259.

Unter den Wassergeistern treten zunächst die Seemenschen hervor. Sie bewohnen die salze See, sind von Gestalt oben bis unterhalb des Nabels wie Menschen, der untere Teil ist ein Fischschwanz. Am häufigsten zeigen sich die Weibchen, die Seewiefken. Sie haben schöne Angesichte, schönes langes Haar und schöne volle Brüste, auch singen sie sehr schön. Sie singen und winken den Schiffern zu und suchen sie zu sich in die Flut zu ziehen. Wird ein Seewiefken von Menschen gefangen und an das Land gebracht, so weiß es sich meistens zu befreien und rächt sich durch Erregung von Stürmen und Überschwemmungen. Es scheint, daß die Seewiefken im Besitze großer Heilkünste sind. Die Seemenschen haben Kirchen. – Aehnliche Wesen wie in der See finden sich auch in größeren Binnengewässern.

Flüsse und stehende Gewässer fordern von Zeit zu Zeit ein Opfer, die Hunte, wie man in Oldenburg sagt, alle Jahre. Aus kleinen Gewässern hört man hie und da eine Stimme ihr Opfer fordern, das dann auch nicht ausbleibt. Ein dem Meere gebrachtes Opfer s. 151d.

In allen Gewässern sitzt ein weibliches Wesen »Mettje (oder Mettke) mit'n langen Arm«, welches die am Wasser spielenden Kinder zu sich herabzieht (Oldenburg, Varel, Jever). Anderwärts schreibt man dies dem Muselmann, Busekärl oder (Brake) Busetater zu und scheucht daher die Kinder mit dem Rufe. »Paß up, de Busekärl kummt!« Wenn Aprilschauer fallen, heißt es im Saterlande gleichfalls: »Der Busekerl kommt«, und die Kinder erheben ein lautes Geschrei. – Ein Metgenschlatt liegt in der Gemeinde Wardenburg, südlich von Littel; Schlatt ist eine Niederung im Moor oder in der Heide, welche in der Regel mit Wasser angefüllt ist, bei langer Dürre aber austrocknet.

[514] a.

Ein saterscher Bootjer sah mal auf einem Watt im Dollart viele Seewiefken. Es war gerade Ebbe. Als er nun Lust zeigte, ein Seewiefken zu fangen, gab ihm ein anderer Schiffer den Rat, er solle nur aufs Watt gehen und »dumme Manntje« rufen, dann kämen sie gleich heran. Der Bootjer tat so, aber ehe er ein Seewiefken fangen konnte, kam die Flut, und er mußte eilen fortzukommen.

b.

Ein Matrose wollte ein Seewiefken fangen, das nicht weit vom Schiffe auf dem Wasser trieb und sehr schön sang. Er fuhr mit dem kleinen Boote hin; als er aber so nahe war, daß er das Seewiefken ins Boot ziehen zu können glaubte, erhob sich jenes plötzlich aus dem Wasser, umschlang den Matrosen mit beiden Armen und riß ihn mit sich in die Flut. (Saterld.)

c.

Vor der nordöstlichen Spitze von Jeverland liegt in der Jade eine Sandbank, welche bei Ebbezeit trocken läuft. Sie heißt das Minser Olloog, weil dort das alte Kirchdorf (jeversch Loog) Minsen gestanden hat. Einst hatten die Bewohner des Dorfes ein Seeweibchen gefangen, das schleppten sie ins Land herein und plagten es sehr und wollten von ihm Mittel gegen allerlei Gebrechen wissen. Aber das Seeweibchen hatte nur einen unverständlichen Reim zur Antwort:


»Kölln oder Dill,
ick segg jo nich, wo 't got faer is,
un wenn ji mi ok fillt,«

und wußte endlich den Händen ihrer Peiniger zu entwischen. Schnell eilte es dem Wasser zu, und wie es die See erreicht hatte, wandte es sich um und spritzte mit den Händen Salzwasser über den Deich; dann tauchte es unter und verschwand. Am andern Tage erhob sich ein schwerer Sturm, die Flut türmte sich auf, durchbrach den Deich und riß das Dorf mit seinen Gärten und Ländereien in die Tiefe hinab. Nur die kahle Sandbank, halb Wasser, halb Land, zeigt noch die Stelle des versunkenen Dorfes an. (Nach Kolbe in Firmenich, Germaniens Völkerstimmen, I, S. 23.)

d.

Das Kirchspiel Waddens hat nicht die Hälfte des Umfangs mehr, den es vorzeiten hatte; das meiste ist von den Wellen verschlungen, auch das Kirchdorf Waddens selbst. Die Waddenser hatten einmal ein Seeweibchen gefangen und nahmen es mit ins Land. Das Seeweibchen wehrte sich und drohte, so weit sie es in das Land hineinschleppten, so weit solle das [515] Kirchspiel vergehen. Ob es sich endlich losgerissen oder von den Leuten freigelassen, weiß man nicht, aber die Drohung ist wahr geworden, denn kurz hernach sind die Deiche durchgebrochen, und der größte Teil des Kirchspiels ist in Wasser verwandelt.

e.

Ein Schäfer, der in der Nähe des Sager Meeres weidete, sah, als einst ein starker Sturm in dem Gewässer wühlte, in der Tiefe einen heftigen Kampf zwischen alten bärtigen Kriegern. Als der Sturm sich gelegt hatte, kamen zwei kleine Mädchen aus dem Wasser und legten sich am Ufer nieder. Und eins sprach zum andern: »Antje, Tantje, fegg nich, woar Eierwater god to is.« Dann sprangen sie wieder in die Flut und waren verschwunden.

f.

Als ein Schiff an einem Sonntagmorgen vor der Jade geankert war, kam ein Seemännchen an die Oberfläche und bat, man möge doch den Anker wieder aufziehen; derselbe liege grade vor der Kirchentür, und die Kirche solle in einer Stunde anfangen.

g.

Als einst einige Leute am Brokdeiche (Ksp. Holle) in der Nähe von Punken Brake arbeiteten, hörten sie aus der Brake eine Stimme rufen: »De Tid is verflaten un de Mann is nich da!« (de Tid is 'r här, de Stunn is verflaten etc., auch »die Zeit ist verflossen, der Knabe ist nicht hie!«) Gleich darauf kam spornstreichs ein Reiter und wollte sich in die Brake stürzen, aber die Arbeiter hielten das Pferd an und hinderten ihn. Darauf begehrte er Wasser aus der Brake zu trinken. Die Arbeiter nahmen einen Becher, füllten ihn aus der Brake und reichten ihn dem Reiter. Kaum hatte er einen Trunk getan, so fiel er tot vom Pferde. (Ähnlich Hude, Elsfleth, Sande 185ee, Essen 185gg, Bunnen, Vechta.)

h.

Beim Brokdeich, Ksp. Holle, ist eine Brake (Punken Brake?), daraus kommt bisweilen ein Tier, halb Pferd, halb Fisch, und geht über den Deich.

i.

Nahe beim Gutshause zu Hahn, Ksp. Rastede, befindet sich ein Mühlenteich und an dessen Ufer erhebt sich ein kleiner Berg, der Katharinenberg. Auf der Mühle wohnte einst eine Müllerin, die hatte einen Fischer zum Liebsten. Als die beiden einst zusammen am Teiche saßen, kam aus diesem eine Hexe und zog den Fischer zu sich ins Wasser, die Müllerin aber bannte sie in eine Eiche auf dem Katharinenberge und verwünschte sie, daß sie nicht eher erlöst werden solle, als bis die [516] Eiche selbst falle. Jede Nacht um 12 Uhr trat die Verwünschte aus der Eiche hervor und klagte über den Verlust ihres Geliebten, bis endlich die Hexe selbst einen Sturm erregte, welcher die Eiche umwarf. (Acht?)


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TextGrid Repository (2012). Strackerjan, Ludwig. 259. [Unter den Wassergeistern treten zunächst die Seemenschen hervor]. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-2996-6