[269] Pisa
Von frühester Kindheit
Stieg bei deinem Namen, altes Pisa,
Auch Ungolinos Schreckgestalt vor mir auf,
Die Entsetzens-Gruppe des Vaters mit den Kindern,
Im finstern einsamen Hungerthurme,
Wie Gerstenberg uns mit unbegreiflicher Stärke,
Und übermenschlicher Kraft und Fassung,
Die Scenen des Grauens geschildert hat.
Aber längst ist Straße wie Thurm vernichtet,
Und der Raum der Unthat genommen,
Die einst den Fluch auf Pisa herabrief,
Und Dantes scheltend ernstes Wort.
Dafür besuch' ich den Kirchhof nun,
Und an den hohen Wänden der edeln Halle
[270]Leuchten mir Benozzo's Lebensbilder
In lachenden Farben, in muntrer Tracht,
In bedeutsamen Mienen, und mit heiterm Sinn entgegen.
Der Mystik der ältern Welt gegenüber,
Dem finstern ernsten Sinn der Vorzeit
Sind hier die Geschichten des alten Bundes
In wahre menschliche Comödie verwandelt.
Auch heitre Lust spricht ernsten Sinn aus,
Und des Lebens Glanz
Von diesen Wänden auf den Todten-Acker strahlend,
Tröstet sie mit heiligen Scherz die Verwesung;
Und die alte fromme Sage,
Weil sie kindlich und menschlich ist,
Erträgt des edeln Künstlers Laun' und Muthwill,
Und lächelt sich selbst an wohlgefällig.
Dein wunderbares Bild, Orgagna,
Ueberrascht mich, so sehr ich es zu kennen glaubte.
[271]Diese Figur des Todes,
Nicht Mann, nicht Weib, nicht alt, nicht jung,
Fliegend, blaß, entstellt, im schweren Gewand, –
Warum nicht ward sie festgehalten,
Und statt des unbedeutenden Gerippes,
In neue Formen von Bildnern gesetzt?
Ich trete wieder zur Straße hinaus,
Und vor mir neigt sich der schiefe Thurm,
Als wollt' er die Reisenden grüßen oder höhnen.