380. Serpentina von Dinkelsbühl.

Sage vom Hesselberg beiWassertrüdingen inMittelfranken. – Der Hesselberg vonLeuchs. Wassertrüdingen 1822. Panzer a.a.O. S. 138.


Vor mehreren hundert Jahren lebte in dem Städtchen Dinkelsbühl ein reicher Hopfenhändler, der einen sehr tugendhaften und gut gearteten Sohn hatte, welcher neben seiner schönen Seele auch ein sehr angenehmes Aeußeres besaß und deßwegen nur der schöne Heinrich von Dinkelsbühl genannt wurde. Zu gleicher Zeit lebte in Dinkelsbühl ein sehr stolzer und hochmüthiger Bürgermeister, welcher auch eine sehr schöne und gutgeartete Tochter hatte, die Serpentina hieß. Diese beiden jungen Leute liebten sich, aber sie hatten keine Hoffnung, daß sie je ihren Zweck erreichen würden, weil der Bürgermeister jeden Freier abwies, und ihm keiner vornehm und reich genug war. Daher getraute sich auch der schöne Heinrich nicht, seinen Wunsch laut werden zu lassen; nur seinem Vater, der sein ganzes Vertrauen besaß, entdeckte er sich. Dieser lächelte und [378] sagte: »Lieber Heinrich, wenn du keine Sorge hast, als diese, davon will ich dich befreien; der Bürgermeister ist weiter nichts als stolz und vornehm, und bildet sich Wunder viel auf seinen Titel ein; nun aber weiß ich, daß er unersättlich habsüchtig ist; habe ich keine vornehmen Ahnen aufzuweisen, so habe ich doch tausend Schock harte Thaler, welche die Ahnen ersetzen sollen.« Gesagt, gethan. Der Hopfenhändler warf sich in seinen Feststaat, zog seinen hellblauen Sammtrock mit den großen silbernen Knöpfen an, nahm seine silberne Schnallen, und ging mit seinem stark mit Silber beschlagenen spanischen Rohr nach dem Haus des Bürgermeisters, und hinterbrachte diesem seinen Antrag. Letzterer, ganz außer sich vor Freude über den gemachten Antrag, willigte sogleich ein, weil er den Hopfenhändler als den reichsten Mann in der ganzen Gegend kannte, und der schöne Heinrich ein sehr wohl gearteter Jüngling war. Demnach verlangte er, daß die Sache sogleich richtig gemacht werde. Niemand war vergnügter, als Heinrich und Serpentina, und schon wurden alle nur möglichen Anstalten zur Hochzeit gemacht, als mit einem Male Heinrichs Vater ganz unvermuthet am Schlagfluß starb. Heinrich, der bisher sich gar nichts um das Geschäft des Vaters angenommen hatte, war sehr bestürzt, weil er in seinen Geschäftsbüchern nichts fand, als ein Verzeichniß aller seiner ausstehenden Kapitalien und Schulden, aber keine Dokumente. Wie vom Blitz getroffen stand nun der arme Heinrich da, und ein Schuldner nach dem andern kam und machte seine Foderung geltend. Heinrich konnte nicht bezahlen, und bald wurde der verstorbene Hopfenhändler als ein Betrüger ausgeschrieen. Dieses konnte dem Bürgermeister nicht verborgen bleiben, und er kündigte deßhalb dem Heinrich die Heirath auf, und es wurden alle Anstalten getroffen, daß das Haus des Hopfenhändlers verkauft, und die Schuldner bezahlt würden. Heinrich konnte nun Nichts weiter thun, als sein Glück in der Welt suchen. Er machte daher sogleich Anstalten, seine Abreise aus seiner Vaterstadt, wo er nun das allgemeine Gespräch des Tages war, zu beschleunigen, und schon am nächsten Sonntag, als die schöne Bürgermeisterstochter in ihrem schön vergitterten Kirchstuhl saß, hörte sie die Bitte des Predigers von der Kanzel herab für einen Jüngling, der auf Reisen gehen wolle, und ihre Thränen flossen in ihr schneeweißes Sacktuch. Schon am andern Morgen wanderte der schöne Heinrich unter den Segenswünschen seiner geliebten Serpentina aus Dinkelsbühl, und nahm seinen Weg nach dem benachbarten Hesselberg, und beschloß nach Nürnberg zu reisen. Als er [379] auf dem Hesselberg angekommen war, beschloß er noch einmal Halt zu machen. Mit Wehmuth erblickte er noch die Thürme seiner Vaterstadt, und noch einmal sagte er seiner heißgeliebten Serpentina ewiges Lebewohl.

Er setzte sich auf den Stein eines alten Gemäuers, und nun sah er ein wunderschönes Schlänglein, welches über und über himmelblau war, einen goldenen Gürtel um den Leib, und eine kleine goldene Krone auf dem Kopfe hatte. Da das Schlänglein gar nicht schüchtern war, so fing Heinrich an, es zu streicheln, nun aber fiel ihm wieder seine geliebte Serpentina ein, und er rief dreimal: Serpentina! Mit einem Male verschwand die Schlange und eine sehr schöne blühende Jungfrau in himmelblauseidenem Gewande, einen goldenen, mit kostbaren Edelsteinen gezierten Gürtel um den Leib, und eine goldene Krone auf dem Haupt, stand vor ihm, und fragte ihn, was sein Begehren sei? Heinrich erschrack über die Erscheinung nicht wenig, und sagte, er habe sie nicht gerufen. Die Jungfrau aber sagte: Hast du nicht dreimal mich bei meinem Namen Serpentina gerufen? Und nun setzte sie sich zu ihm auf den Stein und bat ihn, ihr seine Geschichte zu erzählen. Nachdem nun Heinrich seine Abenteuer erzählt hatte, sagte Serpentina: Gottlob! Wenn es weiter Nichts ist, da will ich dir helfen. Sie befahl ihm, ihr zu folgen. Da stieß sie mit dem Fuße auf einen großen Stein, und augenblicklich öffnete sich eine Thüre; Heinrich stieg mit der Jungfrau eine lange Treppe hinab, und nachdem sie durch ein finsteres Gewölbe gegangen waren, kamen sie in einen großen Saal. Die Jungfrau berührte einen an einer Marmorsäule hängenden Talisman, und augenblicklich war der Saal von vielen brennenden Wachskerzen erleuchtet. Von da führte ihn die Jungfrau in einen zweiten Saal, welcher noch köstlicher war. Hier standen mehrere große Kisten, sie öffnete eine derselben, welche ganz mit großen Goldstücken angefüllt war. Hier befahl sie ihm sein Felleisen auszuleeren, und mit Gold zu füllen, so viel er zu tragen vermöge; dann nahm sie aus einem Kistchen einen von Gold und Edelsteinen gemachten Myrthenkranz und eine lange Schnur der schönsten orientalischen Perlen, und sagte: Nimm diesen Schmuck und gib ihn deiner Braut zum Brautschmuck, er ist der Brautschmuck meiner seligen Mutter. Mit dem Golde aber löse dein väterliches Erbe aus. Heinrich dankte der Jungfrau auf das Innigste. Nun bat er sie noch, ihm doch auch die Geschichte des versunkenen Schlosses zu erzählen. Sie begann: Mein Vater war der weit und breit bekannt gewesene Ritter Arno, und hauste auf diesem [380] Schlosse; er war ein ausschweifender Mensch und vergaß sich so weit, daß er mit dem Fürsten der Hölle einen Bund machte, der ihm auch alle diese Reichthümer zuführte, wofür er ihm auch seine Seele verschrieb. Als dieses meine selige Mutter erfuhr, betete sie unaufhörlich für meinen Vater zu Gott. Um diese Zeit gebar sie mich; da erschien ihr die Mutter unsers Herrn, und sagte ihr: Wenn deine Tochter nie der Liebe eines Mannes folgen, sondern ihr Leben Gott und der Kirche weihen wird, so soll dein Gemahl von der Verdammniß erlöset sein. Meine selige Mutter gelobte dieses der heiligen Jungfrau, aber ich hielt, als ich erwachsen war, nicht Wort, sondern verschenkte mein Herz an den Ritter Benno von Lenkersheim in meinem sechzehnten Jahre, und an dem Tage, als wir uns verlobten, spaltete sich der Berg und verschlang das Schloß mit Allem, was es in sich hielt. Mein Vater wurde von höllischen Geistern in die Luft davon geführt, ich aber wurde in eine Schlange verwandelt, und dazu verdammt, so lange hier auszuhalten, bis diese Kiste, aus welcher du das Gold genommen hast, geleert sein wird. Mir aber ist nur vergönnt, alle Jahre auf einige Augenblicke menschliche Gestalt anzunehmen, und solchen, die ohne ihr Verschulden in Mangel und Noth gerathen sind, zu helfen. Nun gehe zurück in deine Vaterstadt, morgen wird dein älterliches Haus versteigert; nehme von dem Gold, bezahle davon die Gläubiger deines Vaters, und nimm Besitz von deinem väterlichen Erbe; dann gehe in das Geschäftszimmer deines Vaters; dort hängt ein altes Oelgemälde, nimm es weg, und du wirst hinter demselben einen gemauerten Schrank finden, in welchem alle in dem Geschäftsbuch deines verstorbenen Vaters eingetragenen Schulddokumente enthalten sind; damit wird dann auch die Ehre deines Vaters gerettet sein, und für mich lasse hundert Seelenmessen lesen, und bezahle jegliche mit einem Goldstück. Dann führte sie ihn wieder zurück aus der versunkenen Burg, und die Oeffnung sammt der Jungfrau war verschwunden. Heinrich wanderte nun getrosten Muthes seiner Vaterstadt zu, nahm sein väterliches Erbe in Besitz, und Serpentina, die schöne Bürgermeisterstochter ward bald seine Gattin, und beide führten die glücklichste und zufriedenste Ehe. Als sie starben, stifteten sie ein Waisenhaus und verordneten, daß die Waisenkinder alle Jahre an dem Todestag der Stifter einen frohen Festtag feiern sollten, welches sich bis auf unsere Tage erhalten haben soll, und das Kinderfest genannt wird.

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TextGrid Repository (2012). Schöppner, Alexander. Sagen. Sagenbuch der Bayerischen Lande. Erster Band. 380. Serpentina von Dinkelsbühl. 380. Serpentina von Dinkelsbühl. TextGrid Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-F7F2-A