[14] Quelle der Nymphe Egeria in Nemi 1
Wär's wahr, o Nymphe? hätte den Dichter wohl
Vielleicht des Felsquells Lieblichkeit nicht getäuscht,
Du wärst es, ewig fließend Wesen,
Das hier den Verghang hinuntermurmelt,
Du wärst, als Numa, deinen Pompil, der Tod
Zur Schattenwelt entführte, vor Schmerz und Weh
An dieses Hügels Felsenwurzel
Wärest vergangen in Thränenströmen?
Dein hätte sich die taurische Artemis
Erbarmt, dein jammernd Flehen geendet dir?
O dann, du Bergstrom, küss' erfrischend,
Küsse mir, Nymphe, die heißen Lippen.
Aus Treue sterben! Schönster Gedanke du,
Aus unsern Tagen lange hinweggeflohn
Ins Reich der Dichtung, in die Zeiten,
Da ihn die Menschen von Göttern lernten.
Aus Treue sterben! Seliger Knabentraum,
Du Stolz des thatenglühenden Jünglinges,
Du überschwänglich Wort der Liebe,
Grausamer Spott des enttäuschten Pilgers!
Aus Treue sterben! Königsgeliebte du,
Mit Trauer deinem ewig lebend'gen Grab
Nah' ich, dir eine Schuld bekennend:
Höre mich, Sterbende! Nimmer glaubt' ich
An Menschentreue. Wie es so kam, es sei
Vergessen – aber Nymphe, wenn wahr, daß du
Gestorben für Pompil, so laß mich
Artemis hier für den Frevel büßen.
[15]Ich will ja glauben, Göttliche, daß du treu
Dem Freund geblieben; denn von olympischem
Ursprung ist ja dein Herz: der Erde
Kinder nur hab' ich nicht treu gefunden.
An deinem Felsen, einsamer alter Hain,
Hier, wo Orest einst mit Iphigenien
Der taur'schen Göttin Bild geflüchtet,
Schau' ich hinab zum Dianenspiegel,
Und schau' und fleh' und weine, bis mich die Huld
Der Göttin einmal plötzlich zerfließen läßt,
Und ich für meinen Glauben sterbe: –
Treu sind die Himmlischen, nicht die Menschen.