227.

Die Gegenmittel gegen Hexerei sind zum Teil Gemeingut des Volkes, jeder kennt sie, jeder wendet sie an. Aber nicht immer genügen sie, sei es weil ein stärkerer Zauber als gewöhnlich zu besiegen ist, sei es weil das Gegenmittel [423] nicht zur rechten Zeit und am rechten Orte angewendet ist. Dann ist es geboten, eine kluge Frau oder einen weisen erfahrenen Mann um Hülfe anzugehen. Die Mittel der klugen Leute sind, auch wenn sie gegen Hexerei gerichtet werden, durchgängig schwieriger und aus mehreren solcher Mittel, welche der gewöhnliche Mann kennt, zusammengesetzt. Sie anzuwenden, ist nicht immer ohne Gefahr, denn wenn etwas dabei versehen wird, ist leicht alle Mühe vergeblich, wenn nicht gar noch Schlimmeres eintritt.

a.

Das Haus des Gerd Kruse zu Grabstede, Ksp. Bockhorn, wurde beständig von Hexen heimgesucht, so daß die Bewohner desselben kein Tier am Leben behalten konnten; auch wurde des Nachts in den Betten gerasselt wie mit Ketten, so daß sie keine Nacht schlafen konnten. Da hörte die Frau des Kruse von einer Pullenlene in Leer, welche Rat gegen dergleichen wisse, machte sich auf den Weg dahin und erhielt von der Pullenlene ein Glas mit Salbe, womit sie, ohne ein Wort zu sprechen, die Betten bestreichen solle. Als nun die Frau Kruse wieder zu Hause und eifrig mit dem Bestreichen der Betten beschäftigt war, machte die Hausuhr mit einem Male ein fürchterliches Gerassel. Die Frau glaubte, die Uhr falle von der Wand, ließ ihren Salbentopf stehen und eilte, um nachzusehen: aber die Uhr hing ruhig an ihrem Platze. Der Salbentopf aber war inzwischen verschwunden, und mit dem Spuk blieb es beim Alten.

b.

Einem Schäfer in Norddöllen war ein Schaf erkrankt. Er ging nach Wildeshausen, wo damals ein Zauberer oder Quacksalber wohnte, und klagte diesem, daß ihm ein Schaf erkrankt und wahrscheinlich behext sei. Der Quacksalber gab ihm den Rat, er solle drei Morgen hinter einander vor Sonnenaufgang mit seinem kranken Schaf dreimal um einen Wachholderbusch ziehen; den dritten Morgen solle er aber sich selbst und auch dem Schafe die Augen mit Tüchern verbinden, denn es würde am dritten Morgen etwas vorkommen, was er nicht sehen dürfe. Der Schäfer hatte die beiden ersten Morgen den Rat genau befolgt, und das Schaf war schon besser geworden. Als er nun am dritten Morgen aufstand, bemerkte er, daß es schon spät sei und die Sonne gleich aufgehen werde. Er lief deshalb so geschwind er konnte zum Schafstall und nahm das Schaf auf seine Schultern. In der Eile aber hatte er nur ein Tuch gegriffen, um die Augen zu verbinden. Er band [424] deshalb sein Tuch dem Schafe vor die Augen, und sich selbst wollte er die Augen mit der Hand verdecken. Und da gerade die Sonne aufgehen wollte, nahm er das Schaf unter den Arm, hielt, so gut er konnte, die Augen mit den Händen zu und fing an zu laufen. Aber da lag ein Stein am Wege, über den fiel er und zerbrach den Arm; das Schaf aber lief davon und war gesund.

c.

Einem Bauern im Kirchspiel Schwei starben vor einigen Jahren alle seine Kinder ab, und alle hatten dieselbe sonderbare Krankheit; sie mußten so lange tanzen, bis sie tot waren. Sechs waren so gestorben, nur zwei waren noch am Leben. Um diese waren die Eltern sehr besorgt. Sie waren der Meinung, die Kinder seien behext, denn sie hatten nahe bei sich Leute, die sie nicht für gut hielten. Nun hatten sie gehört, in Nethen wohne eine Frau, welche von Hexerei wisse und Mittel kenne. Darum baten sie ihre Nachbarin, sie möge doch nach Nethen hingehen und die kluge Frau um Rat fragen. Als die Nachbarin hinkam, sagte die kluge Frau sogleich: »Du kommst um die und die Sache, und ich will dir auch etwas mitgeben; aber du mußt rasch nach Hause gehen, denn wenn du nicht nach Hause gekommen bist, bevor die Sonne untergegangen ist, mußt du sterben.« Die Nachbarin ging mit dem Mittel fort und kam noch rechtzeitig im Dorfe an. Aber als sie nahe bei Hause war, begegnete ihr ein Mädchen, mit dem hielt sie ein Gespräch, und dachte nicht daran, daß die Sonne untergehen könne. Aber als sie zu Hause ankam, war die Sonne schon unter, und nun dachte sie gleich daran, was die Frau in Nethen ihr gesagt hatte, aber nun konnte sie es nicht mehr ändern. Als sie denselben Abend zu Tische saß, um zu essen, fiel ihr der Löffel aus der Hand und wurden ihr alle Glieder steif, und mußte die arme Frau nach vier Wochen sterben und hat kein Glied mehr rühren können. Dem Bauern aber sind die zwei Kinder bis jetzt am Leben geblieben.


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TextGrid Repository (2012). Strackerjan, Ludwig. 227. [Die Gegenmittel gegen Hexerei sind zum Teil Gemeingut des Volkes]. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-283F-5