer, —
da faßt mich am Herzen ein Kummer,
ich kenne niemand mehr.
Ihr Jugendgenossen und Lieben,
wo seid ihr doch alle geblieben?
Mein Herz ist mir so schwer.
Ich möchte gleich weiter wandern,
fort wie alle die andern
auf Nimmerwiedersehn. —
Die Stadt mit den Erkern und Stiegen
bleibt träumend im Mondschein liegen,
doch ich muß weiter gehn.

Sonnenaufgang in der westfälischen Heide

Und heller schimmert im Osten die Wand...
Der Wind reißt der Heide mit bebender Hand
den Nebelschleier vom Angesicht —
Erwachend staunt sie ins flimmernde Licht.
Blumen blicken aus Gräsern hervor,
die frierende Birke hebt sich empor,
der rauhe Pfad, so träg er sich dehnt,
leuchtet, wo müde das Tal noch gähnt.
Da blitzen durch Nebel die Dächer auf,
und Aveläuten schwillt herauf,
Lerchenjubeln im duftenden Raum
stiehlt sich hinein in den Heidetraum...
Nun flammen die Höhn, der Ginster brennt,
ein Lachen über die Heide rennt:
Es tanzen die Strahlen gleich trunkenen Flammen
und schlagen im Weiher zur Glut zusammen.
Es glänzt der Himmel, es dampft das Land —
Die Sonne, die Sonne am Heiderand!!

Heidegespenst

[509]
Im Schlafe zitternd der Heideplan liegt,
im fahlen Monde die Birke sich wiegt;
am blassen Weg der gekreuzigte Christ
klagt gen Himmel, wie einsam er ist.
Sein bleicher Leib am dunklen Stamm
leuchtet so lebend, wundersam.
Nichts regt sich rings, kein Atmen mehr,
ein Käuzchen nur von weitem her.
Die Spinne träumt im Ginsterstrauch,
die Dächer im Tale träumen auch.
Ein Hund schlägt an, ein Hahn noch kräht,
die Grille selbst nun schlafen geht.
Im Heidedorf geistert die Mitternachtsstunde,
flieht über Höhn und weilt im Grunde.
Ein Rauschen klagt, erst hörbar kaum,
ein Schatten drückt, wie schwerer Traum,
im Moor dampft Nebel, bleich und schwer,
schleppt sich über das Träumen her.
Die Heide lebt... mit Gebraus und Getön,
wie ein rasender Riese fegt heulender Föhn,
rüttelt die Birke, den schlummernden Teich...
Stille wieder im nächtlichen Reich.
Drüben, wo im Nebel die Heide vergeht,
ein lauerndes Leben herüberspäht,
wächst näher und näher — da schlurft es vorbei,
über ihm krächzt ein Rabengeschrei.
In schweigendem Haß, mit blitzender Hippe,
in Geklipp und Geklapp ein Totengerippe
mit klagender Sense, das Heidekraut mäht,
aus schleudernder Hand Vernichtung sät.
Von Unrast getrieben, im wallenden Leinen,
die Ferne verliert's in bleicheren Scheinen,
im Moore ertrinkt's, — hat nichts verschont —
über die Heide wandelt ein kalter Mond.

Nun ist es Herbst
Aus „Neues Leben“

[510]
Nun ist es Herbst.
Ich wandre durch das Sterben
und fühle, wie ich selber sterbe.
Schwarze Blumen starren am Weg, welke Blätter fallen auf mein Haupt.
Du schöne Zeit,
mein altes Glück,
komm,
tröste mich wieder.
Durchsonne mich!
Wenn sie vor Fremden heimlich mir die Hand berührte,
Seligkeit mich lähmte...
Ach, jener Tag, an dem ich einst geweint
vor Liebe...
Kalt schneidet der Wind
mitten durch mein Herz.

Ich singe ihnen meine Lieder vor
Aus „Neues Leben“

Ich singe ihnen meine Lieder vor,
den Herzen von Stein.
Aus dem Klavier
Tränen.
Meine tiefste Seele
schluchzt.
Ich dreh mich nicht um.
Ich weiß:
hinter mir hocken Götzen.
Ihre Opalaugen
träumen mich an.
Ich spiele stärker.
Sie müssen!
Ich schreie!
[511]
Plötzlich
zu ihren Füßen
ein rotes, zuckendes Ding...
Ich lächle — verlegen.

An des Himmels blauer Wölbung
Aus „Neues Leben“

An des Himmels blauer Wölbung
stieß ich die Flügel wund.
Nun wohn ich im Hüttchen
unter Blumen.
Ein Taubenpaar um meinen Giebel,
an meinem Herd ein Weib.
Mitternacht.
Sie schläft auf ihrem Lager.
Ich lausche.
Aus ferner Höhe
Sternengeläut.
Ein Traum läßt sie lächeln... wie schön!
Ich schluchze.

Onkel, wir wollen in den Wald gehn
Aus „Neues Leben“

Onkel, wir wollen in den Wald gehn
und eine schöne weiße Blume pflücken.
Aber deine Füßchen trugen dich nicht mehr...
Heute
liege ich allein unter den Tannen.
Meine Hand streichelt eine Sternblume.

Einst grub auch ich nach Weisheitsgold
Aus „Neues Leben“

Einst grub auch ich nach Weisheitsgold.
Ich fand nichts.
Rosen übernicken den vergessenen Brunnen.
Wieder
neige ich mich über ihn.
[512]
Durch graues Spinngewebe,
aus tiefem Himmel,
lacht mich an
mein Gesicht.

Durch die Nikolausnacht, aus schneegebeugtem Tann
Aus „Neues Leben“

Durch die Nikolausnacht, aus schneegebeugtem Tann,
klingt ein Schlitten;
knirrt über Steine,
und rumpelt über die Brücken.
Mitten auf der weißen weiten Heide
hält er an.
Aus dem Himmel
schießt goldener Glanz.
Hallende Harfen, jauchzende Engel,
herabregnende Holzpferdchen, Schreipuppen, Trompeten,
Ruten und Marzipanherzen!
Lachend streicht sich Knecht Ruprecht seinen langen Bruschebart.
Weiter trappelt der Hirsch;
der Stern vor seiner Stirn strahlt, blau flimmert sein Atem.

In unser dunkles Stübchen leuchtet der Schnee
Aus „Neues Leben“

In unser dunkles Stübchen leuchtet der Schnee.
Draußen
trappeln die Pferde wie auf Samt;
Schlittenschellen läuten im Takt, verwimmern in der Ferne.
Großmutter schnarcht; das gurrt so graulich.
Ich blicke scheu in die Ecke
nach dem schwarzen Schrank mit dem bleichen Uhrgesicht
und lange langsam in meine Tasche nach den Knallerbsen.

Unter dem Palastgiebel bauen wieder die Schwalben
Aus „Neues Leben“

Unter dem Palastgiebel bauen wieder die Schwalben.
Vom Sonnentempel
läuten die goldnen Gongs.
Der alte, kranke König
lehnt im Bogenfenster und lauscht.
[513]
Habe ich mein Land auch ganz glücklich gemacht?
Da, mitten auf dem Marktplatz,
was ist das?
Zwischen den weißen Marmorfliesen
blüht ein blaues Blumenglöckchen, wiegt sich im weichen Wind.
Daß es mir niemand zertritt!
Ein Wink.
Daneben schultert eine Schildwache.

Müde
Aus „Neues Leben“

Müde
schleppe ich mich meinen Weg über braune, glitschrige Blätter.
Aus dem Nebel
tauchen blaue Asternkränze,
Wachsblumenkreuze, Herzen aus Immortellen.
Auf mich zu, mit schwarzem Federbusch, nickt ein Pferdekopf.
Auf hohl holperndem Wagen
hockt ein Kerl mit einem Napoleonshut!

In den herbstvioletten Nebel
Aus „Neues Leben“

In den herbstvioletten Nebel
führt eine Allee von goldnen Bäumen.
Hier entlang
trippelst du einmal als altes Männchen.
Vor dem Häuschen mit dem tiefen Moosdach und der roten Türlaube
lehnst du dann am Staket.
Lächelnd suchst du in deinen Gedanken.
Und horchst,
wie der Mohn in den gelben Köpfen zischelt.

Glühende Worte

[514]
Im Spätherbst war's, die Wolken grauten,
Nebel über die Wiesen schauten,
die Winde wehten frostig kalt,
da schritten wir durch den entlaubten Wald.
Glückschweigend blickt ich auf zu dir —
viel liebe Worte sagtest du mir.
Der Winter schwand. Heut schreit ich allein
zu dem verlassenen Frühlingshain.
Von den alten vertrauten Wegen
nicken mir blühende Blumen entgegen,
hier flammt es rot, dort schimmert es blau,
über weißen Sternen funkelt der Tau,
vom Strauche neigt es sich schmeichelnd vor,
aus der Wiese lacht es zu mir empor...
In tausend Knospen ist erwacht
deiner Liebe süße, sonnige Macht.
Wohin ich blicke, glühn in Blütenspielen
die Worte, die von deinen Lippen fielen.

Komm — Marie!

Ich ging durch die Felder im Abendschein,
die blauen Wiesen schliefen ein.
Da klang's mir nach so hell und rein,
als rief's mit unerhörter Lust
eine junge, jubelnde Menschenbrust:
Marie, komm — komm, Marie!
Und wie ich lauschend mich umgewandt,
sprang ein Hirt vom dunklen Hügelrand
vor goldflammender Wolkenwand.
Der duckte sich, als ich ihn sah,
und neckte mich wieder und rief so nah:
Komm, Marie — Marie, komm!
[515]
Mich führte tief ins Land mein Weg.
Kornhalme bogen und neigten sich schräg
mit roten Blüten über den Steg.
Und wie von unsichtbaren Höhn
klang immer noch ein Silbergetön:
Komm, Marie — Marie, komm!
Mir war, als bangte im weiten All
eine Sehnsucht nach mir, und ihr zärtlicher Hall
suchte liebkosenden Widerschall...
Und lächelnd flog mein Gruß zu dir.
Riefst du durch ferne Lande mir?
Marie, komm — komm — komm —
Ich nickte, als wärst in den Lüften du,
und schritt beglückt der grünen Ruh
des alten stummen Waldes zu.
Verhallend zog mir leise nach
die schmeichelnde Stimme, so süß, so schwach:
Komm, Marie — Marie — Marie — —

Meine Lippen brennen so...

Meine Lippen brennen so
von den Küssen, die sie nicht geküßt,
von der Sehnsucht, die mein Herz zerfrißt.
Nimmer werd ich meiner Liebe froh —
Meine Lippen brennen so.
Und die Augen sind so schwer
von den Tränen, die kein Blick gesehn,
die mir finster in der Seele stehn
wie ein weites, totenstilles Meer...
Meine Augen trinken dran sich schwer.

Des Braunschweigers Ende

[516]
Auf des Braunschweigers eherner Stirne schwoll
das zornige Blut der Adern,
er ballte die Faust in schwerem Groll
nach den trotzigen Mauerquadern.
„Meine eiserne Gred spricht taubem Ohr,
keine Bresche in Wall und Türmen!
Und öffnet Leerort nicht heut sein Tor,
bei Gott, so will ich es stürmen!“
Sprach Hans vom Velde: „Der Graben ist weit,
der Tod hält Wacht auf den Mauern.“ —
„Und wäre der Graben zehn Klafter breit,
so füllen wir ihn mit Bauern!
„Und bauen für meinen Herzogsstolz
die Brücke zuckender Glieder, —
unedles Blut und Erlenholz
wächst alle Tage wieder!“
Herr Heinrich lachte mit hartem Klang
und schritt vorüber den Wachen.
Es spritzte vor seinem wuchtigen Gang
der Schlamm der Pfützen und Lachen.
Rolf Tyle lehnte, des Herzogs Mann,
am Rad der eisernen Gredel, —
jäh fing das Blut ihm zu sieden an
in dem trotzigen Bauernschädel.
„Herr Herzog, sind Euch die Bauern gut
zur Brücke über den Graben, —
bei Gott, die Brücke soll edel Blut
zum Mörtel der Steine haben!
Nun soll Euch, Herre, den Herzogsstolz
gesegnen Teufel und Hölle!“
Im Köcher klirrte der eiserne Bolz,
die Armbrust hob der Geselle —
[517]
Ein röchelnder Fluch. Ein schwerer Fall
der stahlumpanzerten Glieder.
Vor Leerorts unbezwungenem Wall
schoß ein flammender Stern hernieder.

Nachtgesichte

I.

Ich lag noch wach, und lautlos war das Haus.
Der Schlag der Stunde dröhnte zitternd aus.
Da stieg es auf. Zuerst ein Wort, ein Traum,
ein dämmernd Bild, — mein Auge faßt es kaum.
Es wuchs empor, ungreifbar und doch nah.
Die Stille lebte. Meine Seele sah...
Tief aus dem Dunkel kam es. Wegbestaubt
ein Zug von Schatten, schweigend, Haupt an Haupt,
die Füße schwer, die Lippen seltsam fahl,
auf blasser Stirn die Tropfen harter Qual,
und in den Augen noch das große Leid,
und wie von Tränen naß der Saum am Kleid, —
stumm ging der Zug, der ohne Ende war.
Ich frug sie nicht. Ich kannte diese Schar:
Es war, was diese Nacht an Seelen nahm,
was heute vor die dunkle Pforte kam,
es war die Ernte, die der Tod sich schnitt,
da nächtens er durch seinen Acker schritt.
Und eh das Dunkel schwer sich um den Zug
und seines stillen Weges Ende schlug,
da wandte einer sich, ein fremd Gesicht,
und sah mich an und fragte: „Kommst du nicht?“
Jäh fuhr ich auf und schrie. Die Nacht war leer.
Nur meines Herzens Hammer pochte schwer...

II.

[518]
Die Nacht so warm. Der Mond so voll von Licht.
Ich rief den Schlaf. Er neigt sich heute nicht.
So stark im Glas der roten Rosen Duft, —
wie fremdes Leben schwebt er in der Luft.
Was regt sich zitternd da im weißen Schein?
Mir ist zu Sinn, als bin ich nicht allein!
Wer seid ihr, sprecht? Ihr schreitet Paar um Paar,
mit Rosen kränzt ihr lächelnd Brust und Haar,
ihr schaut euch an, in eurem Blick ist Glut,
in euren roten Lippen brennt das Blut,
und wie sich Arm in Arm verschlungen flicht,
streift ihr mein Lager, doch ihr seht mich nicht!
Und ihr dort mit dem schmerzensherben Mund,
dem seligen Leuchten in der Augen Grund,
die ihr im Arm ein schlafend Kindlein wiegt
und leise singend an die Brust es schmiegt, —
wer seid ihr, sprecht? Ihr Seligen, nehmt mich mit!
Da hemmt im Zug die Letzte ihren Schritt
und neigt das Antlitz lächelnd meinem Ruf:
„Wir sind das Leben, das die Nacht erschuf.“
Die Arme streck ich aus mit wehem Schrei...
Es sieht sich keiner um. Sie sind vorbei.

III.

Nun tagt es blaß. Ein ferner Glockenschlag.
Ich warte schlaflos auf den grauen Tag.
Den Tag, der farblos mir vorüberschleicht,
ein Tropfen, der den tausend andern gleicht,
ein Tropfen, dessen Spur im Wind verweht,
da Tod und Leben ihm vorübergeht!

Reise

[519]
Weil du in deinen armen Erdentagen
des Weibes Krone und des Weibes Last
in heiliger Glückesdemut nie getragen,
im Schmerzensstolze nie getragen hast,
weil blaß die Blüte deiner Lippen ist,
die nie auf andern heißen Lippen lagen,
nie eines Kindes süßen Mund geküßt, —
so wagst du nicht, die Augen aufzuschlagen,
und stehst abseits in deiner Armut Zagen,
wie eine, die verborgne Sünden büßt.
Doch wisse:
Zwei der goldnen Pforten hat
das große Land der seligen Ewigkeiten.
Durch eine, wegbestaubt und wandermatt,
ziehn jene Tausende aus allen Weiten,
um deren Haar der Kranz des Lebens hing,
und deren Fuß durch alle Tiefen ging,
die Seelen, die in Kämpfen sich befreiten.
Und durch des andern Tores Bogen schreiten
sie, deren Hand kein volles Los empfing,
sie, denen nie in ihren Erdenzeiten
die Stirn ein Zweig vom Baum des Lebens streift,
die armen Seelen, die der Schatten reift,
die des Entbehrens strenge Hände weihten.
Sie ziehen stumm mit feierlichem Schritt.
Das Tor steht offen.
Schweigend ziehst du mit.
Und über Kampf und Lust und Sehnsucht breiten
sich läuternd einer Sonne Seligkeiten!

Meinen Eltern
(Zum 16. November 1887)

[520]
Frau Sorge, die graue verschleierte Frau,
herzliebe Eltern, ihr kennt sie genau;
sie ist ja heute vor dreißig Jahren
mit euch in die Fremde hinausgefahren,
da der triefende Novembertag
schweratmend auf nebliger Heide lag
und der Wind in den Weidenzweigen
euch pfiff den Hochzeitsreigen.
Als ihr nach langen bangen Stunden
im Litauerwalde ein Nest gefunden
und zagend standet an öder Schwelle,
da war auch Frau Sorge schon wieder zur Stelle
und breitete segnend die Arme aus
und segnete euch und euer Haus
und segnete die, die in den Tiefen
annoch den Schlaf des Nichtseins schliefen.
Es rann die Zeit. — Die morsche Wiege,
die jetzt im Dunkel unter der Stiege
sich freut der lang verdienten Rast,
sah viermal einen neuen Gast.
Dann, wenn die Abendglut verblichen,
kam aus dem Winkel ein Schatten geschlichen
und wuchs empor und wankte stumm
erhobenen Arms um die Wiege herum.
Was euch Frau Sorge da versprach,
das Leben hat es allgemach
in Seufzen und Weinen, in Not und Plage,
im Mühsal trüber Werkeltage,
im Jammer manch durchwachter Nacht
ach so getreulich wahr gemacht.
Ihr wurdet derweilen alt und grau,
und immer noch schleicht die verschleierte Frau
[521]
mit starren Augen und segnenden Händen
zwischen des Hauses armen vier Wänden
vom dürftigen Tisch zum leeren Schrein,
von Schwelle zu Schwelle aus und ein,
und kauert am Herde und bläst in die Flammen
und schmiedet den Tag mit dem Tage zusammen.
Herzliebe Eltern, drum nicht verzagt!
Und habt ihr euch redlich gemüht und geplagt
ein langes schweres Leben lang,
so wird euch bei der Tage Neigen
ein Feierabend vom Himmel steigen.
Wir Jungens sind jung — wir haben Kraft,
uns ist der Mut noch nicht erschlafft,
wir wissen zu ringen mit Not und Mühn,
wir wissen wo blaue Glücksblumen blühn;
bald kehren wir lachend heim nach Haus
und jagen Frau Sorge zur Tür hinaus.

Der Scheich

Ausgestreckt im kühlen Zelt,
sprach ich zu dem Scheich dem greisen:
„Du bist einer von den Weisen,
und du lachest in die Welt.
Darum sage deinen Gästen,
allwo trinkt es sich am besten?“ —
„Franke,“ sprach er, „wie mir scheint,
Trinken kann ein Mann entbehren,
sei's denn einem Freund zu Ehren
und zum Hohn für einen Feind.“
Sprach ich weiter: „Dieses Wort,
weiser Mann, soll uns geleiten;
und nun sag uns auch zum zweiten:
Liebe gilt als höchster Hort
wie nach Schlachten, so nach Festen,
doch wann schmeckt sie wohl am besten?“
[522]
„Fremdling, das ist ungewiß.
Eine gibt's, die keinen reute,
wenn er sich sein Weib als Beute
aus dem Arm des Feindes riß.“
Lachend rief ich: „So ist's brav!
Ich genoß, er hat gelitten.
Und nun sage mir zum dritten:
Nach der Liebe kommt der Schlaf,
löst uns Wonne wie Gebresten; —
doch wo schläft es sich am besten?“
Und er streicht den Bart und lacht:
„Auf dem Rücken junger Pferde,
auf der sturmgepeitschten Erde,
auf dem Feinde — nach der Schlacht.“
So der Alte. Todesmut
weitet ihm das Aug das harte,
und in seinem greisen Barte
sitzt es schwarz wie altes Blut.
Froh bin ich hinausgegangen;
unahnend an des Zeltes Stangen
scharrte meines Pferdes Huf.
Und ich dankte Gott da droben,
der mir, meine Kraft zu proben,
eine Welt von Feinden schuf.

Zwei Grabschriften

War's dir nicht möglich, Ewiger,
des Lebens und des Sterbens Herr,
mein Flehen zu erhören,
da ich im Staube vor dir rang
und da mein Weinen aufwärts drang
zu deinen Jubelchören?
Was jubelt wohl die Engelsschar,
wozu schlägt man die Harfen gar,
als um das große Stöhnen,
[523]
das Schreien dieser armen Welt,
den Jammer unterm Himmelszelt
mit List zu übertönen?
Mein Stöhnen war dir nur ein Spott,
du nahmst ihn mir, o Herre Gott,
behalt ihn denn zum Raube;
nun siehe, was dein Zorn mir tu,
nun mußt du mir wohl lassen Ruh
und lassen, was ich glaube.
***
Gute Nacht, du liebe Welt!
Weil es meinem Gott gefällt,
will ich Abschied nehmen;
meine Kinder sind nun groß,
drum geh ich in Erdenschoß,
will mir Ruh bezähmen.
Hatt im Leben viele Plag,
lange Nacht und heiße Tag
und viel Sorg um morgen;
meine Sorgen groß und klein,
schlafen alle mit mir ein:
wie bin ich geborgen!
Falte ruhig meine Händ,
alles kömmt zu seinem End,
so in Gottes Namen;
ja, mein Bett ist schon gemacht,
darum sag ich: gute Nacht,
gute Nacht und Amen.

An Leopardi

[524]
Du bist's allein, dem meine Seele glaubt,
schwermütiger Verkünder der Verneinung.
In meiner tiefsten Seele liegt ein Tal,
wohin kein Sonnenstrahl sich je verirrt,
ja, wo das Mondlicht selbst das Dunkel flieht
der tiefen Nacht.
Mit bangem Fuß enteilet dort die Hoffnung;
nur schluchzend an zerbrochnen Tempelstufen
liegt noch der Schmerz und neigt das schwere Haupt.
Und durch die schwarzen Tannen rauscht der Sturm
sein trauriges vernichtendes Warum? —
Und eine, eine Antwort weiß ich nur:
Vergehn und Sterben. —
Du bist's allein, dem meine Seele glaubt,
schwermütiger Fremdling, mir so tief verwandt;
denn auch in deiner Seele war die Nacht.
Ich glaube keinem jener Überwinder,
die mit den frevelnden Titanenhänden
keck nach der nie erreichten Sonne greifen,
aus ihrem ewigen Gold ein Diadem
um ihre Stirn zu flechten; — keinem jener,
die stolz mit diesem ewigen Glanz dem Tod
noch einen Lebensschimmer leihen wollen; —
aus ihren bleichen Fingern rinnt das Gold,
indem sie sterben. —
Ich glaube dir, der alle Lebensgüter
geliehen weiß vom Tod. Und so wie du
vergeß ich nie das schauernde Warum,
das durch der Tannen dunkle Kronen rauscht.
***
Wie du das Glück liebst — mit der heißen Liebe
der Unglückseligen — brennend — unauslöschlich,
so liebt die Nacht den schönen frohen Tag,
[525]
der vor ihr flieht —
so der Verbannte sein verloren Land,
wenn er im Dämmerschein hinüberstarrt
nach ferner Küste, die der Nebel deckt —
so Luzifer des Himmels lichtes Reich
und Gott, der ihn verstieß.
Sie alle suchen, die doch längst entsagten —
und da der Geist mit klarer Stimme spricht:
unwiederbringlich ist's und unerreichbar —
da flüstert tief in wunder Brust das Herz:
ich find es doch.

Überschwemmung
(Litauen)

Die Woge schwoll, der Wiesendamm zerbrach,
es donnerte herunter hohl den Hag,
und wütend wälzte sich der Sturm herbei
und überschrie Gebet und Todesschrei.
Noch singt er sich ein tolles Siegesstück, —
dann lehnt er tief eratmend sich zurück
und winkt dem Abend still und ruhevoll,
und es verweht der wüste Wettergroll.
Ein fahler Nebel sinkt und steigt und sinkt:
ein Flackern noch aus seinen Falten blinkt,
und blänkernd überläuft's die graue Flut,
als rieselte des letzten Opfers Blut...
Doch drüben, wo sie wachsend raucht und rinnt,
ein Wipfel aus dem Glutgewölbe sinnt;
sein dürrer Arm den feuchten Giebel stützt,
den schattend er seit alter Zeit geschützt.
[526]
Der Giebel, spaltenreich und moosbedeckt,
sich stumm und geisterhaft vornüberreckt;
er wankt und schwankt im kühlen Dämmerschein,
durch dunkle Fenster strudelt's aus und ein...
Und immer düstrer sich's zusammenballt,
die Lüfte ziehn und zagen schwer und kalt,
aufs Land schlägt berstend eine Scholle Eis, —
darüber träumt ein knospengrünes Reis.

Der Torfbruch
(Litauen)

Die Felder dusterten. Unsichtbar schlief
das Dorf vom Forst verhüllt.
Schwarzschummrig lief
ein Wasserschein auf meinen Weg: ein Bruch —
von braunem Torf umhaust. Klirrend ein Krug,
der angebrochen, blind, am Röhricht stand,
vor meinem Fuß vom steilen Rande glitt
hinunter in die steife Flut. Herum
ein Glucksen rang, dann wieder schläfrig stumm
die Wasser träumten. Doch im Weidenstrauch
unheimlich schlürfend wuchs ein kühler Hauch
und rührte mich mit Totenhänden an.
Mein heller Wandermut wie Rauch zerrann.
Und von dem morschen Stubben drüben guckt
was her — ein blasser Irrwisch lacht und duckt
und huscht ins Schilf.
Ich weiche.
Umgewandt
im Fluge, ruschelt's wie ein Schleppgewand,
und in den bleichen Dämmer wallt vom feuchten Grund
die Nacht, die Nacht empor mit finsterm Mund...
Schon starrt der Tann...
Ein Bauer wankt vom Dorf —
ach, er vergaß den alten Krug im Torf.
Er stiert mich an — wir schwatzen überlaut,
kein Gruß, und doch beisammen tiefvertraut —
[527]
und schleicht mit mir zurück.
Mit unsern Schatten
treibt schwer die Nacht, bis auf beglänzte Matten
ein Pförtchen blaut...

Selig sind...

Selig sind, die reines Herzens sind.
Ihren Blick verzehrt nicht Nacht noch Ferne.
Wunschlos gehn sie, wunschlos wie die Sterne,
mit den Augen, die wie Märchen sind.
Und sie haben eine heilige Macht.
Um sie her sind schöne, fromme Träume.
Wo sie weilen, lichten sich die Räume,
und die Stürme werden keusch und sacht.
Wo sie wandeln, gibt's kein Dornenweh,
und die Blumen neigen sich und grüßen,
und der Weg wird weich vor ihren Füßen,
daß sie hingehn wie auf Blütenschnee.
Wessen Fuß auf ihren Spuren geht,
wessen Auge ihrem Gruß begegnet,
der erkennt, wie reich ihn Gott gesegnet,
und er sucht nach einem Dankgebet.
Und als ob ein neuer Tag beginnt,
überkommt ihn eine seltne Klarheit,
und er fühlt in sich die ewige Wahrheit:
Selig sind, die reines Herzens sind.

Wüßt ich ein Wort...

Pirole flöten, süß und wunderbar,
verschollne Gärten grünen still und weit.
Dich aber trennen längst schon Tag und Jahr
von meiner Heimat blühender Einsamkeit.
[528]
Sie liegt so schön und alte Märchen gehn
durch Kraut und Blumen mit verschwiegnem Schritt
Und ihre süßen Wunderdüfte wehn
in der geheimsten Windesregung mit.
Lichtflecken schaukeln zitternd im Geäst,
Goldflocken funkeln über schattigen Grund.
Der wilde Hopfen rankt so treu und fest,
und große Falter gaukeln leicht und bunt.
Und immer wieder nur der eine Klang:
Pirole flöten, wild und süß und scheu,
so sehnend laut, so ungeduldig bang,
so liebend mächtig und so tief getreu.
Wüßt ich ein Wort, so stark und süß und schwer,
daß es dich rufen könnte, weit, so weit,
nach den verschollnen Wintergärten her
in meiner Heimat goldene Einsamkeit...

Carrara

Marmorgeröll und Marmorstaub
bedeckt des Berges Grat!
Da schallt schwerkeuchend Tiergeschnaub
herab den Steinbruchpfad.
Vier Stiere schleifen — großgehörnt,
in silberweißem Fell —
den Block schneeschimmernd, feingekörnt,
talabwärts blendend hell.
Des braunen Treibers Vlies und Spieß,
das markige Viergespann...
Wie aus dem Altertum ein Fries
mich mutet's köstlich an!
[529]
Hoch übers Felsenjoch herein
die Sonne flimmernd quillt;
es schläft im stiergezognen Stein
vielleicht ein Götterbild.

Orangenernte

Da ich, fast zögernd, erstmals im Orangenhain
die goldne, saftgeschwellte Frucht vom Zweige brach,
mit hohler Hand umspannend den elastischen Ball:
beschlich mich ein unsäglich wonniges Gefühl,
als tasteten die Finger, voller Schönheitsdurst,
um eines Mädchenbusens sanft gewölbtes Rund.

Am Brunnen

Ihren Tonkrug voller Anmut tragend,
wandelt früh das Mädchen an den Brunnen,
einen Pfeil aus Silber in den Haaren:
Wasser sich zu schöpfen aus der Schale
und im Zwielicht ihren Schatz zu treffen.
Kommt vom Meere der geliebte Jüngling,
heimwärts kehrend von dem nächtigen Fischzug,
nackten Oberleibs, die rote Mütze
phrygisch aufgestülpt den wilden Locken,
schlanker Bursche voller Kraft und Schönheit.
Und sie plaudern, wie Verliebte plaudern,
luftiger Eifersüchteleien knatternd
Feuerwerk herüber und hinüber.
Glühenden Errötens hascht das Mädchen
ihren Haarpfeil mit der flinken Rechten,
streift damit die Schulter des Geliebten,
daß ein Tropfen Bluts aus dunkler Haut quillt,
im Triumphe leidenschaftlich rufend:
Wund geritzt vom Pfeil des Liebesgottes,
mußt du mir für ewig nun gehören!
[530]
Spricht der Jüngling lächelnd und besänftigend:
Diesen Mai noch feiern wir die Hochzeit,
um den Hals des Bräutchens will ich hängen
Muschelschnüre, Perlen und Korallen.

Am Heiligenbild

Jeden Abend, wenn's Nacht wird,
schleicht sie heran
und zündet das Lämpchen
vorm Marienbild an.
Es rasselt das Kettlein,
es flackert das Licht,
durch die dunkle Gasse
glänzt ihr Gesicht.
Und sie stellt einen Strauß
von Blumen davor
und stammelt und seufzt
ihr Gebet empor:
Ach, heilige Mutter,
mir ist so schwer!
Geleit meinen Schatz
übers Tyrrhenische Meer.

Die Zikaden

In der Gondel steuernd nach Torcello,
hatt ich noch zwei kleine Passagiere
zu der Morgenseefahrt eingeladen,
dürre, braune, winzige Passagiere:
silberstimmig zirpende Zikaden
in dem messingdrahtgeflochtnen Käfig!
Zu den vielen angebornen Grillen
hab ich diese käuflich noch erstanden
auf dem Grillenmarkt an dem Rialto.
Nun, so singt doch, luftige Kornfeldwesen,
Zirperinnen, Wiesennachtigallen,
wohnend sonst auf blühenden Apfelbäumen,
[531]
Götterlieblinge von alters her schon!
Hoffe doch, ihr werdet mir nicht seekrank!
Oder liebt ihr stillere Vergnügung,
grüne Blätter duftenden Salates
mit großmäuligem Behagen schlingend?
Horch, sie singen! und ich lehne lässig
in den Lederkissen meines Bootes;
unter mir das träumerische Plätschern
der Lagune, meine ich: zu liegen
tief in Gras und flüsterndem Getreide.
Vor der schläfrig halbgeschloßnen Wimper
gaukeln Pfauenaugen und es tönen
sommersonnige Zikadensänge.

Campagnanacht

Heidefeuer flackern in der Ferne,
wie ein Brand der Steppe qualmt ihr Wehn.
Still und groß und wunderbar der Sterne
Himmelsbilder auf und nieder gehn.
Horch! von eines Ziegenhirten Munde
klingt ein leiser Flötenton heran;
singt er Psalmen auf der nächtigen Runde,
wie der König David es getan?
Schwermutzeugend saust des Windes Heulen
in dem Schilf und durch der Gräser Meer;
drohend schwarz, gleich Gotenheerzugsäulen,
eilen Wasserleitungsbogen her.
Um der Gräberstraße Mäler irren
Nachtleuchtkäfer, dicht in goldner Schicht;
spukhaft huscht der Fledermäuse Schwirren
in des Vollmonds bleichem Geisterlicht.

Fallendes Laub

[532]
Oktobermorgen. Dampfgewordner Tau
erhebt zur Sonne sich in lichten Säulen.
Der Park liegt traumhaft noch im blassen Grau.
Vom Stoppelfelde klagt Maschinenheulen.
Verschlafen reibt die Stirn der junge Tag.
Die Krähen ziehn. Von schweren Flügelschlägen
wird in der Linde leiser Luftzug wach.
Aufschauernd sinkt der gelbe Blätterregen.
Sinkt mir aufs Haupt. Ich wollt, ich wäre blind
und könnte mit dir durch die Stille schreiten
und träumen, daß es deine Hände sind,
die segnend über meine Haare gleiten.

Du

Wohl unter Erlenbäumen
am kühlen Grabenhang
wollt ich vergessen träumen,
träumen und säumen mein Lebenlang.
Und nun bist du gekommen,
hast aus dem bleichen Grün
zum Garten mich genommen,
wo Mohn und dunkle Rosen blühn.

Aus „Parzival“

[533]
Als Parzival im ersten Morgengrauen
das Roß gelenkt vom heiligen Schloß des Gral
und durch den finstern Wald hinab ins Tal,
gedankenschwer und ohne aufzuschauen,
kam er zu einem See, blank wie geschliffener Stahl.
Rings blühten wilde Gärten. Heiß und lüstern
umdufteten ihn große Orchideen,
und hier zuerst zwang ihn sich umzusehen
einer fremden Frau geheimnisvolles Flüstern:
Er sah das Schloß im Morgensonnengolde stehen.
Die goldene Sonnenburg von Munsalvaesche.
Und da geschah es, daß ein heißes Schauern
sein Auge bannte an die roten Mauern.
Er hielt, gestützt auf seiner Lanze Esche
und starrte stumpfen Blicks, in dumpfem Trauern
und dunkel ahnend den verscherzten Thron
zur goldenen Sonnenburg von Munsalvaesche.
Erst als die Nacht hereinbrach, ritt er in Eile davon.
***
Ich bin ein Mann und bin ein Kind,
mein Vater ist mir lange tot,
meine Mutter hieß Herzeleide.
Alle meine Geschwister sind
mir entfremdet und kühl und stumm:
Menschen und Dinge beide,
weiß ich warnm?
Tun der Menschen kannte ich nie,
Liebe der Frauen kannte ich nie,
ich habe nur ein wenig geträumt.
Ich fühle wohl: purpurne Ströme rinnen
[534]
und irgendwo dunkel ein Brunnen schäumt.
Nun soll ich ein Leben beginnen
und weiß nicht wie.
Mir liegt eine alte Weise im Ohr,
die nächtlich kam und nimmer ging:
Die alte Torheit, die ich verlor,
und die neue Klugheit, die ich nicht finde.
Und andres sinkt und andres kommt,
ein Raunen von Sühne und Sünde.
Weiß ich wozu das frommt?
So reite ich durch die Dörfer des Lands,
und Kinder und Frauen schauen mich an
mit zitternden Seelen und keine,
die dies Rätsel lösen kann...
O ihr meine Freunde, wie ist das geschehn?
Hat einer von euch je mich weinen sehn?
Ich weine.
Und ein schaurig Vergessen. Wie schwand der Sinn
von Bösem und Gutem, von Tagen und Jahr.
Schon fahr ich Straßen die keiner fuhr:
und weiß ich denn noch wer ich bin?
Weiß ich wo meine Wurzeln sind,
weiß ich wo heut ich bleibe,
weiß ich wohin ich treibe
im Wind?
***
Und man erzählt: An einem Siegesabend
— der Brand der Schlösser leuchtete zum Mahl —
hab er, in Händen das Gesicht vergrabend,
mit wenig Treuen das Gelag verlassen.
So kam er spät durch wirre Hafengassen,
wo grell behängt, geschminkt und leichenfahl
vor niedern Türen müde Weiber winkten;
und jede neben sich ein kleines Licht.
Rings Brunst des Schiffsvolks auf zerfaulten Lagern.
Ihn fror. Da, wo die letzten Lämpchen blinkten,
[535]
rührt an sein Kleid und kniet und weint und spricht
die letzte, ärmste, hagerste der hagern:
„O Parzival: ein kleines Pfand und Zeichen!“
Er hielt erbarmend. „Bleicheste der bleichen,
wie kennst du mich?“ Am Himmel glitt ein Klingen
und wie ein dünner güldener Harfenton.
„So bitte.“ Und sie stöhnend: „Einen Sohn..“
Ein langer Blick. Er winkt. Die Treuen gingen.
***
Nun wird mein Leben mit jedem Tag
stiller und blässer.
Kaum daß ich noch Stunden vernehmen mag
wie unterirdischen Tropfenschlag
verlorner Gewässer.
Wie dämpft sich das Laute mit einem Mal,
wie ist das Gewimmel
der bunten Tage verhüllt und fahl
und Morgen und Mittag vom steten Opal
ewiger Abendhimmel.
Und wie ist es, daß Dinge jetzt einfach geschehn,
die unfaßbar deuchten:
Schwarze Teiche mir im Vorübergehn
und Frauen, welche ich nie gesehn,
ganz plötzlich leuchten,
und Zerrißnes sich bindet. Und sagt mir, was
macht jetzt meine Lider
von lange vergessenen Tränen naß.
Ganz alte Worte, die ich vergaß,
finde ich wieder.
O mein Gott, die Zeit ist Wunders voll,
es fallen und steigen
die Wasser uralter Liebe und bald
wird Altes zu Neuem und Neues alt,
mich schläfert eigen.
[536]
Es spinnt sich ein dunkel verworrener Traum
vom unbekannten
hinüber zum unbekannten Raum.
Dazwischen leb ich und hab es kaum
einmal verstanden.
***
Ich sah den Helden durch die Städte reiten,
den Panzer schwarz von Staub, gesenkt den Speer,
und solchen Blicks, als käme er von weiten
entlegnen Fahrten und von fernen Streiten.
Die Eisen seines Rosses klangen schwer
hinab die kühle Straße der Platanen.
Rings um ihn fielen Rosen, Anemonen
und winkten Wimpel und geschwellte Fahnen...
und Frauen von Balkonen und Altanen
und Mädchen von Altanen und Balkonen.
Die steile Sonne schien mit weißem Feuer,
ein Leuchten milden Ruhms floß ihm voraus,
und hinter ihm entfernt und ungeheuer
stieg dunkler Rauch verschollner Abenteuer.
Das Volk in Trunkenheit von Haus zu Haus
rief schluchzend im Gebet um seinen Segen,
ein Greis flocht zitternd ihm den Eichenkranz,
ein Frühlingstaumel flog auf allen Wegen
und aller Wesen Liebe ihm entgegen.
Doch seiner blauen Sterne steter Glanz
blieb unverrückt am Rand der Fernen hangen
mit einem innern Leuchten, wie der Blinden,
und ganz im Anschaun letzten Ziels befangen. —
Und Kinder, die ihm singend nachgegangen,
sahn ihn zuletzt im Zauberwald verschwinden.

Notturno in G-Dur

[537]
Der Nachtwind singt und säuselt durch das Rohr...
Vom Garten hängt zum See der bleiche Flieder.
... Ich harre dein im Boot, wann steigst du nieder
die kühlen Stufen? ... — leis... das Gittertor.
Der Nachtwind singt und säuselt durch das Rohr.
Der Nachtwind streift und flüstert um das Boot...
der See liegt still... „Schling um mich deinen Arm,
gib diese junge Brust mir, keusch und warm...
wie feucht dein Nacken glüht, dein Mund wie rot! ...“
Der Nachtwind streift und flüstert um das Boot.
Der Nachtwind zittert fröstelnd durch das Rohr.
„Frühvögel... horch...“ „wenn der Rausch je verblich?“
„Du weinst“ „ich weine — süß und bitterlich.“
Der Mond scheint grell — leis geht das Gittertor...
Der Nachtwind rauscht und schauert durch das Rohr.

Der Landschaften letztes Stück
Aus „Das Buch der Landschaften“

Die nackten Tempel, die im Mittag starren
in ihrem Trümmerglanz und heißen Gleiße! —
Erschrickst du nicht der leichenhaften Weiße,
ward deine Seele noch nicht müd, zu harren,
noch deine Hand, die zittert, nachzutasten
der steilen Säulen stets gelassenem Schwellen,
die Stirn nicht müde der metallnen Hellen:
So sollst du nie in dem Gewährten rasten
und stets um die erhobenen Leuchten schwärmen.
Fremd, ewig wandernd auf den fremden Steigen
dich durstig zu den fremden Brunnen neigen
und immer dich an fremden Feuern wärmen!
[538]
Schon ward dein Auge vom viel Schauen kühler
und dein Herzblut von langer Sehnsucht matter...
Schau auf! Ein neuer Hauch weht düfteschwüler,
die Dinge glänzen rund und lebenssatter,
und sieh, der Abend sank, ein letzter Hort.
Wie hüllt dich Dämmerung vertrauter Wände,
ein Kind, ein Mädchen, rühret kühle Hände,
ein Kind — im Abend — fand das rechte Wort.
***
Ja die Musik umfängt dich wie mit Nächten,
die heilige Hochstadt wankt und dämmert fahl.
Doch aus den innersten und tiefsten Schächten
fühlst du Lebendiges regelnd sich verflechten:
Die Leidenschaft, gebändigt im Choral.
Vor dem, was Edle tief verknüpfend schufen,
vor Stimmen, die im ungeheuren Strom
bald aus den Höhen, bald aus Tiefen rufen,
zerbricht der Tempel Säulenflucht und Stufen —
Schon flammt dir im emporgerißnen Dom
brünstiges Violett der mystischen Rose
und blühen Fenster dir mit eigenem Glanz,
wie schaust du innerlich das namenlose
unendliche Kleine und unendlich Große,
wie hältst du deines Volkes Seele ganz
in Orgellautes tiefster Qual und Wonnen:
Hier flattern Engel der verschollnen Meister,
aus Flöten singen alle Märchenbronnen,
und lächeln milder heimische Madonnen,
und unten seufzen die gequälten Geister.
Daß dir noch einmal die Erkenntnis werde
des Sakraments, wie beugst du das Genick,
wie kniest du wurzelnd in erkommner Erde! ...
Fern decken Nebel heidnische Gebärde.
Nun bleibe so und wende nicht den Blick.
[539]
Leicht daß schon bei den frühen Morgenröten
ein Neues dir geheißen und geboten.
Dann vor der ewigen Wandlung nicht erschrick,
sieh, dies ward so dein eigenstes Geschick —
und später Schlaf bei deinen großen Toten.

Siegvater

Siegvater, sause durch die Nacht!
Einfang ich deines Sturmes Hauch.
Du hast ja meine Seele auch,
den Atem meiner Brust entfacht.
Durch Sturm und Wetter braust dein Ruf,
du Totenkönig, Lebensheld,
und Wald und Heide, Senke, Feld
macht fruchtbar deiner Rosse Huf.
In dir muß alles Sein verwehn —
erschüttert steh ich, Sohn der Zeit,
und fühl in deiner Ewigkeit
mein Sterben, Wandeln, Auferstehn!

Hartung

Julfriede, stille Weihnachtszeit.
Frau Berchta klopft ans Haus verstohlen
und lockt mich auf des Schneeschuhs Sohlen
ins Eisschloß der Bergeinsamkeit.
O Hochwelt, menschenrein und frei!
Bereifte Tannen stehen Wache,
Eislanzen dräun am Felsenbache
und warnend gellt der Geierschrei.
[540]
Ein Reh stapft übern Glitzerharst,
rupft hungernd an den Fichtensprossen,
sichert und flieht wie angeschossen,
weil fern das Eis im Weiher barst.
Den Blick vom Sonnengolde hell
trägt Hochschau über weite Tale.
Umglost vom letzten Abendstrahle
geht meine Fahrt lawinenschnell.
Vom Firnstaub Haar und Bart zerzaust,
den Alpenhang hinab, die Matten
stürz ich mich in der Ebne Schatten,
mein Schicksal in der eignen Faust.

Holephann

Das Schratlein hockt am Weidenstrauch
und schneidet Maienpfeifen,
am Krokusfeld, im Veigelhauch
die Flügelbübchen schweifen.
Du Amsel, Frühlingsruferin,
verkünde Schatz und Schätzchen:
Schon blühn am Quellbach uferhin
Ostaras Weidenkätzchen.

Knospentage

Das Lieblichste war uns beschieden,
Köstliches, das nicht wiederkehrt:
der ungestandnen Liebe Frieden,
der noch kein fremder Wille wehrt.
Gedenkst du, wie in jenen Wochen
wir kinderfroh im Klee getollt,
welch ein Erröten, Schweigen, Pochen,
ein Sich-Verraten, ungewollt!
[541]
Welch tiefbeseligtes Entfachen
hat deinem Schämen sich vermählt!
Ich las in deines Augen Lachen:
„Ich hab dich lieb, du meine Welt“.
Und Tag für Tag schwor ich verborgen:
„Heut küß ich dich, heut wirst du mein“,
zögerte glücksbewußt bis morgen
und sog den Duft der Schönheit ein.

Nacht und Schweigen

Ich bin von dir so ganz umhüllt,
als ob ich heut dich finden müßte,
das Atemholen deiner Brüste
noch heute meine Hände füllt.
Gewölk am dunkeln Himmel geht,
die kalten, klaren Bronnen fließen —
O dürft ich diese Nacht genießen,
die lau an deine Wange weht.
Wie ihre Stille mich ergreift!
Mit halberstickter Glut das Sehnen
der Stunden mich verzehrt, in denen
zur Ernte unsre Liebe reift.

Herbststille

Aurikel, Anemonen,
die uns der Frühling gab,
Lilien und Kaiserkronen,
sie blühten alle ab,
traumhaft die Tage gehen,
wunschlos und feierlich.
In Schweigen und Verstehen
löst alle Sorge sich.

Unendlichkeit

„Unendlichkeit, in deinem Wesen weset auch das meine!“

Giordano Bruno
[542]
Es trägt mich aus des Tages Hast,
Verworrenheit und Sorgen
der Sehnsucht Flug voll Schwingenkraft
durch Dämmrung, Nacht und Morgen.
Durch wipfelhohe Bäume streicht
tröstlicher Hauch der Stille.
Aufhorchend schweigt mein Herz. Es weicht
von ihm der Widerwille.
Wie lichte Blumen seh ich blühn
auf dunkler Himmelswiese
der unerforschten Welten Glühn,
die fernen Paradiese.
Und fühle feierlich und groß
mit heiligem Erbeben
verknüpft mein flüchtig Eintagslos
unwandelbarem Leben.

Der Pflüger

[543]
Spät des Abends über Flur und Äcker
wandl ich einsam. In den dürren Stoppeln
pfeift der Herbstwind seine schrillen Sänge.
Nur das Unkraut blüht noch. Sanft in braunen
Wölkchen träumt die Nacht. Der purpurrote
Mond, der aufgeht, leuchtet ihr ins Antlitz, —
fern, in bleichen Dünsten stirbt der Tag.
Seine Stirn in Dämmerfluten badend
winkt mein Haus schon zwischen Lindenbäumen.
Rüstig schreit ich aus und in Gedanken
wäg ich all das Korn in meinen Speichern,
all das Gold, das rasch sich häuft im Schranke,
träume vom Behagen meiner Stube,
von den roten Backen meiner Kinder.
Doch auf jenem Hügel, wo die Pappeln
leise rauschend sich im Mondlicht wiegen,
altert noch ein Knecht. Ich seh's mit Staunen;
und ich eil bergan und will ihn mahnen,
Ruhe sich und seinem Tier zu gönnen.
Kühler wird's, und manchmal klingt's wie Seufzen
klagend, sacht verhallend durch die Luft;
und zerrißne dunkle Wolken treibt
mächtigen Hauches vor sich her der Wind, —
schwere, frisch gepflügte Ackerschollen
glänzen, schwarzem Samte gleich, und dampfen.
Gänzlich unbekannt ist mir der Knecht;
riesengroß in spätem Dämmerschein
wuchtigen Schritts dem Pfluge geht er nach,
wie ein schwarzer Fittich weht sein Mantel,
breit und mächtig starrt sein kahler Schädel;
und er schwingt in kräftiger Faust die Peitsche,
daß es weit in Lüften knallt und hallt.
[544]
Und das Pferd, gewaltigen Knochenbaus,
zieht den Pflug wie einen Federkiel,
daß die Krume stöhnt, die Pflugschar glüht
und im Winde wirr die Mähne weht.
Manchmal wiehert's und die Nüstern blähend
schaut es mit den großen, feuerroten
Augen in die fahle Dämmerflut.
Meiner Knechte keiner ist's, fürwahr,
und das Pferd ist nicht aus meinem Stalle!
Wer nur pflügt bei Nacht auf meinen Äckern,
und wer sät, wer erntet drauf bei Nacht?
Doch der Pflüger winkt mit Knochenfingern,
seiner Augen tiefe Höhlen grinsen;
laut und schrill ein Lachen schlägt er an,
daß es höhnend durch die Lüfte gellt —
und Verwesungsduft entsteigt der Scholle...
Ich erbebe — — —

Das Begräbnis

Durch den Winternebel
sinken die Flocken;
schon grüßen den Toten
die Friedhofsglocken.
Die Trauernden schreiten
durch öde Gassen.
Auf dem Sarge schimmert
das Kreuz so verlassen.
Der nichts errungen
und nichts erworben,
ein armer Mann war's,
der da gestorben.
All seine Liebe
und all seine Habe
folgen dem Sarge:
sein Weib und sein Knabe.
[545]
Im Auge der Witwe
wohnen die Sorgen:
der Schmerz für heute,
der Hunger für morgen.
Die Kleider des Knaben
sind alt und ärmlich,
er zittert im Froste
und schluchzt erbärmlich.
Er hält sich vors Antlitz
die frierenden Hände,
der Weg zum Friedhof
scheint ihm ohne Ende.
Auf dem Sarge schimmert
das Kreuz so verlassen;
die Trauernden schreiten
durch schneeige Gassen.
Der feiste Gastwirt
beim Wirtshaustore
schiebt kaum sich das seidne
Käppchen vom Ohre
und höhnt durch das hallende
Glockengeläute:
„Kondukt letzter Klasse
für hungrige Leute.“

Heiliger Hain

Heilig Dunkel füllt des Parks Gehege.
Schauernd schreiten wir geweihte Wege.
Schon erfüllt ein lauschendes Vergessen
uns im Schatten ewiger Zypressen.
[546]
Geisterlaut und kühler Brunnen Rauschen — —
Seligkeit ist Blick, ist süßes Lauschen!
Still entrückt des Lebens lauten Brücken
bebt die Brust wie einer Flamme hell Entzücken.
Nun mit blühendem Lorbeer darfst du krönen
meine Stirn, zum Priester mich des Schönen,
rein mich zu den Göttern zu geleiten,
und in stummer Schönheit darf ich schreiten.

Rosen

Keine Rose darf ich pflücken,
deine junge Brust zu schmücken!
Fromm der Gottnatur ergeben,
ehrst du jedes Blumenleben,
daß es sich im Licht vollende
unterm Schutze deiner Hände.
Doch im Traum der Sommernächte
schlingen um dein Haupt Geflechte
dieser Rosen sich zum Danke,
steuert, frei der Erdenschranke,
deine Seele in dem großen
All auf einem Meer von Rosen.

Auf den Höhen

Reines Glühen hält die Höhn
abendfeierlich umfangen,
ob die Sonne groß und schön
auch schon längst hinabgegangen.
Bläulich seh ich fern den Rauch
aus der Tale Dämmer steigen.
Rings kein Atem! Rings kein Hauch!
Namenloses tiefes Schweigen.
Unnennbares Sehnen will
in der Brust mir nicht ersterben,
während rings die Höhen still
sich in tiefe Nacht verfärben.

Seltsame Stunde

[547]
Nun frage nicht mein dunkles Herz!
Du weißt, was meine Augen sagen: —
Ich habe allzulang getragen
den bitter unfruchtbaren Schmerz
in dumpfen Tagen.
Mich schreckt ein fallend Rosenblatt,
mich schrecken windverwehte Töne
und deiner Augen Märchenschöne,
der ich auf dunkler Lagerstatt
mich selber höhne!
Nein, frage nicht! Schau nie zurück!
du weißt, wie dunkle Mächte walten.
Mit zitternd scheuen Händen halten
darfst du mein Glück,
mein scheues Glück! ...

Val d'Ema

Als ich den blumigen Klosterhof betrat —
der fromme Pförtner ließ mich gleich allein —
und warmer Duft verborgner Veilchen und
die süßen Hauche schneeigster Narzissen
den Lauschenden weich streifend überschlugen
und tiefste Stille leuchtend mich durchdrang, —
da war es plötzlich mir, als sei ich längst
gestorben und ein einzig Lauschen nur
auf diese Stille, und ein wonnig Sinken
in eine süße, seidne Himmelsbläue...
Wie lang ich so, in mich versunken, stand,
ich weiß es nicht — Zeit war die Ewigkeit!
Ein glockenklarer Vogelruf der Höhe
rief mich zurück, und wie ein jäh Entzücken
durchdrang mich neu die Stille, die, verwandelt,
das Schweigen sehnsuchtsbangsten Lebens schien,
des wilde Wogen hier, im Frühlingswind
[548]
verglänzten in der Blumeneinsamkeit,
daß meine Seele nur noch tiefer fühlte
des Lenzes wundersamste Atemnähe.

Brandung

O sonnenbraune Inselsommertage,
voll Grillenzirpen und voll Meeresklage!
Mir singt vom Hang der silbernen Oliven
die Sonnenflut herauf aus nahen Tiefen.
Der Brandung Schaumgeschmeid seh ich zerfließen
im amethystnen Duft der Bergesriesen:
Ein zischendes Zerrinnen gelber Mähnen,
ein Spielen ungezählter Gottestränen.
Es will in Schaumgetos und Flutenwalten
sich Zug auf Zug und Bild um Bild gestalten.
Da naht's heran — ein Sturm von weißen Rossen,
und hebt das Haupt und ist im Licht zerflossen.
Sie steigen wieder, schäumend und verstohlen,
mich in die Sonnenflut hinabzuholen.
Dort naht ein Boot... Durch lichtazurne Schäume,
durch seliges Gebraus, in heilige Räume,
auf lichten Tiefen über schwanken Wegen
entgleitet's, tiefem Abendglanz entgegen,
in einzig Leuchten, eines Abgrunds Ferne...
Und Sterne steigen, Sterne, nichts als Sterne!

Traumland

O goldbeglänzte Bucht des Abendschweigens!
Lautloses Perlenspiel des blühenden Schaums...
Ein Friede alle Tiefen rings
und alle Höhn
voll heiligen Lichtes,
das zögernd scheidet
von stillsten Meeren.
Unnennbar tiefe Stunde!
Ein wundersames Tränenglück,
das seine Tiefen selbst nicht kennt
[549]
und nur mein Aug
mit Glanz erfüllt,
schmerzseligen Staunens übervoll,
schweigt hell in mir
und lauscht — — und lauscht...
Versunken alles! —
Tag und Lärm und Welt!
O goldbeglänzte Bucht des Abendschweigens!

Frühlingslied

Nasser Schnee auf allen Gassen,
und vom Himmel nasser Schnee!
Aber im Unwirtlich-Nassen
wirkt schon Zauber einer Fee.
Einer Fee mit sanftem Lächeln
in dem lieblichen Gesicht,
deren laues Atemfächeln
unsichtbar den Winter bricht.
Amsel in den kahlen Ästen
blättert leis im Notenbuch
und gibt schüchtern schon zum besten
ihren ersten Singversuch.
Über seine Herzenssache
lyrisch meditiert der Fink,
und der Spatz von Dach zu Dache
schwatzt noch mal so frech und flink.
Hinter jenem Bretterzaune
tönt ein sehnsuchtsvoll „Miau!“ —
In erneuter Liebeslaune
schreit der Kater nach der Frau.
[550]
Hei! das ist ein drollig Leben,
wenn durch letzte Winternot
schon das erste Liebesbeben
hoffnungsfroher Herzen loht!
Winter, frostiger Weiberhasser,
drücke dich nur nordpolwärts!
All dein Grollen wird zu Wasser,
denn wir haben wieder März.

Herbst

Die Schwalben rüsten sich zur Reise
und auf dem Telegraphendraht
besprechen wichtig sie und leise
den Tag der Abfahrt und den Pfad.
Aus Sommerfrischen und aus Bädern
schwärmt nun nach Haus der Wanderflug,
und in der alten Arbeit Rädern
braust wieder Schwung und Kraft und Zug.
Nach den ermattend heißen Wochen
des Juni, Juli und August
ist wieder traulich angebrochen
des Paarens Zeit, der kräftigen Lust.
Statt in die Wälder sich zu flüchten,
wird wieder zum Parnaß gereist,
und an des Lebens süßen Früchten
erfreut sich der gereifte Geist.
Es füllet sich des Winzers Tonne
mit schäumigem Most für manches Fest.
O goldner Herbst, du Zeit der Wonne,
des Jahrs und Lebens heitrer Rest!
Und deckt nach wackerm Tun und Streben
der Winter uns mit weißem Pelz,
bis neu ein Lenz uns weckt zum Leben, —
wer möchte trauern? — Mir gefällt's!

Schwerer Sommertag

[551]
Schwermütiger Tag voll Rauschen,
voll Fragen und voll Lauschen
und voller Stille traumhaft bang —
nie stand der Garten trüber,
nie kam vom Wald herüber
geheimnisvollerer Gesang.
Die Irislilien schwanken
auf Stengeln, grünen, schlanken,
und neigen ihre Häupter still.
Wie eine irre Frage
klingt eines Vogels Klage
jäh auf — und schweigt mit einmal schrill.
Schwermütiger Tag voll Rauschen,
voll Fragen und voll Lauschen,
welch ein Geheimnis birgst du bang?
Nur dunkler wird und schwerer
und wie von Hoffnung leerer
des Waldes rätselhafter Klang.

Sehnsucht

Die Rosen glühen stumm
in hoher Mittagsglut,
als Herzen, wie mein Herz
so heiß und rot wie Blut.
Als Herzen, wie mein Herz
stumm brennt und ganz allein
und fast verschmachten will
vor sehnsüchtiger Pein —
verhauchen Duft und Leben
in hoher Mittagsglut,
wie Herzen vor Verlangen
vergießen schier ihr Blut.

Aus „Der Wanderer“

[552]
Ich vergaß das Liebeslied...
Und der Wald geht schwer im Brausen
hier will meine Sehnsucht hausen —
ich vergaß mein dunkles Lied!
Tief in die lebendige Nacht!
Tiefer! Aller Tag ist draußen!
Atem! Atem! Dieses Brausen!
Und mein Herz ist voll und lacht!
Tiefer! Wie die Erde riecht!
Und die Wipfel wuchten nieder!
Dankend zittern meine Glieder,
dankend, daß die Erde riecht!
Hier ist meine Sehnsucht rein,
und ich muß die Welten lieben
und die Wolken, die da stieben!
Und dies alles, es ist mein!
Ich vergaß das Liebeslied...
und vergaß — vergaß das Leben.
Sturm in diesem Sturm verbeben!
Atem! Meine Seele flieht! —
***
Tausend Lichter blitzen durch die Nacht.
Die Geschehnisse folgen ihrem Lauf
durch die Nächte, selbst blitzend und schwarz wie die Nacht.
Ein bleiches Weib singt eine traurige Ballade.
Unendlich — wo? wo? — der unbarmherzige Himmel,
mitleidlos die wandernden, kalten Sterne,
die ihrer Geschicke Lauf verfolgen.
Ein bleiches Weib singt eine traurige Ballade.
Die Nacht, und die Sterne, und die wilden Lichter! —
Fernes Geheul! —über schwarzfahlen Giebeln ein Rauch
gespenstisch wogt und verschwindet zur tiefen Höhe.
Ein bleiches Weib singt eine traurige Ballade.
***
[553]
Wie schwarze Klagehände
hoch aufgereckt, die Bäume, stehen sie,
wie ohne Leben, ganz in Schweigen.
Mit ihnen rag ich starr auf ins Finstere.
In Nacht, in lebenleerer,
stehen wir ohne Laut und sprechen doch
zu dir, du Leben, das im Abgrund
des Himmels flimmert, stumm und inbrünstiglich.
Des Leidens Hände sind es
zu dir aufragend, daß sie niederränn',
die Liebesträne, lebengebend,
in sich uns bade, die glühende, strömende!
***
Nimm hin alle dunklen Tage
deiner ungestillten Brust,
die dich brennt und weinen macht,
wache in der langen Nacht,
opfere all deine Klage
und die Sehnsucht und die Lust.
Und dann komm mit in den Morgen
und dein Schauen sei Gebet:
ach, wie steht
jede Blmne ohne Sorgen!
Unterm Himmel bist auch du!
Und wie Wolken ist das Leben,
sie umschatten, sie umschweben
nur des Himmels Licht und Ruh.
***
In hoher Öde wächst der Wald nicht mehr.
Zu meinen Füßen brausen die Wipfel unermeßlich!
Die Tiefe dampft herauf mit den großen Wolken.
Herauf! Herauf! Ich gehe im Sturme heimwärts!
Mein Herz brennt trunken von meiner Einsamkeit!
So kämpfen die Berge bei mir! verhüllte Gipfel!
Herab! Herab mit meinem schweigenden Lachen
werf ich mit dem sausenden Regen mich in die Tiefe!
[554]
Und liegt mein Blick wie das ferne Liebeslächeln
der Sonne bleich im jäh entschleierten Tal,
als eine Gnade — eine süße Kunde
dahingegeben — ein flüchtiges Geschenk.
Getürmt der Felsweg! Ich lieb ihn und frage nicht:
Wann steig ich nieder für immer? Ich singe die Öde,
die ewige Heimat der immerwährenden Wandrer!
Wandernd ewig geh ich ewig heimwärts!

Lied beim Champagner zu singen

Jetzt ist Nacht und Zeit zu trinken!
Ist dein Herz dir auch so schwer?
Trink die Gläser mit Champagner
all mit einem Zuge leer!
Ha! wenn dir der Sturz die Kehle
schier zerreißt, dann ist es gut!
Tränen blinken dir im Auge!
O! ich weiß, wie gut das tut!
Freude dir und mir zu schenken,
Bruder, strömt der Feuerwein!
Süße in die Herzen gießend,
die voll Sehnsucht und voll Pein!
Doch die Sehnsucht soll ertrinken,
und ertrinken soll die Pein!
Einsamkeit und böse Ferne,
alles soll vergessen sein!
Daß mein Herz vor Freude zittert,
und daß mir vor nichts mehr graut,
während meine Lippen zittern,
und die mörderische Trauer
aus den seligen Augen schaut!
Zeit ist's, hoch das Glas zu heben,
vollgefüllt bis an den Rand!
Bruder! Hoch auf deine Liebe!
und die Gläser an die Wand!

Bleiche Tage

[555]
Es fallen die Tage
leise und bleich.
Kein Ruf! keine Klage!
so stumm und gleich
fallen die Tage,
leise und bleich.
Und mit bebendem Finger,
aus Alltags Schnee,
türm ich einen Zwinger
im trotzigen Weh —
mit bebendem Finger
aus Alltags Schnee.
Und drinnen walten
Ritter, gebannt:
meine Wunsch-Gestalten,
hoch, ehern die Hand.
Im Traumschloß walten
Ritter gebannt —
Stolzhäuptig, erfahren
in Spiel und Tanz,
auf Lockenhaaren
ruht leicht ein Kranz;
doch sie suchen Gefahren
und Spiel und Tanz...
Und oben im Saale
Frau Sehnsucht sinnt,
die mit rotem Strahle
ein Licht umspinnt.
Frau Sehnsucht im Saale
sinnt und sinnt...
[556]
Es fallen die Tage
leise und bleich.
Kein Ruf! keine Klage!
so stumm und gleich
fallen die Tage,
leise und bleich.

Tuch der Tränen

Hände, viele Hände
über der Heide schweben,
die unsichtbar, ohn Ende
am Tuch der Tränen weben...
Die grauen Fäden gleiten,
auf daß es ewig hält,
die Geisterhände breiten
allnacht es über die Welt...

Seelen

Du weißt, wir bleiben einsam: du und ich,
wie Stämme, tief in Gold und Blau getaucht,
mit freien Kronen, die der Seewind küßt...
So nah, doch ganz gesondert, ewig zwei.
Und zwischen beiden webt ein feines Licht
und Silberduft, der in den Zweigen spielt,
und dunkel rauscht die Sehnsucht her und hin...

Totentänzchen
(Menuett)

[557]
Der kupferrote Vollmond hing
in sternentoter Weite,
und durch die dunklen Felder ging
verschränkt ein Paar zur Freite.
Sie war so jung, so knospenschlank
und hatte heiße Wangen;
um ihren Leib die Arme schlang
in glühendem Verlangen
der Tod —
und sang:
Es irrt ein Lachen durch die Welt,
ein sorglos-freches Höhnen;
es zieht ein Weinen durch die Welt,
ein Schluchzen und ein Stöhnen.
Es steigt empor und schrillt zusamm
in wilden Dissonanzen,
wir aber wollen, schönes Kind,
ein Menuettchen tanzen...
Ein Menuettchen tanzen! — —

Lied des Hörigen

Girsik, der Holzknecht, legte
die Eisenaxt ins Moos; —
sein dumpfes Herz bewegte
ein Traum und rang sich los,
sein dumpfes Herz erlebte
ein Heiliges und schrie,
sein dumpfes Herz erbebte
vor dieser Melodie:
Feuer in den Forst zu legen,
daß die roten Zungen lecken,
daß ein fahler Funkenregen
niedersaust auf Stamm und Stecken;
[558]
daß die greisen Eichen krachen
und im Sturz sich überschlagen
und im Fallen neu entfachen
einen Glanz von tausend Tagen:
bis die letzten Stämme ächzen,
jäh zerspalten und geborsten,
und wie toll die Raben krächzen
und verbrennen mit den Horsten.

Kronenlied

Mich hat in fahler Nordlichtnacht
ein wetterharter Schmied gemacht;
bin eine Marterkrone,
bin eine Königskrone.
Mein Schläfenring ist kantenscharf;
als ihn der Schmied ins Feuer warf,
da flüsterten ganz leise
die Flammen eine Weise:
In einer Köhlerhütte
weint eine alte Frau;
ihr Sohn hat sie geschlagen,
ihr Sohn ist roh und rauh.
Und alle Leute sagen,
er sei seit frühen Tagen
ein finster wildes Kind,
und daß zwei Eisenengel
seine Paten sind;
daß seine Köhlerhände
seltsam rot,
und daß sein böses Auge
jedem droht,
und daß er keinen Herrn
und keinen Meister kennt,
und daß auf seiner Stirne
die Kronennarbe brennt.

Das Bild

[559]
Wie sich des Winterspätrots Fahnen senken,
da muß ich einer Sommernacht gedenken,
einer seltnen Nacht.
Ich ruht im Schloß. Rings schlief die Juniwildnis.
Im Saale drunten hing ein Mädchenbildnis —
ich war erwacht.
Und wie ich's oft geschaut in goldenen Nähen,
geschloßnen Auges könnt ich's vor mir sehen
in tiefer Nacht.
Das war kein Handwerk trockner Künstlertugend,
es war Jasminenduft, es war die Jugend,
die siegt und lacht!
Still blühten auf des Bildes Paradiese —
da knirscht es draußen wie ein Schritt im Kiese
gar sacht, gar sacht.
Wie Harfenton entrang es sich den Mauern.
Mich überrann es schwer mit fremden Schauern.
Ein Wagen rollte fort aus meinen Träumen
und sein Geräusch verlor sich in den Bäumen —
Gute Nacht, gute Nacht!

Herbst

I.

Hohe, milde Sonnenblumen,
weiße welkende Petunen
und die Glut der Dahlia —
blühte dieser Garten ferne
banger Qual auf sanftem Sterne,
hold und selig wär es da!
[560]
Strömte dieses Brunnens Fülle
lind in laue Frühherbststille,
fern der Welt, dem Frieden nah...
Götterselig war es da
bei den hohen Sonnenblumen.

II.

Daß ewig die argen Stimmen uns stören!
Sonst könnten wir hier in seligem Kreis
die stillen Farben der Blumen hören.
Sie reden so innig, so spätsommerheiß.
Gewiß, die roten Astern vertrauen
auf eine himmlische Seligkeit,
und sieh nur, wie fromm und todbereit
die vollen Heliotropen blauen...

Der Grund

O die zerfallenen Stufen,
die tief hinunterführen,
wo seltsame Stimmen uns rufen,
verworrene Laute uns rühren.
O dies heimliche Neigen,
o dies schmerzliche Suchen!
Und ach! das furchtbare Schweigen
unter den Riesenbuchen...

Überfall

In der Nacht ist er gekommen,
Dunkel war um ihn und mich,
und kein Stern war noch verglommen,
als er wieder mir entwich.
[561]
War es Träumen, war es Wachen,
was so plötzlich kam und ging,
dieses Jauchzen, dieses Lachen,
diese Glut, die mich umfing?
Sinnend der vergangnen Wonne
liegt mein Haupt, wo seines lag,
wie so strahlend blickt die Sonne,
wie so neugierig der Tag!
Laß empor die Sterne steigen,
Liebesmutter, süße Nacht,
dir will ich mein Antlitz zeigen,
das die Scham zur Glut entfacht.
Will mich keinem sonst entdecken,
horch — was flüstert in der Näh?
Ist er's — o der tiefe Schrecken.
Ist er's nicht — o bittres Weh.

Gartengespräch

Sie

Welch ein Klappern an dem Pförtchen?
Auf den Stufen wessen Schritt?
Ei, wer schleicht sich in mein Gärtchen?
Ist's der Liebste? Ist er's nicht?
Ja wer trät auch so herein!
Ja wer sollt es anders sein?

Er

In der stillen Geißblattlaube,
welch ein liebes Angesicht?
Ist es meine süße Taube?
Ist's die Liebste? Ist sie's nicht?
Angesicht voll Frühlingsschein!
Ja wer sollt es anders sein?

Sie

Laßt uns ihn ein wenig necken,
laßt uns tun, als sähn wir nicht.

Er

[562]
Will sie etwa sich verstecken?
Oder sah sie mich noch nicht?

Sie

Horch, er scharrt schon mit dem Fuße,
sehr verlangt ihn nach dem Gruße.

Er

Seht doch, wie sie lächeln tut!
Ei du Schalk und Übermut!
Guten Morgen, schönstes Dämchen!

Sie

Ei wer kommt? Ach, ist es er?

Er

Dieses Lächeln, was bedeutet's?

Sie

Wie neugierig ist der Herr! —
Doch nun ist er ja gekommen,
alles hat ja seine Zeit,
mir zur Seite Platz genommen,
tausend-, tausendmal willkommen,
bleib er nur in Ewigkeit!

Die Nachtigall

Du süße Nachtsängerin, Nachtigall,
du Trost der schlaflosen Kranken,
wie weckst du mit deinem holdseligen Schall
mir sehnend Herz und Gedanken.
Verborgen singst du dein wonniges Lied,
umdämmert von nächtlicher Hülle,
wie ein Sänger, der still sich den Menschen entzieht,
beseligt durch eigene Fülle.
Vielleicht, wenn einer vorübergeht,
wenn er höret die Töne rauschen,
daß er träumend verloren im Dunkel steht,
dich zu suchen, zu horchen, zu lauschen.
[563]
Vielleicht, wenn er kehret zur Kammer zurück,
daß er spricht: wie ist mir geschehen?
Meines Herzens Dunkel, mein Leid und mein Glück —
dieser Fremdling ließ mich's verstehen.

Werden

Um unsre Stirn geht kühle Luft.
Der Abend bräunt die grünen Matten
und trägt den schweren Erdenduft
der Schollen durch die Dämmerschatten.
Ich sehe wie im herben Wind
sich höher röten deine Wangen,
und alle zarten Reize sind
an dir zur Reife aufgegangen.
Noch gestern Kind und Übermut
und heute stiller Ernst und Zagen;
dein Mund weiß fast vor scheuer Glut
zu mir kein einzig Wort zu sagen.
und wenn die Arme schmeichelnd sich
um deinen jungen Nacken legen,
erzitterst du und wendest dich
und lächelst seltsam und verlegen...
Und weiter sucht den Weg entlang
sich unser Fuß die blauen Weiten,
vom Berge geht ein Winzersang
weinselig durch die Dunkelheiten.
Und klar die Nacht und leicht der Schritt
durch Reife, Herbst und braunen Boden,
nur manchmal zögert scheu dein Tritt
und heiß und schwerer geht dein Odem.
[564]
Erschauernd biegt dein Körper sich
und deine Augen sind geschlossen:
Die dunkle Fülle ängstigt dich
von Trieben, die zur Reife schossen.

Der Schwarm

Vom letzten roten Abendgold
stiebt in die Welt von Glut und Glast
ein Funkenschwarm und tanzt und tollt
und tummelt sich im Lindenast.
Der Abend kommt die Wiesen her.
Bedächtig geht er seinen Lauf
und macht die Wege schattenschwer
und blinzelt in den Glanz hinauf.
Dann hebt er schweigend seinen Arm
hoch in den Lindenast hinein
und fängt den roten Glitzerschwarm
in seine schwarzen Netze ein.

Der Haß

Der wilde Haß, den mir der Tag begraben
mit seinem Meer von frommem Silberlicht
ersteht zur Nacht —
Und wie ein Henker auf dem Blutgericht,
umkrächzt von beutegierigen Raben,
hebt er sein Haupt
und lacht!
Und lacht, daß alle Weiten dröhnen,
und hebt die Hand zur grimmen Faust geballt
und schreit:
„Ihr, die ihr wähntet, daß die Tränen
ersäuft mein Leid,
[565]
und die ihr tot den Haß geglaubt,
weil seines Jammers geller Schrei verhallt,
nehmt euch in acht,
er wacht —
Nehmt euch in acht vor jenen Stunden,
da Einsamkeit den grimmen Schläfer weckt
mit rauhem Streich, —
da jählings bluten die vernarbten Wunden,
der Haß die Sehnen reckt
und stumm und bleich
hinausstiert in die tote Nacht...
Nehmt euch in acht! ...“

Schon ein Lied — ein Vogellied...

Schon ein Lied — ein Vogellied? ...
Lockend klingt es um die Schwelle:
„Sieh, der rauhe Winter flieht —
und der Sonnenschein, der helle,
läßt die Fluren rings erblühn,
komm heraus ins junge Grün!“
Noch ein Lied — ein Vogellied?
Sehnend pocht es an die Scheiben:
„Sieh, die späte Traube schied,
und die ersten Flocken treiben.
Meine Seele irrt im Hain —
Laß mich ein, o laß mich ein!“...

Vorfrühling

Wie stumm der Föhrenforst! Aus Wolkenflor
lugt scheu der Vollmond. Schwarze Klumpen kauern
in Moos und nebelgrauem Erlenmoor —
Wacholderbüsche. Wie versteinert lauern
[566]
und brüten sie zum trüben Licht empor.
Ihr Düstern! seid ihr noch von Winterschauern
verstört und lahm? Hat Scheintod euch erstarrt,
daß ihr nun bang des Auferweckers harrt? —
Horch! Weint hier jemand? Wimmern ferne Eulen?
Wo bin ich? — Schwarze Stämme. Sind es Säulen?
Sie wölben sich zum schauervollen Saal,
und an der Decke schwelt die Ampel fahl.
Ach wohl, ich spür's, ich bin in einer Gruft!
Es haucht mich an mit kaltem Moderduft
und ängstigt meine Brust mit Todesqual;
der Seufzer stockt...
Und horch! Aus hoher Luft
verworrner Ruf, geheimnisvoll Geraune.
Ist Rettung nah? — Und wie ich aufwärts staune,
da sieh, am dämmerhaften Himmelsbogen
kommt schattenhaft Gewimmel angezogen,
zum Keil gereiht — Wildgänse, Wanderheere.
Ein Schlachtgeschwader, vorgestreckt die Speere.
Das stürmt so ungestüm, das ringt so hart,
das rudert und das keucht, das gellt und schnarrt.
Nun saust ihr Fittich über mir und surrt...
Vorbei!
Und noch ein Keil — und noch ein Keil!
Wie Wogen rauscht es. Lauter Wikinghorden!
Sieg, Helden! Sieg! Der kühnen Sehnsucht Heil!
Der starken Unrast Heil, die heim gen Norden
euch treibt zum trauten Nest an Felsenborden —
wo nun das Moos erblüht, und schollenfrei
im Sonnengold die Welle tanzt mit Rauschen...
O Frühling, Heil! Fahrt wohl!
Vorbei — vorbei!
Wie Traumgestammel noch ein wirrer Schrei —
verschlungen von der Öde... Starres Lauschen...

Wurzelgenossen

[567]
Tief in der Öde
träumt eine Klause,
umwogt von ewigem
Föhrengebrause.
Des Waldes Bäume
sind treue Seelen,
die kein Geheimnis
dem Klausner hehlen.
Er lauscht versunken
in frommes Staunen,
wenn Wunderstimmen
aus Wipfeln raunen:
„O Klausner, wir alle
sind Wurzelgenossen,
dem einen heiligen
Busen entsprossen.
O Bruder Klausner,
finde dich heim,
wo uns alle vereint
der selige Reim!
Ja reimt euch Seelen —
bis jauchzend schallt,
eine Riesenorgel,
der Weltenwald!“
Der Klausner lauscht —
und lallt die Weise
zur Geige nach,
inbrünstig leise...
O süße Öde!
Träumende Klause,
umwogt von ewigem
Föhrengebrause!

Tief im Zypressenhaine

[568]
Tief im Zypressenhaine
fand ich ein Totenhaus.
Auf eingesunknem Steine
lag dürr ein Rosenstrauß.
Es raunten scheu die Zweige -
„Hier schlummert eine Maid.
Sie starb an Liebe. Neige
dich vor dem heiligen Leid!“
Da weint ich vor Erbarmen.
Gibt es kein Avalun,
wo in geliebten Armen
auf Rosen Bräute ruhn?
O Herz, das im Geloder
der Liebe fromm verglüht —
dein Avalun ist Moder,
wo keine Rose blüht.
Ihr Tränen, seid dem Staube
der wüsten Gruft ein Born!
Vielleicht daß eine Laube
sich wölbt von Rosendorn...

Pilgerfahrt

Durch dunkle Grabzypressen haucht
geheimnisvolles Raunen.
Aus weißen Fliederdolden taucht
der Mond mit scheuem Staunen.
Und sieh, vom frischen Grabe
hebt sich der Marmelstein,
die Höhlung klafft — ein bleicher Mann
ersteht im Silberschein.
An seine wirre Stirne greift
der Tote schlummertrunken;
und wie sein Blick die Tafel streift,
da stutzt er, bohrt versunken
[569]
das Aug in seine Grabschrift
und starrt — bis an sein Ohr
ein Hahnenschrei vom Dorfe gellt;
da fährt er jäh empor.
Zum Dörflein heimwärts will er gehn
wie ehedem, und — zaudert
und bleibt am Friedhofzaune stehn,
von fremder Scheu durchschaudert:
„O Pilger, laß, was drüben liegt,
wo sattsam du gegangen!
auf neuen Pfaden weide
geläutertes Verlangen!“
Bei Büschen, Hügeln, Dorf und Au
verweilt sein Aug mit Grüßen —
ade — und schwimmt in Tränentau.
Und wie er nun dem süßen
Trostliede lauscht der Nachtigall,
da — sucht er eine Gruft
und küßt von weißer Rose
erinnerungsvollen Duft.
„Zur Rüste, Pilger! Was so schwer
dir lastet auf dem Herzen,
tu ab von dir — und schürfe leer
dein Herz von Schutt und Erzen!
Was du gelebt — so Schutt wie Erz —
sei nun gerecht gerichtet,
und hier auf deiner Tafel,
zwei Hüglein, aufgeschichtet!“
Er wiegt das Haupt in stummem Weh;
das gilt dem Schlackenhügel.
Doch aus dem andern, rein wie Schnee,
formt er zwei Schwanenflügel.
Die fügt er an die Schultern
und spannt sie hehr und breit,
ein kühner Weltensucher,
zur Sternen-Unendlichkeit.

Fern dem Tage

[570]
Wo bist du hin, du weißer, lichter Rufer,
wo bist du hin, der von den Bergen sang?
Rings starrt ein wildes, steinig-rauhes Ufer,
drin schleicht ein schwarzer Strom mit trägem Gang,
geht flüsternd weiter zu dem Meer der Nacht.
Und meine Sehnsucht zieht auf seinen Bächen
mit irrem Locken, mit zerrißnem Kleid.
Aus jenen kühlen, feuchten Wasserflächen
steigt ernst und sinnend nur die Einsamkeit
und singt und singt: „Zieh hin ins Meer der Nacht.“
Geheimnisvolle Sterne glühen und schweben,
und aus den Wellen Mondesblütenglanz,
ein wilder Schrei klingt fern von meinem Leben,
und meine Sehnsucht irrt im Schattentanz,
und meine Seele weint im tiefsten Dunkel.

Adagio

Still ist die Nacht, auf Wolken fährt der Wind,
wir sind allein, wir zwei, ich und mein Kind.
Wie eine Blüte liegt's in meinem Schoß
und starrt mich an mit Augen ernst und groß.
Und eine Geige singt durch tiefe Nacht,
als sei die Stille aus dem Traum erwacht,
als kläng ein Lied von Sternen hoch und weit
von fernen Ufern der Vergessenheit.
Und leise kommt in einem Silberkahn
Erinnerung und sieht mich sinnend an:
„Es war einmal! — kennst du das alte Lied,
wie deine Seele flammend ausgeblüht?“
[571]
„Es war einmal!“ Die Geige schluchzt und singt,
wie sie mein Denken all zu Tönen zwingt,
wie auf dem Geigensteg mein Traum erscheint
und einsam durch die stillen Nächte weint:
„Es war einmal!“ — Auf Wolken fährt der Wind,
an meiner Brust schläft süß mein kleines Kind.

Josefa

Es hat gewittert und gewettert
die ganze Nacht, die ganze Nacht;
verregnet liegt und rauh entblättert
dahingeschmettert
des Parks orangenduftige Pracht.
Und du? — dein Busen hebt sich leise,
ein müdgehetzter, banger Schwan...
Auch über dich, du weiße Blume,
fuhr ein vernichtender Orkan.
Das Haargeflecht zerzaust, zerrissen,
im Durcheinander deiner Kissen,
so liegst du, matt und still gemacht,
ein Blumenkelch, vom Sturm entblättert —
Es hat gewittert und gewettert
die ganze Nacht... die ganze Nacht...
***
Dein Antlitz gleicht nicht Raffaels Madonnen,
im Blick Entsagung und im Lächeln Milde.
Aus deiner Augen liebeglühenden Sonnen
sprüht Lebenslust, du meine dunkle Wilde!
Es ringeln sich dir um Stirn und Genick
die Schlangen der Locken gewitternachtswild,
und seltsam! oft mahnt mich dein bohrender Blick
an der Medusa versteinerndes Bild!
[572]
Umarme mich! ich lechz nach deinem Kusse —
umarme mich! ich sterb an diesen Gluten..!
Laß deiner Liebe Strom in reichem Gusse
her über meine durstige Seele fluten.
Rotglühend loht es in mir und flammt,
drum lösche den zehrenden glühenden Brand —
und was beseligt zugleich und verdammt,
das spende dem Durstgen mit gütiger Hand.
O könnt ich doch in deinen Armen sterben,
in der Umschlingung lustdurchbebter Glieder;
in solchen Augenblicken gern zu Scherben
würf ich des Lebens Trinkglas vor mir nieder...
Dann flögen die Seelen jubelnd davon,
veratmend den Jammer, das irdische Weh.
Ich ein stürzender Phaeton,
du eine flammende Semele...

Göttin Industrie

Ein grauer Herbsttag war es... An eisernen Gittertoren
wanderte ich vorbei, in tiefen Gedanken verloren,
und hatte des Weges kaum acht.
Aus turmhohn Riesenschloten stieg auf in geballten Säulen
der schwefelgelbe Qualm — es war ein Zischen und Heulen,
als tobte eine Gigantenschlacht.
Und näher trat ich. Es bebte vom Schlag der Eisenhämmer
weithin das Erdreich, und grell durchzuckten des Tages Dämmer
die Opferflammen der Industrie.
Das braust und surrt und prasselt in sinnbetörendem Streit:
es donnert das Riesenorchester unserer eisernen Zeit
sich seine erhabenste Sinfonie...
O Zeit, ich lern dich verstehen, o eiserne, blutige Zeit,
ich sehe die schwarzen Cyklopen, erlösender Arbeit geweiht,
ich sehe sie schüren die Glut.
Sie schlagen die kühngewölbten Brücken über die Klüfte,
sie führen die eisengepanzerten Türme hoch in die Lüfte,
sie zwingen Gebirge und Meeresflut.
[573]
Sie jagen auf endlosen Bahnen ums Weltall die rollenden Wagen,
von fernen Inseln und Küsten die Schätze herbeizutragen
in fruchtbar-bereicherndem Kreise...
Ihr Männer der blauen Bluse, ihr Männer der schwieligen Faust,
ihr seid die Gebieter der Erde, um euer Schwungrad saust
die Welt im neuen Geleise!

Hinab!

Abwärts donnern
von Bergen die Flüsse,
abwärts rollen
Lawinenstürze;
selbst die ewigen Lichter, aus leuchtenden
Bahnen gerissen,
taumeln hinab,
in endloser Nacht
zerstreuend ihres Sonnentraumes
funkelnde Reste.
Nur den Menschen,
so lang er atmet,
drängt es hinauf, hinauf zum Lichte,
treibt es auf ruhlosen
Füßen nach oben,
und dennoch erreicht
seine Sehnsucht nimmer
die göttliche Gipfelvollkommenheit.
Dort oben aber wähnt er die Quellen
des ewigen Lebens,
dort oben winken ihm
leuchtend in stiller Höh
Sterne der Wahrheit, —
und weiter klimmt er,
empor zu ihnen,
bis sein Herz,
vom Tode mit lähmenden
Händen berührt,
den letzten zuckenden Schlag tut.
[574]
Dann, ja dann
geht auch für ihn
die Straße hinab.
Hinab mit den talwärts
rinnenden Quellen,
hinab mit stürzenden
Sternen zur lichtlosen Nacht —
Hinab
zur Tiefe — zur Tiefe!

Prolog

Ich will wie das Echo am Waldrand sein,
das fängt die klingenden Stimmen ein
und horcht auf sie in heimlichem Glück
und singt sie aus seliger Seele zurück.
So sing ich mein Leben: der Tage Glanz,
der Nächte liebedurchwobenen Kranz,
die Bilder, die mir der Traum gebracht,
die Stunden, die ich in Tränen verwacht.
Und wenn mir das selige Wunder geschieht,
daß mir der Grundklang voll Sonne geriet,
dann jauchze ich still in mein Herz hinein
und will dem Leben recht dankbar sein.

Begehren

An manchen Tagen faßt mich ein Begehren
nach Glanz und Glück und wilder Rhythmen Glut,
nach Purpurrosen, tief und rot wie Blut
und heißen Frauen, die mit liebesschweren
Sturmküssen dämmen meiner Wünsche Flut.
Doch tief in diesem grellen Lustverlangen
zittert ein einziger leiser Wunsch allein
[575]
nach einem großen, reichen Glücklichsein,
nach Frieden, den mir stille Lieder sangen
in meiner Kindheit goldnem Sonnenschein.

Herbstgang

Traumstill die Welt. Nur ab und zu ein heisrer Schrei
von Raben, die verflatternd über Stoppeln streichen.
Der düstre Himmel drückt wie mattes, schweres Blei
ins graue Land. Und sacht, mit leisen sammetweichen
Schleichschritten geht der Herbst durch Grau und Einerlei.
In worteschweres Schweigen wandre ich hinein,
der unbefriedigt von dem Sommerglanz geschieden.
Die letzten lauten Wünsche schlummern langsam ein.
Mir wird der Herbst so nah. Ich fühle seinen Frieden.
Mein Herz wird reich und groß im stillen Einsamsein.
Die Schwermut, die die dunklen Dörfer überweht,
hat meiner Seele viel von ihrem Glück gegeben,
mein Abendgang wird segensfromm wie ein Gebet,
und glockenrein und abendmild scheint mir mein Leben,
seit es des Herbstes düstres Bruderwort versteht.
Nun will ich ruhen wie das müde dunkle Land...
Tiefselig zieht mein Träumerschritt in leise Stunden,
und sanfter fühle ich der Sehnsucht heiße Hand...
Mir ist, als hätt ich einen treuen Freund gefunden,
der mir oft nahe war und den ich nie gekannt...

Brügge

Hier sind die Häuser wie alte Paläste,
der Abend hüllt sie in traurigen Flor.
Die Straßen sind leer wie nach einem Feste,
wenn sich die Schar der lärmenden Gäste
schon fern in die schweigende Nacht verlor.
Die prunkenden Tore mit rostigen Klinken
sind längst nicht mehr zum Empfange bereit,
verstaubt und verwittert die Kirchturmzinken,
die in den trüben Nebel versinken,
tief in das Meer ihrer Traurigkeit.
[576]
Und in den Nischen an dunkelnden Wänden
da lehnen Gestalten aus bröckelndem Stein,
und schweigend, in heimlichen Wortespenden,
sprechen sie leise die alten Legenden
in die tiefe Schwermut der Straßen hinein.

Der dunkle Falter

Noch glüht, umwölkt von kühlen Abendrosen,
vor mir die Heimat. Doch mein Herz erbebt
beim sanften Sehnsuchtslied der Heimatlosen
und fühlt den Schmerz, den es doch nie erlebt.
Wie eine milde traurig-süße Mahnung
umfängt mich dieses fremde Bruderleid.
Früh flügelt schon der dunkle Falter Ahnung
über die Gärten meiner Jugendzeit.
So deutungsvoll ward nur das Stundenschlagen,
so stumm mein Herz. Und selbst den tiefen Glanz
der Frauenblicke weiß ich nur zu tragen,
wie bange Hände einen welken Kranz...

Erfüllung

Erst wenn die laute Welt dir fremd geworden,
und du ein Fremder allen andern bist,
lauscht du aus deines Lebenslieds Akkorden
den Klang, der nur aus eigner Seele fließt.
Tief tauchst du in den Wundenstrom der Zeiten,
der segnend über dir zusammenschlägt,
und selig spürst du, wie zu Ewigkeiten
die starke Seele dich hinüberträgt.

Juli-Schwermut

Blumen des sommers duftet ihr noch so reich:
Ackerwinde im herben Saatgeruch
Du ziehst mich nach am dorrenden geländer
Mir ward der stolzen gärten sesam fremd.
Aus dem vergessen lockst du träume: das Kind
Auf keuscher scholle rastend des ährengefilds
In ernte-gluten neben nackten schnittern
Bei blanker sichel und versiegtem krug.
Schläfrig schaukelten wespen im mittagslied
Und ihm träufelten auf die gerötete stirn
Durch schwachen schütz der halme-schatten
Des mohnes blätter: breite tropfen blut.
Nichts was mir je war raubt die Vergänglichkeit
Schmachtend wie damals lieg ich in schmachtender flur
Aus mattem munde murmelt es: wie bin ich
Der blumen müd. Der schönen blumen müd!

Traum und Tod

Glanz und ruhm! so erwacht unsre welt
Heldengleich bannen wir berg und belt
Jung und groß schaut der geist ohne vogt
Auf die flur auf die flut die umwogt.
Da am weg bricht ein schein fliegt ein bild
Und der rausch mit der qual schüttelt wild.
Das gebot weint und sinnt beugt sich gern
„Du mir heil du mir ruhm du mir stern.“
Dann der traum höchster stolz steigt empor
Er bezwingt kühn den Gott der ihn kor
Bis ein ruf weit hinab uns verstößt
Uns so klein vor dem tod so entblößt!
All dies stürmt reißt und schlägt blizt und brennt
Eh für uns spät am nacht-firmament
Sich vereint schimmernd still licht-kleinod
Glanz und ruhm rausch und qual traum und tod.

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Rechtsinhaber*in
The Beginnings of Modern Poetry Project

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2024). The Beginnings of German Modern Poetry Corpus. Moderne Deutsche Lyrik. Mit einer literargeschichtlichen Einleitung und biographischen Notizen, hrsg. von Hans Benzmann. Leipzig 1904.. Moderne Deutsche Lyrik. Mit einer literargeschichtlichen Einleitung und biographischen Notizen, hrsg. von Hans Benzmann. Leipzig 1904.. The Beginnings of German Modern Poetry Corpus. The Beginnings of Modern Poetry Project. https://hdl.handle.net/21.11113/0000-0014-43D0-3