246.

An verschiedenen Orten, insbesondere in Heidegegenden, werden Flurstücke gezeigt, wo »die letzten Heiden« gewohnt haben. Es handelt sich um Zigeuner oder zigeunerähnliche Leute (Scherenschleifer), vom Volke Heiden, Tatern, [448] Hohnerkutten (im Süden) genannt, welche einsam in der Heide, weit ab von den Wohnungen der Bauern, in Hütten im 18. Jahrhundert und darüber hinaus ihr Dasein fristeten. Sie waren menschenscheu, ließen ihre Kinder nicht taufen (daher Heiden genannt), pflegten heidnische Gebräuche, säeten nicht, spannen nicht und wurden doch satt. Ihre Tätigkeit bestand in Räubereien, Betteln, Wahrsagen (113 u. b.), Bereitung von Zaubertränken, Heilmitteln u. dergl. mehr. Das Volk mied sie und sie mieden das Volk. Die Frauen und Töchter der Heiden galten allgemein als Hexen, je hübscher von Gestalt sie waren, für desto gefährlicher wurden sie angesehen. Manche Hexengeschichte im vorhergehenden Abschnitte ist auf sie zurückzuführen. (Vgl. 210 ff.) Wer da glaubte, die Heiden aufsuchen zu müssen, um Hülfe zu bekommen in Krankheitsfällen oder falls ihm sonst was angetan war, benutzte das Dunkel der Nacht, um nicht in Verdacht zu kommen, mit Teufelsverbündeten in Verbindung zu stehen. Der Name Tatern findet sich noch verschiedentlich in Flurnamen (vergl. 220s.); bei Einen im Ksp. Goldenstedt heißt eine Parzelle »Tatern Beddestäe« (Bettstelle). In der Nähe am Abhange des Einer Esches wurde vor einigen Jahren eine Gräberreihe aufgedeckt (Jahrbuch 1907). Im Tannenkamp bei Vechta wird eine Stelle gezeigt, wo »Heiden« begraben seien. Ein »Taternkirchhof« befindet sich bei Westerburg. Tatergänge gibt es in Jever und Varel. Ein Taterpadd bei Salzendeich 565c, 220s.

a.

Gegenüber dem Zeller Giese genannt Segler in Drantum (K. Emstek) liegt an der Chaussee der Heidenkamp, früher mit Bäumen besetzt. In diesem Holze hausten vor alters Heiden. Katzen- und Krähenfleisch bildeten ihre Nahrung; sie verzehrten dasselbe roh oder blos am Feuer gebraten. Neugeborene Kinder, welche sie nicht aufziehen wollten, ertränkten sie (553b), alte oder schwache Leute wurden lebendig begraben (554c). Wenn ein alter Heidenmensch lebendig begraben werden sollte, mochte es Mann oder Frau sein, so gab man ihm eine Pfeife zum rauchen, führte ihn rückwärts zur Grube, stieß ihn hinein und erhob sofort ein fürchterliches Geschrei:


Krup unner, krup unner,
de Welt is di gram,
du kannst nimmer läwen,
du mußt'r nu an.

[449] Auf dem Heidenkamp in Drantum lebte zuletzt nur noch eine Mutter mit 2 Töchtern. Die Frauen konnten nicht gut Kälte ertragen, und als es ihnen einst draußen zu kalt wurde, erwirkten sie sich Unterkunft in Grobmeyers Backs (Backhaus). Das Fehlen eines männlichen Beschützers muß ihnen auf die Dauer nicht behagt haben, sie beschlossen nämlich fortzuziehen. Die Mutter war alt und nicht mehr reisefähig. Die beiden Töchter schafften sie nach dem Fiswinkel, um sie hier in einem Hügel zu begraben. Die alte Frau wurde in die Grube gestoßen, »spattelte« aber (spatteln=zappeln, hier soviel als mit Händen und Füßen sich wehren) wie die Leute erzählen, mächtig. Die Mädchen sagten: Krup unner, krup unner usw. und warfen immer mehr Erde darauf, bis die Mutter ganz bedeckt war, dann zogen die Kinder nach dem Süden. So der Volksmund nach Hinrichs Chronik von Emstek S. 180ff. – Die Sage, daß die Tatern ihre alten Leute lebendig begraben, geht überall, stellenweise wird hinzugefügt, daß den zum Tode Verurteilten ein Brot mit ins Grab gegeben worden. Übrigens findet sich ähnliches auch bei Christen. Zu Anfang des 19. Jahrh. erhängte sich in einer Gemeinde im Osnabrückischen, nicht weit von der oldenb. Grenze ein Mann in der Bodenluke seines Hauses. Wochenlang nach dem Tode des Selbstmörders hing in der Bodenluke, wo der Tote gehangen, ein großes Stück Schwarzbrot, das die hinterlassene Witwe dort angebracht hatte. (Mitt. des Hasegaugeschichtsvereins, 1896, 5. Heft.)

b.

In früheren Zeiten hausten die Zigeuner viel im Barneführerholz (Kr. Hatten) und belästigten die benachbarten Hausleute, namentlich Rinderhagenstelle, sehr. Sie konnten sehr schlecht Kälte ertragen, und als es ihnen einst draußen zu kalt geworden war, erwirkten sie sich bei dem Hausmann Riederhagen die Erlaubnis, auf seiner Diele zu übernachten. Wie erschrak aber der Bauer, als er sah, daß die Zigeuner auf dem schmalen, kaum für einen Wagen ausreichenden Gange, den auf der einen Seite ein hoher Strohhaufen, auf der andern Seite ein ebenso hoher Heuhaufen einengten, ein großes Feuer anlegten. Eilig lief er hin, warf den Zigeunern ihre Unvorsichtigkeit vor und hieß sie das Feuer ausmachen. Aber die Zigeuner sagten, das Feuer gehe nicht weiter als sie wollten. Und in der Tat sprang das Feuer nicht aus den ihm gezogenen Grenzen, obwohl Heu und Stroh fast hineinragten. [450] Die sämtlichen Strecker Eingesessenen liefen hinzu und besahen sich das Wunder.

c.

Nahe bei Hahnenkampshöhe (Ksp. Holle) auf dem Erdbrand genannten Placken, ist vor 150 Jahren ein Tater begraben worden. Die Stelle wurde bislang immer gemieden. Während ringsum Sand gegraben und Plaggen gestochen wurden, hütete man sich, dem Heidenkirchhof nahe zu kommen. Als einer einmal unwissend Erde davon auf sein Land gefahren hatte und es hinterher erfuhr, ließ er es eiligst bis auf die letzte Krume wieder hinbringen. Der dort begrabene Tater war der letzte einer größeren Gesellschaft, welche im Kirchspiel Holle längere Zeit sich aufhielt und bettelte. Die Tatern sollen in den Scheunen gewohnt und sich namentlich von Katzen und Krähen genährt haben. Als man ihnen verbot, Feuer in den Scheunen zu machen, sagten sie, ihr Feuer stecke nichts in Brand. Als Konrad Kuhns Haus in Holle gebaut war, tanzten sie daselbst. Tatern Jan überlebte die andern. Er hatte wie alle eine gelbe Gesichtsfarbe, seine rechte Hand war größer wie die linke. Endlich starb auch er, und zwar wurde er auf der Achternstraße in Wüsting Wraggenort vor Heinrich Heinemanns Hause tot gefunden und gleich nachher auf jener Stelle bei Hahnenkampshöhe begraben. Die Leiche des Zigeuners wurde nicht in einen Sarg, sondern nur auf eine Leiter gelegt und alle Bauern des Striches, wo er tot gefunden war, mußten sie zu Grabe tragen, damit nicht einer dem andern die Teilnahme zum Schimpfe machen könne. Eine andere Zigeunergeschichte: 512d.


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TextGrid Repository (2012). Strackerjan, Ludwig. 246. [An verschiedenen Orten, insbesondere in Heidegegenden, werden Flurstücke]. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-32B9-2