I.
WIe mir sein Wohlergehen nebst meinem eigenen fast gleiche nahe j{e}derzeit an⸗
gelegen gewesen, so hat es mir nicht anderst als höchst erfreulich seyn kön⸗
nen, daß ihn Se. Excell. der Herr Graff von N. erwählet hat seinen Sohn,
einen jungen Herrn von nicht gemeinen Eigenschafften, so solchen hohen
Stand rühmlichst erhöhen können, nach Paris über die Niederlande zu führen. In⸗
sonderheit verehre ich recht innigst die gantz sonderbahre und weise Entschliessung Sr.
hochgräffl. Excellence, daß sie diese Tour nur kurtz haben, und daraus als aus einer
Probe abnehmen wollen, was vor Nutzen von einer grössern Reise möchte zu erwarten
seyn. Ich wünsche daher GOttes gnädigen Schutz und Beystand zu dieser Reise, daß,
der meinen Herrn mit allen zu einer so wichtigen Bedienung erforderten Gaben ausge⸗
rüstet hat, derselbige auch die Frucht eben so reichlich daraus entstehen lasse, und meinen
Herrn samt dem anvertrauetem theuren Pfand wiederum glücklich mit Ruhm und Meri-
ten angefüllet zurück bringe. Was anbelanget das Begehren, daß ich möchte meine
Observationes communiciren, die ich vor etlich Jahren auf eben dieser Reise gemachet,
sonderlich in Architectonischen und Mechanischen Dingen, welche freylich unter die für⸗
nehmsten mit gehören, so man auf Reisen zu besehen pfleget, wolte ich wünschen, daß ich
so gut in Bereitschafft dazu stünde, als ich mich schuldig und willig dazu erkenne. Be⸗
daure aber daß so gar häuffige Ursachen mich hindern meinen werthesten Freund, so wie
ich wolte zu vergnügen. Meine Reise ist gar kurtz und eilig gewesen, und die Unkosten
dazu viel knapper und sparsamer als erfordert werden, wenn man überall zu Beschauung
der denckwürdigsten Sachen begehret admittiret zu werden. Dannenhero ist die Rech⸗
nung leicht zu machen, daß ich viel merckwürdiges gar nicht, noch mehr allein obenhin und
in der Flucht nur habe sehen und wenig nach Gebühr betrachten können. Uber dieses
habe ich nichts auffgezeichnet, als einige Umstände, die mir zu der Architectur nach mei-
nem damahligen Zustand am nutzlichsten geschienen, und solchergestalt sich vor alle vielleicht
als merckwürdig nicht præsentiren kön{n}en. Endlich ist mir ein zimliches Convolut solcher an⸗
gezeichneten Observationen, durch einen liederlichen und endlichen auf Dieberey ergriffe⸗
nen Dienst⸗Botten, weiß nicht wozu, hinweg practiciret und verwahrloset worden. Uber
alles dieses fehlet es mir an der Zeit, dasjenige, was ich noch zwar accurat, aber nicht sau⸗
ber sondern nur also gezeichnet und beschrieben überig habe, daß es mir zum Angedencken
genug seyn mag, sauber und deutlich ins reine zu bringen, es sey denn daß die Reise mei⸗
nes werthen Freundes so eylig nicht vor sich gehe, daß ich nach und nach etwas in Brie⸗
fen communiciren könne. Wovon ich mir in geliebten Antwort⸗Schreiben einige
Nachricht ausbitte, in brennender Begierde bey dieser Gelegenheit an den Tag zu legen,
wie ich bey gar geringen Vermögen, doch mit redlichem und eyfferigen Willen sey
den 4. Maji
1716.
N.N.
XII.
AUs Seiner Antwort habe nicht ohne Verwunderung ersehen, daß Seine Begier⸗
de von Pariß etwas zu lesen noch pressanter ist, als meine Reise dahin eilig ge⸗
wesen, und Er mir die Kürtze meiner Reise⸗Beschreibung von Amsterdam biß
dahin gerne zu gut halten will, wenn ich Ihn nur von der sonderlichen Stadt Pariß
wohl und weitläuffig unterhielte. Denn ob schon wahr ist, daß man in solchen herrli⸗
chen Städten das jenige gemeiniglich nach Wunsch beysammen findet, was man an an⸗
dern Orten mit grosser Mühe kümmerlich zusammen suchen muß, und doch nicht in so
ausnehmender Güte als in jenen findet: so ist doch auch gewiß, daß man in mancher un⸗
ansehlichen Stadt wiewohl selten etwas findet, so man in den grösten würde vergebens
gesuchet haben, welches die Mühe ersetzet, so man auf dessen Ausspührung gewendet. Es
dienet auch was man in den geringern Städten gesehen hat, durch die Vergleichung mit
dem was man in den grössern gesehen, alles der Gedächtnuß besser einzudrucken, und mit
besserem Judicio zu fassen. So finde ich vor die heutige glorieuse Welt auch eine vor⸗
treffliche Gelegenheit sich zu distinguiren, wenn man durch genaue Besichtigung der ge⸗
ringern Oerter gelernet hat accurat zu unterscheiden, was die grössere in der That beson⸗
deres an sich haben, und diejenige mit Bescheidenheit zu widerlegen, welche offtmahls
Dinge, so sie in den berühmtesten Städten gesehen, vor etwas sonderliches rühmen, was
man doch auch andernoerts an viel geringern Orten finden kan.
Uber dieses alles ist die vornehmste Ursache, daß ich meine Eiligkeit auf der Reise
beklagen müssen, weil ich hätte die berühmtesten Festungen Franckreichs besser studiren
können, wenn ich schon nicht Erlaubnuß erhalten hätte, sie ordentlich auf den Wällen zu
besehen. Denn wo man sich an einem Orte einige Tage auffhalten kan, mag einer so die
Fortification aus dem Grunde verstehet, doch viele Particularia observiren, die grossen
Nutzen bringen können. In Pariß aber ist von der Wissenschafft zu fortificiren gar
wenig, ja keine Gelegenheit etwas zu erlernen über die Elementa, so man der Jugend
vorträget.
Nach diesem allem aber dauret mich nichts mehr, als daß mein Herr so grosse
Conceptus gefasset hat, was ich ihm würde sonderliches von Pariß berichten können, da
doch an einer Seite so viel Beschreibungen und Kupfferstiche von dieser Stadt heraus
sind, daß es kaum möglich etwas davon zu schreiben, so nicht in denselben zu finden wä⸗
re, an der andern Seite aber ich nicht länger als drey Wochen darinnen, und acht Tage
in den Environs derselbigen zugebracht, und wenig Mittel gehabt in alle Orte, wo die
denckwürdigsten Sachen zu sehen sind, zu penetriren, da doch gewiß zu Pariß mehr als
an einem Ort erfordert wird, wenn man etwas rechtes sehen und erfahren will, daß man
eine grosse Figure mache, massen ich sorge, daß was man von den Spaniern saget, sich
in der That bey den Frantzosen, und sonderlich bey den Parisern finde. Wiewohl ich
bey denen so diese Umstände recht verstehen, wissen und erwegen, noch wohl mit meinen
gar wenigen Observationibus Ehre einlegen möchte, weil sich vielleicht niemand finden
wird, der so gar sehr alle Tage von frühe Morgens um fünff Uhr, biß Abends um sieben
sich bemühet hätte diesen ungeheuer grossen Ort durchzulauffen, und bey so gar wenig
Mitteln als ich hatte, auszuspühren, was daselbst in der Architectura Civili, Mechanica
Sculptur und Pictur merckwürdiges möchte zu sehen seyn.
Mein Herr bedencke, daß in Pariß ausser den vier Königlichen Pallästen insge⸗
mein noch 264 Höffe, und sonderbahre grosse Wohn⸗Häuser, 51 Pfarr⸗Kirchen, 52
Männer⸗und 78 Frauen⸗Clöster, 55 Collegia, und 30 Hospitäler gezehlet werden, de⸗
ren gröster Theil sehens⸗würdig sey, und ob ich schon selbst der Meynung, auch fast versi⸗
chert bin, daß diese Zahlen mit der Wirthe und Schencken Kreyde angeschrieben seyn, so
bin ich doch gewiß, daß man an keiner Zahl mehr als den vierdten Theil abziehen könne,
ohne ungerecht zu handeln. Wenn ihm dabey zu überschlagen beliebet, wie viel Künstler⸗
Häuser und Werckstätte man auffzusuchen habe, und wie viel einem die Disposition der
Stadt und deren vornehmste Prospecte zu thun geben, und wie weite Weege man thun
müsse von einem Ort zu dem andern zu kommen, wie viel man auch Weege vergebens
thue, und halte dagegen, daß ich (weil ich die Sonntage über niemahls ausgegangen)
zu Besichtigung dieser grossen und mit Denckwürdigkeiten angefülleten Stadt, unmöglich
mehr als 216 Stunden anwenden können, und diese nicht ohne fast unmenschliche Ar⸗
beit, und daß ich dabey noch viel Zeit haben müste, das Gesehene zu Hause anzuzeichnen,
oder auszumachen. Wenn zu diesem noch kömmt, daß erwogen wird, wie geschwind,
sonderlich an grossen und unbekanten Orten eine Stunde verlauffe, so wird fast jederman
nach meiner Reise das Facit machen, welches mir der Frantzösische Envoyé Marquis de
Heron noch vor derselben gestellet, als ich gegen ihm sagete, daß ich mir nur drey Wochen
wünschete in Pariß zu seyn, worauff er zur Antwort gabe, daß ich in dieser Zeit nichts
mehr würde ausrichten, als einmahl durch jede der vornehmsten Strassen geschwinde
hin und wieder gehen.
Wolte aber mein Herr sagen, daß ich ihm meine besondere und nicht in gedruckten
Büchern befindliche Observationes communiciren, es möchten deren so wenig seyn, als
immer wolten; so muß ich besorgen, daß auch damit kein Dienst geschehen würde. Denn
weil in der Welt keine Leuthe zu finden sind, die so viel Wesens von proportionirlicher,
correcter und reiner Austheilung, profilirung und Ausarbeitung der Architectonischen
Ordnungen und daraus fliessender Zierrathen machen als die Pariser, nicht nur die da
Profession von der Architectur machen, sondern die nur irgends vor Galante Leuthe
wollen angesehen seyn; ich aber zuvor aus wohl wuste, daß ich gar wenige Zeit würde in Pa⸗
riß zubringen können, darum nahm ich mir als das Hauptwerck vor, darnach zu sehen,
ob sie auch so weit in der Außübung solcher Reinigkeit correction und proportion ge⸗
kommen seyen, und wenn sie an ihren Wercken doch dawider gefehlet, ob es etwa daher
gekommen sey, weil sie casus gefunden haben, da man gezwungen sey solche Fehler zu ma⸗
chen. Die zweyte Absicht meiner Dahin⸗Reise war nach zu sehen, ob an den neuen Wercken
alle die Zierrathen, welche die alten Römer gemachet haben, auch würcklich nachgemachet
würden, oder aber aus der Ursache unterlassen, weil es allzu kostbar seye. Endlich weil
die Frantzosen von der Coupe des Pierres so gar viel Wunders und Rühmens in ihren
Wercken machen, ob sie dieselbe auch in der Thath auch also ausübeten. Wenn ich diese
Stücke ausführen könte, glaubete ich genug in den drey Wochen gethan zu haben, wenn
ich schon sonst im geringsten nichts thäte.
In demselben habe ich auch so weit reüssiret, daß ich ihnen mit Wahrheit nach⸗
rühmen kan, daß sie das andere aus selbigen drey Stücken völlig geleistet, und in Holtz,
Sandstein und Marmor, die aus der antiquität zu uns gekommene Zierrathen, also
auch das delicateste Schnitz⸗Werck aus den Gliedern der Simse nett, hurtig und vor pro-
portionirte Unkosten bloß durch ordentliche Handwercker, Steinmetzen und Tischler exe-
quiren. Was das erste Stück anbelanget, kan ich itzo den Parisischen Architectis klahr er⸗
weisen, daß sie sehr viel wider die Reglen der reinen Architectur gesündiget haben, nicht
aus Noth, sondern aus Mangel g{e}nusamer Wissenschafft, und das alle ihre Säulen⸗di-
spositiones mit Beybehaltung ihrer an den Gebäuden gemacheten Inventionen, mit eben
der Arbeit und eben dem Kosten hätten kön{n}en correct gemachet werde, als sie es falsch gemachet.
Das dritte belangend, hab ich recht herrliche Exempel ihrer Steinhauer⸗Kunst ge⸗
sehen, auch einige die nicht zum besten reüssiret, aber das vornehmste habe nicht bekom⸗
men können, daß ich nehmlich dergleichen Arbeit möchte machen sehen, und mit sol⸗
chen Leuthen davon sprechen können, denn ob ich schon nach Möglichkeit gesuchet und
nachgefraget, ob und wo in der Stadt solcherley Arbeit würcklich unter Handen wäre,
habe doch nichts erfahren können. Ich habe aber doch die erfahrensten in der Kunst
ausgefraget, und mit ihnen davon geredet, weil aber sie allzu viele Geheimnüß daraus mache⸗
ten, mehr nicht erfahren können, als man in ihren Büchern davon lesen kan. Ja ich
vermochte das am auffrichtigsten, davon nach der Praxin geschriebene Buch deß Mathu-
rin Jousse in keinem Buchladen zu erfragen.
Von solchen Materien aber meinem Herrn etwas zu schreiben, wäre ja gäntzlich
mal’ à propos, indeme er weder selbst die Intention hat, einen Baumeister dermahl eins
abzugeben, noch viel weniger ordre haben wird, seinen jungen Herrn Grafen zu solchen
subtilitäten an zu führen, weiß ich demnach nicht weiter dessen Verlangen zu vergnügen,
als daß ich hiebey einige Abzeichnungen sende, welche ich noch in der Eyle habe machen
können und gemachet habe, weil ich glaube, daß sie noch nicht in Kupffer heraus seyen,
wie sie es damahl wenigstens noch nicht gewesen, da ich sie gemachet,Note: Entgegen Sturms Aussage existierten zu fast allen von ihm beschriebenen Gebäuden Kupferstiche von Jean Marot. und dabey
melde, wie ich es angefangen habe, daß ich gegen der kurtzen Zeit zu rechnen doch noch
habe viel sehen können. Ich bin nehmlich den ersten Tag gleich nach den Buch⸗und Ku⸗
pfer Boutiquen gegangen, und habe mich erkundiget was von Beschreibung der Denck⸗
würdigkeiten zu Pariß heraus wäre, und habe so viel gefunden, daß meine Mittel nicht
zugereichet haben nur den zehenden Theil davon zu kauffen.
Da fand ich Grund⸗Risse der Stadt Pariß in unterschiedlichen Format, und kauf⸗
fete einen in der Grösse der Jaillotischen Land⸗Charten,Note: Es ist nicht eindeutig, auf welche „Landkarten“ von Jaillot Sturm hier Bezug nimmt. Der Begriff der „Landkarte“ suggeriert, dass er keinen Plan von Paris meint, zudem Alexis-Hubert Jaillot keinen solchen herausgegeben hat, sondern einen Atlas mit zahlreichen Karten von dem Geographen Guillaume Sanson. Denkbar ist auch, dass Sturm auf Bernard Jaillot (1673-1739) anspielt, Sohn von Alexis-Hubert (1632-1712), der 1710 den Plan von Paris von Pierre Bullet und François Blondel erneut herausgegeben hat. Vgl. Le Moël 1995, S. 50; Picon/Robert 1999, S. 78f. u. 95. welcher diesen Titul hat: Plan
de la Ville, Citè, Université & fauxbourgs de Paris, comme il est aujourdhuy aves
ses nouvelles rües, places, en ceints & Casernes, dressé sur les lieux & sur les memoi-
res de Mr. Jouvin de Rochefort a Paris chez N. de Fer. 1694. Zum andern bekam
ich ein Buch Description Nouvelle de la Ville de Paris en deux Tome per Germ.
Brice Parisien, welches mich vortrefflich vergnüget, und bewogen hat, drey Tage in mei⸗
nem Logiament zu verbleiben, es durchzulauffen, und die vornehmsten Gebäude so ich be⸗
sehen wolte, zu unterstreichen, und was davon in Kupffer heraus war zu kauffen. Weil
nun mein Herr sich mehr Zeit wird nehmen, und mehr Geld anwenden können, so rathe
ich, daß er jeden Tag nur so viel davon durchlese, daß er hernach ausgehen, und was von
denen daselbst specificirten in Kupffer zu haben, auffsuchen und einkauffen könne.
Weil aber in gedachten Buch des Brice auch ein kleiner Grund⸗Riß der Stadt
Pariß vorhanden war, ließ ich ihn auf Zindel auffleimen, den grossen Grund⸗Riß aber
breitete ich in dem Logiament auf einen Tisch recht in der Situation nach den plagis
mundi auf,Note: Gemeint ist eine Orientierung an den vier Himmelsrichtungen, die in dieser Form für den von Sturm erwähnten Plan noch nicht angewendet wurde. Dieser war vielmehr nach der horizontalen Position der Seine und der Île de la Cité ausgerichtet. Von einer vertikalen Position auf den Plänen vor Jouvin de Rochefort „kippte“ die Seine in eine horizontale und anschließend in eine schräge Position auf jenen Plänen, die dem Meridian von Paris folgten. Vgl. Picon/Robert 1999, S. 30-93. und notirete darinn mein Logiament mit einem deutlichen Punct. Denn
suchete ich früh Morgens noch ehe es Tag wurde die Oerter darinnen auf in der Ord⸗
nung, wie sie in des Brice Beschreibung vorkamen, imprimirete mir den Weg von
meinem Logiament nach denselbigen zu wohl, besahe die Kupffer so ich von selbigen Ge⸗
bäuden hatte, und damit gieng ich gleich zwischen sechs und sieben Uhr fort, mit Schreib⸗
Taffel und Reißbley wohl versehen, und wenn ich wo an dem rechten Weg anstund,
kriegte ich meinen auf Zindel gelehmten Grund⸗Riß aus der Tasche, der mir gar schön
geholffen, daß ich nicht leicht Umwege, viel weniger Irrwege gegangen. Dabei fället
mir etwas ein, so ich nothwendig erinnern muß. Es ist die gemeine Sage in Pariß, daß
die Fremden alle Palläste und Hôtels pour rien besehen könten, weil die
Herrschafften so höfflich und complaisant seyen, und die Bedienten nicht nur aus
Verbott ihrer Herrschafft kein Franck⸗Geld nehmen, sondern auch aus eigener Genero-
sité es vor einen Schimpff hielten, wann man ihnen etwas anböte. Daß dem aber
nicht also sey, habe gleich Anfangs erfahren, denn da ich bey den Pallast aux Thuilleries
anfieng den Concierge zu bitten, daß er mich möchte die Zimmer besehen lassen, bekam
ich abschlägige Antwort, aber da ich ihm eine Verehrung versprach, kamen die Schlüssel
gar bald. Hernach in dem Louvre wurde ich zwar gleich admittiret, aber mein Führer
lieff so geschwind durch die Zimmer, daß ich nichts recht ansehen konte, aber eine piece
de trente six sols hatte das Gewicht ihn zu arrêtiren. Man sagete mir zwar daß man
müsse durch die gantze Stadt einen Führer annehmen, wozu ordentliche Leute wären.
Allein ich erfuhr, daß nicht allein diese Führer selbst sehr viel kosten, in einem Tage wenig
vornehmen, und mit den Concierges der Hôtel doch gute Verständnuß hätten, daß man
nichts recht besehen könne, wo man nicht überall mit Verehrungen parat sey. Solcher
gestalt bin ich so lang herum gegangen biß eilff Uhren, da ich in dem nächsten den besten
CabaretNote: Sturm verwendet „Cabaret“ hier im Sinne seiner Zeit. Das Wort bezeichnet ein einfaches Trinklokal, in dem man manchmal auch Mahlzeiten einnehmen konnte. geschwinde etwas aß, und denn weiter marchirte biß ich müde ward, da gieng
ich nach Hause, und brachte die übrige Zeit zu aus den Tabletten meine Memoires zu
Papier zu bringen, und die Zeichnungen, weil die Sache noch im Gedächtnuß war ins
reine zu bringen. Und dabey ist noch mein Glück, daß ich an den Parisischen Memoi-
res nicht viel Verlust gelitten, hingegen an den Holländischen so viel mehr, durch meinen
gottlosen Jungen eingebüsset.
Wenn ich nun die Zeit gehabt hätte, täglich nur etwas weniges vorzunehmen,
aber alles besser mit den Kupffern zu conferiren und genau zu betrachten, und solcher
gestalt alles nach dem Innhalt des Brice durchzugehen, wozu ich hätte fünffmahl mehr
Zeit haben müssen, wenn ich auch noch vor der Besichtigung der Stadt, mich hätte mit
Künstlern und andern curiosen Leuten bekant machen können, wozu noch einmahl so
viel Zeit wäre erfordert worden, so wolte ich mit grossen Nutzen aus Pariß wiederum
hinweg gezogen seyn. Und wenn ich nur ein Viertel Jahr mich noch daselbst auffhalten
könte, und dreyhundert Thaler in derselben Zeit zu verzehren hätte, wolte ich noch ziemliche
Wissenschaft daselbst zusammen sammlen, und andern wiederum damit dienen. So
aber weiß ich meinem lieben Freund mit weitern vergnüglichen Remarquen, die er nicht
in des Brice Buche fände, nicht wohl zu dienen, hoffe auch, daß ich deswegen leichtlich
Vergebung erlangen werde, weil ich versichern kan, wenn nur dem, was ich hier geschrie⸗
ben, nachgefolget wird, daß die Besuchung, der in ihrer Art unvergleichlichen und einigen
Stadt Pariß mit völligem Nutzen und Vergnügen geschehen werde. Ich bin
den 28. August 1716.
Diener
N.N.
XIII.
OB mir wohl nicht unbekant ist, daß Er sich, als Er ehemahls die Architectur ler⸗
nete, nicht habe verdriessen lassen, den grössesten Subtilitäten mit unermüdeten
Fleiß nachzuspühren, biß Er sie ergriffen; so wird Er mir doch zu gut halten,
daß ich Ihm nicht zugetrauet, daß Er sich würde noch darmit delectiren, da Er bereits
gewiß resolviret hat, von solchen Dingen nicht Profession zu machen, und seithero ge⸗
nug erfahren hat, wie unsere Teutsche Architect selbsten, damit sie sich mit ihrer Unwis⸗
senheit groß machen können, solche Baumeisterische Subtilitäten, welche von rechter Aus⸗
theilung der Dreyschlitze und Sparren⸗Köpffe handeln en bagatelle und pedanterie,
oder, wo sie noch bescheiden sind, als unnütze Schwerigkeiten, und allzu scrupulose Sub-
tilität tractiren. Nachdeme Er mir aber so grosse Contestation gemachet, daß er nicht
nur über solchen Remarquen höchst vergnügt seyn, und damit wie wenig sie auch wären,
zu frieden seyn wolte, ja gar der Meynung ist, daß sie keinem wahrhafftiger Galanterie
Beflissenem könten unangenehm seyn, so will ich gerne mit meinen gar geringen und
spahrsamen Anmerckungen dienen, massen ich der angebohrnen Auffrichtigkeit seines Ge⸗
müthes darinnen völlig versichert bin, die nicht leidet, daß sein bezeugtes Verlangen solte
verstellet seyn. Ich will mich befleissigen, daß ich das jenige, was Brice in seinem Bu⸗
che nicht angemercket hat, in dem character von der übrigen Schrift unterscheide.Note: Durch fett markierte Textpassagen möchte Sturm dem Leser anzeigen, wo er vom Text des französischen Cicerone abweicht und diesen korrigiert. In hiesiger Transkription wurden diese selbst am Original nicht immer eindeutig auszumachenden typografischen Unterschiede nicht wiedergegeben, um den Lesefluss nicht zu sehr zu beeinträchtigen. In
der Ordnung aber werde ich bleiben in der ich herum gegangen, welche denn zuweilen von
des Brice Ordnung abweichet.
Ich fange billich von dem Pallast aux Thuilleries an, dessen Grund⸗Riß und
zwey Aufrisse von Marot herausgegeben zuverlässig sind. In Merians Topographien aber
ist noch die Vorstellung zu sehen, wie solcher Pallast vor diesem ausgesehen hat. Die gantze
Faciata bestehet aus fünff Pavillons, und vier dazwischen liegenden langen Gebäuden,
alles in einer Linie von 1011 Füssen, aber Schade ist, daß die Architectur, wie sie nicht
zu einer Zeit gemachet, also auch nicht ein Stück dem andern zu folge, sondern gar ver⸗
schieden eingetheilet worden, wiewohl deßwegen das gantze Gebäude zusammen nicht unter⸗
lässet in den Augen derjenigen, welche in den Wissenschafften der Architectur nicht sehr tieff
eingesehen haben, einen gar guten Effect zu thun, wie auch ein Musicalisches Stück den
meisten Zuhörern gefallen kan, so aus unterschiedenen Meister⸗Compositionen zusam⸗
men gesuchet sind. Indessen ist doch nicht zu zweifflen, daß wann ein einiger
Architect eben dieselbe Variation der Architectur aus einem gewissen und stets harmo-
niirenden Grund angeordnet hätte, der Effect noch viel annehmlicher, auch in den
Augen der Halbgelehrten seyn würde. Der mittelste Pavillon hat drey Ordnungen
übereinander, und noch eine Attique darüber, unten Ionisch mit Binden, darüber Co⸗
rintisch, und zu oberst Römische, alle von Marmor, mit der Attique und dem Geländer
darüber ist er so hoch als der übrigen Gebäude mit samt dem Dach, darüber aber hat er
noch ein sehr hohes ründlecht geführtes Dach, welches sich in einem mit einem Geländer
umbgebnen Altan endiget. Der beyden bey der Seiten folgende lange Gebäude, und die
zwey hernach folgende etwas kürtzere, welche hier oben vor Pavillons gerechnet worden,
haben zwey gantze Geschoß, und eine Attique darüber. Das unterste Geschoß hat durch⸗
gehends Ionische Ordnung, daran doch an beyden langen Gebäuden noch Binden sind,
an den beyden kürtzeren aber ist sie nicht mit Binden, sondern mit Canelüren, darinnen
noch Blumen⸗Stücke stehen, und begreiffet nicht lauter Fenster, sondern wechsel⸗weise
Bilder⸗Blindten und Fenster zwischen sich der andern Reyhe hat an den beyden langen Ge⸗
bäuden keine Ordnungen, sondern hat nur zwischen den Fenstern Brust⸗Bilder en guine
des termes. Aber an den kürtzern Gebäuden oder Pavillons seynd Corinthische Wand⸗
Pfeiler, zu beyden aber gehen die Fenster mit ihren Zierrathen über den Architrav und Bor⸗
ten hinauff. Der folgenden äussersten langen Gebäude aber, wie auch die daneben die
Faciata schliessende Pavillons haben nur eine Reihe Römischer Wand⸗Pfeiler, welche durch
die beyden untersten und Haupt⸗Geschosse durchgehen, doch mit dem Unterscheid, daß die
Fenster an den äussersten Pavillons in dem zweyten Stock Architrav und Fris durchscheiden,
und die Wand⸗Pfeiler gar zu weit voneinander stehen.
Man sihet auch daran, wann die Wand⸗Pfeiler unverdünnet sind,Note: Die Frage der Schmälerung der Pilaster hat die Theoretiker wiederholt beschäftigt. So sagt d’Aviler im Artikel Pilaster in seinem Wörterbuch, dass eine Schmälerung vorgenommen werden muss, wenn sich der Pilaster hinter oder neben einer Säule befindet, damit er nicht die Proportionen des darüber befindlichen Gebälks übersteigt. Vgl. d’Aviler 1710, Bd. II, S. 780. wie das
die Bau Meister vexiret. Denn hier wolte der Architect dieselbe auch gerne anbrin⸗
gen, kunte sich aber nicht anders helffen, weil der Borten und Architrav doch mu⸗
sten über dem unverdünneten Stamm zutreffen, solcher Gestalt aber die untersten
Glieder deß Krantzes weiter auslieffen, als es die gewöhnliche Distanz der Spar⸗
ren⸗Köpffe leydet, als daß er den Streiffen, woran die Sparren⸗Köpffe stehen,
(b) nicht gewöhnlicher Weise über den Wullst (a) ein wenig überstehen liesse, sondern,
nachdeme er über diesem ein Riemlein oder Plättlein hatte stehen lassen, jenen auff
gantz ungewöhnliche und gantz bizarre Weise zurücke zog, wie aus beykommender
Figur zu ersehen.Tab. XIIX
Fig. 1.Note: Sturms Angabe ist nicht korrekt. Die Abbildung, auf die er hier verweist, trägt tatsächlich die Nummer XVIII. Es ist auch nicht zu läugnen, daß das Gebälcke gegen den
Wand⸗Pfeilern zu hoch und schwer aussihet, habe aber nicht dazu kommen kön⸗
nen gewiß zu erfahren, ob es höher als fünff Modul hoch seye. Denn fünff Mo-
dul, welches Vignola Proportion ist, sihet sonst nicht zu schwer und hoch gegen
die verdünneten Säulen,Note: Nach Vignola sollte das komposite Gebälk, wie auch das korinthische, nur ein Fünftel der Säulenhöhe betragen (während das dorische Gebälk ein Viertel der Säulenhöhe einnehmen kann), da es sonst zu schwer erscheint: „C’est le sentiment des meilleurs architectes, que la hauteur des entablements doit diminuer à proportion que les colonnes sont grêles, parce qu’elles sont moins capables de porter un lourd fardeau […].“ Jedoch gibt Vignola dem kompositen Gebälk fünf Module, somit ein Viertel der Höhe der Säule mit 20 Modulen. Architrav und Fries bestehen jeweils aus eineinhalb Modulen, das Gesims aus zwei Modulen. Vgl. d’Aviler 1710, Bd. I, S. 70 u. 72f. und also noch vielweniger gegen die unverdünneten Pfei⸗
ler aus.
Umb diesen Pallast innen zu besehen, gehet man erst in einen Vorsaal (Vestibu-
lum) welcher an allen Seiten Oeffnungen hat, und seine Decke durch etliche Arcaden
mit Ionischen Säulen träget, über denen nicht ein blosser Architrave lieget, wie Bri-
ce, noch ein Architravirter Krantz, wie Daviler berichtet, sondern ein volkomm⸗
nes aus Architrav, Fris, und Krantz bestehendes Gebälcke, welches in dem Borten
mit Krag⸗Steinen besetzet, aber in der That seine rechte Proportiones nicht hat,
sondern zu niedrig, die Ursach ist, weil die Säulen mit den ausser auff einem Horizont
(wie billich) stehen, und eben so groß sind, deren wohl proportionirtes Gebälcke doch
über die Balcken der Etâge hinauff reichet. Weil nun die innere Ordnung nicht hö⸗
her gehen konte, mußte nothwendig ihr Gebälcke um die gantze Dicke deß Balcken
und seiner Ubertünchung niedriger werden, als das äussere. Es hätte aber der
Bau⸗Meister wohl den innern Modul um ein merckliches kleiner nehmen, und dadurch
erhalten können, daß auch die innere Ordnung ihre vollkommene Proportiones er⸗
halten hätte, und doch mit der äusseren Ordnung in guter Symmetrie und Com-
bination geblieben wäre.
Die Haupt⸗Treppe ist neben dem Vor⸗Saal vorne bey dem Eingang zur rechten
Hand, von dessen erstern Arm man gleich in die Capelle gehet, welche nahe an dem Opern⸗
hause lieget, hernach steiget man durch den zweyten Arm, der an beyden Seiten neben dem
ersten hinauff gehet in den grossen Saal, der über dem Vor⸗Saal lieget, und von da in
alle Zimmer, welche in einer grossen Suite hintereinander liegen, daß man durch alle Thü⸗
ren einen geraden weiten und herrlichen Prospect hat.
Diese Stücke in guter Ordnung zu sehen, muß man an deß Königs Gemach an⸗
fangen, in denen allen le Brun die Außzierung angeordnet, und durch geschickte Meister
hat ausführen lassen. Der Guarde-Saal, so zunächst nach dem grossen folget, (wiewohl
mir letztens der erste grosse Saal, der grosse Schweitzer⸗Saal genennet worden, wie
es auch vernünfftig ist, daß der Guarde-Saal zu allerförderst liegen muß,) ist grau
in grau gemahlet von Loyr, welcher auch das darauff folgende Vor⸗Gemach gemahlet hat,
worinnen an der Decke die auffgehende Sonne gemahlet ist, vor der die Morgen⸗Röthe
hergehet, unterschiedliche Götter aber zur Seite und nachgehen. Umb dieses mittlere Ge⸗
mählde sind in vier Cartouchen, die vier Jahrs⸗Zeiten auff die vier Elementen applici-
ret auff einem vergüldeten Grund vorgestellet. Von dar gehet man in deß Königs Au-
dienz-Gemach. Dessen Decke ein trefflicher Mahler Bertolet, ein Canonicus aus Lüttig
verfertiget hat. Unter der Decke lieget ein Gipserner verguldeter Krantz umbher, der mit
seinen Zierrathen von Lerambert biß auff die Bilder gemachet ist, welche Girardon ge⸗
macht. Vor allen aber sind die Grotesquen auff dem Tafelwerck zu consideriren, welche
theils auff einem matten Gold⸗Grunde bloß mit Farben, theils auff einem weissen mit Far⸗
ben gemahlet, und mit Gold gehöhet sind, und von einem Lothringer Lemonie gemahlet
sind, der in solchen Wercken sonderlich æstimiret wird. Von dar gehet man weiter in die
Gallerie zur Gesandten⸗Verhör. Die Decke ist von der in der Gallerie Farnese zu Rom,
(welche von Ulrich Krauß zu Augspurg in Kupffer heraus gekommen,) welche der
berühmte Annibal Carache gemahlet, abcopiret, aber die Säulen⸗Bild oder Termini,
welche an dem Original nur weiß von Gibs, sind hier mit natürlichen Farben gemahlet,
wie auch die daran und auf dem Sims sitzende niedrig erhabene Bilder so wohl gemahlet
sind, daß man sie vor gantz rund ansehen muß. Es sind auch sehr wohl zu sehen die vor⸗
treffliche Cabinet oder Schräncke, welche mit Miniatur und Goldschmidts⸗Arbeit mit dem
Grab Stichel trefflich ausgemachet sind. Vier kommen von dem Cardinal Mazarin. Es
sind diese Cabinets alle Paar⸗weiß in Symmetria miteinander gemachet und gestellet, und
stehen unter einem Getäffel, welche mit blauer Glasur trefflich gezieret sind. Dabey sind
auch die Taffeln betrachtens werth, welche mit allerhand Marmor in Figuren künstlich aus⸗
geleget sind. Die andern Gemächer, welche an der Seite gegen dem Garten liegen, be⸗
stehen in einer Kammer und einem Cabinet, welche Noel Coypel gemahlet hat. Es sind
schon Camine da, welche lange vorher mit Spiegel⸗Gläsern ausgezieret sind, als man die⸗
se Mode in Paris, und von dar in Teutschland ausgebreitet hat, die übrigen Zimmer
deren vornehmster Eingang in dem grossen Pavillon an der Seite gegen dem Seine⸗Strohm
ist, und in einem Guarde-Saal und völligem Zimmer vor die Königin bestehen, sind alle
von Nocret gemahlet. Aber es stehet an den Decken Stücken gar nicht wohl, daß
die Bilder nicht in Verkürtzung gemahlet sind. In dem untern Geschoß liegen unter
diesen eben solche Zimmer welche deß Dauphins genennet werden, welche sehr æstimiret werden,
weil viel von deß berühmten Mahlers Champagne Hand darinnen ist. Es sind Säle dar⸗
innen, da lauter Modelle von Vestungen auffbehalten werden, welche vortreff⸗
lich sollen zu sehen seyn, wie ich aber gewiß versichert worden, niemand als vorneh⸗
men Herren auf besondere Permission deß Königs gezeiget werden.
An der andern Seite ist nichts als die Capelle und das Opern Hauß, oder wie sie
es nennen la Salle des Machines. Dieses Theatrum ist unstreitig das herrlichste in Euro-
pa, auch des Herzogs von Parma Opern-Hauß nicht ausgenommen, davon so viel Wesens
gemacht wird. Wiewohl das Hannöverische an prächtigem Aussehen ihm nicht
viel nachgegeben. Man kan die Disposition nicht besser wünschen, indem ein jeder Zu⸗
schauer alles bequem und wohl hören, sehen und verstehen kan, doch ist da die Parterre
weit bequemer als die Logen, und ist selbige durch ein Geländer in zwey Theile ab⸗
getheilet, in deren ersten die Vornehmsten, in den Logen Persohnen von geringerer
Distinction, und im Hintertheil der Parterre die Allergeringsten sitzen. Der Platz vor
das eigentliche Theatrum ist sehr groß. 64 Fuß breit, und noch einmahl so lang, und
ist die Bewegung der Machinen sonderlich schön mit Gegen⸗Gewichten eingerichtet.
Ich habe vermeinet mit Versprechung guten Recompens zu erhalten, daß mir der
Concierge nur einen gantzen Tag erlauben möchte darinn zu bleiben, und alles abzu⸗
messen, bin aber fast rüde mit meiner Bitte abgewiesen worden. Die Auszierung ist
daran nicht gespahret, alles nach Marmor ausgemahlet, und die Capitäl⸗ und Schafft⸗Ge⸗
simse an den Säulen zwischen den Logen sind verguldet, so wohl als die gantze Decke, wel⸗
che vortrefflich bossiret, und mit Gemählden gezieret ist, welche le Brun gezeichnet, und der
ältere Coypel gemahlet hat.
Ein Italianischer Edelmann Vigarani hat dieses Theatrum angegeben, davon Brice
noch diesen französischen Schnitt mit angehänget, daß es könne bequemlich 7000
Mann enthalten, welches kaum wahr ist, wann man das Theatrum selbst und den
Platz vor die Zuschauer gantz voll propffete. Die gantze Parterre hält auffs höchste
nicht mehr als 2100 und der Raum in fünff freyhen Logen 3600 gevierdte Fuß,
worauff, wann Mann an Mann stehet, nicht mehr als 2000 Menschen seyn kön⸗
nen. Ja ich kan redlich versicheren, daß unter fünff Opern-Häusern, so ich gese⸗
hen, dieses am wenigsten Platz vor Zuschauer hat.
Der Garten aux Thuilleries. Was Brice davon auff drey Seiten saget, kan ich noch nachdrücklicher in
wenig Zeilen sagen. Es ist gewiß ein Meister⸗Stuck von einem Lust⸗Garten zu an⸗
genehmen Promenaden, und das Muster der meisten französischen neuen Gärten.
Der Angeber le Nôtre wohnet in diesem Garten, und war zu meiner Zeit schon sehr
alt, daß ich nicht glaube, daß er noch im Leben sey.Note: André Le Nôtre verstarb 1700, ein Jahr nach Sturms Aufenthalt in Frankreich. Seine drey vornehmste
Kunst⸗Griffe sind, daß er umb den Garten angenehme Terrassen machet, welches
auch der Angeber deß Gartens zu Loo in acht genommen, damit von einer
Höhe der Garten umb und umb desto anmuthiger ins Gesicht falle, und daß er vor
den grossen vordersten freyen und mit Parterren gezierten Platz eine Boscage leget,
durch deren schattigte Alleen man zu hinterst wiederumb in einen hellen Platz aussi⸗
het, und endlich, daß er die Quartier der Boscagen durch geschnittene Hecken und
Lattenwerck in allerley anmuthige Sparzier Plätze, welche Schau⸗Plätze, Säle,
Irr⸗Garten, und so weiter præsentiret, abtheilet, von welchem allen man gute
Muster in diesem Garten, und in dem zu Versailles findet. Ich habe bey ihm seine
Risse gesehen,Note: Ein Plan du jardin du palais des Tuileries de l’invention de M. Le Nôtre, comme il est à présent, Paris, Langlois, o. D., ist bei Bresc-Bautier/Caget/Jacquin 1996, S. 41, abgebildet. welche gar annehmlich gezeichnet waren, auch hatte er ein artig
klein Musæum, darinnen sonderlich schöne Sigilla von Metall, und ein guter Vor⸗
rath sauberer Kupfferstiche waren, dergleichen sich alle manirliche Leuthe fast zu
haben in Paris befleissen, und nicht so grossier sind, als die meiste Teutschen, die
aus solchen Sachen nicht so viel als aus einem Glaß Wein, und einer Pfeiffe To⸗
back machen. Er soll viel einen grössern Vorrath gehabt, und das Beste an den
König überlassen haben. Den Garten aux Thuilleries hat Marot gar gut in Kupffer
gebracht, von deme mir noch dieses zu melden einfället, daß er hinten an den
Stadt⸗Wall stösset, welcher gegen der mittlern Haupt⸗Allee durchgeschnitten, und
mit einem eisernen Gatterwerck verschlossen ist. Ausser der Stadt trifft eine Allee
der Lust⸗Wandelung der Königin darauff, hinter deren das Feld⸗Theil einwarts
gehet, auff dem weit hinten, wo es sich wieder erhebet, eine mit denselben corre-
spondirende falsche Allee gemachet, und dadurch dieselbige à perte de vuë verlän⸗
gert ist.
Die grosse Gallerie des Louvre. Der Pallast aux Thuilleries ist mit dem Louvre durch eine sehr lange Gallerie von
1326 Fuß zusammen gehänget, an der Seite des Wassers, und an der andern Seite ist
es angeleget, als wann eben dergleichen Gebäude hätte kommen sollen, wodurch
alles zusammen zu einem einigen Pallast von ungehäurer Grösse, und das verwund⸗
dersamste Gebäude in der gantzen Welt geworden wäre. Die Architectur ist aussen
an dieser Gallerie auch nicht einerley, (davon Marot ein accurates Kupffer heraus ge⸗
geben.) Die Helffte von Thuilleries an ist eben solche Anordnung, wie an den äussersten
Stücken desselben Pallasts, worüber wechsels weise rund und eckigte Frontons sind. Man
mercket an, daß an den acht letztern Wand⸗Pfeilern an der Mitte der Gallerie die Capitäle
besser gemacht sind als die übrigen, und aus dem H welches darauff an statt der Blume
geschnitzet ist, kan man abnehmen, daß diese Arbeit sey zu Heinrich deß Vierdten Zeit ge⸗
machet. Die kleine Risalit in der Mitte hat unten gekuppelte Toscanische, und oben
darüber Römische Wand⸗Pfeiler, welche miteinander eben die Höhe haben als die
vorgemeldte Durchgehende.Note: Sturm bezieht sich auf die oben beschriebenen Eckpavillons des Palais des Tuileries. Nächst dem kommt ein kurtzes Stück, daran die Archite-
ctur schlecht und simpel ist, der gantze Uberrest ist von einer sonderbahren Ordonnance. Es
sind drey Geschoß, da das vorhergehende nur zwey hat, doch lauffen diese drey mit
jenen zwey zu oberst in einer Höhe fort. Das untere Geschoß ist mit gekuppelten
Toscanischen mit Bossagen gezierten Pfeilern, auff Säulen⸗Stühlen, und kleinen
hoch von der Erde stehenden Fenstern, daß man daraus sehen kan, daß deß Kö⸗
nigs Stell darinnen sey. Darüber ist ein niedrig Geschoß ohne Ordnungen, worin⸗
nen allerhand grosse Künstler von dem König freye Wohnung geniessen, welche von
den Frembden fleißig besuchet werden.Note: Unter Heinrich IV. erhielten ausgewählte Künstler erstmals die Möglichkeit, ihr Atelier und ihre Unterkunft im Louvre einzurichten, zunächst insbesondere in der Grande Galerie sowie in einem der Flügel an der Cour carrée. Vgl. Garnier-Pelle 1989a, S. 11. Der oberste Geschoß, worinnen die Galle⸗
rie fortgehet, hat Römische Ordnung, und darüber liegen wiederum wechsels⸗
weiß runde und spitzige Frontons. Es ist sehr viel Schnitzwerck daran, so doch grösten
theils noch nicht ausgemacht ist. Innen ist die Gallerie noch nicht ausgemacht, welche 29
Fuß weit in Lichten ist. Doch sihet man einigen Anfang von Bildhauer⸗und Mahler⸗Arbeit,
so unter König Ludwig dem XIII. von dem berühmten Poussin angegeben, und von Remi
Vibert ausgeführet worden. Weil man aber dieselbige in Proportion der Grösse deß Orts
vor allzuklein gehalten, ist die Arbeit unterlassen worden. Die Decke bestehet in einem ge⸗
schahlten Tonnen⸗Gewölbe, mit Gibs verkleidet, worauff die Zierrathen, welche
in meist kleinen Figuren bestehen, gemahlet sind. Die Wände sind mit einer Ar-
chitectur von Holtz bekleidet. Es fügete sich eben, daß ich in der Woche hinauff
kam, da die jungen Mahler und Bildhauer aus der Academie, umb einen von dem
König auffgesetzten Preiß durch Specimina certiren, welche auff dieser Gallerie aus⸗
gestellet werden etliche Tage, da dann eine unglaubliche Mänge von allerhand Leu⸗
then sie zu sehen, hin und widergehen. Die Professores der Mahler Academie gehen
stets unter ihnen herum, und hören was judiciret wird. Wenn ich die Zeit gehabt
hätte, solte mir es ein grosses Divertissement gewesen seyn, auch so lang es wahrete
darunter herumb zu gehen, und die Judicia anzuhören, darunter viele sehr verstän⸗
dig und wiederumb viele von ansehlichen Leuthen, nach der unvergleichlichen Judi-
cir Sucht der Pariser im höchsten Grad lächerlich ausfielen. Bey diesem Festin wird
ein grosses Stück der Gallerie umb die ausgesetzten Stücke herumb mit treflichen Ta⸗
pezereyen behänget, darunter waren damahl die Apostel⸗Geschichte nach Poussins
herrlicher Mahlerey vortreflich gearbeitet. Unten auff den Plätzen vor dieser Galle⸗
rie zwischen Thuilleries und dem Louvre sind viel Werckstätten der Bild⸗Hauer, die
man gerne besihet, wenn man Liebhaber von der Kunst ist.
Das Louvre. Was man besonders daran das alte Louvre nennet, bestehet in zwey Haupt⸗Gebäu⸗
den, welche einen Winckel formiren, deren einwarts stehende Faciaten mit einer vortrefflichen
Architectur gezieret sind. Doch kan man sagen, daß an dem mittlern Pavillon nicht
gar wohl stehet, daß zu oberst drey Frontons unmittelbahr übereinander stehen, wie
auch die unter denselbigen an statt der Säulen stehende Cariatyden Note: Am Pavillon de l’Horloge stehen vier Paare von jeweils zwei Karyatiden. das gute Ansehen
meinem Geschmack nach nicht machen, als die Franzosen meinen. Welchen ich hin⸗
gegen recht gebe, wann sie die Fenster deß zweyten Stocks vor excellent und sehr pro-
portionirlich, und das häuffige Schnitzwerck daran vor unvergleichlich halten.
Die Gesimse dieser Fenster tragen wechsel weise spitzige und runde Frontons, und statt der
Frontons, gegeneinander liegende Sphinges zwischen denen ein Busto stehet, welches al⸗
les Marot in einem schönen Kupffer accurat vorgestellet hat. Man muß sich wun⸗
dern, daß der Sandstein sich so zart und frey ausarbeiten lässet, als an allen die⸗
sen Schnitzwercken geschehen, welches Mühe haben solte, wenn man es in Holtz
also heraus bringen wolte. Das Dach ist gebrochen und man ist der Meynung, daß
der ältere Mansard das Muster seiner Dächer davon genommen, welche er mit so grossem
Lob auf seinen Gebäuden angegeben, daß man ihn gar als den Erfinder solcher Art Dä⸗
cher insgemein ausschreyet.
In dem Schweitzer⸗Saal, welcher um drey Stuffen höher als das untere Geschoß lie⸗
get, ist über einer Thür ein Portal, dessen Simswerck vier Cariatyden in Riessen⸗Grösse tra⸗
gen, welche wie alles vorgemeldtes Schnitzwerck von Jean Gougeon ist. Man hält sie vor
ein grosses Meisterstück, in welchem Regard auch der berühmte Perrault sie hat in seinem
Commentarium über Vitruvium stechen lassen.Note: Vgl. Perrault 1673, Bd. I, S. 4, Tf. I. Uber den Haupt⸗Pforten ist in Marmor
diese Auffschrifft eingehauen:
Henricus II. Christianiss. Vetustate collapsum refici cœp. A Pat. Francisco I.R.
Christianiss. mortui Sanctiss. Parent. memor, pientiss. filius absolvit. An. Sal.
Christi M.D. XXXXVIII.Note: „Heinrich II. der Allerchristlichste. Den wegen des Alters niedergestürzten [Louvre] begann der Vater, der allerchristlichste König Franz I., wiederzuerrichten. Im Gedenken an den toten heiligsten Vater hat der liebende Sohn ihn [den Louvre] vollendet, im Jahr Christi des Erlösers 1548.“
Auff den Pforten an der Seite lieset man:
Virtuti Regis Christianissimi. Donec totum impleat orbem.Note: „Der Tugend des Allerchristlichsten Herrschers. Bis dass sein Glanz den ganzen Erdkreis erfülle.“
Welches auf des Henrici II. Devise gehet, dazu er den zunehmenden Mond genommen.
Den mittlern grossen Pavillon mit oben getadelten drey Frontons und 6. Canyali-
den,Note: Es handelt sich um den oben bereits genannten Pavillon de l’Horloge mit den vier Paaren von jeweils zwei Karyatiden. Es bleibt unklar, warum Sturm nur von sechs Karyatiden spricht. welche von denen in dem Schweitzer⸗Saal abcopiret worden, hat erst Ludwig der
XIII. aufführen, doch im übrigen gantz nach dem übrigen Gebäude einrichten lassen.
Unter diesem Pavillon ist der grosse Vor⸗Saal, wodurch man itzund von Thuille-
ries herein gehet, darüber ist die Capelle zwischen den zwey Treppen, welche zu den obern
Zimmern führen. Der Vor⸗Saal ruhet auff zwey Zeilen Ionischer Ordnung, welche
nach denen, so man im Capitolio zu Rom von Michael Angelo sihet, geformet sind. Der
Baumeister dieses Pavillons war Mercier, der von dem Cardinal Richelieu sehr hoch ge⸗
halten worden.
Der Hof, so sich mitten in diesem grossen Gebäu da befindet, hält 378 Fuß ins
Gevierdte, umb welchen fast drey Vierthel der Gebäude König Ludwig der XIV. hat auff⸗
führen lassen, so aber bey weitem noch nicht fertig sind.
Die Haupt⸗Entree und die vornehmste Faciata deß Louvre ist gegen Orient gegen der
Kirche St. Germain l’Auxerrois über. Sie hat unten ein gantz schlechtes Geschoss, wie umb
und umb an den äussern Faciaten ist. Aber die übrige Geschoß oben auff werden von einer Co⸗
rinthischen Ordnung begriffen von gekuppelten Säulen und Pfeilern. Diese Faciata 522 Fuß
lang, hat drey Risaliten, dazwischen zwey lange Gebäude liegen. Die mittlere hat acht gekup⸗
pelte freystehende Säulen mit so viel Wand⸗Pfeilern gekuppelt, darüber ein grosser Fronton
lieget, dessen grosser Karnies samt daran hängenden Gliedern über dem Krantz Leisten auff jeder
Seite von einem Stein ist, dergleichen man nirgends an Grösse findet, massen jeder 54 Fuß
lang ist, und 8 Fuß breit, 14 Zoll dick. Die Machine, durch deren Hülffe diese Steine sind
in die Höhe gebracht, und gantz auff die Stelle geleget worden, welche von Brice ei⸗
nem Zimmermann Nahmens Ponce Cliquin zugeschrieben wird, von uninterssirten
Auslandern hingegen dem Authori des vortrefflichen französischen Vitruvii Herrn
Perrault bringet mich von diesem vortrefflichen Mann eine kurtze Digression zu ma⸗
chen. Denn ich habe Ursache zu glauben, daß es diesem ungemeinen geschickten
Mann eben so ergangen sey, wie allen seines gleichen von der Welt Anfang her.
Dann er wurde mir von allen in Franckreich beschrieben, als ein Mann von sonder
lichen Ingenio, von grosser Gelartheit, unermüdeten und unersättlichen Fleiß im
Studiren, der in vielen Sprachen erfahren, und in Zeichnung seiner Risse vortreff⸗
lich gewesen sey, aber darbey gar singulair und capricieus. Wann man die Ge⸗
schichte berühmter Leuthe recht durchspühren will, wird man finden, daß alle die
jenigen, durch welche GOTT denen Wissenschaften eine sonderliche Hülffe gege⸗
ben hat, so beschrieben worden sind, wie ich hier Perrault beschrieben habe, und
daß sie alle, so lange sie gelebet haben, sind geneydet, und mit aller List und Macht
durch heimliche fa{l}sche Blâme sind gehindert worden, daß sie mit ihren Dingen nicht
haben fortkommen können, nach ihrem Tode aber ihre Erfindungen sind frembden
zugeeignet worden.
Es wird niemand mit Grund erweisen können, daß Perrault oben besagte
Machine, die gantze vordere Faciata des Louvre selbst, die Ehren⸗Pforte vor der
Pforte St. Antoine und das Observatorium nicht gebauet habe. Es ist auch diese
Art zu bauen von aller französischen Bau⸗Meister ihrer weit unterschieden, hingegen
ist unstreitig ein Meister, der die Faciata an dem Louvre, und der die gedachte Eh⸗
ren⸗Pforte angegeben, und die Proportiones kommen beyderseits den gantz singula-
ren Proportionen bey, welche Perrault in seinem Traitè des Cinq Ordres gesetzet hat.
Und ob man sagen möchte, daß sich Perrault selbst in seinem Vitruvio vor den An⸗
geber selbiger Wercke nicht angegeben habe, so gebe ich darauff zur Antwort, daß
er sich auch das Observatorium daselbst nicht zugeschrieben habe, ob es schon der
Text mit sich brachte, daß er es billich hätte thun sollen, und er also viel bessere
Gelegenheit hätte dessen zu gedencken, als der andern alle. Indessen hat doch nie⸗
mand jemahls geläugnet, (ist auch unmöglich zu widersprechen,) daß er der Ange⸗
ber davon sey. Und es lag in Wahrheit nicht nur dem gantzen Hauffen der Leuthe,
so von dem Bauen Profession machen, besonders den Bau⸗Meistern selbst höchst
daran, daß sie diesen Mann auffs möglichste hinderten über sie zu herrschen, son⸗
dern auch grossen und mächtigen Persohnen selbst, weil viel Betriegerey, so bey dem
Bauen vorlauffet, würde kund geworden seyn, wenn dieser Mann, wie man sich
fürchte recht in die Direction der Königlichen Gebäude, und in eine innige Admission
bey dem König gekommen wäre. Also bleibe ich dabey, daß sich niemand betriegen
werde, der diesen gelehrten Mann vor den Angeber oben gemeldter vier Meister⸗Stü⸗
cke der ArchitecturNote: Sturm erwähnte bislang drei architektonische „Meisterstücke“: die Fassade des Palais du Louvre, das Observatoire und den Triumphbogen von Ludwig XIV. Vermutlich galt ihm die Maschine zum Heben von Steinen als das vierte Meisterwerk. hält.
Aber wiederumb in unsern Weg einzulencken, so ist in Augspurg von Ulrich
Krauß oben gemeldte Machine accurat nach dem Kupffer gestochen worden, wel⸗
ches der König in Franckreich unter seinen eigenen hat stechen lassen. Es kan nichts
simplers und folgends nichts bessers ausgedacht werden, als diese Machine, die bloß
in runden liegenden Wellen bestanden, durch deren Umdrehung die Last auffgeho⸗
ben worden. Solche Auffhebung ist durch Hebe⸗Bäume geschehen, welche man
in die Wellen gestecket, und so dann niedergezogen hat. Nur diese beyde Mecha-
nismi sind wohl daran zu mercken. Erstlich weil die Hebe⸗Bäume immer aus einem
Loch der Welle musten ausgezogen, und in ein anders gesteckt werden, so waren an
den Wellen Sperr⸗Räder gemacht, darinnen die Sperr⸗Hacken allezeit widerstun⸗
den, daß indeme die Hebe⸗Bäume ausgezogen und freygelassen worden, die Last
nicht zurück lauffen konte. Zum andern, daß die Hebe⸗Bäume, wann sie eingeste⸗
cket waren, und wegen ihrer Länge zu hoch in die Höhe stunden, daß man sie mit
blossen Händen nicht vermöchte zu erreichen, gar bequem und gewiß mit übergeworf⸗
fenen Stricken konten gefasset und herunter gezogen werden. So simpel und leicht
aber diese Machine ist, so will ich doch niemand rathen, daß er sie mit vielen Wellen
eine grosse Last zu heben machen soll, wie es Perrault gethan hat, wann er nicht rech⸗
ten Bescheid damit weiß, das ist, darüber zu halten vermag, daß alle Wellen auffs
accurateste gleich, alle Sperr⸗Räder auffs netteste gleich getheilet, alle Well⸗Zapf⸗
fen wohl rund gemachet, und central eingesetzet, Summa, alles in der accuratesten
Eben⸗Maaß, so nur möglich gemachet werde. Darinnen aber lässet unser Brice sei⸗
nen französischen Genie wiederum Sporenstreichs lauffen, wann er diese Steine auf⸗
zuheben vor etwas viel Schwerers hält, als einen solchen Obeliscum aufzuheben, wie
Carlo FontanaNote: Tatsächlich stammt der Obelisk nicht von Carlo Fontana (1634-1714), sondern von Domenico Fontana (1543-1607). auff dem Vatican zu Rom gethan, wovon ein sonderlich Buch daselbst
in Druck heraus gekommen.
Zwischen den besagten drey Risaliten liegen zwey Corps de Logis, welche in dem an⸗
dern Geschoß gegen der Strasse heraus zwey Säulen⸗Lauben zwischen gekuppelten Wand⸗
pfeilern und gekuppelten freystehenden Säulen haben, welche cannelliret, und drey Fuß
sieben Zoll unten an dem Stamm dick sind. Alles übrige Schnitzwerck an diesen Säu⸗
len und ihren Gebälcken ist nach dem Gusto der Antiquität sehr nett, und in der Aus⸗
theilung so sonderlich accurat gemachet, daß alles nach der Bley⸗Schnur zusammen
accordiret. Summa, es ist alles mit so sonderlichen Fleiß exequiret, daß man in
Paris sonst nichts ähnliches findet, am wenigsten an den Wercken des le Vau und des
Dorbay, denen Brice mit andern Neydern dieses Meister⸗Stück fälschlich zuschreibet.
Nur dieses wundert mich, wie dieser gründlich gelehrte Architect auf diese Singulari-
tät gekommen, daß er in dem sonst vortrefflich geordneten Haupt⸗Sims, an statt
des Wulstes unter den Sparren⸗Köpffen einen grossen Kehl⸗Leisten, und an statt
des Kehl⸗Leisten, welcher gewöhnlich zu unterst am Krantz stehet, einen kleinen
Wullst gemacht hat. Wie in beykommender Tab. XVIII. Figur 2 zu ersehen. Ja
man könte noch wohl mit Recht erfordern, daß daran der Kinne⸗Leisten ein wenig
grösser, hingegen der Krantz⸗Leisten ein wenig kleiner seyn solte.
Beyde LaubenNote: Gemeint ist die Colonnade du Louvre. sind jede zwischen den Säulen und Wand⸗Pfeilern zwölff Fuß breit,
und 162 lang. Die Architraven sind von einer frey⸗stehenden Säule zu der andern 12 Fuß
lang, aus vielen Stücken nach der Coupe des Pierres zusammen gesetzet, und tragen
einen, geraden doch aus gehauenen Steinen zusammen gesetzten Platfond, der mit
vortrefflichen Schnitzwerck gezieret ist. Die Stein⸗Fugen an dem gantzen Werck sind vor⸗
trefflich zusammen gepasset, daß man sie kaum sihet, und die auffsteigende Fugen sind gar
hinter den Projecturen der Leisten verstecket, Summa, man kan, ohne charmiret zu wer⸗
den, dieses Werck nicht ansehen. Es ist der berühmte Bernini dieses Gebäudes wegen
aus Italien geholet worden, und hat ein Dessein dazu gemachet, welches ich von
seinem Modell, so auff dem Louvre stehet, halb abgezeichnet habe, und hiebey
sende,Tab. XIX welches aber mit recht verworffen worden. Es ist auch ein Kupffer
einem andern Dessein des Mercier, und noch von einem andern des Marot heraus,
aber auch diese kommen in keine Vergleichung mit dem Perraultischen, dessen Helff⸗
te ich auch entworffen hiebey übersende,Tab. XX. weil man es, so viel ich weiß, nicht in
Kupffer hat,Note: Entgegen Sturms Aussage existiert ein Kupferstich von Jean Marot von 1676, der die Face principale du Louvre zeigt (vgl. Bibliothèque numérique de Valenciennes.Vgl. auch Deutsch 2015, S. 482. ohne unter den Estampes du Roy, welche gar rar sind. Die Disposition mit
durchgehenden Pilastern über dem untersten Geschoß ist auch gegen dem Wasser zu be⸗
halten, aber bey weitem so gut nicht ausgeführet, als es Perrault angegeben hatte,
sonderlich verderben die niedrigen Bogen⸗Fenster alles Ansehen, welche in dem ober⸗
sten Geschoß stehen, wie Tab. XVIII. Fig. 3 zu sehen. Indessen wird doch solche
Disposition anitzo in Paris sehr geliebet, und ist die Place des Conquêtes auch um und
umso angegeben.Note: Sturm hat das erste Projekt der Place des Conquêtes (heute Place Vendôme) gesehen, kannte zudem die Place des Victoires und vermutlich das Hôtel de Lully in der Rue des Petits-Champs, die mit einer Sockelzone mit offenen Arkaden und darüberliegender Kolossalordnung eine ähnliche Formensprache aufweisen.
Innerhalb deß alten Louvre besihet man das Bade⸗ZimmerNote: Mit dem „Bade⸗Zimmer“ meint Sturm hier beide Appartements der Königinmutter Anna von Österreich, sowohl das Appartement d’hiver als auch das kurze Zeit später entstandene Appartement d’été. Dass Sturm unter dieser Bezeichnung beide Raumfolgen zusammenfasst, erklärt sich vermutlich durch die Berühmtheit des im Appartement d’hiver gelegenen „Cabinet des Bains“. Dieses hatte eine aufwendige Ausstattung erhalten, die von Eustache Le Sueur konzipiert und von Charles Errard sowie Charles Poerson ausgeführt worden war. Vgl. Bresc-Bautier/Fonkenell 2016, S. 324-326, 330-333. der Königlichen Frau
Mutter, welches mit dem Schweitzer⸗Saal in einem Horizont lieget,Note: Will heißen: Liegen auf demselben Bodenniveau. und aus vielen Kam⸗
mern bestehet, deren Decken schön gemahlet sind. Es sind theils dieser Gemächer gantz
vergüldet, und auff den matt⸗verguldeten Füllungen mit vortrefflichen Grotesquen
gemahlet. Das Bad selbst hat eine Bad⸗Wanne von weissen Marmor, die Wände
aber sind vorbeschriebener massen mit Holtz verkleidet und vergüldet, doch sind zwi⸗
schen dem Taffelwerck Pilaster von Schwartzen Marmor ausgetheilet. Die gemeld⸗
te Bad⸗Wanne ist von dem übrigen Zimmer durch einen schönen Marmor⸗Flur, und
darauff mit einem sehr schönen Marmornen Gelände abgesondert. Nahe an diesen
Gemächern ist der Saal der Antichen Statuen, welcher mit allerley raren Marmor an den
Wänden überkleidet ist, mit Bilder⸗Blindten zwischen Säulen, alles von raren und
kostbaren Marmor, woselbst die Antichen Statuen gestanden, die man nun zu Versailles
sihet.
In dem Zimmer darüber ist vornehmlich die Gallerie des Apollo zu sehen, welche
zwar, nachdeme sie Anno 1661 abgebrannt, samt dem Cabinet der raren Schildereyen, noch
nicht völlig wieder zum Stand gebracht ist. Le Brun hat alle Zeichnungen zu dieser Reparation
gegeben. Es hat in dem mittlern Feld der Decke die Son{n}e auf ihrem Wagen mit alle dem, was
die Poëten dabei dichten, gemahlet. In den Feldern umbher hat er die vier Jahreszeiten gemah⸗
let. Diesen Innhalt der Königlichen Decken, den man sonst biß zum Eckel wieder⸗
holet fände, sihet man doch wegen Verschiedenheit der Ordinirung allezeit mit Lust
an. Und weil man nichts zu Vollkommenheit dieser Auszierung gesparet hat, so ist die Bild⸗
hauerey den vier geschicktesten Meistern mit Setzung einer Verehrung von 300 Louis d’Or
ausgetheilet worden, welche Girardon davon getragen hat. Unter den Gemählden sihet
man daselbst eine Bataille d’Arbelle von le Brun. Ein Abendmahl des Herrn bey ei⸗
nem Pharisäer mit der Sünderin von Paul Veronese, welches Gemählde zwölff
Fuß hoch, und 36 Fuß lang ist, und fälschlich von Brice vor die Hochzeit zu Cana in
Galiläa ausgegeben wird, welche ich expresse daselbst gesuchet, aber nicht gefun⸗
den habe, ob es mir schon aus Copien gar bekannt ist, daß ich es nicht hätte über⸗
sehen können. Eine Famille des Darius welche Mignard gemahlet, welche aber des
le Bruns seiner nicht beykommet. Eine schöne Bataille von Salvator Rosa gemahlet, un⸗
gefehr fünff Fuß hoch, und acht Fuß lang. In den Kammern dabeyNote: Ab 1673 wurden die königlichen Gemäldesammlungen in mehreren Räumen präsentiert, die von Louis Le Vau hinter der Galerie d’Apollon angelegt worden waren. Im Anschluss an die Entscheidung Ludwigs XIV. für das Schloss von Versailles als hauptsächlicher Residenz des Hofes wurden auch die Gemäldesammlungen ab 1683 aus dem Louvre dorthin überführt. Dennoch sah Sturm offenbar in zweien dieser Räume, von ihm mit „Kammern“ bezeichnet, eine Reihe hier verbliebener Gemälde. Vgl. Bresc-Bautier/Fonkenell 2016, S. 435-436. hab ich gese⸗
hen eine Sainte Famille von da Vinci. Eine Bataille von le Brun die Passage des Gransici,
seine Abnehmung vom Creutz, eine Venus in einer Landschafft von Titian,Note: Es handelt sich wahrscheinlich um das Gemälde mit Jupiter und Antiope aus den Sammlungen Ludwigs XIV. (Paris, Musée du Louvre, INV 752). In einer ähnlichen Beschreibung des Raumes führt Christian Friedrich Gottlieb von dem Knesebeck ebenfalls eine „liegende Venus“ auf (vgl. das digitalisierte Manuskript von Knesebeck auf dem Portal ARCHITRAVE, Ansicht 50 [fol. 23v]). Das schließt Tizians Gemälde eines weiblichen Aktes in einer Landschaft aus (zu diesem Zeitpunkt ebenfalls in den Sammlungen Ludwigs XIV. und heute im Musée du Louvre, INV 71), da hier die weibliche Figur nicht liegend gezeigt ist. einige
Contrefaits von Rembrand und Antonio von Deyck,Note: In den Sammlungen des Musée du Louvre befinden sich heute mehrere Porträts flämischer und holländischer Meister aus den Sammlungen Ludwigs XIV., die Sturm gesehen haben könnte. Von van Dyck das Porträt von Charles-Louis Ier et son frère Robert (1637, INV 1238), das Portrait d’une dame de qualité et de sa fille (1627-1632, INV 1243), und das Portrait de James Stuart, duc de Lennox, et plus tard duc de Richmond, en berger Pâris von Van Dyck (1633-1634, INV 1246); von Rembrandt befand sich seit 1671 das Portrait de l’artiste au chevalet (1660, INV 1747) in den königlichen Sammlungen. noch eine Bataille von le Brun
die Uberwindung Pori, und drey vortreffliche Copien von Raphael.Note: In den Sammlungen von Ludwig XIV. befanden sich drei Originale von Raffael: das Portrait de Baldassare Castiglione, écrivain et diplomate (1478-1529) (Paris, Musée du Louvre, INV 611), entstanden um 1514 und aus der Sammlung von Mazarin in jene von Ludwig XIV. übergegangen, die Grande Sainte Famille (Paris, Musée du Louvre, INV 604) und der Saint Michel terrassant le dragon (Paris, Musée du Louvre, INV 608). Vgl. Cuzin 1983, S. 188f. (Abb. 195), 207 u. 58 (Abb. 55). Nach Colberts Tod 1683 wurde die Mehrzahl der Gemälde aus dem Louvre nach Versailles gebracht. Vgl. Bresc-Bautier/Fonkenell 2016, S. 436. Zwei der drei Gemälde Raffaels, das Porträt von Castiglione und der Erzengel Michael im Kampf mit dem Drachen, waren in Versailles seit 1695 nachweisbar, das eine in der Petite Galerie, das andere im Schlafzimmer des Königs. Doch gab es in den königlichen Sammlungen zu dieser Zeit bereits mehrere Kopien dieser Werke, darunter eine des Erzengels Michael von einem der Brüder Testelin (Louis oder Henri) und die der Großen hl. Familie von Jean Michelin. Das Akademiemitglied René-Antoine Houasse hatte ebenfalls eine Kopie der Großen hl. Familie angefertigt. Es ist anzunehmen, dass Sturm 1699 einige dieser Kopien in der Galerie d’Apollon im Louvre sah. Wir danken Matthieu Lett für diese Präzisierungen. Item die Wahr⸗
heit von der Zeit entführet von Poussin, welche man fast alle in Kupffer abgestochen
findet. Es werden auch Schilde von Julio Romano innen und aussen mit viel klei⸗
nen Figuren gemahlet en camayeux daselbst auffbehalten.Note: Aus dem Inventar von Charles Le Brun (1683) geht hervor, dass sich zu diesem Zeitpunkt drei Gemälde von Giulio Romano in den Sammlungen Ludwigs XIV. befanden: ein Porträt von Jeanne d’Aragon (INV 612), eine Adoration des bergers entre saint Longin et saint Jean l’Évangéliste (INV 421) und der Triomphe de Titus et Vespasien (INV 423). Alle Gemälde befinden sich noch heute im Musée du Louvre. Vgl. Bréjon de Lavergnée 1987, Nr. 2, S. 85-86, Nr. 32, S. 113-115 und Nr. 33, S. 114-115. Nach alten Beschreibungen besaß die Anbetung der Hirten bis 1709 noch Flügel, die u. a. mit ornamentalen Malereien verziert waren, die offenbar 1663 ausgeführt worden waren. Vgl. den Eintrag im Online-Katalog des Musée du Louvre. Sturm scheint sich darauf mit seinem Verweis auf die Bemalungen „innen und aussen“ zu beziehen.
In obgedachten Schweitzer⸗Saal sind noch viel Antiquen, wie auch Copien und
Gips Formen von den Antichen Statuen zu Rom zu sehen. Wann man wiederum in den
untersten Vor⸗SaalNote: Sturm bezieht sich hier vermutlich auf eine große Antichambre nahe der Escalier Henri IV, die zwei Fenster zum Festungsgraben und drei weitere auf die Cour carrée besaß. Von hier aus betrat man die von der Académie française und der Académie des Devises genutzten Räumlichkeiten. Tatsächlich standen in dieser Antichambre mehrere Modelle von Perrault und Le Vau, die wiederholt beschrieben wurden. Vgl. Babelon 1964, S. 72, 74-75. Im Manuskript von Nicodemus Tessin dem Jüngeren findet sich eine Darstellung von Perraults Brückenmodell (vgl. Tessin 2002b, S. 166, fig. 86), ebenso in dem in vorliegender Edition publizierten Manuskript von Knesebeck Ansicht 47 (fol. 22r). hinaus kömmt, sihet man darinnen das schöne Modell einer
gehängeten höltzernen Brücke, welches Perrault dem König in Franckreich præsen-
tiret, und seine Stärcke zu beweisen, und wie man sicher zwey Häuser darauff
bauen könte, eine Manier von Quader⸗Steinen, ein Fuß dicke, und sechs Fuß hoch
darauf gebauet stund. Einen Abriß von der Helffte empfänget mein Herr hiebey.Tab.
XXIV.
Fig.1. Weil
wir aber hiemit das Louvre verlassen müssen, so schliesse ich zugleich gegenwärtiges Schrei⸗
ben, darauff ich erwarten will, ob ich so glücklich gewesen seinem Wunsch ein Genügen zu
leisten, und mich auff annehmliche Weise zu erzeigen als
den 14. Sept. 1716
N.
XIV.
AUß mein Letztes nicht nur Ihme, sondern seinem Herrn Grafen selbst sehr wohlge⸗
fallen, vernehme ich sehr gern, und werde mit so viel munterer Begierde fort⸗
fahren, die Beschreibung von Paris also fortzuführen, auch ohnangesehen der
grossen Weitläuffigkeit, so wider mein Vermuthen in unserer Correspondenz daraus ent⸗
stehet, auch von denjenigen Sachen aus Germ. Brice anzuführen, die ich zwar gesehen,
aber ohne dabey etwas besonders anzumercken. Daß ich aber das gantze Buch übersetzen
solle, hoffe ich, daß sie selbst nicht mehr verlangen werden, wann ich versichere, daß sehr
viel in demselben Buche enthalten, so reisenden Ausländern zu wissen gar nicht nutzet, son⸗
dern vergnügt seyn, wann ich verspreche nichts auszulassen, was einem mit Recht könte
verüblet werden, so er es nicht beobachtet hätte. Derowegen erinnere ich alsobald noch bey
dem Louvre, was ich sonst vorbey zu gehen willens gewesen, daß der König darinnen den
von Ihm gestiffteten vier Academien, der Mahlerey, der Bau⸗Kunst, der Devisen und der
Französischen Sprache gewisse Zimmer eingeräumet, sich zu versammlen, und ihre Confe-
rentien und Ubungen zu haben, welche die Passagier auch zu besehen, und sich der berühm⸗
testen lebenden Membrorum zu erkundigen pflegen.
In der Bau⸗Meister Academie sind noch folgende Modelle zu sehen. I. Einer
Haupt⸗Treppe vor das Louvre von Stein, welches Perrault, und eines von Holtz,
welches le Vau angegeben. Ein grosses Modell von dem gantzen Louvre, wie es
itzo angegeben ist, und noch eines von der Principal-Entree, etwas grösser, wor⸗
auff auch alles Schnitzwerck mit Dusche sauber angedeutet worden. Die Seite
gegen dem Wasser ist auch besonders modelliret, und weit besser angeordnet, als
es itzo im Werck ist. Ferner, die Principal-Entree noch grösser von braunem Holtz.
Ein general Modell von Fontainebleau, und ein grösseres von den Gebäuden à part.
Eines von Chambor, wie es einmahl hat sollen renoviret werden. Eines von einer
Treppe ins Gevierdte an der Rampe umher mit Ionischen Säulen besetzet. Zwey
von Capellen gar componirter Figur, und zwey von Kuppel⸗Dächern. Endlich des
Bernini Modell, wie er hat die Haupt⸗Entree anlegen wollen.
Von dem Louvre stösset uns zunächst auff die alte Gothisch gebauete Kirche St. Ger-
main l’Auxerrois, welche in Wahrheit innen sehr düster und unannehmlich aussihet, doch
einige schöne Gemählde hat, als in der Chapelle de Paroisse, die Patron dieser Kirche St. Vin-
cent un{d} St. Germain l’Auxerrois, welche Champagne gemahlet. In der nächsten Capelle
haben die Marterung Laurentii, und in der gegen über eine Magdalena zu den Füssen JE⸗
SU, beydes vortreffliche Stücke von le Sueur. Diese beyde Stücke sind in sehr guten Co-
pien in Kupffer zu haben. Die schönsten Capellen dieser Kirche sind, erstlich des Rostaing,
welche mit viel Marmor gezieret ist, doch nicht von allzuguter Arbeit.Note: Die Chapelle de l’Annonciation der Familie Rostaing war die zweite Kapelle des Chorumgangs an der Nordseite. Vgl. Lesort/Verlet 1974, Bd. V, S. XVIII und XXXI. Nahe dabey des des
Moulins, welche mit besserem Unterscheid gezieret ist.Note: Diese Kapelle wird bei Brice 1971 (Ausgabe v. 1752), Bd. I, S. 200, beschrieben: „La chapelle où se trouve la sépulture de ces grands hommes qui ont rendu de si importans services à leur patrie, est décorée assez proprement. N…. [sic] Desmoulins, qui en étoit autrefois Chapelain, avoit un soin extrême de l’orner de tableaux à chaque fête différente, peints par des maîtres modernes en réputation ; […].“ Es ist auch drittens eine Capelle
lincker Hand neben dem ChorNote: Es handelt sich um die dritte Kapelle des Chorumgangs an der Nordseite, errichtet für drei Mitglieder der Familie Bellièvre: Pompone de Bellièvre, Kanzler von Frankreich (1529-1607), Nicolas de Bellièvre, Kammerpräsident am Parlament von Paris (1583-1650) und Pompone II. de Bellièvre, Erster Präsident des Parlements von Paris (1606-1657). mit einem Grab⸗Mahl vor Pompone Ballevre, mit vie⸗
len Metall, weissen grauen und schwartzen Marmor gezieret. Sein Bild stehet en
buste, auff dem Grab und darunter ein gut alt Gemählde, dessen Innhalt ich nicht
weiß. Gegen über an dem Altar ist JESUS abgemahlet, wie Er in dem zwölff⸗
ten Jahr seines Alters in dem Tempel gewesen. In einer andern rechter Hand neben
dem Schiffe ist ein Altar mit Marmornen Säulen, daran eine Assumptio MARIÆ ge⸗
mahlet ist. An der Seite der Capelle du St. Sacrement ist das Grab⸗Mahl deß Cantzlers
Stephan d’Aligre, der Anno 1677 gestorben, worauff er mit seinem Vatter, welcher
Siegel⸗Verwahrer gewesen, knyend in weissen Marmor vorgestellet ist, durch einen Bild⸗
hauer Laurent Manier. Nahe bey dieser Capelle ist auch an einem Pfeiler ein Kopff einer
Frau gemahlet von le Brün, welche man aus der darunter gesetzten Grab⸗Schrifft erkennet,
eine Frau eines renommirten Zeichners Silvestre zu sehn. Es stehet aber an einem duncklen
Ort, da man die Schönheit der Arbeit nicht wohl erkennen kan. Alle diese Dinge habe ich
nur als im Lauff gesehen.
Wann wir nun zwischen dieser Kirche und dem Louvre nach der Strasse St. Hono-
rè gehen, in welcher unterschiedliches zu sehen ist, stösset uns erstlich auff das Kloster der Pre⸗
diger⸗Münche in der Rüe de Coq. Es ist aber in demselben nichts zu sehen, als das schöne
Tabernacul auff ihrem Altar, die Capelle zur Lincken neben dem Haupt⸗Altar, darinnen
das weisse Marmorne Grab⸗Mahl des Cardinal Berule zu sehen, darauff er knyend in seinem
Cardinals-Habit vorgestellet ist, daran die Arbeit von Kunst⸗Verständigen sehr æstimiret wird.
Die Bibliothec soll auch, sonderlich vor solche, die in Orientalischen Sprachen erfahren sind,
vor andern in der Stadt wohl zu sehen seyn. Sonderlich aber ist in dieser Strasse zu sehen:
Das Palais Royal. Dieses bestehet anitzo in einer grossen Anzahl Gemächer, welche durch unterschiedliche
Höfe voneinander unterschieden sind, deren beyde Vornehmste in der Mitte sind. Der erste
und kleinere ist mit Gebäuden gantz umbschlossen, welche mit Bossagen gezieret sind. Es ist zu
bedauren daß sie nicht Höhe genug haben, wiewohl der Baumeister nicht Schuld daran haben
soll, sondern der Cardinal Richelieu, der diesen Pallast erst hat vor sich selbst bauen lassen, und
es vorsetzlich also haben wolte, daß er dem Hof destoweniger Jalousie gebe. Der zweyte und
hintere Hof aber ist grösser, und ist zu hinterst mit keinem Gebäude, sondern nur mit einer Mauer,
so in Arcaden formiret ist, welche mit eisernen Gattern gegen dem Garten verschlossen sind.
Dieser Hof ist mit etwas zierlichern Gebäuden umbgeben, welche in dem unterm Geschoß Ar-
caden darüber, aber ein Geschoß mit Dorischen Wand⸗Pfeilern haben.
Die Zimmer in diesem Pallast sind groß und raumlich, doch hat man die Alten zu un⸗
terscheiden von denen, die nur vor einigen Jahren sind ausgezieret worden. Doch æstimiret
man von den Alten noch die Gallerie in dem lincken Seiten⸗Gebäude des hintern Hofes, welche
von Simon Vouet gemahlet worden. Alle grosse Leuthe in Franckreich nach dem Abbt von
St. Denis Suger, biß auff den Cardinal Richelieu sind daselbst abgemahlet in völliger Sta-
tur, in Lebens⸗Grösse,Note: Die Porträts waren entgegen Sturms Eindruck überlebensgroß. Vgl. Thuillier/Brejon de Lavergnée/Lavalle 1990, S. 240. und theils darunter, und zwischen ihnen sind in viereckichten
Tafeln ihre vornehmste Thaten gemahlet. An der Thür, dadurch man in das Zim⸗
mer der Madame gehet, sind einige Pourtrait, welche Vouet nicht gemahlet hat.Note: Zwar verweist Sturm hier auf die Beteiligung eines weiteren Künstlers, doch verkennt er offenbar die Rolle des von ihm namentlich nicht genannten Philippe de Champaigne, der neben Vouet maßgeblich an der Ausstattung der Galerie mitwirkte.
Aber die neuen Zimmer, welche man dazu gethan hat, nachdeme der Pallast dem Kö⸗
nig von dem Cardinal per donationem inter vivos also überlassen worden, daß er bestän⸗
dig solte bey der Krohne bleiben, sind viel bequemer vor grosse Herrn. Sie sind in einem grossen
und Regul-mässig angelegten Gebäude an der Strasse de Richelieu gelegen. Ein Ge⸗
mach habe darinn sonderlich angeleget gefunden, in dem die Wände mit vergüldeten
Taffelwerck von lauter kleinen viereckigten Stellungen bekleidet waren, welche wech⸗
sel weiß mit Spiegeln und mit vortrefflichen Miniatur-Gemählden besetzet waren.
Es stunden zwey zierliche Cabinet darinnen, welche mit Medaillen angefüllet seyn sol⸗
ten, der uns aber herum geführet, sagte, daß er den Schlüssel nicht dazu hätte. Oben
aber auf den Absätzen dieser Cabinette, die nach Art unserer alt Teutschen Thresor ge⸗
macht waren, obschon ungemein kostbarer, stunden voller Medaillons, die durch da⸗
hinter angesiegelte Faden in ihrem situ erhalten wurden, daher wir uns sehr in acht
nehmen musten, daß wir nicht anstiessen. Es solte das liebste Zimmer des damahli⸗
gen Ducs d’Orleans, des Bruders von dem verstorbenen König seyn. Ich glaube
aber, daß diese Disposition nicht viel Nachahmer werde gefunden haben. Der grosse
Garten, (denn den kleinen habe nicht gesehen,) der an sich doch nicht gar groß war,
hatte eine grosse Anmuthigkeit, und konte ich gleich daran sehen, daß ihn le Nôtre
angegeben hatte. Er ist auch in Kupffer gestochen.Note: Sturm verlässt das Palais-Royal ohne die Oper besichtigt zu haben, die sich in einem Anbau zur Seite der aktuellen Rue de Valois befand. Weiter gegen das Thor zu in die⸗
ser Strasse begegnet uns an eben der Seite die Kirche
St. Roch. Diese wird nunmehr wohl fertig seyn, ich aber habe sie noch unvollkommen
gesehen. Nur innwendig war sie mit einer zimlich correcten Ordnung Dorischer Wand⸗
pfeiler ausgebauet. In dem Haupt⸗Altar war ein schönes Crucifix. Aber neben dem
Altar stunde noch einmahl der Heyland, der sein Creutz hielte, und auff der andern Sei⸗
te St. Roch, von d’Anguier gar gut gehauen. In der Capelle St. Andreæ sihet man seine
Marter, wie er von viel Persohnen auff das Creutz gespannet wird, von dem treffli⸗
chen Mahler Jouvenet.Note: Es handelt sich um die erste Kapelle in der westlichen Seite des Chorumgangs, direkt nach dem Querhaus. André Le Nôtre wählte diese Kapelle 1691 als Grabkapelle und ließ das Gemälde von Jouvenet anbringen. Vgl. Babelon 1991b, S. 23. Weiter fort ist ein Platz, da viel zu besehen, nemlich die itzo also
genannte
Place des Conquêtes. Der Pallast Vandôme nahm sonst diesen Platz ein, 18 Morgen Landes groß ge⸗
schätzet, welchen der König Ludwig XIV. gekauffet, und Anno 1685 hinweg reissen lassen,
den itzigen Platz daselbst vor seine Statue anlegen zu lassen. Der Platz ist 468 Fuß breit,
und 516 tieff, an drey Seiten mit Gebäuden umbfangen, aber gegen der Strasse St. Ho-
noré gantz offen. Die Architectur der Gebäude umbher hat eine Suite von Arcaden mit Bos-
sagen, worauff Ionische Pfeiler stehen, so durch die übrige zwey étagen hinauff reichen. Die
hinterste Faciata ist mit einem grossen Bogen eröffnet, so mit zwey vorgelegten frey⸗stehenden
Säulen an jeder Seite gezieret, dazwischen Brice Bilder⸗Blindten setzet, aber falsch,
wie beykommende Figur zeiget, die ich auff dem Platz abgezeichnet,Tab.
XVIII.
Fig. 4. und sind die
Säulen viel zu enge, daß manirliche Bilder⸗Blindten dazwischen stehen könten.
Kein Zweiffel aber ist, daß es besser aussehen würde, wann die Säulen wieder aus⸗
einander gesetzet, und mit Nichen dazwischen gezieret wären. Es haben mich auch
noch unlängsten Passagiers versichert, daß viel daselbst geändert worden, und der
Platz nicht mehr viereckicht, sondern achteckig sey, den ich doch viereckigt gesehen.Note: Ab 1699 wurde der Platz unter der Leitung von Jules Hardouin-Mansart umgestaltet und das Reiterstandbild eingeweiht. Auf einem nun verkleinerten rechteckigen Grundriss mit abgeschrägten Ecken errichteten Privatpersonen Stadtpalais hinter einheitlich gestalteten Fassaden. Vgl. Jestaz 2008, Bd. I, S. 361-364.
Vielleicht ist auch dieses mit geändert, und dadurch Brice falscher Bericht wahr ge⸗
macht worden. Ich glaube aber kaum daß derselbige Bau sey fertig geworden.Note: Nur die Fassaden wurden bis 1702 vollendet, nicht jedoch die dahinter liegenden Gebäude. Vgl. Jestaz 2008, Bd. I, S. 361-364.
Mitten in diesen Platz ist deß Königs Statue zu Pferd auff einem hohen und recht an⸗
sehnlichen Piedestal von weissen Marmor gesetzet, aber keine Statuen waren unten noch dar⸗
an. Vorn stunde folgenden Inscription daran: Ludovico Magno
Decimo quarto.
Francorum & Navarræ Regi Christianissimo
Victori Perpetuo.
Religionis Vindici
Justo, Pio, Felici, Patri Patriæ
Erga Urbem munificentissimo
Quam Arcubus, Fontibus, Plateis,
Ponte Lapideo, Vallo âmplissimo,
Decoravit,
Innumeris Beneficiis cumulavit,
Quo imperante secure vivimus,
Neminem timemus:
Statuam hanc Equestrem,
Quam diu oblatam recusavit,
& civium amori
Omniumq{ue} Votis indulgens ,
erigi tandem passus est,
Præfecti & Ædiles.
acclamante populo læti posuere.
1699.Note: „Ludwig dem Großen / Dem Vierzehnten, / Der Franken und Navarras / Allerchristlichstem König, / Dem ständigen / Sieger, / Der Religion Beschützer, / Dem Gerechten, Frommen, Glückgesegneten, dem Vater des Vaterlandes, / Wie dem Wohltäter der Stadt, / Die er mit Torbögen, Brunnen, Plätzen, / Mit steinerner Brücke, breitestem Wall, / Dem / Pflanzen von Bäumen, / Ausschmückte, / Mit unzähligen Wohltaten überhäufte; / Unter dessen Regierung wir sicher leben, / niemanden fürchten. / Dieses Reiterstandbild, solange / Ihm angeboten, hat er zurückgewiesen; / Und der Bürger Liebe, / Den drängenden Wünschen aller nachgebend, / Hat er seiner Errichtung dann doch zugestimmt; / Die Stadtvogtei und Stadtmagistrate, / Unter dem Beifall des Volkes, haben es frohen Herzens errichtet. / 1699.“ Vgl. Ziegler 2010, Anhang VIII, S. 287.
Was Brice von der Höhe dieser Statua schreibet, daß sie zwanzig Fuß hoch sey,
ist mir noch gar zweiffelhafft, wiewohl sie unstreitig grösser ist, als die auff dem
Pont neuf, und auff der Place Royale. Aber das ist wiederum ein gar zu unverschäm⸗
ter Schnitt, wie man öffters probiret hätte, daß zwanzig Persohnen hätten in dem
Bauch des Pferdes an einer Tafel sitzen können, welche er doch durch seine angegebe⸗
ne Maasse von 20 Fuß der gantzen Höhe selbst schändlich widerleget. Ich bin gut
davor, wenn man wolte 20 Menschen wie Häringe hinein packen, daß sie nicht viel
über die Helffte würden Raum finden, so gar geläuffig sind die grössesten Guasconna-
ten bey diesen guten Leuthen.
Wann man mitten vor den Platz kommet, sihet man recht hinter der Statue die
Kirche der
Capuciner Nonnen. Welche ihnen der König mit dem gantzen Closter hat neu bauen lassen, welches Brice
schon[19]61schon zu seiner Zeit gantz fertig beschreibet, da ich es doch lang hernach noch nicht
fertig gefunden. Daß es eines der regularesten in gantz Pariß sey, saget er mit Wahr⸗
heit, aber schwerlich auch dieses, daß es mehr als 200000 Reichs Thaler koste.
Es ist zwar sehr weitläuffig, doch nur ein Geschoß hoch, und nirgends von sonderli⸗
cher Kostbarkeit. Die Cellen der Nonnen sind alle mit Holtz getäffelt, und der Creutz⸗Gang
rund umb mit Fenstern besetzet.
Die Kirche hat nichts ausserordentliches, ist innen gantz glatt und weiß ange⸗
strichen, ist klein, aber sehr helle. Die Faciata dieser Kirche ist mit mit zwey Römischen
Säulen gezieret, welche ihr Gebälcke mit einem eckigten Fronton tragen, und zusammen
unter einem Bogen stehen, wie beykommende fünffte Figur zeiget.Tab.
XVIII.
Fig.5. Der Bau Meister soll
Dorbay seyn. Uber der Thür lieset man diese kurtze Inscription: ‘C.H.O. SALVATORI SUB
INVOCATIONE SANCTI LUDOVICI.Note: „Christus, dem Erlöser, unter Anrufung Ludwigs des Heiligen.“ Die Abkürzung CHO scheint für „Christo“ zu stehen.’ In welcher König Ludwig der XIV.
nicht undeutlich Sanctus genennet wird.
Das Gemählde an dem Haupt⸗Altar ist eine Abnehmung vom Creutz durch Jouve-
net gemahlet. Zwey Capellen liegen gegeneinander über, welche gar schön sind. Die
an der lincken Hand ist des Herzogs Charles de Crequy, welcher in vielen grossen Gesand⸗Tab. XXI.
schafften berühmt worden. Die Capelle ist gantz mit Marmor verkleidet. Der Altar ist
mit Corinthischer Ordnung aus schwartz und weiß⸗geaderten Marmor von Barbançon, der
nicht rar daselbst ist, das Gemählde daran stellet vor die Marter des heiligen Ovidii,
welches auch Jouvenet gemahlet hat. Gegenüber ist der Herzog halb liegend auf einem
schwartzen Sarg, mit der Unsterblichkeit, so ihm den Kopff hält. Daneben stehen zwey
Tugenden, alle Bilder von weissen Marmor, unter einer Bogen⸗Einfassung, welche mit
Rosen von verguldeten Metall bereichert ist, deren ich mich zwar nicht mehr erinnere,
wie auch nicht anderer solcher Zierrathen, als Brice erzehlet, hingegen wohl, daß
der schwartze Sarg, und unten das Wappen gleichfalls von vergüldeten Metall ge⸗
wesen, wie er hingegen der drey Kindigen nicht gedencket, so die obere Inscription
tragen. Mazelin und Utrel, zwey Bildhauer haben dieses Werck geführet.
Die andere Capelle,Tab. XXII. welche dagegen an der rechten Hand lieget, ist des berühmten
Staats-Minister Louvois, noch artiger als die vorige von Girardon angeordnet, und
mit raren Marmor. Ein grosses in Feuer verguldetes bas relief die Begräbnuß Christi
vorstellend, stehet an dem Alltar⸗Tisch, der von weissen Marmor ist. Darüber stehet kei⸗
ne andere Altar⸗Verkleidung als eine von Coypel dem Aeltern gemahlte Auffahrt
Christi in einem Marmornen Rahm. Gegen über ist der Marquis de Louvois in dem
Ordens⸗Habit vom Heil. Geist auff einem schwartz Marmornen Sarg liegend, dabey sich
seine Wittwe noch lebende hat abconterfayen lassen, ihm ein Buch vorhaltend. Alle Zier⸗
den, so dieses Grab⸗Mahl begleiten, sind mit guten Verstand reich ausgemachet. Zwey
Tugenden Lebens⸗Grösse von Metall sind neben das Postement gesetzet, die Klugheit und
die Treue.
Wann man wieder aus dieser Kirche heraus kommt, sihet man wiederum gerad gegen⸗
über hinter der Statua zu Pferd die Pforte der
Fevillantiner-Mönche. Welche mit Corintischen vier Säulen, so einen eckigten Fronton tragen, gar
sauber gebauet, und deswegen von mir abgezeichnet ist.Tab.
XVIII.
Fig.6.
Tab.
XXIV. Das Portal ihrer Kirche ist
auch gar gut gemacht, und der erste Bau gewesen, wodurch sich der alte Mansart in Re-
nommee gebracht hat. Es hat unten vier Kuppelen Ionischer Säulen auff Säulen⸗
stühlen. Uber den zwey äussern stehen grosse gekröhnete Pyramiden mit Binden
oder Bossagen umgeben. Uber den mittleren zwey Kuppeln stehen Corinthische mit
Säulen⸗Stühlen, die einen runden Fronton tragen, darauff sitzen zwey Statuen ne⸗
ben einem Amortissement. Weil zwischen den gekuppelten Säulen aber das Gebälcke
weit eingezogen ist, und im solchem Fall ordinarie der Krantz des Frontons eine grau⸗
sam grosse Außladung bekom{m}et, oder ebenfalls in der Mitte muß eingezogen werden,
welches beydes nicht wohl stehet, ist da diesem inconvenienti auff eine gute und
zimlich glückliche Weise abgeholffen, indem das auff beyden Seiten ruhende Gie⸗
bel⸗Feld als ein Bogen geformet ist, auff dem der Krantz durchgehends mit gleicher
Ausladung ruhet, wie beykommende Figur zeiget.Note: Sturm gibt vor, mit seiner Tafel XXIII eine Verbesserung der Fassadengestaltung von Mansart vorzunehmen, aber dem ist nicht so: Das Gebälk verkröpft sich bei der realisierten Fassade in gleicher Weise jeweils oberhalb der Doppelsäulen auf beiden Geschossen wie auf Sturms vorgelegtem Vorschlag. Vgl. den Kupferstich in Marot o. D. / s. d. (b), Tf. 10; Paris, Bibliothèque nationale de France, Estampes et photographie, Ha 7c in-folio; vgl. den Katalogeintrag ohne Abb. in Deutsch 2015, S. 421, [10].
Inner der Kirchen ist noch unterschiedenes zu sehen. Der Alltar ist von Holtzwerck,
aber fast gantz verguldet mit einem Gemählde von Jac. Bunel eine Assumption vorstellend.
Der Mönchen⸗Chor hinter dem grossen Altar, ist mit grossen Schildereyen gezieret, so das
Leben Christi enthalten. Die schönste Capelle ist des Rosteings, da unterschiedene Grab⸗
mahl dieses Hausses stehen.Note: Charles, Markgraf von Rostaing (1573-1660), ließ insgesamt drei Kapellen der Familie in Paris ausstatten: eine in der Église des Feuillants, eine in der Église des Célestins und eine in der Église Saint-Germain-l’Auxerrois. Der Dekor der Kapelle in der Église des Feuillants entstand ab 1612 und ist durch einen Kupferstich von Jean Lepautre überliefert (abgebildet in Millin 1790, Bd. I, Teil V, Tf. 3, S. 15; vgl. auch die Collections numérisées de la bibliothèque de l’INHA). Zwei Grabmalsskulpturen in betender Haltung von Charles und seinem Vater Tristan de Rostaing (gest. 1591) befinden sich heute in der Église Saint-Germain-l’Auxerrois. Vgl. Willesme 1986, S. 45 (Abb. 56). Unter andern distinguiret man darinnen drey Römische Säu⸗
len, welche von curiosen Leuthen hoch geschätzet werden, und aus einem alten gar raren
Marmor gemacht sind, zumahl man gar nicht leicht solche Stücken davon findet, davon
man Säulen machen könte.Note: Entgegen der Beschreibung Sturms handelt es sich um vier Säulen ionischer Ordnung in schwarzem Marmor, mit Basen und Kapitellen aus Bronze. Vgl. Willesme 1986, S. 42. Neben dem Alltar zur Rechten ist in einer Capelle das Grab⸗
Mahl der Princeßin de Guimené, von weissen Marmor, mit einer Urna darüber nach an⸗
tiquer Art.Note: Sturm vermischt hier zwei unterschiedliche Grabmäler: Zum einen beschreibt er jenes der 1706 verstorbenen Jeanne-Armande Schomberg und folgt hierin vermutlich dem Text von Germain Brice (vgl. Brice 1706, Bd. I, S. 165f.), zum anderen erwähnt er das darüber angebrachte Epitaph für Anne de Rohan-Guéméné (gestorben 1685). Vgl. die Beschreibung und den Kupferstich von Aubin-Louis Millin, die 1790 und damit etwa 10 Jahre vor der Zerstörung des Klosters publiziert wurden (Millin 1790, Bd. I, Teil V („Les Feuillans“), S. 37 u. Tf. V, Fig. 2). In der dritten Capelle im Hineingehen ist der unglückliche Minister Louis de
Marillac, der, wie man glaubet, unschuldiger Weise durch des Cardinal Richelieu und
seines Anhangs Cabbale umb seinen Kopff gekommen.Note: Sturm bezieht sich hier auf die Ereignisse im Zuge der sogenannten Journée des Dupes am 10. November 1630, als Ludwig XIII. seinem Minister Kardinal Richelieu unerwartet sein Vertrauen aussprach. Richelieu stand im Konflikt mit Maria de’ Medici, zu deren Anhängern auch Louis de Marillac zählte. Die Entscheidung des Königs führte zur Verbannung der Königinmutter nach Compiègne und zur Hinrichtung Louis de Marillacs im Jahr 1632. Das Grab⸗Mahl bestehet in einem
schlechten und niedrigen Pedestall von schwartz Marmor, worüber in einer Rundung sein
Busto aus weiß Marmor stehet, daneben stehen zwey Statuen von gleichen Stoff.Note: Sturm hat dieses Grabmal vermutlich nicht vor Ort gesehen. Seine Darstellung stimmt nicht mit anderen bekannten Beschreibungen überein, beispielsweise jener von Aubin-Louis Millin von 1790. Erwähnt wird hier eine Minerva mit Helm, die das Porträt von Marillac hält und vor einer Pyramide aus weißem Marmor platziert ist. Vgl. Millin 1790, Bd. I, Teil V („Les Feuillans“), S. 29, Tf. IV, Fig. 2 (zwischen S. 28 und 29). Gleich
im Hineingehen habe an beyden Seiten mit Holtz verkleidete Capellen gesehen, deren Rahmen
verguldet, und an statt der Füllungen mit kleinen Gemählden besetzet waren.
Auff einem Pfeiler der Kirche gegen der Cantzel über stehet das schönste Grab⸗Mahl
des Grafen de Harcourt Henry de Lorraine, und seines Sohns Alfonse Louis de Lorraine
Chevaliers de Harcourt. Es lieget da die Zeit auff einem artigen Piedestal, (an welchem
die Grab⸗Schrifft stehet,) welche von einer davon fliegenden Fama gleichsam getretten wird.
oben derselbigen tragen Englichens an beyden Seiten Medaillons, darauff der gemeldten
Persohnen Contrefaits ausgehauen sind. Zu oberst auff dem Obelisco stehet ein Kopff mit
einem Adler, und an demselben darunter ein bas relief, beyde von vergüldetem Metall.
Ich habe nur einen Theil davon auff der Stelle abgezeichnet,Tab.
XXIV.
Fig.2. kan auch nicht aus⸗
dencken, warumb ich das übrige nicht solte mit gezeichnet haben, dessen ich mich
auch im geringsten nicht erinnere, daß ich es gesehen habe. Die vier Krag⸗Steine an
dem Postement sind von einem gar schönen und raren grauen Marmor. Ich habe aber
schon mehr in des Brice Erzehlungen angemercket, das falsch ist. Das Kloster habe
ich gar nicht gesehen, davon er nachfolgendes berichtet. Diese Mönche haben prächtige
Zierrathen von Silberwerck, und die Königin Maria de Medices hat ihnen herrlich gestick⸗
ten Schmuck geschencket. Sie haben eine sehr schöne Bibliothec, welche alle Bücher ent⸗
hält, so einer so Zahl⸗reichen Communität zukommen. In dem Creutz⸗Gang sind viel
Schildereyen von Aubin Vouet, einem Bruder und Discipel deß berühmten Simon Vouet,
welche das Leben Bernhardi, ihres Ordens Stiffters aber mit nicht g{e}nugsamer Correction
vorstellen, dergleichen auch an dasigen gemahlten Fenstern fehlet, wo die Reforme des Jean
de la Barniere gezeiget wird. Ich habe die Faciata dieser Kirche abgezeichnet, weil ich
sie nicht in Kupffer zu Paris habe finden können,Note: Entgegen Sturms Aussage hat Jean Marot einen Kupferstich dieser Fassade publiziert. Vgl. Marot o. D. / s. d. (b), Tf. 10; Paris, Bibliothèque nationale de France, Estampes et photographie, Ha 7c in-folio; vgl. den Katalogeintrag ohne Abb. in Deutsch 2015, S. 421, 10. habe sie aber nach meiner Art die
Ordnungen zu zeichnen gerichtet. Mein Herr kan sehen, was die Pariser dazu sagen,
und ob sie mit Raison etwas daran tadlen können. vid. Tab. XXII.Note: Sturms Angabe ist nicht korrekt. Die Abbildung, auf die er hier verweist, trägt tatsächlich die Nummer XXIII. Weiter hinunter, und die
Capuciner vorbeyNote: Sturm erwähnt nicht den Couvent des Capucines in der Rue Saint-Honoré, der sich zwischen dem Couvent des Feuillants und jenem der Filles de l’Assomption befand. ist die Kirche
Der Nonnen de l’Assumption. Welche Marot in Grund⸗Riß, Auffriß, und Profil in Kupffer gebracht hat.
Erard aber, der Director der Mahler⸗Academie, welche der König zu Rom unterhalten hat,
die Risse dazu inventiret.
Sie bestehet hauptsächlich in einer Kuppel, welche 62 Fuß Diameter in lichten hat,
welche in Wahrheit keinen guten Zug hat, und zu niedrig an dem Dache ist, auch
sich in keine annehmliche Lanterne endiget, in was Verstand aber Brice saget, daß
das Dach der Kuppel in Proportion des gantzen übrigen Gebäudes gar zu groß sey,
kan ich nicht verstehen, so begreiffe ich auch nicht, warum Blondel die Proportio-
nes dieser Kirche so gar verworffen hat. Ich habe sie nicht messen, und also die Propor-
tiones untersuchen können, doch bin ich von Jugend an zu Observirung der guten
Proportionen in der Architectur so fleissig gewöhnet worden, daß mein Gesicht es gar
bald mercket, wann ein Gebäude gar sehr ausser Proportion ist, dergleichen mir bey
Besehung dieser Kirche nichts widerfahren. Nach Marots KupfferNote: Vgl. die Reproduktion auf Gallica.bnf.fr (fol. 122r, 123r u. 124r.). ist die Höhe inn⸗
wendig so weit das Gebäude gerade auffgehet gegen dem Diameter just, wie 6 gegen 5
welches ja eine gute Proportion ist, die Proportion der Höhe der innern Ordnung gegen
die Höhe des Auffsatzes darüber, welcher keine Ordnung hat, ist nichts proportionir-
lich, sondern wie 13 gegen 10. Die Fenster oben herum sind noch einmahl so hoch
als breit, welches die beste Proportion ist. Die Corinthische Ordnung innen, und die
Arcaden dazwischen haben ihre gehörige Proportiones, und so finde ich mehr Gutes
an diesem Gebäude. Endlich finde ich auch dieses Judicium Blondels nicht in der Hol⸗
ländischen Edition seines Cursus. Die beyden Pforten aussen neben der Colonnata sind
nicht zum besten an der Einfassung gemacht, sonst habe ich sonderlich Fehler, die gleich
in das Auge fielen, nicht gefunden, und glaube ich, daß der Neyd der Baumeister ge⸗
gen einen Mahler, so ihnen in das Handwerck gegriffen, das vornehmste Fundament
ist dieses Gebäude so sehr zu tadlen. Also habe ich auch nicht sehen können, daß das
Gebälcke der äussern Säulen⸗Lauben sich zu seinen Säulen gar nicht schicke, wie der
gute Brice seinem Baumeister ohne Grund nachsinget. Daß aber die Sparren⸗Köpffe
beyderseits neben diesem Säulen Lauben nicht einerley Austheilung mit denen an dem
Säulen⸗Lauben halten, ist ein Fehler, den wohl kein Baumeister in Paris zu vermey⸗
den weiß, wann er soll unverdünnete Pfeiler neben verdünnete Säulen stellen. Ich muß
aber die Critîque abbrechen, und in der Beschreibung fortfahren.
Man gehet in diese Kuppel durch einen auf acht Stuffen erhabenen Säulen⸗Lauben.
Innen ist die Ründung in vier grosse Säulen⸗Weiten, welche Arcaden formiren, und
vier kleine, welche Thüren und darüber Balcon Fenster zwischen sich haben, wechsel⸗weiß
durch acht Paar gekuppelte Corinthische Säulen eingetheilet. Aber man kan nicht approbi-
ren, daß die Sparren⸗Köpffe oder Modillons nicht mitten über den Rosen der Säulen zu⸗
treffen, wiewohl dieser Fehler noch zu perdoniren ist, weil vielleicht wenig Baumei⸗
ster in Paris sich in dieser Sache bey allen Fällen runder Gebäude zu rathen wissen,
die ohne Trigonometrischen Calculo nicht rechtschaffen kan tractiret werden, darin⸗
nen die wenigsten von diesen Herrn pflegen geübet zu seyn. Das aber ist ohnstreitig ein
gröberer Fehler, daß die Mauren über der Ordnung zwischen den Fenstern mit ihren blin⸗
den Fenstern nicht recht Symmetrisch mit den gekuppelten Pfeilern darunter correspondiren,
welches daher kommt, weil der Architect die Fenster über den kleinen Säulen⸗Wei⸗
ten mit denen über den grossen hat gleich machen wollen, wiewohl er auch in die⸗
sem Fall dem Mißstand leichtlich hätte rathen können. Zum Exempel hätten innen
über den Arcaden doppelte Fenster nebeneinander können formiret werden, und die
beyderseits hinter dem Glase vorstehende Mauer gemahlet werden, als wann so
weit Vorhänge vorgezogen wären, welches eine curiese Arbeit vor einen Mahler ge⸗
geben hätte. Das Gewölbe dieser Kuppel, welches nur von Holz formiret ist, ist in
der Mitte mit einem grossen Gemählde gezieret, welches eine Assumption vorstellet, und
zimlich frey ausgedacht ist, von Charles la Fosse. Der Haupt⸗Altar ist artig von Holz ge⸗
macht, und auff Marmor⸗Art gemahlet mit wohl⸗gezeichneten Engeln gezieret. Das
Gemählde darinnen stellet eine Geburt Christi vor, welche Houasse gemahlet, dessen Wer⸗
cke hoch gehalten sind. Das Crucifix gegen der Thür über, ist von dem ältern, und die
AssumptionNote: Das heute verlorene Fresko, 1681 von Antoine Coypel realisiert, zeigte eine Verkündigung. Die Darstellung ist durch eine mit dem Grabstichel überarbeitete Radierung (um 1747) von Nicolas-Henri Tardieu überliefert (Paris, Bibliothèque nationale de France, Estampes, MFILM R-107825). Vgl. Garnier-Pelle 1989a, S. 93. über der Thüre von dem jüngern Coypel. Weiter ist daselbst ein Petrus im
Gefängnuß von la Fosse, auch zwischen obern Fenstern, aber noch nicht zwischen allen sind
Gemähld von dem Leben der Mutter GOttes.
Der Chor der Nonnen ist groß mit einer wohlgemahlten Decke. Von da gehen
wir in die Strasse St. Honoré zurücke, und bey dem Palais Royal in die Strasse de Riche-
lieu, welche eine der schönsten und regulirsten in Paris ist. Auff diesem Rückweg habe
ich in der Strasse St. Honoré eine Faciata an einem kleinen Hauß gesehen, welche etwas artiges
an sich hatte, darum ich es auch Tab. XXV. Fig. 2Note: Sturms Angabe ist nicht korrekt. Die Abbildung, auf die er hier verweist, trägt tatsächlich die Nummer XXVI. abgezeichnet, aber mir nicht Zeit genom⸗
men habe nach dem Hauß⸗Herrn, oder nach dem Angeber zu fragen. Dabey fället vor die
Liebhaber der Poesie zu erinnern vor, daß man an allen publiquen Brunnen zu Paris artige
Lateinische Disticha findet, welche alle ein Poet, Nahmens Santenil gemachet hat. Um
diese Gegend herum findet man schöne Hôtels oder Herrn⸗Höfe, und andere Häuser,
welche alle wohl meritiren gesehen zu werden, wann man Zeit dazu hat, deren ich
aber hier gantz kurtz gedencken werde.
L’Hôtel de Jars ist ein Werck von Mansart. Die Pforte hat etwas grosses,Note: Das Portal erstreckte sich über zwei Niveaus: Die hochaufgehende Portalöffnung im Erdgeschoss wurde von doppelten ionischen Pilastern gerahmt und von einem Attikageschoss mit Rundfenster und gedoppelten Krüppelpilastern überhöht. Vgl. Babelon/Mignot 1998, S. 191, Abb. 169. die Treppe
ist gar hell und anmuthig,Note: François Mansart platzierte die Haupttreppe im Grundriss dezentral, zur rechten Seite des Vestibüls. Sie wurde auf jeder Etage von zwei Fenstern erleuchtet und von einer Kuppel mit Laterne überdacht. Vgl. Babelon/Mignot 1998, S. 195-197 u. Abb. 169. und Zimmer, sind zwar schön, aber nicht gar bequem.Note: Entgegen Sturms Feststellung galt die von François Mansart entwickelte Grundrissdistribution des Hôtel de Jars als überaus funktional und sollte die Gestaltungen der Pariser Hôtels entscheidend beeinflussen. Vgl. Babelon/Mignot 1998, S. 195.
L’Hôtel de Louvois. Darinnen gar viel zu sehen ist, besonders aber die Treppe
und der Audienz-Saal. An Thür⸗Beschläg, und sonderlich Schlössern hat es daselbst
etwas sonderliches. Von diesem etwas weiter und in die nächste Quer⸗Gasse rechter Hand
hinein an einer Eck das Hauß Douilly, welches zwar klein, aber gar wohl angegeben.
L’Hôtel de Menars, ist sonderlich berühmt wegen der vortrefflichen Thuanischen
Bibliothec.Note: Die Bibliothek der Familie de Thou stand 1673 zum Verkauf und wurde von Étienne Baluze (Bibliothekar der Bibliothèque Colbertine) zunächst Jean-Baptiste Colbert angeboten. Letztlich erwarb jedoch die Familie Menars die Bestände 1699. Vgl. Bloch 1983, S. 402.
L’Hôtel de Grammont hat nichts sonderliches. Das Hauß Renoüard de la
Toüanne, ist wohl zu sehen, so wohl wegen des Gebäudes als wegen der Raritäten, so
daselbst zu besehen.
L’Hôtel de Lorges. Das letzte Hauß in dieser Reihe, ist groß, wohl gebauet,
und hat einen grossen Garten. Fast gegen über ist noch ein sehens⸗würdiges Hauß Joachim
de Seigliere de Bois Franc. Es ist eines der regulirsten, und von le Pautre angegeben, es
ist auch ein artig Musæum darinnen. Im Herausgehen ist werth, daß man die grosse Pfor⸗
te betrachte, welche dem wunderlichen Platz nach, mit grossem Verstand angebracht worden.
Diese alle sind in der Gasse de St. Augustin. Unweit davon ist in der Gasse Vivien die
Königliche Bibliothec. Die in einem Hause stehet, welches von aussen nichts sonderliches hat. Sie wird
auf 50000 gedruckte Bände, und auff 12 biß 15000 Manuscript gerechnet. Die Bände
sind alle roth Leder, schön verguldet, und die Schnitt auch verguldet. Man sihet da auch
treffliche Collectiones von Kupffern. Item, etliche Bücher von Migniature, darunter
sonderlich auf Pergamen herrlich gemahlte Bücher von Thieren und Kräutern sind, und ei⸗
nes von See⸗Fischen. Item, sehr grosse Bücher von gezeichneten Land Charten, de⸗
ren viel wegen ihres Alters, viel wegen Nettigkeit der Zeichnung wohl zu sehen sind.
Man zeiget als eine sonderliche denck-würdige Antiquität, was von der Begräbnuß Kö⸗
nigs Childerici gefunden worden. In dem Garten ist ein Bassein mit einem jet d’Eau,
wozu das Wasser in ein Reservoir durch einen Eymer-Zug aus der Tieffen geschöpf⸗
fet wird. Diesen Eymer⸗Zug treibet das Wasser um, welches aus diesem Bassin
wiederum in einen andern Eymer⸗Zug ablauffet, wie sie in Perraults Vitruvio gar
nette beschrieben ist. Es ist auch in eben dem Garten eine sehr grosse Sonnen-Uhr,
und oben darüber ein artig gemachter Wetter-Hahn, welcher auff einer Scheibe die
32 WindeNote: Die „32 Winde“ meinen die „32 nautischen Striche“ zur Bezeichnung der Windrichtung auf einer Kompassrose oder einem Schiffskompass. Ein nautischer Strich entspricht 11,25° des Vollwinkels von 360°. zeiget.
In eben diesem Hause hat auch die Academie des Sciences ihre Zimmer,Note: In seiner Ausgabe von 1698 verortet auch Brice die Académie des sciences im Gebäude der Bibliothèque royale (vgl. Brice 1698, Bd. I, S. 165); 1706 hingegen gibt er an, sie befände sich seit dem 29. Juni 1699 im Palais du Louvre (vgl. Brice 1706, Bd. I, S. 50). In jedem Fall scheint die Akademie zum Zeitpunkt von Sturms Aufenthalt in Paris im September 1699 bereits im Louvre untergebracht gewesen zu sein (Gauja 1949, S. 303, nennt April 1699 für ihren Ortswechsel). Es ist folglich zu vermuten, dass Sturm hier Brices Angaben von 1698 übernimmt, ohne die Räumlichkeiten selbst in Paris besucht zu haben. darin⸗
nen schöne Modelle und Instrumenta zu experimentis zu sehen. Von da an gehet man in
die Gasse des petits Champs, und findet gleich im Hineingehen lincker Hand in einem neuen
Hause
Das Cabinet de Beauchamp. Deß berühmten Tantz-Meisters, der die Art erfunden hat, die Täntze durch geschriebene
Characteren, weit und breit andern Tantz⸗Meistern in Brieffen zu communiciren. Dieses
Cabinet ist sehr reich an allerley Raritäten. Wann man sich aber lincker Hand wendet, und
gegen die Place des Conquêtes zugehet, findet sich
L’Hôtel de Lionne. Davon Brice fast nichts saget, Marot aber vier Kupffer
davon gestochen hat, woraus zu sehen, daß es ein groß und kostbahres Gebäude.
Wiederumb durch die Strasse Richelieu zurücke
Le Palais Mazarin. Welches auswendig eine nicht zum besten eingerichtete
Architectur hat, doch an dem Eingang in das Haupt-Gebäude mit zwey schönen Marmor⸗
nen Statuen gezieret ist. Die Zimmer sind sehr prächtig mit reich vergüldeten und herrlich
gemahlten Decken⸗Stücken. Ein Zimmer ist mit Silberwerck reich gezieret, welches doch
mehr wegen dessen geachtet wird, weil es Bernini inventiret hat, als wegen der obschon
grossen Kostbarkeit. In einer Gallerie sind treffliche Schränckgen oder Cabinet, und viel
andere rare Kostbarkeiten. Sehr viele kostbahre Statuen sihet man auch darinnen, unter denen
eine Sibylla mit einem Buch in der Hand, besonders hoch gehalten wird, und viel kostbahre
Bilder von Steinen ausgeleget. In einer andern Gallerie andere antique Statuen, viel
kostbare Uhren, silberne Bilder und Gefässe. Man zeiget auch sehr kostbare Pferde und
Maul⸗Esel-Geschirre. Summa, die Mänge und Kostbarkeit, so man da beysammen findet,
ist sehr groß. Gleich hernach folget
L’Hôtel Colbert. An dem aussen eine gar artig angegebene Pforte ist, worauff ein
Busto von dem König gesetzet ist, der von demjenigen abgeformet worden, den Bernini ge⸗
macht hat. Eine vortreffliche Bibliothec ist in diesem schönen Hôtel zu sehen, welche über
25000 Bände und viel rare Manuscript haben soll. Nicht weit davon ist
Das Hauß Colbert. Welches ohne unnütze Zierrathen doch sehr wohl gebauet ist,
die Treppe ist sonderlich wohl ordiniret, und schöne Perspectiven von Rousseau in dem Gar⸗
ten gemahlet. Weiter hin folget
L’Hôtel de Bullion. Darinnen sonderlich zwey wohl gemahlte Gallerien, die untere
von Blanchard, die obere von Voüet zu sehen. Eine Ecke davon
L’Hôtel Séguier. Welches sonderlich voll von Voüets Gemählden, sonderlich
ist eine schöne Capelle darinnen. Aber jetzo ist das vornehmste Merckwürdige daraus hinweg
gekommen, und wird itzo das Hauß zu der Versammlung der General-Pächter gebrauchet.
Place de Victoires. An diesem kleinen aber schönen Platz endiget sich die Gasse des petits gens, welchen
der Duc de la Fevillade gantz neu gestifftet hat, umb dem König eine Statue dahin zu setzen.
Er ist fast rund, hält im Diameter bey dritthalb hundert Fuß, und ist umb und umb mit
neuen Häusern von einerley Gestalt und Symmetrie, mit Ionischen Wand⸗Pfeilern gebauet,
über Bogen mit Bossagen, eben wie neulichst auch die Place des Conquêtes gebauet worden,
und stossen fünff Gassen darauff.Note: Es handelt sich um die folgenden: die Rue Neuve-des-Petits-Champs, Rue de la Vrillière, Rue des Fossés-Montmartre, Rue Croix-des-Petits-Champs und Rue Notre-Dame-des-Victoires. Mitten darauff stehet des Königs Statua, auff einem gros⸗
sen Postement von geäderten weissen Marmor, welcher auff einem Grund-Fuß von blau ech⸗
ten Marmor stehet. Der König ist in dem Königlichen Habit, welcher in dem Schatz zu St.
Denis auffgehoben wird, vorgestellet auff einen Cerberus trettend, mit dem Sieges⸗Bild,
welches ihn zu krönen hinter ihm auf einer Kugel stehet. An dem Postement sind vier Bassi
rilievi, und unten vier Sclaven von Metall auf dem Grund Fuß, daran noch zwey Bas reliefs
sind. Der vielen Inscriptionen zu geschweigen, welche man alle bey Brice,Note: Vgl. Brice 1698, Bd. I, S. 176-199. und auch in
der Historie du Roy par Medailles lesen kan, welche zu verdrießlich hieher zu setzen,
indeme sie mit allzustarcken Guasconnaden angefüllet sind, daß man sich wundern
muß, wie ein so kluger König sie hat leyden können, wann er anderst den Innhalt
genau erfahren hat. Auff vier Ecken des Platzes sind Kuppeln von drey Dorischen
Säulen auffgerichtet, daran wegen der Disposition der Erfinder sich hat am ersten
entschuldigen können, daß er keine drey Schlitze daran gesetzet. Zwischen den Säu⸗
len hängen an den drey Löwen⸗Köpffen, an jedem drey Medaillons von Devisen, wie⸗
wohl die wenigsten in der That daran zu finden sind, und oben stehet eine ver⸗
guldete Laterne darauff. Welches einem bel esprit Anlaß gegeben sich darüber zu mo-
quiren, daß man bey dem Apolline oder der Sonnen, wie sie den König überall
gebildet haben, Leuchten anzünden müsse. Zu Unterhaltung der Liechter in diese vier
Leuchten sollen Jährlich 333 Reichs Thaler gestifftet seyn.Note: Die vier Laternen waren 1685 von dem Herzog von La Feuillade in Auftrag gegeben worden; deren Ausschmückung mit Medaillons blieb jedoch unvollendet. Neben ihrer Eigenschaft als luxuriös-technisches Ausstattungselement, waren sie ein wichtiger Teil der Gesamtkonzeption und bildeten eine Einheit mit der Architektur. 1717 entschied der Sohn des Herzogs von La Feuillade, die notwendigen Zahlungen zur Unterhaltung der Laternen einzustellen, so dass sie 1718 abgebaut wurden. Vgl. Gaehtgens 2003, S. 29. Hinter diesem Platz lieget
L’Hôtel de la Vrilliere. Welches Gebäude eines der prächtigsten in Paris ist,
angegeben von Mansart. Die Pforte soll dieses Architects Meister⸗Stück seyn, welches
ich gar nicht sehen kan, wo es ihm sitzet. Ich habe es mit Fleiß abgezeichnet,Tab.
XXIV.Note: Sturms Angabe ist nicht korrekt. Die Abbildung, auf die er hier verweist, trägt tatsächlich die Nummer XXV.
was die Architectur betrifft, und nur oben darüber das Geländer, und die neben
demselben zwey sitzende Statuen des Martis und der Palladis weggelassen, damit die
Säulen desto grösser und deutlicher werden konten. Und zwar ist nur die eine Helff⸗
te dieselbige Pforte, wie sie im Werck ist, die ander Helffte zeiget wie sie hätte kön⸗
nen viel correcter und besser angegeben werden. Die Ursache, warumb das so ein
herrlich Meister⸗Stuck sey, gibt unser Brice aus dem Munde seiner Bau⸗Meister;
Weil Mansard gewust habe die Regularität der Dorischen Ordnung, ohnerachtet die
Säulen gekuppelt sind, welches man sonst als eine fast unmögliche Sache gehalten hätte.
Aber er hat nichts weniger gewust, als das zu leisten, sondern nur ein wenig besser
den Fehler zu verstecken, als er an der Kirche der minsten Brüder gethan, da die
Säulen⸗Füsse unten in einander lauffen, und, wie die Franzosen sagen, einander
fressen. Dann es kan niemand läugnen, daß die Regularität der Dorischen Ord⸗
nung folgende Stücke erfordert.
- Erstlich: Daß die drey Schlitze durchgehends an einem Gebäude gleiche
weit voneinander stehen. - Zweytens: Daß sie an der Höhe gegen der Breite sollen seyn wie drey gegen
zwey. - Drittens: Daß die Zwischen⸗Tieffe, das ist der ledige Platz, so zwischen
zwey Drey⸗Schlitzen bleibet, ein accurat Quadrat sey. - Vierdtens: Daß über die Mitte der Säule just die Mitte deß Drey⸗Schlitzes
zutreffe. - Fünfftens: Daß über den Fenstern Thüren und Bilder⸗Blindten, entweder
ein Drey⸗Schlitz, oder eine zwischen Tieffe mit der Mitte accurat zutreffe. - Sechstens: Daß das gantze Gebälcke just vier Modul, oder zwey Säulen⸗
Dicken hoch sey, endlich - Siebendens: Daß der Borten nicht niedriger seyn soll, als der Arcchitrav.
Mehr aber wird nicht erfordert: e. g. Daß der Drey⸗Schlitz gerade eine hal⸗
be Säulen⸗Dicke zur Breite haben müsse, kan man nicht die geringste Raison geben,
als die Authorität deß alten Vitruvii, die aber notorie niemand bindet. Aber die
sieben angeführete Ursachen sind unverwerfflich, welches zu beweisen hier zu weit⸗
läuffig fiele, auch von niemand vernünfftiges jemahl geläugnet worden.
Examiniren wir nun das prætendirte Meister⸗Stücke, so können folgen⸗
de Fehler nicht daran entschuldiget noch geläugnet werden:
- Erstlich: Sind die drey Schlitze über den beyden Säulen weiter voneinander
als die übrigen, folgends ist - Zweyens auch die Zwischen⸗Tieffe dazwischen nicht just quadrat.
- Drittens: Können an dem Band im Krantz keine Kälber⸗Zähne oder Zahn⸗
Schnitte ausgetheilet werden, weil - Vierdtens zwischen den Säulen⸗Weiten keine Proportion ist, denn die Kleine
hält sich gegen die Grosse wie 14 gegen 75. - Fünfftens: Stehet die Verkröpffung des Gebälckes biß unter den Krantz⸗
Leisten über dem einigen äussersten Wand⸗Pfeiler recht heßlich. - Sechstens ist es gar keine correcte Architectur, daß das grosse Stück Mauer,
an welcher der Wand⸗Pfeiler ist, mit der frey⸗stehenden Säule vorne gleich ist, hin⸗
gegen der Wand⸗Pfeiler ein wenig vor der Säule heraus rücket. - Siebendes sind die Säulen doch nicht recht kuppliret, weil sie unten gantz
solten zusammen stossen, dann dazu müste die Säulen⸗Weite 2 2/3 Modul haben, die
doch 2 4/5 hält.
Das lasse mir nun ein Meister⸗Stück von einem Gebäude seyn, das so klein ist,
und doch sieben Haupt⸗Fehler hat.
Hingegen wird an meiner Disposition nichts, nur mit dem geringsten Schein
der Wahrheit können getadelt werden, als das einige, daß die Platte oder das Band,
welches die drey Schlitze kröhnet, niedriger ist, als man es gemeiniglich machet. Al⸗
leine man kan nicht einmahl die Nothwendigkeit erweisen, daß ein Band über dem
Drey⸗Schlitz seyn müsse, will geschweigen eine gewisse Höhe desselben Bandes setzen.
Ubrigens hat meine Eintheilung alle sieben oben angeführte Requisita der Dorischen
Ordnung, und können noch dazu die Kälber⸗Zähne just daran ausgetheilet werden.
Die Mauren des Gebäudes sind gegen dem Hof nicht mit Pilastern gezieret,
wie Brice setzet, sondern also, wie es von Marot in Kupffer ist gezeichnet worden.
Die Zierrathen von Bildhauerey hat Francois Perrier gemacht, von deme auch Mars und
Minerva sind, welche, wie schon gemeldet, aussen auff dem Thorweg sitzen. Was die
Zimmer anbelanget, siehet man unter den herrlichen Meublen auch eine Tenture von Ta⸗
peten, welche auff eine sonderliche Weise die zwölff Monate vorstellen, wie auch Schilde⸗
reyen von den berühmtesten Meistern, als Albano, P. da Cortona, Paul Veronese, Pous-
sin, Guide, von welchem letzern sonderlich sehr schön sind ein David, und eine Entführung
der Helena. Die Gallerie ist sonderlich mit schönen Sachen angefüllet, und von oben ge⸗
gemeldten Francois Perrier in fresco gemahlet.
L’Hôtel de Soissons. Lieget in eben diesem Quartier, etwas weiter hin in der Rüe
de Four, welche in die Strasse St. Honoré ausgehet. Es ist nichts sonderliches daran als
seine Grösse, und der räumliche Garten. Bloß melde ich davon wegen einer grossen Säu⸗
le, welche in der Ecke eines Hofes stehet, und wie die Säule Trajani zu Rom gantz frey ste⸗
het, hundert Fuß hoch ist, und eine Treppe enthält, dadurch man auff einen kleinen Altan
steiget, so zu oberst darauff gebauet ist. Die Königin Catharina de Medices, welche den
gantzen Pallast hat bauen lassen, und davon eine Capelle zu hinterst in dem Garten an⸗
noch heisset die Capelle der Königin, soll mit einem Gelehrten selbiger Zeit, Abbt de St.
Germain genannt, die Sterne darauff observiret haben.
Die Kirche St. Eustache. Ist gleich an dem anderen Ende besagter Gasse ein grosses, aber durch Vermängung
der Gothischen und modernen Architectur, und deren plumpe Ausführung recht wunder⸗
liches Gebäude, darinnen auch sonst nicht viel zu sehen. Vorn an der Faciata sind vier gros⸗
se Pfeiler, an denen unten etliche Bilder⸗Blindten mit Statuen, und darüber gekup⸗
pelte Wand-Pfeiler stehen. Die Haupt⸗Thür sonderlich ist ungemein wunderlich
angegeben, und ist doch alles Anno 1521 gebauet, da man schon von guter Archite⸗
ctur gar wohl gewust. Doch verdiente das Grab⸗Mahl deß berühmten Staats-Ministers
Colbert alleine hinein zu gehen, und es zu besehen, an dem zwey der besten Bildhauer ihre
Kunst in die Wette erwiesen haben. Colbert ist knyend, und gleichsam aus einem Buche be⸗
tend vorgestellet, welches ihm ein Engel vorstellet. Daneben stehen zwey Tugenden, die Treue
und die Gottesfurcht,Note: Tatsächlich handelt es sich bei der von Sturm mit „Gottesfurcht“ benannten Figur um eine Allegorie des Überflusses. Vgl. Pérouse de Montclos 1994, S. 439. jene und die knyende Sta{t}ua hat Coycevox, diese und den Engel Tubi
gemacht.
Noch ein rares Gemählde von Michel Angelo Caravagio, einen St. SebastianNote: Sturm täuscht sich vermutlich im Hinblick auf den Künstler dieses Gemäldes. Wir kennen heute kein Werk Caravaggios, das das Martyrium des heiligen Sebastian darstellt. Wahrscheinlich übernimmt Sturm hier die Beschreibung von Germain Brice, der ebenfalls auf ein Gemälde mit dem heiligen Sebastian verweist (vgl. Brice 1698, Bd. I, S. 219). Indes findet sich dieser Verweis in der Edition von 1706 nicht mehr (vgl. Brice 1706, Bd. I, S. 281-288). vorstel⸗
lend, ist in einer der vier Capellen unter dem Creutz, wie auch die Cantzel sehens würdig ist.
Der Haupt⸗Alltar hat vier Corinthische Säulen von braun⸗rothen weiß⸗geäderten Marmor,Note: Glaubt man dem Kupferstich von Jean Marot, hatte der 1634 aufgestellte und nicht erhaltene Hauptaltar sechs korinthische Säulen und nicht vier, wie Sturm es beschreibt. Vgl. Marot o. D. / s. d. (b), Tf. 7; vgl. die Reproduktion auf dem Sammlungsportal der Pariser Museen.
und ein Gemählde von Voüet. Endlich sind auch neben der Hauptthür zwey al fresco gemahlte
Capellen, in deren einer die Tauffe und Beschneidung Christi von Mignard, in der andern der
Ehestand Adams mit Eva, und des Josephs mit Maria von de la Fosse, und an einem Pfeiler
des Schiffs eines Medici, Marin Cureau de la Chambre, Grab⸗Mahl auch von Tubi ge⸗
hauen, da die Unsterblichkeit sein Bildnuß en Medaillon hält, darunter aber ein weiß Marmor⸗
nes bas relief auff einem schwartzen Grunde, und auff einem Zettel diese Worte stehen:
Spes illorum immortalitate plena est.Note: „Die Hoffnung liegt ganz in ihrer Untersterblichkeit.“
Hinter dieser Kirchen sind in der Gasse de Cleri noch zwey Privat-Häusser, so man mit
besehen mag, eines de BertelotNote: Das Haus von Bertelot wird auch von Brice erwähnt: „La rue Montmartre passe derrière Saint-Eustache. Elle communique à la rue Montorgueil par le moyen de plusieurs rues, dont la principale est la rue de Cléri, où il y a plusieurs belles et riches maisons, la plupart occupées par des financiers. Celle de Bertelot se distingue des autres, qui est composée de plusieurs grands logements disposés autour de deux cours, qui se communiquent d’une manière assez singulière.“ Vgl. Brice 1698, Bd. I, S. 223. hat zwey Höfe, welche miteinander auff eine sonderliche Weise
communiciren, das andere de Roland, welches von dem berühmten Desargues angegeben,
viel artiges, und insonderheit eine auff einer gar wunderlichen Stelle ingenieus angebrach⸗
te Treppe hat.Note: Der Grundriss der Treppe findet sich bei Bosse 1664, Tf. XXXIX, Fig. 4. Zudem geben vier Druckgrafiken von Marot die Erscheinung dieses Hauses wider; vgl. Deutsch 2015, Cat. OG, n° 32. Le Petit Marot, entre 1656 et 1659, S. 441, Tf. [34-37]; vgl. die Reproduktionen auf Gallica.bnf.fr (fol. 28-30). Hiemit beschliesse ich dieses Quartier, welches de la Butte St. Roch genandt
wird, damit zugleich das erste Viertel der Stadt Paris, und auch zugleich diesen Brieff, deme
nächstens ein anderer, so GOtt Leben und Gesundheit verleyhet, folgen wird von
den 14. Octobr. 1717.
N.
XV.
DIe beyde Strassen St. Denis und St. Martin, zu denen uns die Ordnung unserer Tour
bringet, reichen von einem Ende der Stadt biß mitten in derselben an den Strohm,
und treffen auff Brücken und andere Gassen also zu, daß man fast gerade durch die
gantze Stadt von Mitternacht gegen Mittag gehen kan, als aus der Strasse St. Denis über
die Brücke au Change durch die Gassen de la Harpe und de l’Enter, noch gerader aber von
der Strasse St. Martin über die Brücke Nôtre dame, durch die Strasse St. Jacques. Die⸗
ses giebet einen gar guten Concept von der Lage aller andern Gassen, daß man sich leicht
finden kan, ohne sich zu verirren. Wir wollen in der Rüe St. Denis an dem Strohm anfan⸗
gen, und durch die Strasse St. Martin wieder nach dem Strohm zurücke kehren.
Von dem Grand Châtelet aber, welches ehemahls ein Schloß soll gewesen seyn, nun
aber ein Gefängnuß ist, von dem gegen über liegenden grossen Fleisch⸗Scharren,Note: Sturm erwähnt zwar das Schlachthaus, nicht aber die Église Saint-Jacques-de-la-Boucherie, die zu Beginn des 16. Jahrhunderts nach Entwürfen von Jehan de Felin erbaut worden war. Nur die Tour Saint-Jacques ist heute noch erhalten. Vgl. die Zeichnung der Kirche in Erlande-Brandenburg/Mérel-Brandenburg 1995, S. 401 (Abb. 476). von dem
Hospital St. Catharina, und der Kirche Sta. Opportuna sage ich nichts, weil da nichts zu
sehen, daß man nicht aller Orten kan zu sehen bekommen. In der Kirche des Sts Inno-
cents ist auch nichts zu sehen als ein Gemählde von le BrunNote: Sturm täuscht sich in seiner Zuschreibung. Das Gemälde ist nicht von Charles Le Brun, sondern von Michel Corneille dem Älteren. den Mord der unschuldigen
Kinder vorstellend an dem Altar, dabey ist der publique Kirchhoff oder Gotts⸗Acker der
Stadt Paris, der bey weiten an Schönheit dem Nürnbergischen nicht beykömmt.
Das berühmteste Grab⸗Mahl darinnen ist ein von Stein auff alt Gothische Manier gehaue⸗
nes mit etlichen Bildern und unverständlichen Characteren, darinnen die Goldmacher
meinen sollen Wunder von Geheimnussen zu finden.
Unweit davon stehet an einer Ecke der Brunnen des Innocents, welches ein gar ar⸗
tiges Stück der Bau⸗Kunst ist. Er ist nicht mit Corinthischer Ordnung, wie Brice
sagt, sondern mit Ionischer in Pilastern gezieret,Note: Sowohl der aktuelle Zustand der Fontaine als auch ein zeitgenössischer Kupferstich von Perelle geben Anlass zu der Annahme, dass Sturm sich in seiner Beschreibung täuscht und es sich durchaus um korinthische Pilaster handelt. Vgl. den Kupferstich in Perelle A./Perelle G./Perelle N. ca. 1680. wie ich sie in der XXIII. Tab. Fig. 3Note: Sturms Angabe ist nicht korrekt. Die Abbildung, auf die er hier verweist, trägt tatsächlich die Nummer XXIV.
entworffen habe. Er hat zwey Geschoß, dann unter dem abgezeichneten Stock⸗Werck
ist noch eines gantz schlecht ohne alle Oeffnungen mit Bossagen umbgeben. Die Statuen
der Nymphen zwischen den Arcaden sind nur en bas relief, aber gegen den Wand⸗Pfeilern
so proportionirlich erhoben, daß man es sonder Vergnügen nicht ansehen kan. Die in dem
Wasser schwimmende Nymphen unter den Arcaden sind auch gar schön, und ist die Corre-
ction und Varietät der Zeichnung an Fleisch und Gewändern, und der Fleiß der Ausarbei⸗
tung alles ausbündig gut. Jean Gougeon, der die Arbeit auch an dem alten Louvre ge⸗
macht, ist der Meister davon. Schad aber, daß die Nachlaßigkeit und Unreinlichkeit,
(welche alle Gebäude der Pariser über die massen verstellet, und ihre Schönheit
verringert, daß wann man aus Holland dahin kommt, man die kostbarsten Ge⸗
bäude kaum ansehen mag,) womit dieses rare Gebäude unterhalten wird, vor andern
sich gar sehr ausnimmt, daß man auch kleine Reparationes daran spahret, welche sonst
die Schönheit des Gebäudes noch viel Jahre erhalten könten, welches itzo schon 167 Jahr
stehet.Note: Die Fontaine des Innocents wurde 1549 anlässlich der Entrée solenelle von Heinrich II. fertiggestellt, zu der auch zahlreiche ephemere Konstruktionen errichtet wurden. Vgl. Massounie/Prévost-Marcilhacy/Rabreau 1995, S. 53. Sturm hat offenbar 1716 seine Reiseaufzeichnungen überarbeitet.
Hernach folgen die Kirche du Saint Sepulchre, welche nichts merckwürdiges als
ein von le Brün gemahltes Altar⸗Bild enthält. Ferner Saint Leu & St. Gilles, da das
Gemähld{e} an dem Altar, vorstellend das Abendmahl des HERRN, von Francois
Porbus ist. Es sind auch noch zu sehen, an der rechten Seite des Chors ein Grab⸗
Mahl de Charlotte de Besançon,Note: Sturm täuscht sich; es handelt sich um das Grabmal von Marie des Landes, Ehefrau von Chrétien de Lamoignon (1567-1636), das von François Girardon geschaffen wurde und in der Église Saint-Leu-Saint-Gilles in Paris stand. Vgl. Maral 2015, S. 469. welches Girardon angegeben; Und auff der lincken
Seite eine Capelle, welche artig durch eine kleine Kuppel erläuchtet wird, und mit
Gemählden angefüllet ist, worunter Christus mit den Jüngern zu Emaus also ge⸗
mahlet ist, als wann Er dem einen Jünger eine Hostia ins Maul steckte, wie man
es heut zu Tage bey dem Päpstischen und Lutherischen Abendmahl machet.Note: Mit dieser Bemerkung distanziert sich Sturm sowohl vom Katholizismus als auch von den Lutheranern. Er selbst war Anhänger der radikalen Pietisten. 1711 konvertierte Sturm schließlich zum Calvinismus, blieb aber dem Pietismus eng verbunden. Weiter
ist gar nichts meldens würdiges die gantze Gasse durch.
Das Stadt⸗Thor St. Denis ist eines von denen neuen, welche man zu Paris auff⸗
gebauet, und alle als Ehren⸗Pforten vor den König auff recht antique Manier angeleget,
welches die einige Wercke sind, so dem berühmten Blondel, dem Authori des Cours d’Ar-
chitectüre von Civil-Gebäuden anvertrauet worden. Er hat sie auch in selbiges Buch mit
einstechen lassenNote: Die Porte Saint-Denis wird in Blondels Werk sowohl auf dem Frontispiz als auch im vierten Teil, Buch XII, Kapitel II (das den Portes Saint-Antoine, Saint-Bernard und Saint-Denis gewidmet ist) abgebildet. Vgl. Blondel 1675-1683, S. 620 (Abb.). mit allen Inscriptionen, welche auch bey Brice guten theils zu finden sind.
Auff der Pforte St. Denis ist sonderlich viel Schnitzwerck von Anguier gar gut ausgearbeitet.
In der Strasse St.Martin finden wir noch weniger, dabey sich auffzuhalten wäre.
Sie hat auch eines von eben gemeldeten neuen Stadt⸗Thoren. In dem Kloster St. Mar-
tin des Champs ist ein Altar von vier Corinthischen Marmor⸗Säulen, den Mansard angege⸗
ben.Note: Der Altar wurde 1624 bis 1628 geschaffen und zählt damit zu den frühen Werken von François Mansart, nach der Fassade des Couvent des Feuillants und dem Schloss von Berny. Er wurde während der Französischen Revolution zerstört. Vgl. Babelon/Mignot 1998, S. 109-110. In der Kirche St. Nicolas des Champs ist gar nichts, man sey dann curieux der bey⸗
den gelehrten Männer Buddei und Gassendi Grab⸗Schrifften daselbsten zu lesen, welche man
auch in unsers Brice Beschreibung findet.
Wer ein Liebhaber von Emailliren oder anderen Glaß⸗Künsten, oder von Physica⸗
lischen und Mathematischen Instrumenten ist, so dadurch gemacht werden, findet in dieser
Strasse einen excellenten Künstler, (so er anderst noch lebet,) einen Engelländer Hu⸗
bin, gleich gegen der Rüe aux Oües. Das merckwürdigste ist in der Kirche St. Mederic ein Ge⸗
mählde à la Mosaica, welches einige von solcher Arbeit in Paris zu finden. Es wird aber
nicht sonderlich in acht genommen. Es sind darunter diese Worte geschrieben:
Opus Magistri Davidis Florentini Anno 1496.Note: „Werk des Florentiner Meisters David, im Jahr 1496.“ Es ist zu finden in einer Capelle rechter Hand bald bey dem Eingang.
Von dem Ende dieser Strasse gehen wir an dem Wasser hin nach dem Stadt⸗Hau⸗
se, welches auswendig mit einer von Gothischer und moderner Art vermischten Bau⸗Kunst
Corinthischer Ordnung gezierten Faciata versehen ist. Uber der Haupt⸗Thür stehen diese
Worte:
Sub Ludovico Magno fœlicitas urbis.Note: „Unter Ludwig dem Großen – Prosperität der Stadt.“
Henrici IV. Statua zu Pferd ist en bas relief über eben dieser Thür noch zimlich gut ge⸗
hauen von einem Discipel des Michaël Angelo, genandt Biard. Der Hof in dem Rath⸗
hause lieget, sehr hoch gegen dem äussern grossen Platz, und ist sehr klein, hat aber einen
Gang hinter Arcaden umbher, unter deren mittlern Bogen des Königs Statua in Lebens⸗
Grösse in antiquer Kleidung von weissen Marmor auff eben dergleichen PostementNote: Entgegen Sturms Aussage war die Statue von Ludwig XIV. nicht aus Marmor, sondern aus Bronze. von
Coyzevox gehauen stehet, woran der König sehr wohl getroffen ist. Die Säulen
neben diesem Bogen, wie auch der Schwibbogen, welche umbher von Stein, sind
von rothen Marmor, und sind einige wenige metallene und vergüldete Zierrathen
daneben. Auff dem Postement lieset man die Auffschrifft:
Ludovico Magno Victori perpetuo semper
pacifico.
Ecclesiæ & Regum dignitatis assertori.
Præfectus & ædiles.
1689.Note: Die Transkription der Inschrift ist unvollständig und müsste folgendermaßen ergänzt werden: AETERNUM HOC FIDEI /OBSEQUENTIAE, PIETATIS / ET MONIMENTUM POSUERUNT /Anno R.S.H M. DC. LXXXIX. Die vollständige Inschrift könnte übersetzt werden mit „Ludwig dem Großen, dem immerwährenden Sieger und Friedensstifter. Dem Beschützer der Kirche und der Würde der Könige. Der Stadtvogt und die Schöffen haben dieses Monument ihrer immerwährenden Treue, ihrer Willfährigkeit und ihrer Pflichtergebenheit errichtet, im Jahr der Gnade 1689.“ Vgl. Woolley 2012, Anm. 21.
Die Treppe von doppelten, und mit Tonnen⸗Gewölben gedeckten Armen, welche,
sonderlich an den andern Arm, mit Sculptur reich und sauber ausgehauen ist, passi-
ret gar wohl, und scheinet neuer als das übrige Gebäude zu seyn. Aber oben über
dem Austritt ist noch ein Gothisches Gewölbe, aber ein recht ausbündig Meister⸗
Stück, mit viel ga{n}tz frey⸗hangenden und unerhört zart ausgearbeiteten Schwib⸗
bögen.
Auff dem Borten um diesen Hof umher sind kurtze Auffschriften auff Marmornen
vier Ecken mit guldenen Buchstaben, welche die vornehmsten Begebenheiten von 1660 biß
1689 enthalten. In den Gemächern ist nichts zu sehen als eine zimliche Anzahl Gemählde,
und in einer Kammer neben dem Saal ein Tafelwerck, welches Gougeon ausgearbeitet.
Noch ist werth, daß man sich da zeigen lasse den Grund⸗Riß der Stadt Pa⸗
ris, welchen Blondel unter seiner Direction hat verfertigen lassen, dabey alle Stadt⸗
Thore, wie sie theils schon sind, theils noch werden sollen, gezeichnet sind. Denn
diesem ist die Direction der Wercke en general auffgetragen, welche der Stadt⸗Ma-
gistrat auffbauen lässet, zum besten und zur Zierde der Stadt, als Brücken, Futer⸗
mauren an dem Strohm, Brunnen, Verkleidung des Walles, u.s.w.
Hinter dem Rathause lieget stracks eine alte Kirche St. Jean, worinnen nichts zu
besehen als ein sehr hardies und künstliches Gewölbe unter der Orgel. Nicht weit dahinter
ist die Kirche St. Gervais, deren Faciata ein sonderbahr gutes Exempel der Architectur ist,
und ein Meister⸗Stück von le Brosse, der daran seinen grossen Geist gewiesen hat. Scha⸗
de aber daß sie nicht wohl gelegen, sondern die Helffte in ein klein enges Gäßigen hinein
lieget.
Es ist dieselbige aus den drey Griechischen Ordnungen, der Dorischen, Ionischen
und Corinthischen zusammen gesetzet. Die Dorischen stehen umb ein Drittheil in der Mauer,
die andern beyden Ordnungen aber kommen frey aus der Wand zu stehen, wie Brice sa⸗
get, dessen ich mich doch nicht erinnern kan von den Ionischen Säulen, wie es
auch in der That nicht wohl seyn kan. Es stehen auch die mittlere Dorische Säu⸗
len nicht in der Mauer, sondern wie es Marot gezeichnet hat in den dahinter gesetz
ten Wand⸗Pfeilern, welches eben nicht zu loben ist. So meinet doch Brice, daß
man nicht viel wider diese Faciata zu sagen habe, deren Meinung ich aber nicht
bin, dann man hat ferner dieses daran zu tadlen, daß die Dorischen Säulen kup⸗
pliret sind, aber nicht die rechte Austheilung an dem Borten haben, weil die Me-
tope über der Kupplirung nicht just gevierdt, sondern breiter als hoch ist. So ist
es auch nicht an den vollkommenen Proportionen gelegen, daß diese Faciata so gut
aussihet, sondern an der Simplicität, guten Combination und Grösse der Ord⸗
nungen, wozu die vielen fast frey⸗stehenden Säulen viel thun, welche ungemein
mehr zieren als die Wand⸗Pfeiler. Dann gute Proportiones können da nicht seyn,
wo die Säulen⸗Weiten nicht durcheinander just können dividiret werden, wie es sich
in der That an dieser Faciata verhält. Marot hat einen Riß davon gemacht, zu de⸗
me man sich aber nicht verlassen kan, weil er die Dorischen Säulen 18 die Ioni⸗
schen 20 Modul hoch gemacht, welches gar zu grosse Fehler wären, aber auch an
dem Werck sich in der That nicht befinden. Ich hätte gerne alle Maasse daran aufs
accurateste abgenommen, wann es mir wäre möglich gewesen, weil sie zu Paris
gar zu grosses Wunder daraus machen. Ich habe aber hiebey eine Zeichnung der⸗
selben Faciata nach dem Haupt⸗Werck beygeleget,Tab.
XXVII. aber die Proportiones nach mei⸗
nem Gutdüncken daran, doch also genommen, daß sie von den Maassen derselben
Faciata nicht weiter abgehen, als die Justesse der Proportionen mich genöthiget hat.
Und weil es nicht wohl möglich ist die Maasse und Proportiones in einen so kleinen
Riß so genau in acht zu nehmen, daß man sie mit dem Circul just nachmessen kan,
so habe ich die Haupt-Maasse dazu geschrieben. Daran dividiren sich nun die untern
Säulen⸗Weiten alle durch 2 2/3 Modul. Welches die wahrhaffte Kupplirung der er⸗
sten zwey Ordnungen, und also auch der Dorischen Ordnung ist, die Mittleren
durch drey Modul, welches die Kupplirung der letzten vier Ordnungen ist. Die
Oberste durch vier Modul. Und also kömmt auch die oberste Säulen⸗Weite in der
Mitte nicht zu groß heraus, sondern nur 16 Modul. Die Bögen sind alle just dop⸗
pelt so hoch als weit, welches auch die schönste Proportion vor sie ist. Summa,
ich hoffe die Herrn Bau⸗Meister zu Paris sollen mit Bestand nichts wider diese Aus⸗
theilung sagen können. Das Gebälcke der Dorischen Ordnung hat der Bau⸗Mei⸗
ster an St. Gervais auch auf eine gantz besondere Weise profiliret, sonderlich gleich über
den Drey⸗Schlitzen, darumb ich es auch gezeichnet habe. Tab. B. Fig. II. Ob nun
meines, so ich in meiner Officina Ornatus Architectonici Tab. XIV. deutlich gezeichnet
habe, nicht verdiene demselbigen vorgezogen zu werden, will ich Unpartheyische und
Verständige urtheilen lassen. Jedoch wann sich die Säulen⸗Weiten an St. Gervais
würcklich solten dividiren lassen, und gute Proportiones aben, so müste nothwen⸗
dig die unterste Reihe mit drey Moduln, die andere mit vier, und die dritte mit fünff
Moduln sich dividiren lassen; und also die mittlere Säulen⸗Weite unten 12 in der
Mitte 16 zu oberst 20 Modul seyn, und also beyde Obere über Gebühr groß. Aber
die Grösse der Drey⸗Schlitze, die daran sind, leyden diese Eintheilung nicht. Viel⸗
mehr schliesse ich, daß die Drey⸗Schlitze recht des Vitruvii Maasse haben, und also die
unterste mittlere Säulen⸗Weite 12 1/2 Modul halte, die kupplirten Säulen⸗Weiten
drey Modul, und also suchet man vergebens in dem gantzen Werck juste Proportiones.
Ich habe diese Critique ein wenig außführlich gemacht, daß mein Herr, wann es vorfiele,
desto nachdrücklicher mit den Franzosen disputiren könne. Innerhalb der Kirche, welche
sehr dunckel, ist nicht viel zu sehen. Sechs grosse SchildereyenNote: Es handelte sich hierbei um Tapisserien, deren Kartons bei Eustache Le Sueur 1652 beauftragt und die von Laurent Girard gewebt wurden. Sie wurden 1661 in der Église Saint-Gervais-Saint-Protais angebracht. Vgl. Mérot 1987, S. 301-306. hangen an beyden Seiten in
dem Nef: Welche man wohl mercket daß sie schön sind, aber mit Verdruß ansihet, weil
man nichts recht daran erkennen kan. Das Crucifix, so über der Thür deß Chors stehet,
und von Sarazin, einem der besten Bildhauer gemacht ist, wird sehr admiriret. Noch ein
schönes Grab⸗Mahl ist zu sehen, welches gantz von Marmor biß auff einige Zierrathen von
verguldeten Metall. Es ist des Cantzlers Mich. le Tellier, der auff einem schwartzen Sarg
halb liegend, vorgestellet ist. Dieses stehet unter einem Bogen, über dem ein Fronton lie⸗
get, welcher zwey Tugenden Träget. Unten neben dem Sarg stehen noch zwey Tugenden.
Vielleicht ist itzo auch die Capelle des Cantzlers Boucherat fertig, davon Brice so viel Gutes
verspricht.
Von dieser Kirche gehen wir in die Strasse St. Antoine, da uns rechter Hand auff⸗
stösset L’Hôtel de Bauvais, welcher eine schöne Faciata hat mit drey Balcons. Man findet
diesen Auffriß, wie auch zwey Grund⸗Risse in Kupffer von Marot. Die Treppe, so
mit frey-stehenden Säulen besetzet ist, hat eine wohl ausgesonnene Disposition. Die Zim⸗
mer haben nichts besonders, und sehen die gegen dem Hofe traurig aus, weil sie gar wenig
Aussicht haben, welches nicht des Architects Schuld, der diesen engen und ungemein
irregularen Platz in Wahrheit sehr ingenieus eingetheilet hat, daß wann man den
Grund⸗Riß zuvor besehen, und hernach Zeit hat das gantze Hauß wohl durchzuse⸗
hen, man mehr als kaum aus einem in der Architectur zur Bequemlichkeit lernen
kan. Die kleine Höfigen, und der Garte{n} auff einem Altan, sind recht artig practici-
ret, und ist dieses Gebäude solcher Gestalt recht kostbahr zubauen gewesen. Le Pau-
tre, der bekannt ist von den vielen Architectonischen Zierrathen-Büchern, so er inventi-
ret und gestochen hat, ist der Bau-Meister dazu gewesen.Note: Sturm verwechselt hier offenbar die Brüder Antoine und Jean Lepautre. Antoine Lepautre (1621-1679) war Architekt der königlichen Bauwerwaltung; er baute die Église de Port-Royal und für den Bruder des Königs, Philippe von Orléans, die Kaskade im Park des Schlosses von Saint-Cloud. Er hat zudem eine Sammlung architektonischer Entwürfe publiziert. Jean Lepautre (1618-1682) war zunächst Zimmermann bevor er sich zum Kupferstecher ausbildete; er publizierte mehrere Ornamentstichsammlungen. Vgl. Babelon 1991a, S. 264-265.
Von da gehet man etliche Schritte zurücke, und schläget sich lincker Hand in eine
Gasse gegen dem Wasser zu de Jovi genannt (in der Carte heisset sie des justs,) und fin⸗
det da L’Hôtel d’Aumont, der nach des Mansards Zeichnung gebauet ist, und deßwegen
hoch gehalten wird. Es sind schöne gemahlte Plafonds, sonderlich einer von le Brun,
und ein artiger Garte{n}daselbst. Von da an gehen wir an dem Wasser nach dem Arsenal
zu, da unterwegens uns auffstösset das
Closter der Cölestiner.
Deren Kirche auswendig gar elend anzusehen, aber innen doch die Mühe belohnet,
daß man hinein gegangen, doch kan man zuvor ihren kleinen Creutz⸗Gang durchgehen, wel⸗
cher gar sauber gewölbet, und mit Corinthischen Säulen umbgeben ist. Liebhaber können
daselbst deß berühmten Spanniers Antonii Perez Grab⸗Schrifft lesen. In der Kirche ist
der Haupt⸗Altar zwar zimlich schön, doch ist das einige recht sehens⸗würdige die Capelle
d’Orleans, welche voll merckwürdiger und sonderlicher Grab⸗Mahle ist, nemlich in der
Mitte ein alter Grab⸗Stein, worauff viel liegende Persohnen ausgehauen gantz altvätte⸗
risch, darunter zwey Herzoge von Orleans liegen, vor welche diese Capelle eigentlich ge⸗
bauet worden. Des einen Gemahlin, so auch dabey lieget, ist eine Princeßin von May⸗
land gewesen, durch welche Franckreich meinet das beste Recht zu dem Herzogthum May⸗
land zu haben, daher auch diese Vers an diesem Stein zu lesen:
Quæ mulier Ducis Insubrii pulcherrima proles,
Jus Mediolani (sceptraq́)sceptraque dote dedit.Note: „Die Frau, die die wunderschöne Tochter des Herzogs von Mailand ist, hat das Recht und die Herrschaft über Mailand als Mitgift gegeben.“ Sturm gibt die Inschrift nur im Auszug wieder. Vollständig wiedergegeben wird diese, allerdings ohne Übersetzung, in Lenoir 1803, S. 150-151.
Oben an diesem Grab⸗Stein, gegen dem Altar zu, stehen drey Gratien von Marmor auff
einem Piedestal als ein Drey⸗Fuß, welcher auff drey Löwen⸗Tatzen ruhet, welche eine ver⸗
verguldete metallene Urnam tragen. Ein vortrefflich Werck von Pilon. In diesem Mo-
nument soll das Hertz der Königin Catharina de Medices liegen, wie Brice saget. An
dem Postement stehen diese Vers:
Cor junctum amborum longum testatur amorem
Ante homines, junctus spiritus ante Deum.
Cor quondam Charitum sedem, cor summa secutum
Tres Charites summo vertice jure ferunt.
Hic Cor deposuit Regis Catharina Mariti.
Id cupiens proprio condere posse suo.Note: „Das vereinte Herz der beiden bezeugt eine lange währende Liebe vor den Menschen, der vereinte Geist [bezeugt diese Liebe] vor Gott. Das Herz, einst Sitz der Grazien, das Herz, das das Höchste verfolgte, tragen die drei Grazien zu Recht hoch auf ihrem Haupt. Hier hat Katharina das Herz des Königs, ihres Gemahls, niedergelegt, da sie wünschte, es verwahren zu können durch ihr eigenes [Herz].“
Daran gestehe gar gern, daß ich das erste Distichon nicht verstehe, das letzte aber
führet klar im Munde, nicht daß der Catharina Hertz da liege, sondern, daß sie
ihres Gemahls Hertz dahin geleget habe.
Zu Füssen an dem Orleanischen Grab⸗Stein ist eine Säule von weissen Marmor
auffgerichtet, daraus oben eine Flamme schläget, welches die Feuer⸗Säule der Israeliter
in der Wüsten anzeigen soll, welche König Franciscus II. zur Devise gehabt, mit dem Bey⸗
Wort: Lumen rectis. Neben dieser Säule stehen drey Liebigen, welche umbgekehrte
Facklen halten. Das Postement ist auch dreyeckigt, und fället wohl in die Augen, obschon
die Ordonnance bizarr und singular ist. Francisci II. Hertz soll in diesem Monument ruhen.
Wann man nach dem Altar zusihet, hat man die Mauer mit dem Fenster zur rechten
Hand, unter welchem ein Grab⸗Mahl ist, welches nichts besonders hat, und darunter
auch eine gewisse Prinzeßin von Mayland, der vorgemeldeten jüngeren Schwester lieget,
deren Nahme gewesen Bonne de Milan.Note: Sturm irrt sich vermutlich in der Identifizierung dieser Person, wie auch Germain Brice in seiner Ausgabe von 1697 (vgl. Brice 1697, Bd. I, S. 224). Valentina Visconti (1368-1408), Ehefrau von Louis de Valois, Herzog von Orléans (1372-1407), ist tatsächlich in der Kirche des Couvent des Célestins beigesetzt, hatte jedoch keine Schwester. Die einzige im selben Zeitraum bekannte Bonne de Milan (1385-1469) ist hingegen die Ehefrau von Guillaume de Montauban (1386-1432), aber keine bekannte Quelle erlaubt es, sie mit Valentina Visconti in Verbindung zu bringen, ebenso wenig wie ihre Beisetzung in der Kirche des Couvent des Célestins attestiert ist. Dabey stehen aber noch zwey Grab⸗Mahle,
welche besser zu sehen. Das eine ist vor Philippe Chabot, Admiral von Franckreich, das
andere vor Henri Chabot, Herzog von Rohan. Jenes hat ein Mahler und Bildhauer,
Nahmens Cousin, dieses, welches noch schöner ist, der öffters genandte Bildhauer An-
guier angegeben. Beyde sind gar künstlich und wohl gearbeitet.
Am besten fället des Herzogs de Longueville in die Augen, auch von Anguier, aber
dem Bruder des erstgemeldeten,Note: Sturm meint hier Michel Anguier, jedoch wurde das Grabmal tatsächlich von François Anguier realisiert. Vgl. den Eintrag zu den beiden Brüdern Anguier von Françoise de La Moureyre in Bluche 1990, S. 85f. welches eine Pyramide vorstellet,Note: Was Sturm mit einer „Pyramide“ umschreibt, war tatsächlich ein auf einem Piedestal aufgestellter Obelisk. Vgl. die Darstellung von Jean Marot im sogenannten „Grand Marot“ (Gallica.bnf.fr, fol. 160r; Deutsch 2015, S. 472 [179]). welche mit Sieges⸗
Zeichen behänget ist, und von vier Tugenden aus weissen Marmor begleitet wird. Auff
dem Postement sind zwey im Feur vergüldete Bassi relievi. An dem Eingang der Capelle
aus dem Schiff stehen noch zwey Grab⸗Mahle als Denck⸗Säulen geordnet. Eine vor Louis
de Cosse, Duc de Brissac & de Beau preau, ist von weissen Marmor mit Krohnen und
gezogenen Nahmen besetzet, mit einem Gebälcke, welches eine verguldete Urnam träget,
und mit ihrem Piedestal versehen, die andere ist schöner, auch von weissen Marmor, aber
gewunden, und mit Rancken umbwunden, Römischer Ordnung, worauff eine metalle⸗
ne Urne stehet. Sie stehet auff einem Piedestal von rothen Marmor, und stehen dabey
drey Tugenden von Metall. Es scheinet alles eines Arbeit von Pilon zu seyn. Andere Grab⸗
Mahle dieser Kirchen gehe mit Stillschweigen vorbey, ohnerachtet einige noch zimlich
gut sind.
Nahe bey dieser Kirche ist das hintere Portal des
A R S E N A L
Welches in viel Höfe eingetheilet ist, und auch einen grossen Garten hat, an dem Stadt⸗
wall gelegen. Aber was man hauptsächlich in einem Zeug⸗Hausse suchet, wird man in
diesem nicht finden. Der Grand Maitre d’Artillerie hat darinnen seine Wohnung dessen
Zimmer wohl verdienen besehen zu werden. So giesset man auch die Stücke nicht mehr
darinnen, sondern das Gieß⸗Hauß ist zugerichtet worden vor den König die metallene Sta⸗
tuen zu giessen. Auch findet man daselbst drey curieuse Cabinets zu besehen, als das Me⸗
daillen-Cabinet des berühmten Vaillants, deß du Vivier, welcher den Ruhm hat, daß er
sich sonderlich auff rare und kostbare Jubelen verstehe, und des Abbè d’Effiat, bey welchem
excellente Gemählde zu sehen. Wann man zu der andern Pforte hinaus gehet, hat man
gleich zur rechten Hand
La Bastille,
Dieses Gebäude ist ehmahls gleichsam die Citadelle zu Pariß gewesen, itzo aber gibt
es theils ein Zeug⸗Hauß, theils ein Gefängnuß vor die Staats⸗Gefangenen ab. Uber
der ersten Pforte ist das so genandte Magazin de Titan,Note: Sturm spricht vom „Magazin de Titan“, während Brice denselben Ort mit „magasin de Titon“ bezeichnet (Brice 1706, Bd. I, S. 423). Gemeint ist das Magasin royal des Armes de Paris, appelé vulgairement de la Bastille, wo die Waffen der königlichen Artillerie aufbewahrt wurden. Der Verweis auf „Titon“ erklärt sich vermutlich über den seit 1665 dort wirkenden Direktor Maximilien Titon (1632-1711). Vgl. Babelon 1970, S. 283f. (Abb. 7). wo man eine sehr grosse Mänge von
klein Gewehr auff eine sonderlich schöne Art disponiret findet, daß es wohl der Mühe werth
zu besehen. Man siehet da auch in Schräncken allerley Modelle von groben Ge⸗
schütz, und allerhand Mathematische Instrumenta, so zu der Artollerie dienen. Hel⸗
me, Curasse, und Halß⸗Kragen vor Officier sind in grosser Anzahl und angeneh⸗
mer Ordnung an die sehr dicken Balcken, so über dem Saal herliegen, auffge⸗
hänget.
Gleich neben diesem massiven Gebäude lieget das Stadt⸗Thor St. Antonie, wel⸗
ches das dritte ist, so bereits durch Blondel neu angeleget, und als eine Ehren⸗Pforte an⸗
geleget worden. Die alte Pforte war schon als eine Ehren⸗Pforte gebauet worden, dar⸗
durch Henry II. einen Einzug gehalten. Aber Blondel hat daran neben der Pforte selbst
nur innwendig gegen die Stadt zu einem künstlichen Bogen von gehauenen Steinen, wel⸗
cher über der Pforte stehet, nebst etlichen wenigen andern Kleinigkeiten, aussen aber ein
Paar in bas relief von dem berühmten Gougeon gehauene Bilder von Flüssen stehen lassen,
und das andere besser ausgezieret, auch daneben an jeder Seite noch eine eben so grosse Pfor⸗
te durch gebrochen, daß itzo das gantze Werck eine gar prächtige Ehren⸗Pforte von drey
Oeffnungen nach anticher Manier vorstellet. Er hat das Gebälcke Dorisch gemacht, aber,
obschon Brice anderst saget, die Regularität an dem Gebälcke nicht durchgehends
erhalten, massen ja aussen die fünffte Zwischen⸗Tieffe an jeder Seite von den äus⸗
sersten Ecken gegen die Mitte zu zehlen, viel schmahler als hoch sind, und hätte
doch auch dieser Fehler leicht können vermieden werden. So ist es eben auch nicht
nach der Regularität der Dorischen Ordnung, daß zu äusserst an der Ecke eine völlig
gevierdte Zwischen⸗Tieffe gemachet wird, wie an eben diesem Werck geschehen
ist.
Also sihet man, wie höchst⸗begierig die französischen Bau⸗Meister alle
gewesen, die Perfection der Dorischen Ordnung zu erhalten, aber vergebens. Aber
da ich schon vor vielen Jahren solche Vollkommenheit gezeiget habe, und niemand
ein vernünfftiges Wort dawider zu sagen vermag, da schweigen alle Bau⸗Meister
stille, wollen es doch nicht zu Danck annehmen, müssen aber doch leyden, daß
ich ihnen ihre Fehler und Unwissenheit schon so viel Jahre publicè Scheu
vorrücke. Von dem Fronton über der Mitte berichtet, wie mich duncket, Brice
auch unrecht, als wann darauff an einer Seite Apollo, an der andern Ceres lä⸗
ge. Mir ist es vorgekommen, als wäre an einer Seite der Uberfluß, an der an⸗
dern die Magnificenz gelegen, und in der Mitte des Königs Bildnuß in dem Ha⸗
bit des Apollo gestanden. Aussen vor diesem Thor ist noch ein artig runder Platz
gemachet, darauff zwey grosse Statuen, welche auff Sieges⸗Zeichen sitzen gestellet
worden.
In der Vor⸗Stadt ist nun vornehmlich die Glaß⸗ und Spiegel⸗ Manufa-
ctur zu sehen, welche in der Principal – Strasse an der rechten Hand lieget. Wei⸗
ter hinaus sind unterschiedliche Nonnen⸗Klöster, darunter die Abthey St. Antonii,
wovon die Vor⸗Stadt, das Thor, und das davor innen gelegene Quartier der StadtNote: Sturm unterscheidet zwischen dem Faubourg und dem Quartier Saint-Antoine. Während der Faubourg jenseits der Porte Saint-Antoine und der Bastille außerhalb der Stadtmauer liegt, bezeichnet das Quartier vermutlich die Gegend um die heutige Rue Saint-Antoine innerhalb der Stadt.
seinen Nahmen hat. Weil Brice selbst nicht viel davon saget, habe ich nicht hinein
gehen mögen sie zu besehen, sondern gieng nur mit grosser Begierde nach der Ehren⸗
Pforte, verwunderte mich aber nicht wenig, als ich sie nur von Gibs geformet als
ein Modell, doch in ihrer rechten Grösse da stehen sahe, da sie auch völlig und
perfect sauber, als sie in dem beständigen Werck werden solte, ausgearbeitet ist,
wie sie werden soll, wiewohl schon sehr viel davon abgefallen, welches so viel⸗
mehr zu bedauern, weil es scheinet, daß aus dem beständigen Werck nimmermehr
etwas werden dürffte. Dann itzo stehet noch nicht mehr davon, als der Piedestal,
und zwar nur grob êbauchiret, aber von trefflich grossen und schönen Sand⸗Stei⸗
nen, darunter zweiffels ohne auch der Grund schon lieget, und sind diese Steine trefflich ge⸗
fuget.
Man kan diese Invention wegen herrlicher und Majestätischer Ordonantz
und Correction der Architectur nicht genug in dem ob schon sehr zerlästerten Mo-
dell ansehen, und kan man doch zu Paris nicht läugnen, daß sie von Perrault an⸗
gegeben sey. Wer aber diese Ordonantz gesehen hat, hernach die übrigen Gebäu⸗
de der Stadt besiehet, und endlich zum Louvre kömmt, und dasige Haupt⸗En-
tree ansiehet, wird alsobald sagen, daß dessen Bau⸗Meister eben der seyn müsse,
der die Ehren⸗Pforte angegeben.
Von dieser Ehren⸗Pforte gehet eine Allee gerade hinaus nach dem alten König⸗
lichen Lust⸗Schloß Vincennes, da ich aber nicht gewesen bin, sondern mich wiederumb
durch die Pforte St. Antonie zurücke, und nach Hause zur Ruhe begeben habe. Und
eben so nöthiget mich die Müdigkeit auch gegenwärtigen Brieff zu schliessen, deme doch
verhoffentlich nächstens ein anderer folgen soll, zu erweisen, daß ich ohnaußgesetzt und mit
Freuden bin
den 5. Octobr. 1716.
N.
XVI.
ICh begebe mich nun wieder nach der Pforte St. Antoine, wovon ich letztens auf eine
kurtze Ruhe entwichen bin, und hoffe in diesem Schreiben ein grosse Tour durch al⸗
les übrige zu machen, was disseits des Flusses zu Paris zu sehen ist. Gleich bey
dem Eintritt in die Stadt bekomme weiter zur lincken Hand L’Hötel de Lesdiguieres zu
sehen, welches ein sehr schön, und in den Zimmern herlich geziertes Gebäude ist, dem auch
der Garten wohl zusaget, daß alles gantz zusammen sehr wohl accordiret. Gleich dane⸗
ben liget die Kirche de la Visitation de Ste MARIE.
Aus deren aussern Gestalt die Frantzosen ein rechtes Wunder machen, und in der
That muß ich gestehen, daß etwas gar anmuthiges daran ist. Man findet sie von
Marot in Kupffer gestochen, doch da man solches Kupffer ohne dem nicht
wohl bekommen kan, habe ich sie mit einer gar geringen Veränderung
hier entworffen,Tab.
XXVI.
fig.1. wie man sie könte zu einer kleinen Protestirenden Kirche
gebrauchen.Note: Bezüglich dieses Vorschlags siehe vor allem auch Tab. XXVIII, fig. 2. Die Thüre stehet unter einem grossen Bogen 15 Stuffen von der Strasse
erhoben, und ist mit zwey Corinthischen Säulen gezieret, welche nur an dem dritten Theile
der Höhe des Stammes ihre völlige Dicke haben, von da aber so wohl unterwarts als
oberwarts verdünnet sind, welches eben vor keinen Fehler wider die Arc{h}itectur zu halten,
obschon auch vor keine Schönheit, wie es dann an diesen Säulen keinen Mißstand erwe⸗
cket. Die gantze Kirche ist nichts als eine Kuppel, die eine recht angenehme Höhe hat,
und ruhet auf vier Bogen, welche aussenwarts mit vier kleinen Risaliten verschlossen sind.
Durch die vorderste gehet die Thüre, in der hintersten stehet der Haupt⸗Altar. Uber die⸗
sen beyden hat man ein fallend Licht gar artig zuwegen gebracht. Die übrige beyde die⸗
nen zu Capellen. An jeden Pfeiler zwischen den Bogen stehen zwey Corinthische Wand⸗
Pfeiler, auf welchen das Gebülcke in eines rund um die Kirche lauffet. Ich habe eben
auch den Grund⸗Riß auf einer kleinen Lutherischen Kirche appliciret hiebey
entworffen.Tab.
XXVIII.
fig. 2. Der ältere Mansart hat selbige Kirche angegeben.Note: Sturm spricht von der Église de la Visitation Sainte-Marie von François Mansart und seinem Vorschlag, sie für den Gebrauch im lutherischen Kult anzupassen, cf. Tab. XXVIII, fig. 2. Derselbigen schrägs
gegen über lieget.
L’Hôtel de Sully, daran die Haupt⸗Thüre mit zwey Dorischen Säulen begleitet
ist, und einen Altan über sich hat, so auch noch vor ein sehens⸗würdiges Hauß paßiren kan.
Wann wir weiter in der Antoni-Strasse fortgehen, findet sich
Das grosse Jesuiter⸗Collegium. Deren Kirche die reichste an Zierrathen, welche aber mit dem besten Verstande nicht
angebracht worden, sie hat auch drey Reyhen Säulen über einander, unten und in der
Mitte beyde Corinthisch, welches sonst wenig gefunden wird, und würcklich der
Architectur zuwider ist, denn wie die Geschoß immer subtiler werden sollen,
je höher sie über einander liegen, so sollen sich auch die Ordnungen dar⸗
nach schicken, die um dieser Ursache wegen vornemlich in solcher Proportion
sind außgesonnen worden. Die oberste Reyhe ist Römisch. Weil sie sich aber
nicht behörig über einander verjungen, und alle noch darzu Säulen⸗Stüh⸗
le haben, so siehet alles gar plump auß. Es hat indessen solche Verjungung
bey dieser Anordnung um deßwegen nicht geschehen können, weil die mitt⸗
lere Säulen⸗Weite zu unterst in völliger gemeinen Proportion eine Arcade
formiret, und folgends schon wenigstens 14 Mod. groß seyn muß, und also
die in der mittlern Reyhe schon wenigstens 18 die oberste biß 24 Mod. hät⸗
te groß werden müssen. Zwischen den Säulen ist eine grosse Menge Schnitzwerck,Note: Dieser skulpturale Schmuck umfasst unter anderem Fruchtgirlanden zwischen den Kapitellen, Blumen und Palmen auf dem Fries des Gebälks, Engelsköpfe, Monogramme, etc.
welches an sich schon Fehlers genug wäre, aber es noch mehr ist, weil es sehr verworren,
übel gearbeitet, und vom grossen Staub gräulich besudelt ist. Da ferner die
Natur und Vernunfft erfordert, daß die Kirche innen gezierter sey, als aussen, und wenn
sie eine Kuppel hat, an derselben am allergeziertesten, ist es hier gerade das WiderspielNote: Sturms strenge Wertung überrascht angesichts der Gestaltung dieser Kuppel, die sich 55 Meter über den Boden erhebt. Sie ist mit skulptierten Medaillons auf den Pendentifs und Malereien in Grisaille zwischen den oberen Fenstern geschmückt. François Derand, der die Arbeiten ab 1629 leitete, war auf den Bau von Kuppeln spezialisiert und publizierte ein Traktat zu diesem Thema, vgl. L’architecture des voûtes ou l’art des traits et coupes des voûtes : traité très utile, voire nécessaire à tous architectes, Paris, S. Cramoisy, 1643 (siehe Gallica.bnf.fr).:
Das Licht ist auch so vortheilhafft nicht in diese Kirche gebracht, als wohl hätte geschehen
können. Das Schiff und die Kuppel sind gegen der Länge und Breite der Kirchen zu enge.
Der AltarNote: Der Hauptaltar ist durch einen Kupferstich von Edme Moreau bekannt (1643). Vgl. Maître-autel de l’église de la maison professe des Jésuites, Paris, Bibliothèque nationale de France, Estampes et photographie, Va 248b, H 30323. hat zwey Reyhen Corinthische Säulen, und über den mittlern Säulen ist
noch eine Attique mit viel Statuen so nicht von allzuguten Meistern. Das Altar⸗Blat
stellet eine Assumtionem Mariæ vor.Note: Sturm nennt als Bildthema eine Himmelfahrt Mariens, obwohl es sich tatsächlich um eine Darstellung der Erhebung Ludwigs des Heiligen zu Gott handelt. Die Verwechslung war in der Zeit nicht ungewöhnlich, da Vouet - inspiriert durch eine Auferstehung von Carracci - der Figur des Ludwigs des Heiligen effeminierte Züge verliehen hatte. Vgl. Sauval 1724, Bd. 1, S. 464; Montgolfier/Willesme 1985, S. 34. Der Altar⸗Tisch ist nicht erhaben genug. Alle
Capellen sind mit marmornen Säulen, und mit Gemählden von den Heiligen, so daselbst
verehret werden, gezieret.
Lincker Hand neben dem Haupt⸗Altar ist das Hertz Königs Ludwig des XIII.
beygesetzet, welches in einem vergulten Hertzen von zwey silbernen Engeln unter einer sil⸗
bernen und verguldeten Krohne in die Höhe gehalten wird. Dieses Monument stehet un⸗
ter einer Arcade, deren Neben⸗Pfeiler mit Bassi relievi von Marmor gezieret sind, von vor⸗
trefflicher Arbeit, hinter den Engeln ist in weissen Marmor ein Fürhang außgehauen, der
von Englichen getragen wird, und darauf Inscriptiones stehen, die eine lautet also:
Augustissimum Ludovici XIII. Justi Regis Basilicæ hujus Fundatoris Magnifici
Cor Angelorum hîc in manibus, in Cœlo in manu Dei.Note: „Das Herz des großen Königs Ludwig XIII. des Gerechten, Gründer dieser Kirche, ist hier in den Händen der Engel, im Himmel in der Hand Gottes.“
Der andern gegen über:
Serenissima Anna Austriaca, Ludovici XIV. Regis Mater & Regina Regens
Prædilecti Conjugis sui. Cordi Regio Amoris hoc monumentum
P. An. Sal. 1643.Note: „Die allerdurchlauchtigste Anna von Österreich, Mutter des Königs Ludwig XIV. und Regentin, hat dieses Monument errichtet, aus Liebe zum königlichen Herzen ihres geliebten Gemahls, im Jahre des Herrn 1643.“
Sarrazin einer der besten Bildhauer hat die Zeichnung dazu gegeben.
Neben diesem ist bey der Kuppel noch ein prächtiges Monument von Henry de
Bourbon Prince de Condé aufgerichtet, dessen Hertz hie{r} beygesetzet worden. Es bestehet in
vier metallenen auf Postementen sitzenden Tugenden, woran auch metallene Bas reliefs
stehen, wobey ein marmorsteinernes Geländer, so die Capelle umgiebet.Note: Es handelt sich um die Chapelle Saint-Ignace. Neben dem Ein⸗
gang stehen zwey auch metallene Liebgen, deren eines einen Schild mit dem Wappen, das
andere folgende Auffschrifft auf einer Taffel hält:
Henrico Borbonio Condæo, primo Regii sanguinis Principi, cujus Cor hic
conditum, Johannes Perrault, in suprema Regiarum rationum curia
Præses, Principi olim à secretis, quærens de publica privataque jactura
parcius dolere, posuit Ao. 1663.Note: „Heinrich von Bourbon, [Prinz von] Condé, dem ersten Fürsten von königlichem Geblüt, dessen Herz hier verwahrt [ist], hat Jean Perrault, Präsident des obersten Rechnungshofs [und] einst des Fürsten Sekretär, sich bemüht, weniger zu trauern über den öffentlichen und privaten Verlust und hat [dieses Monument] errichtet im Jahr 1663.“
Auch dieses Monument hat Sarazin angegeben. An statt eines Gemähldes ist ein me⸗
tallenes Crucifix mit S. Ignatio auf den Knien, auf einen schwartz marmornen Grund in
Bas relief gesetzet. Darüber sitzen auf einem Fronton zwey metallene Engel, welche eine
verguldete Sonne mit dem JEsus Nahmen halten, auf zwey Acroteriis stehen daneben
noch zwey metallene Urnen. Weiter ist in diesem Collegio nichts zu sehen, ohne etwa
die Bibliothec. Von da an gehen wir gerad gegen über in die St. Catharinen⸗Gasse,
von der Kirche, welche darinnen lieget, also benahmet. Die Thüre dieser Kirche ist wohl
besehens werth, nicht nur insgemein wegen ihrer feinen Ordonnance, da sie von zwey
Corinthischen Pfeilern, und neben ihnen beyderseits mit zwey Wand⸗Pfeilern bekleidet ist,
welche zwischen sich Statuen, und darüber Bas reliefs haben, sondern auch wegen einer
sonderbahren Ordonnance, weil in dem Corinthischen Gebülve drey Schlitze stehen, wel⸗
ches die ungelehrten Frantzösischen Baumeister vor einen Fehler halten, Brice aber doch
defendiret, wiewohl fälschlich aus der Autorität der Parallele des Chambray, da
vielmehr nach des Villalpandi Gründen es von dem Tempel SalomonsNote: Das erste von Sturm publizierte Werk war dem Salomonischen Tempel gewidmet. Vgl. Sciagraphia templi Hierosolymitani, Leipzig, J. W. Krügerii, 1694. her⸗
zuführen ist. Diese Pforte hat ein Münch Pater Creil angegeben.
Innen in der Kirche ist nichts zu sehen, als ein Grabmahl von Germ. Pilon in ei⸗
ner Capelle zur rechten Hand im hineingehen, da ein Cantzler, der Cardinal René de Bi-
ragné by seiner Frauen begraben lieget.
Brice saget, er habe in seinem Amt vortreffliche Reputation erworben wegen Bil⸗
lichkeit und Moderation, und ordentlich sey er genennet worden: Cardinal ohne Titul,
Priester ohne Pfründen, Cantzler ohne Siegel, wozu noch einige gethan hätten, Richter
ohne Jurisdiction, Magistrat ohne Ansehen. Welches sehr gezwungen muß auß⸗
geleget werden, wenn es zu Ehren gereichen soll, da es im gemeinsten Ver⸗
stand vielmehr schimpfflich lautet. Von da finden wir
L’Hôtel Carnevalet. Welchen Mansard angegeben, aber doch die Pforte des
alten Gebäudes behalten hat, weil sie von Gougeon gemachet worden, und gar schön ist,
aber noch ein Geschoß darüber gebauet hat. Man hat davon ein Kupffer von
Marot. Im Hofe sind die Pfeiler zwischen den Fenstern mit grossen halb erhabenen Fi⸗
guren außgezieret,Note: An der Fassade des Corps de logis findet sich eine Repräsentation der vier Jahreszeiten, ausgeführt vermutlich von Jean Goujon. Etwa ein Jahrhundert später wurden an den beiden Seitenfassaden weitere Flachreliefs von Gérard van Opstal ausgeführt: die vier Elemente an der Südfassade und la Chasse, le Plaisir, la Volupté, l’Abondance und la Libéralité an der Nordfassade. Vgl. Montgolfier 1992, S. 182 (Abb. 158), 183, 189 (Abb. 162) und 190. auch über den Fenstern Masquen geschnitzet, alles von trefflicher Zeich⸗
nung und auch Gougeons Hand, außgenommen eine gantze Seite, die zwar eben der
Art Bilderwerck, aber gar elend gezeichnet, hat. Es haben die drey vornehmsten Fran⸗
tzösischen Baumeister nach einander die Hand an diesem Hôtel gehabt. Erst Gougeon,
hernach Androüet de Cercean, und Francois Mansart. Nach ihnen hat niemand mehr
daran gearbeitet, ob es schon noch nicht gantz vollendet ist. Nicht weit davon ist ein
grosses Hauß, worinnen Chrêtien Francois de Lamoignon logiret, und welches vor
diesem l’Hôtel Angouleme geheissen hat. Woran zu repariren angefangen worden, und
welches itzo schon in gutem Stand seyn mag. In diesem Hause ist eine stattliche Biblio-
thec zu sehen. Zu Ende dieser Gasse ist ein Hauß, welches sich ein Baumeister De l’Isle
genannt selbst mit Anwendung aller seiner Kunst selbst aufgebauet hat. Gleich gegen über
ist das Hauß des Herrn Pelletier, welches ohnerachtet es gar simpel gebauet ist,
der Menge der Zierrathen nicht bestehet. Von da führet uns eine andere Gasse gerade
nach dem
Place Royale. Welcher Platz vor dem der Garten zu dem Palais des Tournelles gewesen, als die
Könige noch daselbst logiret haben. Er ist recht geviert mit 36 Häusern von einerley Ge⸗
stalt und Symmetrie umgeben, darunter man verdeckt in einem Lauben, wiewohl von ei⸗
nem sehr niedrigen Bogen gantz umher gehen kan. In der Mitte ist ein grosser Rasen⸗
Platz durch ein eisern Geländer abgesondert, auf welchem in der Mitte König Ludewig
des XIII. Statua zu Pferde stehet, auf einem grossen Postement von weissem Marmor,
dar auf der vordersten und hintersten Fläche Lateinische Inscriptiones, auf einer Seite aber
ein Lateinisches, auf der andern ein Frantzösisches Carmen stehet.
Die vornehmsten Häuser so auf diesem Platz stehen; und darinnen etwas zu sehen,
sind L’Hôtel de Richelieu, darinnen treffliche Gemählde, La Maison du Marquis d’
Angeau, darinnen am Ende des Gartens ein artiger Pavillion zu sehen, auch alles übri⸗
ge gar sauber ist. L’Hôtel de Chaunes, welcher auch rare Gemählde hat. Es gehet ei⸗
ne gerade Gasse mitten durch den Platz recht auf die Kirche der Minsten⸗Brüder hin, da⸗
her es zu bedauren, daß nicht ein paar Häuser so davor stehen, und unter denen man nur
durch niedrige Bogen hingehet, schon lange sind abgeworffen worden, wodurch dieser schö⸗
ne Platz würde weit herrlicher werden. Dieses
Kloster der Minsten⸗Brüder Hat eine ziemlich sauber und helle Kirche, deren vordere faciata ein vortreffliches Stück
der Architectur seyn würde, wenn es wäre so außgeführet worden, als die erste Absicht
war, und als sie Marot hat in Kupffer gebracht, welcher ohne Zweiffel das⸗
selbige nach Mansards eigenem Riß gemachet hat. Die untere ist Dorisch mit
gekuppelten Säulen, und Wand-Pfeilern, daran, wo sie verdünnet sind, nur die Säu⸗
len-Füsse, an den Seiten aber, wo unverdünnete Pfeiler gebrauchet worden, auch die Ca⸗
pitäle in einander lauffen, oder einander fressen. So sind auch keine Dielen-Köpffe in
dem Krantz wie sie Marot angezeiget hat. An dem obern Stock stehen nur vier Corin⸗
thische Säulen an außgeschweisseten Ecken wie dieser Grund-Riß anzeiget.TAB. B.
fig. 12.
Ich habe sonst diese Disposition nirgend gesehen, ohne zu Rotterdamm, da
sie einen bessern Effect thut als an dieser Kirche, welche also in allen Stü⸗
cken demjenigen desto schlechter ins Gesicht fället, der aus dem Kupffer
des Marots eine prächtige Idee mit dahin gebracht hat. Innen ist der Haupt⸗
Altar gar fein ordiniret mit sechs Corinthischen Säulen von schwartzem Marmor, welche
canneliret und sehr gut gearbeitet. Daran eine Abnehmung vom Creutz gemahlet ist.
Daneben stehen noch zwey weiß marmorne Statuen der heiligen Jungfrau und des
Stiffters ihres Ordens Franciscus de Paula. Die Empor⸗Kirchen sind nicht gantz
frey offen wie sonst, und nur mit einem blossen Geländer vorgezogen, son⸗
dern gantz zugemauret, und nur mit einigen Oeffnungen und mit davor
gelegten Balcons gegen dem Schiff zu eröffnet. Etliche Capellen sind auch nicht
zu verachten, als erstlich die Capelle ihres Stiffters Francisci de Paula, darinnen unter
andern ein hochgeschätztes Gemählde von Voüet. In der Capelle des Hertzogs de la
Vieu Ville, welche reich von Marmor, siehet man unterschiedene Grabmahle.
In der Bibliothec dieser Mönche, welche an sich nicht gar zahlreich, aber außerle⸗
sen ist, zeiget man auch optische Inventiones von dem Pater Niceron der den Taumatur-
gum Opticum geschrieben hat. Unter andern hat er in einem Gange an den Zellen Jo-
hannem und Magdalenam in solcher Länge außgedähnet mahlen lassen, daß man nicht
erkennen kan, was es ist, ohne wenn man sie aus einem gewissen Punct ansiehet, da sie
schön und deutlich in die Augen fallen.Note: Sturm beschreibt die gemalten Anamorphosen in der oberen Galerie des Klosters, die Saint Jean l’évangéliste rédigeant l’Apocalypse dans l’île de Patmos und Sainte Marie-Madeleine à la Sainte-Baume darstellten. Vgl. Babelon 1987a, S. 96. Von diesem Kloster begeben wir uns nach der
Strasse St. Louis, welche die breiteste in der gantzen Stadt und voll schöner Häuer ist.
Es ist darinnen auch ein Nonnen⸗Kloster du St. Sacrement, davon aber nicht nö⸗
thig etwas zu melden. Des Cantzler Bouchera Hôtel folget bald hiernach, welcher es
hat herrlich außbauen lassen, daß ein grosser Fürst bequem darinn logiren kan. Der Gar⸗
ten dabey ist groß und schön. Am End derselbigenNote: Auf einem Terrain zwischen der aktuellen Rue du Pont-aux-Choux und der Rue des Filles-du-Calvaire. ist das
Kloster der Nonnen du Calvaire. Welche eine gar saubere Kirche haben, doch ohne etwas sonderbahres zeigen zu können.
Zu beyden Seiten des Haupt⸗Altars sind zwey Capellen so mit weiß, gelb und roth ge⸗
sprengetem Marmor an Corinthischen Säulen außgezieret sind. Von da gehet man durch
die alte Tempel⸗Strasse widerum gegen der Antoni-Strasse zu. Das erste sehens⸗wür⸗
dige Hauß stösset uns neben derselben in einer Queer⸗Gasse, die Perlen⸗Gasse genannt,
auf. Es gehöret Herrn Ravoye Tresonier de la Marine, und ist ohnlängst neu außge⸗
bauet, gar regulier gemachet, und aufs beste gezieret, daß auch der Marmor nicht gespah⸗
ret worden. Bald hernach finden wir
Das Kloster des Blancmanteaux. Deren Kirche kurtzens innen mit Corinthischen Wand⸗Pfeilern ziemlich regulär ist auß⸗
gebauet worden. Am Ende der Kirche ist eine Empor⸗Kirche, unter welche vier höltzerne
gewundene Säulen gesetzet sind, welche zuvor an dem Haupt⸗Altar gestanden, jetzo aber
an ihrem Ort ein angenehmes Stück der Bau⸗Kunst formiren, ausser daß das Geländer
auch dem Augenschein nach gar zu klein ist. Bald hernachNote: In der Rue Vieille-du-Temple. finden wir
L’Hôtel de Bisseuil. Ein wohlgeziertes Gebäude, dessen Thorweg alsobald ein schönes Außsehen hat. Er ist
nach der von Mansard aufgebrachten artigen Manier, dergleichen man
viel in Paris findet, daß nemlich der viereckigte Thorweg in einem gros⸗
sen mit Bossagen gezierten Bogen blindt stehet. Uber dem Gesimse des Thorwegs
sitzen zwey Renommeen von Renaudin gehauen. Auf den Thor⸗Flügeln ist sauber Schnitz⸗
werck die vier Haupt⸗Tugenden vorstellend.Note: Sturm erwähnt nur die vier Tugenden; die beiden Medusenhäupter auf dem unteren Teil der Türflügel zur Straßenseite bleiben ungenannt. Innen gegen dem Hof zu stehet in einer gros⸗
sen geschnitzten Taffel Romulus und Remus, wie sie an der Wölffin saugen, welche vor⸗
gerühmter Bildhauer gemachet.Note: Das Flachrelief mit Romulus und Remus befindet sich auf dem Tympanon des Eingangsportals zur Hofseite. An den Wänden dieses Hofes sind um und um wohl
inventirte Sonnen⸗Weiser gemahlet. Hinten in diesem Hofe, der gar klein ist, nicht
gar dreyßig Fuß ins gevierte, sind drey Thüren, durch die mittlere gehet man in
den inneren weit räumlichern Hof 38 Fuß breit 54 Fuß lang. Durch die eine Sei⸗
ten⸗Thüre gehet man in die Dienst⸗Gemächer, und durch die dritte gehet
man nach der Haupt⸗Trappe, welche solcher Gestalt übel zu finden ist, so
kein geringer Fehler. Diese Haupt⸗Trappe ist zwar nur nach gemeiner
Art von zwey neben einander liegenden Armen, aber gar helle indeme
nicht alleine von der Seite ein Fenster darauf fället, sondern auch durch
eine mitten darüber gesetzten 9 Fuß im innern Diameter haltenden Kuppel
vermittelst beyderseits stehender Dach⸗Fenster das Licht gar artig hinein
geleitet wird. Innen an dieser Kuppel ist ein verguldet Geländer umher gemachet,
und darüber allerhand bossierte Zierrathen, in deren Nabel aber ein Gemählde, darinnen
eine Aurora vorgestellet ist von Pearson. Von da an kömmt man zu erst in einen schö⸗
nen Saal, der von beyden Höfen Licht bekömmet 33 Fuß lang 24 Fuß breit. Die Mauren
sind zwischen den Fenstern mit Hirten⸗Stücken gemahlet von einem sonderlich in solchen
æstimirten Meister Nahmens Bourzon, die Decke des Saals ist sehr schön, mit Gibs⸗
Werck weiß auf einen verguldeten Grund gezieret, welches in der Mitte ein schönes Ge⸗
mählde verfasset, dessen Meister Origni genennet wird. Diese Decke ruhet auf einem
Simß von gleicher Gibs⸗Arbeit. Eben also ist der Camin mit gleich⸗verguldeten Gibs⸗
Wercke gezieret, und sitzet eine Minerva darauf zwischen Sieges⸗Zeichen. Auß diesem
Saal gehet man durch zwey Thüren in ein Vor⸗Gemach 24 Fuß lang 16 breit, wel⸗
ches mit grossen Spiegeln und rothen reich⸗gestickten Sammet wohl gezieret ist. Diese
Vor⸗Gemächer gehören beyde zu zwey besondern Gemächern, welches
nicht die beste Disposition ist. Rechter Hand gehet man in eine Kammer 26 Fuß
lang, 20 breit, grösser als das Vor⸗Gemach ist, und doch nur ein Fenster hat, sonst ist sie
gar schön, und die Decke noch reicher als die in dem Saal. Lincker Hand ist eine gar
kleine 14 1/2 F. lang, 7 1/2 breite, aber reich⸗gezierte Capelle daran, welche auß einem klei⸗
nen 8 F. breiten, 16 F. langen Höfgen sohin Licht empfähet, an der andern Seite ge⸗
het man in das allerschönste Stücke, ein 27 Fuß langes, 16 breites Cabinet, so mit drey
grossen Fenstern erleuchtet wird. Daran am Ende ein Alcove lieget, welcher auch an ei⸗
ner Seite gegen ein klein Cabinet offen ist. Das grosse Cabinet ist das propreste unter
allen Zimmern, welches mit einem vollkommenem schön verguldeten Täffel⸗Werck verse⸗
hen ist, auf dessen Füllungen Blumen⸗Töpffe mit herum fliegenden Vögeln durch einen
trefflichen Blumen⸗Mahler Vanbouck gemahlet sind. Die Decke ist von oben gerühmten
Origni gemahlet, und enthält etwas Mythisches oder Symbolisches. In dem Alcoven ist der
Schlaff gemahlet, und sein Fuß⸗Boden ist mit eingelegter Tischer⸗Arbeit sehr künstlich ge⸗
machet, daß auch in der Mitte des Herrn Wappen dadurch exprimiret ist. Die Wände an
dem Alcoven und das Prunck⸗Bette sind sehr kostbahr. Alle diese Zimmer treffen auf dem
grössern Hof, der mit Architectur und Quadraturen wohl gezieret ist, und an der Mauer
dem grossen Cabinet gegen über ein schön perspectivisches Gemählde à l’Fresco hat. Hin⸗
ter dem Cabinet lieget eine Guarderobbe in zwey Stücken eines 18 das an⸗
der 24 Fuß lang und beyde 12 Fuß breit. Jenes bekömmt allein auß dem
Cabinet sein Licht; dieses durch ein Fenster von dem Cabinet, und durch
eines auß freyer Lufft durch die hinterste Mauer. Das andere Gemach gehet
nach der Strasse, und hat nur noch drey Stücke. Das erste ist eine Kammer, welche
16 Fuß ins gevierte hat, nebst einem Alcoven 16 breit, 8 tieff ist, und wie gegen über
die Treppe eine kleine Kuppel hat. Die Wände sind mit gemahlten Täffel⸗Werck gezie⸗
ret. An dem Camin ist ein metallenes Bas relief, worauf Jason præsentiret ist, wie er
an dem Ufer vor seiner Rückkunfft aus Colchos opffert. Auß dieser Kammer gehet man
in eine Gallerie 34 Fuß lang 11 F. breit, deren Seiten mit Corinthischen Wand⸗Pfei⸗
lern gezieret sind, dazwischen die Fabel von der Psiche von Corneille gemahlet ist. Die
Decke ist auch sehr reich, die Fenster⸗Laden sind weiß und mit Grotesque von Ultramarin
bemahlet. Endlich ist noch eine kleine Bibliothec, welche in ein Achtecke von vier kurtzen
und vier langen Seiten durch schön verguldetes Getäffel formiret ist, aber in Lichten am
Diameter nicht mehr hält als 13 Fuß.
Die Masse die ich hier gesetzet habe, sind auß einem Grund⸗Riß ge⸗
nommen, den Marot in Kupffer herauß gegeben, welchen ich dem Gebäu⸗
de als ich es gesehen, wie auch des Brice Beschreibung gar gemäß befun⸗
den habe. Raisoniren wir nun über diesen Bau, aus dem Brice, so viel
Wunders machet, und nehmen die schönen Decken und Meublen herauß,
so bleibet nicht das geringste Schöne mehr an dem gantzen Wercke. Denn
regular ist gar nichts dran, und ist nur ein einig vollständig Appartement
darinnen, welches gegen dem Hof zu lieget, welches ich vor des Herrn
Gemahlin rechnen will, so bleibet dem Herrn nichts übrig zu eigener Lo⸗
girung als eine einige Kammer, nebst denen extraordinairen Gemächern
der Gallerie und der Bibliothec. Es soll auch billich ein lobwürdiges Gebäu⸗
de vor ansehnliche Persohnen nicht nur außwendig, sondern auch inwen⸗
dig ihre Regularität und Aggrements der Architectur haben, als da sind, daß
das Rechte dem Lincken wohl zusage, daß die Haupt⸗Treppe mitten in
dem Gebäude liege, und von Fremden leicht und bequem gefunden wer⸗
de. Daß die Thüren in einer ansehnlichen Suite wohl auf einander zutref⸗
fen, daß das Hauß inwendig ein grösseres Ansehen habe, als es in der
That ist, daß die schönen Zimmer in einer Suite rund um an einander hän⸗
gen, damit wenn man Fremde durchführet, man nicht nöthig habe, sie
durch schon besehene Zimmer wiederum zurück zu führen, welches zugleich
der vornehmste Vortheil ist, einem Gebäude das nicht groß ist, ein gros⸗
ses Ansehen zu machen, und dergleichen mehr, welches alles anzuführen
gegenwärtiges Propos nicht leidet. Von allen solchen Architectonischen
Schönheiten ist nicht das geringste in dem so sehr gerühmten Hôtel, son⸗
dern vielmehr das Contrarium ohne Noth in vielen Stücken. Erstlich ist
der Thorweg nicht in der Mitte, und die gantze vördere Faciata nicht aus
der Mitte eingetheilet. Denn ob es schon in Marots Kupffer von dem Auf⸗
riß anderst aussiehet, so zeiget doch der Grund⸗Riß, daß das Stück an
der einen Seite nicht dem Herrn des Hôtels zugehöre, sondern seinem Nach⸗
barn, und wenn einer gleich erhalten kan, daß ihm der Nachbar zu Vol⸗
lendung seiner Symmetrie mitbauet, welches doch gar selten geschiehet, so
geschiehet es doch gar nicht, oder in hundert Jahren kaum einmahl, daß
es dem Hause des Nachbarn in Ewigkeit obläge, solche Symmetrie zu un⸗
terhalten, und kan er also den Herrn des Hôtels allezeit unter seiner Con-
tribution halten. Der kleinere vordere Hof machet auch dem Gebäude ein
recht klein Ansehen, und nutzet nirgend zu.
Diese Reflexion hat mich bewogen eine andere Anlegung dieses Hôtels
zu versuchen, daran aller dieser Haupt⸗Mängel nicht einer wäre. Ob ich
meinen Zweck erhalten habe, wird mein Herr auß beykommenden RißTab.
XXIX. er⸗
sehen.
Wenn man hier in den 50 F. langen und 37 breiten Hof köm{m}t, siehet
man gleich mitten an dem einen Seiten⸗Gebau eine frey Treppe a liegen,
durch welche man zu einem 25 1/2 F. langen und 22 breiten Vorsahl kömmt,
der an jeder Seite drey Arcaden hat, wodurch die beyden Haupt⸗Treppen
b und c im Gesicht liegen, deren jene zu des Herrn, diese zu der Gemah⸗
lin Zimmer führet. Auf jeder Treppe, so durchgehend 6 F. breit, stehen
den Rampen gerade entgegen 2 Statuen. Eine von diesen Treppen ge⸗
het nur biß in das erste Geschoß, die andere aber biß auf die Boden und
in die Keller.
Wenn ich nun die Treppe b hinauf komme, so komme ich gleich zu
des Herrn Zimmer dessen Antichambre 30 F. lang 24 breit ist, die Chambre
24 lang 18 breit, das Cabinet 21 lang 9 breit. Von da kömmt man in
die Gallerie, welche nur 11 Fuß breit gezeichnet worden, aber völlig 12 Fuß
breit werden kan, 66 aber lang ist. Ich habe dagegen eine jede Oeffnung
von Thür oder Fenster ein Bilderblind zu Statuen eingetheilet, zwischen
welchen noch Wand⸗Pfeiler und Plätze zu Gemählden seyn können. Denen
gegen über wiederum so viel Wand⸗Pfeiler und Gemählde zusagen, oben
lieget neben der Gallerie eine Bibliothec vor den Herrn 24 F lang 10 breit,
unten eben ein so grosses Cabinet zu Bijoux, Porcellain, und Miniatur-Gemähl⸗
den vor die Gemahlin. Wenn man diese alle besehen, kömmt man in der
Gemahlin Wohn⸗Zimmer, und erstlich in derselben Schlaff⸗Gemach oder
Cabinet 21 Fuß lang 16 1/2 breit in die Kammer mit dem Prunck⸗Bette 24 F.
lang 18 breit, und endlich in das Vorgemach 30 lang 24 breit, daraus
man ihre Haupt⸗Treppe c vorbey in ein gemein Taffel⸗Gemach 25 1/2 lang
und 22 breit gelanget, und also wiederum durch die Treppe b hinwegge⸗
het. Diese Bequemlichkeit der Zimmer wird man nothwendig der weit vor⸗
ziehen müssen welche sich nun würcklich in dem Hôtel de Bisseuil befindet.
Zwey kleine Irregularitäten, so aber das Auge gar nicht choquiren, ha⸗
ben um deßwillen gemachet werden müssen, weil ich den Thorweg mitten
gegen dem Hof zu anlegen, und doch der Faciata aussen ihre eigene Sym-
metrie geben muste. Die erste Irregularität nun, daß der Thorweg ausser der
Mitte kömmt, wird durch einen andern daneben liegenden blinden Thor⸗
weg leicht abgeholffen. Die andere Irregularität aber ist, daß in des Herrn
Antichambre ein Pfeiler zwischen den Fenstern viel breiter wird als der an⸗
dere. Da kan aber ein blind Fenster gemacht, und also angeleget werden,
entweder, als wenn inwendig die Fenster⸗Laden zu wären, oder daß hin⸗
ter dem Glase⸗Fenster an der Wand ein Fürhang gemahlet wird, oder
auch daß, an statt der Scheiben, Spiegel eingesetzet werden, so wird der
Mißgestalt ziemlich abgeholffen seyn.
Nachdem wir uns bey diesem Hause etwas lange, doch, wie ich hoffe, mit gutem
Nutzen aufgehalten haben, begeben wir uns weiter die übrigen Gebäude in dieser Revier
zu besehen, bey denen wir wenig sonderlichs finden werden. Wir gehen durch die Gasse
de la Brettonerie, von der auch die heilige Creutz⸗Kirche so darinnen lieget, benennet
wird nach der Strasse du grand Chantier.Note: Der letzte Teil der Straße, der mit der Rue Sainte-Croix-de-la-Bretonnerie in Verbindung steht, heißt Rue de l’Homme armé und geht Richtung Norden in die Rue de Chaume und schließlich, nach der Rue des Quatre-Fils, in die Rue du Grand-Chantier über. Der Verlauf dieser Straßen entspricht der heutigen Rue des Archives. In dieser Kirche ist gar nichts sonderliches
zu sehen, ohne ein hölzerner Altar, der noch ziemlich, und ein Bas relief auch aus HoltzNote: Sturm beschreibt ein Flachrelief aus Holz, täuscht sich jedoch eventuell bezüglich des Materials. So wird im Inventar des Mediävisten und Gründers des Musée des Monuments français Alexandre Lenoir (1761-1839) unter der Nummer 244 ein „bas-relief ovale, en marbre blanc, représentant une femme dans la douleur, tenant une inscription ; sculpté par Sarrazin“ aufgeführt, bei dem es sich vermutlich um das von Sturm gesehene handelt. Vgl. Lenoir 1806, S. 19.
von Sarazin. Das vornehmste ist
L’Hôtel de Guise, welches inwendig ziemlich wohl außgebauet ist, und sonderlich
eine artige Treppe hat, wie auch ein Capelle, welche wohl à l’Fresco gemahlet ist.Note: Die Kapelle wurde um 1555 von Primaticcio und Nicolò dell’Abbate umgestaltet. Vgl. Le Moël 1992, S. 273. Man
besiehet auch darinnen das Cabinet du Chevalier Ganiers, darinnen nebst andern Curio-
sitäten ein schöner Vorrath von Medaillen und Kupffern zu finden, und in genere grössere
Varietät als in einigem andern Cabinet zu verspühren.
Gegen demselben Hôtel über ist die Kirche des Peres de la Mercy. Deren Fa-
ciata noch passabel ist, unten mit hervorrückenden zwey Kuppeln Corinthi⸗
scher Säulen, neben denen an jeder Seite noch eine Kuppel solcher Wand⸗
Pfeiler stehet, zwischen welcher Architectur zwey kleine und die Haupt⸗Thüre
stehen. Hernach ist an beyden Seiten noch ein Stück mit einem Fenster,
daran das Gebälcke fortlauffet, aber keine Säulen oder Pfeiler stehen.
Uber diesem Stock lieget noch einer von Römischer Ordnung mit Wand⸗
Pfeilern, deren nur 6 sind, denn auf die beyden untern Wand⸗Pfeiler trifft
kein Wand⸗Pfeiler, sondern nur ein Postament einer Statua. Unter den 6. Wand⸗
Pfeilern aber stehen keine Säulen⸗Stühle, hingegen tragen die vier mitt⸗
lere einen Fronton. Etwas gar sonderliches ist daran, daß die Stämme der vier Co⸗
rinthischen Säulen nicht Circul-sondern Oval-rund sind, welches doch keinen so übeln
Effect in den Augen thut, als man meynen solte, und hat dem Baumeister ohne Zweif⸗
fel gedüncket, daß er recht habe solche Singularität zu machen, weil die Kirche gar wenig
Platz vor sich hat.Note: Sturm beschreibt hier vermutlich die Fassade nach dem Kupferstich von Jean Marot (Paris, Musée Carnavalet, G.13286), ohne darauf zu verweisen. Vor Ort kann er die Fassade 1699 nur in unvollendetem Zustand gesehen haben, da diese erst 1709 unter Germain Boffrand fertiggestellt wurde. Vgl. Férault 1990, S. 133 (Abb. 22) und 134 (Abb. 23). Inwendig gehet man noch ein paar Capellen zu besehen in deren ei⸗
ner das Grabmahl des Marechal de Themines,Note: Sturm befindet sich mit dem Hinweis auf dieses Grabmal offenbar im Irrtum: Der Marschall Pons de Lauzières de Cardaillac, Markgraf von Thémines (1533-1627), war nicht in dieser Kirche beigesetzt. Nach Piganiol de La Force befand sich neben der Kapelle der Familie Braque ein Herzmonument, das von Anne Habert de Montmort (?-1661) im Angedenken an ihren Ehemann Charles de Lauzières, Markgraf von Thémines (?-1621), und ihrem Sohn Pons-Charles de Lauzières (1622-1646) aufgestellt worden war. Vgl. Brice 1971 (Ausgabe v. 1752), Bd. II, S. 95; Piganiol de La Force 1742, Bd. IV, S. 208-209. in der andern das Begräbniß einer al⸗
ten Familie de Bracq.Note: Die Familie Braque hatte im 14. Jahrhundert auf dem Terrain der späteren Église des Pères de la Merci ein Krankenhaus und eine Kapelle gegründet, bis die Pères de la Merci 1613 mit Erlaubnis Maria de’ Medicis mit dem Bau ihrer Kirche begannen. Die Familie Braque wurde nach längeren Auseinandersetzungen mit einer eigenen Kapelle in der neu erbauten Kirche entschädigt. Vgl. Ciprut 1954, S. 208, Anm. 2.
Weiter in der Gasse du grand Chantier hinauf ist nichts zu finden, als ein Eck⸗
hauß, welches von aussen sehr schön gezieret ist, und weiter hin das Hauß des Herrn
Le Juge, welches innen und aussen zu besehen ist. Der Baumeister dazu ist gewesen de
Cotte. Also kommen wir zu dem alten Gebäude:
Le Temple. Welches einen sehr grossen Platz einnimmt, und den unglücklichen Tempel⸗Herren zuge⸗
höret hat, nach deren grausamer Ermordung durch den Pabst es den Rittern St. Johan-
nis gegeben worden, die anitzo ihren grand Prieur de France dahin gesetzet haben. Vor
diesem ist ein herrlicher BauNote: Es handelt sich um den Palais du Grand Prieur, der 1667 bis 1672 von Pierre Delisle-Mansart für Jacques de Souvré, Großprior des Johanniterordens (Malteserordens), errichtet wurde. unter weges gewesen, davon man noch Abrisse in
Kupffer von Marot haben kan. Das Gebäude so itzo stehet ist nicht sonderliches.
Es wohnen viele Handwercks⸗Leute an diesem Ort,Note: Es handelt sich um den Ordensdistrikt des Enclos du Temple. die da gewisse Freyheiten geniessen.
Gegen dem Tempel⸗Hof über lieget ein schönes
Kloster de Ste Elisabeth. Dessen Kirche gar artig ist. Ihre Faciata hat lauter Wand⸗Pfeiler unten Dorisch oben
Ionisch, welche canelliret sind. Weil kein Kupffer davon zu bekommen ge⸗
wesen in Paris,Note: Entgegen Sturms Aussage gibt es einen Kupferstich von Jean Marot: Couvent des filles Saincte Elizabeth nouvellement basti en la rue du Temple, proche la Porte. Vgl. Marot o. D. / s. d. (b), Tf. 8; Paris, Bibliothèque nationale de France, Estampes et photographie, Ha 7c in-folio; vgl. den Katalogeintrag ohne Abb. in Deutsch 2015, S. 421 [8]. habe ich die gantze Ordonnance in einen Riß gebracht,Tab.
XXX. wie⸗
wohl nach gantz andern und bessern Proportionen, und also, daß ich anstatt
der Ionischen oben Römische Wand⸗Pfeiler gebrauchet, wodurch
ein vortrefflich Stück der Bau⸗Kunst heraus kömmt. Es sind daran erst⸗
lich die Dorische Wand⸗Pfeiler ohne allen Fehl kuppelieret, also daß die
Capitäl und Bases oben just zusammen stossen, und neben den drey Schli⸗
tzen auch die Dielen⸗Köpffe just kommen, auch daselbst wo Verköpffungen
sind. Zum andern kommen auch bey unverdünneten Römischen Pfeilern
die Sparren⸗Köpffe gantz just in der Eintheilung. Drittens können auch
in den Römischen Borten drey Schlitze, wenn man will in gantz correcter
Außtheilung gesetzet werden. Und vierdtens kommen die obern Säulen⸗
Stühle auf den untern Stämmen der Wand⸗Pfeiler vollkommen auffzu⸗
stehen, daß nemlich ihre Würffel vollkommen darauf ruhen, und doch be⸗
hält der gantze obere Stock gegen dem untern eine recht gute und ange⸗
nehme Proportion. Solten nun wohl die frantzösischen Baumeister läug⸗
nen können, daß dieses ein Meisterstück der Architectur sey dergleichen sie
keines aufzuweisen vermögen? Die untere Säulen⸗Weiten sind 2 2/3 Modul,
dreymahl so viel nemlich 8 zweymahl nemlich 5 1/3 und viermahl so viel,
nemlich 10 2/3 Modul. Der obere Modul ist gegen dem untern wie zwey ge⸗
gegen drey, und ist also oben die mittlere Säulen⸗Weite 16 die beyden dane⸗
ben 8 Modul. Weil nun Römische und Corinthische Gebülcke gar propor-
tionirlich von mir gerechnet worden auf unverdünnete Pfeiler, daß die
Sparren⸗Weite oder Distanz der Modillons ein und ein Drittel Modul be⸗
kömmt, so kommen die Sparren⸗Köpffe allezeit eine mitten über die Säu⸗
le, und mitten über die Säulen⸗Weite zu stehen. Innen ist diese Kirche auch
mit Dorischer Ordnung gar mit gutem Verstand ausgezieret. Von dieser Kirche gehen
wir wieder in die neuen Tempel⸗Strasse (welche unterwarts den Nahmen Rüe d’Avoye
bekommt,) hinab, und finden daselbst
L’Hôtel de Bauviller. Welches vor diesem l’Hôtel d’Aveaux geheissen, und
von Muet angegeben worden, der Abrisse davon in seinem Tractat in fol. von der Ar-
chitectur hat stechen lassen. Es ist um einen Hof herum, welcher 96 Fuß lang und 72
breit, mit durchgehenden Corinthischen Wand⸗Pfeilern ausgebauet, welches ein grosses
Ansehen giebet. Die Gemächer sind auch ziemlich gezieret.
Nicht gar weit hinunter finden wir L’Hôtel de Montmartre,Note: Sturm spricht von einem Hôtel de „Montmartre“ und meint hiermit das Hôtel de Montmort, das sich heute Nr. 79 der Rue du Temple befindet. welcher
(wie ihn Marot in Kupffer beschrieben, auch selbst angegeben hatNote: Sturm täuscht sich hier erneut: Marot ist nicht der Baumeister des Hôtel de Montmort im Quartier du Temple, sondern des Hôtel de Mortemart, das sich allerdings auf der linken Seite der Seine im Quartier Latin befindet. Grund- und Aufrisse hat Marot auch in zwei Blättern grafisch reproduziert. Bei der nachfolgenden Beschreibung folgt Sturm diesen Grafiken. Die Verwechselung belegt, dass Sturm seine Beschreibungen nachträglich kompiliert hat und diese nicht einer tatsächlichen Besichtigungsroute entsprechen müssen.) in Form
eines Winckelhackens einen Hof 38 Fuß lang und 44 breit an zwey Seiten
einschliesset, die vordere Seite aber ist mit einem Altan geschlossen, darun⸗
ter der Thorweg eingehet, die vierdte Seite ist bloß mit einer Wand an
des Nachbars Hauß geschlossen. Dieses Gebäude hat drey Geschoß, in
dem Hofe ist das unterste mit Bossagen, das mittlere mit Ionischen Wand⸗
Pfeilern, das oberste als eine Attique mit Halb⸗Pfeilern verkleidet. Gegen
dem Garten ist das oberst Geschoß gleicher Weise gezieret, aber die zwey
unterste begreiffet eine durchgehende Reyhe Ionischer Wand⸗Pfeiler, bey⸗
de Faciaten fallen nicht uneben ins Gesicht. Die Treppe, zu der man durch
die Thüre an der Seiten kömmt, welches ein gar gemeiner Fehler bey den
Frantzosen ist, doch hier noch ziemlich verantwortlich, ist gar wohl ange⸗
leget, zwischen zwey Appartements, darin das mittlere Geschoß getheilet ist.
Aber ein grosser Fehler ist, daß die Einschnitte der Fenster nach dem Gar⸗
ten gantz schrägs geführet worden, daß sie auf einer Seite mit den Fen⸗
stern einen stumpffen, auf der andern einen spitzigen Winckel machen, wel⸗
ches doch leicht hätte können geändert werden, und ohne Zweiffel im
Werck selbst geändert ist, welches ich zu sehen nicht Zeit gehabt habe. Auf
der andern Seite folget
L’Hôtel de Montmorency.
Ist sonderlich wegen der vortrefflichen Bibliothec, welche schon von langer Zeit her dar⸗
innen gesammlet wird,Note: Es handelt sich ohne Zweifel um die Bibliothek von Anne de Montmorency (1493-1567). zu sehen. Weiter hin ist das Hauß des Herrn Marillac zu
besehen, ob es schon von aussen wenig Ansehen hat, zum wenigsten wegen einer sonder⸗
lich sinnreich angelegten Treppe, welche ob sie schon nur von Gibs ist, doch von Verstän⸗
digen den neuesten von Stein gebaueten vorgezogen wird.
Hiemiet beschliesse ich was merckwürdig in der einen Helffte der grossen Stadt Pa⸗
ris disseits des Strohms zu sehen ist, und werde eher mich über die Brücken auf die
Insuln, un{d} nachdem weiter in die andere Seite der Stadt nicht begeben, biß ich erst
wieder mit einem Antwort⸗Schreiben bin beehret, und wann etwas zu erinnern wäre,
dessen verständiget worden, da ich denn allezeit werde bereit seyn in Dero Diensten
fortzufahren, als
den 9. Octob. 1716.
N.
XVII.
NAchdem ich disseitige Helffte von Paris durchgewandert, ehe ich mich über den
Strohm zu dem andern Theil begebe, muß ich mich zuvor auf den beyden Insuln
aufhalten, deren eine den neuesten,Note: Die Île Saint-Louis wurde Anfang des 17. Jahrhunderts durch die Zusammenlegung der Île Notre-Dame mit der Île aux Vaches geschaffen. Die ersten Bebauungen entstanden in den 1620er Jahren. Vgl. Montgolfier 1981, S. 8f. u. 13. die andere den ältesten TheilNote: Das antike Lutetia befand sich auf der Île de la Cité und der Montagne Sainte-Geneviève. der gantzen Stadt
enthält, und bey dieser Gelegenheit alle Brücken so in Paris sind, zugleich beschreiben.
Ohnerachtet ich nun in meinem Letzten geschrieben, daß ich nicht ehe wieder schreiben wür⸗
de, biß ich erst M. H. Antwort erhalten hätte, um zu sehen, ob an meiner Methode noch
etwas solte geändert werden, habe ich doch diese Materie noch vorher abthun wollen,
weil es so viel sonderliches nicht ist, was dabey zu beschreiben vorkömmt, und folgends
auch dabey nicht viel zu erinnern, oder zu ändern vorkommen kan. Demnach ohne weiter
uns aufzuhalten, gehen wir über die Brücke Marie nach der Insul Nôtre Dame. Diese
Brücke hat den Nahmen von einem reichen Pariser, der also geheissen, und sie auf seine
Kosten, auch viele Häuser auf der Insul gebauet hat. Es ist einmahl ein Stück davon
durchs Wasser weggerissen, aber gut wiederum gebauet worden.Note: 1658 riss ein Hochwasser der Seine zwei Brückenbögen des Pont Marie auf der Seite der Île Saint-Louis und etwa 20 Häuser der seit 1643 entstandenen Bebauungen mit sich. Die beiden Bögen wurden repariert, aber ohne die Gebäude zu erneuern, wie auch aus dem Plan von Turgot von 1739 hervorgeht: Vgl. den Plan Turgot de 1739; Montgolfier 1981, S. 13 u. 18. Es stehen beyderseits
Häuser auf der Brücke, die Insul ist um und um an dem Wasser mit Quader⸗Steinen
verkleidet, und die Brücke ist auch gantz davon aufgebauet, bestehend in fünff Bogen.
Die Gassen so auf dieser Insul angeleget worden, sind alle nach der Schnur und Win⸗
ckel⸗Ruthe durch einander gezogen worden. Die Brücke auf der andern Seite der In⸗
sul, de la Tournelle genannt, correspondiret mit jener durch eine Gasse. Es sind schöne
und theils gar besehens⸗würdige Häuser, nebst einer Kirche St. Louis auf dieser Insul.
Erstlich finden wir
La Maison de Lambert Thorigny, in der Strasse St. Louis, welche längs mitten
durch die gantze Insul gehet, welches einen gevierten Hof gantz umfänget. An dem Thor⸗
weg ist die Schlösser⸗Arbeit zu besehen. Demselben lieget gerade gegen über in dem Hin⸗
terhause die Haupt⸗Treppe, welche durch zwey Reyhen Säulen über einander gar an⸗
sehnlich gemachet ist. Das eine Zimmer oben hat erstlich einen grossen Vor⸗Saal, der
mit einer GallerieNote: Was Sturm mit „Galerie“ bezeichnet, sind tatsächlich eine Antichambre und eine Bibliothek. Die von Charles Le Brun in den 1650er Jahren mit Episoden aus dem Herkules-Mythos ausgestattete Galerie in der darüber liegenden Etage wird von Sturm hingegen nicht erwähnt. Vgl. zur Galerie d’Hercule Penaud-Lambert 2008. zusammen hänget, und samt derselben grau in grau gemahlet ist, wel⸗
che 7 grosse Fenster hat, vor denen aussen ein Gärtgen auf einen Altan lieget: Auf der
andern Seite gehet man auß diesem Vor⸗Saal in einen Saal, der mit trefflichen Schil⸗
dereyen, sonderlich mit einer Entführung der Sabinen von Bassan gezieret ist. Darnach
geht man in ein grosses Cabinet mit verguldetem Täffel⸗Werck, so auch viel schöne Ge⸗
mählde hat, und unter andern die Geburt der Liebe von Sueur an der Decke. In dem
Geschoß darüber sind noch zwey schöne Zimmer, und noch ein Bade⸗Zimmer unter dem
Dache. Louis le Vau ist Baumeister dieses schönen Hauses gewesen. Gantz nahe da⸗
bey ist auf der andern Seite
Das Hauß de Brettonvilliers. Welches ohne Ordnungen der Architectur, deme ohngeachtet doch sehr prächtig gebauet
ist, und wohl zu besehen. Von da gehet man an dem Ufer herum, welches genennet
wird le quay de Dauphin, als da zu besehen sind die Häuser des Requet-Meisters Molé
de Sainte Croix, und des Staats⸗Rath Jean Roulle, in welchem letztern sonderlich eine
sehr schöne Treppe.
Die Kirche St.Louis. Welche nunmehr wohl außgebauet seyn wird, hat eine feine Thüre unter einem Vorschopf
von vier Dorischen Säulen. Ein paar Grabmähle mögen auch darinne zu sehen seyn,
welche zu meiner Zeit angeleget worden. Aus dieser Insul gehen wir über eine höltzerne
Brücke in die grosse
Isle du Palais. Worauf vornemlich einige Kirchen, und zuletzt das Palais zu besehen sind, wie auch fünff
Brücken. Zum ersten kommt uns entgegen die alte
Haupt⸗Kirche Nôtre Dame. Dieses ist ein alt Gothisches sehr starckes Gebäu, welches biß unter das Gewölb des
Schiffes[39]81Schiffes über hundert Fuß hoch, und 330 Fuß lang ist. Unter andern schätzet man gar
hoch an beyden Seiten zwey Rosen von Fenstern an dem Creutz, die mit gemahlten Glas
ausgesetzet sind, welche an Farben ungemein schön, und auch die zur Gau in Holland weit
übertreffen. Sonst ist ausser Fest⸗Tagen, da diese Kirche vortrefflich kostbar aufgeputzet
wird nichts sonderlichs darinnen zu sehen, ausser den Schildereyen, deren es eine grosse
Zahl daselbst gibt.Note: Zahlreiche Gemälde waren oberhalb jeder Arkade im Hauptschiff der Kirche und im Chor angebracht, wie auch der Kupferstich von Pierre Aveline zeigt: Vue et perspective du dedans du chœur de l’église cathédrale Notre-Dame de Paris, um 1715. Unter andern ist notabel, daß die Goldschmied-Zunfft alle Jahr ein
schönes Gemählde in diese Kirche verehret, welches von Anno 1630 an immer continui-
ret worden.Note: Es handelt sich um die sogenannten „Mays“. Diese bezeichnen eine Reihe von Gemälden, die jedes Jahr in den ersten Maitagen zwischen 1630 und 1707 (mit Ausnahme der Jahre 1683 und 1694) als Geschenk von der Zunft der Goldschmiede an die Kathedrale Notre-Dame in Paris gingen. Die Tradition ging bereits auf das 15. Jh. zurück. Seit 1533 wurden kleinere Gemälde gestiftet. Ab 1630 wurden diese kleineren „Mays“ von großformatigen Gemälden ersetzt, mit Darstellungen aus der Apostelgeschichte nach dem Evangelisten Lukas, welche die missionarischen Aktivitäten der ersten Jünger Christi erzählen. Vgl. Notter 1999, S. 23 (Abb. 7) u. S. 27-52. Man kan der Mahler Nahmen deutlich daran lesen. Zu meiner Zeit stund
ein neuer Haupt⸗Altar nach der Art wie ich unten bey Val de Grace beschreiben werde,
von Gybs, welcher nur ein Modell dessen seyn solte, der von Marmor oder Bronze da
hin kommen solte, welchen Mein Herr etwa nun selbst sehen wird. Die Capellen sind
umher wohl ausgetäffelt, und mit Gemählden geziehret. Unter andern sind auf der rech⸗
ten Seite in zwey Capellen zwey Schildereyen, welche Poussin soll gemahlet haben ehe
er nach Italien gegangen. Eines stellet die Wegnehmung der Mutter GOttes aus die⸗
sem Leben also sonderlich vor, daß man es nicht recht ein Sterben, und auch nicht recht
eine lebendige Führung gen Himmel nennen kan. Das ander ist eine Maria Ægyptiaca.Note: Sturm täuscht sich vermutlich mit seiner Zuschreibung des Gemäldes an Poussin, ebenso wie Brice (vgl. Brice 1701, Bd. II, S. 347). Es handelt sich wahrscheinlich um ein Gemälde von Lubin Baugin. Vgl. Notter/Daguerre de Hureaux/Thuillier 2002, S. 190-193.
Im Herausgehen muß man nicht vergessen, erstlich das künstliche eiserne Springwerck
zu besehen, womit die höltzerne Thür⸗Flügel überzogen sind, und hernach sich auf einen
von den Thürmen, deren jeder über 200 Fuß hoch ist, führen zu lassen, weil man von den
Altänen so zu oberst darauf sind, die Stadt vortrefflich übersehen kan. An allen übrigen
Kirchen, deren eine grosse Zahl auf dieser Insul ist, hat man nichts zu ersehen, ohne in
der Kirche St. Denis de la Chartre einen sauberen Altar von Anguiere, in St. Germain
le Vieux ist auch ein höltzerner Altar mit schwartz⸗marmornen Corinthischen Säulen gar
fein angegeben, und die Tauffe Christi darauf gemahlet von Stella. In St. Barthelemy
nebst dem Altar, der noch gar fein, ein sehr schönes Grabmahl von Marmor. Eine Sta-
tua über Lebens⸗Grösse stellet die Religion für, zu deren Füssen ein Liebichen mit allerhand
Mathematischen Instrumenten umgeben, welches einen Todten⸗Kopff in der Hand hält,
und sehr aufmercksam ansieht. Es ist an der Grabschrifft bald Anfangs zu sehen, wem sie
aufgerichtet worden, nemlich: ‘Clarissimo Viro Claudio Clerselier Equiti Magno reip.
Christianæ & litterariæ ornamento.Note: „Claudius Clerselier, dem geistreichsten Menschen und edlen Ritter, Zierde der Gemeinschaft [reip. ⸗ rei publicæ] der Christenheit und der Literatur.“’ Noch sind an der Pforte zwey gute Statuen des
H. Bartholomæi, und der H. Catharina. Wenn wir nun besehen wollen.
Die Brücken. Halten wir am besten diese Ordnung, daß wir bey Nôtre Dame auf einen Steg über
den kleinen Arm auf jene Seits hinüber gehen, und uns von da rechter Hand an den
Fluß hinwenden, da wir eine steinerne Brücke vorbey gehen, welche mit einem grossen
Saal überbauet ist, der zu dem grossen Krancken⸗Hospital gehöret, welchen vorbey wir
kommen zu der so genannten kleinen Brücke, welche die älteste ohne eine ist, an dem
kleinen Châtelet. Sie ist beyderseits mit alten höltzernen Häusern besetzt, daß man dar⸗
über gehet, offt ohne zu wissen, daß man auf dem Wasser sey. Diese ist durch eine gantz
gerade Gasse zusammen gehänget mit der Brücke Nôtre Dame, welche die allerälteste
und vor jener nur kurtze Zeit gebauet ist. Der Baumeister war ein Barfüsser⸗Mönch,
Nahmens J. Jucundus, dem zum Andencken an einem Steine an einem Schwibbogen
diese Verse stehen:
Jucundus geminum posuit tibi Sequana pontem.
Hunc tu jure potes dicere Ponitificem.Note: „Giocondo hat diese Zwillingsbrücke für Dich, Quellfluss der Seine, errichtet. So kannst Du beschwören, dass er der Brückenbilder war.“ Der Zweizeiler stammt von dem italienischen Dichter Jacopo Sannazaro (1458-1530). Mitten auf dieser Brücke sind zwey Machinen angeleget, welche Wasser aus der Sayne
heben. Von da wendet man sich lincker Hand an dem Fluß hin nach der Brücke au
Change,Note: Ein Kupferstich von Pierre Aveline gibt die Brücke wieder: Vue et perspective du pont au Change commencé à bâtir en 1639 sous le règne de Louis XIII et achevé sous le règne de Louis XIV (Paris, Musée Carnavalet, G.30511). welche zwey Reyhen fünff Geschoß hohe, und an den Faciaten von Quaderstein
aufgebauete Häuser hat. Vorn theilet ihre Passage sich als ein Y von einander, woselbst
das Monument der zarten Jugend Königs Ludwigs des XIV. stehet, welches
meistens von Metall, doch guten Theils auch von gehauenen Steinen gemachet ist. Da
stehet er in den Jahren, wie ihm das Königreich zugefallen ist,Note: Gemeint ist das Todesjahr von Ludwig XIII., 1648, als Ludwig XIV. zehn Jahre alt war. auf einem Postement,
und über ihm eine Renommee, die ihn mit einem Lorber⸗Krantz krönet. Neben dem
Postement stehen die Königlichen Eltern Lebens⸗Grösse von Metall von recht guter Zeich⸗
nung, und als man saget, auch in guter Aehnlichkeit, darunter liegen Gefangene, so nur
von halb erhabener Arbeit gemachet. Das gantze Monument stehet unter einer Arcade,
und wird der Meister der es gemacht hat Guilin genennet. Man kan von der Brücke
Nôtre Dame auch durch ein Gewölbe bedecket, zu dieser Brücke gehen, welches Gewölbe
diejenigen unbesehen nicht vorbey gehen müssen, welche gern künstliche und hardie Stein⸗
hauer Arbeit sehen. Die Strasse von dieser zu der andern Brücke (St. Michel genannt,
welche eben also mit Häusern bebauet ist) gehet man vorbey
Das Palais. Wo die Justitz⸗Collegia sind, vor Alters aber selbst der Könige Wohnung gewesen, da⸗
Xher[40]82her es ein gar grosses Gebäude ist. Erstlich ist der grosse Saal zu sehen,Note: Es handelt sich um die Salle des Pas-Perdus (ehemals Grande Salle), die 1618-1622 nach einem Brand nach Plänen von Salomon de Brosse wieder aufgebaut wurde. Die vorherige Grande Salle ist durch einen Kupferstich von Jacques I. Androuet du Cerceau bekannt. Vgl. die Einleitung von David Thomson in Androuet du Cerceau 1988, S. 6 (Abb. 1), sowie Gallica.bnf.fr. der gantz von
gehauenen Steinen mit sehr grossen Bögen gewölbet ist, daß man ihn gewiß vor ein rares
Gebäude zu halten hat. An einem Ende desselbigen ist der Procuratorn Capelle, welche
sie auf ihre Kosten außbutzen lassen, wenn aber Mein Herr sie besehen wird, kan er selbst
urtheilen, ob solcher Butz habe zwölff tausend Rthl. kosten können, ja noch mehr wie un⸗
ser Brice davon saget.Note: Brice nennt Ausgaben von 40 000 livres. Vgl. Brice 1698, Bd. II, S. 363. Die Zimmer worinnen Zusammenkünffte geschehen, können auch
besehen werden, wiewohl es sich der Mühe nicht groß verlohnet. Das also nichts mehr
übrig ist, als die Heilige Capelle zu besehen, da es aber vornemlich auf Reliquiuen ankom⸗
men wird, so in Behältnissen sind, die reichlich mit Silber, Gold, und Edelsteinen staf⸗
firet sind, wie es in dem Pabstthum gebrauch ist. Wozu allerhand Silber⸗Geschirr
kömmt, und Tapeten, womit man an dem Fest St. LouisNote: Der Namenstag Ludwig des Heiligen (1214-1270) ist der 25. August. den Altar aufpruncket. Das
curieuseste nach meinem Gustu ist ein grosser Orientalischer Achat, welcher gar künstlich
geschnitten,Note: Brice beschreibt dieses Objekt detaillierter: „[…] une grande agate orientale antique, de figure presque ovale, un peu plus grande qu’une assiette ordinaire de table, taillée en bas-relief, […]“. Vgl. Brice 1706, Bd. II, S. 473. und Antich die Apotheosin Augusti vorstellend, und von einem Griechischen
Kayser verehret ist, welcher um Hülffe wider die Türcken angehalten, aber vergebens.Note: Es ist anzunehmen, dass Sturm Balduin II., Kaiser des Lateinischen Reichs (1217-1273), meint.
Von dem Palais gehen wir durch die Place Dauphine, welcher Platz ein Trapezium von
zwey gar ungleichen Basibus vorstellet, an der breiten Basi und den zwey Seiten mit einem
wohl regulirten, und in viel Häuser eingetheilten Gebäude umgeben ist, an der andern
gar kleinen Basi aber offen stehet gegen die
Neue Brücke oder Pont neuf. Auß welcher unser Brice wiederum ein grosses Wesen etliche Seiten durchmachet, so doch
alles keine scharffe Probe aushält. Eine schöne und kostbare Brücke ist es allerdings, und
der Prospect darauf ist gegen der einen Seite sehr schön, aber beydes hat Mein Herr in
Teutschland an unterschiedenen Orten, sonderlich zu Regenspurg,Note: Die Steinerne Brücke in Regensburg (1135-1146) war lange die einzige Brücke über die Donau zwischen Ulm und Wien. Sie war mehr als 300 Meter lang, besaß 16 Arkaden und seit dem Ende des 13. Jahrhunderts drei Türme. Vgl. Dehio/Drexler-Herold/Gall et al. 1991, S. 622f. PragNote: Die Karlsbrücke über die Moldau in Prag wurde ab 1357 von Peter Parler unter Kaiser Karl IV. als Ersatz einer älteren Holzbrücke aus dem 12. Jahrhundert errichtet. Die Zuschreibung an Parler wird heute bezweifelt. Sie ähnelte in ihrer Steinkonstruktion und der fehlenden Randbebauung dem Pont Neuf in Paris und war noch im 18. Jahrhundert die einzige Brücke, welche die beiden Stadtteile von Prag verband. Vgl. Arens 1991, S. 212-223; Woldt 2012, S. 198. und DreßdenNote: Die Augustusbrücke in Dresden geht auf das 13. Jahrhundert zurück und wurde 1727-1731 am Ende der Regentschaft von August dem Starken von Matthäus Daniel Pöppelmann umgebaut. Vgl. Dehio 1965, S. 79.
besser gesehen, und wird es anderswo noch mehr finden. Zwey schöne Stücke sind zu
Paris auf der neuen Brücke zu sehen, die Statue Königs Henrici IV. und der Brunnen
la Samaritaine genannt.Note: Sturm hat das erste Pumpwerk der Fontaine de la Samaritaine vor ihrer Rekonstruktion 1712-1729 gesehen. Die Pumpe besaß ein Wasserrad mit einem Durchmesser von 5,20 Metern, das von der Strömung der Seine angetrieben wurde. Vgl. Viollet 2005, S. 93. Jene stehet fast mitten auf der Brücke, und gegen erst beschrie⸗
bener Oeffnung der Place Dauphine zu. Sie ist ein Geschencke von dem Groß⸗Her⸗
tzoge zu Florentz, und mit vieler Gefahr auf der See, und grossen Unkosten nach Paris
gebracht worden, wie denn Brice davon erzehlet, daß sie durch Schiffbruch untergangen,
mit grausamen Kosten wiederum auß der See gezogen, hernach auf einem andern Schiff
unter grosser Gefahr von Seeräubern endlich in Franckreich und biß Paris gebracht wor⸗
den sey, welches man alles auf Pergamen geschrieben in eine bleyerne Dose gestecket, und
also in des Pferds Bauche aufgehoben habe. Er führet auch die Worte selbiger Schrifft
an, darinnen man doch von dem Schiffbruch, und von den Seeräubern nichts siehet.
Das Postement ist von weissen Marmor, und mit metallenen Bassi rilievi und Inscri-
ptionen besetzet, und unten sitzen an den vier Ecken vier metallene Sclaven. Um dieses
Monument her stehet ein schönes eisernes Stacket, daran hin und wieder etwas ver⸗
guldet ist.
Der Brunnen de la Samaritaine. Stehet über dem andern Bogen der Brücke gegen das Louvre zu, und bestehet in einer
kleinen Cascade, welche in einen steinernen Kessel auf einem Reservoir, so in einem da⸗
hinter gebaueten Häußgen stehet, herab fället, daneben ist in zwey Statuen vorgestellet,
wie Christus mit der Samariterin redet.Note: Tatsächlich waren die beiden Statuen - der sitzende Christus und die stehende Samariterin - beidseitig der Fontaine auf der ersten Etage aufgestellt. Vgl. den Kupferstich von Nicolas Langlois der Pompe de la Samaritaine (Paris, Musée Carnavalet, G.32955) in Hurel/Leprevots/Willesme 1978, S. 26 (Abb. 34). Vgl. auch Shulman 2017, S. 265 (Fig. 5.11). Man hat mir gesaget, welches auch Brice schrei⸗
bet, daß vor diesem das Wasser aus der Sayne sey in demselbigen Häußgen durch ein
metallenes Drückwerk durch zwey Röhren in die Höhe getrieben worden, und daß der
Brunnen mit den Statuen vortrefflich gearbeitet sey von dem berühmten Pilon gewesen,Note: Die Skulpturen stammen von René Frémin (1672-1744). Die Pompe de la Samaritaine war 1607-1608 während der Herrschaft von Heinrich IV. errichtet worden. Germain Pilon (gest. 1590) hat hingegen die Masken der Schlusssteine an den Bögen des Pont Neuf geschaffen.
und das Glocken⸗Spiel so man oben auf dem Häußgen siehet, vortrefflich schön gespielet
habe, jetzo aber sey alles nicht mehr im Stande. Ich glaube aber nicht, daß jemahls an⸗
dere oder bessere Statuen daselbst gestanden haben, als itzo da stehen, welche eben so
schlimm nicht gemacht sind. So glaube ich auch nicht, daß jemahls an demselbigen Glo⸗
cken⸗Spiel etwas sonderlichs gewesen sey, weil die Glocken sehr klein sind, und bekannt
ist, daß nur vor kurtzer Zeit die Kunst gute Glocken⸗Spiele zu machen, erst in Holland so
hoch gestiegen ist. Aber dieses wundert mich nicht wenig, daß, da der vorige König so
gar sehr auf solche Sachen verpicht gewesen, die zu Herrlichkeit der Städte dienen, und
da man sonst so viel auf die Kirchen in Paris wendet, daß man daselbst gar keine Glocken⸗
spiele hat, und man nicht diesen Vorzug den Holländern zu disputiren, bemühet gewe⸗
sen. Wir wollen aber diese Brücke nun auch verlassen, und noch die neueste Brücke,
welche genannt wird
Pont Royal. Noch ein wenig besehen, welche eher verdienet, daß man grosses Wesen daraus mache,
daran es unser Brice auch nicht hat ermangeln lassen, doch nicht so gar liberal mit dem
Rühmen gewesen ist, als bey der vorigen Brücke, die doch dieser an der Kunst des Baues
nicht beykommt. Denn an dieser sind die Bogen weiter, und die Pfeiler nach Propor-
tion dünner, welches eben die Punct sind, die einen Brücken⸗Bau nächst der festen
Gründung am löblichsten machen.
In die Masse der Brücke, welche er anführet, kan ich mich gar nicht
schicken. Er gibt die Länge an 72 Klaffter oder 432 Fuß, und daß die
Wiederlagen an beyden Ufern jede 36 Fuß, der mittlere Bogen 72 Fuß, die
beyden neben der Mitte jeder 66 und die beyden äussersten jeder 60 Fuß
haben, so kämen nicht mehr vor einen jeden der vier Pfeiler in dem Was⸗
ser, als 9 Fuß Dicke, welches gar zu wenig wäre, und der Augenschein auch
widerleget. So setzet er auch, daß man die gantze Länge der Brücke in 11
gleiche Theile theilen müsse, welches sich zu seinen eigenen specificirten Mas⸗
sen nicht schicket. Mein Herr kan leicht ermessen, daß ich würde selbst die
Masse abgenommen haben, wenn es mir wäre möglich gewesen. Also kan
ich hier nichts gewisses berichten, sondern muß nur ein wenig raisoniren.
Daß die Bogen von der Mitte an allmählich schmähler seyn, ist raisonable,
und die Breite derselben, wie sie Brice setzet, ist wohl zu glauben, als wol⸗
len wir dieses zum Grunde unserer Rechnung annehmen. Die Dicke aber
der Pfeiler soll nach aller Baumeister Ubereinstimmung nicht weniger als
einen sechsten, und nicht mehr als einen vierten Theil der Weite des Bo⸗
gens haben. Drittens wie es raisonable ist, daß in der Mitte, wo der stär⸗
ckeste Trieb des Wassers ist, auch die Bögen am raumlichsten seyn sollen,
damit das Wasser desto freyer Passage habe, so erfordert auch eben diese
Raison, daß man die Pfeiler in der Mitte am allermeisten so dünne machen
müsse, als es unbeschaden der Dau{e}rhafftigkeit seyn kan. Derowegen ich
halte, daß zu den vier Pfeilern zwischen besagten Bögen jedem seyn zwey
Klaffter oder 12 Fuß genommen worden, welche die Proportion zu dem
grössesten Bogen wie 6 gegen 1 und zu dem kleinesten wie 5 gegen 1 ha⸗
ben. Solcher gestalt blieben noch fünff Klaffter oder 30 Fuß zu jeder
Wiederlage an dem Ufer, welches noch raisonable genug wäre. Mein Herr
wird etwa besser Gelegenheit haben die warhafftige Maasse zu erfahren,
und kan denn sehen, wie nahe ich zugetroffen habe. Das ist gar schön, daß
an beyden Enden die Brücke oben breiter wird, damit die Wagen bequem darauf einlen⸗
cken können. Welches an Pont neuf auch fehlet, allwo es doch nöthiger gethan hätte
als bey dieser Brücke, weil schwerlich jemahl die Passage auf dieser so frequent werden
wird. Als sie auf jener ist. Es müssen aber dieser Verbreitungen auf recht künstlichen
Bögen liegen, welche die Frantzosen trombes nennen, in Teutschland aber ausgekragte
Bögen, oder Aercker⸗Gewölbe heissen. Die an dem Pont Royal sind von Quaderstei⸗
nen gewißlich recht schöne. Hiemit schliesse auch diese Relation, und empfehle zu beharr⸗
licher Gewogenheit
den 23. Octob. 1716.
und Diener
N.
XVIII.
ALs mein letztes Schreiben, dessen er sich nicht wird versehen haben, nur vor einer
Stunde abgegangen war, wurde ich durch sein Werthes vom 16then passato er⸗
freuet, und sonderlich durch die Encomia und Dancksagungen vor meine besser
gemeinte als ausgeführte Arbeit fast hoffärtig gemachet. Ich mag mich wehren so viel ich
will, daß ich mir solche Flatterien nicht wohl gefallen lasse, weil ich weiß, daß an mir nichts
ist, so es verdiene, so mercke ich doch, daß es ein Sporn in meinem Fleisch ist, immer
begieriger in dieser Arbeit fortzulauffen. Mein Herr wird dann ins künfftige mich damit
verschonen, und ein willig Pferd nicht weiter mit spornen antreiben.
Ich setze derowegen meine Tour in Paris von dem Ort da ich letztens geblieben,
weiter fort,Note: Sturm setzt seinen Weg vom Pont Royal aus fort. und gehe an der andern Seite des Strohms wiederum zurücke gegen die
neue Brücke,Note: Der Weg vom Pont Royal bis zum Pont Neuf führt Sturm über den Quai des Théatins und den Quai de Conti. Er erwähnt nur wenige Hôtels und Gebäude an diesen beiden Quais. So berücksichtigt er beispielsweise nicht die Hôtels de Tessé, de Beuvron oder de Bèrulle. Vgl. Borjon/Pons 1990. um das Quartier St.Germain durchzustreichen.
Da stossen uns nun zuforderst auf die Theatiner, welche eine neue Kirche zu bauen
schon lange angefangen, welche benebst einer grossen Kuppel noch vier kleinere, und über
diese noch so viel gantz kleine, als sie Capellen haben wird, bekommen soll, also kan ich
nichts rechts davon sagen, und gehe demnach weiterNote: Sturm setzt seinen Weg auf dem Quai des Théatins fort. zu einem Hauß des Præsident Per-
rault. Darinnen sonderlich die Gallerie gerühmet, und in derselbigen sonderlich eine ge-
nealogische Tabelle von den Königen in Franckreich itziger Linie bewundert wird, auf wel⸗
chen ihre Contrefaite en Miniature zu sehen.Note: Sturm erwähnt die „contrefaits en miniature“ in der Galerie, ohne die 20 großen Porträts der Bourbonen hervorzuheben, die ebenfalls Teil der Ahnentafel waren. Vgl. Borjon/Pons 1990, S. 68. Ein schöne Capelle ist auch daselbst, wor⸗
innen ein Gemählde von Albrecht Durer.Note: Sturm schreibt dieses Werk, wie bereits andere vor ihm, Albrecht Dürer zu, obwohl es sich um das Triptychon der Sieben Sakramente von Rogier van der Weyden handelt, das zwischen 1440 und 1444 für die Collégiale de Poligny entstanden war. Vgl. Borjon/Pons 1990, S. 69. Es ist noch eine kleinere Gallerie daselbst, wel⸗
che von Blanchart gemahlet worden, der unter den Parisischen Mahlern in Reputation
ist. Weiter hin folget
L’Hôtel de Bouillon, da unter andern ein Cabinet admiriret wird, welches le
Brun gantz gemahlet hat, darinnen er Apollo auf dem Parnaß von den Künsten und
Wissenschaften begleitet, hat vorgestellet. In der Hertzogin Gemach ist auch ein gar
schönes Cabinet, und der Camin von sonderlicher Ordinirung.
L’Hôtel de Crequy ist auch wohl zu sehen, und insonderheit ein schöner Vorrath
von reichen Meublen und raren Schildereyen darinnen zu finden. An diesem gehet man
eine Gasse hinein nach der
Kirche des grands Augustins. Darinnen erstlich ein schöner Haup⸗Altar zu sehen, welchen le Brun angegeben. Hat acht
in halben Circul gestellete Corinthische Marmor⸗Säulen, die gleichsam eine halbe Kuppel
formiren, welche GOtt den Vatter mit Engeln umgeben, von weissen Marmor gehauen
umgiebet. Die Stühle in dem Chore sind von fürtrefflicher Tischer⸗Arbeit, und vor dem
Chor her ist ein Singe⸗Chor, der auf Corinthischen Säulen von schwartzen Marmor
erhoben ist. Der Predigtstuhl ist von verguldeten Tischer⸗Werck, darinn man etliche Bas
relief von der alten Cantzel versetzet hat, weil sie von dem berühmten Gougeon geschnit⸗
ten worden,Note: Nach Aussage von Brice sind diese Flachreliefs von Germain Pilon. Vgl. Brice 1706, Bd. II, S. 374. aber schade ist, daß man sie nicht verguldet hat. Es ist darinnen auch zu se⸗
hen die Capelle der Ritter vom Heiligen Geist, worinnen sie von dem König zu Rittern
geschlagen werden. Wenn wir aus dieser Gasse wieder nach dem Strohm heraus, und
in die nächstfolgende wieder hinein gehen, finden wir
L’Hôtel de La Rochefoucault, welches ehedessen de Liancourt geheissen, welches
einen schönen Garten hat, und vor diesem sehr hoch gehalten worden, itzo aber nicht in so
hohem Ansehen mehr ist, weil es allzuniedrige Geschosse hat. Es werden darinnen sehr
rare Gemählde aufbehalten, unter denen ein Ecce homo von Andrea Salario vor un⸗
schätzbahr gehalten wird. Gehen wir wiederum heraus so stehet uns gleich vor Augen
Le Colle Mazarin. Oder de Quatre Nations, welches vortrefflich wohl gelegen, und auch zu guter Parade
angeleget ist. Vor der Kirche ist gegen dem Wasser ein kleiner Platz formiret durch bey⸗
derseits herausrückende Gebäude mit zwey viereckigten Pavillons, so mit Corinthischen
Wand⸗Pfeilern gezieret sind. Die Kirche lieget dazwischen, davor ein Vorschopff ist von
4 Corinthischen Säulen und zwey Pfeilern an den Ecken in der Front und noch drey
Säulen an jeder Seite, welche einen Fronton tragen, in dessen Giebel⸗Feld zwey
weibliche Statuen liegen, so zwischen sich einen Uhr⸗Zeiger haben, eine mit
einem Hammer und einer Glocke, vielleicht die Vigilanz zu bedeuten, die
andere mit einem Linial und Buch, vermuthlich den Fleiß vorzustellen, aus⸗
sen aber darauf an jeder Seite ein Paar Evangelisten sitzen. Aber das lässet nicht
gut, daß so gar viel Säulen so gar enge bey einander stehen. Die Kirche
wird mit vorgemeldten zwey Pavillons durch rund ausgebogene aber niedrigere Gebäude
zusammen gehänget, welche mit Ionischer Ordnung gezieret sind, und darüber ein Gelän⸗
der haben, dadurch das Dach verdecket wird. Diese Composition giebet zusammen ein
gutes Ansehen, und obschon alles ziemlich niedrig ist, scheinet es doch grösser als es ist. Zu
verwundern aber ist, daß an der Kirche das Band so unter den Krantz⸗Leisten stehet, nicht
mit Zahn⸗Schnitten ausgearbeitet ist, da es doch an den geringern Neben⸗Gebäuden ge⸗
schehen. Uber der Kirch⸗Thüre unter dem Vorschopff haben zwey Engel en bas relief des
Cardinals Wappen. Ich bedaure, daß ich keine Grund⸗Risse und Auff⸗Risse in Kupffer
davon zu Paris habe antreffen können.Note: Jean Marot hat im Sammelband des „Grand Marot“ einen Schnitt der Kapelle des Collège des Quatre-Nations publiziert (vgl. Deutsch 2015, S. 470 [143], u. Marot 1727, Tf. 23). Die Ansicht der Straßenfassade gibt ein Kupferstich von Israël Silvestre aus dem Jahr 1670 wieder, mit der Seine im Vordergrund und den Fassaden des Collège dahinter (Paris, Musée Carnavalet). Doch habe ich die wenige Zeit so ich gehabt, an⸗
gewendet, und einen Grund⸗Riß von der Kirche gemachet, welcher hiebey folget.Tab.
XXVIII.
fig.1. Es ist
ein klein, aber recht niedliche Kirche. Die Kuppel machet eigentlich das Schiff
der Kirche, welche von Grund auf gerade geführet, und nicht nach der
verwegenen Art auf Pendentifs gebauet ist, hat aber nicht einen Circul⸗
runden, sondern länglicht⸗runden Grund, dessen kurtzer Diameter gegen
der Kirchen⸗Thür zustehet. An dieser Kuppel sind zu unterst acht
grosse Corinthische Wand-Pfeiler Wechsel-weise in vier grossen und vier
kleinen Säulen-Weiten ausgetheilet. Die Halle ist innen nach einem noch
viel kürtzern und breitern Oval formiret, und mit 14 kleinen Corinthi⸗
schen Wand-Pfeilern besetzet, da zwischen neben den zwey Seiten-Thüren
vier Bilder⸗Blindt aber ohne Statuen, so viel ich weiß. Innen gehet um
die Kuppel an drey Seiten eine Gallerie herum, welche durch Arcaden an
jeder Seiten in drey, hinten aber in 5. Capellen eingetheilet ist. Die mit⸗
telste hinten ist die grösseste unter allen, und dienet an statt des Chores
vor dem Haupt⸗Altar. Die mittelsten an der Seiten sind nicht so groß,
doch grösser als die übrigen, und haben auch jede eine Altar. An jedem
solcher Altar stehen vier Wand⸗Pfeiler, und davor zwey Säulen von Mar⸗
mor. Alle diese Wand⸗Pfeiler und Säulen haben mit denen in der Halle
einerley Ordnung und Modul. Ich sage frey, daß ich keine ingenieusere
und künstlichere Eintheilung der Architectur in Paris gefunden. Es ist
auch an den subtilen Kleinigkeiten in Außtheilung der Zahn⸗Schnitte und
Sparren⸗Köpffe, und in übriger Profilirung der Simse so viel Accuratesse
als sonst irgends in Paris zu finden, sonderlich innen. Doch sind auch aus⸗
sen die Sparren⸗Köpffe gar just, und kommen auf jede grosse Säulen⸗
weite sieben Sparren⸗Köpffe, und auf jede Sparren⸗Weite fünff Zahn⸗
Schnitte, wenige außgenommen, da ich sechs gefunden. Die Kuppel ist aus⸗
sen sehr nett und wohl proportioniret mit Schiefer gedecket, und auf den Ribben mit
hin und wieder verguldeten Bley gezieret, auch stehen vor derselbigen, und hinter den vier
Evangelisten auf einer Attique gekuppelte vier Paar Statuen der vornehmsten Lateini⸗
ischen und Griechischen Kirchen⸗Lehrer, so dem Pabstthum am besten dienen. Innen aber
ist das Gewölbe der Kuppel noch nicht gemahlet, welches noch allein scheinet zu Vollen⸗
dung dieser Kirche übrig zu seyn. Der Baumeister soll gewesen seyn Franz Dorbay, ein
Discipel des Louis Vau.Note: Tatsächlich stammen die Pläne von Louis Le Vau (1612-1670), seit 1654 Erster Architekt des Königs. Vgl. Lours 2016, S. 333-338. An dem Borten des Vorschopffs lieset man diese kurtze In-
scription: Jul. Mazarin. S. R. E. Card. Basilicam & Gymnas. f. C. A. 1661.Note: Übersetzung von Nicole Taubes: „Jules Mazarin, S.R.E. Kardinal, hat die Kapelle und das Kolleg errichten lassen im Jahr MDCLXI.“ Das Grabmahl Mazarini, welches in dieser Kirche (bey A) in einer Capelle
stehet, welche lincker Hand im Hineingehen von dem Altar demselben ent⸗
gegen stehet, ist sehr schön, und obschon des Louvois seinesNote: Vgl. Tab. XXII. ihm sehr viel
ähnlich ist, gereichet es doch vielmehr zu dessen Ruhm, weil dieses neuer
ist, und also der Angeber jenes als ein Original imitiret hat. Deßwegen ha⸗
be ich jenes auch abgezeichnet, welches hiebey überkommet.Tab.
XXXI. Die Tugen⸗
den, welche über dem Kämpfer unter dem Bogen sitzen auf einer espece von
Postement,Note: Im unteren Teil befinden sich die Bronzefiguren der Personifikationen der Vorsicht, der Treue und des Friedens, darüber, in Marmor, die der Religion und der Mildtätigkeit. Vgl. Pérouse de Montclos 1994, S. 209 (Abb.). halten in einem runden Schild eine Inscription, an dem Postement
aber stehet auch eine Inscription.Note: An dem Postament befindet sich keine Inschrift, ebenso wenig an dem von der Personifikation der Treue gehaltenen runden Schild, den Sturm erwähnt und der mit mehreren Fleurs de lys geschmückt ist. Vgl. Pérouse de Montclos 1994, S. 209 (Abb.). In Brice aber nehme ich itzo erst in acht,
daß die von ihm angeführte Inscription viel zu lang ist, als daß sie hätte an
einer der besagten Stellen stehen können, ohne allzuklein an den Buchsta⸗
ben zu werden, so gedencket er auch nur einer eintzigen Inscription, ich aber
weiß gewiß, daß an beyden berahmten Stellen Inscriptiones gestanden sind,
als bin ich darüber gantz irre. Doch lässet sich diese Inscription fuglich in
zwey besondere Inscriptiones abtheilen, darum ich sie gantz hieher und dabey
setze, wie sie an dem Werck selbst stehen mögen.
An dem Schilde. ‘D. O. M.
Et perenni memoriæ Julii Ducis Mazarini, S. R. E. Cardinalis. Italiæ ad Cazale,
Germaniæ ad Monasterium, totius denique orbis Christiani ad Montes Py-
renæos Pacatoris. Qui cum res Gallicas Ludovico Magno adhuc impubere
felicissime administrasset, atque illum jam adultum & regni curas capessentem
fide consilio ac indesesso labore juvasset, depressis undique Franciæ hostibus,
ipsisque famæ suæ æmulis virtutum splendore, beneficiis, clementia devictis
ac devinctis, placide & pie obiit, Anno R. S. M. 1661. ætat. 59.’
An dem Postement. ‘Templum hoc & Gymnasium ad Educationem Nobilium Adolescentium ex IV.
Provinciis Imperio Gallico recens additis oriundorum extrui testamento jus-
sit & magnifice dotavit.Note: Siehe die Übersetzung in Behrmann 2007, S. 157, Anm. 86: „Dem höchsten und besten Gott und der ewigen Erinnerung an Herzog Jules Mazarin, Kardinal der Heiligen Römischen Kirche, der Italien in Casale, Deutschland in Münster und schließlich durch das bei den Pyrenäen geschlossene Abkommen der ganzen christlichen Welt Frieden schenkte. Nachdem er während der Minderjährigkeit Ludwigs des Großen die Geschäfte des Königreichs auf das glücklichste geführt und dem erwachsenen, die Regierung selbst in die Hand nehmenden Monarchen in Treue sowie mit Rat und nie nachlassendem Eifer zur Seite gestanden hatte und nachdem die Feinde Frankreichs in den Staub geworfen und die Rivalen des französischen Ruhme durch Tatkraft, Glanz, Wohltaten und Milde besiegt und gefesselt worden waren, starb er friedlich und fromm im Jahre 1661, 59 Jahre alt. Diese Kirche und das Gymnasium zur Erziehung junger Adeliger aus den vier Provinzen, welche dem französischen Königreich jüngst hinzugewonnen waren, zu errichten und prächtig auszugestalten, verfügte er in seinem Testament.“ Zwischen der Transkription der lateinischen Inschrift durch Leonhard Christoph Sturm und der durch Carolin Behrmann gibt es leichte Abweichungen, die hier aber vernachlässigt werden können.’
Es verdienet ohne dem diese Inscription hier angeführet zu werden, weil sie
nervose viel enthält, daß allen Curiösen zu wissen dienlich ist.
Unter und vor diesen Auffschrifften ist nun der Cardinal, der sehr accurat soll getrof⸗
fen seyn, knyend auf einem Sarg vorgestellet, und ist die Draperie welche sich von seinem
Mantel über den gantzen Sarg außbreitet, von gar herrlicher Arbeit, hinter ihm ste⸗
het ein Engel, der in einer Hand alte Römische Regirungs-Fasces träget,
mit der andern Hand dem Cardinal den Himmel zeiget. Da zwar scharff
critisirende ein Bedencken haben möchten, weil die Lictores den Bürgermei⸗
stern ehemahls die Fasces getragen, und also hier der Cardinal des Bür⸗
germeisters, der Engel aber des Büttels Stelle vertritt, ob nicht diese
Vorstellung eines Engels unverständig, oder wenigstens allzuhochmüthig
angebracht sey, und eine mehr als heydnische Apotheosin inserire. Alle biß⸗
her beschriebene Bilder sind von weissem Marmor. Unten aber sitzen an dem Pedestal
noch drey metallene Statuen in gar geschickter Stellung. Die Insignia die sie in der
Hand haben, sind accurat angedeutet, und sitzen die beyden mit den
Reichs⸗Insignibus, und mit dem Horn des Überflusses sehr traurig, die dritte
aber tröstet sie. Coyzevox ist auch der Meister der dieses alles angegeben, das
Collegium bey dieser Kirche ist sehr weitläuffig, und enthält zwey bebauete Höfe, der hin⸗
tere sehr grosse hat nur schlechte Gebäude, aber der vordere kleine und gar regulier angege⸗
ben ist gantz von Quadersteinen um und um bebauet. Die Bibliothec ist sonderlich
darinnen zu besehen, welche nicht nur an der Zahl und Güte der Bücher, sondern auch
an der Nettigkeit und Kostbarkeit ihrer SchränckeNote: Nach Mazarins Tod 1661 wurde die einst für die Galerie in seinem Palais in der Rue de Richelieu entworfene Ausstattung von aufwendigen Holzschränken mit Säulen und Kapitellen in das Collège des Quatre-Nations eingebaut. Vgl. Sordet 2015, S. 81. vortrefflich ist. Zwar sind in der Zeit
der Disgrace des Cardinals die vortrefflichsten Wercke davon abgekommen und verkauffet
worden,Note: Während der Fronde kam es zu Beginn des Jahres 1652 zu einem öffentlichen Verkauf eines Teils der Bestände der Bibliothek Mazarins. Vgl. Gille/Berry 1990, S. 129. wie denn allein in der Bibliothec zu Wolffenbüttel etliche hundert
herrlich gebundene und rare Folianten, theils gedruckte, theils geschriebe⸗
ne zu sehen sind, so ist doch der Schaden hernach in etwas ersetzet worden,Note: Der Nachfolger von Mazarins Bibliothekar Gabriel Naudé, François de La Poterie, kaufte einen Großteil der verstreuten Bücher zurück und stellte in weniger als 10 Jahren die Bestände der Bibliothek wieder her. Vgl. Gille/Berry 1990, S. 129. wie aber
annoch 35000 Bände drinnen seyn sollen, als Brice schreibet, habe ich da
ich sie gesehen, nicht wohl begreiffen können.
Wenn wir noch ein wenig von diesem Collegio an dem Wasser fortgehen,Note: Sturm setzt seinen Weg auf dem Quai de Conti fort. sehen
wir L’Hôtel de Conty, ehedessen genannt de Nevers. Die Entree desselbenNote: Die Fassade des Hôtel de Conti wurde von Jean Marot im Sammelband des „Grand Marot“ als Kupferstich publiziert. Vgl. Deutsch 2015, S. 465 [70] bzw. die Reproduktion auf Gallica.bnf.fr (fol. 70r). ist nicht
von so prächtigen Außsehen als Brice saget, sondern sihet als ein gemein
Hauß,Note: Tatsächlich war die Fassade des Hôtel de Conti von relativ schlichter Gestaltung mit nur wenigen dekorativen Elementen und ganz ohne Säulen oder Pilaster, wodurch sich Sturms Wertung erklären mag. gegen welches der daran gebauete und biß an das Dach reichende
Thorweg viel zu groß lässet. Er ist auf die Mansardische Art mit einer gar
schönen Einfassung und Gesimse nebst darauf sitzenden Bildern gezieret,
und stehet in einem grossen Blind, welches schlechts mit Bossagen gezieret ist.
Vornemlich wird darinnen die Capelle hochgehalten, welche mit Corinthischen Wand⸗
Pfeilern von grünlechten Marmor ausgesetzet ist, und ein kleiner Saal dessen Decke von
Jouvenet gemahlt ist. Der Garten ist auch gar angenehm. Von da an gehen wir wei⸗
ter an die neue Brücke, und durch die Gasse Dauphin so auf selbige gerade zutrifft, nach
der Gasse St. Lamberti, ohne etwas merckwürdiges anzutreffen. In dieser aber fin⸗
den wir
L’Hôtel de Conde, davon Marot drey Kupffer gemachet. Das äusser⸗
liche Ansehen, und das im Hof ist ansehnlich genug, aber wenig, das verständige Liebha⸗
ber der Bau⸗Kunst ergötzete. Aber inwendig ist viel kostbares zu sehen. Da sind reiche
Tapeten, rare Gemählde, Sammlungen von Edelgesteinen und dergleichen in grossen
Vorrath, und findet sich dabey auch eine schöne Bibliothec, und darinnen auch schöne mit
der Hand gezeichnete Carten. Der Garten ist auch vortrefflich schön. Wenn man da⸗
selbst wieder heraus kömmt, fället alsobald in das Gesicht
Le Palais d’Orleans. Es hat davon Marot Grund⸗und Auf⸗Risse genug vorgestellet, und unser Brice hat die
Disposition desselbigen recht beschrieben, auch mit recht davon grosses Wesen gemacht,
und ich muß gestehen, ohnerachtet ich nicht völlig finden kan, worinnen
es bestehet, daß dieser Palast so gar sonderlich majestätisch in die Augen
fället, wenn nicht solches Ansehen dadurch mercklich vermehret wird, weil
die frantzösischen Gebäude, das Louvre außgenommen, wenn sie noch so
correct und lieblich sind, doch etwas kleines an sich haben. Daher ich glau⸗
be, wenn er zu Rom stünde, da die Paläste, auch die am bizzarresten ange⸗
geben, alle ein grosses Ansehen haben, würde er etwas an seinem majestä⸗
tischen Ansehen verliehren. Deme sey aber wie ihm wolle, so bleibet ihm
doch dieser Ruhm, daß er an sich selbst ein sonderlich prächtiges Wesen
hat. Der Entwurff hievon, wie solcher TAB. B. fig. 13. zu ersehen, kan die
General-Disposition, wie das Gebäude unter Dach stehet, deutlich zeigen, und
folgende Beschreibung erklären. Es ist also das Haupt⸗Gebäude A. B. hinten ge⸗
gen dem Garten zu mit einem grossen Risalit C welches ein rundes Pavillon-Dach hat,
und gegen dem Hof mit einem kleinen Risalit c c welches einen runden Fronton träget.
Dieses Haupt⸗Gebäude ist an den vier Ecken zwischen vier Pavillons mit Spitzen Dächern
D, E, F, G eingefasset, und diese alle zusammen haben drey hohe Geschoß übereinander,
deren unterstes mit Toscanischer, das mitlere mit Dorischer Ordnung beyde mit Säulen⸗
Stühlen, das oberste mit Ionischer Ordnung ohne Säulen⸗Stühle gezieret ist. Neben
der hintern Risalita sind zwey Altane H und I über dem untersten Geschoß, vorn aber
gegen dem Hof ein nur wenige Fuß über denselbigen erhabener, mit einer weiß marmor⸗
nen balustrade gezieret, und mit Marmor⸗Fliesen belegter Platz. Den übrigen grossen
Hof schliessen an beyden Seiten Gebäude M, N nur zwey Schoß hoch, welche sich an
Pavillons endigen O so den vorbeschriebenen gantz gleich sind, und zwischen denselbigen
wird der Hof vorne völlig von einem Altan QNote: Das impliziert auch den Buchstaben R auf seinem Plan. beschlossen, der über einem verdeckten
Gang mit Arcaden in der Höhe des untersten Geschosses lieget, dergleichen Gang auch
unter beyden Seite⸗Gebäuden M.N ist. Endlich wird dieser Altan Q durch ein vier⸗
eckigtes mit Risaliten an allen Seiten versehens und zwey Geschoß hohes Thor⸗Gebäu⸗
de beschlossen, auf welchem eine runde Kuppel gleich dem dritten Geschoß stehet P. Die
Wand⸗Pfeiler um und um an dem Gebäude stehen Paar⸗weise neben einander als gekup⸗
pelt, und über den breiten Säulen⸗Weiten, daran die Fenster stehen, ist das Gebülcke
allezeit eingezogen, und alle diese Architectur ist in allen Geschossen mit Bossagen gantz
überzogen, welches viel zu dem grossen Ansehen des Gebäudes mit contribuiret, doch
würde es ohne Zweiffel noch besser stehen, wenn diese Bossagen in dem mitt⸗
lern und obern Geschoß nicht über der Wand⸗Pfeiler Stämme mithin lief⸗
fe, wie doch deren Einfassungen der Fenster davon frey geblieben, über
welche sie mit mehrerm Recht als über die Stämme der Pfeiler hingehen
mögen. Die Gebälcke sind nicht gar zu accurat, am allerwenigsten aber
die drey Schlitze an den Dorischen Borten ausgetheilet, massen ihre Zwi⸗
schen⸗Tieffen bald schmähler als hoch, bald breiter, bald sehr viel breiter
sind. Um die Dächer lauffen überall Geländer herum, und würde vollends dieses
Werck vortrefflich außsehen, wenn diese Geländer mit Statuen, Bases und
Tropheen durchgehends besetzet wären. Aber daran fehlet es so gar, daß
nicht mehr als vier liegende Statuen auf zwey Frontons zu sehen. Das ist
aber insgemein, daß grosser Herren Gebäude nicht gantz fertig werden.
Wäre dieser Palast, wie gesaget, mit Statuen aussen herum allenthalben
besetzet, inwendig aber so wie einige Zimmer in dem Louvre gantz außge⸗
zieret, so wäre wohl kein herrlicher Palast in der Welt.
Wenn wir nun durch das angezeigte Thor nach dem Hof zu gehen, so finden wir
es inwendig auch rund, und umher mit Corinthischen Pfeilern besetzet, und mit einem Ku⸗
gel⸗Gewölbe von gehauenen Steinen gedecket. Hinten in dem Haupt⸗Gebäude ist
gegen dem Eingang über die Haupt⸗Treppe groß und prächtig, doch noch
mit Tonnen⸗Gewölben gedecket, indem sie auch in das dritte Geschoß fort⸗
gehet. In mehr als drey oder vier Gemächer pfleget man die Fremden nicht zu führen,
welche neben der Treppe rechter Hand und in dem Pavillon G liegen, welche sehr groß
sind, aber noch mit Decken nach der alten Art versehen, daß man die Balcken siehet, wel⸗
che reich außgeschnitzet, und viel verguldet sind. Von kostbahren Meublen ist da nichts
zu sehen. Durch diese Gemächer kommt man in die Gallerie M. N. welche gantz von
Rubens vortrefflich gemahlet ist.Note: Peter Paul Rubens (1577-1640) führte 1622 bis 1625 einen Gemäldezyklus für die Galerie im Palais du Luxembourg mit Szenen aus dem Leben von Maria de’ Medici aus. Vgl. Cosandey 2004. Brice schreibet, daß der gemahlten Stücke 24
seyn, ich aber habe nicht mehr als 22 aufgeschrieben,Note: Sturm täuscht sich: 21 Gemälde illustrieren das Leben von Maria de’ Medici und drei Porträts zeigen sie sowie ihre Eltern, Francesco I. de’ Medici und Johanna von Österreich. und kan auch nicht
mehr besinnen, massen die Gallerie an jeder Seite nicht mehr als neun Fen⸗
ster hat, zwischen denen 16 Gemählde sind, noch vier an den Ecken der
Gallerie, und noch eines an jeder schmahlen Wand, man wolle denn die
Contrefaits der Eltern der Königin Mariæ de Medicis mit dazu rechnen, wel⸗
che in Rähmen an die erste schmahle Wand gesetzet sind, aber nicht von
Rubens, sondern von Ant. von Deyck gemahlet worden.Note: Entgegen Sturms Annahme sind die Porträts von Francesco I. de’ Medici und Johanna von Österreich nicht von Anton van Dyck, sondern ebenfalls von Rubens. Er citiret auch ein
Buch Felibiens, worinnen alle Gemählde der Gallerie specifiret werden, wel⸗
che Specification ohne Zweiffel mit guter Müsse mit Erklährung auß den Ge⸗
schichten besagter Königin recht gut gemachet seyn wird. Denn ihr Le⸗
bens⸗Lauff ist recht symbolischer Weise in dieser Gallerie vorgestellet. Weil
ich aber selbiges Buch nie gesehen,Note: Es existieren mehrere Neuauflagen von Félibiens Werk (1705 in London sowie 1706 in Amsterdam), die Sturm hätte erwerben oder konsultieren können. habe ich den Innhalt der Gemählde
auß ihnen selbst kurtz und einfältig abgeschrieben, welchen ich hier einbrin⸗
ge, damit ihn Mein Herr mit gemeldeten Buch (nemlich Felibiens Beschrei⸗
bung des Lebens und der Wercke der berühmtesten Mahler) zusammen
halten könne.Note: Der Autor benutzt zwar die Gemäldebeschreibungen, die Brice in seinem Reiseführer von dem Zyklus gibt, kürzt diese aber und fügt ihnen vor allem persönliche und originelle Beobachtungen hinzu. Vgl. Brice 1971 (Ausgabe v. 1752), Bd. III, S. 381-398.
- I.
Stehet zwischen zwey besagten Contrefaits von Ant. van Deyck an der
vordersten schmahlen Wand über dem Camin die Königin als eine Ama⸗
zonin gemahlet, welches ein jeder siehet, daß es von eben dem gemahlet
worden, der die gantze Gallerie gemahlet hat. - 2.
Spinnen die Parcen der Königin Lebens⸗Faden, über denen Jupiter
ist, dem die Juno mit einer sonderlich sehnlich außgedrückten Mine bittet,
nemlich daß er ihn lang spinnen lasse. - 3.
Ein Weibsbild als Pallas hält die Königin als ein Kind auf den Ar⸗
men, und siehet es sonderlich penetrant an, wie denn das Feuer und Leben
so Rubens den Augen gewust zu geben, gantz inimitabel und verwundersam
biß diesen Tag befunden wird. In dem Vorgrund lieget, ein Fluß der sich
- auf einen Löwen steuret, und ohne Zweiffel den Alfeo fürstellet.Note: Der aus der griechischen Mythologie stammende Flussgott Alpheios soll hier vermutlich den Fluss Arno evozieren, der durch Florenz - Geburtsstadt Maria de’ Medicis - fließt. Dabey
streuen viele Amouretten Blumen und allerley Königliche Insignia aus, und
gegen den Fluß über ziehen zwey Amouretten einen Schild mit einer Fran⸗
tzösischen Lilie. - 4.
Stehet die Königin als eine kleine Princeßin vor einer sitzenden Pallas
und lernet schreiben. Mercurius in der Lufft zeiget mit Verwunderung dar⸗
auf, daneben stehet einer, der eine Viola da gamba streichet, und zu seinen
Füssen lieget eine Laute, ein Buch und ein Pollet mit Farben und Pinsel wie
auch ein von weissen Marmor gehauener Kopff. Drey Gratien stehen
hinter der Princeßin, davon die mittlere ihr sehr gleich siehet, und einen
Krantz zureichet. - 5.
Eine Fama bringet König Henrico IV. in Franckreich der Princeßin
Contrefait, welches eine hinter ihm stehende Pallas ihm zeiget. Zwey Kinder
spielen mit des Königs Waffen, Juno redet ferne davon in dem Himmel
mit Jupiter die Heurath ab. - 6.
Die Vermählung der Königin mit des Königs Gesandten hat nicht
viel allegorisches. - 7.
Ein Schiff am Port, darunter an dem Vorgrund etliche Nymphen
und Tritonen nebst einem alten Fluß mit glatten grauen Haaren. Franck⸗
reich als eine junge Dame vorgestellet mit einem Helme, und etliche Weibs⸗
Personen empfangen die Königin. Ein geharnischter Mann, so der Her⸗
tzog von Florentz seyn soll,Note: Sturms Vermutung, es handele sich hier um einen „Hertzog von Florentz“, bei dem er eventuell an Ferdinando I. de’ Medici denkt, ist nicht zutreffend. Tatsächlich ist auf dem Gemälde von Rubens ein unbekannter Ritter des Malteserordens dargestellt. stehet auf einem Schiff. - 8.
Dieses verstunde ich nicht. Es ist eine Frau auf einem Wagen von
2 Löwen gezogen, darauf zwey Liebichen mit Fackeln reiten. In den
Wolcken ist Jupiter mit Juno, welche ihn sehnlich bittet, vielleicht um die
Fruchtbarkeit der Königin. - 9.
Die Geburt König Ludewig des XIII. schiene mir das herrlichste
Stück unter allen. Sonderlich ist die Königin verwundersam vorgestellet,
welche gantz matt mit blossen Füssen und Pantoffeln daran auf einem Sessel
sitzet, an deren Minen man sehen kan, daß der Mahler mehrmals mag
eine gebährende Frau in dem Actu der Geburt abgezeichnet haben, so sie⸗
het man einen sonderlichen von Schmertz und Freude gemischten Affect an
der Königin gegen das gebohrne Kind, welches etliche Frauens⸗Perso⸗
nen zur Pflegung hinnehmen. Auf der andern Seite præsentiret eine Frau
der Königin einen Korb mit Früchten, worunter noch fünff kleine Kin⸗
der stecken. In der ferne fähret die Sonne aufwarts die Geburts⸗Stun⸗
de anzudeuten. - 10.
Der König eine Reise vorhabend und von viel Geharnischten be⸗
gleitet, übergibt der Königin, welche zwischen beyden den Printzen an der
Hand hat, eine blaue Kugel, mit den frantzösischen Lilien die Regiments⸗
Sorge vorzubilden. - 11.
Die Crönung der Königin ein herrliches Stück wobey auch nichts
allegorisches, als daß zwey fliegende Bilder ein Cornu copiæ mit Geld hinter
ihr ausschütten. Dieses Gemählde ist grösser als die übrigen, mit sehr viel
Personen, welche alle gecontrefaitet seyn sollen und darunter auch Cardi⸗
nälen. Dieser Talare sind von herrlich rother Farb so frisch, als wenn sie
vor gar kurtzer Zeit gemahlet wären. - 12.
An der hindern schmahlen Wand ein vortreffliches Stück, da der
König, welcher an dem Krönungs⸗Aufzug ermordet worden, von zwey
Engeln gen Himmel geführet wird, seine Waffen hinter sich auf der Erde
lassend. Eine Frau mit einem Palm⸗Zweig gantz betrübt, fallet auf die
Knye, und eine andere mit einem Siegs⸗Zeichen auf einem Baumstamm
fallet sich in die Haare, und weinet schmertzlich. Die Königin in Trauer
mit einer sonderlich heroisch⸗betrübten Mine auf einem Thron, nimmt
von denen auf Knyen liegenden Unterthanen gleichsam wider Willens die
Regirung an. Das sehnliche Wesen in den Gesichtern der Knyenden und
- die übrige Affecten so mit gantz unvergleichlicher Kunst in diesem Stück
ausgedrücket sind, kan keine Feder beschreiben. - 13.
Eine Versammlung der Götter in dem Himmel von denen Apollo,
Mars und Pallas gesendet, die Furien, den Neid, die Aufruhr und die Untreu
vertreiben. Apollo der als ein junger Mann mit rothen Haaren und einem
Schein um den Kopff abgebildet, hat etwas gemeines und bürgerliches an
sich. Dieses Stück ist wegen näher anrückenden Fensters nicht gar so groß
als das gegen überstehende eilffte. - 14.
Ist die Königin als eine Amazone zu Pferd, über der eine Renommee
mit einem Sieges⸗Krantze flieget; Eine Weibes⸗Person folget ihr, welche
eine Hand auf einen Löwen legend, in der andern den Königlichen Schmuck
hält, den sie derselbigen mit traurigem Gesicht weiset. In der Ferne lieget
eine Stadt, nach welcher der Königin Heer zuziehet. Mag auf den Krieg
deuten den sie mit den Printzen vom Königlichen Hause geführet. - 15.
Die Verbündniß mit Spanien durch Verheurathung einer Frantzö⸗
sischen Princeßin an Spanien, und einer Spanischen an Franckreich.Note: Dieses Gemälde verbildlicht die Heirat zwischen Anna von Österreich und Ludwig XIII. (auf der linken Seite) sowie jene zwischen der Schwester des Dauphins, Élisabeth de Bourbon, mit dem späteren König von Spanien Philipp IV. (auf der rechten Seite). Bey⸗
de stehen beysammen, und werden an beyden Seiten von einem gehar⸗
nischten Jüngling gleichsam abgehohlet. Dieses siehet aus, als wenn es
auf einer Brücke geschähe, und liegen drey Flüsse auf dem Vorgrund. In
der Lufft ist eine Gloria von Engeln, die allerhand aus einem Cornu copiæ
ausschütten. - 16.
Die Königin auf einem Wagen auf der einen Seite ein geflügelter
Mann und eine Frau mit einem Helm, und auf der andern nackende
Weibs⸗Bilder mit Blumen vor denen drey Kinder hergehen. Im Vorgrund
liegen Satyri auf den Bäuchen als zu Boden geschlagen, vor denen eine
Schalmey und etliche Bücher liegen. - 17.
Die Königin mit dem König ihrem Sohn auf einem Schiff, welches
von vier Weibern getrieben wird.Note: Bei diesen vier rudernden weiblichen Figuren handelt es sich von links nach rechts um die Personifikationen von Stärke, Religion, Gerechtigkeit und Eintracht. - 18.
Die Königin wird von etlich Geharnischten angefallen. Sie hat ei⸗
ne Waag in der Hand, auf einer Seite neben ihr ist ein Jüngling mit einem
Helm, darüber fliegen zwey Bilder deren eines eine Fackel, das andere ein
Gewand träget. - 19.
Mercurius bringet der Königin auf ihrem Thron einen Friedens⸗Zweig,
neben dem ein CardinalNote: Es handelt sich entweder um Louis III. von Lothringen, Kardinal von Guise, oder um Kardinal Louis de Nogaret de La Valette. stehet, und mit zuspricht, ihn anzunehmen. Ne⸗
ben ihr stehet an einer Seite auch ein Cardinal,Note: Hierbei handelt es sich um Kardinal François de La Rochefoucault. und an der andern eine
Dame. Ziehlet sonder Zweiffel auf den mit ihrem Sohn getroffenen Frieden. - 20.
Ist der Königin Danck⸗Fest fürgestellet. Mercurius führet sie nach ei⸗
nem Tempel, und noch eine Frau umfänget sie gleichsam rückwarts. Noch
eine andere gehet vor ihr her mit einer Fackel welche gegen die liegende
Waffen umgekehret ist. Sie aber wird von dem Neid verfolget. - 21.
Die Königin wird gen Himmel geführet. Ein Engel stürtzet mit einem
Blitz einen Drachen,Note: Die Hydra wird nicht von einem Engel gestürzt, sondern von einer Personifikation des Muts oder der göttlichen Gerechtigkeit. welches ihren Todt nicht bedeuten kan, weil sie selbst
diese gantze Gallerie hat mahlen lassen noch bey ihren Leb⸗Zeiten, sie müste
sich ihn denn ins künfftige vorgestellet haben. - 22.
Die Königin und der König sitzen beysammen in dem Himmel, er præ-
sentiret ihr ein Hertz. Ein geflügelter Alter führet eine meist nackende Wei⸗
bes⸗Person nach ihnen zu.
Indem ich wieder aus dieser Gallerie durch die vorigen Zimmer zurück
gieng, observirte ich an einem Camin einen David mit Goliaths Haupt, wel⸗
ches er auf einem Pedestal hält. Diese Schilderey war wenigstens 5 Fuß breit,
7 bis 8 hoch, und schiene mir eine Arbeit von Rennbrand zu seyn.Note: Sturms Beschreibung lässt keinen Zweifel daran, dass es sich um das Werk von Guido Reni handelt, das sich ehemals im Palais du Luxembourg befand (heute im Musée du Louvre, INV 519). Dass Sturm hier ein Gemälde von Rembrandt zu sehen glaubt, ist durchaus erstaunlich. Vgl. Baudouin-Matuszek 1992, S. 289f.
Der Garten war nicht cultiviret, und hatte nichts besonders, doch zeigete mir der
Gärtner eine schöne Orengerie, die er unter Handen hatte. Wenn man in den Garten
eintritt, ist gleich zur lincken Hand derselbige etliche Stuffen erhoben, und an dieser Er⸗
hebung stund, wiewohl nicht gantz durch, sondern nur eine Strecke hin, ein weiß mar⸗
morn Gebäude, welches gewiß schöne war. Weil aber Brice von Blondel saget, daß er
es in seinem Cours d’Architecture gantz accurat beschrieben habe, hielte ich mich nicht
dabey auf. (Aber wie ich von der Reise wiederum nach Hause kam, fand ich
in meiner holländischen Edition nichts davon.) An dem Ende der grossen Allee
war ein Werck zu einer Fontaine angeleget, welches von angenehmer Architectur ist,
nemlich eine Niche, welche vorn mit vier grossen Bäurischen Säulen gezieret ist, darüber
zwey liegende Statuen eines Flusses und einer Wasser⸗Nymphe auf ihren Wasser⸗Ge⸗
fässen sich steurend liegen, mit einem Schild zwischen beyden darauf das Frantzösische und
das Mediceische Wappen stehen. Weiter fand ich daselbst nicht das geringste mehr zu
besehen. Von diesem Palais nun weiter in der Rüe Garance gehend, finden wir das Hô-
tel der extraordinairen Ambassadeurs, und das Hôtel Vantadour, in welchen beyden
nichts zu sehen. Aber nahe dabey ist das schöne Hauß des Cantzler Terrat, darin⸗
nen gar schöne Gemächer, und vornemlich ein Cabinet so gantz mit Spiegeln ausgesetzet.
Der Garten ist auch niedlich. Besonders wird die Haupt⸗Treppe vor ein gutes Stück
der Architectur gehalten. Es bestehet aber nur in zwey Mauer⸗Pfeilern ohne Ordnung,
aber mit Bossagen besetzet, welche einen Fronton tragen, in dessen Felde des Haußherrn
Wappen stehet. Oben auf sind sitzende Statuen der Klugheit und Gerechtigkeit. Es
ist auch sonst noch einig manierliches Schnitz⸗Werck von Fratzen⸗Köpffen und dergleichen
daran, und die Thor⸗Flügel sind auch nebst der Schönheit der Tischer⸗Arbeit mit
Schnitz⸗Werck sauber gezieret. Unweit davon sehen wir die
Kirche St. Sulpice. Welche ein neu und groß, aber bey weiten noch nicht fertiges Gebäude ist. Der Chor
allein ist recht fertig, der in hohen Arcaden bestehet, deren Schwibbogen auf einem Co⸗
rinthischen Gebälcke gevierter Mauer⸗Pfeiler ruhen, an welchen Corinthische Wand⸗Pfei⸗
ler stehen, und ein schönes Gewölbe in grosser Höhe tragen. Um diesen Chor herum ge⸗
het eine gewölbete Abseite, welche auch mit Wand⸗Pfeilern und einem architravirten
Krantz gezieret ist, darinnen waren einige Capellen angefangen, welche anitzo wohl mögen
fertig seyn.Note: Sturm verweist nicht auf die zahlreichen in dieser Kirche beigesetzten Persönlichkeiten, hierunter der Architekt François Blondel (1618-1686). Nahe bey dieser Kirche ist das
Seminaire de St. Sulpice. Welches ein weitläuffig kostbar Gebäude ist, zu deme doch nur ein Privatus die Kosten
hergegeben. Die Capelle darinnen ist vortrefflich, deren Decke von le Brün ausbündig
wohl gemahlet ist, eine Assumptionem Mariæ vorstellend,Note: Charles Le Bruns 1654 ausgeführtes Deckengemälde hat sich nicht erhalten, ist jedoch über einen Kupferstich von Louis Simmonneau (1654-1727) bekannt, siehe British Museum Collection online. Vgl. Montagu 1963, S. 397 (Abb. 17) u. S. 400. dabey er sich selbst unter dem
Bild eines Apostels abgemahlet hat. An dem Altar hat eben derselbige auch eine Pfing⸗
sten gemahlet, welches Stück ihm selbst so wohl gefallen, daß er es etliche mahl copiren
lassen, und darinnen retochiret hat. Gleich dabey ist
La Foire de St. Germain. Welches ein Kauff⸗Hauß ist von ziemlicher Regularität, aber ohne was sonderliches zu
haben, doch habe ich dessen gedencken wollen, weil jährlich vor der Fasten der bey den
Teutschen Passagiers so beliebte Jahrmarckt darinn gehalten wird, darinnen sich mancher
Einfältiger durch das Frauen⸗Volck um viel Geld bringen lässet. Nahe dabey ist ein
schönes Hauß hinter der Kirche St. Sulpice, welches vor diesem l’Hôtel de Sourdiac ge⸗
heissen, welches unter andern eine gar artige Treppe hat; und damit kommen wir wie⸗
derum in die lange Strasse Vaugirard, und gehen daselbst die Nonnen⸗Klöster du Cal-
vaire, und du Precieus Sang, und des Bernardines vorbey nach dem
Kloster des Carmes Dechausses. Daran doch nichts besehens⸗würdiges ohne die Kirche ist, welche auch, was das gantze
Werck anbelanget, eine zwar modern Architectur, doch nicht von genugsamer Corre-
ction hat, wie man es gleich an denen in Schnieckel gebrochenen Frontons
über der Hof⸗und über der Kirch⸗Thüre von weiten abnehmen kan. Sie
hat eine Kuppel so aber nicht nur gantz schlecht gebauet ist,Note: Die Kuppel ist aus Holz und Gips konstruiert und mit Schiefer gedeckt. Vgl. Lours 2016, S. 222. sondern auch
ohne die geringste gute Proportion und Zeichnung.Note: Dies ist die erste Kirche in Paris, deren Fassade nach dem Modell von Il Gesù in Rom und wie diese mit einer Vierungskuppel errichtet wurde. Vgl. Lours 2016, S. 220-225. Aber inwendig sind einige
Stücke welche des besehens wohl werth sind. Der Haupt⸗Altar ist wohl inventiret mit
Corinthischen Marmor⸗Säulen, und einigen Bildern der vornehmsten Heiligen aus
dem Orden dieser Mönche. Daran ist gemahlet, wie unser Heyland in dem Tempel
von seinen Eltern vorgetragen worden, welches Stück hoch gehalten wird. Der Mah⸗
ler heisset Quintin Varin. In dem Gewölbe der Kuppel ist die Himmelfahrt EliæNote: Der biblische Prophet Elia galt als Mitbegründer des Ordens der Karmeliten. vor⸗
trefflich gemahlet von Bortelot Flemael. Noch sind zwey schöne Capellen darinnen.
Eine der Mutter GOttes gewidmet,Note: Diese Kapelle befindet sich im östlichen Arm des Querschiffes. hat derselbigen Bild sitzend mit dem JEsus⸗Kind
in ihrem Schoß, aus weissen Marmor vortrefflich gehauen. Sie sitzet auf einem Altar
in einer Niche, vor welcher vier Corinthische Säulen von schönen Marmor gleichsam ei⸗
nen Vorschopff eines Tempels formiren, soll eine Invention von Bernini seyn, und sie⸗
het sehr wohl aus. Gegen über ist die andere Capelle der H. Theresia gewidmet,Note: Diese Kapelle befindet sich im westlichen Arm des Querschiffes. welche
auf einem Gemählde von Corneille sehr wohl vorgestellet ist. Sie ist mit Marmor⸗Säu⸗
len einer Römischen Ordnung gezieret, daran der BaumeisterNote: Der Baumeister der Église Saint-Joseph-des-Carmes ist nicht bekannt. wieder die Gewohnheit,
den Borten mit Festonnen gezieret, welche an Krag⸗Steinen angehänget sind, aber kei⸗
nen unangenehmen Effect in dem Auge thun. Vor dem Chor und diesen beyden Ca⸗
pellen sind Geländer von außerlesenen Marmor. Ubrigens ist die gantze Kirche gar son⸗
derlich schön weiß angestrichen, und soll diese Art zu weissen bey diesen Mönchen als ein
sonderlich Geheimniß seyn. Wir gehen von diesem Kloster wiederum etwas zurücke und
lincker Hand in eine Gasse, da wir noch besehen wollen
Le Noviciat des Jesuites. Da die Kirche klein aber wohl und ziemlich rein geordnet an der Architectur, doch nicht
so gar fürtrefflich als es unser Brice heraustreichet. Der Angeber ist ein Frater
von den Jesuiten gewesen, Martel Ange genannt. Die Faciata hat in dem untersten
Stock sechs Dorische Wand⸗Pfeiler mit hohen Untersätzen. Da man aber gleich sie⸗
het, daß die Metopen zwischen den drey Schlitzen breiter als hoch sind,
die vier Säulen⸗Weiten sind gleich groß, und die mittlere just doppelt so
groß, da es gar keine Kunst gebrauchet hätte die Eintheilung der drey
Schlitze correct zu machen. Aber weil nach der gewöhnlichen Proportion
die mittlere Säulen⸗Weite hatte just 10 Mod. und die andere fünff Mod.
werden müssen, da aber jene zu enge zu einer wohlgezierten Thüre, diese
aber zu ansehnlichen Bilder⸗Blinden gekommen wären, so hat sich der gu⸗
te Frater nicht anderst als mit solcher Abweichung von der Regul der drey
Schlitze zu helffen gewust. Die obere Reyhe ist Ionisch mit Säulen⸗Stüh⸗
len, welche aber, weil sie am Modul nicht g{e}nug verjünget worden, ziem⸗
lich schwehr aussiehet. Es sind nur vier Wand⸗Pfeiler und über den bey⸗
den äussersten Dorischen ist der Säulen⸗Stuhl oben continuiret, und die
an Kirchen gewöhnliche Strebe⸗Pfeiler mit grossen Schnieckeln darauf ge⸗
setzet, welche aber gar nichts schönes an sich haben, sonsten recht plump
aussehen. Sonsten ist die Combination und die reine Simplicität sehr wohl
in Acht genommen, daß man siehet, wie der Frater doch auf dem rechten
Weg der guten Bau⸗Kunst sey. Sechs Bilder⸗Blindten sind daran, vier
unten, und zwey oben, darinnen aber noch keine Statuen gestanden.
Inwendig ist die Dorische Ordnung auch behalten, und zwischen den drey Schli⸗
tzen in den Zwischen⸗Tieffen allerhand Kirchen⸗Geräthe sauber und proportionirlich auß⸗
gehauen, welches gar gut aussiehet. Das Licht ist wohl in Acht genommen, und die
Kirche schön helle geworden. Das Gewölbe der Kirche ist auch wohl angeordnet. Der
Altar ist nur von Holtz mit zwey Corinthischen Säulen, aber eine vortreffliche Schilderey
von dem vortrefflichen Poussin daziwschen, welche Xavierium vorstellet, welcher unter
vielen Zusehern ein Wunder thut. In zwey Capellen sind auch schöne Gemählde von
Voüet und Stella. Die grosse Capelle aber zur Versammlung der Jesuiten ist gantz mit
verguldeten Täffel⸗Werck, mit ordentlich daran ausgetheilten Schildereyen und mit ei⸗
nem Decken⸗Stück gezieret,Note: Giovanni Battista Gherardini (1655-1723) realisierte die Ausstattung der Chapelle de la Congrégation. Das Fresko zeigt eine Auferstehung. Vgl. Montgolfier/Willesme 1985, S. 64. und hat an ihrem Altar den Englischen Gruß von Cham-
pagne.Note: Sturm erwähnt nicht die 1693 für das Noviciat des Jésuites entstandenen Gemälde von Pierre Mignard des Saint Jérôme au désert (verloren) und der Apparition de la Vierge à Saint Ignace dans la grotte de Manrèse (heute im Séminaire de Saint-Sulpice). Beide Werke befanden sich vermutlich ab 1693 (oder kurz danach) in einer angrenzenden Kapelle, die im Gegensatz zur Kirche nicht öffentlich zugänglich war. Daher hat Sturm Mignards Gemälde nicht gesehen. Zudem wird das erstgenannte Gemälde von Germain Brice erst ab der fünften Auflage seiner Beschreibung von Paris (von 1706), das zweite sogar erst in der sechsten (von 1713), erwähnt. Vgl. Mazière de Monville/Mignard/Molière 1730, S. 168-169; Brice 1971 (Ausgabe v. 1752), Bd. III, S. 440. Die Herausgeber*innen danken Jean-Claude Boyer, Experte für Mignard, für seine Informationen zur Lokalisierung der Werke und zu ihrer Erwähnung in den verschiedenen Editionen von Brice. Und hiermit erfordert die Zeit, daß ich diesen Brieff beschliesse, deme mit Göttli⸗
cher Hülffe bald noch einer mit der Vollendung des Quartiers de St. Germain folgen
soll. Ich aber bin ununterbrochen
den 2. Nov. 1717.
Diener
N.
XIX.
ICh habe demselben itzo in unserer Ordnung zu beschreiben das Hôtel aux invalides,
das eines der sehens⸗würdigsten Gebäude in gantz Paris ist. Wir finden den lan⸗
gen Weg von dem Novitiat der Jesuiten biß dahin nichts dabey man Ursach hätte
sich aufzuhalten, ohne daß das Hospital der tödtlich Krancken (l’Hopital des In-
cürables) wegen seiner ziemlich regulairen Anlage möchte verdienen besehen zu werden,
ohnerachtet es in der Rüe de Seve auf einem Abwege lieget. Denn in der Abbaye aux
Boys und in dem Hôpital des petites Maisons ist nichts als etwa ein gut Gemählde,Note: Germain Brice identifiziert dieses Gemälde als das Altarretabel der Église de l’Abbaye-aux-Bois, das eine Kreuzabnahme zeigt, ausgeführt von einem gewissen Canis. Vgl. Brice 1706, Bd. II, S. 318. die
in Paris ja nichts rares sind. Wir aber wollen nun durch die Rüe de Grenelle den
nächsten Weg dahin gehen, auf dem wir auch vor einigen Klöstern vorbey gehen, die
aber Brice selbst mit Stillschweigen übergehet, der doch auch das allergeringste so irgend
besehens⸗werth mit möglichstem Fleiß aufgesuchet hat, daher ich Meinem Herrn überlasse,
ob er dieselben besuchen und versuchen wolle, ob zu seiner Curiosität etwas darinnen zu
finden sey. Diese sind La Visitation, die Nonnen der Abbtey de Pantmon und die
Carmeliter.
L’Hôtel Royal des Invalides. Aber, ob es schon nichts ist als ein Hospital vor Soldaten, welche Römisch⸗Catholischer
Religion sind, und im Krieg elend und zu fernern Diensten ungeschickt worden, so ist doch
das vor sie aufgerichtete Gebäude den allermeisten Fürstlichen Schlössern in Teutschland
an Kostbarkeit un{d} prächtigen Ansehen weit überlegen. Man hat zu Paris eine Beschrei⸗
bung in einem gantzen, mit sehr kostbaren Figuren gezierten Tractat: Biß Mein Herr
nun denselbigen bekomme, wird er sich mit dieser kurtzen Beschreibung und einem Haupt⸗
Riß von der Lage der Gebäude vergnügen.Tab.
XXXII.
Der gantze Platz, darinnen dieses Gebäude eingeschlossen, ist ein accurater Qua-
drat welches 7 Morgen Landes begreiffen soll,Note: Bei Germain Brice werden 17 arpents angegeben, vgl. Brice 1698, Bd. II, S. 250. Offenbar handelt es sich um einen Fehler bei der Textredaktion: Sturm hat vergessen, die 1 vor die 7 zu setzen. und ist mit einer kleinen Mauer
umfangen, vor der ein mit Steinen beyderseits gefutterter trockener Gra⸗
ben lieget. Der auf seinem Grund kleine Gürtgen hat, der Haupt⸗Ein⸗
gang hat eine etwas bizarre Ordonnance. Denn es ist darüber ein Bogen
so hoch als die gantze Vorwand des Gebäudes ist, dessen Schwibbogen
auf zwey Ionischen Wand⸗Pfeilern mit Säulen⸗Stühlen ruhet auf welchen
vor den Wand⸗Pfeilern Armaturen stehen. Uber diesen Schwibbogen sind
Armaturen außgehauen, unter demselben aber der König zu Pferd in basso
rilievo mit dahinter stehenden Armaturen.Note: Sturms Beschreibung nimmt hier offenbar den Kupferstich von Jean Marot zur Vorlage (siehe Bibliothèque numérique de l’INHA). Vgl. Jestaz 1990, S. 67; Deutsch 2015, Cat. OG, n° 44, S. 488. Das Gebäude selbst hat fünff Höfe
rings mit Gebäuden umgeben,Note: Sturm bezieht sich hier auf den ursprünglichen Grundriss von Libéral Bruant. Unter der Leitung von Jules Hardouin-Mansart erfolgte die Erweiterung der Südseite mit den Krankenzimmern und den Unterkünften der Geistlichen, die sich um mehrere Höfe anordneten. Vgl. den Grundriss bei Jestaz 1990, S. 28f. (Abb. 22). so vier nicht gar hohe Geschoß hoch sind, der mittlereNote: Dieser Hof wird auch als „Cour royale“ bezeichnet. aber
ist viel grösser als die andern, nemlich 312 Fuß lang, 186 breit, da die andern
schon groß genug, nemlich 112 Fuß ins gevierte haben, welcher Grösse viele
fürstliche Schlösser bey uns kaum einen haben. In dem grossen Rücken
in den vierckten Aercker (in der Zeichnung mit 1, 2, 3, 4 bemercket) hinein,
auf welchen oben an dem Dache vier Kuppel springender aus Stein gar
nett gehauener Pferde stehen. Auch ist in übrigen dieser grosse Hof mehr als die
andern vier gezieret. Die gantze Ordonnance bestehet in doppelt über einander stehenden
Arcaden, daß jede Reyhe zwey Geschoß begreiffet, hinter welchen rings um den Hof eine
freye Gallerie gehet. Auf dem Dache stehen so wohl zu ausserst umher, als auch in die⸗
sem Principal⸗Hof Dach⸗Fenster, welche mit aus Stein gehauener Sculptur reichlich ein⸗
gefasset sind, und lauter Tropheen vorstellen. Mitten gegen der Haupt⸗Entree über ste⸗
het die Faciata der Kirche, welche eigentlich vor die in dem Hofe logirte Soldaten gehö⸗
ret, mit welcher unmittelbahr eine andere und weit prächtigere hinter dem Thor vereiniget
ist, davon wir hernach besonders handeln werden. Diese Faciata ist mit zwey Reyhen
Säulen besetzet, unten mit Ionischen, welche an statt der gewöhnlichen Schnieckel Wid⸗
der⸗Hörner haben, oben mit einer Art Corinthischen, welche theils die Frantzösische Ord⸗
nung nennen, diese Säulen bestehen beyderseits in vier Kuppeln, daß also in
allen sechszehen sind. Das aber weiß ich nicht, wie es gekommen sey, daß
das Simß⸗Werck an dieser Faciata weit schlechter außgearbeitet ist und
profiliret als an dem übrigen Hof umher, da es eher hätte besser seyn sol⸗
len. Oben auf diesen Säulen lieget ein Fronton in dessen Giebel⸗Feld der Uhrzeiger
stehet. Innen ist diese Kirche gleichsam nur ein langes Schiff ohne Creutz und Chor,
mit grossen Corinthischen Wand⸗Pfeilern besetzet, zwischen welchen Arcaden stehen in recht
guter Proportion welche über sich eine Empor⸗Kirche haben, welche auch mit Bogen
aber gar niedrigen und gedrückten, und mit einem steinern Geländer versehen ist. Ne⸗
ben der Kirche liegen zu beyden Seiten schöne aus Quader⸗Stein um ei⸗
nen ziemlich grossen gevierten Platz ohne Pfeiler ausgeführte Treppen, wor⸗
an ein Meisterstück der Steinhauer⸗Kunst erwiesen worden. Sonst hat das
inwendige der Gebäude nichts ausserordentliches. Die Kammern der Officier und Sol⸗
daten liegen also, daß sie ordentlich Compagnie⸗Weise eingetheilet sind. Die Kammern
der Gemeinen haben jede vier Betten, aber die Officier haben jeder seine eigene Kammer,
welche nach dem Unterschied ihres Ranges wohl und nett meubliret sind, daß eine grosse
Menge und in jedem Geschoß umher bey drey Bataillons raumlich und gut
logiren können, und also insgesamt biß 6 Bataillons und 12 Esquadrons, wird
man leicht aus der Grösse des Gebäudes urtheilen können. In dem untersten
Geschoß sind an beyden Seiten zusammen vier lange Speise⸗Sähle, jeder mit zwey Rey⸗
hen gantz schmahlen Tafeln besetzet, daß in jedem Sahl vier hundert Mann
speisen können, wie man mir sagete, ohnerachtet ich dem Augen⸗Maaß
nach mehr nicht als vor zwey hundert Mann Platz sahe, darauf mir auch
einer sagete, daß wohl 600 Mann in jedem Sahl speisen, aber in drey Par⸗
theyen die einander ablösen. Meine Zeit litte es nicht, daß ich um dieser
Sache wegen, die zu meinem propos nicht dienete, hätte warten und ab⸗
speisen gesehen. Es sind darinnen die vornehmsten Bataillen und Belagerungen ge⸗
mahlet, aber größten Theils schon wiederum so sehr ausgelöschet, daß ich
keine mehr recht erkennen konte. Uber den Thüren waren noch deutliche
und schöne Gemählde, welche Le Brun dem König zu Ehren solte gemah⸗
let haben,Note: Die Supraporten der vier Refektorien des Hôtel des Invalides hatte nicht Charles Le Brun geschaffen, der zum Zeitpunkt ihrer Entstehung mit der Ausmalung der Galerie des Glaces im Schoss von Versailles beschäftigt war. Die Ausstattung der Refektorien stammte von Friquet de Vauroze, Michel (II.) Corneille und Joseph Parrocel. Vgl. Lacaille 2005, S. 155. die ich aber nicht sonderlich betrachtet habe, weil es lauter
schmeichlerische Vorstellungen des Louis Foudroyant waren, den man zum
Eckel offt genug zu sehen bekömmt.
Das Gebäude wo die krancken Soldaten liegen, ist durch zwey Höfe x von den erst
beschriebenen Gebäude abgesondert, und in zwölff lange Sähle die um vier Höfe liegen,
eingetheilet. Diese Gebäude sind nur ein völliges und ein gar niedriges Geschoß hoch.
In dem Centro dieser Sähle lieget ein achteckiger Sahl und in der Mitte desselbigen ein
Altar, da vor den Krancken Messe gelesen wird, welches eine grosse Zahl von ihnen mit
Augen sehen kan. Diese Sähle, um desto gesunder zu seyn, liegen etliche Fuß
über der Erde erhoben, und aussen vor den Fenstern gehen eben so hoch
liegende Gänge herum, darauf Secret liegen. Auf der andern Seiten lie⸗
get die Symmetrie nach um einen grossen Platz, (darinn ein grosser Küchen⸗
garten lieget) ein Gebäude ein Geschoß hoch, worinnen allerley Bequem⸗
lichkeiten zum kochen, schlachten, waschen, backen u. d. gl. sind, wie auch
bey d ein Wasser⸗Hauß, da das Wasser durch Esel in die Höhe in ein Reservoir
aus einem tieffen Brunnen gepumpet wird. Aus dem Reservoir wird es in
dem gantzen Gebäude unter der Erde herum geleitet, wie es in dem Ent⸗
wurff mit geschlängelten Linien angedeutet worden. Der Abfluß gehet un⸗
ter dem mittlern Hofe durch, dahin auch alle Dach⸗Trauffen ihren Abzug
haben.
Bey der Beschreibung der hintern neuen Kirche kan ich ohne Archite-
ctonische Critique nicht vorbey gehen. Und vornehmlich ist bey dem Maaß⸗
stab, den ich zu dem Entwurff der Gebäude nach dem proportioniret habe,
welcher in dem oben angezogenen Tractat bey den Rissen stehet, und also bey
denselbigen frantzösischen Kupffern der Mühe werth wohl nach zu sehen,
ob er auch richtig sey, oder das an sich grosse Werck nach der unersättli⸗
chen frantzösischen Ehrsucht über die Warheit sey vergrössert worden.
Denn es wird die Faciata der hintern Kirche von Brice 27 von unserm Ent⸗
wurff aber 25 Toisen angegeben, welches dorten 162 hier 138 Fuß außträ⸗
get, die gantze Faciata aber, wie ich es mit Fleiß abgenommen, ist in solche
Säulen⸗Stellung eingetheilet, als beygesetzter Grund⸗Riß zeiget.TAB.B.
fig.14
Daraus ist nun klärlich zu sehen, daß die Breite der gantzen Faciata
mehr nicht als 72 Modul der untern Säulen betrage, und also müste der
Modul oder die halbe Säulen⸗Dicke höchstens 2 2/9 wenigstens 1 11/12 Fuß, fol⸗
gends ein Faden um einer Säule her wenigstens 12 Fuß betragen. Ich ha⸗
be sie nicht gemessen, und muß nun meine Nachläßigkeit bekennen und be⸗
klagen, kan aber Meinen Herrn aus dem blossen Augen⸗Maaß versichern,
daß er nicht neun volle Fuß finden werde, wodurch der gute Brice mag selbst
betrogen seyn, der sich selbst einen Zweifel machet Tom. II p. 255 ob seine ge⸗
setzte Maasse nicht zu groß sey, aber sich denselben damit beantwortet, daß
sie doch dem Maaßstab gemäß sey der bey den publicirten Rissen stehet.Note: Vgl. hierzu auch die Passage bei Brice: „Tout ce bel ouvrage est de cinquante toises ou environ de haut, depuis le rez-de-chaussée jusqu’à la pointe de la croix, qui est la plus grande élévation que l’on ait encore donnée ; ce que l’on aurait de la peine à croire si l’on n’en avait les mesures très justes dans une estampe gravée exprès, où l’on a mis une échelle qui marque toutes les dimensions de ce bâtiment.“ Brice 1698, Bd. II, S. 255. Tatsächlich stellt Brice den Wahrheitsgehalt der im Kupferstich angegebenen Dimensionen nicht in Frage.
Der Fehler, welchen die frantzösischen Baumeister insgemein bey der
Dorischen Ordnung gemachet haben, daß sie nemlich die Säulen auf 2 1/2 Mo⸗
dul Distanz gekuppelt haben, woraus nothwendig entstehet, daß die Säu⸗
len⸗Füsse mit einem grossen Mißstand sich zerschneiden, ist an dieser überaus
kostbaren Faciata recht vervielfältiger, und kan die Menge der Zierrathen,
und deren gute Execution, wie Brice meinet, es nicht entschuldigen, sondern
weil er vorsätzlich gemachet worden, ihn desto nur sträfflicher machen, weil
dabey so grausame Kosten sind verschwendet worden.
Es ist auch die allzuhäuffige Kupplierung der Säulen so wohl ein Feh⸗
ler wider die Reinigkeit der Architectur, und verursachet eben so wohl eine
Verwirrung, als die allzuhäuffige Anbringung des Schnitzwerks. Wie nun
dieses die Frantzosen selbst nicht läugnen, so müssen sie auch jenes erkennen.
So ist es auch gewiß nichts schönes, wenn an einer Austheilung Corin⸗
thischer Pfeiler die Sparren⸗Köpffe also durch einander lauffen, wie es in
TAB. B. fig. 15 angedeutet ist, welches doch innerhalb dieser Kirchen gar deut⸗
lich geschiehet. Wolte man gleich sagen, man müsse solche Kleinigkeiten ei⸗
nem Baumeister nicht aufmutzen, der ein herrlich Gebäude ausgeführet hat,
wie man einem Poeten in einem grossen und trefflichen Werck es gerne zu
gut hält, wenn er eine Licentiam poëticam gebrauchet, so gebe zur Antwort,
daß es mit diesem Fehler eine gantz andere Beschaffenheit habe, als mit je⸗
nem. Dieser rühret nicht von einer Unwissenheit oder Ungeschicklichkeit
her, sondern von der Unmöglichkeit Worte zu Außdrückung eines gewissen
schönen Gedanckens zu finden, da man solche Licenz nicht dabey brauchen
dürffte. Hingegen in jenem Fall hätte der Baumeister seine Disposition völ⸗
lig behalten, oder noch besser heraus bringen können, und seinen Fehler
nicht begehen dürffen, wenn er nur den Calculum architectonicum recht ver⸗
standen hätte. Aber ich will die Critique wieder fahren lassen, und mich
zur völligen Beschreibung dieses Gebäudes wenden.
Dasselbe ist nun an der Faciata mit einer Dorischen Ordnung und einer Corinthi⸗
schen darüber, deren Modul 5/6 des untern Moduls hält, gezieret, dabey alle
Schnitzwercke angebracht und durch die besten Meister gearbeitet sind, die man mit Recht
fordern oder admittiren kan. Auf dem Simß der Einfassung an der Haupt⸗Thüre sind
von Vancleve, und die liegenden Statuen auf dem FrontonNote: Die Statuen waren, entgegen der Angabe Sturms, nicht in liegender, sondern in aufrechter Position. von Coyzevox gemachet,Note: Die vier Tugendallegorien stehen heute auf dem Gebälk der ersten Etage. Sie stellen links die Stärke und die Gerechtigkeit, rechts die Vorsicht und die Mäßigung dar. Vgl. Keller-Dorian 1920, S. 72f. u. Ill. 52. zu
beyden Bilder⸗Blinten daneben waren noch keine Statuen, es solten aber bald Carolus
Magnus und Ludovicus Sanctus von weissen Marmor jeder aus einem Block gehauen
zwölff Fuß hoch hinein gestellet werden,Note: Diese beiden Skulpturen waren das Werk von Nicolas Coustou und Antoine Coysevox. Vgl. Brosse 1968, S. 88. welche ohne Zweiffel nach oben critisirten
Maaßstab gemessen werden.
Die gantze Anlage der Kirche ist just ins gevierte, und darüber erhebet sich aus der
Mitten die Kuppel also daß nichts davon versuncken oder gedrückt aussiehet. Sie ist mit
Römischen Säulen umgeben, dazwischen die Fenster mit Einfassungen und deren Gesimsen
gezieret, auf dieselbigen aber Kindergen und Gefässer gesetzet sind. Uber diesem Stock ist
noch ein halb Geschoß oder eine Attique, darinnen niedrige Fenster mit runden Sturtz gese⸗
tzet worden, und auf ihrem Krantz⸗Gesimse stehen grosse Leuchter, welche jeder von drey
auf einem Postement halb knyenden halb stehenden Kindergen auf den
Köpffen getragen werden. Das Dach darüber, welches gewißlich nach einem
recht schönen freyen Zug geformet worden, ist mit Bley gedecket, welches mit sei⸗
nen über die Säulen zutreffenden Ribben, und dazwischen angebrachten Armaturen gezie⸗
ret und sehr reich verguldet ist, daß es eine ungemein schöne Parade machet, welche Vergul⸗
dung allein viertzig tausend Rthl. soll gekostet haben. Auf dem Dache stehet eine Lanterne,
welche nur vier Säulen hat, über deren Gebälcke sie als ein außgeschweiffter Conus in eine
Spitze an einen verguldeten Knopff mit einem Kreutz lauffet. Die gantze Höhe biß an
das Kreutz, so weit wir auf oben critisireten Maaßstab verlassen können, be⸗
lauffet sich auf 300 Fuß.
Das inwendige der Kirche war zu meiner Zeit noch bey weiten nicht fertig, ob ich sie
schon nach edirten Buch des Brice gesehen, doch waren die Capitäle und Gebälcke der
Wand⸗Pfeiler schon fertig. Der grosse Altar (welcher bey x stehet) daß man ihn in beyden
Kirchen im Gesicht hat, ist in seiner rechten Grösse aber nur von Gibs Modelliret, wie er von
verguldeten Metall soll gemachet werden. Es saget Brice von Säulen, welche Music⸗
chöre tragen sollen, als wenn sie schon da wären, von denen ich aber nichts gesehen,Note: Die Säulen, die die Tribünen tragen, wurden von Jules Hardouin-Mansart vor die massiven Pfeiler der Kuppel gesetzt. Diese Idee stammte ursprünglich von François Mansart und erlaubte es zum einen, die Pfeiler leichter wirken zu lassen, und zum anderen, eine Kolonnade um den Altarraum herum zu schaffen. Vgl. Jestaz 1990, S. 87-89; Gady 2010, S. 162 und Fig. 119. Obwohl die Arbeiten Anfang Juli 1692 größtenteils beendet waren (vgl. Gady 2010, S. 159), behauptet Sturm, der Paris 1699 besucht, diese Säulen noch nicht gesehen zu haben. Indes werden sie von Brice genannt (vgl. Brice 1971 (Ausgabe v. 1752), Bd. IV, S. 13).
und doch nicht wohl habe übersehen können, weil sie solten so hoch seyn als
die Wand⸗Pfeiler die innen an der Kuppel herum stehen, und ein und dreys⸗
sig Fuß hoch gerechnet werden. Diese Kuppel scheinet inwendig sehr hoch, man rech⸗
net 177 Fuß im Diameter, welches alles wahr ist, wenn der critisirte Maaßstab wahr ist.
Aber das ist zu mercken, daß sie sehr hardie gebauet ist, und in obern Diameter
nicht so weit ist als an dem untern, und also um und um auf einer überge⸗
kragten Mauer ruhet, wiewohl sie auch recht starcke Widerlagen hat. Es
schreibet hiebey Brice etwas, welches ich nicht verstehen kan, ob ich schon das
Gebäude selbst gesehen und lange wohl betrachtet habe, seine Worte lauten
accurat übersetzet also: Sie (die Kuppel) ist terminiret durch zwey Gewölbe, deren er⸗
stes eine grosse Oeffnung hat, und mit vielen Zierrathen von Gibs und einer Arbeit so der
Mosaique sehr ähnlich ist, gezieret werden soll, durch die grosse Oeffnung wird man das an⸗
dere Gewölbe sehen, welches von gebackenen Steinen gebauet ist, und ein Gemählde be⸗
kommen soll, welches zwey und funfftzig Fuß am Diametro habe.Note: Charles de La Fosse realisierte das Fresko der Kuppel mit einer Darstellung von Saint Louis offrant au Christ l’épée victorieuse des Infidèles. De La Fosse begann bereits 1692 seine Arbeit im Hôtel des Invalides, doch wurde die Kuppel erst Anfang des 18. Jahrhunderts vollendet. Vgl. Gustin-Gomez 2006, Bd. II, S. 104-106. Weil aber das Licht
nicht wohl würde dahin durchdringen können, so sind die niedrigen Fenster in der Attique
angebracht worden, also daß man sie innen nicht sehen kan, und sie doch das obere Gewölbe
erleuchten, welches ohne solches Mittel würde gantz dunckel geblieben seyn. Diese Worte
und die darinn beschriebene Construction der Gewölbe begreiffe ich wohl,
kan aber nicht fassen, wie sie sich sollen auf die hier beschriebene Kuppel schi⸗
cken, da ich mich vollkommen erinnere, daß ich das innere Gewölbe dersel⸗
ben habe von gehauenen Steinen ohne solche grosse Oeffnung gebauet ge⸗
sehen,Note: Offenbar aufgrund der zweischaligen Kuppelbauweise erkennt Sturm hier nicht die auch von Brice beschriebene breite Öffnung der unteren Kuppelschale, die auf einem hohen Tambour ruht. Durch diese Öffnung wird die obere, geschlossene Wölbung sichtbar, die indirekt über im Innenraum nicht sichtbare bogenförmige Fenster beleuchtet wird. Vgl. den Schnitt auf Gallica.bnf.fr. und mich sehr verwundert, als ich gesehen, daß an reicher Bildhaue⸗
rey gearbeitet würde, so würcklich aus den Steinen daraus das Gewölbe
künstlich zusammen gesetzet war, außgehauen würde. Also weiß ich dieses mit
des Brice Relation gar nicht zusammen zu reimen. Als ich aber an Orth und
Stelle gewesen, habe ich dieses in Brice, den ich wegen überhäuffeter Arbeit
nur gar flüchtig lase, nicht in Acht genommen, sonst würde ich mich erkun⸗
diget haben, wie er auf solche Relation gekommen sey.
Die vier runden Capellen welche in den vier Ecken des Gebäudes unter der Kuppel
liegen, sind mit Corinthischen Säulen gezieret, und sind 72 Fuß hoch und 30 F. weit im
Diameter, welche Maasse alle von dem offtgemeldeten Maaßstab abgenommen, und fol⸗
gends ohne Zweiffel etwas zu groß sind. Der gantze Bau des Hôtels ist von Liberal Bruand
angegeben worden, ausgenommen die hindere Kirche, welche der jüngere Mansard ange⸗
ordnet hat.Note: Von Jules Hardouin-Mansart stammen die Entwürfe sowohl für die Église des Soldats als auch für die Église du Dôme. Die Kuppel letzterer weist einige Analogien mit einem nicht realisierten Projekt von François Mansart für die Chapelle des Bourbons in Saint-Denis auf. Vgl. Lours 2016, S. 365-367. In dem Zurückgehen von diesem Gebäude nach der Gasse de Babilone, und
aus derselben uns lincker Hand schwängend nach der Gasse du Bac, finden wir
Le Seminaire des Missions Etrangeres, allda zu meiner Zeit eine neue Kirch im
Bau war, welche ein Baumeister du Buisson dirigirete,Note: Sturm bezeichnet Claude-Nicolas Lepas-Dubuisson den Älteren als den Baumeister der Kirche. Wahrscheinlich oblag diesem allerdings nur die Bauleitung unter dem leitenden Architekten Pierre Lambert. und Hoffnung machete, daß et⸗
was Gutes würde daraus werden. Es sind zwey Kirchen über einander, die eine lieget
etwas unter der Erden, daß man über Stuffen hinunter steigen muß, die andere lieget dann
sehr hoch, daß man über eine hohe Treppe hinauf steigen muß. In eben dieser Gasse lie⸗
gen unterschiedliche neugebauete Häuser, unter denen eines dem Bailly de Haute feuilleAm-
bassadeur de Malthe gehöret, der sich schon geraume Zeit durch eine Collection rarer
Schildereyen hervorgethan. Es liegen auch darinnen nahe beysammen ein München und
ein Nonnen⸗Kloster des Franciscaner Recollecten-Ordens, darinnen neue Kirchen
aber ohne allen Pracht gebauet worden. Durch diese Gasse kommen wir in die Gasse de
St. Dominique, und uns rechter Hand darinnen wendend, finden wir das
Noviciat des Jacobins. Welche unter Anführung des Baumeisters Bullet eine neue
Kirche zu meiner Zeit baueten. Innen ist sie mit grossen Corinthischen Wand⸗Pfeilern ge⸗
zieret, mit Capellen in den Abseiten, welche 18 Fuß Weite ins gevierte haben und mit
Kugel⸗Gewölbe gedecket sind. Das Schiff mag 33 Fuß breit und noch einmahl so hoch
in Lichten seyn. Das Licht ist sehr wohl angebracht, und die Kirche davon wohl erleuchtet.
Der Haupt⸗Altar, welchen le Brun angegeben, bestehet in zwey Kuppeln von vier Corin⸗
thischen Säulen auf marmornen Säulen⸗Stühlen, welche einen Himmel mit einem gros⸗
sen Bogen von verguldeten Holtzwerck tragen,Note: Sturm beschreibt hier einen Baldachin. auf welchem eine Auferstehung des Herrn
vorgestellet ist. Hinter diesem Altar ist die Begräbniß de Philippe de Moutaut Duc de
Nauailles, welche mit Marmor verkleidet und mit metallenen verguldeten Bildern gezieret
ist. Gleich gegen diesem Kloster über ist L’Hôtel de Chevreuse, oder wie es itzo heisset
de Luines, welches ein gut Aussehen gegen einander machen wird, wenn die Kirche aussen
ein schön Portail bekommen hat. Von diesem Hôtel hat man unterschiedene Kupf⸗
fer durch Marot, daraus ich eine weitläuffigere Beschreibung machen will,
weil es wohl der Mühe werth, und unser Brice nichts als wenige Worte en
general davon anführet.
Gegen der Strasse ist der Hof mit zwey Gebäuden beschlossen, die ein
Geschoß hoch, und mit einem Altan bedecket, in der Mitte aber mit einer
einfachen Mauer zum Thorweg zusammen gehänget sind, wie es fast ge⸗
wöhnlich zu Paris. Der Hof ist 100 Fuß lang und 66 breit darneben noch
eine basse cour lieget, welche 70 Fuß lang 30 breit ist. Die Gebäude umher
sind zwey Geschoß hoch. Das unterste ist in den Flügeln 19 Fuß hoch. Hinden
aber in einem kleinen Stück der Flügel, und in dem Haupt⸗Gebäude, da der
Hof drey Fuß erhaben ist, 15 Fuß. Das obere Geschoß hat in diesem Haupt⸗
theil 22 in den Flügeln 14 Fuß.
Das obere und Haupt⸗Geschoß ist also eingetheilet. In dem hintern
Flügel⸗Stück zur rechten Hand lieget die Haupt⸗Treppe 6 Fuß breit, welche
gar schön ist. Davon gehet man oben lincker Hand in eine Gallerie welche 90 F.
lang und 20 breit ist, rechter Hand aber in ein Zim{m}er, welches nur drey Stücke
hat einen Saal 35 l. 26 br. ein Vorgemach 26 l. 24 br. eine Kam{m}er 23 l. 17 br.
mit einem Alcoven 23 l. 9 br. Aus diesem Zim{m}er kan man in das daran liegende
kommen, welches doch auch seine eigene aber nur 4 Fuß breite Treppe ge⸗
gen die Haup⸗Treppe über in dem andern Flügel hat. Das Zimmer hat
5 Stücke: eine Antichambre 22 l. 20 br. eine Chambre 20 ins gevierte, ein Ca⸗
binet 19 l. 16 br. und ein klein Cabinet 12 l. 10 br. endlich eine Guarderobbe
22 l. 15 br. welche dunckel, weil sie aus einem verborgenen Höflein Licht em⸗
pfänget, welches nicht grösser als 15 Fuß lang, und gegen dem Fenster der
Guarderobbe 6 F. breit; Von besagter Trappe gehet man in eine Kammer
18 F. ins gevierte, und aus derselben eine andere noch kleinere Treppe vor⸗
bey in einen engen Gang der um den Neben⸗Hof gehet, an deme gegen
dem grossen Hof, und gegen der Gasse noch sechs meist kleine Gemächer
liegen, und eine Trappe. Der Angeber ist der vor diesem berühmte Muet gewesen.
Bey dieser Disposition ist nun nicht zu läugnen, daß es sehr wider die
Commodität gefehlet ist, daß die Gallerie so besonders lieget, und nicht mit
denen vornehmsten Zimmern unmittelbahr zusammen gehänget ist, hernach
daß das andere Haupt⸗Zimmer nicht an der Haupt⸗Treppe lieget, drittens
daß die Haupt⸗Treppe Frembden schwehr zu finden. Darum habe ich einen
Grund⸗Riß hiebey gefüget,Tab.
XXXIII. worinnen ich nicht nur alle aussere Mauren
und die Fenster daran, sondern auch alle drey Höfe desselben Hôtels behal⸗
ten und gewiesen habe, wie es bloß durch eine andere Disposition der Scheid⸗
Wände weit besser könte angeleget werden. Wenn Mein Herr ihn einem
Parisischen Baumeister weiset, und er nicht gantz unvernünfftig gegen die
Ausländer portiret ist, so wird er mir solches zugestehen müssen.
Wenn ich nun durch die principal Haußthüre hineinkomme, finde ich
ein schön Vestibulum oder Vorsahl, und sehe gleich zur lincken Hand die
Haupt⸗Treppe liegen, welche eben so räumlich, aber weit schöner ist, weil sie
von beyden Seiten und von vier Fenstern erleuchtet wird. Neben dieser
Treppe lieget nun oben an jeder Seite ein Haupt⸗Zimmer. Das eine rechter
Hand hat auch drey Stücke, erstlich einen Saal der 38 Fuß lang 26 breit,
und also noch grösser als jener ist, und an jeder Seite drey Fenster hat, da
jener nur auf einer Seite eines, und auf der andern drey hat. Daraus ge⸗
he in eine Antichambre welche 26 lang 19 1/2 breit ist, und die Gemächlichkeit
hat, daß sie sehr commode Schräncke und Schenck⸗Tisch hat, und noch eine
Commodität zum Nacht⸗Stuhl, dazu man aus der Kammer kommet, ohne
jemand zu choquiren oder bösen Geruch zu machen. Daraus kommt man
in eine grosse Kammer mit einem Parade⸗Bett 27 l. 22 1/2 br. und unmittel⸗
bahr daraus in die Gallerie welche unverändert geblieben. Das andere Zim{m}er
hat eben so wohl fünff Stücke aber grösser. Erstlich eine Antichambre 27 1/2 l.
26 br. daraus gehet man an einer Seite in ein grosses Audientz⸗Gemach
mit einem Prunck⸗Bette 28 l. 22 br. an der andern in ein grosses Prunck⸗
Cabinet 24 l. 18 br. worinnen ein raumlicher Schranck. Aus diesem gehet
man in das tägliche Schlaff⸗Gemach, welches aus dem kleinen Höfgen Licht
empfänget, und also von allem Geräusch und rauher Lufft frey ist 18 1/2 l. 16 1/2
br. daran lieget eine Guarderobbe 19 1/2 l. 17 1/2 und daneben ein Kämmergen
vor dem Nachtstuhl, welches seine Fenster aus dem kleinen Höfgen hat,
und ein Vor⸗Sähligen mit einer geheimen Trappe.
Die übrige Zimmer habe auch commoder und schöner heraus gebracht,
und doch eine Trappe erspahret, die übrige aber commoder angeleget.
Dann bey t ist eine doppelte Trappe, daß man aus dem grossen Hof bey t.
hinauf gehen, und oben bey t vor zwey Zimmer kommen, und indessen auch
aus eben denselben bey tt heraus kommen, und ohne von dem hinaufge⸗
henden gesehen zu werden, in den Neben⸗Hof kommen kan,Note: Auf der vorhergehenden Seite bezeichnet Sturm diesen Nebenhof als „basse cour“; vgl. Ansicht 53, S. 95. derglei⸗
chen bequeme Trappe vielleicht in gantz Paris nicht zu finden ist. Hinten
ist noch eine Trappe auf der man wiederum durch den Neben⸗Hof in zwey
besondere Zimmer gelanget. Das untere Geschoß hat auch etwas mehr
Bequemlichkeit, als in dem Gebäude selbst zu finden, wie es erhellet, wenn
man diesen Riß mit Marots seinem vergleichet.
In eben dieser Gasse findet man ein Hauß welches das Hôtel Dieu hat bauen las⸗
sen, dessen Vorsaal wohl zu sehen, weil es mit Dorischen Säulen umher besetzet ist. Nahe
dabey ist in der Gasse Guillaume ein grosses Hauß, welches des dem Hôpital General
zugehöret,Note: Es ist nicht eindeutig, auf welches Gebäude Sturm hier verweist. Vermutlich handelt es sich nicht um das von Pierre Le Muet um 1660 erbaute Hôtel de Laigue (Nr. 16 in der Rue Saint-Guillaume); vielmehr ist zu vermuten, dass sich Sturm auf eine Passage bei Brice bezieht: „Assez proche, dans la petite rue Saint-Guillaume, est une grande maison qui appartient à l’Hôpital général, laquelle paraît avoir été bâtie avec dépense ; les appartements en sont grands et la cour spacieuse ; ce qui est cause que cette maison est ordinairement occupée par des personnes de distinction.“ Brice 1706, Bd. II, S. 348. aber wegen seiner guten Gemächlichkeit gemeiniglich von vornehmen Herrn be⸗
wohnet wird. Zu Ende der Gasse St. Dominique ist das Krancken⸗Hospital de la Charitè,
darinnen aber nichts sehens⸗würdiges. Man gehet daselbst in die Gasse de Tarenne, dar⸗
innen noch einige Häuser zu besehen sind, vornehmlich aber das Hauß des Præsident
Lambert de Vermon, welches nicht viel, aber schöne und bequeme Gemächer, und einen
annehmlichen Garten mit einer schönen Boscage hat. Nahe darbey in der Gasse des Saints
Peres l’Hôtel de Cosse und l’Hôtel de Cavois, welche gar wohl angegeben sind, und ins
besondere eine gar niedliche Treppe in dem letztern. Nahe dabey kan man den Königli⸗
chen Mahler und Wachspoßirer Mr. Benoist besuchen, welcher den Fremden mit Zeigung
seiner Curiositäten höfflich begegnet. Wenn wir davon wiederum in die verlassene Gasse
gehen, so stösset uns das letzte auf, so in diesem Quartier zu sehen, von dem es den Namen hat.
Die Abbtey St. Germain des Pres. Wer alte Grabmahle liebet kan hier unterschiedliche von den alten Königen in Franckreich
aus der ersten RaceNote: Sturm übernimmt hier den Ausdruck von Brice, vgl. Brice 1698, Bd. II, S. 202. Heute würde man von der ersten Dynastie der fränkischen Könige sprechen. Die Abtei Saint-Germain-des-Prés diente als Nekropole der Merowinger. finden. Meines Thuns ist es aber nicht gewesen, der ich nur nach re⸗
gulieren und nach der antiquen Bau⸗Kunst eingerichteten Wercken mich umgesehen. In⸗
wendig ist zwar die Kirche dieser Abbtey mit Corinthischen Wand⸗Pfeilern ausgebessert
worden, doch ist nichts sonderlichs daran. Aber vor kurtzen sind zwey schöne Capellen dar⸗
inn gebauet worden, und mit schönen Marmor⸗Säulen außgesetzet auf Säulen⸗Stühlen,
deren Würffel so wohl als oben in dem Gebälcke der Borten mit eben dem Marmor ver⸗
kleidet sind. Die an der rechten Seite ist der H. Margaretha gewidmet.Note: Diese Kapelle befindet sich im südlichen Arm des Querhauses. Gleich gegen über ist
das marmorne Grabmahl de Castelan, welches Girardon angegeben. Nahe dabey ist ei⸗
nes Grafen von der Marck Tombeau,Note: Sturm irrt sich bezüglich der Identität des in diesem Grab beigesetzten Verstorbenen. Das von Antoine Coysevox für Saint-Germain-des-Prés entworfene Grabmal war das von Kardinal Ferdinand-Egon von Fürstenberg. Aus einer älteren Quelle geht hervor, dass 1697 ein gewisser François de la Mark in derselben Gruft wie der Kardinal bestattet wurde. Vgl. Bouillart 1724, S. 293. welchen Coyzevox geordnet.Note: Das Grabmal wurde während der Revolution zerstört, ist aber durch einen Kupferstich von Nicolas Pigné (entstanden nach einer Zeichnung von Jean Chaufourier) bekannt. Vgl. Bouillart 1724 (siehe auch Gallica.bnf.fr). Die andere CapelleNote: Diese Kapelle befindet sich im nördlichen Arm des Querhauses.
ist dem H. Casimir König in Pohlen dediciret, von dem König Casimir König in Pohlen,
der nachdem als Abbt dieses Closters in Franckreich gestorben ist. Sein Hertz lieget darinn
unter einem Grabmahl darauf er in seinem Königlichen Habit aus weissem Marmor knyend
auf einem schwartzen Sarg und seine Cron und Scepter opfferend, vorgestellet ist. Der Pie-
destal, darauf der Sarg stehet, hat eine gegossene Taffel, darauf eine Schlacht mit den Tür⸗
cken vortrefflich vorgestellet ist, darinn dieser König den Sieg erhalten.Note: Dieses Flachrelief in Bronze stammt von Jean Thibaut. Vgl. Pérouse de Montclos 1994, S. 450. Vgl. auch die Fotografie von Eugène Atget aus dem Jahr 1906. Die sehr weitläuffi⸗
ge Grabschrift kan in des Brice Buch nachgelesen werden.Note: Vgl. Brice 1971 (Ausgabe v. 1752), Bd. III, S. 312-317.
In einer Capelle hinter dem Chor sind noch ein Paar marmorne Grabmahle der Fa⸗
milie de Douglas zu observiren. Zu äusserst der Kirche neben der Orgel können die Liebha⸗
ber der Antiquität des St. Germain eigene Grabschrifft lesen,Note: Diese Inschrift befindet sich in der Chapelle Saint-Symphorien, dem Ort der ersten Bestattung von Saint Germain. Dessen Grabstätte wurde im 8. Jahrhundert in das Innere der Kirche verlegt. Vgl. Pérouse de Montclos 1994, S. 444f. welche ihm der König Gilde-
bert selbst gemachet hat. In dem Closter ist noch das Refectorium,Note: Das Refektorium befand sich im Nordflügel des Kreuzgangs des Klosters und war von dem Architekten Pierre de Montreuil (ca. 1200-1267) im 13. Jahrhundert erbaut worden. Vgl. Brosse 1968, S. 74. und darinnen eine
künstliche Windel⸗Treppe zu sehen, und denn noch die Bibliothec, welche in Manuscriptis
es allen zu Paris, ausgenommen die Königliche, zuvor thut, auch an gedruckten Büchern
sehr wenigen nachgiebet, auch sonst einige Raritäten zeiget. Zu dieser Abbtey rechnen wir
billich des Abbts Palast, welcher ein wenig davon apart nicht weit von dem Hôtel de
Liancourt lieget,Note: Der Abtspalast lag dennoch in näherer Entfernung zur Abtei Saint-Germain-des-Prés als zum Hôtel de Liancourt in der Rue de Seine. dessen wir oben gedacht haben.Note: Sturm verweist auf seine kurze Beschreibung des Hôtel de Liancourt – unter Verwendung von dessen historischer Bezeichnung „de La Rochefoucauld“ — am Beginn von Brief XVIII. Er ist jetzo sehr wohl zugerichtet, und mit
einem schönen Garten versehen, daß er vor einen ziemlichen und sehens⸗würdigen Palast
wohl paßiren kan. Die Liebhaber der Natur⸗Curiositäten werden nicht versäumen in einem
kleinen Pavillon das Laboratorium eines weit berühmten und weit gereiseten Medici, l’
Abbé Aignan zu besehen. Ich aber beschliesse hiemit das dritte Viertheil der Stadt Paris,
auf meinem Stuhl sitzend verrichtet habe, so lange auszuruhen, biß ich mich durch ein Ant⸗
wort⸗Schreiben erquicket habe, welches Mein Herr so bald ohne seine Ungemachlichkeit ge⸗
schehen kan, schicken wird
den 9. Nov. 1716.
N.
XX.
WIr haben neulich das Quartier St. Germain bey dem Abbteylichen Palast geendiget,
nun wollen wir uns von da an den nächsten Weg nach dem letzten Viertheil der
Stadt Paris begeben, welches weil es keinen eigenen Nahmen annoch hat, erlau⸗
bet seyn wird, das Pfaffen⸗Viertheil zu nennen, wie wir uns etwa das erste, als des Königs
Viertheil vorstellen können, weil die Königliche Paläste das vornehmste darinn ausma⸗
chen, das andere als das Minister Viertheil, weil in keinem so viel Minister des Königs
wohnen, das dritte das Herren Viertheil, weil am meisten Fürsten von dem Königlichen
Geblüte daselbst ihre Hôtels haben, wie auch viel andere vornehme Herren. Denn in die⸗
sem vierten werden wir nichts von Herren⸗Häusern sondern bloß und allein dem Geistlichen
Stand zugehörige Gebäude finden. Wir gehen nun den nächsten Weg zu dem
Franciscaner Kloster oder des Cordeliers. Davon einen Anfang unsers
Spatziergangs zu machen. In welchem auch viel Königliche Personen begraben liegen,Note: Seit der Gründung des Klosters während der Regentschaft Ludwigs IX. profitierten die Cordeliers von einer besonderen Unterstützung des Königshauses. Vgl. Beaumont-Maillet 1975, S. 37f. u. 361.
deren Grabmahle aber AO. 1580 in einer grossen Feuers⸗Brunst verdorben worden. Das
vornehmste was bey diesen Patribus zu sehen, ist ihr neu erbauetes Closter, worinnen bey
nahe hundert schöne und helle Zellen sind. Es ist länglicht viereckigt gebauet um einen arti⸗
gen Garten. Der Creutz⸗Gang ist sauber gewölbet, so verdienen auch das Refectorium,
Capittul und die BibliothecNote: Die Bibliothek wurde von Ludwig dem Heiligen gegründet und durch zahlreiche Schenkungen erweitert, so insbesondere 1289 durch die Bestände des Kardinals Jean Cholet und später durch jene von Jean de La Haye, Generalstaatsanwalt des franziskanischen Ordens der Cordeliers (Procureur général des Cordeliers) und Prediger von Ludwig XIII. und Anna von Österreich. 1674 zählte die Bibliothek etwa 7 000 Exemplare. Vgl. Comitehistoire.bnf.fr; siehe auch Beaumont-Maillet 1975, S. 195-225. das Besehen. In ihrer Kirche aber ist nichts sonderlichs zu
sehen.Note: Sturm hat die Kirche vermutlich nicht besucht, da hier entgegen seiner Aussage einige Kunstwerke sein Interesse geweckt haben müssten, so insbesondere der von Claude de Bullion in Auftrag gegebene Hauptaltar, gestochen von Jean Marot (vgl. Deutsch 2015, S. 392 [5], 451 [11] u. 452). Unter Jacques Lemercier ausgeführt, zeigte das Retabel von Hieronymus Francken (1540-1610) eine Adoration des Bergers (heute in Notre Dame, Paris) und darüber ein Gemälde (Dieu en gloire) von Aubin Vouet (1595-1641). Vgl. Beaumont-Maillet 1975, S. 271-276 u. Fig. 21. Aubin Vouet führte zahlreiche weitere, heute verlorene Gemälde für diese Kirche aus, so Saint Jean dans le désert, le Christ au tombeau, l’Élévation de la croix, sowie einen Zyklus von sieben Gemälden der Passion de Jésus-Christ und l’Esprit Saint descend sur Saint Louis. All diese Bilder sind verschwunden. Vgl. Picart 1982, S. 47. Von da an aber haben wir nicht weit nach der
Sorbonne. Da wir mehr werden zu sehen bekommen, sonderlich bey der Kirche,
deren Faciata diesen schönen Vortheil geniesset, daß ein so grosser Platz davor liegetNote: Adam Perelle hat einen Kupferstich publiziert, der die Fassade dieser Kirche zeigt (Vue et perspective de l’église de la Sorbonne), mit der Chapelle du collège de Cluny auf der rechten und der École de la Sorbonne auf der linken Seite. als genug
ist sie ansehnlicher zu machen. Marot hat sie in einem Grund⸗Riß einer Faciata und
zwey Profilen gar nett vorgestellet. Diese Faciata ist von ziemlich reiner Archi-
tectur, wiewohl wenn man scharff critisiren will, noch unterschiedliches mit
Recht dawider zu sagen ist. Denn erstlich ist in der Mitte der obern Etage eine
Arcade, welche nicht nur über dem Säulenstuhl erst anfänget, welches etwas
ungewöhnliches ist, sondern auch als denn drittehalb mahl so hoch als breit
ist, welches zusamen nicht anderst kan als das Gesicht choquiren, massen eine
so geschlancke Höhe des Bogens kaum zu entschuldigen wäre, wenn sie wie
gebräuchlich durch den Säulenstuhl hinunter reichete. Zum andern sind
die unteren zwey äussersten Säulen-Weiten unstreitig zu groß, nicht nur weil
sie die mittelste und principaleste Weite übertreffen, sondern auch von den
Fenstern so darinnen stehen, nicht ausgefüllet werden, und sind wenigstens
16 Modul weit, welches ohne dem bey Säulen ohne Säulenstühle zu weit
ist.Note: Theoretisch sollten die Abstände zwischen den Säulen der korinthischen Ordnung aufgrund ihrer zierlichen Wirkung weniger weit auseinander liegen als jene der toskanischen, dorischen oder ionischen Ordnung. Aber in der Praxis wurde diese Regel nach Vitruv nicht immer eingehalten, noch weniger bei der Anordnung der Pilaster. Vgl. d’Aviler 1710, Bd. I, S. 56f. (Tf. 24) u. S. 58. Endlich ist es auch der reinen Architectur nicht gemäß, daß an den Ecken
zusammen gewachsene Pfeiler stehen. Man könte noch wohl mit Fug dieses
für einen Fehler angeben, daß die obere Reyhe Wand⸗Pfeiler mit den dar⸗
unter stehenden Säulen nicht centraliter auf einander treffen, sondern die
Wand⸗Pfeiler auf der Mauer ausstehen, und die untern Säulen also mei⸗
stens frey heraus stehen, und doch nichts als ihr lediges Gebälcke tragen.Note: Sturm verlangt folglich, dass die unteren Säulen über ihrem Gebälk entweder Säulen bzw. Pilaster oder einen Fronton tragen.
Alle solche Fehler aber kommen ohne Zweiffel daher, wenn man gerne variiren
und etwas neues machen will, und es doch nicht recht zu wege bringen kan.
Ich habe hiebey einen Riß von dieser Kirche gemachet,Tab.
XXXIV. worinnen gar
nichts geändert worden, als oben censirte Stücke, da habe ich die obere
sechs Wand Pfeiler unten über andern sechsen zutreffen lassen, die auch un⸗
verdünnet seyn müssen, und den obern Modul habe ich 5/6 des untern gema⸗
chet, damit die Säulenstühle nicht allzuweit übertretten. Die obern Wand⸗
Pfeiler aber weil sie auch nicht verdünnet werden habe 21 Modul hoch ge⸗
machet. Welche Höhe wie Perrault in seinem Tractat des cinq Ordres erwiesen,
auch nicht einmahl an verdünneten mit Recht mag verworffen werden, viel⸗
weniger an unverdünneten. Vor die vier mittelsten Wand⸗Pfeiler habe
vier freystehende Säulen gesetzet, welche einen Vorschopff formiren, und ei⸗
nen runden Fronton tragen. Da werden nun die untere Säulen⸗Weiten alle
3, 6 und 12 Modul. Die obern 3 3/5, 7 1/5, 14 2/5. Hier kan der Bogen oben seine
rechtmäßige Proportion bekommen, und die Sparren⸗Köpffe lassen sich auf
1 1/5 Mod. perfect eintheilen, wozu man ein völlig ausgerechnetes Gebälcke
in meiner Officina Ornatus Architectonici findet. Aber unten habe ich eine gantz
neue bizzarrie aus Curiosität gemachet. Denn ich habe vor die unverdün⸗
nete Pfeiler verdünnete Säulen gesetzet, da scheint nun eine unauflößliche
Absurdität zu entstehen, weil die Sparren⸗Köpffe bey diesen Säulen⸗Weiten
über den Säulen just einen Modul weit von einander stehen müssen, über
den unverdünneten Pfeilern aber ein und einen halben Modul weit, wenn
alles soll correct kommen, daß nemlich auf den Verkröpffungen zwey Spar⸗
ren⸗Köpffe just aus der Ecke von einander auslauffen, und zu oberst unter
dem Kinn des Krantz⸗Leistens just gevierte Plätze vor die Rosen bleiben.
Da scheinet nun unmöglich, daß man solche Accuratesse an diesem Gebälcke
solte behalten können, doch habe ich es zu machen herausgebracht, wie ich es
allezeit an einem unfehlbaren Riß oder auch durch Rechnung demonstriren
kan. Hier aber will ich weiter nichts davon sagen, sondern dieses als ein
curioses Problema den Herrn Baumeistern aufgeben, und hier diese Architecto-
nische Critique wiederum abbrechen, damit ich nicht verdrießlich falle, und in
meiner Beschreibung wiederum fortfahren könne.
Es sind in dieser Faciata in zwey Bilder⸗Blindte unten neben der Kirch⸗Thüre zwey
schöne Statuen und eben so viel gerad darüber in dem andern Geschoß gesetzet, welche zwey
habile Bildhauer Guilin und Berthelot gehauen haben, und werden diesem die an der rech⸗
ten, jenem die an der lincken Seite zugeschrieben. Von eben denselbigen stehen noch vier
und zwantzig auch in Nichen inwendig in der Kirche.Note: Vgl. Jean Marots Kupferstiche von der Église de la Sorbonne auf Gallica.bnf.fr: Profil de l’église; Profil de l’église; Profil du dedans de l’église; Profil de l’église.
Dieses inwendige der Kirche hat Marot gantz falsch gemacht, was die
Stellung des Haupt⸗Altars anbelanget, als wenn er in einer grossen Niche
stünde, wie er auch den Grund⸗Riß und Auf-Riß des Altars selbst gantz an⸗
derst gezeichnet hat als er in der That außsiehet. Weil nun die Disposition
dieses Altars nicht heßlich ist, habe ich ihn abgezeichnet und sende hiebey
eine Copie davon.Tab.
XXXV. Es ist aber an sich nicht falsch was Marot gezeichnet, sondern es war
solches grosse Blind zu dem Altar vor diesem würcklich gebauet, aber nachdem wieder abge⸗
brochen worden. Es ist der Altar nur vor wenig Jahren erst fertig geworden nach le Bruns
Dessein.Note: Der Hauptaltar sollte 1647 nach einem Entwurf von Jacques Lemercier ausgeführt werden, doch das Projekt wurde 1681 aufgegeben. Ein zweites Projekt wird Pierre Bullet zugeschrieben. Letztlich wurde der Altar von Charles Le Brun realisiert, mit dem der Vertrag am 24. Juni 1686 geschlossen wurde. Vgl. Lours 2016, S. 349. Es hat nebst sechs Wand⸗Pfeilern noch zwey freystehende Pfeiler und sechs Säu⸗
len Corinthischer Ordnung von braun⸗rothen Marmor mit im Feuer verguldeten Säulen⸗
Füssen, Capitälen, Sparren⸗Köpffen und Rosen unter dem Krantz. Auf dem Würffel der
Säulenstühle, welche von schwartzen Marmor sind, welches nicht gar schön stehet, sind
auch verguldete Zierrathen. Auf den mittlern zwey Säulen lieget ein Fronton und darauf
zwey Engel deren einen Arcis den andern Vancleve gemachet. Vor den folgenden zwey
Säulen sind die Mutter JEsu und Johannes von herrlicher Arbeit gestellet, die Meister
sind von jener le Comte, von dieser Cadene. Uber dieser Ordnung lieget oben eine Attique
auf deren Simß noch zwey Engel sitzen, von Tuby gemachet.Note: Die beteiligten Künstler waren Louis Le Conte, Guillaume Cadaine, Jean-Baptiste Tuby und Corneille van Clève. Vgl. auch die Beschreibung bei Brice 1971 (Ausgabe v. 1752), Bd. III, S. 189f.: „Cet Autel qui est d’une très-belle ordonnance, est placé au fond de l’Eglise, […] Sa décoration consiste en six colonnes Corinthiennes de marbre de Rance, dont les bases & les chapiteaux sont de bronze doré d’or moulu, aussi-bien que les modillons & les rosons du sofite de la corniche. Les deux colonnes du milieu forment un corps en ressault couronné d’un fronton, sur lequel il y a deux Anges appuïez qui sont de deux Sculpteurs differens, de Marc Arcis & de Corneille Vancleve; les autres colonnes sont en retraite, & deux encore en retour des deux côtez, entre lesquelles on a placé deux excellentes figures de marbre, dont l’une represente la Vierge, qui est de Louis le Comte; & l’autre, saint Jean l’Evangeliste, de Cadene. Un grand Attique regne sur tout ce riche ouvrage, où sont placez des Anges, qui sont de Jean-Baptiste Tubi. […].“ Das Crucifix ist auch wie
bißher erzehlete Bilder von weiß Marmor gehauen, dahinter die Wand mit schwartzem
verkleidet ist, der Meister ist der berühmte Anguiere, dessen letztes und fleißigstes Werck es
ist. Das übrige Feld oben im Bogen ist von le Brün gemahlet, und stellet GOTT den
Vatter in einer Gloire von vielen Engeln begleitet vor.
Die innere Austheilung der Kirche ist sonderlich, indeme sie durch einen perpendicu-
laren Creutz⸗Strich in vier gleiche Theile eingetheilet wird,Note: Tatsächlich handelt es sich nicht um vier, sondern um drei gleiche Teile: das Kirchenschiff, flankiert von Kapellen, das eingezogenen Querschiff mit der Vierungskuppel und dem Chor, ebenfalls von Kapellen begleitet. Vgl. Lours 2016, S. 347f. die Kuppel recht auf der Mitte
zu stehen kömmt, und die gantze Kirche unten ein recht Ecke formiret, oben aber ein Creutz.
Das Aestrich ist von Marmor die Kuppel ist oben gemahlet, aber nichts sonderlichs, aber
neben den vier grossen Bögen sind die Evangelisten von Campagne gemahlet,Note: Die Kuppelbemalung wurde im Auftrag von Richelieu durch Philippe de Champaigne 1641 ausgeführt und lehnt sich an jener des Petersdoms in Rom an. Gezeigt wird eine Engelsversammlung mit Gott im Zentrum sowie in den Pendentifs die vier Kirchenväter (Gregor der Große, Ambrosius, Hieronymus und Augustinus). Vgl. Lours 2016, S. 347f. welche noch
ziemlich gut sind. Eines der schönsten Dinge in dieser Kirchen sind die grosse Capelle der
H. Jungfrau,Note: Es handelt sich um die Kapelle gegenüber dem hofseitigen Eingang, die den rechten Arm des Querschiffs bildet. und das Grabmahl des Cardinal Richelieu. Jene ist mit weissen und grau
geäderten Marmor verkleidet, der Altar aber hat vier Säulen von recht schönen bunten Mar⸗
mor, worauf ein Fronton lieget; An statt des Gemähldes ist ein Blindt worinnen die
Mutter GOttes mit dem Christ⸗Kind von gantz weissen Marmor gehauen sitzet. Der
Aestrich dieser Capelle ist schönerer Marmor als der übrige in der Kirche, und ist mit einem
sehr netten marmornen Geländer umgeben. Das Grabmahl des CardinalsTab.
XXXVI. stehet als
ein Grabstein nach alter Manier mitten in dem Chor vor dem grossen Altar, ist aber von
weissen Marmor, als wenn alles aus einem Stücke wäre so herrlich gearbeitet, daß man
nichts desgleichen in Paris findet. Der Cardinal ist in Lebens Grösse halb sitzend, halb lie⸗
gend auf einem Kissen vorgestellet, darunter eine kostbahre Decke an beyden Seiten über
den Grabstein herunter hänget. Hinter seinem Rücken lieget ein Buch welches ein Statua,
welche den Cardinal gleichsam aufrecht erhält mit aufhebet. Zu seinen Füssen aber liegte eine
andere Statue, welche weinend und sehr betrübet den Kopff auf den Grabstein leget. Alles
dieses ist von so herrlicher Zeichnung und Arbeit, sonderlich die Gewänder alle so vortrefflich
ausgearbeitet, daß man es ohne Verwunderung nicht ansehen kan. Es ist zwar ein ac⸗
curates und sehr schönes Kupffer davon heraus aber kostbar und schwehr
zu bekommen auf einem Regal⸗Bogen, darum habe ich es bey jemand ins
klein abgezeichnet, und sende hievon eine Copie.
Nachdeme wir die Kirche besehen, müssen wir auch noch das Collegium betrachten,
gegen dessen Hof sie auch noch eine Haupt⸗Thüre hat, vor welcher aussen noch ein Vor⸗
schopf oder Porticus stehet, welcher in fronte sechs, in allen aber acht freystehende Säulen
hat, indeme hinter den äussersten beyden noch andere gekuppelt stehen.Note: Dieser antikisierende Portikus mit korinthischen Säulen war einer der ersten Beispiele seiner Art in Paris. Vgl. Pérouse de Montclos/Erlande-Brandenburg/Mérel-Brandenburg et al. 1989, S. 182f. (Abb. 211). Aber daran hat
der Baumeister auch eine heßliche Caprice gemachet, indeme die Inscription
anzubringen vorn die Glieder des Architraves glatt abgehauen sind, der
Borten Architrav in eines lauffen. Die Inscription welche wohl hätte besser
placiret werden können, lautet also: Armandus Joannes Card. Dux de Richelieu Sorbonnæ Provisor ædificavit
domum & exaltavit templum sanctum Domino. 1642.Note: „Armand Jean Kardinal-Herzog von Richelieu, Provisor der Sorbonne, erbaute das Haus und erhöhte den dem Herrn geweihten Tempel 1642.“ In dem Giebel⸗Feld stehet des Cardinals Wappen, und auf dem Fronton stehen an jeder
Seite zwey Statuen auf Bilderstühlen, der Hof ist länglicht geviert gantz mit drey Geschos⸗
sen von Quaderstein umgeben,Note: Es handelt sich um den Hof nördlich der Kapelle. Dieser war von Gebäuden umgeben, in denen sich die aula major, die aula minor, die Sakristei, die Bibliothek, die Refektorien sowie Wohn- und Arbeitsräume befanden. Südlich der Kapelle lag ein Garten. Vgl. den Kupferstich von Israël Silvestre in Montgolfier/Willesme 1982, S. 152 (Abb. 178) und 155. darinnen haben die Lehrer der Sorbonne frey Logiament.
Es ist aber nichts besonders darinnen zu besehen als die Bibliothec, der König hat in diese
Bibliothec die beyde Kupfferstiche verehret, die er selbst hat stechen lasse{n}, welche sehr rar
sind, weil die Sage gehet, der König habe die Platten vergulden lassen,
nachdem vor ihm eine gewisse Anzahl sind abgedrucket worden, damit
man nachher nichts mehr davon abdrücken könte.
Wenn man von diesem Collegio weggehet nach dem Novitiat der Fevillantiner-
Mönche, bey denen nichts besonders zu besehen, kan man nahe dabey in einem Hause de
Fornier einen recht artigen Garten zu sehen bekommen, welchen le Nôtre hat angegeben.
Bald hernach kommt das
Carthäuser⸗Closter. In derer Kirche sonderlich nichts zu sehen als die Kir⸗
chenstühle im Chor, welche von sehr schöner Tischler⸗Arbeit sind,Note: Diese Kirchenstühle wurden von Henri Fuzillier zwischen 1680 und 1682 geschaffen. Vgl. Willesme 1987, S. 23 u. 49. und einige Schildereyen,Note: Ab 1684 erhielten die Maler Noël und Antoine Coypel, Claude (II.) Audran, Jean Jouvenet, Bon de Boullogne, Charles de La Fosse und Jean-Baptiste Corneille Aufträge für eine Serie von 12 großformatigen Gemälden (ähnlich jener im Couvent des Carmélites in der Rue Saint-Jacques), die zwischen den oberen Fenstern des Kirchenschiffs platziert wurden. Das Gemälde von Antoine Coypel, Le Christ guérissant l’aveugle de Jéricho (300 × 180 cm, verloren), war eines der ersten, das in der Kirche angebracht wurde (vgl. Garnier-Pelle, 1989a, S. 13 u. 97). Die Gemälde von Claude (II.) Audran, Noël Coypel, Jean-Baptiste Corneille, Jean Jouvenet und Bon de Boullogne befanden sich spätestens 1698 dort. Claude (II.) Audran realisierte La Multiplication des pains (Öl auf Leinwand, 325 × 260 cm, heute in der Église Notre-Dame-des-Blancs-Manteaux), von Noël Coypel stammte ein Christ et la Samaritaine (Öl auf Leinwand, 325 × 250 cm, heute in der Église Saint-Merri) und Jean-Baptiste Corneille schuf vier Gemälde: La Guérison du paralytique (verloren), Le Centenier (verloren), La Cananéenne (verloren), und La Résurrection de Lazare (Öl auf Leinwand, 355 × 250 cm, heute im Musée des Beaux-Arts in Rouen). Vgl. Willesme 1987, S. 79-90.
sonderlich die zwey grössesten Stücke neben dem Altar, eines von Boulogne das andere
von Jouvent. Aber der kleine Creutzgang ist sehr wohl zu sehen, welcher mit Dorischer
Ordnung in Wand⸗Pfeilern angeordnet und dazwischen sauber gemahlet ist.Note: Der kleine Kreuzgang befand sich zwischen der Kirche und dem großen Kloster und war von den Zellen der Mönche umgeben. Die Wände hatten bereits Mitte des 14. Jahrhunderts eine Ausmalung erhalten, die aufgrund ihres schlechten Erhaltungszustands 1640 vollständig erneuert wurden. Vgl. Willesme 1987, S. 98. An den En⸗
den des Creutzganges sind schöne Prospecten, gemahlet, das übrige stellet das Leben Bru-
nonis ihres Stiffters vor, und sind über jeglichem Gemählde Schildigen angemachet,
darauf deren Inhalt beschrieben ist.Note: Die lateinischen Inschriften stammen von dem vorherigen (später auf Holz übertragenen) Fresko, das ebenfalls das Leben des hl. Bruno zeigte. Sie waren zwischen den einzelnen Gemälden angebracht. Vgl. Mérot 2000, S. 185-187. Alle diese Gemählde sind von Eustache le Süeur.
Darum haben sie Laden darüber machen lassen, damit sie desto besser conserviret bleiben, sie
lassen sie aber den Liebhabern sehen, und an Festagen stehen sie ohne dem offen. Es ist die⸗
ser Creutzgang auch mit schönen Glase⸗Fenstern gezieret, welche am Rand herum gemah⸗
lete Scheiben haben, und in der Mitte allezeit eine grosse Taffel, darauf das Leben eines
Einsiedlers vorgestellet. Sie sind sauber aber aus einem Kupffer⸗Buch abgemahlet, wel⸗
ches einer von den Sadlern heraus gegeben hat,Note: Jan und Raphaël Sadeler haben zwei Kupferstichwerke mit Darstellungen von heiligen Einsiedlern nach Zeichnungen des flämischen Künstlers Maerten de Vos herausgegeben: Sylvae Sacrae Monumenta… Anachoretum (Munich, 1594), und Solitudo Sive Vitae Patrum Eremicolarum (Munich und Venedig, 1594). wiewohl sie diese grosse Taffeln sollen aus⸗
genommen haben, weil etliche davon gestohlen worden. Wenn man weiter in der Gasse
de l’Enfer an ihrem Garten hinaus gehet, findet man
Das Prediger⸗Kloster. Welches eine neu gebauete noch ziemliche Kirche hat,
und in der Capelle der H. Jungfrau ein marmornes Grabmahl des Cardinal Berulle,Note: Tatsächlich sieht Sturm in dieser Kapelle nicht das Grabmal, sondern ein Reliquiar des rechten Arms von Pierre de Bérulle, das von Jacques Sarrazin geschaffen worden war. Bérulles Grabmal befand sich in der Église de l’Oratoire du Louvre, ausgeführt von Michel Anguier. nicht
weit davon ist
Das Observatorium. Dieses Gebäude siehet niemand ohne allein die Kunst⸗verständige
vor so trefflich und kostbar an, als es in der That ist, massen es gantz simpel mit gar wenigen
Zierrathen gebauet ist. Aber es sind erstlich die Quadersteine wovon es gebauet ist, an den
stehenden Mauern alle einerley Höhe und Grösse in so weit gearbeitet, daß keine Fuge auf
die andere in dem gantzen Wercke trifft, sondern alles in Verbund auf das accuratest lieget;
zum andern, obgleich so gar hardi gebauete Gewölbe darinnen sind, versichert man doch,
daß kein Eisen in dem gantzen Bau, nicht nur keine Ancker, sondern auch keine Spillen, und
Klammern seyen eingeleget worden, sondern allein die gute Verbindung der Steine Hält⸗
niß genug gebe. Vornehmlich ist dieses Gebäude vor ein vollkommenes Muster der cou-
pe des Pierres anzusehen, da alle künstliche Arten von Gewölben angebracht worden. Also
wann man nur hinein gehet, siehet man gleich in dem Vestibulo ein Gewölbe welches auf
zwey und zwantzig Fuß weit nicht höher als ein und einen halben Fuß hoch geworffen ist, und
sich in der Mitte in einem offenen Kreyß schliesset, welcher 10 Fuß in Lichten hat, und im
obern Geschoß mit einem steinern Geländer besetzet ist. So ist auch ein grosser überwölbeter
Saal in dem obersten Geschoß 34. Fuß hoch und 48. Fuß ins gevierte, dessen Gewölbe nur
auf drey Fuß dicken Mauren lieget. Das allerschönste ist die Trappe, welche durch das
gantze Gebäude hinauf gehet, und denen so die Steinhauer⸗und Gewölbe⸗Kunst nicht ver⸗
stehen, scheinet recht zu hängen und zu schweben. Die Sturtz über den Thüren sind gerade
und doch aus etlichen Stücken zusammen gesetzet, die außwarts scheinen mit perpendicular
stehenden Fugen zusammen gesetzet zu seyn, aber inwendig künstlich verborgene Kehl⸗Fugen
haben. Diese so wohl als alle künstliche Gewölb⸗Schnitte brauchen eine un⸗
gemeine Accuratesse in der Arbeit, denn wo das geringste daran fehlet, daß
sie rücken können, so muß man Eisenn darunter legen, wie es an der principal
Entree im Louvre gegangen, wie denn der Baumeister des Observatorii, der
berühmte Perrault nicht nur einen gantz unbeschreiblichen Fleiß in genauer
Auffsicht muß angewendet, sondern auch die Arbeits⸗Leute vortrefflich auf
seiner Seite gehabt haben, daß er so weit mit diesem Bau reussirt hat, wie⸗
wohl er hin und wieder doch Ritze gewonnen, denn ob ich schon diese Sache
so vollkommen verstünde, daß nichts zu desideriren wären, und wenn ich
auch jeden gehauenen Stein examinirete, ob er gantz just gehauen sey, wel⸗
ches doch zu thun fast übermenschliche Kräfften erforderte, so könten mir
doch die Arbeiter noch Possen dabey spielen, daß ich ohne alle Schuld in
Schimpff und Schaden käme. Zu verwundern ist, warum die Fenster nicht
sind mit solchen geraden Stürtzen uberleget, sondern rund gewölbet wor⸗
den. Zu oberst ist das Gebäude mit einem Altan gantz gedecket worden, der mit quadrir⸗
ten harten Feldsteinen in Cement beleget ist, daß kein Wasser durchdringen und die
Gewölber verletzen kan.
Es ist dieses Gebäude recht accurat nach der Mittags⸗Linie geleget,Note: Gemeint ist der Meridian von Paris, der seit den 1680er Jahren die wichtigste Referenz für Längeneinheiten in Frankreich wurde. Zuvor hatte der Meridian von Greenwich als Referenz gedient. Vgl. das Kapitel von Jean-Paul Robert in Picon/Robert 1999, S. 110-115. und mit sehr tieffen
Kellern doppelt über einander beleget. Man hat runde Löcher gerade über einander durch
alle Gewölbe durch biß durch die Terrasse hinaufgeführet, in der Hoffnung, daß man in
dem untersten Keller dadurch würde auch bey Tage die Sternen sehen können, welche
Hoffnung aber betrogen hat. Ob daß die Ursache sey, weil durch den Zenith der
Stadt Paris gar keine Sterne paßireten, will ich an seinen Ort gestellet seyn
lassen, oder ob es mit solchem observiren der Stern bey Tage gar nicht an⸗
gehe. Denn ohne Zweiffel haben die vortrefflichen Astronomi zu Paris schon
zuvor gewust, ob und welche Stern zu Paris durch das Zenith paßiren,
oder nicht, ehe diese Keller und Löcher zu solcher Observation sind angeleget
worden, und hätten also viele Unkosten verhüten können, wenn sie bey Zeit
erinnert, daß wenn solcher Modus zu observiren schon angienge, so würde
man doch damit in Paris nichts ausrichten, weil daselbst keine Stern durch
das Zenith paßireten. Damit sie nun keiner schädlichen Negligenz beschuldi⸗
get werden, so glaube ich, daß sie selbige Ration nicht werden paßiren lassen.
Von grossen Azimuthal und andern Quadranten, Sextanten, Octanten
und von Gestellen grosse Tubos zu regieren, habe auf dem Altan nichts ste⸗
hen sehen, da ich sie doch gesuchet hätte, weil solche Instrumenten nicht porta-
tilisch sind, sondern ein vor alle mahl fest und accurat gesetzet werden müs⸗
sen, und keinen andern vielweniger bessern Orth habe daselbst gesehen, da
man sie hätte suchen sollen. Ein Zimmerwerck von einem höltzernen Thurm,
und unten auf der Erde liegend eine etliche 70 Fuß lange blecherne Röhre
zu einem Tubo habe zwar gesehen und gehöret, daß der höltzerne Thurm zu
dem Gebrauch selbigen Tubi gehöre, aber keine sonderliche Gemächlichkeit
dazu sehen können. Herr Cassini hat mir die Audienz so ich bey ihm gesu⸗
chet abgeschlagen, und von Herrn de la Hire, der mich admittiret, habe nicht
gewust, daß er ein Astronomus sey, sondern er war mir nur so viel ich von ihm
gehöret und gesehen hatte, als ein Geometra und Professor Architecturæ be⸗
kannt, daher ich mich des Zustandes des Observatorii nicht particular erkun⸗
digen mochte. In einen Sahl hat er mich geführet, da allerhand Instrumen-
ta und Modelle versammlet waren, kan mich aber auch nicht erinnern, daß
ich daselbst einen sonderlichen Apparat von excellenten Astronomischen Instru-
menten gesehen hätte, habe mich auch nicht fleißig darnach umgesehen,
weil ich genug an Sachen zu sehen hatte, die näher in mein Element lieffen.
Ich habe da gesehen: I. eine Machine Canäle und Ströhme vom Modder
zu reinigen. 2. Eine mit vielen Stein⸗Sägen. 3. Eine Machine Pfähle ein⸗
zuschlagen. 4. Eine sonderliche Art eines doppelten Hebebaums. 5. Eine
Schraube ohne Ende. 6. Alle die Machinen, deren Perrault von seiner Inven-
tion in seinem Vitruvio gedencket,Note: Die Bücher IX und X in Claude Perraults Dix livres d’architecture de Vitruve (Perrault 1673) enthalten zahlreiche Tafeln mit Abbildungen von diversen „Maschinen“, hierunter bspw. Wasseruhren (S. 271, Tf. LVI; S. 273, Tf. LVII), Maschinen zum Heben schwerer Gegenstände (S. 281, Tf. LVIII; S. 283, Tf. LIX) oder Mühlen (S. 293, Tf. LXI). ein Modell von dem Druckwerck bey der
Samaritaine, und alle diese Modelle waren gar sauber gearbeitet, doch sahe
ich nichts extraordinar merckwürdiges daran, noch etwas, daß wir Teutsche
nicht eben so gut wüsten, habe derowegen nichts davon aufgezeichnet, und
nun alles wieder vergessen. Ein metallener Hohl⸗Spiegel war da, der aber
des Herrn von Tschienhausen seinem, welchen ich zu Dreßden gesehen, we⸗
der an der Politur noch Grösse gleichete, so wusten sie auch von seinen
grossen Brenn⸗Gläsern nichts particulares. Es war auch um die Mitte des
Brenn⸗Spiegels ein grosser Fleck, der entweder gar nicht poliret worden,
oder glaublicher verdorben war. Ich verlasse demnach dieses Gebäude, und bege⸗
be mich wiederum zurücke nach der Stadt in die Strasse St. Jacques, da uns zu
erst aufstösset das Nonnen⸗Kloster der Benedectinerinnen de Port Royal, welche
eine kleine aber recht artige Kirche haben, welche le Pautre angegeben. Das Gemählde an
dem Haupt⸗Altar, welches eine Abendmahl præsentiret, ist auch ein außerlesenes Stück
von Champagne, weiter folget das
Capuciner⸗Kloster. Worinnen nichts zu sehen, ohne auf der äussern Pfor⸗
te eine Statue eines Capuciners, welche mit naturellen Farben angestri⸗
chen und alt zu seyn scheinet, aber doch im Gesicht eine admirable Expression
einer Andacht hat. Bald hernach folget das herrliche Kloster
Le Val de Grace. Dessen Kirche aussen und innen correcter als die in der
Sorbonne angegeben ist. Marot hat die Faciata, den Grund⸗Riß, und einen
Profil heraus gegeben, welche ziemlich gut sind. Sie hat nächst der Kirche
St. Gervais und der am Collegio Mazarini am meisten von der grossen Manier
an sich. Man hat mir gesaget, daß Mansard, den man zu erst als Baumeister dazu gebrau⸗
chet, keinen Riß noch Modell davon habe aus Handen geben wollen, und
alles so kostbahr angefangen, daß als er mit dem Grunde biß an das Aesterich in der
Kirche heraus gekommen, man ihm widersprochen habe darum er aus Verdruß
den Bau habe verlassen. Den man dem Muet aufgetragen habe. Brice erzehlet noch,
daß dem Muet noch zwey andere Baumeister zur Hülffe seyen untergeben worden, Man-
sard aber habe sich zu revengiren sein Dessein an einer Land⸗Kirche im kleinen außgefüh⸗
ret, und dadurch gezeiget, wie viel herrlicher die Kirche au Val de Grace würde geworden
seyn, wenn man sie nach seinem Dessein hätte fortführen lassen.
Zur Beschreibung nun zu kommen so sind aussen zwey Ordnungen daran, und die⸗
net zu sonderlichen Ansehen, daß man zu der Kirch⸗Thüre über 15 Stuffen hinauf steigen
muß, und unten Corinthisch oben Römisch, wie an der Sorbonne, aber auf eine son⸗
derliche Weise disponiret. Denn in der Mitte stehen zwey Wand⸗Pfeiler,
aber also, daß die Centra der Wand⸗Säulen um einen Modul weiter her⸗
aus stehen, als die Centra der Wand⸗Pfeiler. Unten aber stehen vor den
zwey Wand⸗Pfeilern, und den nächsten zwey Wand⸗Säulen noch vier frey
stehende Säulen, welche mit ihren eckigten Fronton einen Vorschopff formi⸗
ren. Oben auf lieget wiederum ein eckigter Fronton in dessen Feld das Königliche Fran⸗
tzösische, und Oesterreichische Wappen, weil die Königin Anna Austriaca die Kirche und das
Kloster bauen lassen. An dem Borten des Vorschopffs stehen diese Worte:
JEsu nascenti. Virginique Matri.Note: Dem geboren werdenden Jesus und seiner Mutter, der Jungfrau. Die Gebälcke über diesen beyden Ordnungen sind passabel, aber in gehöri⸗
ger Correction doch nicht profiliret. Ich habe sie TAB. B. fig. 16 gezeichnet,
da denn Meinem Herrn gleich an dem Corinthischen in die Augen fallen
wird, daß der Kehl⸗Leisten über dem Architrav unformlich und viel zu groß,
hingegen der unterste Streiffen gar zu klein gemachet sey, daß es heßlich
stehe, wann die Sparren⸗Köpffe mit keinem Leisten gekrohnet sind, grösserer
aber vernünfftiger Subtilitäten zu geschweigen, welche Goldmann erfor⸗
dert. An dem Römischen ist der Kehl⸗Leisten über dem Architrav, und die
Sparren⸗Köpffe imgleichen so groß. Nun möchte man sagen, warum ich
mich doch um solche Kleinigkeiten bekümmere, die der hundert tausenste
nicht observire. Darauf habe aber schon zum öfftern geantwortet, daß wenn
das correcter und besser machen mehr Mühe Zeit und Unkosten dem Bau⸗
meister oder Handwerckern machete, daß ich es selbst vor unnütze Scrupel
hielte, wenn man sich dabey aufhielte. Aber da solches nicht ist, hingegen
ein Baumeister aus solchen Kleinigkeiten entweder der Nachläßigkeit oder
einer Unwissenheit kan überführet werden, so hat man grosses Recht sol⸗
che Umstände zu censiren.
Innen ist dise Kirche zwar klein aber ziemlich wohl, doch auch nicht ohne impor-
tante Fehler angegeben. Sie ist umher mit Corinthischen Wand⸗Pfeilern besetzet, welche
an dem Schiff Arcaden in sich fassen, und dadurch an jeder Seiten drey Capellen formi⸗
ren, welche aber, als ich sie sahe, noch nicht ausgezieret waren, weil aber die Bögen nicht
nahe an dem Architrav hinreichen, sind artige bassi rilievi darüber gemachet, da sitzende
Bilder in der Mitte einen gekröhneten Schild halten, darauf der Schiefer A E. welchen
die Königin Anna Austriaca soll geführet haben. Uber dieser Ordinantz ist das Tonnen⸗
Gewölbe gantz von gehauenen Steinen, mit Bildhauerey von Anguiere reich gezieret,
dabey aber zu bedauren, daß der Bogen gar zu gedruckt aussiehet, weil er nicht durch eine
kleine Attique über dem Krantz erhoben worden. Die Corinthischen Wand⸗Pfeiler sind
mit Cannelüren in denen biß auf den dritten Theil platte Stäbe stehen, wie in der Peters⸗
Kirche zu Rom davon noch mehr imitiret worden. Zum Exempel, daß auf die Kräntze kei⸗
ne Kinn⸗Leisten sind gesetzet worden. Auch ist billich an dieser Kirche zu tadeln, daß sie kei⸗
nen Chor hat. Drey Stücke sind sonderlich betrachtens werth.
- Der grosse Altar der zwar in Kupffer gestochen worden, aber so unaccurat, daß ich
bewogen worden einen zuverläßigern wiewohl eiligen Abriß zu machen, dessen Copia hiebey
folget, wiewohl ich bekennen muß, daß mir Maria und Joseph mit dem Christ⸗Kind in
der Zeichnung etwas zu groß gegen dem Altar gerathen sind. Diese hat der jüngere An-
guier gemachet die sechs gewundene Säulen, die über zwey Fuß am Modul halten, weil
sie in der Distantz von 9 Modul 9 2/3 Fuß einnehmen, sind von schwartzen weiß⸗gesprengten
und geäderten Marmor, desgleichen ich sonst in Paris nie gesehen. Die Säulen⸗Füsse,
Capitäle, Sparren⸗Köpffe, Einsatz⸗Rosen, und das um die Säulen gewundene Laub ist al⸗
les matt verguldet. Die Piedestal sind von gemeinem gantz schwartzen Marmor,Note: Tatsächlich ist dieser Marmor ebenfalls geädert. und dar⸗
auf der gezogene Rahmen der Königin von im Feuer verguldeten Ertz. Der gantze Balda-
quin samt denen herum stehenden Engeln, samt den Palm⸗Gehäncken sind auf Glantz ver⸗
guldet. Aber dieser herrliche Altar ist viel zu groß in Proportion gegen dieser kleinen Kir⸗
che, und der Ruhm, den die Frantzosen davon machen, und ihn fast dem in
der Peters⸗Kirche zu Rom, von des Bernini Invention vorziehen, ist eben so
unproportioniret. - 2. Das marmorne Aestrich in der Kirche, welches von allerhand Farben Marmor
ausgesetzet, ist so schön, als man es immer verlangen kan, hat seines gleichen in Paris nicht.
Unter der Kuppel ist eine Rose wie diejenige, welche Daviles in seinem Commentario
über Vignola, planche 103 bey lit. Y vorgestellet,Note: Vgl. d’Aviler 1710, Bd. I, S. 353. ohne daß die vier Ecke zwischen dem
weissen schwartz und mit roth eingefasset sind. An dieser Rosen sind auf drey Seiten bun⸗
te acht und Vierecke mit schwartz eingefasset, dergleichen besagter Daviler n. 8 gezeichnet.Note: Die Tafel 103 trägt keine Nummerierungen; Sturm verweist vermutlich auf die Figur mit der Legende „octogones et quarrés“ rechts unten in Seite 353 (in d’Aviler 1710, Bd. I, S. 353).
Unter den Ribben des Gewölbes über dem Schiff sind eben solche Streiffen, welche gros⸗
se viereckigte Felder zwischen sich einschliessen. - 3. Ist sehr notabel das schöne Gemählde al Fresco oben an der Kuppel von Mig-
nard, welches nicht nur das beste Stück von diesem vortrefflichen Meister, sondern auch
als à Fresco gemahlet, das beste in Franckreich seyn soll. Es stellet eine Gloria der Seeligen
in dem Himmel vor mit fast unzähligen und allen wohl ausgearbeiteten, ausgetheileten
und disponirten Personen vor. Die Lüffte welche immer höher hinauf mehr erleuchtet sind,
sind unvergleichlich, und die perspectivische Verkürtzung der Personen, wie auch die Hal⸗
tung untadelich, daß dadurch die Kuppel viel höher aussiehet als sie in der That ist.Note: Das Fresko zeigt L’église triomphante et militante contemplant la Trinité, ausgeführt 1663-1666 von Pierre Mignard. Man
kan zu Paris ein sauber und accurates Kupffer davon bekommen, und Moliere hat in sei⸗
nen Wercken ein schön Gedicht darüber gemachet. - 4. Ist noch zu notiren, daß der gantze Krantz innen um die Kuppel, und vier Bal-
cons darunter, die über vier Thüren stehen gantz verguldet, die vier Evangelisten darüber
en bas relief nur aus Stein aber sehr wohl gehauen sind.
Die beyde Seiten⸗Bögen der Kuppel sind mit vortrefflich künstlichen eisernen Git⸗
tern verschlossen. Durch das an der lincken Seite im hineingehen köm{m}t man in eine grosse Ca⸗
pelle, welche stets gantz mit Trauer bekleidet ist, in der Mitte aber stehet ein groß schwartz
sammetenes Parade⸗Bette, welches zu Ehren der Königinnen Anna Austriaca und Maria
Theresia angerichtet, deren wie auch einiger Princeßinnen vom Königlichen Hause Her⸗
tzen unter dieser Capelle in einem mit Marmor ausgekleideten Gewölbe beygesetzet sind.
Hinter dem Gitter gegen über ist der Chor der Nonnen, welcher sauber ausgetäffelt ist.
Fast gegen dieser Kirche über ist das
Kloster der Carmeliter⸗Nonnen. Deren Kirche noch gantz altväterisch, doch
inwendig reich gezieret ist. Unter den Fenstern hängen schöne Schildereyen, die mit schönen
Rahmen eingefasset sind. Das erste im hineingehen zur lincken Hand ist die Speisung der
fünff tausend Mann von Jul. Stella. Das andere die Mahlzeit des Pharisäer Simons von
le Brun. Das dritte unsers HErrn Einzug in Jerusalem von Lorenz de la Hire. Das
vierte eine Samariterin auch von Stella. Das fünffte, die Versuchung Christi von le
Brun. Das sechste die Erscheinung Christi vor den Frauen nach seiner Auferstehung von
de la Hire.
Auf der rechten Seite sagen sechs andere zu, eine Auferstehung Lazari, eine Beschnei⸗
dung Christi,Note: Sturm irrt sich bezüglich des Bildthemas: Auf dem Gemälde von Philippe de Champaigne ist nicht eine Beschneidung Christi dargestellt, sondern eine Darstellung Christi im Tempel (Dijon, Musée des Beaux-Arts, CA 104). Vgl. Tapié/Sainte Fare Garnot 2007, S. 87f. die Weisen aus Morgenland, eine Assumptio Mariæ, eine Pfingsten, und
eine Geburt Christi, welche alle sehr gut, die Meister aber weiß ich nicht.
Der Haupt⸗Altar ist sehr hoch mit vier Corinthischen Marmor⸗Säulen daran die
bases Capitäle und Sparren⸗Köpffe von verguldeten Metall. Oben darüber ist eine At-
tique daran ein groß verguldet metallenes bas relief auf einem Grund von schwartzen
Marmor, vorstellend eine Verkündigung Mariä von Anselm Flaman. Gegen dem Git⸗
ter des Nonnen⸗Chors über ist ein Englischer Gruß von Guide.
Es sind auch alle Capellen sehr ausgezieret, vornehmlich die der Magdalene gewid⸗
mete, worinnen diese bußfertige Sünderin von le Brun gemahlet ist. Dagegen ist der
Cardinal Berulle von Marmor knyend vorgestellet von Sarazin. Diese Statua stehet auf
einem marmornen Piedestal, an welchem schöne bas reliefs von l’EstocartNote: Die Zuschreibung der Flachreliefs an Charles Lestocard wurde inzwischen zugunsten von Jacques Sarrazin revidiert. Vgl. Mignot/Rabreau 1996, S. 317 (Abb.). ausgehauen
sind. Im übrigen ist die Capelle mit sauberm Täffelwerck verkleidet, daran die Füllung le
Brun durch einen seiner besten SchülerNote: Sturm bezieht sich hier auf Brice, der keine genaueren Angaben zu dem von Le Brun hinzugezogenen Schüler macht. Vgl. Brice 1971 (Ausgabe v. 1752), Bd. III, S. 113. mahlen lassen. Die übrige Capellen sind meistens
auf gleiche Manier geschmücket. Uber dem Einfang der Kirche ist ein erhabener vergit⸗
terter Chor, darauf die Nonnen die Predigt hören. Dieser Chor ist mit marmorirten
Säulen und drey guten Statuen gezieret. Das Gewölbe ist von Champagnegemah⸗
let.Note: Die Bemalung der Kuppel wurde von Philippe de Champaigne realisiert und umfasste folgende Szenen: Élie enlevé au ciel sur son char de feu, le Sacrifice d’Isaac, Melchisédec offrant du pain et du vin à Abraham, le Christ en croix entouré de la Vierge et de saint Jean und l’Assomption de la Vierge. Vgl. Chazal 1983, S. 151. Zwischen dem Chor und dem Schiff ist der Vorschluß mit vier Corinthischen Säu⸗
len von recht schönen Marmor formiret, darauf Flammen von verguldeten Metall, in der
Mitte aber ein Crucifix von Sarazin stehet, welches sehr hoch gehalten wird. Auf der an⸗
dern Seite folget neben Val de Grace das
Kloster der Englischen Benedictiner. Deren gar kleine Kirche noch ziemlich artig gebauet ist. Weiter folgen an eben der Sei⸗
te alsobald
Les Fevillantines. Bernardiner Ordens, die eine neue Kirche haben, welche auswendig eine ziemlich präch⸗
tige Faciata hat. Ich weiß aber nicht, was vor Ursache unser Brice hat, daß
er sie so sehr tadelt und vor uncorrect hält. Es hat sie Marot angegeben,
und gewiß eben so viel Correction daran erwiesen, als an der Sorbonne er⸗
wiesen worden, die er doch so hoch preiset. Ich finde keine andere Fehler
daran, als 1. daß sie zu niedrig gegen ihre Breite ist. 2. Daß die Wand⸗
Säulen nicht centraliter in einer Linie auf einander zutreffen, sondern die
mittlern vier weiter aus der Wand heraus stehen, als die übrigen zwey,
und doch nicht um eine völlige Sparren⸗Weite, daher die Sparren⸗Köpffe
oben an der Corinthischen Ordnung um die Verkröpffung nicht recht zu⸗
sammen treffen. 3. Daß zusammen gewachsene Wand⸗Pfeiler daran sind.
Und 4. daß die beyden Fenster in der untern äussersten Säulen⸗Weiten nicht
mitten in dieselbige gesetzet sind. Aber die Profilirung der Simse ist besser,
als an vielen andern gepriesenen Faciaten. Dem zur Probe ich in TAB. C
fig. 18 den Deckel des Piedestals, den Säulen⸗Fuß und das gantze Gebälcke
gesetzet habe. Es hat zwar Marot selbst einen Auf⸗Riß davon heraus gege⸗
ben, aber keinen Grund⸗Riß dazu. Darum habe ich sie gantz abgezeichnet,
ohne etwas daran zu ändern, als allein die Proportion der Säulen⸗Weiten,
wodurch die Höhe gegen die Breite in etwas besser heraus kömmt, und
habe einen Grund⸗Riß der Säulen⸗Stellung darzu gethan.Tab.
XXXVIII.
Ubrigens machet der auf Stuffen erhabene Eingang und der raumliche Platz vor
der Kirche, dieser Faciata ein gutes Aussehen. Inwendig ist die Kirche mit Corinthi⸗
schen Wand⸗Pfeilern gezieret, welche aber bey 24 Modul hoch sind. Da sie zum höch⸗
sten über 21 Modul nirgends jemahls sind paßiret worden,Note: Bei Vignola und d’Aviler werden für die korinthische Säulenhöhe nur 20 Modul angegeben. Vgl. d’Aviler 1710, Bd. I, S. 56f. (Tf. 24). und weiß man nicht, was
Marot bewogen habe diese grosse Irregularität zu begehen. Der Altar ist mit Römischen
Säulen aus saubern Quadersteinen gezieret, welche Cannelüren mit darin gesetzten Stü⸗
ben haben, und wohl gearbeitet sind. Der Abgang der Post nöthiget mich hier zu schlies⸗
sen, werde aber mit Göttlicher Hülffe bey nächster Post mehr nachsenden, mich unermüdet
zu erweisen als
den 30. Nov. 1716.
Diener
N.
XXI.
MEinem Versprechen nach continuire itzo unser Besichtigung durch die Jacobs
strasse zu Paris. Da wir besehen wollen.
Le Seminaire de S. Magloire. Darinnen von den Prediger⸗Mönchen junge Leute zu dem predigen angewiesen werden.
Es ist eine ziemliche hardie angelegete Treppe in ihrem Hause zu besehen. Von da ge⸗
hen wir nach denen Ursuliner Nonnen, unweit davon auf der andern Seite, in de⸗
ren Kirchen noch ein ziemlich sauberer Altar mit schwartz marmornen Säulen zu sehen,
zwischen welchen ein Gemählde von der Verkündigung Mariä zu sehen, welches Van
Mol gemahlet, dessen Art zu mahlen sehr anmuthig ist. Weiter finden wir lincker Hand
Die Kirche St. Jacques de Hautpas. Von der die Strasse und das gantze Quartier den Namen hat. Daran ist nichts son⸗
derliches zu sehen, als die Faciata,Note: Der Architekt dieser Fassade ist Daniel Gittard. Da auf einen Verantwortlichen zur Überprüfung der Bauarbeiten verzichtet wurde, entfernte sich die Ausführung weit von Gittards Entwürfen. Auch blieb die Fassade mit nur einem Turm statt der geplanten zwei unvollendet. Vgl. Lours 2016, S. 99-104. welche gantz simpel ohne Ordnung aber ge⸗
wiß auf eine recht ansehnliche Manier angegeben ist, dabey zu bedauren,
daß nur einer von beyden Thürmen fertig worden, und sie demnach so voll⸗
kommen nicht ist, als sie von Marot übrigens gar accurat in Kupffer aus⸗
gegeben worden. Die Colonnate vor der Haupt⸗Pforte ist Dorisch mit vier
grossen ansehnlichen Säulen, welche nach des Vitruvii Regul in der Mitte
stehen, und an beyden Seiten fünff Modul von einander gestellet sind.
Zu verwundern aber ist, da die Frantzosen die Dorische Ordnung so hoch
halten, und häuffig an den allergrössesten Wercken ins Werck gebracht
haben, daß sie sie doch nirgend correct dargestellet haben, auch nicht an
diesem Werck, da nicht die geringste Hinerniß und Difficultät gewesen.
Ich habe den Profil des Gebälckes über dieser Pforte in TAB. C. fig. 19 ge⸗
zeichnet, daraus zu ersehen, wie schlecht er gemachet sey. Denn über dem
Dreyschlitz stehet kein Band, und hingegen ein grosser Hohl⸗Leisten, der
grösser ist als der Wulst, ja als der Krantz⸗Leisten selbst darüber. Der Drey⸗
schlitz hat zu wenig Sprung, daß die Schlitzen ihre rechte Vertieffung nach
dem geraden Winckel nicht haben. Der ablauffende Leisten des Architravs (so
billich ein Hohl⸗Leisten seyn solte) samt dem Uberschlag ist über den Zapf⸗
fen nicht verkröpffet, die Zapffen sind zu niedrig, und über den Dielen⸗
Köpffen ist keine Kröhnung.
In der Kirche bin ich nicht gewesen, und Brice hat auch nichts merckwürdiges da⸗
von angezeiget, als daß gleich neben dem Eingang gar hardie Gewölber sind. Noch ist
in dieser Strasse, so weit die Vorstadt St. Jacques gehet, übrig
Das Nonnen⸗Kloster de la Visitation de Sainte Marie. Man gehet zu ihrer Kirche in einer kleinen Gasse durch einen Thorweg, daran viele noch
ziemlich wohl gearbeitete Corinthische Säulen sind, die aber ein gar zu hohes Gebälcke
haben. Sonst ist an der Kirche selbst gar nichts sehens⸗würdiges. Wenn wir aber ne⸗
ben der Strasse St. Jacques fortgehen, treffen wir an der lincken Seite an
Das Kloster der Jacobiner. Darinnen viel alte Grabmahle der Printzen vom Königlichen Hause vor die Liebhaber
solcher Antiquitäten zu finden. Sonst ist nichts in ihrer Kirche zu sehen, ausser etwa der
Haupt⸗Altar, der mit schwartzen Corinthischen Marmor⸗Säulen gezieret ist. Uber dem
Eingang zum Chor stehet ein herrlich Gemählde von Valentin, eine Geburt der Jung⸗
frau Marie, welche der Cardinal MazarinNote: Jules Mazarin zählte zu den wichtigsten Sammlern von Valentin de Boulogne. Vgl. Brejon de Lavergnée 1974, S. 127. dahin nebst dem Altar verehret hat. Nach
diesem treffen wir an
Collegium Ludovici Magni: Wie die Jesuiter dieses ihr Collegium tituliren, welches sonst de Clermont geheissen.
Es ist die grosse Menge und gute Menage der Zimmer zu sehen. Sie haben nur eine
Capelle, darinnen nichts zu sehen, als an Fest⸗Tagen. Denn das muß ich hier ein⸗
mahl von allen Kirchen zu Paris erinnern, was ohne dem von allen rei⸗
chen Päpstischen Kirchen aller Orten bekannt ist, daß sie an ihren Fest⸗Ta⸗
gen ihre Altäre und die Capellen der Heiligen, deren Fest begangen wird,
mit Tapeten, verguldeten und mit Edelgesteinen besetzten Sonnen, mit
Silber⸗Geschirr und so weiter prächtig aufpruncken und gegen einander
æmuliren, wie solches auch dieses Collegium thun soll, wie auch daß sie sich
sehr bemühen, kostbahre Tabernacul auf ihren Haupt⸗Altären zu haben,
welche meistens als schöne Modelle kostbahrer Gebäude anzusehen sind,
welches, wenn man sie wie man wolte, hanthiren und abmessen könte,
offt eben so guten Nutzen geben würde, als die Besichtigung grosser
Gebäude.
Die Bibliothec in diesem Collegio verdienet wohl gesehen zu werden, darinnen
man sonderlich von Historischen und Mathematischen Büchern mehr findet, als in den an⸗
dern insgesambt. Auch ist ein ziemlicher Vorrath von Medailles, den sie aber nicht ger⸗
ne zeigen, weil sie nicht zum besten rangiret sind. Man gehet da aus der St. Jacobs⸗
Strasse rechter Hand in ein Gäßigen zu finden
La Commenderie de St. Jean de Lateran. In deren Kirche ein schönes Grabmahl von dem ältern Anguierre gantz aus Marmor ge⸗
hauen, sehens werth ist. Es ist ein Gebälcke, welches auf zwey in einem Gehäuse von
raren Marmor, den man Breche antique nennet, eingeblindeten Cräntz⸗Bildern lieget,
darunter des begrabenen Statue auf einem grossen Sarg liegend, vorgestellet wird.
Dieser ist Jacques de Souvre Commandeur dieses Ordens. Es ist dieses Werck etwas
sonderliches von der Disposition der übrigen Tombeaux sehr unterschiedenes, und deß⸗
wegen wohl eines Ganges werth. Von da begeben wir uns in die vorige Strasse, und
gehen le College Royal vorbey, wenn wir nicht wollen gelehrte Leute darinnen besuchen,
deren es von allen Facultäten gibt, und besehen
Die Kirche de Saint Benoist. Wiewohl damahl nichts darinn zu sehen gewesen, als der Chor den man angefangen
mit Corinthischen Pfeilern außzuzieren, wozu Perrault soll die Maasse gegeben haben.Note: Claude und Charles Perrault (gestorben 1688 bzw. 1703) waren in dieser Kirche begraben (vgl. Picon 1988, S. 23 u. Anm. 21, S. 258). Angesichts Sturms Wertschätzung von Claude Perrault ist es erstaunlich, dass er diese Grabmäler nicht erwähnt. Vermutlich hat er die Kirche nicht besucht.
In der Pfarr⸗Capelle ist eine Abnehmung vom Creutz von Bourdon. Weiter hin
folget:
Die Kirche des Mathurins. Deren Haupt⸗AltarNote: Der Hauptaltar ist über einen Kupferstich von Théodore van Thulden aus dem Jahr 1649 bekannt (Paris, Musée Carnavalet, G.39064). vier Corinthische Säulen von sonderlich schönen und gar raren Mar⸗
mor hat, der Brocatelle genennet wird. Neben dem Altar sind auch zwey mit Marmor
gezierete Capellen.Note: Sturm meint hier wahrscheinlich die beiden Seitenaltäre (vgl. den Stich von Théodore van Thulden aus dem Jahr 1649, Paris, musée Carnavalet, G.39064). Eventuell kopiert er aber auch die Passage bei Brice, der ebenfalls von „chapelles ornées de colonnes de marbre“ spricht. Vgl. Brice 1706, Bd. II, S. 118. Die Sitze der Mönche sind von saubern Täffelwerck deren Füllungen
wohl gemahlet sind von einem Mahler Van-Thulde genannt. Zwischen dem Chor und
Schiff ist eine Ionische Colonnate von 6 Säulen, über welcher das Gebälcke inwarts
und auswarts ausgearbeitet ist, und darüber stehen Engel, welche die Paßions⸗Zeichen
tragen. In dem Capittel dieses Klosters versammlen sich alle Membra der Universi-
tät des Jahrs viermahl, und gehen daraus in Procéssion. Wenn Mein Herr um sol⸗
che Zeit da ist, verlohnet sichs die Mühe mit jemand der alle diese Leute kennet, und die
berühmteste darunter in jeder Facultät zeigen und nennen kan, dieselbige anzusehen. Die⸗
sem Kloster fast gegen über zur rechten Hand ist
Die Kirche St. Yves. Darinnen nichts zu sehen, etwas weiter hin an eben dieser Seite kan man in einem
Hauß erfragen
Das Cabinet de Boucot. Darinnen nebst vielen raren Kupffer⸗Büchern und kleinen metallenen Copien der anti⸗
quen Römischen Statuen viel andere Curiosa zu sehen, als eine optische Machine, dar⸗
innen die Prospect von Versailles wohl gemahlet, auf eine ingenieuse Manier vorgestel⸗
let werden. Von Muscheln wird man da einen grossen und auserlesenen Vorrath fin⸗
den, noch was herrlichers aber auf einem verschlossenen Tisch⸗Teppich geleget sehen, nem⸗
lich in einer künstlichen Confusion eine Versammlung von den allerschönsten und raresten
Muscheln, von figurirten Agathen, von allerley geschnittenen Edelgesteinen, und so weiter.
Wobey desselbigen Herrns grosse Höfflichkeit noch das verwundersamste war. Endlich
beschliessen wir die sehens⸗würdigen Dinge noch mit der alten
Kirche Sanct Severin. Worinnen ein schöner Altar von acht Marmor⸗Säulen zu sehen, welche in einem Halb⸗
Kreiß herum stehen, und eine halbe Kuppel tragen, mit einigen Außzierungen von ver⸗
guldeten Metall.Note: Der Entwurf des Altars stammt von Charles Le Brun; Jean-Baptiste Tuby führte die Skulpturen aus. Vgl. Montgolfier/Willesme 1981, S. 182. Le Brun hat die Invention dazu gegeben, aber wenig von der Inven-
tion unterschieden, welche er in der Kirche des grands Augustins angegeben. Also ver⸗
lassen wir nun diese lange Strasse, und schlagen uns rechter Hand hinum durch die Rue
Galande nach der Rue St. Victor, da wir einen kleinen Platz finden, la Place Meaubert
genannt, und dabey
Ein Carmeliter⸗Kloster. Bey denen man nichts findet als einen noch nicht längst, doch mit gar schlechten Ver⸗
stand und grossen Kosten erbaueten Altar von Stein mit sehr viel kleinen Säulen.Note: Der Hauptaltar (Ende des 17. Jahrhunderts realisiert) hatte einen von einem Baldachin überdachten Portikus mit zahlreichen Engeln, die das Gesims stützten. Die Säulen und Skulpturen waren aus Stein, der Altar aus Marmor. Das Ensemble ist über einen Kupferstich von Charles-Louis Le Carpentier (1744-1822) bekannt. Vgl. Montgolfier/Willesme 1981, S. 132; Montgolfier/Willesme 1982, S. 6 (Abb. 42) u. 51. Bald
hernach kommen wir zu der
Kirche de St. Nicolas du Chardonnet. Welche man schon (Ao.)Anno 1656 neu zu bauen angefangen, aber wohl noch nicht vollendet
hat, wie es insgemein gehet, daß die Kloster⸗Kirchen schöner, kostbahrer und geschwinder
als die Pfarr⸗Kirchen erbauet werden.Note: Hier schwingt eine leise Kritik des Pietisten (und zeitweise Calvinisten) an den seiner Ansicht nach reichen Klöstern mit, die in der Lage seien, schöner, aufwendiger und zügiger zu bauen als so manche Kirchengemeinde. Innen ist sie mit Römischen Wand⸗Pfeilern
außgesetzet, deren Zeichnung an den Capitälen sonderlich ist. Uber dem Eingange des
Chores stehet ein Crucifix, wozu Le Brun die Zeichnung gemachet, dessen Grabmahl auch
in dieser Kirche zu sehen, in einer Capelle die er selbst bey seinen Leb⸗Zeiten noch gantz an⸗
geordnet hat, vor seine Mutter, welche da von Marmor vorgestellet ist, als wenn sie aus
einem Sarg stiege, wobey ein Engel in der Lufft eine Posaune bläset, dieses ist von einem
Bildhauer Colignon sehr trefflich gemachet, von deme man sonst nicht viel siehet. Le
Brun selbst ist daselbst en buste von Coyzevox gebildet. In Summa alles ist gar cu-
rieus in dieser Capelle durch der besten Künstler Hände ausgeführet, und ist aller Mar⸗
mor darinnen auch auserlesen schön. Die Pforte an dem Seminario dieser Kirche hat
auch etwas sonderliches, das bezeuget, wie der Angeber wohl zu grössern Wercken ge⸗
schickt gewesen sey.Note: Das Séminaire befand sich östlich der Kirche, am Ort der aktuellen Maison de la Mutualité (24, Rue Saint-Victor). Vgl. Montgolfier/Willesme 1981, S. 180. Der Name des Architekten (Jacques Lemercier) wird auch von Brice nicht genannt. Vgl. Brice 1706, Bd. II, S. 63. Nahe dabey in der Bernardiner⸗Gasse findet man der so genannten
Münche Cistertzer⸗Ordens Kloster, deren Kirche auf alt Gothische Art gebauet,
doch in solcher Art ein gar herrliches aber nicht vollführtes Gebäude ist. Darinnen aber
nichts zu besehen, als benebst einem Grabmahl eines Bischoffs Guillaume du Vair,
noch eine gar künstlich gebauete doppelte Windel⸗Treppe nahe bey der Sacristey, welche
man billich besehen soll, weil diese Art Treppen nicht gemein ist. Das Haupt⸗Werck
darbey ist, daß eine halbe Windung die Treppe so hoch in die Höhe kom⸗
me, daß der grösseste Mensch bequem darunter weggehen könne, so kan
man daselbst der ersten Windung gegen über eine zweyte Windung an⸗
fangen. Der nun auf der andern Windung hinauf gehet, kan den auf
der ersten nicht zu sehen bekommen. Man kan auch drey oder gar vier
Windungen über einander machen, wo sich die Treppe so weit auswirfft,
daß ein Drittheil oder Viertheil einer Windung über Mannes Höhe hin⸗
auf reichet.Note: Sturms Beschreibung der Treppe des Collège des Bernardins liest sich weniger verständlich als jene von Brice: „[…] deux personnes peuvent monter, ou descendre en même temps, sans se voir. Ce sont deux rampes en limaçon sur un seul noyau, ménagées l’une sur l’autre, dans une même cage de figure ronde.“ Vgl. Brice 1698, Bd. II, S. 43. Ja man kan dieses in geraden Treppen mit Ru⸗Platzen gar
leicht imitiren, und nach dem Grunde ist auch die doppelte Treppe zu ver⸗
stehen, die ich oben in der Verbesserung des Hôtels de Chevrevse angebracht
habe. Von erstgemeldeten Collegio der Bernardiner gehen wir etwas wiederum zu⸗
rück und das College de Navarre vorbey, wobey wir uns nicht aufhalten dörffen, als
etwa an dem Thor desselbigen, die alten Statuen des Königs in Franckreich Philippi
Pulchri, und seiner Gemahlin Johanna von Navarra zu betrachten welche die Stiffter
dieser Schule gewesen, dabey noch diese artige Verse zu lesen:
Dextra potens, lex æqua, fides, tria lilia Regum
Francorum Christo Principe ad astra ferunt.Note: „Die mächtige Rechte, ein gerechtes Gesetz [und] der Glaube tragen die drei Lilien der fränkischen Könige zu den Sternen, durch Christus unseren Herrn.“ Darnach kömmt man alsobald zu der
Kirche St. Estienne du Mont. Welche eine Faciata hat so um das Jahr 1610 zu bauen angefangen worden,Note: Die Fassade dieser Kirche wurde von Claude Guérin entworfen. Vgl. Babelon 1991a, S. 258. und also
der guten Architectur schon nachfolget, doch in grosser Unvollkommenheit. Sie ist mit
confuser Bildhauerey gantz dick übersetzet. Der unterste Stock ist noch das beste, welcher
in vier Römischen Wand⸗Säulen mit Binden bestehet, welche eine Arcade in der Mitte
zur Haupt⸗Thüre verfassen, und einen eckigten Fronton tragen. Dessen Giebel⸗Feld so
wohl als die Spatia über dem Bogen, und auch die höltzernen Thür⸗Flügel dicke mit
Schnitzwerck besetzet sind, daß man sich über die daran gewendete Gedult verwundern
muß. Das übrige Werck darüber heisset nichts. Innen ist die Kirche gar helle, und
hat viel annehmliches, die Communications-Gänglein welche über den Bögen und um
die Pfeiler hin gebauet sind, der Music⸗Chor unter dem man nach dem Chor der Kirche
gehet, und die beyden Treppen da man gleichsam schlangen⸗weise um die Pfeiler auf den⸗
selben leiten, sind gar künstlich gebauet. Das Crucifix samt dazu gehörigen Bildern,
welche mittet darüber stehen, werden vor eines der besten Wercke des berühmten Gou-
geons gehalten.Note: Der über dem Lettner im Chor der Église Saint-Étienne-du-Mont angebrachte Christus am Kreuz war ein Werk von Pierre Biard dem Älteren und nicht von Jean Goujon, wie Sturm fälschlicherweise angibt. Vgl. den Vertrag vom 22. Juni 1600, „Minutes et répertoires du notaire Pierre II Viard“, Minutier central des Archives nationales, MC/ET/CV/287. Die Capelle der H. Jungfrau hinter dem Chor ist auf heutige Manier
gebauet, hat aber nichts sonderliches. Aber der kleine Altar des Heil. Sacraments ver⸗
dienet genauere Betrachtung, daran einige herrliche Arbeit von Germain Pilon ist, un⸗
ter andern zwey bas reliefs eines von Christo am Oelberg, das andere von Christi Grab,
welche von Kunstverständigen admiriret werden. So ist auch die Cantzel wohl zu sehen,
welche von einem angesehenen Bildhauer L’Estocart überaus schön gearbeitet, und von
de la Hire berühmten Mahler gezeichnet worden. Man æstimiret auch die gemahlte
Fenster an dem Bein⸗Hause gar hoch. Hart an dieser Kirche stehet die Kirche der
Abbaye de la Ste Genevieve. Welche die Patronin der Stadt Paris ist, dennoch ist ihre Kirche so schlecht; das vor⸗
nehmste[65]107nehmste ist das Behältniß von reich verguldetem Silber hinter dem Haupt⸗Altar, wor⸗
innen ihr Cörper aufbehalten wird. Dasselbige stehet auf vier Ionischen Säulen von
sehr raren und kostbahren Marmor.
In dem Chor ist vor die Liebhaber des Alterthums das Begräbniß des ersten
Christlichen Königs in Franckreich Clodovæi, dessen Bildniß, wie es zur Zeit seines To⸗
des gemachet worden, noch auf dem Grabstein lieget. Aber diesen hat man vor einiger
Zeit höher in die Höhe gehoben, damit man eine Grabschrifft darunter machen kunte.
So ist auch die Crone auf seinem Haupt und der Scepter in seiner Hand von viel neue⸗
rer Arbeit als das übrige Bild. Es lieget auch selbigen Königs Gemahlin nicht weit
davon begraben. Hingegen ist in einer Capelle nahe bey der Sacristey ein prächtig
marmornes Grabmahl eines Cardinals François de Rochefoucault, welches ein sehr gu⸗
ter Bildhauer Philippe Buister gemachet hat. Neben einer Thüre dadurch die Mönche
nach ihrem Chor gehen, sind in zwey Vertieffungen der Mauer zwey von Dohn ge⸗
brannte Figuren von Pilon, welche sehr æstimiret werden, und eine Christum im Grabe,
die andere den auferstandenen Heyland präsentiret.
Weil Cartesius aller Welt bekannt ist, und er seine Grabstätte in dieser Kirche be⸗
kommen, wird es nicht verdrießlich seyn, wenn ich hier seine Grabschrift anführe.
Des Cartes dont tu vois ici la sepulture,
A dessillé les yeux des aveugles mortels
Et gardant le respect que l’on doit aux Autels
Leur a du monde entier demontrè la structure.
Son Nom par mille ecrits se rendit glorieux
Son Esprit mesurant & la Terre & les Cieux
En penetra l’abîme, en perça les nuages:
Cependant Comme un autre il cede aux loix du sort,
Lui qui vivroit autant que ses divins ouvrages,
Si le sage pouvoit s’affranchir de la mort
.
Renatus des Cartes
Vir supra titulos omnium retro Philosophorum,
Nobilis genere, Armoricus gente, Turonicus origine,
In Gallia, Flexiæ studuit,
In Pannonia, Miles meruit,
In Batavia, Philosophus delituit,
In Suecia, vocatus occubuit,
Tanti viri pretiosas reliquias
Galliarum percelebris tunc Legatus Petrus Chanut,
Christinæ sapientissimæ Reginæ, Sapientum amatrici,
Invidere non potuit, nec vindicare Patriæ,
Sed quibus licuit cumulatus honoribus,
Peregrinæ terræ mandavit invitus.
Anno Domini 1650 m. Febr. 10 ætat. 54
Tandem post septem & decem annos.
In gratiam Christianissimi Regis
Ludovici Decimi Quarti
Virorum insignium cultoris & remuneratoris
Procurante Petro Dalibert
Sepulchri pio & amico violatore.
Patriæ redditæ sunt,
Et in isto urbis & artium culmine positæ:
Ut qui vivus apud exteros otium & famam quæsierat,
Mortuus apud suos cum laude quiesceret,
Suis & exteris in exemplum & documentum futurus.
I nunc Viator,
Et divinitatis immortalitatisque animæ
Maximum & clarum assertorem
Aut jam crede felicem, aut precibus redde.Note: „Ein Mann über die Verdienste aller früheren Philosophen hinaus / Vornehm von Geburt, aus dem Volk der Bretonen, geboren in der Touraine, / In Gallien hat er studiert, in La Flèche, / In Pannonien hat er sich als Soldat verdient gemacht, / In den Niederlanden hat er sich als Philosoph versteckt, / In Schweden starb er, nachdem er (dorthin) gerufen worden war. / Die kostbaren Überreste eines so bedeutenden Mannes / Konnte der damals hochberühmte Gesandte der Gallischen Länder Petrus Chanutius, / Christina, der weisesten Königin, der Liebhaberin der Philosophen, / Nicht vorenthalten, und nicht für das Vaterland in Anspruch nehmen, / Sondern überhäuft mit allen möglichen Ehren / Hat er sie dem fremden Land gegen seinen Willen anvertraut. / Im Jahr 1650, am 10. Februar, im Alter von 54 Jahren. / Nach siebzehn Jahren endlich. / Mittels der Gunst des allerchristlichsten Königs / Ludwig XIV., / Des Verehrers und Beschenkers berühmter Männer, / Durch die Sorge des Petrus Dalibertus, / Pflichtgetreuer und freundlicher Schänder des Grabs. / Sind sie dem Vaterland zurückgegeben worden, Und niedergelegt an diesem Ort, Gipfelpunkt der Stadt und der Künste, / Damit der, der zu Lebzeiten bei Fremden Muße und Ruhm gesucht hatte, / Nach seinem Tod bei den Seinen mit Ruhm ruhe, / Den Seinen und den Fremden in Zukunft zum Vorbild und zur Lehre. / Geh nun, Wanderer, / Und halte den größten und berühmten Verteidiger der Göttlichkeit und Unsterblichkeit der Seele / Entweder schon (jetzt) für glücklich oder mache ihn (glücklich) durch (deine) Gebete.“
Hart bey ihm hat sein fleißiger Nachfolger Jacobus Rohault sein Hertz begraben lassen.
In den Kloster⸗Gebäuden ist noch mehr von Architectur zu sehen, und ist also⸗
bald die äussere Pfort ein sauberes Stück, nemlich eine Art eines doppelten Vorschopffs,
so wohl auswarts als inwarts nach Dorischer Ordnung eingerichtet. Auch ihr Creutz⸗
gang ist als ein Peristylium von Dorischen Säulen gebauet. Gegen vorgedachter
Pforte über stehet eine Fontaine, daran Genoveva die Patronin in einer Niche vorge⸗
stellet ist. Neben gedachten Creutzgang ist eine mit Schildereyen wohl gezierte Capelle,
darinn ein Bischöfflich Grabmahl, darauf der Bischoff knyende in einer metallenen Sta-
tua von Pilons Zeichnung aufgerichtet ist. Sie haben daselbst auch eine artige Apotheck.
Vor allen ist die Bibliothec sehens⸗werth, von der ein gantzes Buch in Folio mit viel schö⸗
nen Kupffern heraus kommen ist, darinnen nicht nur viel und schöne Bücher in schönen
Schräncken disponiret zu sehen, sondern auch ein schöner Vorrath von raren Naturali-
bus, ArtificialibusNote: Als „naturalia“ wurden in der Natur auffindbare Objekte bezeichnet, als „artificialia“ solche, die von Menschenhand künstlich hergestellt oder aus Naturstoffen geformt waren.Antiquitäten und MedaillenNote: Sturm beschreibt das Kuriositätenkabinett von Claude du Molinet, Bibliothekar der Abtei Sainte-Geneviève von 1675-1687. Molinet stellte hier unter anderem Medaillen, Schmuck, Lampen, Vasen, Statuetten, zahlreiche antike Objekte sowie eine Serie an Pastellporträts der französischen Könige aus. Vgl. Montgolfier/Willesme 1982, S. 33 (Abb. 24). zu besehen vorfält, sonderlich aber merck⸗
würdig ist, daß daselbst alle Stämpffel des Paduani zu finden, womit er so künstlich die
antiquen Müntzen nach gemachet hat.Note: 1670 gelangte die Sammlung antiker Medaillen von Giovanni da Cavino (französisiert auch Jean Cauvin, genannt le Padouan) in die Bibliothek der Abtei Sainte-Geneviève in Paris. Im illustrierten Katalog der Bibliotheksbestände, der 1692 durch den Chorherren Claude du Molinet vorgelegt wurde, wird diese Sammlung beschrieben und auf fünf Tafeln wiedergegeben. Die Sammlung befindet sich heute in der Bibliothèque nationale de France. Vgl. Du Molinet 1692, S. 92-118. Von da an ist weiter nichts sonderlichs zu se⸗
hen, als etwa
Les Gobelins. Welches ein Hof ist, worinnen vor diesem der König eine grosse Anzahl der geschicktesten
Künstler in allen solchen Dingen gehalten, die zu Außzierung der Paläste dienen, als in
Bildhauerey, Schildereyen, Tapeten, Uhren und dergl. Als ich aber in Paris war habe
ich wenig mehr davon angetroffen, und habe nichts gesehen, als in einem Gemach Tape⸗
ten wircken, und in ein paar Werckstätten Statuen von Marmor arbeiten. Von da ist
zwar ein guter Weg hinaus nach dem
Hôpital General. Dessen gute Disposition doch noch einen Spatziergang in müs⸗
sigen Stunden verdienet. Aber
Der Hortus Medicus. Verdienet einen Besuch überaus wohl, weil er in dem was dazu gehöret, gantz vollkom⸗
men ist, auch noch schöne Gelegenheiten hat, so zu den Anatomischen und Chymischen
Ubungen dienen. Aus diesem gehen wir die Abbtey St. Victor vorbey, wiederum nach
der Stadt, massen nichts darinnen zu besehen, als die schöne Bibliothec, welche wöchent⸗
lich dreymahl zum publiquen Gebrauch offen stehet. Also beschliessen wir unsere Spatzier⸗
reise durch die Stadt Paris bey dem Thor St. Bernard, welches das schlechteste unter
den vieren ist, welche unter Blondels Angebung sind neu gebauet worden.Note: Bei den anderen dreien handelt es sich um die Portes Saint-Denis, Saint-Martin und Saint-Antoine. Ich retirire
mich demnach auch ein wenig, um auf unsere Reise nach Versailles ein wenig auszuruhen,
wiewohl ich ohne Nachlaß verbleibe
den 4. Decemb. 1716
N.
XXII.
ICh wolte nun wünschen, daß ich vermögte von den Königlichen Lust⸗Häusern um
Paris einen recht ausführlichen Bericht zu erstatten, darinnen alle merckwürdige
Umstände angezeiget würden, oder daß ich wenigstens davon zu Paris hätte eben
solche gedruckte Beschreibungen als des Brice von Paris ist, finden können, dadurch ich mich
dessen, was ich gesehen habe, aber aufzuschreiben, und noch weniger abzuzeichnen keine Zeit
gehabt, desto besser wiederum erinnern könte.Note: Diese Feststellung Sturms verwundert, denn seit 1672 erschienen verschiedene Beschreibungen im Druck, darunter vor allem die „Description du chasteau de Versailles“ des königlichen Historiografen André Félibien. In diesen wurden mit steigender Ausführlichkeit Schloss und Garten beschrieben (s. die Aufl. v. 1674, 1685, 1687 u. 1696). Vgl. Maisonnier 2017. So aber wird mein werther Freund sich mit
an sich gar wenigen Anmerckungen vergnügen müssen, welche Er aber in Proportion der
gar kurtzen Zeit, welche ich da anzuwenden gehabt, vor g{e}nugsam wird gelten lassen. Weil
es mir aber vornemlich um die Wasser⸗Künste zu thun war, welche man schwerlich in der
Welt so vollkommen als allda finden wird, so habe ich mich, so bald als ich mich in Paris
ein wenig umgesehen hatte, geraden Wegs nach Marly begeben, wobey ich unerinnert nicht
lassen kan, daß ich eben um dieser Absicht wegen meine Reise gegen den Herbst zu angestel⸗
let, welches sonst die ungemächlichste Zeit zum Reisen ist, damit ich eben um die Zeit nach
Versailles kommen könte, wenn der König von dar sich wegbegeben und nach Fontaine-
bleau reisen würde, weil man um diese Zeit gewisse Gelegenheit hat die Wasser in Ver-
sailles springen zu sehen, indeme man alsdann die Reservoirs alle ablauffen und alles rein
machen lässet. Wer aber Zeit hätte in Paris die Gelegenheiten abzuwarten, wenn etwa
ein Festein wäre, oder ein Printz oder Abgesandter zur Audienz gelassen würde, der könte
sich umsolche Zeit heraus nach Versailles begeben, und also die Lust geniessen, daß er die
Wasser springen sähe. Denn dieses geschiehet selten, weil, so wundersam groß, als die Men⸗
ge Wassers, die nach Versailles zu dem Lust⸗Bronnen geleitet wird, so ist doch die Quantität
Wassers, welche die grosse Menge derselben wiederum abziehet, weit grösser als der Zufluß,
daß sie selten mit einander alle springen können. Die Ursache aber warum ich mich am al⸗
lerersten nach Marly begab, war diese, weil von da die Wasser, durch einen Weg der über
zwey Stunden lang, alle nach Versailles hinkommen, damit ich also ihre gantze Anlage
von dem Anfang in der Ordnung durchgienge.
Die Wasser⸗Kunst zu Marly. Es sind zu Lande von Paris nach Marly zwey gemeine Teutsche Meilen, hingegen zu
Wasser auf der Sayne mehr als sieben. Diese fliesset eine halbe viertel Stunde vor selbigen
Flecken vorbey, und daselbst hat der König die kostbare Kunst anlegen lassen, dadurch das
Wasser daraus in die Höhe getrieben, und auf etliche Lust⸗Häuser, sonderlich aber Marly
und Versailles ausgetheilet wird. Es ist ein Damm queer durch die Sayne gebauet, wo⸗
durch sie einen Fall bekömmt, dadurch funffzehen neben einander liegende Schauffel⸗RäderNote: In der Beschreibung der Machine de Marly von Bernard Forest de Belidor werden nur 14 Räder genannt. Vgl. Belidor 1739, S. 196.
getrieben werden, welche über 30 Fuß im Diametro haben. Die Schütz⸗Bretter, welche
vor den Rinnen stehen wodurch das Wasser auf die Räder lauffet, werden mit metallenen
Schrauben aufgezogen. Durch diese Räder werden sieben solche Stangen⸗Züge, wie wir
insgemein in den Bergwercken gebrauchen, und welche neben einander an einem bey die 600
Fuß hohen Berg hinan liegen, hin und wieder gezogen. Diese Stangen⸗Züge aber sind
alle besserer Dauerhafftigkeit wegen von eisernen Stangen gemachet, da wir sie nur von
höltzernen auf den Bergwercken zu machen pflegen. Durch diese Stangen⸗Züge werden
nun an drey unterschiedlichen Orten sieben metallene Stieffel getrieben. Erstlich ste⸗
hen sieben unten nahe bey dem Wasser, welche aus einem Wasserhalter der seinen Zufluß
aus der Sayne hat, das Wasser schöpffen, und durch 14 Röhren jede bey 10 Zoll dicke von
gegossenen Eisen auf die Helffte des Berges hinan treiben, und daselbst in kupfferne Kessel
ausgiessen. In diesen Reservoirs stehen wiederum sieben metallene Stieffel, welche gleicher Ge⸗
stalt durch die beschriebene Stangen⸗Züge beweget, durch gleichmäßige eiserne Röhren den Berg
fast gar hinauf das Wasser wiederum in solche Reservoirs außgiessen. Aus diesen wird es
endlich auf eben diese Art auf einen hohen steinernen Aquæduct gehoben, durch den es auf der
völligen Höhe des Berges endlich in ein sehr grosses mit Stein an den Seiten herum besetz⸗
tes und am Boden auch in Cement mit Steinen dicht ausgesetztes Reservoir gebracht
wird. Wer nun überschlagen kan, was für grausame Kosten sind erfordert worden diese un⸗
geheure Machine zu bauen, und wie viel noch jährlich müsse zu ihrer Unterhaltung angewendet
werden, wird in Warheit erstaunen, daß ein König so unerhörte Kosten zu seinem blossen Di-
vertissement angewendet. Und dennoch ist dieses bey weiten noch nicht alles. Denn da ist fer⸗
ner das Wasser an unterschiedliche ziemlich weit entlegene Oerter alles durch gegossene eiser⸗
ne Röhren geleitet worden, und wo sich Thäler zwischen gar steilen Höhen gefunden, sind
steinerne Brücken oder Aquæductus darüber geführet worden, da sich dann das Wasser
wiederum in Reservoirs sammlet, und von da durch die eiserne Röhren weiter fort gefüh⸗
ret wird, dergleichen Aquæduct unweit von Versailles, bey einem Dorff Montreil in die 120
Fuß hoch geführet ist, welcher aus einer unten zum wenigsten 24 Fuß dicken Mauer beste⸗
het, welche zu oberst noch 8 Fuß Dicke behält. Die eisernen Röhren bestehen alle aus fünff
Fuß langen Stücken, welche mit den Enden in einander gestecket sind, und also mit zwey
Kräntzen, welche 3/4 Zoll dick, 5/4 Zoll hoch sind, zusammen stossen, und dadurch, nachdem sie
wohl verstrichen worden, mit Schrauben fest an einander gezogen werden, wie es TAB. C.
fig. 20 deutlich zeiget. Die Aquæduct sind von Bruchsteinen ausgeführet, und zu oberst
mit drey Schichten in cæment gesetzter Quadersteine gedecket, in welchen ein Canal fünff
Fuß weit eingehauen ist, welcher der Tieffe nach noch ein wenig in die unterste Schicht Steine
eingreiffet. Dieser wird mit Bley gantz ausgekleidet, und mit einem breiten und oben
rundlecht zugehauenen Quadersteine bedecket. Nachdem solcher Gestalt das Wasser biß
hart an die Stadt Versailles immer auf den Bergen fortgeleitet worden, fället es wiederum
in ein grosses mit Stein ausgesetztes Reservoir. Von da aber fället es in den beschriebenen
eisernen Röhren den Berg hinunter, und lauffet biß unter den rechten Flügel des Schlosses
an dem Garten, da es hinauf steiget, und in die letzten Reservoirs fället, welche längs an
einander auf dem Altan selbigen Flügels sind, und alle von Kupffer gemachet worden. Da⸗
von fallet es zum letzten mahl durch gleichmäßige Röhren in den Garten, und wird daselbst
in lauter gewölbten Gängen, so über zwey Fuß weit und bey fünff hoch sind, und hier und
dar verborgene Außgänge in den Lustwäldern des Gartens haben, dadurch man hi{n}ein kom⸗
men, und wo es nöthig säubern und repariren kan. Wann die eiserne Röhren so nahe an
die Spring⸗Bronnen kommen, daß sie sich müssen in allerley krumme Gänge schicken, sind
an ihrer statt bleyerne angemachet, die sich hernach weiter in viele Aeste zutheilen, und da
haben manche Röhren 16 und mehr Zoll im Diametro und sind einen halben Zoll dick, ja
dicker an Bley. Endlich wo der Sprung geschehen soll, endigen sie sich in metallene Röhren.
Wenn man nun ein wenig nachrechnet, wie viel hundert Centner Metall zu Spring⸗
röhren und Hahnen, wie viel hundert Centner Kupffer, wie viel tausend Centner gegos⸗
sen Eisen, wie viel Bley zu diesem gantzen Werck von Marly biß nach Versailles erfor⸗
dert habe, der kan ohne tieffe Verwunderung über des Königs Magnificenz nicht blei⸗
ben. Und so dann kan man der Frantzosen Rotomontade nicht mehr vor so gar excessiv
halten, wenn sie sprechen, es habe den König allezeit zehen tausend Thlr. gekostet, wenn er
die Wasser zu Versailles habe springen lassen.
Versailles. Weil wir nun bey Versailles sind, so will ich gleich meine kurtze Beschreibung da⸗
Eevon[68]110von machen. Es lieget dieses Königliche Lust⸗und Residentz⸗Schloss in einem unange⸗
nehmen sandigen Thal, auf einem darinnen erhabenen kleinen Hügel welchen es samt seinem
Garten gantz einnimmt, daß man nicht anderst schliessen kan, als es habe der König vor⸗
nemlich die Ehre gesuchet, daß er die Natur getrotzet, und aus dem unangenehmsten
Orth, der weit und breit zu finden, einen Platz von recht bezauberender Schönheit gema⸗
chet. Ich spreche mit Recht bezauberend, weil viel daran zu sehen, daß das Gemüth und
die Augen choquiren könte. Aber durch die Menge der Schönheiten und Kostbarkeiten
wird man so geblendet, daß man leichtlich alle Fehler übersiehet.
Es sind eine grosse Anzahl Kupffer davon in Paris zu bekommen, worunter sonder⸗
lich die besten aber auch die raresten sind, des Perelle Prospect von Versailes, und Si-
mon Thomasin Statuen zu Versailles,Note: Eine Ausgabe von Thomassins Recueil des figures in vier Sprachen erschien 1695 in Amsterdam bei P. Mortier. Eine weitere Ausgabe auf Deutsch und Latein kam 1710 heraus. denn etliche Risse von der grossen und kleinen E-
curie, welche vortrefflich gestochen sind. Aber von dem Schloß zu Versailles wird man
keine Grund⸗Risse, Auf⸗Risse und Profile finden, die recht deutlich und nach dem Maaß⸗
stab gezeichnet sind, und ist scharff verbotten gewesen, nicht nur nichts abzumessen, son⸗
dern auch nichts in der Nähe abzuzeichnen, wie mir es denn auch untersaget wurde,
wenn ich nur etwas in eine Schreib⸗Tafel notiren wolte. Einen General-Plan hat man,
der dem Duc de Bourgogne dediciret worden, und gar zuverläßig ist, mir auch mehr als
alle die andern Kupffer gedienet hat, einen deutlichen Concept von Versailles zu fassen.
Weil aber das Schloß und der Garten gar zu klein und undeutlich darein fallen, habe
ich sie ein wenig grösser gezeichnet, welches hiebey überkömmt.Tab.Note: Stum hat vergessen, die Nummer hinzuzufügen. Es handelt sich um Tab. XXXIX. Eben aus demselben
werde ich auch die zuverläßige Maasse einiger Stücke in diese Beschreibung mit ein⸗
bringen.
Es gehen schrägs gegen das Schloß zwey gerade Strassen zu, eine lincker Hand
über hundert gemeine Schritt breit und 1230 lang. Die andere rechter Hand von glei⸗
cher Breite, aber 1680 lang. Mitten zwischen diesen durch gehet die Strasse, da man
von Paris kömmt gerade mitten gegen dem Schloß zu 150 Schritte breit und über 3000
lang, da man mählig Berg ab dagegen gehet, und das Schloß immer im Gesicht hat,
welches ungemein ergötzet. Diese drey Haupt⸗Avenües endigen sich auf einen sehr gros⸗
sen Platz, der bey 300 Schritt lang biß an das äusserste Stacket, und an einem Ende
600 an dem andern 360 Schritt breit ist. Zwischen dem Ausgang der drey breiten
Strassen kehren die zwey herrliche gantz von Quadersteinen gebauete, und auswendig ein⸗
ander perfect gleiche Königliche Stall⸗Gebäude ihre prächtige Fronten gegen dem Schloß
zu, welche wohl werth, daß sie durchgehends besehen werden, da man sonderlich in der
petite Ecurie, das ist, wo die gemeine Hof⸗und Jagd⸗Pferde stehen, was sonderliches
siehet, daß die Pferde auch in zwey Schichten, aber mit den Köpffen gegen einander ge⸗
wendet stehen.
Den übrigen Raum hinter den Königlichen Ställen und zwischen den drey Stras⸗
sen nehmen etliche schöne Herren⸗Höfe und auch Privat-Häuser ein. Ausser der Strasse
zur lincken Hand aber liegen ein Thier⸗Garten des Königs, dessen Küchen⸗Garten und
eine kleine Stadt welche Alt⸗Versailles heisset, welches eine schon ziemlich grosse und gar ar⸗
tig regulier angelegete Stadt ist.
Wann wir nun in den ersten Königlichen Hof hinein gehen wollen, welches ge⸗
schiehet durch ein breites sehr prächtiges eisernes Stacket, muß ich in genere sagen, daß
man vor das Geld, welches in diesem Schloß und seinen Gärten auf eiserne Stacket ge⸗
wendet worden, ein ansehnliches Schloß vor einen Fürsten bauen könte.
Der erste Prospect bey diesem Eingang gegen das Schloß ist recht charmant, weil
der Hof ziemlich starck Berg an gehet, und sich etliche steinerne Geländer, und zwey ei⸗
serne und starck verguldete Gatter hinter einander præsentiren, auch die Gebäude sich im⸗
mer näher zusammen ziehen, und immer niedriger werden, daß man auch zu hinterst
mit einer Picke fast biß an das Dach reichen kan, wozu die mit verguldeten Bley sehr
reich gezierete Dächer ein merckliches beytragen. Es scheinen auch die Baumeister recht
das Absehen gehabt zu haben, daß sie einen theatralischen Prospect damit machen wol⸗
ten, woran sie doch nicht zum klügesten gehandelt haben. Denn wie ein Theatrum
nichts anders als eine unvollkommene Copie von einem rechten Gebäude ist, so muss noth⸗
wendig etwas schlechtes heraus kommen, wenn man wiederum ein Gebäude von einem
Theatro copiret. Es soll auch Bernini bey diesem Eingang gantz höhnisch gesaget ha⸗
ben: Bello per un theatro. Aber in der That wird man dieses Prospects bald über⸗
drüßig, weil nach und nach die Verblendung wegfället, womit einen die erste Ansicht
überraschet, und man allmählich das bunte Wesen und den Mangel der Gravität an
diesen Gebäuden observiret. Die Farbe und Ordonnance der äusseren Wände träget
auch nicht wenig bey das Ansehen des Gebäudes zu verringern, weil man von Paris
her gewohnet ist, Gebäude von puren Quadersteinen zu sehen, und itzo hier an dem Kö⸗
niglichen Gebäude, da man mit voller Hoffnung etwas besonder{s} prächtiges zu sehen an⸗
kömmt, nichts siehet als Mauern von Mauer⸗Steinen, die um die Fenster und an den
Ecken allein mit Quadersteinen ausgesetzet sind. Die Flügel des andern Hofes noch aus⸗
ser dem eisen Stacket haben an ihren vordersten schmahlen Faciaten gegen dem ersten
Hof zu eine gantz andere Ordonnanz der Fenster als an den Seiten, und vorn eine Colonna-
te von sechs frey und sehr weit von der Wand abstehende{n} Corinthische{n} Säulen, welche mit dem
übrigen gantzen Gebäude nicht die geringste Harmonie noch Combination haben; Ihre
Architrave sehen zwar aus, als wenn sie aus vielen Stücken nach der künstlichen Coupe des
pierres gehauener Sandsteine zusammen gesetzet wären, wovor sie auch Daviles in seinem
Cours d’Architecture öffentlich ausgiebet. Und wenn es sich in der Wahrheit also ver⸗
hielte, wäre es gewiß das herrlichste und verwundersamste Exempel solcher Coupe.
Allein es verrathen etliche abgefallene Stücke, daß diese Architrave aus gros⸗
sen höltzernen Balcken bestehen, und mit Taffeln von Sandstein nur verkleidet sind,
welches einen, der mit so grosser Hoffnung etwas ungemeines zu sehen herkömmt,
nicht wenig niederschläget. Dazu ist die gantze Architectur daherum sehr unpropor⸗
tionirlich. Die Ornament verwirren theils, und theils zuschneiden gar einander.
Sie ist Dorisch, und mangelt aller derjenigen Dinge, welche diese Ordnung recht
helden⸗mäßig und ansehnlich machen. Die beyden vordern Höfe sind ohne alle Fi⸗
guren, wie die gemeinen Gassen mit Pflaster⸗Steinen beleget und gehen Berg an
als eine Esplanade vor einer Citadelle. Der hinterste Hof ist zwar mit Marmor⸗Flie⸗
sen horizontal beleget und zu vorderst durch etliche Stuffen erhaben, aber gar klein
und mit niedrigen und schlecht gezierten Gebäuden umgeben, welches alles so viel⸗
mehr degoutiret, weil man sich das Contrarium zuvor in der Hoffnung vorgestel⸗
let hatte.
Aber als man diesem Disgusto gantz niedergeschlagen durch die gar sehr unan⸗
sehnliche Hauß⸗Thüre hineintritt, kommt man wieder in eine neue Welt, und wird
durch solches abwechseln der Affecten so viel tieffer in Verwunderung gesetzet, indeme
man in eine Loggia eintritt, welche gantz mit rothen und weiß herrlich geäderten Mar⸗
mo⸗Säulen ausgesetzet ist, dadurch man einen Prospect in den herrlichen Garten be⸗
kömmt, und ein ungemeines Geräusch der in grosser Menge springenden Wasser
höret.
Kaum konte ich durch diese Entzückung mich mehr meiner vorgenommenen Ord⸗
nung erinnern, und schwerlich dabey erhalten, daß ich erst das inwendige der Gebäude
besehen wolte, ehe ich in den Garten gienge. Aber so bald ich mich genöthiget hatte bey
dem Vorsatz zu bleiben, so gieng mein Verdruß wiederum an, denn ich fand weder Thür
noch Treppen um mich, gieng derowegen zu fragen, wo der Concierge wohnete, und
als ich ihn angetroffen, und um einen Führer gebeten der mich in die Zimmer brächte
und mich alles wohl besehen liesse, weil ich als ein Teutscher Architect dieses Welt⸗be⸗
rühmte Gebäude gern wohl besehen wolte, da brachte er mir aus seinem Zimmer einen
gedruckten Zettul, darauf stunde, daß die Schweitzer⸗Wachen mich mit acht Persohnen
solten frey paßiren lassen, die Zimmer des Pallasts und die Parcs in dem GartenNote: Unterschieden wurden der Petit Parc und der Grand Parc de chasse. Das Schloss und der Petit Parc befanden sich nordöstlich des Grand Parc. zu bese⸗
hen, dabey er mich höfflich versicherte, daß ich weiter keinen Führer nöthig hätte. Also
gieng ich nun hin und suchete nach der Treppe, fand (bey 20 in der Tabelle) drey Bö⸗Tab.Note: Stum hat vergessen, die Nummer hinzuzufügen. Es handelt sich um Tab. XXXIX.
gen mit herrlichen und sehr reich verguldeten eisernen Sprengwerck verschlossen, dadurch
ich eine sehr herrliche Treppe erblickete, aber nicht dazu kommen konte, und als ich deß⸗
wegen jemand fragete, bekam ich zur Antwort, diese Treppe würde nicht aufgemachet, als
wenn ein vornehmer Herr oder Abgesandter zur Audienz aufgehohlet würde, die ordinar
Treppe müste ich gegen über suchen. Ich gieng gegen über (bey ⊙)Note: Auf seinem Plan des Schlosses von Versailles (Tab. XXXIX) markiert Sturm mit einem kleinen Kreis den Ort, wo er die Innenräume betritt. Im Druck nur undeutlich zu erkennen, findet sich der Kreis auf der linken Seite unterhalb der mit H bezeichneten Cour de Marbre. Kurz nach Betreten des Schlossgebäudes stößt Sturm auf den Escalier de la Reine. zu einem Bogen
hinein und fand einen langen nicht allzuhellen und unansehnlichen Gang, sahe aber keine
Treppe. Doch gieng ich fort, und fand endlich bey 19 die Treppe, welche aus einem en⸗
gen dunckeln Höfigen passablement erleuchtet wurde, groß und ansehnlich war, aber nichts
ausserordentliches hatte. Als ich aber durch ein paar gar nicht prächtige Zimmer gegangen
war, traff ich Schweitzer⸗Wache an, und zeigete meinen Zettul vor, und bat meinen Herrn
Landsmann in meiner Schwäbischen Mutter⸗Sprache, er möchte mir zeigen, wo ich hinge⸗
hen müste die Zimmer zu besehen. Aber es sagte mir einer gar freundlich, itzo könte ich
da nicht paßiren, und würde auch sonst auf dem Schloß nicht viel zu sehen bekommen,
morgen gienge der König weg, da solte ich auf der andern Seite eine kleine Treppe hin⸗
auf gehen, so würde ich alle Zimmer offen finden und alles besehen können, also trollete
ich mich herunter, brach meine vorgenommene Ordnung par force, und begab mich in
den Garten, da ich wieder erquicket wurde. Aber itzo werde an dieser wiederhohleten
Vergnügung eben wiederum gestöhret, da ein guter Freund sich anmelden lässet, dem ich
mich nicht verläugnen kan, muß also diese anmuthige Promenade mit meinem abwesen⸗
den Freund verschieben biß auf die nächste Gelegenheit, der ich indessen mit Anwünschung
einer frölichen Begehung des instehenden Festes verbleibe
den 21. Decemb. 1716.
N.
XXIII.
UM uns die neulich unangenehme Ideen von dem Schloß zu Versailles nicht wieder
zu erneuen, wollen wir uns nach dem Garten durch einen andern Weg begeben,Garten
zu Ver-
sailles
und durch den Küchen⸗Garten durch die Gasse der sur Intendance, welche auf eine
Allee zutrifft, welche an der lincken Seite desselben vorbey gehet, unsern Weg nehmen,
welcher ohne dem besehens⸗werth ist, nachdem er von dem Herrn de Quintirrye also an⸗
geleget worden, daß man sehen kan, wie solchen Gärten auch so viel Schönheit durch re-
gulare Außtheilung der Felder, und kluge Anordnung der Gewächse könne gegeben werden,
daß sie den Lust⸗Gärten in Anmuthigkeit wenig nachgeben. Es bestehet in einem drey
hundert gemeine Schritt langen, und zwey hundert und zwantzig breiten Platz der mit ei⸗
ner vier und achtzig Schritt breiten Terrasse gantz umgeben ist. Diese Terrasse dienet
nicht nur zur Schönheit des Gartens, sondern vornemlich dazu, daß Sonne, Schatten
und Wind desto vortheilhafftiger unter die Gewächse können ausgetheilet werden. Das
Gärtner⸗Hauß, welches gar regulier 30 Schuhe breit um einen sechzig Schritt langen
und breiten Hof aufgeführet ist, stehet auf der Ecke der Terrasse gegen West und Nor⸗
den, und also nicht nur an dem Orth der im Garten am leichtesten zu missen ist, sondern
auch am bequemsten, daß unter der Terrasse so wohl recht Kühl⸗Keller zu allerhand Ge⸗
brauch, sonderlich zu besser Conservation der abgebrochenen Früchte, als auch von der
Morgen⸗und Mittag⸗Sonne erwärmete und erleuchtete, hingegen von allen bösen Win⸗
den befreyete Keller vor die Gewächse, welche den Winter nicht vertragen, angeleget worden.
Von der oben besagten Allee nach der lincken Hand kommen wir zur Orengerie
und dadurch zu dem grossen Lust⸗Garten, betrachten aber zuvor den schönen Teich, der
recht gegen die Mitte derselben in einem sandigen Boden lieget, und die daneben
liegende Maille Bahn. Das Portal in die Orengerie ist mit vier Toscanischen mit Bin⸗
den gezierten, und vollkommen wohl proportionirten Säulen von Quadersteinen herr⸗
lich gezieret. Man kan auch an beyden Enden durch kleinere Thüren hinein kommen,
durch diese kommt man in Gänge, die an beyden Seiten mit Wänden eingeschlossen sind,
und auf die steinerne Treppen zutreffen, wodurch man in den Lust⸗Garten hinauff stei⸗
get. Dazwischen ist nun der grosse Platz, darauf in dem Sommer die vortrefflichste
Orengerie in grosser Menge auf sechs grossen Parterren außgetheilet wird. Welche zwi⸗
schen sehr dichten und glatten Alleen liegen, und zwischen sich zwey Wasser⸗
Bassins mit Jets d’eau haben, welche mit weissen Marmor eingekleidet sind, wel⸗
cher in dem gelben Grund der Alleen vortrefflich schön stehet. Ich habe
nicht lassen können einen Profil von solchen Einfassungen abzuzeichnen, weil er mir
sehr wohl gefallen, welchen ich auch bey TAB. C. fig. 21 communicire. Die Mit⸗
ternacht Seite, und ein Stück gegen Abend und Morgen die Sonne besser zu fangen
und die Winde abzuhalten, sind mit dem Gewächs⸗Hauß eingeschlossen, welches
gantz unter dem Boden des Lust⸗Gartens lieget. Es ist aussen mit Toscanischen Wand⸗
Pfeilern, schönen Fenster⸗Einfassungen (die doch der Simplicität dieser Ordnung ge⸗
mäß sind) und dazwischen mit Bossagen, alles von Quader⸗Stücken, recht herrlich,
und auch vor dem strengsten Gericht einer raisonablen Critique untadelich außgezieret.
(davon man auch recht accurate und saubere Kupffer zu Paris haben kan.) Inwendig
ist alles schlecht, doch sind die Quader⸗Stücke so sauber geführet, und die Gewölbe so
wohl nach der Coupe des pierres gemachet, daß man recht Plaisir daran hat. Die ei⸗
nige Zierrath ist eine Niche gegen dem Eingang über, worinnen eine Statua von weiß
Marmor in Lebens Grösse stehet, welche des Königs Portrait recht accurat giebet. Sie
ist von Desjardins gemachet, und ist unter den Statuen von Versailles des Thomasins
n. 86 in Kupffer zu sehen.
Zwey bequeme Garten⸗Machinen habe ich da gefunden. Eine ein Spreng⸗Faß,Tab.C.
Fig.22. wel⸗
ches bestehet in einem Karren, der von zwey Jungen gezogen wird. Dessen Räder zwar sonst
leicht und subtil, doch die Rade⸗Felgen so breit sind, daß sie die Alleen nicht beschädigen, son⸗
dern vielmehr dicht machen. Auff der Achse stehen zwey hölzerne Gabeln bey sechs, wo nicht
mehr Fuß hoch, darauff lieget ein zimlich groß Wasser⸗Faß. Die Deichsel ist an der Achse
mit zwey Gewinden angemachet. Unten aus dem breiten Boden deß Fasses gehen zwey lange
lederne Röhren heraus, wie man sie gemeiniglich an den Schlangen⸗Sprützen hat, an deren
Enden solche blechene Spräng⸗Sprützen, wie an den gemeinen Spräng⸗Krügen, sitzen, nur
mit den Unterscheid, daß sie an ihrem Halß mit einem Hahnen accurat können verschlossen wer⸗
den. Mit dieser Machine fahren die Gärtner⸗Jungen durch die Alleen, da indessen zwey
Gärtner⸗Gesellen die Sprützen durch die Felder herumb tragen, und also in sehr grosser Be⸗
händigkeit grosse Plätze begiessen.
Die andere MachineTab.C.
Fig.23. dienet starcke Bäume mit vollem Laub zu allen Zeiten zu versetzen,
wie ich denn versichert worden, daß eine gewisse Allee, die man mir bey Marly gezeiget, durch
solche Machine in drey Tägen sey gesetzet worden, daß als ein Englischer Ambassedeur den⸗
selben Weg nach Marly zur Audienz gefahren, und vier Tage hernach wiederumb nach Pa⸗
ris zurücke gefahren, er diese Allee angetroffen, und dadurch gemeinet habe, daß er unrecht
geführet würde, ohnerachtet ihn des Königs Kutscher geführet. Ich stelle diese Erzehlung
an den grossen Ort, da gemeiniglich die ungeschickten Prediger ihre Amplifications Mähr⸗
lein hinstellen, da sie noch wohl Raum finden wird. Indessen ist nichts unmögliches an der
Sache, und die Praxis mit besagter Machine an sich richtig und gewiß, wie ein jeder aus
der Beschreibung selbst abnehmen wird. Sie hat zwey Haupt⸗Theile. Der eine bestehet
in einem Karren, der recht als die bey uns gebräuchliche Schinder⸗Karren außsihet, aber
grösser ist, und eine eiserne Axe hat. Der andere Theil bestehet in solchen Höltzern, die ei⸗
nen grossen Kübel formiren können, nem ich erstlich sind runde Faß⸗Boden unter⸗
schiedener Grösse, zum wenigsten vier, zum höchsten acht Fuß im Diameter. Zum andern,
eine zimliche Anzahl Tauben bey fünff Fuß lang. Drittens, unterschiedlicher Grösse halb⸗
Circul formige Scheiben, welche innen auch einen halb⸗Circul formigen Ausschnitt haben,
daß ungefähr des äussern halben Circuls Diameter viermahl so groß ist als der Innere, wor⸗
auff zwey Handhaben auffgesetzet sind, dadurch man einen Leisten schieben kan. Endlich ge⸗
hören dazu eiserne Ringe, so aus Fuß⸗langen Bogen von Eisen bestehen, welche mit Char⸗
niers ineinander können gesetzet werden. Zwey Ende müssen aber also geformet seyn, daß
sie übereinander geschlagen, und mit einem Stifft können zusammen gehalten werden. Der
Gebrauch dieser sonderlichen und nutzbaren Machine bestehet darinnen: Wenn ich einen
Baum versetzen will, mache ich einen Graben so weit umb ihn herumb, daß dadurch nur die
äusseren zartesten Wurtzeln abgestochen werden. Alsdann setze ich die Tauben umb die Er⸗
de, so noch an der Wurtzel geblieben, schlage darumb zwey von den erst⸗beschriebenen eisernen
Ringen, (welche man noch bequemer formiren könte, inventis quippe facile est addere,Note: Freilich ist es leicht, bestehende Erfindungen zu verbessern.)
und befestiget darüber zwey von den beschriebenen Halb⸗Circuln, deren innere Ausschnitte
dazu dienen daß sie sich um den Stamm herum zusammen schliessen. Das Befestigen aber ge⸗
schiehet durch Riegel oder Leisten, welcher durch die Hand⸗Griffe durchgeschoben werden.
Wenn dieses geschehen, wirfft man das Seil des Karren, daß auff seiner Winde lieget,
oben umb starcke Aeste des Baums, nachdem der Karren mit dem andern Ende nahe an
den Baum geführet worden, und indeme einige den Baum mit Hülffe der Winde langsam
nach sich ziehen, lösen andere mit Aexten und Spathen den Baum unten von der Erde ab,
andere aber schieben allmählig einen von den specifirten Böden unter, und nachdem er
gantz unter geschoben worden, winden sie Stricke über denselben, und den oben auffgeleg⸗
ten Deckel, daß sie beyde fest zusammen halten, und die Erde umb die Wurtzel, als in
einem Kübel zusammen halten. Hernach helffen sie einander den Baum also völlig auff den
Karren bri{n}gen, und führen ihn also, daß seine Aeste hinten hinaus stehen, nach dem Ort
hin, dahin er soll versetzet werden. Da wird er dann sachte in die zubereitete Grube nieder⸗
gelassen, also daß der Boden könne gemächlich abgemachet werden, man richtet hernach
den Baum auff, löset den Deckel und die Tauben ab, und füllet endlich das Loch wiederum
aus, da sich ohne dem verstehet, daß das neue Lager mit guten Gärtner⸗Verstand müsse so
zugerichtet seyn, daß die Wurtzeln ihres alten Lagers leicht vergessen können, und das neue
willig annehmen.
Wann wir von der Orengerie in dem Lust⸗Garten hinauff kommen, wenden wir uns
gleich lincker Hand nach einem Lust⸗Wäldigen, da wir durch das eiserne Gatter bey R in
einen Irr⸗Garten hinein gehen, und gleich Anfangs noch vor dem Eingang auff einem Po-
stement sehen einen Engel, der ein Kneuel Faden abwindet, anzuzeigen die Klugheit sich
durch einen Irr⸗Garten recht zu finden, und gegen ihm über einen Æsopum, wie er ins⸗
gemein beschrieben wird, der eine zusammengewickelte Rolle hat, damit die Kunst und ei⸗
gentliche moralische Bedeutung der Irr⸗Garten vorzubilden.Note: Am Eingang zum heute längst zerstörten Labyrinth von Versailles stand die Skulptur des buckligen Fabeldichters Äsop. Deren Aussehen überliefert eine Kupfersicht von Sébastien Leclerc in der Beschreibung des Labyrinths durch Charles Perrault und Isaac de Benserade: Labyrinte de Versailles, Paris: Imprimerie royale 1677. Vgl. die Reproduktion auf Internet Archive Beyde Figuren sind aus
Bley gemacht, und mit Farben nach dem Leben angestrichen. Der Irr⸗Garten selbst ist
der Invention nach so wohl, als nach der Construction etwas unvergleichliches. Man kan
sich in den Gängen nicht wohl verirren, ob einer schon einen kürtzern Weg durch finden kön⸗
te, als der andere, und ist gar leicht an vier Orten heraus zu kommen. Also ist es in sol⸗
chem Verstand kein Irr⸗Garten, sondern es sind darinnen neun und dreyßig Fontainen
angeleget, und die Bilder, welche das Wasser auswerffen, stellen in einer beliebten Ord⸗
nung die Fabeln Æsopi vor. Da heisset es nun, daß derjenige sich habe ohne Verwirrung
hindurch gefunden, der also durchgekommen ist, daß er alle Fontainen, keine außgenom⸗
men, angetroffen hat, und doch zu jeder nur einmahl gekommen ist. Derjenige aber hat
auch unter denen, so sich nicht verirren, den Vorzug, der die Fontainen recht nach ihrer
Ordnung, wie sie numeriret sind, gefunden hat. Was die Construction anbelanget, sind
die Wände der Gänge theils durch geschnittene Hecken, theils mit Lattenwerck, welches sau⸗
ber grün angestrichen ist, eingefasset, über den Fontainen aber sind Blind und Hütten von
recht künstlichen schönen Lattenwerck, die Einfassungen der Fontainen sind theils von Mar⸗
mor, theils von Quader⸗Stein theils von Grottirung mit Muscheln und curiosen Stei⸗
nen. Die Bilder sind alle von Bley, und mit natürlichen Farben angemahlet, und sind
bey eine jedweden Fontaine andere Figuren des springenden Wassers, und stellen so viel
möglich die Affecten oder Reden vor, welche die Fabel mit sich bringet, dabey sind überall
etliche Taffeln oder Cartuschen angebracht, darauff der Innhalt und die Numer der Fabel
angedeutet sind. Daß also unstreitig das divertissanteste Quartier des Gartens ist, und der
Erfinder, wer der auch seyn mag, grosses Lob verdienet.
Die beyden in eben der Reyhe dahinter folgende Quartier gehören zusammen, und sind
in einem ein kleines in dem andern ein grösseres Wasser⸗Stück gegeneinander über in den
grössern aber eine runde, mit einem Marmornen Geländer umbgebene, und mit einer Som⸗
mer⸗Laube zu besetzende Insul, gegen welcher von allen Seiten ein Prospect von 14 jets d’Eau,
und 16 Alleen contentiret, daher sie die Königs Insul genennet wird.
In der folgenden Reihe gegen die Mitte zu findet man in dem untersten Quartier bey d
erstlich die salle des antiques, welche ein wenig abhängigt ist, und mit Antiquen Statuen
von Marmor, und zwischen dieselbige gesetzten Fontainen gezieret ist. Von dieser kommt
man in eben demselbigen Quartier in die Colonnate, welche ein runder Platz ist, welcher
mit einer Composition von weiß Marmornen Bögen umbgeben wird, welche auff Pfeilern
von grauen Marmor ruhen, vor welchen so viel Säulen von allerhand farbigen raren Mar⸗
mor stehen, und zusammen ein im Kreiß herumb-lauffendes Gebälcke tragen. Unter je⸗
den Bogen, einen ausgenommen, wodurch man ordentlich hinein gehet, springet ein
Wasser⸗Strahl. Die Bases und Capitäle der Säulen sind von vergüldetem Bronze.
Etwas davon gegen der Mitte ist der mittlere Platz drey Stuffen tieffer und im Centro, ste⸗
het auff einem runden sauber ausgeschnitzten Marmornen Postement das vortreffliche weiß
Marmorne Groppo, der Raub der Proserpina von Girardon, welches Thomasin No. 67
abgezeichnet hat. Wann man aus diesem Quartier heraus kömmt, stehet auff dem Creutz der
Alle eine Fontaine, darauff Saturnus mit vier Kindigen und allerhand Muscheln umbge⸗
ben lieget, welchen Girardon aus verguldeten Bley gemahlet hat. In dem nächst folgen⸗
den Quartier (bey a) sind blosse Spatzier⸗Gänge, welche mit Treillage eingefasset sind,
und in der Mitte eine Fontaine haben. Hernach folget wiederumb eine Fontaine (bey r in
der AlleeNote: Entgegen Sturms Angabe im Text ist das Bassin de Bacchus in seinem Plan mit dem Buchstaben t gekennzeichnet.,) worauff Bachus mit jungen Satyris und Weintrauben umbgeben lieget, und aus
einer Traube einen jet d’Eau in die Höhe drücket, von vergüldeten Bley, durch Maryge⸗
macht.
Das dritte Quartier in dieser Reihen hat einen oval-runden Platz P, der mit Marmor
gepflastert, und mit einem Marmornen Geländer umbgeben ist, umb welche ein Wasser⸗
Graben, und eine raumliche Allee gehet, welche mit Rasen⸗Bäncken zum Sitzen vor Spe-
ctatores und dazwischen ausgetheilten vielen Cascaden ziemlich hoch umbgeben ist. Zu oberst
um diese her sind schöne Lattenwercke. An vier Orten gehen mit Cascaden eingefasseten Trep⸗
pen herunter, vor welchen zu unterst gross vergüldete Gueridons stehen. Dieses heisset der
Tantz-Saal. An der Ecke dieses Parcs gegen dem freyen Platz stehet eine Fontaine (bey N)
von bunten Marmor bekleidet, darüber das Wasser in einer schönen Cascade reichlich fliesset.
Auff dem Rand sitzet ein Wasserspeyender Löwe, der ein wild Schwein unter sich hat von
Metall.
Auff dem Platz bey S liegen zwey schöne Parterren, in deren Mitte allezeit eine Fontaine
lieget.
Recht vor dem Schloß liegen zwey Parterren, welche gantz von springen den Wasserwer⸗
cken formiret, und mit Marmor eingefasset werden. Man erstaunet recht über die Mänge,
Force, und Figuren der durcheinander springenden Wasser. Umb jede liegen vier grosse Me⸗
tallene Statuen, und vier Sphynges mit Kindern von Metall, welche Flüsse vorstellen, ihre
Oerter, wo sie liegen, sind in der Figur mit kurtzen Linien angedeutet. Auff der andern Sei⸗
te dieser Wasser-Parterren sind wieder zwey grosse Lust⸗Stücker mit zwey Fontainen, mit denen
bey S in Symmetrie.
Zwischen den beyden Wasser⸗Parterren gehen wir die mittlere Haupt⸗Allee immer in
einem herrlichen Prospect hinunter, und erstlich zwar theilet sich der Weg, daß man entwe⸗
der auff zwey Seiten uber gantz leichte Abhänge hinunter gehet, da man auch hinunter fah⸗
ren kan, zwischen einer Reihe Statuen, so auff Postementen an einer Treillage stehet, und
einer andern, welche auff einem schönen steinern Geländer stehen. Oder man kan auch in
der Mitte über eine breite Treppe hinunter gehen. Ehe wir aber dieses thun müssen wir
uns umbsehen nach der disseitigen Faciata deß Schlosses, welche sich mit einer Länge von
600 gemeinen Schritten ungemein herrlich præsentiret. Das untere Geschoß ist rustic mit
Bogen ohne dazwischen stehenden Ordnungen, sondern nur mit Bossagen gezieret. Das
Geschoß darüber ist Ionisch herrlich und sauber außgearbeitet, theils mit Wand⸗Säulen
allein, theils mit Vorlagen von freystehenden Säulen, zwischen denen allen Arcaden ste⸗
hen, so mit Fenstern ausgesetzet sind. Schad aber daß die Schwibbogen und Neben⸗Pfei⸗
ler gar zu breit, hingegen die Fenster gegen ihre Weite gar zu hoch sind, wiewohl es so mag
gemacht seyn, in der Gallerie breitere Mauren zwischen denen Fenstern zu gewinnen. Indes⸗
sen ist doch gewiß, daß ein Auge, das gute Proportion gewohnt ist dadurch choquiret, und die
sonst herrliche Faciata dadurch mercklich verringert werde. Uber dieser Ordnung ist noch ei⸗
ne Attique von Corinthischen Halb⸗Pfeilern, und darüber ein Geländer, welches mit
Tropheen besetzet ist. Alles dieses ist von Sand⸗Steinen vortrefflich ausgearbeitet.
Nun in unserer Promenade fortzufahren, kommen wir über die breitere Stuffen
auff eine niedrigere Terrasse, und von dieser an beyden Seiten gar hinunter zu einer gros⸗
sen Fontaine, vor welcher zwey Parterren liegen. In der Fontaine sitzet Latona mit ihren
zwey Kindern von Marmor. Umbher sind die in Frösche verwandelte Bauren von metal⸗
lirten Bley. Umbher zu beyden Seiten stehen eine grosse Zahl Statuen, Cräntz⸗Bilder
und Gefässe alle von weissen Marmor. Am Ende dieser grossen Allee stehet das sehr grosse
Bassin deß Apollo, woraus eine gar entsetzliche Quantität Wasser springet. Apollo ist
auff seinem Wagen mit vier Pferden, und umbher blasenden Tritonen, alle Riesen⸗Grösse
von bronzirten Bley durch Tubi gemacht.
Gleich hinter diesem Bassin lieget der grosse Canal, so zweytausend vierhundert gemei⸗
ne Schritte lang, und von einem andern, der tausend funffzehenhundert Schritte lang ins Creutz
geschnitten wird. Vorne bey dem Anfang stehen Meer⸗Pferde mit Kindern von Metall.
In dem Zurückgehen wollen wir den kleinen Parc wiederumb durchstreichen, da wir
in dem untersten neben der grossen Alleé bey I ein gar herrlich Stück finden, Apollinis Bad
genandt. Es ist rund, und in der Mitte ist eine Fontaine, da die Renommee einen schö⸗
nen Strahl Wasser ausbläset. Diese ist mit einem sechs⸗eckigten Geländer umbher eingefas⸗
set, weiter davon gehet ein noch etwas höher stehendes Geländer umbher, beyde sind von
vergüldeten Bley und Kupffer gemacht. Zu äusserst umbher ist der Platz mit einem vortreff⸗
lichen Lattenwerck umbgeben, welches gegeneinander über zwey Vertieffungen in dem Busch
formiret, darinnen zwey schöne gantz von Marmor gebauete, und mit reich vergüldeten Bley
gedeckte Pavillons von beykommenden Grund⸗Risse TAB. C. Fig. 24 nach Ionischer Ordnung
stehen. Die freystehende Säulen der Borten aussen, und einige Taffeln innwendig sind von
rothen weiß⸗geäderten, das übrige von weissen grau⸗geäderten Marmor, die Capitäle, Ba-
ses und einige Zierrathen auff dem Dach von vergüldeten Bronze gemacht. In diesen Pavil-
lons stehen alle Groppi und Statuen von weiß Marmor, welche ehe dem in der nunmehr weg⸗
gerissenen Grotte gestanden, welcher ein gantzes Buch ausgegangen, darinnen auch diese
Statuen sind sauber in KupfferNote: Vgl. auf Gallica.bnf.fr Vue de la façade extérieure de la grotte de Thétis sowie Vue du fonds de la grotte de Thétis (1676) von Jean Lepautre (1618-1682). gebracht worden. Es sind aber I. Apollo im Bade von vielen
Nymphen gepfleget. 2. Zwey Paar Sonnen⸗Pferde von Tritonen zur Träncke geführet. 3. Acis, Amphitrite, Galatea, und Amphion.Note: Sturm täuscht sich: Die genannte Skulptur von Jean Raon stellt Arion und nicht Amphion dar.
In eben diesem Parc ist ein anderer viel eckechter Platz, da aber (bey k) nichts son⸗
derliches zu sehen als eine Fontaine, darauff der Riese Enceladon ungeheurer Grösse von
bronzirten Bley lieget, und eine entsetzliche Gewalt Wassers in die Lufft ausspeyet.
Das folgende Quartier hat nichts als eine schöne Promenade gleich der jenigen auff
der andern Seite der mittlern Allee.
Das Quartier Q hat oben eine Marmorne Cascade O der gegen über liegenden bey N
gantz gleich, ohn daß auff dem Rand ein Wasserspeyender Hund, der einen Hirsch gefället,
von Metall hat. In dem Parc ist wiederumb ein lustig ausgetheilter Platz, welcher heisset der
Morast. Welcher mit geschnittenen Häcken, und davor liegenden allerhand artig geform⸗
ten Terrassen umbgeben ist. In der Mitte lieget ein viereckigter Fleck Wasser, so mit Bim⸗
sen eingefasset ist, welche alle aus Kupffer⸗Blech geschnitten, und mit natürlichen Farben an⸗
gestrichen sind. Mitten darinnen stehet ein Eichbaum, dessen Blätter auch von Kupffer⸗
Blech, welcher aber über und über so natürlich ausgearbeitet und angemahlet ist als ein Eich⸗
baum, daß man dieses Kunst⸗Stück wohl zu betrachten hat, welches gewiß weit mehr ge⸗
kostet hat, als gemeine Augen ansehen würden. Aus diesem Baum sprützen etliche hundert
Bogen von Wasser aus, welches nicht ohne die größte Vergnügung kan angesehen werden.
Von da gehen wir die nächste Allee wieder hinunter, und besehen zwey in derselben ste⸗
hende Bassins, der Cereris und der Flora, mit vielen jets d’Eau. Auff dem ersten bey U lieget
Ceres mit drey Kindergen, zwischen welchen die herausspringende häuffige jets d’Eau eine dicke
Garbe vorstellen, welche die Ceres abschneiden will. Auff der andern bey S lieget Flora,
mit vier Kindergen umb einen grossen Blumen-Topff, da der mittelste zimlich dicke Wasser⸗
Strahl die Vornehmste vorstellet.
Durch die drey Quartier des Parcs gehen wir weiter herauff, und finden in dem untersten
den Festin-Saal, welches Werck doch so herrlich nicht aussihet, und bey weitem nicht so groß ist,
als man es in den Kupffern vorstellet. Ich selbst habe es hier viel zu groß umb der Deutlichkeit
wegen gezeichnet. Das mittelste Feld L ist ein Rasen Platz, die nächste Umbfassung eine et⸗
was erhabenere Allee mit vier runden Bassins. Die zweyte Umbfassung ist ein mit Stein
revêlirter Wasser-Graben, daraus auch umb und umb Wasser-Strahlen auffsteigen. Der
äusserste Platz umbher ist mit geschnittenen Hecken eingefasset, und noch mit vier Fontainen be⸗
setzet. Es könte dieses Stück zwar eine so gute Parade machen als die andere, wann es mit
saubern Geländern, Treillagen, Statuen und dergleichen ausgesetzet würde.
Das nächste Quartier auffwärts hat, wie aus dem Riß zu sehen, artige Spatzier-Gän⸗
ge, welche sich gegen die Mitte zu mählich erheben, und ist mit Lattenwerck fein ausstaffiret, hat
fünff kleinere und eine grosse Fontaine in der Mitte, welche Fontaine de l’Etoile genennet wird,
das gantze Stück heisset la Montagne d’Eau.
Das dritte Quartier ist gar anmuthig angeordnet, und heisset les trois Fontaines.Note: Offenbar setzt Sturm das Bosquet des Trois-Fontaines an die Stelle des Théâtre d’eau, dessen Beschreibung weiter unten folgt. Sturms Irrtum bestätigt sich in seinem Plan von Versailles (Tab. XXXIX), in dem die beiden Bosquets nicht korrekt bezeichnet sind. Es
fliessen aus einem düstern Holtze drey Cascaden zusammen nach einem runden und Stuffen⸗
weise vertieffeten Platz, um welchen aus Hecken geschnittene Bogen stehen, unter welchen Fon-
tainen springen. Wann man davon in der äussersten Ecke heraus kommt, sihet man bey Z
ein grosses Wasser-Stück, daraus viel jets d’Eau ausspringen. Zu hinterst bey t stehet eine
Statua zu Pferd von Marmor welches die Franzosen sagen, daß es das Modell sey, welches Ber-
nini zu der metallenen Statua, die auf dem Place des Conquêtes stehet, gemacht habe. Als sie
aber dem König nicht gefallen, und Bernini dimittiret, hingegen die Statua anzugeben dem Gi-
rardon auffgetragen worden, habe man von dieser Statua den Kopff des Königs herunter ge⸗
schlagen, und einen andern darauff gesetzet, daß sie nun Curtium zu Rom, der sich in die Pest⸗
Grube gestürtzet, vorstelle. Fides sit penes Auctorem,Note: Der Autor mag es verantworten. und ein jeder mag nachdencken, wie es
zugegangen, daß Bernini, der in Rom lauter Wunderwercke gemacht hat, in Paris nichts
rechts zu wege zu bringen vermocht. Vor diesem grossen Stück Wasser stehet ein Bassin,
darinnen ein Drache Wasser hoch in die Luft speyet. Von da an gehet man durch das letzte
Stücke wieder auffwärts gegen das Schloß. Dieses hat folgende Theile: An der rechten
Seite ist ein Lust⸗Wäldigen W worinnen ein artig Stück ist, das Wasser⸗Theatrum ge⸗
nannt. Es stellet der unterste Theil bey W eine Parterre eines Amphiteatri vor, da die
Bäncke umher von Rosen und mit Buxbaum eingefasset sind. Von da an gehet in der Mitte
eine Treppe auff einen gevierdten Platz, daneben beyderseits Cascaden sind. Auf dem Platz
ist ein viereckigt Bassin einer Fontaine, und dieses machet das vorderste Theil des Theatri, von
da steiget man zu dem hintern Theil an beyden Seiten über Treppen hinauff, und dazwischen
fället in der Mitte das Wasser herab, disen hintern Theil des Theatri schliessen artige Cascaden
und Fontainen. Es ist alles mit Bindwerck und Rasen, und dazwischen hier und dar mit
Marmor ausgeputzet. Auf der ander Seite bey X ist eben dergleichen Lust⸗Wäldigen, darin⸗
nen noch ein plaisirlicher Stück lieget l’Arc de Triomphe genandt, welches recht entzücket. Zu
oberst stehet ein Werck von Latten mit drey Arcaden und einem Fronton darüber, worunter
drey Spring Bronnen stehen, daneben zu beyden Seiten von Cascaden gleichsam zwey Con-
treforts formiret werden. Und vor den drey Pforten lieget noch ein breiter Abfall von Wasser,
daneben stehen an jeder Seiten zwey dreyeckigte Pyramiden, deren Oberflücher auch von herab⸗
fallendem Wasser formiret werden, und dazwischen formiren beyderseits andere Arcaden zwey
grosse Schenck⸗Tische oder prächtige Schräncke, und dieses alles ist in einem länglicht acht⸗
eckigten Platz verfasset, von da an gehen in einem etwas engern Raum drey Alleen über einen
gelinden Abhang, wozwischen zwey Reihen Cascaden liegen. Unten lieget wiederum in die
Runde ein grosser Platz, welcher mit schönen Lattenwerck umgeben ist, und in drey grossen
Blindten Fontainen hat, dazwischen stehen noch Marmorne Postementen, was aber darauff
stehe, habe wiederum vergessen. Es ist alles bey diesem Werck mit verguldeten Bley und Kupffer,
mit Marmor, mit herrlichen Grotirungen von curiosen Muscheln und Steinen x angefüllet.
Zwischen diesen beyden Quartiren gehet eine breite Allee über einen gelinden Abhang, welche
durch zwey Reihen Spring⸗Bronnen in drey Theile getheilet wird. Alle diese Spring⸗
bronnen bestehen in kleinen Becken, welche auff einer Groppe von drey Kindergen ruhen,
welche auff einem schönen Fuß beysammen stehen. Eine jede solche Fontaine ist gantz von Me⸗
tall gegossen, und stehen deren ellff Paar über zwey Canälen von abfallenden Wassern. Sie
sind alle von Thomassin in oben benandten Werck in Kupffer gebracht. Oder diesen gehet
bey P die Allee über zwey etwas steilere, und an beyden Seiten mit Stein verkleidete Abhänge
hinauff, welche zwischen sich einen mit Cascaden umbgebenen Wasser⸗Hälter formiren. Es
machet da die Veränderung deß gelinden in einem steilern Abhang einen artigen Augen⸗Be⸗
trug, daß das Wasser in dem Hälter von P gegen O abwerts zu hängen scheinet, daß ohn⸗
erachtet man das Contrarium aus der Natur weiß, man doch seine Augen dessen nicht bereden
kan.
Ober diesem stehet noch eine grosse von Metall gegossene Fontaine in einem grossen
Bassin bey O la pyramide d’Eau, genannt, welche man in Thomassins Buche p. 142 abgezeich⸗
net sehen kan. Sie bestehet aus vier Becken übereinander, deren immer eines kleiner ist als das
andere, das Unterste lieget auff vier alten Tritonen, das andere auff vier Kindern von Trito-
nen, das dritte auff vier Delphinen, das vierdte auff vier See⸗Krebsen, welche Bilder alle
gar wohl gezeichnet sind. So sauber aber die Arbeit, und so kostbar das gantze Wercke ist, so
duncket mich doch, daß es die schlechteste Parade unter allen Wercken dieses Gartens mache,
obwohl die Franzosen gantz contrairer Meinung sind. Sed de gustibus non est disputan-
dum.Note: Aber über Geschmäcke lässt sich nicht streiten. Ich finde itzo unter den Kupffern von Versailles noch unterschiedliche Fontainen, wel⸗
che ich hier nicht angeführet habe, und deren ich mich nicht erinnern kan, daß ich sie gesehen.
Aber in dieser grossen Mänge ist es mir bey meiner nothwendigen Eylfertigkeit hoffentlich nicht
zu verdencken. Drey Dinge aber sind in diesen Garten vornehmlich zu bedauren, erstlich,
daß man die Queer⸗Alleen nicht durchsehen kan, weil sie über einen Hügel gehen: Zum andern,
daß, wann man in der mittlern Allee auch biß an die Fontaine deß Apollo hinunter gehet, man
doch wegen deß allzustarcken Abhangs das Schloß als versuncken ansihet, indeme man das
unterste Geschoß gar nicht, und von dem andern nicht viel über die Helffte sihet: Drittens, daß
ausser der mittlern Allee biß an den Canal keine Allee weder in dem kleinen noch in dem grossen
Parc dichte ist, sondern man im Sande abscheulich waden muß, da es doch wegen der gros⸗
sen Mänge Pferde und Menschen, so dem König stets zu Handen waren, es keine so grosse
Kostbarkeit zu seyn scheinet, daß wenigstens in dem kleinern Parc alle Alleen wären dicht wor⸗
den, und an dem grossen Canal nur die Helffte.
Daß gröste Plaisir vor mich ist gewesen, daß ich Punctuellement eben umb die
Zeit nach Versailles gekommen bin, daß ich alle Wasser durch den Garten konte springen se⸗
hen, und den König dabey selbst gar genau und nach Willen betrachten. Dann weil er den
den andern Tag nach Fontainebleau gehen wolte, und nach seinem Abzug alle Reservoirs und
Fontainen musten gereiniget werden, so ließ er alle Reservoirs durch die Fontainen abzapf⸗
fen, und divertirte sich dabey mit einer Promenade, theils zu Fuß, theils auff einer Wal⸗
tzen⸗Carriol, welche von zwey Schweitzern gezogen wurde. Gewiß kan man so wohl der an⸗
sehnlichen Grösse, als der Physiognomie wegen keine Fürstlichere Gestalt als die Seinige
sich einbilden.
Mit diesem habe ich damahl meine Promenade auch beschlossen, wiewohl ich zwey
Tage hernach den Garten noch einmahl durchwandert habe. Den nächst⸗folgenden aber
nach diesem habe ich angewendet die beyden Lust⸗Häuser bey Versailles, Trianon und die Me-
nagerie, und nachdem die Zimmer in Versailles selbst zu besichtigen, welches wiederum eine
starcke Tag⸗Reise ausmachete. Also will ich auch dieses mahl eine ruherigere Reise anstellen,
also heute diese Tour beschliessen, die andere aber in dem bevorstehenden neuen Jahr vorneh⸗
men. Dessen Eintritt in vollem Vergnügen ich meinem werthesten Freund von Hertzen an⸗
wünsche, als
den 28. Dec 1716.
N.
XXIV.
WIe ich mit Verlangen durch geliebte Zeilen von ihm die erfreuliche Nachricht erwarte,
daß sie dieses neue Jahr in völligem Vergnügen angetretten haben, so wünsche
nicht nur solches von Hertzen, sondern auch, daß GOTT den beglückten An⸗
fang auch mit einem vergnügten Fortgang, ja mit erfreulicher Begehung vieler Jahre segne.
Ich setze auch itzo unsere Reise⸗Betrachtungen mit erneueter Lust fort, und will Fleiß anwenden,
daß wir unsern Cours durch Versailles mögen zu End bringen. Es ist bekan{n}tlich Versailles
nicht als ein Lusthauß, sondern als eine beständige Residenz anzusehen, dahero hat der König
noch zwey Lusthäuser, aber gar nahe dabey und mitten in dem grossen Parc gehabt. Das eine
insgemein die Menagerie geheissen, das andere heisset Trianon, welches Wort itz und fast ein all⸗
gemein Wort in der Französischen Architectur geworden ist. Daß jedes kleine in einem Wald
oder Gebüsche gebauete Lusthauß also genennet wird.
Dieses Trianon ist nun ein vortrefflich schönes und zimlich weitläuffiges, doch nur ein Ge⸗
schoß hohes Lusthauß an dem rechten Ende deß grossen Queer⸗Canals bey Versailles gelegen,
dahin auch von der Fontaine du dragon an eine gerade Allee gehet, so aber sehr tieff von Sand
ist. Die Kupffer welche ich davon gesehen, gleichen ihm alle nicht, und kan wohl seyn, daß es vor
diesem so hat ausgesehen, itzo aber ist es gantz anderst gebauet, und war zu meiner Zeit noch lan⸗
ge nicht fertig. Derowegen habe ich einen ungefähren Grund⸗Riß davon entworffen,Tab.XL. darauff
die wahre Austheilung deß itzigen Hauses und Gartens zuverlässig zu erlernen ist.
Der Hof gehet von den äussersten Pavillons der Flügel mit einem eisernen Stacket und ei⸗
nem drockenen Graben umschlossen in Form eines halben Circuls weiter herauß in diesem äus⸗
sern Pavillons und daran hangenden langen Gebäuden, welche die Flügel formiren, logiret
was zur Bedienung gehöret. Hinter dem an der lincken Seite ist eine Bassecour und Einstal⸗
lung. Die hintern Pavillons der Flügel aber gehören schon zu der Königlichen Wohnung,
und haben zwischen sich die Haupt⸗Entree, neben sich aber lange Gebäude darinn die Zimmer
sind. Aber in dem zur rechten Hand ist wiederum ein Flügel gegen dem Garten zu gebauet,
worinnen nichts als eine Gallerie lieget, und hinter derselben eine Suite kleiner Kammern. Das
gantze Gebäude der Haupt⸗Entree hat nichts als eine grosse treffliche Logia, oder einen Säu⸗
len⸗Lauben von vier Reihen Ionischer freystehenden Säulen, deren Stämme von rothen, die
Bases aber und Capitäle von weissen Marmor sind auff denen eine gantz glatte weisse Decke
lieget. Gegen dem Garten zu ist diese Loggia gantz offen. In gantz Versailles ist nichts so an⸗
nehmliches als diese Loggia ist. Der Boden ist ebenfalls mit einem schönen Marmor⸗Flur be⸗
leget. Zur lincken Hand gehet man in des Königs kleines Zimmer B wessen Gemächer alle
getäffelt, und weiß angestrichen waren, aber alle vielleicht schon verguldet sind, wie dann damahl
schon Anstalt dazu gemachet war. Auff den Kehl Stössen deß Täffelwercks waren auff den
grösten runden Leisten oder Glindern saubere zarte Rancken ausgeschnitten, und in der Dicken
darauf gestrichenen weissen Farbe wiederum nachgeschärffet, welche sehr sauber stunden. Die
Simse waren auch gar zart ausgeschnitzt, weiter aber war an denen Decken nichts fertig. An
einem Camin dieser Gemächer war Matthæus,Note: Das heute verlorene Gemälde ist über eine Kopie bekannt, vgl. Collections du château de Versailles. und gegen über an der Wand Johannes der
Evangelist sehr nett von Mignard gemahlet.Note: Sturm irrt sich in seiner Zuschreibung des zweiten Gemäldes; der Saint Jean l’Évangéliste ist von Charles Le Brun und befindet sich heute in den Sammlungen des Schlosses von Versailles. Vgl. Collections du château de Versailles. In einem andern Gemach sahe ich zwey vortreff⸗
liche Schildereyen von dem jüngern Bassan, eine Archa Noa,Note: Entgegen der Angaben von Sturm hat dieses Gemälde Jacopo Bassano (ca. 1510-1592) und nicht sein Sohn Francesco Giambattista Bassano der Jüngere (1549-1592) gemalt. und Mosen an dem feurigen
Busch. Ihre Breite schiene mir zwischen vier und fünff, die Höhe zwischen drey und vier Fuß
zu seyn. Das letzte Gemach dieses Zimmers war an allen Füllungen deß Täffelwercks mit sehr
grossen Spiegeln besetzet, als ich noch in keinem Zimmer gesehen hatte, und waren die Fenster⸗
Thüren, Wände und die Tisch mit roth damastenen Vorhängen und Decken behänget. Die
Stühle auch mit rothen Damast bezogen, und an den Gestellen vergüldet. Welches nebst der
weissen Farbe des Getäffels, und wegen der vielen Wiederholung in den Spiegeln ein vortreff⸗
liches Ansehen gab. Auff der andern Seite bey C waren sehr viel, aber meistens kleine Ge⸗
mächer. Das erste war ein achteckigter Sallon.Note: Sturm täuscht sich vermutlich in der Raumbezeichnung und meint mit einem „achteckigen Salon“ den Salon rond. Allerdings beschreibt er darin Malereien von Mignard, obwohl sich in diesem Raum (bis heute) ausschließlich Werke von François Verdier befinden. Die Decken sind noch alle bloß weiß getün⸗
chet, die Wände aber mit viel saubern Mahlwerck, sonderlich von Mignard gezieret gewesen.
In der Gallerie waren allerley Prospecte von Versailles recht anmuthig, und meistens Fabuln
dabey gemahlet, so sich dazu schickten. Etwas sonderliches war es, daß alle Caminen, deren
doch eine zimliche Anzahl, und wenigstens 15 waren, mit unterschiedenen und schönen Marmor
eingefasset waren, welches man auch an wenig Orten finden möchte, ich noch an keinem gese⸗
hen. So waren auch auff allen diesen Caminen differente und kostbare Gefässe von Jaspis,
Agath, amulirter Arbeit, von Lackirung und ächten Porcellain gesetzet. Etliche Gemächer wa⸗
ren mit ächten Japanischen Tapeten ausgeschlagen, und waren auch meistens alle Stühle und
Bette mit solchem Stoff bezogen, der gewiß außerlesen schön war. Es waren hin und wieder
in den vornehmsten Gemächern kleine Betten in die Wand verstecket, und als Schräncke ver⸗
schlossen, welches bey uns eine alte gemeine Bürgerliche Mode ist.
Der Garten ist noch wenig ausgezieret, aber auch nach le Nôtre Principiis, auch wohl von
ihm selbst angeleget. Von Wasser⸗Künsten war gantz noch nichts importantes daselbst. Hinter
der Gallerie stund ein Bassin, welches mit Marmornen und Porphyrnen Gefässen besetzet war,
und stunde ein Lavcoon recht nach der antique gemacht, und von Metall gegossen dabey. Hin⸗
ter den Zim{m}ern C liget ein mit Fleiß unordentlich gepflantztes gar dunckels Wäldigen, worin{n}en
als ein Bächlein auch der Natur nach gantz krumm und verwirret eine Cascade fliesset, welches
keine geringe Anmuthigkeit hat. Vorn im Garten sind erstlich zwey grosse Französische Luststücke,
hernach fället der Garten etliche Stuffen ab, und da liegen noch 8 kleine teutsche Luststücke,
welche einen jet d’Eau zwischen sich fassen. Nachdem kom{m}t ein sehr dichter Lust⸗Wald, darinnen aber
noch nichts als die Haupt-Alleen ausgetheilet sind, und ein jet d’Eau mitten inne liget. Hinter
dem Lust⸗Wald ist wieder ein zimlich grosser Platz ausgehauen, und ein grosses Wasserstück mit
Rasen⸗Stuffen und geschnittenen Taxus umgeben darinn geleget. Bey den teutschen Stücken
gehet eine steinerne Treppe hinunter zu dem grossen Canal, so nahe dabey anfänget, die Treppe
aber schliesset eine Fontaine ein.
Dieses hätte bald von diesem gantz neuen Gebäude zu melden vergessen, daß aussen her⸗
um Ionische Wand⸗Pfeiler von grauen Marmor mit den Säulen in der Loggia gleicher
Maaß und Construction stehen, aber an der Gallerie siehet aus, als wan der Architect auf
einmahl allen Verstand verlohren hätte, indeme er die Wand⸗Pfeiler dorten fünff Modul
breit gemacht hat, welches recht abscheulich aussihet.
Gerade gegenüber lieget nun die Menagerie, von deren ich gar nicht viel sagen kan.
Denn in dem kleinen Königlichen Hause waren eine grosse Mänge Arbeiter, welche die Zim⸗
mer gantz neu auszieren solten. Es waren diese Zimmer aber alle aus der massen klein, und
ihre Thüren auch nach Proportion so klein, als wann man sie expresse vor einen jungen
Printzen nach Proportion seiner Grösse hätte einrichten wollen. Sie waren auch alle mit
weissen Täffelwerk ausgekleidet, mit welchem man eben im Begriff war es zu vergülden.
Zwey auch gar kleine, aber commode Treppen sind in diesem Gebäude nur von Gibs, wie
sie der Orten sehr gemein sind, aber mit schön polirten eisernen Gitteren besetzet. Die Ställe
vor die frembde Thiere (deren wenige und nicht allzurare damahl vorhanden waren, und das
rareste ein Casuar war) sind wohl und bequem angeleget, aber nicht wohl ins Gesicht, und
in gar irregularer Situation gegen dem Hause. Itzo wird hoffentlich mehr allda zu sehen
seyn. Man kan von diesem Ort durch eine gerade Allée nach dem Kloster St. Cyr gehen, wel⸗
ches nur 1800 Schritte weiter hinaus lieget, weil ich aber nicht wuste, ob es der Mühe werth,
oder ob ich würde hinein gelassen werden, und ohne dem in dem in dem Sand mich müde genug ge⸗
gangen hatte, so begab ich mich nach Versailles wieder zurück, allda ich noch die Königliche
Zimmer zu beschreiben habe, deren ich aber nicht mehr als des Königs kleines und grosses
Zimmer, und des Dauphins zu sehen bekommen konte.
Ich verfügte mich also wiederumb nach dem Schloß, und suchte nach meines Landmans
Anweisung die kleine Treppe, welche ich auch (besihe den Grund Riß von Versailles) bey N I
fand. Gleich von der Treppe kam ich auff eine viereckigten Platz (I) der als eine Empor⸗Kir⸗
che an der Capelle lag, und dagegen nur mit einem Geländer geschlossen war. Daß man sie
gantz davon besehen konte. Sie war schön, aber doch schlecht gegen die Gemächer, welche ich
gleich beschreiben will. Man sahe die weisse Wand von Steinen, aber der Sims und die De⸗
cke, wie auch unterschiedene Zierrathen an den Wänden waren reich vergüldet. Der Altar
war gar klein von Marmor, mit einem Gemählde von der Geburth Christi. Es sahe alles
mehr devot als prächtig aus, wie man dann von der Devotion des Königs allda ein excessi-
ves Rühmen überall hörete, deren Grund uns Teutschen doch zimlich bekannt war. Sie brauch⸗
ten expresse die Formul, daß Er en odeur de sainteté lebe.
Lincker Hand sahe ich durch die offne Thüren eine gantze Suite von Gemächern, da es
voller Leuthe war, welche reine machten. Das Erste (mit 3 bezeichnet) ist klein, und an den
Einschnitten der Fenster gantz, wie auch an den Einfassungen der Thüren, übrigens aber an den
Wänden umbher nur Banck⸗hoch mit rothen, weissen und grauen Marmor besetzet. Mit⸗
ten an der Wand gegen die Fenster über ist ein Bogen wohl proportioniret, und unter ihm
eine Thüre drey Stuffen erhaben. Diese war verschlossen, es fand sich aber bald einer, so
sich freywillig erbot mir auffzuschliessen. Neben dem Bogen stunden zwey metallene Busti auff
gelblicht Marmornen Füssen en gaine de terme. Die Tapeten waren von den Wänden ab⸗
genommen. Der Sims und die Decke waren wie die in dem Louvre, und eben so durch
und in allen Gemächern. Das Gemählde bestunde in einem Lusst⸗Stücke, doch wo mir recht
ist, ohne Historisches Subject. An den Wänden waren zwey Schildereyen eine von Abra⸗
hams Knecht wie er der Rebecca die Armbänder umthut, das andere die Ehebrecherin, welche
zu Christo geführet wird.
Durch vorbesagte Thüre wurde ich nun in das Gemach gelassen, welches ich mit No. 4 be⸗
zeichnet, welches ist des Königs Cabinet de Bioux. Es ist achteckigt mit vergüldeten Täfel⸗
werck ausgekleidet, wodurch grosse Spiegel eingefasset werden. Die Spiegel sind mit Lö⸗
chern gemacht, durch welche sauber geschnitzte, und auff Glantz vergüldete Tabletten ange⸗
schraubet sind, deren jedes eine kostbare Rarität träget, als ein Gefäß von Berg⸗Crystall oder
Edel⸗Stein, oder eine kleine Statue von Silber und dergleichen. Uber deren Kostbarkeit an Ar⸗
beit und Materie, über Varietät und Anzahl man sich verwundern muß, und über der schö⸗
nen Austheilung höchst vergnüget seyn. Auff einem kostbaren Tisch stunde eine Uhr in einem
silbernen und vergüldeten Gehäuse. Darüber eine silberne Kugel stunde, umb welche sich der
Æquator umbdrehete, und dadurch die Stunden anzeigete. Ich wolte ein und anders auff⸗
schreiben, das ward mir aber alsobald mit grosser Contestation untersaget; Es wurde dieses
Zimmer von oben herab durch eine Kuppel erläuchtet. Doch kamen diese Raritäten in keine
Vergleichung mit denen in der Käyserlichen Kunst⸗Kammer, ja sie wurden von den Raritäten,
so man in Dreßden und München zu sehen bekommt an Mänge und Kostbarkeit überwunden.Note: Sturm benennt keines der etwa 20 Gemälde, die sich in diesem Raum befanden. Vgl. Piganiol de La Force 1701, S. 30-34.
Das Gemach das No. 5 folget, ist grösser und bey nahe gantz mit Marmor überzogen.
Gegen den Fenstern über ist ein grosses Blind, darinnen die Antique Statua von L. Q. Cin-
cinnato stunde, dessen lincke Hand mir über Poportion lang zu seyn dünckete, und gewiß
mercklich länger als sein Gesicht ist. Uber dieser Stunden sechs schöne Marmorne Busti auff
vergüldeten Füssen, welche Thomasin unter seinen Statuen nicht hat. An beyden Seiten wa⸗
ren perspectivische Gemählde von Rousseau, welche excellent waren. Die Decke hat in der
Mitte ein rundes Gemählde und vier länglich gevierdte umbher, deren Innhalt ich nicht habe
mercken können, und nicht auffschreiben dörffen. Diese sind mit vergüldeten Rahmen eingefasset,
der Raum dazwischen ist mit Bildern und Grotesquen von bunten Farben, theils auch mit
Bildern von mit Gold gehöheten Indigo gemahlet.
N. 6 ist eben so reich von Marmor als das vorhergehende. Es stunde eine grün sammete⸗
ne Pigliaed-Tafel darinnen. Uber den Camin bald von der Einfassung an stehet eine Basso re-
lievo von weissen Marmor von der Flucht Christi in Aegypten, darüber eine Schilderey von
der Opfferung der Iphigenia. Es stunden an den Wänden noch 8 Busti mit Füssen, von gar
raren Marmor, und noch ein Busto von weiß Marmor in einem Blind gegen dem mittlern
Fenster, welches des Königs Portrait umb das 30. Jahr seyn solte. Die Decke hat in der Mitte
eine Ründung und vier halbe Bogen stehen auf den Simsen.
N. 7 hatte gantz vergessen zu notiren, denn ich gieng doch immer beyseit in einem Winckel,
und zeichnete in Eyle was ich konte an. So viel ich mich besinnen konte, war es das Vor⸗Ge⸗
mach, darinn man von der schönen Haupt-Treppe kömmt.Note: Der Raum, den Sturm als „Vorgemach“ bezeichnet und zwischen Salon de Diane und Salon de Mars situiert, existiert nicht. Warum Sturm hier offenbar aus dem Gedächtnis nachträglich einen Raum hinzufügt, bleibt unklar.
N. 8 ist das gröste und herrlichste unter allen diesen Gemächern, als ein Speise⸗Saal or-
diniret. Der Camin stehet weit von der Wand hervor, und wider die Regal, so man sonst bey den
Franzosen findet, und darwider sie auch nicht leicht handlen, gegen den Fenstern über. Dazwi⸗
schen sind auf beyden Seiten erhabene Balcons vor die Tafel⸗Music, wie beystehender ungefäh⸗
rer Grund⸗Riß Tab. C. Fig. 25 zu erkennen giebet. Nun ist zwar dieses Gemach zimlich groß,
doch zu klein vor eines so grossen Königs Taffel⸗Gemach, indessen doch das grösseste und herr⸗
lichste in gantz Versailles, daß also daselbst an einen Oecum oder Haupt⸗Saal gar nicht zu den⸗
cken ist, deren doch nach den vernünfftigen Reguln der Architectur mehr als einer in einem
Königlichen Pallast seyn solten. Es ist über und über sehr herrlich mit schönen Marmor überzo⸗
gen, und biß hieher sind auch alle Böden mit Marmor beleget, jeder in anderen Figuren mit al⸗
lerhand Farben. In den übrigen sind Böden von braunen polirten Holtz aus kleinen Figu⸗
ren zusammen gesetzt. Auch die grosse Gallerie nicht ausgenommen. Aber die Anfangs bey
Saltzthalen beschriebene sehen viel besser aus: Es waren in diesem Gemach drey ausbündige
Schildereyen, da die drey berühmtesten Meister miteinander certiren sollen, Schade aber ist,
daß nicht noch eine von Rubens, und eine von Annibal Carache dabey ist. Das eine stehet an
dem Camin, und ist eine sainte familie von Raphael. An der einen Seite ein groß Gemählde,
das Abendmahl der Jünger zu Emaus. Perrault moquiret sich in seinen Paralleles des anciens
& des modernes über die Ordonnance dieses Gemähldes, aber ich habe die Absurditäten, wel⸗
che er vorgegeben,Note: Vgl. die entsprechenden Passagen in Perrault 1692-1693, Bd. I, S. 119, 220-223. nicht daran finden können. Aber es köm{m}t sein Judicium aus der Schmeiche⸗
ley gegen ihren König, und aus der ungemäßigten Hochachtung ihrer eigenen Nation her,
damit er nur le Bruns Arbeit erhöhe. Dessen Famille von Darius sein unstreitig bestes Gemähl⸗
de, daß er jemahls gemacht hat, an der Wand gegen über hanget. In welchem Stück auch eine
Partheylichkeit ist, weil nicht die besten Gemählde des Raphaels und Paul Veronese sind dage⸗
gen auffgehänget worden, darüber habe mich verwundert, daß deß Veronese Gemählde bey
nahe so frisch in der Colorit ausgesehen als des le Brun, da es doch über 100 Jahr älter ist.
Ob auch wohl le Bruns Gemählde in der That recht schön ist, und in der Physiognomie, in den
Affecten, in der Wahrheit der Historie, in der Convenienz der Kleidung, in Zeichnung, Or-
donnance und Colorit untadelich ist, so habe ich doch wahrhafftig den Unterschied und Vor⸗
zug nicht finden können, den ihm die Franzosen vor jenem beymessen.
Die Gemählde N. 9 und 10 haben nichts sonderbares, darinnen nur die Thür und Ca⸗
min-Verkleidungen samt niedrigen Lambris von Marmor sind. Die Wände waren mit Sam⸗
metenen reich und hochgestickten Tapeten behangen, und waren die in No. 10 gantz extraordi-
nair, als welche eine Verkleidung mit Corinthischen Wand⸗Pfeilern in ihrer rechtmäßigen
Erhebung vorstellete, und doch gantz von Sammet und Broderie gemacht und Stück-weiß
zusammen gesetzet war. Es ware auch eine Baldaguin darinnen wie in den Audienz-Gemä⸗
chern regierender Herrn zu seyn pfleget, von gleicher Arbeit mit hoch bordirten CampanenNote: „Campane“, aus dem Lateinischen campana, ae (n. f): Glocke. Der Begriff bezeichnet ein Ornament aus Seide, Gold- oder Silberfäden, mit ausgestellten, glockenförmigen Quasten. Vgl. Maës 2013. un⸗
gemein prächtig.
Aus diesem Gemach gehet man in die grosse Gallerie, welche die gantze vorderste Faciata
gegen den Garten einnim{m}t, deren Länge ich innen über 300 meiner Schritte lang befunden. Sie
hat an jedem Ende einen Sallon, mit denen sie durch grosse offene Bogen communiciret. Da⸗
zwischen lieget die eigentliche Gallerie auf einer Seite mit 19 Fenstern beläuchtet, und gegenüber
mit so viel Blindten, und durch lauter Spiegel gleichförmig formirten Fenstern besetzet, welches
vortrefflich pariret. Dazwischen ist alles mit Marmor biß an den Sims mit einer trefflichen Ar-
chitectur von Arcaden und kleinen Säulen⸗Weiten mit Corinthischen Wand Pfeilern, welche
auf die Französische besondere Art sonderlich an den Capitälen eingerichtet ist. Ob ich schon nichts
abzeichnen dürffen, und mir die Austheilung der Nahmen zu den Gemählden in dem Gedächt⸗
nuß zu behalten unmöglich war, so habe ich doch die Disposition der Architectur zu behalten
mich bemühet, und hoffe sie werde so befunden werden, wie ich sie hier vorgestellet habe.Tab.XLI. An den
grossen Bogen zwischen den Sallons stehen auch freystehende Säulen. An allen diesen Säulen
und Wand⸗Pfeilern sind metallene im Feur vergüldete Capitäle und Bases. An denen Bogen
so wohl der Spiegel⸗Fenster, als an denen rechten Fenstern gegenüber stehen kostbare Tische
von Marmor, Porphyr, Jaspis und dergleichen, worauf allerhand sehr kostbare Antique und
moderne Gefässe stehen. Die Simse sind alle von Gibs mit Schnitzwerck auffs sauberste ge⸗
modelt und reich vergüldet.
In acht Blindten stunden so viel antiche Römische Statuen, ob aber innerhalb der
grossen Bogen auch noch vier gestanden haben oder nicht, weiß ich nicht mehr vor gewiß
zu sagen. Acht Brust⸗Bilder auf bund marmornen Gestellen habe auch vor den kleine⸗
sten Säulen⸗Weiten stehen sehen. Neben den Tischen stunden zu beyden Seiten Stüh⸗
le mit verguldeten Gestelle ohne Lehnen, die Polsterung war mit Silber⸗Moor überzogen,
und trefflich mit Gold gesticket, biß auf einen Circul in der Mitte, dessen diameter etwa
eines Fusses groß war, darinn waren EmblemataNote: Sturm meint Sinnbilder, wie sie im Barock noch sehr beliebt waren: Die rätselhaft gehaltenen Bilder konnten einen Titel erhalten sowie einen erklärenden Begleittext (das Lemma) unterhalb des Bildes. mit allerhand Landschafften durch
bunte Seide nach dem Leben so künstlich genähet, daß es kein Miniatur-Mahler besser
solte mit dem Pinsel heraus bringen können. Darunter sind noch weisse Rundungen
darein schwartz das Lemma des Emblematis genähet worden.
Die Decke ist en berceau, das ist, als Tonnen⸗Gewölbe mit Ribben formiret, wie
solche Form der Decken über den Gallerien, von den Frantzosen als eine allgemeine und
gewisse Regul angenommen ist, und überall gebrauchet wird. So sind nun fünff grosse
Felder in dieser Gallerie zwischen den Ribben eingetheilet, und in allen denselbigen ist der
König in den Wolcken als ein Jupiter vorgestellet, und recht schimpfflich vor die jenige
Nationen mit denen er Krieg geführet hat, daß man sich kaum genug verwundern kan,
wie dieser weise König solche gar zu enorme Vergötterung und Flatterie hat täglich vor
den Augen sehen können. Diese Felder sind nun in anmuthige Figuren eingefasset und
mit netten reich verguldeten Gips⸗Ramen umgeben. In den Spatiis, so um diese Felder
geblieben, sind noch allerhand kleine Figuren oder Felder eingetheilet, welche an Camajeux
gemahlet sind, das ist, mit einer einigen Farbe, als gelb oder ultramarin-blau, und der gl.
welche durch ihre Brechung gehöhet und getieffet sind, und endlich das höchste Licht mit
Silber oder Gold bekommen. Diese sind auch mit ihren Rahmen eingefasset, alle Rah⸗
men aber durch Laubenwerck und Grotesquen zusammen gehänget, die Spatia dazwischen
aber mit andern gemahleten Grotesquen oder mit Nachahmung der mosäique ausge⸗
mahlet, daß man sich an der Arbeit nicht satt sehen kan. Bißweilen sind die in den gros⸗
sen Feldern gemahlte Wolcken mit Gips bossiret über die Rahmen hinaus continuiret,
und mit eben den Farben gemahlet. Wie man also an dem einen Ende, wo man hinein
kommt, gar artig siehet, da über dem grossen Bogen biß an die Decke etliche der Alliir-
ten wider FranckreichNote: Die drei gegen Frankreich während des Holländischen Krieges (1672-1678) verbündeten Mächte waren das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, Spanien und die Vereinigten Provinzen der Niederlande. unter einem finstern Gezelt vorgestellet sind ihre heimliche Anschläge
vorzustellen. In dem ersten Feld an der Decke ist der König auf einem Sonnen⸗Wagen
mit dem Blitz in der Hand dagegen zu fahrend gemahlet. Da sind nun vorgesagter mas⸗
sen die Wolcken über die Rahmen weg biß über dasselbe Zelt hingeführet, in denen Mer-
curius herunter fähret, und das Gezelt auffdecket. Das siehet ungemein schön aus, aber
ist gewißlich allzu hochmüthig an der Invention, und that der König wohl, daß er sie nie⸗
mahl hat abzeichnen, und in fremde Hände kommen lassen, sonst möchte leicht ein plum⸗
per Holländer empfindliche Auslegungen darüber gemachet haben.
Aus der Gallerie kan man in der Mitte ohngefähr in des Königs kleines Gemach
gehen, wo er beständig wohnete, welches durchgehends mit weiß Täffelwerck verkleidet,
welches gar hohes Leistenwerck hat, so alles glantz verguldet ist. Das remarquabelste
darinnen waren die schönen Schildereyen, davon ich folgende, da ich die Meister kennete,
notiret habe, die nur auffzuschreiben erlaubet wurden.
1. In des Königs Cabinet, worein ich am ersten kam, ein Gericht Salomons von
Poussin. Le Silence, das ist, eine St. familie darinnen das JEsus⸗Kind schlaffend ge⸗
mahlet, darbey mit einer sonderlichen Expression alles gantz stille vorgestellet ist. Der
Frantzose der mich hinein führete, schrieb es le Brun zu, da es doch Carache gemahlet hat.Note: Sturm täuscht sich, denn tatsächlich inspiriert sich zwar Le Brun an Carraccis Gemälde (heute in den königlichen Sammlungen in England), das sich jedoch zu diesem Zeitpunkt in den Sammlungen der Farnese im Palazzo del Giardino in Parma befand. Le Bruns Gemälde Le Silence wurde hingegen im Cabinet des Königs ausgestellt. Vgl. Lett 2014, S. 97-123.
Eine Einreitung Christi von le Brun.
2. In dem Schlaff⸗GemachNote: Das Cabinet des Tableaux bestand ursprünglich aus zwei Zimmern; um den Übergang opitisch ansprechend zu gestalten, wurde 1692 eine Serliana eingezogen. Daher unterscheidet Sturm zwischen zwei Räumlichkeiten und bezeichnet die zweite fälscherlicherweise als Schlafzimmer. ein Adonis von Dominicano, der Todt Ananiæ
vor Petro,Note: Sturm täuscht sich in seiner Identifizierung des Bildthemas: Es ist Saphira, die Frau von Hananias, die vor Petrus tot zu Boden fällt. von Poussin. Ein Triumph von Julio Romano. Eine Judith von Raphaël.
3. In dem folgenden GemachNote: Es handelt sich genau genommen um das Premier Cabinet (bzw. den ersten Salon) der Petite Galerie. eine Erschaffung von Dominicano.Note: Sturm irrt sich bezüglich des Bildthemas. Das Gemälde, das er sieht, zeigt eine Zurechtweisung von Adam und Eva von Dominicano. Die Verwechslung resultiert offenbar aus der Übernahme seitens des Künstlers der bekannten Darstellung von Michelangelos Gott, dem Schöpfer, in der Sixtinischen Kapelle. Vgl. Lett 2014, S. 97-123.
4. In der kleinen Gallerie, welche dick voll Schildereyen hienge, an sich selbst aber
mit verguldeten Wand⸗Pfeilern ohne gewisse Architectonische Ordnung gezieret ist, und
dazwischen mit rothen Damast bekleidet war. Ein Franciscus in der Meditation davon
ich den Meister nicht wuste, aber wegen der herrlichen Arbeit anmerckete. Zwey Brust⸗
BilderNote: Es handelt sich um ein einziges Gemälde mit einer Darstellung zweier halbfiguriger Allegorien, die der Farbe und die der Zeichnung. von Guido, deren eines die Zeichnung, das andere die Colorirung vorstellete.
Daneben waren Brust⸗Bilder von JEsu und Maria, welche auch von ihm zu seyn, ge⸗
schienen. Eine Gebuhrt Christi gar klein, aber vortrefflich gemahlet von Carrache. Ei⸗
ne St. Catharina vor Christo kniend von Corregio. Raphaëls Pourtrait von ihm selbst
gemahlet, da er noch sehr jung war. Ein Ecce Homo von Mignard. Die Hoffnung
von eben demselben. Die Decke dieser Gallerie ist nur als ein flach Tonnen⸗Gewölbe
formiret, und auch von Mignard gemahlet. An dem mittelsten Feld wird der Genius von
Franckreich von Minerva gekrönet, dabey Apollo den Künsten Geschencke austheilet.
Das andere, auf einer Seite sind die Verschwiegenheit und Vorsicht vorgestellet, in dem
dritten und letzten auf der andern Seite, die Wachsamkeit mit Mercurio.
4. Da wir durch einige der vorigen Gemächer zurücke gegangen, merckete ich noch
in einem, welches la chambre di Conseil genennet wurde, daß nur lauter kleine Schilde⸗
reyen über dem Simß stunden, die grossen Füllungen in dem Täffelwerck aber rund um
mit Spiegeln besetzet waren.
Das grosse Vorgemach, wohin der König die Fremden einzulassen pflegete, wenn
er angeleget wurde, hat zwey Camine gegen einander über, über deren einem David mit
der Harpffe, an dem andern Cäcilia mit eine Viole stehet, beydes schöne grosse Stücke
von Dominicano. Uber dem Crantz stunden noch neun schöne Stücke alle von der Mu-
sic handlende, welche der jüngere Bassan nach seiner gar käntlichen Art geschildert hat.
In dem untern Geschoß konte ich die Zimmer nicht zu sehen bekommen, welche
unter des Königs Zimmern sind. An der andern Seiten aber sahe ich die Gemächer
des Dauphins, welche meistens demeubliret waren, und gereiniget wurden. Das Cabi-
net war mit verguldetem Täffelwerck ausgesetzet, und stunden noch vier herrliche Schil⸗
dereyen darinnen, die vier gradus der Liebe von Albano, woraus ich sahe, daß die Kupfer
so ich davon bereits zuvor gesehen hatte gantz accurat und gut copiret waren. Noch ein
Gemach war, welches eine gantz sonderbahre Verzierung hatte, dessen gleichen ich sonst
nirgends gesehen, die Wände umher waren gantz glatt ohne Leisten⸗Werck und andere
Verkröpfungen, von einem leder⸗farbenen laccirten Tafelwerck überzogen, dazwischen waren
Spiegel eingetheilet, darauf verguldete Tabletten angehefftet waren, wie in deß Königes
Cabinet de Bijoux, das Täfel⸗Werck aber ist in allerley künstlichen Zügen mit raren
Holtz, Elffenbein, Schildkröten und Silber eingeleget. Es kan schwerlich etwas schöne⸗
res ausgedacht werden, und wundert mich, daß es noch nicht in andern vornehmen Ge⸗
bäuden zu Pariß ist nachgemachet worden.
So viel ich weiß von Versailles zu berichten. Mein Herr wird diese wenige An⸗
merckung nun verbessern und vermehren, und nach meinem guten Willen zu dienen, mir
die Gunst erweisen, daß ich mich allezeit nennen könne
den 14. Januar. 1717.
und Diener.
N.N.
XXV.
DIe Bestättigung und Erfüllung meines Wunsches einen glücklichen Eintritt in
dieses neue Jahr belangend, habe am 15ten hujus mit grosser Vergnügung aus
seinem Geehrten vernommen, will auch an der völligen Erfüllung meines gan⸗
tzen Wunsches ja an einem grossen Ubermaaß der Gnade GOttes nicht zweifflen.
Daß ich aber in meinem letzten die Beschreibung von Clagny ausgelassen, welches
zu Versailles allerdings mit Recht mag gezehlet werden, ist darum geschehen, weil wir auf
dem Weeg nach Marly ohne Umweg dabey passiren, und es en passant besehen können.
Mein Herr aber wird zweiffels ohne bessere Gelegenheit als ich finden, dieses einer Mai-
tresse zu Lieb gebauete Schloß zu besehen. Denn als ich da war hielte sich eben die alte
Madame de Maintenon darinnen auf, und da getrauete sich kein Bedienter einmahl ihr zu
sagen, daß ein Frembder verlange das Gebäude zu besehen, so liessen sie auch kaum die
Freyheit in dem Hof herum zu gehen, gaben auch ziemlich zu verstehen, daß sie ein Weib
von kaum erträglicher Caprice und Feindseeligkeit sey. Doch fragete ich so groß nicht
darnach, weil ich sehen konte, theils, daß die Risse, so man davon in Kupffer hat ehrlich
und accurat waren, in dem das ich sehen konte, daher nicht Ursache hatte zu zweiffeln,
daß das übrige sich eben so verhalten würde, theils daß alles so schlecht und unflätig da⸗
rinnen gehalten würde, daß daraus leicht die Rechnung zu machen war, daß ausser eini⸗
gen Meublen in der Madame Zimmer wohl nichts sonderliches möchte zu sehen seyn.
Es ist dieser Pallast gantz von Quadersteinen erbauet, und wohl gearbeitet.Clagny. Aussen
ist es der Composition und Ordonnance überhaupts nach gar regular, und ohnerachtet
es nur aus einem Geschoß Dorischer Ordnung bestehet,Note: Vermutlich orientierte sich Sturm in seiner Beschreibung eher an den Zeichnungen von Antoine Lepautre von 1674 als an dem gebauten Schloss. Lepautres Projekt (Nationalmuseum Stockholm, CC 2136) zeigt ein relativ bescheidenes, anderthalbgeschossiges Gebäude mit strenger Gliederung. Vgl. Krause 1996, S. 68 (Abb. 56). darüber noch ein halb Geschoß
oder eine Attique stehet, so hat es doch noch ein ziemliches Ansehen. Ich glaube aber es
würde gar ein weniges mehr gekostet haben, wenn zwey vollkommene Geschoß wären auf⸗
geführet worden, aber die parade würde noch eins so gut geworden seyn. Allein es ist
das jenige was die Frantzosen machen in ihren Augen schon so groß, daß wenn sie etwas
grössers machen müsten, solches ihnen unproportionirt vorkommen würde. Untersuchet
man aber die faciaten Stückweise, so finden sich noch einige gar notable Fehler daran,
davon ich allein denjenigen anführe, den der Architect, der jüngere Mansard, den seine
glückliche Empirie zum Grafen gemacht hat, an den beyden Haupt⸗Thüren an den Seiten⸗
gebäuden oder Flügeln Tab. XLII begangen, deßwegen ich eine accurate Verzeichnus
solcher Haupt⸗Thür hiebey setze.
Da glaube ich nun, es habe dieser gute Mansard den Fehler, den sein alter VatterNote: Sturm spricht von „Vatter“ und meint wohl „Vetter“ im Sinne von „entfernter Verwandter“: François Mansart war der Großonkel von Jules Hardouin-Mansart.
bey der Couplirung der Dorischen Säulen eingeführet, er aber nachgemachet hat, endlich
durch seine Authorität êtabliren wollen, weil er ihn da ohne Noth, ja ohne alle Ursache
an einem neuen Gebäude so gar grob begangen hat. Denn es ist kaum auszusprechen,
wie eckelhafft es aussiehet, daß über den beyden Wand⸗Pfeilern eine zusammen gewachse⸗
ne Platte mit ihrem ablauffenden Leisten, und Uberschlag auf zwey Capitälen, und eine
zusammen gewachsene Taffel nebst einem zusammen gewachsenen Pfuhl unter zwey Säu⸗
len⸗Füssen liegen. Ich will nicht sagen wie elend es aussiehet, daß das Obertheil des
Crantzes in eins glatt fortlauffet, hingegen der Uberrest des Gebälckes sich verkröpffet.
Ich geschweige wie unerhört mager die sechs gekuppelte Halb⸗Pfeiler darüber aussehen,
welche nichts als ein mechantes kleines Fenster zwischen sich haben, welches mit der untern
Oeffnung gar nicht übereinstimmet. Habe ich da nicht recht mich über die blinde Toll⸗
heit der Welt zu moquiren, welche Baumeister, welche solche Jungens Schnitzer machen,
zu Graffen machet, und solche Leute bey denen diese grosse Herrn noch erst Lehr⸗Jahre
aushalten müsten, fast crepiren lässet. Aber wo werde ich hingerissen, von Contestatio-
nibus gegen die blind tolle Welt, welche doch in dieser Zeit die Macht hat zu benennen,
wen man vor klug, und wen man vor einen Narren halten müsse.
Aus dem Kupffer, aber nicht aus eigenem Gesicht, kan ich nun gewiß gnug versi⸗
chern, daß der Haupt⸗Saal der die gantze Höhe und Breite des Hinter⸗Gebäudes ein⸗
nimmt, nicht grösser sey als 36 Fuß ins gevierdte, und dazu eine Höhe von 53 Fuß ha⸗
be, da doch nach der guten Bau⸗Kunst keine grössere Höhe kan approbiret werden, als die
der Länge und Breite gleich ist. Denn insgemein ist gewiß die grösseste zulässige Höhe
eines Saales, wenn seine Länge und Breite zusammen genommen, und die Helffte von
der Summa zur Höhe genommen wird. Wie ich durch die Fenster gesehen, so ist er inn⸗
wendig gantz von Quadersteinen wie das äussere Gebäude gebauet, und noch keine Zier⸗
rath an der Decke. Die Treppe ist nach der Frantzösischen Baukunst geleget, daß man
sie suchen muß. Nach der coupe des pierres ist sie gar gut, aber mit allzu wenig Zierra⸗
then angegeben. Es sind auch die Decken über der Gallerie und über der Orengerie
zu meiner Zeit bloß mit Kalch beworffen, und ohne Zierrath gewesen. Es ist auch ein ar⸗
tiger GartenNote: Die Entwürfe für den Garten stammen von André Le Nôtre. Vgl. Krause 1996, S. 67. in dem Kupffer gezeichnet, hingegen ein viel kleinerer und sehr schlechter in der
That allda zu sehen gewesen.
Also machen wir uns aus diesem Pallast hinweg, und bey Madame de Maintenon
uns des lustigen Gesichts des Quevedo, von der Hauß-Hoffmeisterin, zum Zeitvertreib auf
dem Weg erinnernde, reisen wir nach Marly.
Dieses Königliche Lust⸗Hauß lieget in einem sehr lustigen Thal, welches nirgend Marly.
als an einem Ende einen freyen, aber zum Recompens desto schönern Prospect gegen St.
Germain hat, nach welcher Situation der Garten gar vernünfftig und schön angeleget ist,
daß wann die Kostbahrkeiten und die Grösse der Wasser daselbst wären als in Versailles,
dieses sich davor schämen müste. Weil ich keinen Abriß in Kupffer davon habe erfragen
können, habe ich ihn so gut ich gekont, mit Schritten abgegangen, welchen ich hiebey
communicire. Die Gebäude sind alle aussen gantz glatt und schlecht mit al fresco ge⸗
mahleter Architectur gezieret, welches in Franckreichzu sehen, etwas gar ungewöhnliches
ist. Allein das mit e gezeichnete Gebäud, wurde zu meiner Zeit erst von Quadersteinen
viel prächtiger, als selbst des Königs Hauß gebauet, also scheinet wohl, daß das Vorha⸗
ben sey gewesen, auch dieses prächtiger auswendig zu zieren, welches wohl indessen könte
geschehen seyn, wo es die Kosten des bald hernach entstandenen letzte KriegesNote: Gemeint ist der Spanische Erbfolgekrieg (1701-1714). nicht gehin⸗
dert haben. Es ist dieses Hauß just quadrat ohne Hoff, sondern hat in der Mitte eine
Kuppel, welche einen achteckichten Saal decket, welcher vom Boden durch diese gantze
Kuppel hinauff reichet. Er hat auch kein Licht, als welches er oben von der Kuppel herun⸗
ter empfänget. In diesem wurden eben als ich da war Corinthische Wand⸗Pfeiler,Note: Verwechselt Sturm die innere mit der äußeren Gliederung? Nach der Coupe du Pavillon royal de Marly (1714) war das Innere des Pavillons mit einer ionischen Ordnung ausgestattet. Vgl. Castelluccio 2017, Fig. 4 (Paris, Archives nationales, O1 1472.5.). und
andere dazu gehörige Zierrathen von Gipß gearbeitet. Um die Kuppel gehet oben ein
sehr schmaler Himmel⸗offener Gang, und unter diesem noch ein verdeckter, der doch noch
passablement helle ist, ohnerachtet er nur durch wenig einfallendes Licht erleuchtet wird.
Um die Kuppel und diese Gänge liegen in zwey vollkommenen Geschossen und einem hal⸗
ben die Zimmer, in welchen gar nichts sonderliches zu sehen war, und lagen vier aber sehr
enge Treppen von Gipß an der Kuppel herum, wodurch man in die andern Geschoß kam,
und diese Treppen hatten auch nur ein einfallend Licht. Das Gebäude, worinn die Zim⸗
mer liegen, ist mit einen gantz flachen Pult⸗Dache gedecket, welches ich nicht einmahl recht
erkennen konte, ob es nur mit angestrichenen Schindeln oder mit Schieffer gedeckt sey.
Gegen diesen Gebäuden liegen auf einer Seite das Gebäude d welches vor die Offices
seyn soll, auf der andern zwey Gebäude einen Stock hoch, deren eines des Dauphins Pa-
villon, das andere die Capelle ist. Hernach liegen noch zwölff kleinere Pavillons, an je⸗
der Seite sechs von gleicher Gestalt und Grösse, und in gleicher Weite neben einander
neben dem Lust⸗Garten mit f bezeichnet, vor das überige Königliche Hauß, welches eine
angenehme Vuë machet. Und wenn diese Pavillons alle Paarweiß anderst und sauber
mit Architectur und schönen Dächern so ausgebauet würden, daß jedes Paar anderst
inventiret wäre, und doch alle in gleicher Symmetrie stünden, würde es ungemein wohl
pariren. Ich habe es nicht lassen können zu versuchen, ob ich an so kleinen Gebäuden so
viel Variation könte heraus bringen, und da mich geduncket, daß es mir nicht übel gelun⸗
gen sey, konte ich es auch nicht lassen, meine Inventiones mit meinem lieben Freund ge⸗
mein zu machen.Tab.
XLVI. Es sind zwar so kleine Gemächer darinnen, daß sie kleiner nicht seyn
könten, doch sind sie auch zum Auffenthalt auf dem Lande auf etliche Tage noch groß ge⸗
nug. Es sind in zwey Rissen Gemächer eingetheilet, welche noch passablement groß sind,
aber es kan so denn nur eine vornehme Person darinnen logiren, vier aber sind eingethei⸗
let, daß ein Herr mit seiner Gemahlin darinnen seyn kan. Die faciaten können nach
Belieben verwechselt werden, und kan jede faciata bey allen Grund⸗Rissen angebracht
werden. In dem Halb⸗Geschoß können die Bedienten zusammen seyn. Aber ich bege⸗
be mich wieder zu meiner Beschreibung.
Der Garten ist insgemein wegen dessen gar annehmlich, weil er nach einem gantz
andern und contrairen Principio angeleget ist als der zu Versailles, und weil er dieses neu
und vor sich besonder hat, daß er nicht in Alleen, und dazwischen eingeschlossene Plätze,
sondern gleichsam in lauter neben einander liegende, doch artig von einander unterschiedene
Alleen eingetheilet ist, ausser daß die Mitte eine grosse Suite von Fontainen einnimmt,
welche man alle mit einander kan springen sehen. Bey f fället das Wasser in einem
dunckeln Holtz über einen steilen Berg in drey Reyhen Stuffenweise herunter, welche
überaus anmuthig aussiehet. Zu oberst aber springen vor dieser Cascade drey jets d’eau.
Zu unterst verlieret sich diese Cascade gleichsam wieder unter die Erde. Entrée des Gar⸗
ten ist bey A und da kommt man über einen ziemlich steilen Berg⸗abgehenden breiten
Steinweg gerade gegen dem principal-Gebäude zu, vor welches man doch nicht fahren
kan, weil nicht nur zwischen den Häusern b und c etliche Stuffen liegen, sondern auch
das Haupt⸗Gebäude selbst auf einem kleinen Platz lieget, welcher um und um mit Stuf⸗
fen von gehauenen Steinen umgeben ist. Hingegen gehet der Steinweg bey I um den
Garten, bey dem Ende der beschriebenen Cascade vorbey, und lauffet hinten bey e endlich
nach dem Flecken zu, der gantz nahe dabey lieget. Dieser Steinweg ist an einer Seite
mit einer Mauer von Quadersteinen bordiret, welche den Fuß des Berges verkleidet, auf
der andern Seite aber von dem Hause b an, biß bey die Cascade, und wann man die
Cascade vorbey gekommen (denn vor dieser gehet eine breite steinerne Treppe hinab in
den Garten) biß an das Gebäude d mit einem verdeckten, und mit Laub bewachsenen
Gang. Eben dergleichen verdeckte Gänge gehen auch von der Mitte des Gebäudes c
und von dem Gebäude d beyder Seits zwischen den zwölff Pavillons hinunter, also daß
sie gleichsam dadurch aneinander gehänget werden, also daß die Herrschafft, so in diesen
Pavillons logiret, verdecket aus ihren Gemächern zusammen kommen kan. An diesem
erhabenen Gang der den Garten gantz umgiebet, gehet immerhin eine andere Allee, so um
etliche Fuß niedriger lieget, sich aber doch nahe bey der Cascade um ein halbrundes Wasser⸗
stück um die Helffte erhebet. Der Platz um des Königes Hauß lieget in gleicher Höhe
mit dieser Allee, welche im übrigen, so wohl als die vorbeschriebene höhere, gar breit ist,
also daß vor den zwölff Pavillons hin, zwey verdeckte Lauben fast wie die vorher beschrie⸗
bene nahe aneinander darauff hinlauffen, wie in der Tafel mit k gezeichnet worden.
Wenn man diese Beschreibung lieset, soll man leicht auf die Gedancken kommen, daß
dieses nichts schönes sey, daß so viel verdeckte Gänge so nahe beysammen neben einander
hinlauffen. Darum muß ich noch diesen Umstand dabey bemercken, daß der obere ver⸗
deckte Gang auf gemeine Art gemachet sey, mit aus Holtz geschnittenen Bogen und mit
Latten verkleidet, um welche herum so wohl an den Wänden als oben alles mit Grünen
bewachsen, und also der Gang gantz verdecket ist. Allein die zwey andere sind aus lauter
glatt und gerade aufgewachsenen Baum⸗Stämmen formiret, welche durch den Schnitt
also gehalten werden, daß sie nirgends auswachsen können, als solcher gestalt daß sie sich
oben zur Decke der beyden Gänge über⸗und durcheinander bewachsen, welches nicht nur
was ungemeines ist, das man nirgends also finden wird, sondern auch etwas recht char-
mantes, als eine gewachsene Colonnata.
Mitten auf dem Platz in dem Horizont dieser Alleé ist ein kleinerer Platz wieder⸗
um erhaben, und rings um mit vier Stuffen von gehauenen Steinen umgeben, auf dessen
Mitte des Königs Hauß a lieget, wie oben schon gedacht worden. Der niedrigere grosse
Platz ist mit fünff Parterren umgeben. Von da an vertieffet sich der Platz des Gartens
wiederum etliche Stuffen, und formiret wiederum eine Alleé n welche an den meisten
Orten mit geschnittenen Taxus⸗Bäumigen an beyden Seiten bordiret ist. Der darzwi⸗
schen begriffene Platz lieget wiederum etliche Stuffen tieffer, in welchem aber noch drey
etwas weiter vertieffete Plätzgen vertheilet sind, daß an ihm also wiederum eine Allee o
übrig bleibet, diese drey innerste und niedrigste Plätze aber werden von grossen Wasser⸗
stücken mit Fontainen occupiret. Die beyden innersten Absätze sind mit Rasen sau⸗
ber verkleidet, welche Fuß auf Fuß dossiret oder geschmieget sind. Es ist nicht wohl zu
glauben biß man es siehet, was diese gantz sonderbahre Disposition vor einen lieblichen
Effect in den Augen thut, wozu nicht wenig contribuiret, daß sie zwischen zwey Luft⸗
wäldern lieget, deren einer von B gegen A der andere von C gegen D auffwarts stei⸗
get, und beyde sich oben bey GF vereinigen.
Die Disposition der springenden Wasser ist also beschaffen, daß der bey H zu un⸗
terst an dem Garten stehet, von allen etwas, und die meisten gantz siehet. In der hal⸗
ben Rundung g I ist zu oberst eine halb⸗runde Cascade von zwey Absätzen unterhalb
deren drey jets d’Eau ziemlich hoch springen, an dem Umkreiß aber speyen noch sechs Lö⸗
wen⸗Köpffe ihr Wasser durch schöne Bögen dazu. In den fünff Parterren um das Kö⸗
nigliche Hauß sind acht kleine Bassins jedes mit einem Wasser⸗Strahl. Auf der Ter-
rasse n liegen oben zwey kleine Lust⸗Stücken, deren jedes wiederum in der Mitte ein klein
Bassein mit einem jet d’Eau hat. Das Stück g 2 hat erstlich einen trockenen breiten
Rand so noch etwas unter dem Platz o vertieffet ist, und daraus springen zwantzig nicht
allzu hohe Wasser⸗Strahlen, aus dem innersten mit Wasser angefülleten Platz aber
springen zwey höhere, und in der Mitte zwischen ihnen ein noch höherer, zu oberst fället
auch in der Mitte das Wasser über vier Absätze, und an den vier Ecken über zwey Absätze
herunter. Das mittlere Stück g 3 ist noch schöner. Es ist auch ein versenckter tro⸗
ckener Rand umher, daraus aber keine Wasser springen, sondern es stehen an den vier
Ecken Groppi von Statuen bey m auf steinern Postamenten. Aber in das mit Wasser
angefüllete Stück fället Wasser durch eine Cascade von drey Absätzen, welche die gantze
vorderste Seite einnimmet. In der Mitte schiessen hintereinander fünff hohe Strahlen
Wasser, unter denen der mittelste extraordinar hoch ist, daß man oben auf nicht ein Ku⸗
gel von Wasser siehet, wie sie insgemein formiren, sondern dieselbe Kugel siehet als ein
klein Wölckgen aus, dergleichen Höhe ich in Versailles nicht gesehen. Gegen die vier Ecken
springen noch vier jets d’Eau, die auch so hoch als die mittlere vier auffsteigen. G 4 hat
auch zu oberst eine Cascade, welche über vier breite Absätze ihr Wasser herab stürtzet, und
drey jets d’Eau die an der Höhe dem höchsten bey g 2 gleichen, und mitten unter ihnen
noch ein höherer der den Achten bey g 3 gleich kommet, spielen aus dem grossen Wasser⸗
stück in die Höhe. G 5 zeiget einer Queer⸗Linie zwischen den doppelten verdeckten
Gängen acht jets d’Eau von gleicher und ziemlicher Höhe, welche aus vier Oval-runden
kleinen Bassins springen. In beyden Lust⸗Wäldern spielen noch unterschiedliche solche
Wasser⸗Strahlen so hoch, daß man sie, bey H stehend, über die Bäume kan auffsteigen
sehen. An der Seite CD ist zwar noch nichts sonderliches, sondern allein springen bey
g 6 aus dem fünffeckichten Wasser⸗Stück sammt angehängten zwey halben Circuln,
(welches nicht gantz hat können auf den Riß gebracht werden) sieben ziemlich hohe Jets.
Aber auf der andern Seite sind zwey schönere Stücke. Als bey g 7 ist wie ein grosser
Schenck⸗Tisch angeführet, darüber das Wasser über etliche Absätze abfället, und gleich⸗
sam darüber gebreitete gläserne Decken abbildet, zu unterst aber in die Erde sich verliehret,
unweit davon ist ein schönes Bassin mit einem trefflich hohen Strahl, darnach kommet ein
Canal, da mitten in der Allee das Wasser über etliche Stuffen abfallet, und mitten auff
jeder Stuffen stehet ein kleiner Kessel, daraus ein kleiner Strahl Wasser in die Höhe
sprützet. Nach diesem fället das Wasser in einen kleinen, und bald hernach in einen et⸗
was grössern viereckichten Hälter, endlich springen wiederum vier Jets mittelmäßiger Höhe
aus so viel kleinen Bassins in die Höhe. Endlich sind noch bey g 8 zwey kleine Bassins,
deren eines höher als das andere lieget, und von dem höhern fället das Wasser mitten
durch die Allee in einem engen Canal stuffenweiß herunter. Diese Beschreibung habe
deßwegen ein wenig ausführlich gemachet, weil es die artige Disposition wohl verdienet,
die aus dem einigen beyläufftigen Grund⸗Riß nicht genugsam mag verstanden werden.
Mehr hat mir nun meine beklemmete Zeit nicht zugelassen zu besehen, als alleine
noch St. Cloud, welches recht auf dem Weg von Marly nach Pariß auf einem ziemlich St. Cloud.
hohen Berg an der Seyne gelegen ist. Es hat der letzt⸗verstorbene Herzog von Orleans,
Königs Ludovici XIV. Bruder einen gantz neuen Pallast gantz von Quader⸗Steinen
daselbst aufbauen lassen. An dem Anfang, wo man in das Städtgen, oder Flecken
kömmet, ist noch ein kleines doch ziemlich artiges Hôtel, von welchem man über den Fluß
nach Pariß einen freyen schönen Prospect hat. Der Garten lieget im Gesicht an der
Strassen, wenn man von Marly hinein kömmt. Ich habe mir nicht so viel Zeit genom⸗
men es zu besehen, weil ich mich, nach dem ich viel bessere, und noch mehr dergleichen Ge⸗
bäude zur Genüge besehen hatte, nicht damit amusiren wolte. Es soll daselbst nicht nur
ein Sohn des ersten Christlichen Königs in Franckreich, von dem der Ort den Namen hat,
in der Kirche begraben liegen, sondern auch das Hertz Königs Henrici III. welchen in vor⸗
besagten Hôtel ein Mönch todt gestochen hat. Andere wolten mir sagen, daß St. Cloud den Namen habe von einem heiligen Nagel vom Creutz Christi, so allda seye, oder gewe⸗
sen seyn soll. Aber nach allen solchen Dingen habe ich mich nicht umgesehen, sondern
alleine die neue Cascade sehen wollen, davon auch durch gantz Teutschland in den öffent⸗
lichen Gazetten viel Wesens war gemachet worden, denn davon wuste ich gar nicht, daß
auch ein neues Schloss daselbst erbauet worden. Als ich nun dahin kam, traff ich einen
sehr höfflichen Concierge an, der mir das gantze Gebäude in dem obern Geschoß sehen
liesse, denn zwey völlige Geschoß hatte der Pallast, wie die meisten neuen in Franckreich,
das gab mir Gelegenheit, daß ich dessen Disposition gantz entwerffen konte, wie aus bey⸗
kommenden Riß zu sehen. Denn weil ich mich als ein Architect angab, und da ich den
Mann höfflich fand, bat ich, daß er mich möchte alle Zimmer besehen lassen, sie möchten
schöne seyn oder nicht, damit ich die gantze Disposition sehen könte, und erhielte meine
Bitte, wiewohl ich ziemlich geschwind forttraben muste. Der Angeber wurde mir Gittard
genennet,Note: Diese Information erweist sich als unzutreffend: Die für ihre Arbeiten am Schloss von Saint-Cloud bekannten Architekten sind Antoine Lepautre und Jules Hardouin-Mansart. Eventuell resultiert die Erwähnung von Daniel Gittard aus einer Verwechslung mit dem Entrepreneur Jean Girard, der unter Antoine Lepautre beschäftigt war. Vgl. Krause 1996, S. 100. welcher die oben beschriebene Faciata der Kirche St. Jacques de haut Pas zu Pa⸗
riß angegeben. Wie ich nun aus selbigen Gebäude schon geschlossen hatte, daß er kein
unebener Architect seyn, aber doch gerne auf besondere nichts taugende Grillen offtmahls
fallen müsse, so wurde ich durch den Pallast zu St. Cloud mercklich darinnen gestärcket.
Wann es sich also verhält, wie mir mein Führer sagete, daß von dem alten Gebäude fast
nichts behalten, sondern alles neu gebauet sey, so kan man sich keine wunderlichere Ein⸗
theilung der Zimmer einbilden, als die ich daselbst gesehen, ich halte aber vielmehr, daß ich
fälschlich sey berichtet worden.
Das untere Geschoß ist Toscanisch, das obere Corinthisch, umher mit Wand⸗
pfeilern besetzet, welche noch ziemlich rein angeordnet waren, wiewohl ich es in Kleinig⸗
keiten nicht untersuchet habe, nur an beyden Vorlagen der Seiten⸗Gebäude A A war
wiederum eine gar extraordinaire Caprice. Selbige haben vier Wand⸗Pfeiler und vier
davor stehende frey stehende Säulen mit einem architravirten Krantz, aber die vier Säu⸗
len sind Toscanisch, wie das gantze Geschoß, auch in ihrer rechten Proportion, aber die
Wand⸗Pfeiler sind Römischer Ordnung, und deßwegen nothwendig übel proportio-
niret.
Durch die Vorlage an der lincken Seite gehet man zu der Haupt⸗Treppe, und
unter derselbigen hin nach dem grossen Garten, wunderlich aber ist es, daß diese einige
vor den gantzen Palast dienen soll, und doch so weit von den principalesten Zimmern
abgelegen ist. Weiter hin bey o an dem Haupt⸗Gebäude lieget noch eine ziemliche raum⸗
liche und commode Treppe, die aber schlecht nur von Gipß ohne Zierrathen gebauet ist,
weiter habe ich keine grosse Treppe angetroffen, kan auch nicht ausdencken, wo sie liegen
solte, wenn ich schon argwöhnen wolte, daß ich nicht überall sey hingeführet worden.
Im übrigen ist besagete Haupt⸗Treppe recht schön ausgetheilet, und wohl vor eine der
schönsten in und um Pariß zu halten. Unten ist sie mit frey stehenden Toscanischen
Säulen von schönen Marmor, oben mit dergleichen Ionischen Wand⸗Pfeilern besetzet,
und darüber mit einer ausgeschahlten Decke bedecket, welche aber noch nicht ausgezieret
war, doch konte sie gar ansehlich ausgearbeitet werden.
Die Zimmer sind meistens groß, und ansehlich und reich meubliret, aber alles so,
daß nichts besonders dabey anzumercken war, nur allein die Gallerie muß ich in etwas be⸗
schreiben. Sie hat nur einen Salon an dem End wo man hinein kömmt, und der den
Namen noch besser verdienet, als die zu Versailles, welche nichts breiter sind als die Gal-
lerie selbst. Es ist dieser Salon an den Wänden gantz mit Marmor bekleidet, und an der
Decke mit einem grossen runden Gemählde versehen, welches eine Götter Versammlung
vorstellet. In der Gallerie sind nur die Wand⸗Pfeiler von Marmor, das übrige mit
Stoff und Schildereyen ausgekleidet, sie ist an der Decke in fünff grosse Felder mit gar
breiten Ribben dazwischen eingetheilet. An den Ribben sind ein viereckichtes mit halben
Circuln an den Enden besetzetes, und zwey oval- runde Felder, welche theils gelb in gelb, theils
mit ultramarin blau in blau gemahlet, und mit Gold gehöhet sind. Die grosse Plätze
haben der erste, mittlere und letzte ein grosses Gemählde, die zwey dazwischen jedes zwey
grosse Gemählde, deren Rahmen als mit zwey Schenckeln auf dem Simß auffstehen, und
sich gegen einander biegen. Mir kam diese Gallerie anmuthiger vor als die zu Versailles,
sie war von Mignard angegeben. Die Böden sind darinnen und durchgehends in allen
vornehmen Gemächern mit kleinen braunen und polirten Holtz ausgeleget, welche Art
Böden in Pariß in den meisten Hôtels auch gefunden werden, und keine annehmliche
Farbe haben, sondern gleichsam kothig aussehen.
Der Garten ist sehr groß aber gar Alt⸗vätterisch ausgetheilet, schlecht unterhalten,
und an den Alleen sehr negligiret. Weil er auch auf dem hohen Berg lieget, ist leicht
zu gedencken, daß keine sonderliche Wasser⸗Künste daselbst können angeleget werden.
Im übrigen, weil gar schöne Holtzungen und Buschwerck allda ist, kan etwas recht schö⸗
nes daraus gemachet werden, weil aber ein ziemlich Theil des Gartens an dem steilen
Berg hinunter, und wiederum unten in der Planitie lieget, da man Wasser⸗Künste gar
leicht anlegen kan, so möchte mit der Zeit etwas sonderlich Gutes daraus werden. Ein
guter Anfang ist dazu mit oben angeregter Cascade gemachet worden, die ich fleißig bese⸗
hen habe, ohne doch die Wasser zu sehen, und in beykommenden Abriß entworffen.Tab.
XLV.
Sie lieget an einer ziemlich steilen Anhöhe und wendet sich gerade gegen die Stadt
Pariß zu, die man daselbst in völlig freyen Prospect vor sich hat. Es liegen zu oberst
drey Terrassen a b und c welche zwey niedrigere Plätze d und e zwischen sich haben,
darauf artige von Stein ausgeführete Bögen eine angenehme Durchsicht formiren (wel⸗
che auf dem Riß nicht füglich konten vorgestellet werden.) Auf jedem solchen Plätzigen
ist eine kleine Cascade zwischen den Bögen und eine kleine Parterre welche ein Bassin zu
einem jet d’Eau umfänget. Noch etwas tieffer liegen in einer geraden Linie noch sechs
kleine Bassins mit eben dergleichen Wasser⸗Strahlen (von o zu i) von da an fället das
Wasser in neun Reyhen (1.2.3.4.5.6.7.8.9.) Stuffen⸗weise herunter, welche, weil die
Absätze an der Zahl breite und Figur in guter Ordnung voneinander differiren, ein sehr
anmuthiges Aussehen nothwendig geben müssen. Die zwey äussersten Reyhen, werden
von vier breiten Streiffen eingefasset, worauf verguldete Gefässe stehen, welche alle Was⸗
ser⸗Strahlen auswerffen. Zu unterst vor diesen vier Reyhen Gefässen stehen noch vier
grössere auf Postamenten, aber ob auch diese Wasser auswerffen, weiß ich nicht. An
den beyden äussersten Enden stehen noch zwey Statuen. Das Wasser versammlet sich
alles in einen schmalen Kasten, der in gehauenen Stein zierlich eingefasset, und einige
Schuhe hoch von der Erde erhoben ist, aus welchem dreyzehen Jets in die Höhe steigen,
und eben so viel verguldete Löwenköpffe speyen es aus diesem Kasten in einen eben so
schmalen unten davor in der Erde liegenden. Auf der Einfassung des obern Kasten lie⸗
gen auch etliche sehr grosse verguldete Frösche, welche ohne Zweiffel auch Wasser in die
Höhe im Bogen werffen. Das gantze Werck ist von Quader⸗Steinen aufgeführet,
und wie Marmor gar gut und beständig gemahlet, und ist daran sehr viel schöne Grot⸗
tirung die Wasser zu bordiren.
Vor dieser Cascade lieget unten auf der Ebene, welche nur einen gelinden Abfall
hat, ein Canal, welcher noch drey Absätze hat. In den ersten fället das Wasser in der
Mitte aus einem halb⸗runden Becken auf einmahl, zu beyden Seiten stehen noch vier
kleine halb⸗runde, und unter denselben vier Klee⸗formigte, über welche alle das Wasser
abfället. In dem andern und letzten Absatz sind nur simple Cascaden, und in diesem
noch neunzehen jets d’eau. Es kan nicht fehlen, wenn das Wasser Vormittags auf
diesem Wercke gehet, da die Sonne dagegen scheinet, daß man es in Pariß werde sehen
können. Hiemit schliesse ich nun meine in und um Pariß gemachete Observationes,
welche, ob sie schon wenig sind, so machet doch die kurtze Zeit der Reise und andere Hin⸗
dernussen, darüber ich mich öffters zu beklagen nicht lassen kan, daß man sie noch vor viel
kan passiren lassen, und mich wenigstens niemand einer Trägheit dabey beschuldigen
wird. Aber von der Zuruckreise werde gar zu wenig berichten können, weil der Geld⸗
mangel, der mich sehr überfallen, die Kürtze der Zeit, so zu meinem verheissenen Termin
noch übrig war, die Gelegenheit der Fuhren, deren ich mich nicht zu meiner Bequemlich⸗
keit gebrauchen konte, sondern um vorbesagter zwey Ursachen wegen vorlieb nehmen mu⸗
ste, wie sie am besten zu bekommen war, welche mir doch noch theuerer zu stehen kam, als
ich vermeinete, nirgend gestatteten, daß ich mich hätte recht auffgehalten, und mich nach
merckwürdigen Dingen umgesehen. Weil ich aber doch gethan habe was möglich war,
will ich mich nicht schämen, auch dieses Wenige anzuführen, wozu in nächsten Schreiben
mit Göttlichen Beystand soll ein Anfang gemachet werden. Ich bin jederzeit
den 18. Januar. 1717.
N. N.
XXVI.
ICh muste zu meiner Rückreise, die ich über Arras und Lille nach Gent nehmen
wolte, wie selbige auch meinem Herrn in seiner Reise vorgeschrieben ist, der ordent⸗
lichen Land⸗Cutsche mich wiederum bedienen, die den gantzen Weg biß nach Gent,
wie ich fälschlich berichtet wurde, durchgehen solte. Mit dieser kamen mir zwey Frantzö⸗
sische Meilen von Pariß nach St. Denis, allwo eine lange Zeit her die ordentliche Begräb⸗
nus der Könige in Franckreich ist.St. Denis. Gleich im Hineinfahren passirten wir ein artiges
Kirchlein, welches die Nonnen von der Assumtion in Besitz haben. Ich konte nicht vor⸗
bey von dem Wagen zu springen, und weil es etwas gar reines von Architectur zu ha⸗
ben schiene, es etwas besser zu betrachten, ja ich habe es nachdeme gar in meine Tableten
geschwinde abgezeichnet, und empfänget mein Herr hiebey eine Copey.Tab. XIIII
Fig. 4Note: Die Zeichnung der Kirche, auf die Sturm hier verweist, befindet sich auf S. 184, Tab. XIIII, Fig. 4. Diese Seite wird aus editorischen Gründen nicht abgebildet, insbesondere, da hier ⎯ mit Ausnahme besagter Kirche in Saint-Denis ⎯ Ansichten und Pläne von Gebäuden aus Antwerpen dargestellt sind, die zu dem in der vorliegenden Edition nicht berücksichtigten Teil von Sturms Reise außerhalb Frankreichs gehören. Ich fand sie
aber nicht offen, und hatte also nichts dabey zu thun, als die faciata anzumercken. So
viel ich aber aus derselben abnehmen konte, so bestunde sie aus einer runden Kuppel auf
einem achteckichten Grund, von Wechsel⸗weiß klein und grossen Seiten, wie nun vorn aus
beyden kürtzern Seiten zwey Aercker heraus giengen, so vermuthe, daß es an den hintern
zwey schmahlern Seiten eben so seyn werde. Durch die vorderste breite Seite gehet die
Thüre, vor welcher ein Vorschopff von vier frey stehenden Ionischen Säulen, mit dahin⸗
ter stehenden Wand⸗Pfeilern lieget, welcher einen eckichten Fronton träget. An dem
geraden Crantz sind glatte Sparren⸗Köpffe, am Crantz des Frontons aber keine, und
war die gantze Austheilung so regulair, als ich kaum etwas in Pariß gesehen hatte. Es
kam die gantze Construction und die Proportiones, so weit sie ins Gesicht fielen, völlig
mit des Scamozzi Lehre überein. Es war das gantze Gebäude im übrigen gantz schlecht,
doch reinlich von Quadersteinen gebauet, und mit Schieffer gedecket. Als ich in das
Logiament kam, erfuhr ich, daß ein Hauffen Kirchen in diesem alt höltzernen düstern
Ort wären, darnach ich aber mich umzusehen keine Zeit hatte. Allein bin ich nach der
Haupt⸗Kirche des Closters St. Denis gegangen, welche ich hoffen, aber weil es Mittag war
von Leuten gantz ledig befunden. Es ist ein sehr grosses Gothisches sehr finsteres Gebäu⸗
de, darinnen wohl wenig zu sehen seyn mag, als die Königliche Begräbnusse, und der be⸗
rühmte Schatz. Dieser würde mir allein schwehrlich seyn auffgemachet worden, wenn
ich es schon begehret hätte, und die gantze Reise⸗Compagnie hätte gesaget, sie hätten ihn
mehr als einmahl gesehen. Es hat mich aber dieses nicht sonderlich gedauret, indeme
ich doch nichts daran würde gelernet haben. Aber das schmertzet mich, daß die Chöre,
deren mehr als einer zu seyn schienen, verschlossen waren, muste mich also vergnügen,
durch die Gitter hinein zu sehen. Aber ich konte an den Begräbnussen, so weit ich sehen
konte, nichts besonders sehen, und des Marechals de Tourenne seines, welches ich an
der lincken Seiten sahe, schiene mir das beste unter allen, nach dem heutigen Gusto zu
seyn, doch konte ich so viel daran erkennen, daß es eben nach dem Grunde disponiret
war, als die ich zu Pariß gesehen hatte. Wie ich nun alles umher besehen, und nirgend
eine Oeffnung finden konte, näher dazu zu kommen, und die Zeit zu dem Mittagmahl
vorhanden war, gieng ich doch aussen um die Kirche herum, ob ich etwas von dem präch⸗
tigen Mausolæo der Könige sehen könte, denn ich hatte in Pariß ein Kupffer davon ge⸗
funden durch Marot ediret, welchem nach es gar etwas herrliches und ungemein kost⸗
bahres seyn müste, als eine runde Capelle mit drey Reyhen Marmor⸗Säulen übereinan⸗
der besetzet, dazwischen grosse Blindten und in denselbigen die Statuen der Könige stün⸗
den, diese Capelle hat die Königin Catharina de Medicis würcklich angefangen zu bauen.
Ich suchete derowegen aussen herum, weil sie innerhalb der Kirche, besagten Kupffer
nach, keinen Raum haben konte, und fand es würcklich, wie sie auswarts von Marot
war gezeichnet worden, aber nicht ausgebauet, auf den Mauern oben hin und wieder mit
Graß bewachsen, und mit einem gantz alten löcherichten Dache sehr schlecht bedecket,
woraus ich den unfehlbahren Schluß machen konte, daß nichts daran fertig geworden,
als der grobe Umfang der Mauer, und das von den vorhabenden Architectonischen
Zierrathen nichts darein sey versetzet worden. Also begab ich mich höchst mißvergnüget
wieder in das Logiament, da man schon abgespeiset hatte, und indeme weiter reisen
wolte. Unterwegens macheten meine Gefährten, welches lauter Frantzosen waren ein
gräulich Rühmen von der Cathedral⸗ Kirche zu Amiens, und sageten ausdrücklich, wer
diese nicht gesehen, hätte nichts in Franckreich gesehen.Amiens. Sonst gestunden sie, daß nichts
sehens⸗würdiges da sey. In specie macheten sie Wunder aus der Tischer⸗Arbeit an den
Stühlen im Chor. Als ich aber dahin kam, da wir eben die Nacht blieben, lieff ich schnell
nach der Kirche zu, fande aber nichts als ein alt Gothisches Gebäude, daß nicht einmahl
der Laurentzer oder Sebaldi Kirch zu Nürnberg, viel weniger dem Thum zu Magdeburg,
am allerwenigsten aber dem zu Regenspurg zu vergleichen war. Die gerühmten Kirch⸗
stühle, waren mit Alt⸗vätterischen übel gezeichneten Schnitz⸗Werck gantz überschüttet,
und also mühesam und kostbahr genug, aber eben deßwegen waren sie nur desto verdrieß⸗
licher anzusehen. Als ich in das Logiament voller Verdruß über den Frantzösischen
Auffschneidereyen zurücke kam, wurd mein Chagrin noch grösser, als ich vernahm, daß
mich der Fuhrmann betrogen hatte, und keine Land⸗Cutsche weiter nach Arras gienge,
sondern ich ein Pferd miethen, oder auf zufällige Gelegenheit warten müste. Zu meinem
grossen Glücke erfuhre ich, daß drey Kauffleute von Roan in der Stadt seyen, welche
nach Amsterdam reiseten, und diese thaten mir die auch denen Frantzosen sonst gar seltene
Liebe, und nahmen mich mit auf ihren Wagen, ob sie schon höreten, daß ich kein Papist
war. Wir kamen aber spat Abend in Arras an, und reiseten Morgens frühe wieder aus,
daß ich also davon gar nichts gesehen. Eben so kamen wir des andern Tages in Lille so
spat an, daß wir kaum noch eingelassen wurden, aber da erfuhr ich, daß des folgenden
Tages nach dem Mittagessen eine Land⸗Cutsche nach Gent abgienge, darum verließ ich
meine gute Compagnie, welche mit Anbruch des Tages weiter fortgieng, damit ich den
Vormittag durch, die Stadt Lille ein wenig besehen könte.
Um Permission, die Festung und insonderheit die Citadelle zu sehen, mochte ich
mich nicht anmelden, weil mir jedermann abschlägige Antwort prophezeyete, darum gieng
ich frühe nach dem Thor hinaus, wo wir waren herein gekommen, weil ich daselbst etwas
schönes an dem Thor observiret hatte. Es heisset la Porte de France, hat sonst geheis⸗
sen des Malades. Es ist die Verzierung dieses Thores sehr hoch von Quadersteinen ge⸗
bauet. Es bestehet in einem grossen Bogen von Bossagen, der als ein Blindt sich ein⸗
warts etwas vertieffet, aber hernach ein noch weiter gerade eingetieffetes gerades Feld
enthält, durch welches das rechte Stadt⸗Thor, mit einem viel niedrigern gantz schlechten
Bogen stehet, darüber durch zwey hohe Ritzen in der Mauer die Bäume heraus gehen,
welche die Fallbrücke tragen, welches fast alles verderbet, und wohl besser hätte können ge⸗
machet werden. Den übrigen noch ziemlich hohen Raum des Feldes nimmet das Wap⸗
pen von Franckreich mit einigen darunter gesteckten Fahnen ein, welches gar delicat
ausgehauen ist. Uber den Bogen von Bossagen lieget ein Dorisches Gebälcke von sechs
Dreyschlitzen, welche, so viel ich abnehmen konte, 2 1/2 Mod. vonsammen stunden. Oben
darauf stunde ein Amortissement, welches ein Siegs⸗Zeichen trug. Daneben stun⸗
den an jeder Seite zwey Dorische Säulen auf Säulen⸗Stühlen 5 Mod. voneinander,
welche ihr eigenes Gebälcke trugen, womit sie just biß an den Architrav des mittlern Ge⸗
bälckes reicheten, darüber auch ihre besondere Amortissements mit Tropheen trugen,
wie aus beygelegeten Riß Tab. C. fig. 26 noch besser zu verstehen seyn wird. Alle
Steinmetzen⸗Arbeit sowohl als alle Bildhauerey war sehr wohl ausgearbeitet. Zwi⸗
schen jedem paar Säulen hiengen an einem Gehäncke drey grosse Medaillons bas re⸗
lief aus Stein gehauen. Es ist nicht zu sagen, wie ansehnlich und prächtig dieses Stück
aussiehet.
Bey dieser Gelegenheit habe die Fortification vor diesem Thor besehen. Der
Haupt⸗Wall war sehr hoch, innen und aussen mit gebackenen Steinen revêtiret. Zur
Rechten (wann man herein gehet) war ein starckes grosses Bollwerck mit eckichten
Orillons und retirirten Flanquen, woran gegen der Stadt zu noch kleine Bastions ange⸗
bauet waren, daß es also ein sonderliches Castel præsentirete. Aussen lag eine Contre-
garde davor, die Brücke gieng durch einen strumpffen niedrigen Thurm nach der Demi-
lune, und von da an der Contregarde Weg nach der Contrescarpe. Lincker Hand lag
ein kleineres Bollwerck, und ein HornwerckNote: Ein Hornwerk ist ein vorgelagertes Außenwerk einer Festung, bestehend aus zwei Halbbastionen, die durch einen Wall (eine Kourtine) miteinander verbunden sind. davor. Alle diese Wercke waren mit Stein
revêtiret, und war daraus genugsam abzunehmen, daß Lille extraordinair wohl befesti⸗
get sey. Das Hornwerck habe in den Forces d’Europe nicht gefunden, und die Con-
tregarde an der rechten Seite vor dem kleinen Castell hatte längere Facen, als daselbst
gezeichnet sind, und keine Flanquen.
Von da striche ich durch die Stadt, ohne den Weg zu wissen, und ohne Nach⸗
richt wo ich etwas merckwürdiges suchen solte. Erstlich traff ich eine Kirche an, welche
den Recollecten zugehören solte, deren faciata bey nahe gantz von der Kirche du St. Ger-
vais zu Pariß copiret war, wiewohl in der Maasse alles etwas kleiner, und die
Ausarbeitung auch nicht so gar sauber war, und die Säulen keine Canalüren hatten.
Hernach fand ich die Dominicaner-Kirche, wie sie mir von den Leuten genennet wurde,
welche eine fast eben so kostbahre faciata, auch von puren Quadersteinen hatte. Sie
hatte nur zwey Reyhen, unten Ionisch, oben Corinthisch. Aber darinnen wiche sie schon
weiter als die Parisische Kirchen von der Reinigkeit der Architectur ab, weil alles in
zusammen gewachsenen Saulen und Pfeilern bestunde, denn sie hatte in der untern Reyhe
sechs Wand⸗Säulen, welche nicht an der rechten Wand, sondern an vier Modul breiten
Wand⸗Pfeilern stunde. Inwendig war diese Kirche ungefehr wie die Iesuiter⸗Kirche zu
Antwerpen, und so weit gebauet, daß die Bögen neben dem Schiff nicht zwischen Säu⸗
len oder Pfeilern auf ihren Neben⸗Pfeilern, sondern auf freystehenden Ionischen Säu
len ruheten. An beyden Seiten hiengen schöne Gemählde, welche in herrlich guten
Landschafften bestunden, darein mit kleinen Figuren Geschichte gemahlet waren. Noch
eine gar kleine Kirche sahe ich, die man mir der Iesuiter Kirche genennet hat, aber gar
nicht so aussahe, daß ich eher glaubte, daß es eine Nonnen⸗Kirche wäre. Aber so elend
gehet es zu, wenn ein Fremder in höchster Eile Städte besiehet, da er weder Gassen noch
Gebäude recht zu nennen weiß. Das Portal dieser Kirche bestund bloß in zwey Kuppeln
Dorischer Wand⸗Pfeiler, welche einen Bogen zur Thüre zwischen sich haben. Ich ha⸗
be es abgezeichnet, weil es noch ziemlich rein von Architectur, und einiger Massen sin-
gular angeordnet ist. Es hat diese Kirche auch einen saubern Altar von roth marmor⸗
nen Säulen, und einem schönen Gemählde dazwischen. Ich gieng von da lange eine
Strasse durch, und kam auf den Marckt, welcher schön viereckicht und groß ist, und noch
besser pariren würde, wenn nicht mitten darauf Gebäude stünden. Da sonst alle Gassen
voll höltzerner und rauchicht aussehender Häuser stehen, ist dieser meistens mit neuen stei⸗
nernen Häusern gebauet, an welche viel gewendet worden. Sie sind mit Wand⸗Pfei⸗
lern ziemlich regular angegeben, welche die zwey oberste Geschoß begreiffen, das unterste
aber ist ohne Ordnung. Aber die Stämme dieser Wand⸗Pfeiler so wohl als die Wän⸗
de dazwischen, sind so voll absurden Schnitzwercks, und die Proportionirung und Pro-
filirung der Ordnungen so voller eigensinnigen Capricen daß man Mitleiden mit den
Bau⸗Herrn tragen muß, daß sie sich so kostbare und doch übel ausgeführete Häuser ha⸗
ben anschmieren lassen, die den Durchreisenden, welche die Architectur verstehen, nur ein
Lachen erwecken. Da ich dieses betrachtet hatte, und noch zwey Stunden biß zum Mit⸗
tagmahl übrig waren, gieng ich nach der Citadelle, daß ich sie wenigstens aussen besehen
möchte, und als ich wegen Höhe der Contrescarpe gar nichts recht erkennen konte, stel⸗
lete ich mich dumm, gieng gerade auf das Thor loß, als einer so darinnen zu thun hatte.
Als ich von der Schildwache gefraget wurde, wo ich hin wolte, gab ich zur Antwort ich
sey ein Teutscher Maurer und komme von Pariß da ich die schöne Gebäude besehen. Man
hätte mir aber gesaget, daß so artige Häuser in der Citadelle seyen, die wolte ich nun
gerne besehen. Nachdeme er einen Unter⸗Officier herzugeruffen, bekam ich Permission
unter das Thor nach dem Platz hinein zu gehen, aber ich muste mich nicht lang auffhal⸗
ten, und nicht weit auf dem Platz umlauffen, daß mich der Commendant nicht sehe.
Mit solcher Weise bekam ich doch die Citadelle so weit zu sehen, daß ich weiß, in den
forces d’Europe sey die Citadelle recht gezeichnet, ohne daß ich an der lincken Seite im
hineingehen über die innere Contrescarpe aussen gegen das Feld zu noch ein Werck, als
eine Demilune überragen sahe, welches mir die Muthmassung gab, weil eine Citadelle
doch gegen das Feld zu stärcker seyn müsse, als gegen die Stadt, daß da wohl gantz her⸗
um noch Aussenwercke, und zum wenigsten Raveline zwischen beyden Contrescarpen lie⸗
gen würden. Auch sahe ich an der lincken Seite auf dem Bollwerck einen Cavalier lie⸗
gen, welcher in den forces d’Europe nicht angezeiget ist. Der Graben zwischen beyden
Contrescarpen war nicht mit Stein verkleidet. Aber in den innern Graben so wohl als
an den Aussenwercken waren die Graben aussen revêtiret, die Wercke selbst aber biß an
die Glacis der Brustwehr. Die Tenaille aber ist nicht recht revêtiret gewesen. Der in⸗
nere Platz ist in der That mit Häusern recht zierlich und regular eingetheilet, daß in der
Mitte ein grosser, und noch dazu mit vier Reyhen Bäumen umgebener Platz überbleibet.
Ein wenig rechter Hand sahe ich eine artige Kirche, neben der an jeder Seite ein Hôtel
lage, in deren einem wohl der Gouverneur logiren mochte. Ich begab mich aber meiner
Zusage nach bald wiederum heraus, und gieng in der grossen dreyfachen Allee, welche um
die äussere grosse Esplanade an dem Anfang der Häuser der Stadt lieget, noch ein wenig
auff und nieder, wo ich am wenigsten gesehen wurde, und merckete in meiner Schreib⸗
tafel das gesehene an, da kam ich denn eben zu rechter Zeit in das Logiament. Ehe
nun die Fuhre abgieng, machete ich mich ein wenig voraus durch das Thor wodurch wir
passiren musten, damit ich die Fortification der Stadt daselbst auch noch sehen könte.
Es hieß dieses Thor St. Maurice, und sahe davor gantz anderst aus, als die Zeichnung
in den forces d’Europe ist. Denn in diesem Buch lieget vor der Brücke eine grosse
Demilune mit Flanquen, und an der lincken Seite ist es tieff Land, dadurch ein Wasser
mit vielen Armen fliesset, dabey kein Name stehet, ohnerachtet es von dem Fluß Deulle
gantz unterschieden ist. Sonst könte man da kein Aussenwerck sehen. Ich aber passirete
nur durch eine kleine Demilune ohne Flanquen, sahe aber zur rechten und lincken Hand
Demilunes, und jene war sehr groß oder gar doppelt. Wie ich zur Contrescarpe hin⸗
aus kam, sahe ich kein Wasser weder zur rechten noch zur lincken, hingegen zur lincken
Seite vor der Spitz der Contrescarpe noch ein Aussenwerck als eine flêche. Das Thor⸗
gebäude war an dieser Seite gantz schlecht. Aber die Wercke waren auch alle gantz re-
vêtiret. Wir kamen denselbigen Abend noch in heller Demmerung in die Herberge
nach Courtray. Wie wir hinein fuhren sahe ich, daß die Fortification gantz ruiniret
war, und erinnerte mich, daß sie habe vermög des Rißwyckischen Frieden⸗Schlusses müs⸗
sen demoliret werden, habe auch sonst nichts daselbst gesehen. Ob schon nicht mehr als
acht Stunden Weges von Courtray bis Gent sind, und diese kaum, gieng doch unser
Fuhrwerck so langsam, daß als wir zu Gent wiederum zur Herberge kamen, nicht viel am
Tage mehr übrig hatten. Wenn ich nun einen Grund⸗Riß von dieser Stadt mit allen
Strassen, wie von Pariß gehabt hätte, oder einen Wegweiser, so hätte ich doch etwa noch
mögen etwas zu sehen bekommen haben, weil es in einer so alten, vornehmen und grossen
Stadt an merckwürdigen Gebäuden nicht gantz fehlen kan. So aber habe in diser A⸗
bendZeit mehr nicht gefunden, als Caroli V Denck⸗Säule, welche mir war gerühmet
worden, und das Rath⸗Hauß. Jene ist nichts sonderliches, und bestehet in des Kaysers
Bildnuß in Lebens⸗Grösse passablement gehauen, und gantz verguldet, stehend auf einer
schlechten schwartzen Säule. Das Rath⸗Hauß ist ein grosses ansehliches Gebäude, aber
mit dreyerley gantz unterschiedener Architectur aussen umher verkleidet. Auf einer Sei⸗
te sind drey Reyhen gekuppelter Wand⸗Säulen in jeder vier grosse Säulen⸗Weiten
zwischen fünff Paar Wand⸗Säulen. Die unterste Reyhe ist Dorisch, und sind Binden
oder Bossagen um die Stämme der Säulen. Es lauffen die Bases oder gekuppelten
Säulen in einander, daß also die Frantzosen zu Pariß doch nicht die ersten sind, die lieber
solchen gräulichen Fehler machen, als sich der Dorischen Ordnung enthalten wollen, und
itzo da ihnen schon mehr als zwölff Jahre her gezeiget worden, wie man gekuppelte Do⸗
rische Säulen ohn allen, und vielmehr ohne solche grobe Fehler machen könne, da unter⸗
lassen die Baumeister lieber gar die schöne Ordnung, als daß sie deren rechten und voll⸗
kommenen Gebrauch von einem Mann annehmen solten, der ihre Schwäche und Hand⸗
werckerische Unwissenheit in Büchern so frey entdecket hat. Aber wiederum auf unser
Gentisches Rath⸗Hauß zu kommen, so sind da auch die Dorischen Capitäle verstümmelt,
indeme allezeit auf zwey Capitälen nur ein Abacus oder eine Platte lieget. Ist also
Schade, daß die Antiquitäten zu Gent nicht eben die Autorität haben, als die in dem
alten Rom, sonst hätte Mons. Mansard zu Pariß, den seine Kunst zum Grafen gemachet
hat, etwas, worauff er seine grobe Schnitzer gründen könte. Oben über dieser Dorischen
Ordnung, ist eine Ionische, nach des Vitruvii Manier, und darüber eine Corinthische,
welche Kragsteine in dem Borten hat, wie Serlio in seiner Composita gemachet hat.
Von diesem Stücke der Architectur an, ist die überige gantze Seite Gothisch, aber ge⸗
wiß so wohl und künstlich gearbeitet, als man ein Gebäude finden wird, und um die Ecke
hinum, gehet diese Arbeit noch durch fünff Fenster fort. Hernach kommt noch ein Stuck
von moderner Architectur, welches neunzehen Säulen⸗Weiten, und so viel Fenster be⸗
greiffet, welche gegen der Zeit, da sie gebauet worden, ein fürtrefflich Ansehen hat. Unter
dem zehenden und elfften Fenster stehet die vornehmste Entree mit einer recht wohl dis-
ponirten Frey⸗Treppe. Unweit von dem Rath⸗Hause stehet die Haupt⸗Kirche, welche
einen recht schönen und gar hohen Thurm hat, daran die Manier zu bauen halb Gothisch,
halb modern ist.
Als ich dieses besehen hatte, und nun dunckel wurde, gieng ich über einen Canal,
über eine hoch gewölbete Brücke von einem Bogen, von einer à la moderne gebaueten
faciata einer Kirche vorbey, welche von lauter Quadersteinen gearbeitet war. Ich konte
in der Eyle doch noch so viel daran sehen, daß es keine reine Architectur war. Als ich in
das Logiament kam, fragete ich nach eben derselbigen Route, so meinem Herrn vorge⸗
schrieben ist. Weil sie mir aus den Land⸗Carten auch sehr gut geschienen hatte, nemlich
über Sas van Gent, Axel, Hulst, Sandvliet, Bergen op Zoom, Steenbergen, Willem⸗
statt nach Rotterdam, erführ aber dabey so viel Schwerigkeiten und Zeit⸗Verlust, wel⸗
che ich mit meinem sehr dünne gewordenen Beutel, und mit der zu meiner Reise bestimm⸗
ten Zeit auf keine Weise conciliiren kunte. Derohalben muste ich mich entschliessen nach
Antwerpen fortzureisen, und von da zu Wasser ohne Auffhaltung nach Rotterdam zu ge⸗
hen. Doch will ich meines Herrn Route hier zu verfolgen, aus Merians Topographie
und etwa wenigen anderen Nachrichten anführen, was etwa der Orten möchte remar-
quables zu finden seyn, weil doch solche Bücher nicht allenthalben gleich bey den Handen
sind.
Auf Sas van Gend, (welches so zu sagen der Stadt Gent Seehafen seyn solte,
aber noch itzo in der vereinigten Niederländer Bottmäßigkeit stehet) kömmt man auf
dem Treckscheut durch einen Canal. Vor diesem hat es vor eine vortreffliche Vestung
passiret. Weil aber seit selbiger Zeit her die Art zu attaquiren sich sehr verstärcket hat,
hingegen diese Vestung meines Wissens nicht verstärcket worden, so möchte sie wohl itzi⸗
ger Zeit vor so fest nicht gelten, es müste denn seyn, daß sie sicher könte unter Wasser ge⸗
setzet werden.
Axel ist ein kleines, aber wohl gebauetes Städtgen, nur anderthalben Stunden
vom Sas gelegen auf einer Insul. Es lieget in einem niedrigen Land, und ist nicht dazu
zu kommen als über Dämme, hat acht Bastions von Erde, ohne Aussenwercke, ohne ein
Ravelin so vor dem einigen Thor lieget, da man zu Land hinein kömmet. Anderthalbe
Stunden davon lieget an der See eine noch kleinere Vestung, die den ungemeinen Vor⸗
theil hat, daß sie alle Tage zweymal, wenn die Fluth ist, von der See rings umschwem⸗
met wird, daß sie also Landwarts ordentlich gar nicht kan attaquiret werden. Sie heis⸗
set Ter Neufs.
Nicht gar zwey Stunden von Axel lieget Hulst, eine auch vor sehr fest gehaltene
Stadt in dem Staatischen Flandern, welche rings um mit Schantzen umgeben, deren
theils starck seyn sollen, wenn sie anderst noch wohl unterhalten werden.
Von Hulst biß Sandvliet über die Schelde hinüber, wären zu Lande vier Stun⸗
den Wegs. Aber es ist dazwischen fast alles Land vertruncken. In des Blaeau Atlante
hat man eine schöne Special-Carte von dieser Situation, darinnen die Schelde von Ant⸗
werpen in einem sich mehr und mehr verbreitenden Canal herab kömmt, und sich bey
Sandvliet in zwey grosse Arme die West⸗Schelde oder die Honte, und die Oost⸗Schel⸗
de zertheilet, deren diese bey Bergen op Zoom vorbey fliesset. Es liegen da zwischen
Antwerpen, Sandvliet und Hulst um die Schelde herum biß zwantzig Schantzen. Die⸗
ses Sandvliet ist nun ein gar kleiner Ort, so an der Land⸗Seite fünff Bollwercke hat,
welche an der Seite des vertrunckenen Landes mit einer langen Linie zusammen gehänget
werden, daran noch ein platt Bollwerck lieget.
Von da sind noch drey Stunden, oder etwas mehr bis nach Bergen op Zoom,
das ist an einem kleinen Wässerigen die Som genannt. Dieser Ort soll zwar ziemlich
erbauet und sauber seyn, doch nichts sonderlich sehens⸗würdiges, als seine Fortification
haben, denn da denen Staaten von Holland so viel an diesem Platz, als an einem
Schlüssel zu Braband gelegen, so haben sie ihn auch immerzu nicht nur in gutem Stand
erhalten, sondern auch mehr und mehr verstärcket, und vor Kurtzen sollen sie ihn durch
den berühmten Herrn von Coehoorn vortrefflich haben verstärcken lassen. Insonderheit
bin ich von unterschiedlichen versichert worden, daß die neu angelegte Contrescarpe ihres
gleichen nicht habe, weßwegen ich gerne dahin gekommen wäre, wenn es sich nur hätte
schicken wollen. Es lieget auch die schöne Stadt Middelburg in Seeland, darauff so
wenige Passagierer zu reisen, und die es doch wohl verdienete, nur acht Meilen zur See
davon, und soll nirgends bequemer als von Bergen op Zoom dahin zu reisen seyn.
Nach Steenbergen sind wiederum höchstens zwey Stunden, und ist in diesem
schlechten Städtgen wiederum nichts als die Fortification zu besehen, welche nach der al⸗
ten Holländischen Art sehr gut, aber, wie es heutigs Tags erfordert wird, noch lange nicht
ist, und thut die Situation in einem niedrigen Lande das beste.
Von gleicher Situation oder noch besser erscheinet Willemstatt zu seyn, welche von
Printz Wilhelm von Uranien gantz neu erbauet worden, daher sie gar nett und meistens
regulier so wohl an Gassen, als Fortification seyn soll. Sie wird von sechs Bastionen
begriffen, und nicht gantz auf Holländische, sondern nach Stöffins Manier gebauet seyn.
Auch bat der Printz einen Hoff darinnen vor sich auffrichten lassen. Ob gute Gelegenheit
daselbst sey, recta nach Rotterdam zu kommen, wollen mich die special Land⸗Carten fast
zweiffelhafft machen. Doch fehlet es in diesen Landen weniger als irgendwo, daß man
nach welchem Ort man will, bequemlich genug gelangen kan. Wie aber mein Herr,
sonder Zweiffel doch ermüdet genug in Rotterdamm ankommen wird, also hoffe auch, daß
ich in meiner itzigen sitzenden Reise, ein wenig mich werde zur Ruhe begeben können. Ich
werde mich aber bald mit desto grösseren Fleiß wiederum daran machen, wie ich unausge⸗
setzt nach Vermögen willigst verbleibe
den 22. Januar 1717.
N. N.
[Die Transkription endet auf dieser Seite mit dem Schluss von Brief Nr. XXVI.]