164.

Was Hund, Pferd und einige Vögel von Natur können, muß der Mensch sich erst aneignen; nur ganz ausnahmsweise ist es ihm angeboren. Der Mensch wird spuksichtig, wenn er einem Hunde, einem Pferde in dem Augenblicke, wo das Tier Spuk sieht, oder (Holle) dem Pferde, wenn es vor einem Leichenwagen geht, von hinten her zwischen die Ohren durchblickt, oder (Jeverl.) wenn er überhaupt einem Hunde über das linke Ohr, aber in der Mitternachtsstunde, wegsieht, oder (Schwei) wenn er dem spuksehenden Hunde von hintenher zwischen die Ohren hindurch sieht, und ihn zugleich auf den Schwanz tritt, oder (Holle) einem spuksehenden Hunde zwischen die Vorderpfoten durchsieht, oder (Oldenbg.) wenn er auf den heulenden Hund schießt. Ferner wenn er durch die Augenlöcher eines gefundenen Todenkopfes sieht (Oldenbg.), wenn er beim Auswerfen eines Grabes ein Stück von einem Sarge, in welchem ein Nagel gesessen hat, findet und durch das Nagelloch sieht (Stedgn.), wenn er einem Leichenzuge durch eine Türritze nachsieht (Cloppenbg.). Von Menschen endlich lernt es der Mensch, wenn er einem, der Spuk sehen kann, mit dem linken auf den rechten Fuß tritt und ihm über die linke Schulter wegsieht – oder umgekehrt. Für einen einzelnen Fall soll man spuksichtig werden, wenn man einem heulenden Hunde zwischen die Ohren durchsieht, aber sofort wie man genug gesehen hat, aufhört und gewisse Worte spricht und mit gewissen Bewegungen [170] begleitet (Cloppenbg.). Einige behaupten (z.B. im Amte Wildeshausen), das zwischen die Ohren-Durchsehen müsse nicht bei einem Hunde, sondern bei einer Hündin geschehen.

a.

Ein Mann auf der Osternburg, der Spuk sehen mußte, hatte immer einen Traum, als ob er einer Leiche folgen müsse, wenn ein Leichenzug im Vorspuk sich zeigte. Darum stand er auf und ging hinaus. Er hatte die Gabe erhalten, weil er einen Hund tot geschossen, der den Tod seines Vaters durch Heulen angekündet hatte.

b.

Vor vielen Jahren lebte zu Rodenkirchen ein alter Totengräber, der immer vorher sah und auch offen aussprach, wann ein Leichenzug bevorstand und woher er kommen mußte. Der Hauptprediger, gleichfalls ein alter Mann, war schwankend, ob dem Totengräber wirklich eine besondere Kraft vorherzusehen beiwohne, und fragte denselben, ob er solchen Vorgang wohl auch zu sehen bekommen könne. Der Totengräber bejahte dies und versprach, dem Prediger Bescheid zu geben, wenn wieder ein Leichenzug vorspuke. Bald darauf rief eines Tages der Totengräber den Prediger vom Mittagstisch heraus und sagte ihm, er möge sich hinter ihn stellen und ihm über die linke Schulter weg nach Mittenfelde sehen. Der Prediger tat dies und erblickte einen Leichenwagen, der mit vier Pferden bespannt von Mittenfelde kam und dem viele Wagen folgten. Nahe bei Rodenkirchen hielt der Wagen eine Weile stille. Dem Prediger war bekannt, daß zu der Zeit die wenigen Bewohner von Mittenfelde sämtlich gesund waren. Aber schon nach acht Tagen vernahm er, daß ein Landmann zu Mittenfelde gestorben war, und die Beerdigung desselben fand genau so statt, wie er es vorher gesehen hatte. Voran der Leichenwagen mit vier Pferden, dann genau so viel folgende Wagen, wie er früher gezählt hatte, und selbst das auffallende Haltmachen der Wagen nahe vor Rodenkirchen trat ein: bei dem schlechten Wege war ein Führer des Leichenwagens mit einem Beine unter den Wagen geraten.


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TextGrid Repository (2012). Strackerjan, Ludwig. 164. [Was Hund, Pferd und einige Vögel von Natur können, muß der Mensch]. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-37C1-4