[4] Motto
Und allegorisch, wie die Lumpen sind,
Sie werden nur um desto mehr behagen.
Goethe, Faust,
der Tragödie zweiter Teil
[4]Und allegorisch, wie die Lumpen sind,
Sie werden nur um desto mehr behagen.
Goethe, Faust,
der Tragödie zweiter Teil
[4]Der Homunculus, das von meinem früheren Famulus Wagner, nachher Professor, auf chemischem Wege verfertigte Menschlein, ist einerseits die geistlose Gelehrsamkeit, welche Schätze des Wissens zwar sammelt, aber nicht in lebendigen, geistigen Besitz zu verwandeln weiß, andererseits aber ebensosehr das besonnene, in selbstbewußter Kraft ahnungsvoll nach dem idealen Schönen hingerichtete Streben, also die sich selbst übertreffende Gelehrsamkeit, die Liebe zum Schönen, die dem Menschen voranleuchten muß, wenn er das Land der Schönheit suchen und finden soll; übrigens, da er an Galateas Muschelwagen zerschellt und als flüssiges Feuer –
Ja gut, zuerst folgt noch der Rest der ersteren, längeren Definition: Der Homunculus ist nämlich außerdem, daß er einerseits die trockene Gelehrsamkeit, andrerseits die Liebe zum ideal Schönen ist, zugleich eine äußerst tiefsinnige Anspielung auf den Vulkanismus. Indem er nämlich am Muschelwagen der Galatea –
Spannende stille Tätigkeit unter Beihilfe der Mütter. Mephistopheles zieht eine Büchse aus der Tasche und gießt etwas Flüssiges in die Puppe.
Den Klebestoff, den zähen Teufelsleim,
Aus höllischem Drachenfett gekochten Seim,
[49] Gieß ich nunmehr aus dieser Büchse
Zu festrem Halt ins Lumpenwerk hinein.
Hocus pocus!
Pocus hocus!
In nomine horum
Et harum
Sanctorum,
Sanctarum!
Ung
Lung
Ickelung
Wickelung
Twickelung
Entwickelung
Twickelung
Wickelung
Ickelung
Lung
Ung.
Ung!
Durchlauchtigster, Allergnädigster Herr Stiefelknecht!
Indem ich nämlich der weiland Landsknecht-Korporal Valentin, jetzo bürgerlicher, halbgeläuterter Brauerei- und Wirtschaftseigentümer am Vorhimmel bin und indem bei mir die müden und durstigen Himmelspilger einzukehren pflegen und Labung finden, indem mein Bier nicht schlecht ist und indem ich ferner den hier anwesenden Doktor Faust, obwohlen derselbe mich vorzeiten umgebracht, in allerlei Proben und Nöten begleitet und geschützet, ihn auch auf Ordre kürzlich einigermaßen geknetet habe, indem ich aber – sintemal – indem es mir aber hier ganz oben – Leis zu Bärbelchen. Weib, hilf, ich bleibe stecken!
Hab's. Laut. Und indem es mir hier ganz oben sozusagen zu wenig gehopft, auch zu wenig gemalzt aussieht, oder indem hier sozusagen zu wenig vorkommt und aber in meiner Wirtsstube mehr vorkommt, so – so geht mein untertänigstes Gesuch dahin, daß mich Eure Durchlaucht in Gnaden entlassen und –
Und mir nebst meinem ehrsamen Eheweib Barbara erlauben mögen, in meine obbenannten Verhältnisse zurückzukehren. – Er trocknet sich den Schweiß ab.
I
A
Ia
A
I.
Gern, gern, doch taugt des Reimes heitres Rosa
Nicht wohl zum strengen Werk, es fordert Prosa.
[145] Die Form zu wechseln, wie auch Shakespeare tut,
Gibt eben er, der große, mir den Mut!
Goethe sei mit uns! – Verehrte in ihm, im Meister! Mitgestorbene, Mitaufgelöste in ihm! Welches Wunderbare an uns herangetreten, als wir selig gestorben in unsrem Beruf, himmelsreisebereit in jener germanischen Stadt, der Pflegerin alles Idealen, uns zusammenfanden – ihr wißt es. Wir finden des Schauspielhauses Pforten umdrängt, umstürmt, wir lesen auf errafftem Theaterzettel den Namen einer neuen dramatischen Schöpfung, der unser tiefstes Interesse erregt, mit unsern verdünnten, schon halb verklärten Körpern finden wir unschwer Platz im überfüllten Hause, und von Staunen starr, phrenetisch entzückt schauen, schauen, hören wir. Das schriftfertige Mitglied unsrer Gemeinde, Herr Brösamle, stenographiert. Am andern Tag wird unsere Himmelsreise fortgesetzt, wir machen Rast in schattigem Buchwaldgrund, ich fixiere mir mit Geistesflug eine Reihe von Fragen, von riesigen Forsch- und Denkaufgaben, die aus dem ungeheuren, Unendliches im Schoß bergenden Ganzen jedem feineren Geist entgegenquellen, und wir beschließen, nicht unkundig der Gebirgsreise-Unterkunft, der cantionera am Himmelsrande, die uns augenblicklich beherbergt, hier etwas längere Rast zu machen und diese Fragenkolonne zu einer ersten näheren Prüfung uns vorzulegen. Wer mag der unermeßlich Hohe, abgründlich Tiefe, der einzig auserkorene Erbe des Goethegeistes sein, der unter den sinnspritzend, symbolstrotzend klangreichen vier Namen als Verfasser sich verbirgt?
Ich habe hierüber bereits nachgedacht: vier Namen, der eine deutsche, der zweite italienisch, der dritte serbisch oder illyrisch, der vierte polnisch –
– Wer dieser echte Erbe des Goethegeistes in seinem höchsten Reifestand? Dies allerdings eine Frage, die ich – da doch Herr Scharrer schwerlich schon die ganze Beantwortung gefunden haben wird – unsern gesamten Herrn Stoffhubern dringend ans Herz lege. Nun aber, welche Welt von lösungsbedürftigen Rätseln liegt vor uns! Noch ist der erste und zweite Teil der ewigen, allumfassenden Goethe-Schöpfung lange nicht völlig erschöpfend kommentiert, und nun wächst dieser neue Wald von Fragezeichen uns zu, schüttet sich dies neue Rätselfüllhorn vor uns aus! – Nicht wenig zwar ist geschehen in Entzifferung der zwei Teile des unsterblichen Nichtpseudonymen. Unsere Sinnhuber, um diese zunächst zu nennen, haben Großes geleistet. Einiges nur aus den schon gehäuften Schätzen kann ich nicht umhin zu erwähnen. Ideenperlen sind gefischt wie folgende. Einer unsrer Köpfe, Schüler des großen Philosophen Crispus, hat die Welt belehrt, daß, wenn Faust unruhig im Sessel sich herumwirft, dies bedeutet: er oszilliert wie die ihren Pol suchende Nadel; der Pudel ist die personifizierte Sinnlichkeit, der niedre, das Geistige störende Trieb; das Pentagramma die irdische Hülle des Menschen, die Ratte, die es zernagt, das den leiblichen Menschen zerstörende Prinzip; die Hexenküche ist das Bild des Unsinns in der deutschen Literatur zur Zeit, da sie geschrieben wurde, Helena im Spiegel das Ideal des natürlich Schönen, wie es Faust nachher in Gretchen verwirklicht sieht; mit Grund darf man vermuten, die Saufbrüder in Auerbachs Keller seien ein Bild der zweiten schlesischen Dichterschule und ihrer wilden Sinnlichkeit; die Geschichte mit Gretchen – es scheint zwar, als ob sie keine Allegorie sei, allein es scheint auch nur so: [147] die Kunst des Dichters hat hier fast sich selbst übertroffen, indem sie uns eine Allegorie so hinstellt, daß wir sie kaum für eine solche, weit eher für eine wirkliche Geschichte halten möchten: was sie eigentlich enthält, das sind die Bestrebungen Goethes als Dichter in seiner ersten Periode; speziell das Geschmeidekästchen bedeutet seine ersten Dichterleistungen, insbesondre Werthers Leiden. Gretchen ist überhaupt das einfach Schöne, einfach Wahre und Gute, nach welchem der jugendliche Dichter rang; ihr Fall besagt, daß solches durch das Unvollkommene, Unreine befleckt wird, welches so weit geht, daß Valentin, der Repräsentant der sittlichen Kraft und Würde, getötet wird. Dieser ausgezeichnete Sinnhuber ist es auch, der entdeckt hat, was in dem Verse »Der Frühling webt schon in den Birken, und auch die Fichte fühlt ihn schon« für eine Anspielung steckt! Das bezieht sich auf die satirische Schrift des Philosophen Fichte gegen Nicolai: Friedr. Nicolais Leben und sonderbare Meinungen etc. Nicht minder leuchtende Aufhellung verdankt diesem Geiste der zweite Teil des Dramas; führe ich nur an, daß er im Kaiser des ersten Akts den europäischen Menschheitsgeist, in Philemon und Baucis nebst ihrem Gütchen das Gebiet der reinen Religion mit ihrer freien Aussicht ins Unendliche erkannt hat, so läßt sich genügend erschließen, was derselbe zur Hebung der sinnig halb verborgnen Schätze noch alles geleistet.
Die Verdienste der Schule des Philosophen Hamulus um unsre Dichtung – ihr kennt sie; könnt ihr vergessen haben, was sein Schüler Boccula geleistet hat, dieser elektrische Kopf, dem bei allem alles einfällt, der rechte Mann, der Welt aufzuweisen, daß Goethes Faust überhaupt alles enthält – das letzte Ergebnis des sich in der Zeit entwickelnden Weltgeistes, der ungeheuren Arbeit der Weltgeschichte, das Resultat der Wissenschaft überhaupt? Soll ich noch Geistesblicke von ihm anführen wie den, daß, wenn Mephistopheles auf dem Blocksberg zu [148] Faust sagt: »du mußt des Felsens alte Rippen packen«, unter dem Fels der dogmatisch derbe und sichere Wortverstand gemeint ist, daß der Schlüsselbund, womit Faust Gretchens Kerker öffnet, die falsche Selbsthilfe moralischer und intellektueller Kraft, das Nachtlämpchen, das er mitbringt, die seichte Verstandesaufklärung, den matten, düsteren Schein vereinzelter Vernunft bedeutet, womit sie im Lichte zu wandeln meint? O dieser, hätte er den zweiten Teil, geschweige diesen wundervollen dritten erlebt, welche Ideenschatzkammer hätte er aufgetan gesehen und wie hätte er die Schätze gehoben?
Um noch andere Kleinode spekulativer Entdeckung nur flüchtig vor unsern Augen noch einmal aufschimmern zu lassen, erinnre ich, wie der scharf- und tiefsinnige Albus nachgewiesen hat, daß Fausts Schritt zum Selbstmord, unnatürlich, wenn buchstäblich verstanden, nur den sittlichen Selbstmord, die geistige Selbstvernichtung bedeuten könne, welche im Abfall zum Bösen, in der Empörung gegen Gott liege; daß das Gift in der Phiole demnach die sublimierte Natur des Bösen versinnbildliche, ferner –
Ich will, darf, muß sagen – der Ofen in Fausts Zimmer wohl nicht geheizt, weil lauer Ostertag – bedeutet – (meine Entdeckung) –: den Mangel an innerer Wärme, denn –
Ja, um Gottes willen – fortfahren lassen! Hat doch von den Verdiensten der Stoffhuber unser Herr Präsident noch kein Wort gesagt –
Wer sind Sie? Sind Sie tot oder nicht? Mir scheint, Sie leben noch, nur Tote, dem Endlichen Abgestorbene haben Zutritt in dieser Gesellschaft –
WEDGE. What? What? But – aber meine großen discoveries – nur um sogleich dies eine – wenn wir im zweiten Teil überall unter Wasser oder See die Religion verstehen – what a sublimity – welche Erhabenheit leiht dies dem fünften Akt! With what a mysterious light beleuchtet dies die ganze Tragödie! Überhaupt –
WEDGE. Goddam, I'll speak, speak! Die Welt soll wissen –: Goethes Faust enthält die deutsche Kulturgeschichte – development of German culture – dunkles Mittelalter im ersten Teil, im zweiten Fortschritt zum Humanismus im Kampf mit Aberglauben, Despotismus – nur verhüllt, weil der große Dichter befürchten mußte, daß wider ihn aufstehen – would have roused – die Regierungen, der Klerus, die Presse, ja das Volk selbst –
Da ist die ganze materielle Welt nur Sinnbild der intellektuellen; Dunkel gleich: Unwissenheit; Licht, Sonne: gleich Quelle alles intellektuellen Lebens, dagegen Mond: Kirchenherrschaft, Mittelalter; Luft gleich: Ideal; Dünste gleich: edlen Gefühlen; Wolken gleich: deren Häufung, Verbindung und Mannigfaltigkeit; Feuer gleich: Aufklärung; [150] Erde gleich: practical Element; Wasser oder See: ich wiederhole, gleich Religion; Feld: gleich strenger Verstand; Kohle: gleich verbrannte Kulturideen früherer Zeitalter; Holzkohle spezieller gleich: künstliche Verbrennung der Naturkultur; Metalle gleich: Tugenden; unter den Planeten ist Merkur gleich dem Prinzip der Diplomatie, Venus gleich dem Ideal der Courtoisie, Grazie, Zeremonie –
WEDGE. Alas! I have ja noch lange nicht die ganze inorganic nature – nicht die vegetables – nicht die animals – z.B. the domestic sow – die Haussau: Bild von Aberglauben, verächtlichen, schmutzigen Gedanken, horses Rosse: die unverständigen Menschenklassen, Landleute, Arbeiter, auch Bürger, die sich von verständigen Menschen satteln und reiten lassen; – dann aber men – Menschen: Faust the ideal spirit, der ideale Geist Deutschlands, Kaiser: der practical spirit of the German people, – Geisterwesen: die Mütter – ihre Bedeutung klar: die geheim gehaltene, noch unentsiegelte Bibel, – der Schlüssel: die humanistische Aufklärung, – Fausts stürmischer Ausbruch im Anblick der heraufbeschwornen Helena: der Kampf um die Volksrechte im Bauernkrieg, – das ewig Weibliche: das Schöne und Gute in aller Philosophie – – –
Oberflächlich! sage ich. Wer ich bin, gehört nicht zur Sache. Sie denken bei der Fausterklärung zu wenig an Kant. Faust kann nichts anderes sein als – das ist logische Notwendigkeit – als: der irregehende, nämlich spekulative oder das übersinnliche begreifen wollende Verstand, der den rechten Weg erst betritt, [151] wenn er sich zur Tat wendet. Haben Sie denn z.B. übersehen, was von den zwölf Kategorien vorkommt? Valentin ist ja natürlich der gesunde, im Felde der Erfahrung gültige Verstand. Ihm dienen zur Verarbeitung aller Sinneseindrücke die Verstandesbegriffe, d.h. die Kategorien, deren zwölf sind. Nun bewundert! Sagt Valentin nicht in v. 3385 und 3386: »Und wenn dich erst ein Dutzend hat, so hat dich auch die ganze Stadt«?
Und wäre eine Welt wider mich, ich rede, weil ich reden muß! Ich greife – da euch die Geduld fehlt, zusammenhängend zu hören – ins volle und sage nur: der Elefant ist der positive Beweis, der alles niederstampft, das Nilpferd jedoch der falsche Beweis. Gretchen ist die Naivetät, deren Mutter das Unbewußte, die drei Tropfen, die diese töten, sind das Ichbewußtsein – Ich bin ich –
Szene in Auerbachs Keller: die Jugend, Hexen und Hexenküche: das Alter, Walpurgisnacht: der Wahn, der Kaiser: der Schein, Helena: die Illusion –
Die Mütter sind der Urgrund alles Geschaffenen, nämlich das Nichts; klassische Walpurgisnacht – nur so viel in Eile: die Ameisen sind die Kompilatoren, die Gnomen: die Irrtümer, die Greifen: die Diktionäre, – Euphorion ist der Wunsch, Philemon, Baucis und der Wanderer sind die Legende, die Sage, die Tradition, – die seligen Knaben sind die transzendentalen Ideen, Seraphicus ist die transzendentale Ästhetik, seine zwei Augen: Raum und Zeit, die Engel sind die transzendentale Logik, – alles im Sinne Kants, das ewig Weibliche ist die Vernunft –
Meine Herrn, endlich, nachdem die Ruhe hergestellt ist, fahre ich fort. Diese ungestümen Eindringlinge, sie haben unsern verdienstvollen Herrn Sinnhubern ungebührlich in ihre Geistarbeit gepfuscht. So geistreich wie diese sind wir auch, wir brauchen keine Hilfe. Wir wissen ja auch nicht einmal, ob sie nicht noch am Leben sind, also doppelt unberufen sich hier eingedrängt haben. Wären Lebende hier zugelassen, würden wir so manchen Würdigeren wählen und einladen; als wir abgingen, lebte z.B. noch jener feine Kopf, der aufgestellt hat, der zweite Teil Faust gleiche an Tiefe, an eigenem, aus immer neuer Erwartung und Täuschung entspringendem Reize Hegels Phänomenologie: – Sie lieben auch die Übertreibung, jene zwei glücklich Beseitigten. Man kann zwar in Sinndeutung nicht leicht zuviel tun; jene Fremdlinge aber tun zuviel. Es muß etwas schon sehr zuviel sein, wenn es uns zuviel ist. Allzu ist allzu. Wir wissen bei alledem, wie viele Rätsel des Weltgedichts noch nicht gelöst sind; dies jedoch ist unsere Arbeit, Unberufene sollen uns nichts vorwegnehmen! – Doch es ist hohe Zeit, auch der Verdienste unserer Herrn Stoffhuber zu gedenken, freilich, um auch da nur zu betonen, wieviel noch zu tun bleibt. Für das bereits Geleistete genügen vollständig Beispiele wie die, daß aufgehellt ist das wunderbarliche Wort Kribskrabs (der Imagination), daß gelöst ist das Rätsel des Namens Urian (Urian sitzt obenauf), daß aufgegabelt ist der Aufsatz von Fernow, woraus sich die dunkeln Worte erläutern: »Und von dem ganzen Hexenheer sind zweie nur gepudert«; doch »zweie« – was dies heißen soll, liegt noch im dunkeln; so auch, wie eben zugestanden, noch manches andere; noch weiß die Welt nicht genau, wer [154] der Servibilis ist, was besagen soll die Hexenstimme: »Wir waschen, und blank sind wir ganz und gar« etc., noch ist nicht erkannt, wer eigentlich unter dem alten General, dem Minister, dem Parvenü am Feuer zu verstehen ist, – ich nenne nicht weiter einzelnes, sage nur: die Studien über die Zeit der Entstehung jedes Teils der Tragödie in höchsten Ehren, aber noch ist nicht erforscht Jahr, Monat, Tag, Stunde, Viertelstunde der Entstehung jeder einzelnen Zeile; wir wissen, daß bei Gretchen an die gewisse Wirtstochter von Bockenheim, dann auch an Friedrike von Sesenheim, wir wissen dagegen noch nicht, an welche wirkliche Personen bei den Bürgern vor dem Tor, bei Frau Schwertlein, bei Valentin, dann – ich nenne vom zweiten Teil in der Eile nur diese – bei Helena, bei dem Homunculus zu denken ist, denn allegorischer Sinn schließt spezielle Anlehnung nicht aus. Wie könnte ich darum vergessen, was Ungeheures im übrigen unsere Herrn Stoffhuber für den zweiten Teil geleistet haben –
Ja, das dürfen wir sagen, die Finger bluten uns noch vom Nachschlagen, Umblättern in ganzen Bergen von Literatur! Nur nebenher sei erwähnt, daß wir eben jetzt mit Feuereifer nach dem Namen Schwertlein in den Frankfurter Kirchenbüchern stöbern. Aber erst Stücke wie die klassische Walpurgisnacht, was hat sie uns –
Das führt mich wieder auf unsere verehrten Sinnhuber! An die zwanzig Deutungen liegen vom Homunculus vor – welche ist die wahre? oder – sind alle wahr?
Genug! genug! Unendlich, ja unendlich ist noch die Aufgabe! Und jetzt, jetzt angesichts dieser Unendlichkeit eine neue! Dieser zentrale Feuerherd von Mystik, dieser dritte Teil!
Ich habe also, wie die verehrten Herrn schon wissen, mir ein erstes, nur ganz vorläufiges Verzeichnis von Aufgaben, die uns erwachsen, eilig entworfen, nach Nummern aufgereiht und lese es Ihnen vor – gewiß nicht zu augenblicklicher Lösung – wie unsinnig wäre solch Verlangen! – nein, nur zum Zweck ungefähren Einblicks in die ungeheure Überfülle, das Milliardengewimmel der aufquellenden, aufzuckenden Fragen, welche uns, gehäuft mit den noch ungelösten alten, eine Ewigkeit zu beschäftigen geeignet sind. Ich lese Ihnen diese Liste vor, nur zum eben genannten Zweck, bitte daher, und zwar hier besonders inständig, mich nicht unterbrechen zu wollen. Jenseits ist ja genug Zeit, da kann jeder von den verehrten Herrn bequemlich seine Ideen, seine Entdeckungen vortragen.
1. Zum ersten Aufzug
a) Was bedeutet Lieschen als Genossin Fausts wie als weiblicher Chorus des Dramas?
b) Was ist Faust in diesem neuen Stadium?
c) Seine Kost betreffend, was bedeuten die Heuschrecken und –
d) zu den verschiedenen neuen Versuchungen im ersten Stadium des betreffenden Stadiums! Die lockenden Speisen, die das Geisterkonzert des Mephistopheles vorspiegelt, die Getränke können doch nicht sich selbst bedeuten! Müssen Sinnbilder für verschiedene Formen feiner geistigsinnlicher Lockungen sein – so die Gans, der Hering –
– Nur eine kurze Zwischenbemerkung: es hieß – das ist mir genau im Gedächtnis – nicht Hering, sondern Harung – altertümlich – erinnert schön an das gleich altertümliche abe bei Goethe in »abestürzt« –
Nun ja, aber weiter! weiter! Der Salat – ich mache auf das naheliegend Symbolische in Öl und Essig aufmerksam –, dann die Schinken, Zungen, Würste –
Oh, nur ein Wort zu: Würste! – Nebenher: Zungen – klar: die Sprachen – Aber Würste – sollte nicht – nach bekanntem Studentenausdruck – Andeutung des Wursthaften bloß philologischer –
Unser Wirt, wie die Herrn vorhin bemerkt haben werden, unterscheidet zwei Sorten Tiroler: der feinere: Spezial – Sollte dies – nämlich sonst. Superintendent – nicht etwa auf den gutbestellten Keller eines –
Ferner, ferner
e) das nahe Unterliegen Fausts, das Eingreifen Valentins – was bedeutet überhaupt in dieser neuen Handlung Valentin? – Das Sturzbad, die Malzschaufel, durch sie der Sieg über Mephistopheles –, das Hinauswerfen desselben, und zwar besonders der schnellende Ruck, womit es geschieht. – Weiter dann
f) die Prüfungen Fausts in der Schule durch die seligen Knaben – wer sind diese?
In dieser Beziehung ist unsrem geknebelten Steinzänger doch Unrecht geschehen; ich nehme seine geniale Deutung auf: die seligen Knaben sind die transzendentalen Ideen –
– Faust wünscht ja am Schluß, daß ihnen die Hosen gespannt werden; wie kann man transzendentalen Ideen die Hosen spannen? Sollte nicht eine Beziehung auf Charlottens von Stein kleinen Fritz –
Zu untersuchen vor allem, ob zu der Zeit, da Goethe die Walpurgisnacht schrieb, und zur Zeit, da mutmaßlich diese Szene des dritten Teils entstand, viele Maienkäfer –
Ich überspringe wichtige Fragen, wie die, was nach schwierigem Siege die verbesserte Kost bedeute, eile also zum zweiten Akt, zu dessen erstem Auftritt, bemerke zu den Müttern nur flüchtig, daß meines Wissens noch von keinem Erklärer die Nornen der skandinavischen Mythologie beigezogen sind, und gebe zwei der wichtigsten Punkte mit besonderem Nachdruck künftigem – bitte, nurkünftigem – Nachdenken hin: den Schlüssel, welchen der unbekannte, mystisch pseudonyme Dichter aus Goethe herübernimmt, und Mephistopheles als Kaminfeger –
Oh, nur ein paar Worte! Der Schlüssel wurde von unsern Herrn Sinnhubern längst, und wohl richtig, als die Philologie gedeutet, die das tiefere Eindringen in das Altertum zwar nur anbahnt, doch, im Fortschritt sich vertiefend – daher leuchtend – wirklich vermittelt; es ist ihre Feinheit, ihr Spürsinn, ihr Pfiff – daher pfeift Faust auf dem Schlüssel, so legt sich anmutig das Wortspiel nahe: Philologie – Pfiffologie –
Au! Kalauer! Der Schlüssel ist nach andern, und gewiß einfach richtig, das Symbol des Priestertums, der Weisheit, welche die Pforten der Erkenntnis und das Wesen der Dinge eröffnet.
Der Schlüssel muß mit dem Kaminfeger zusammengenommen werden. Setzen wir dafür das gleichbedeutende Essenkehrer – esse – Sein – und kehren oder fegen – die äußerste, tiefste Abstraktion, die alles (sinnliche) Sein wegfegt, ausscheidet –
Ach, nur noch die paar Worte – solche Ideen kann man ja nicht zurückhalten –: zur reinen Abstraktion gelangt man durch Schlußreihen – Schluß – Schlüssel –
Pah! Bei der Philologie bleibt's! Noch ein Beweis! der Schlüssel ist rostig – Rost, Christi an, Friedrich, berühmter Grammatiker und Lexikograph, Professor am Gymnasium zu Gotha, dann Oberschulrat und Direktor –
Ich frage noch einmal, ob Sie mich beleidigen wollen? Ich wüßte noch eine andere Erklärung zu: rostig – rusticus – rustik –
Sie belieben gröber zu werden als ich! Ich begnüge mich, ihnen zum Bewußtsein zu bringen: Sie haben noch eine andere abgeschmackte Bemerkung vorgebracht, nämlich zu den Maienkäfern, als ob es sich da um eigentliche Maienkäfer handle. Diese sind übrigens auch nicht, wie Herr Deuterke meinte, die Gelehrtengrillen, sondern die krabblich gereizten Nerven eines gequälten Schulmanns –
Hat Ihnen mein Freund Scharrer richtig oder unrichtig zu bedenken gegeben, ob man transzendentalen Ideen die Hosen spannen könne? Ja, Hosenspanne –
[160]Uns ist kein Knoten zu verwickelt! Auf, meine Herrn! An die Arbeit! Fortfahren! Weiter auslegen! Auf Kant zurück – –