7. Auftritt.
Vorige. Rosa. Dann Groß.
ROSA
durch die Mitte.
Herr Professor, ein Herr ist draußen, Karl Groß aus Berlin.
GOLLWITZ.
Ich kenne keinen Karl Groß. Was will er denn?
ROSA.
Er sagt, er wäre ein alter Freund vom Herrn Professor.
GOLLWITZ.
Hast du gesagt, daß ich zu Hause bin?
ROSA.
Freilich, ich dachte – –
GOLLWITZ.
Dann laß ihn eintreten.
[20]ROSA
ab.
GOLLWITZ.
Lieber Direktor, bitte gehen Sie einstweilen in mein Wohnzimmer; Sie können ja das Manuskript mitnehmen und drinnen lesen.
STRIESE.
Natürlich, Herr Professor, bitte tun Sie nur, als ob ich hier zu Hause wäre. Im Abgehen nach links wohlgefällig auf das Manuskript klopfend, für sich. Das Stück wird gegeben, und wenn es noch schlechter wäre, als dem Telegraphenbeamten seines. Ab rechts.
GROSS
durch die Mitte.
Guten Tag, lieber Professor, ich habe nicht viel Zeit, aber da bin ich.
GOLLWITZ
beiseite.
Den kenne ich ja gar nicht.
GROSS.
Das heißt Wort halten, was?
GOLLWITZ.
Allerdings, allerdings, indessen – Sie entschuldigen wohl, – ich bin ein wenig zerstreut – ich muß aufrichtig gestehen –
GROSS.
Ich glaube wahrhaftig, Sie kennen mich nicht mehr – –
GOLLWITZ.
Ja, wenn ich ganz aufrichtig sein soll –
GROSS.
Aber ich bin doch der Weinhändler Karl Groß aus Berlin.
GOLLWITZ.
Ach so, ja, – ja – hm, hm, Beiseite. keine Ahnung!
GROSS.
Vor zwei Jahren, als Sie auf einen Tag in Berlin waren, haben wir doch den ganzen Abend nebeneinander im Theater gesessen.
[21]GOLLWITZ.
Richtig, ja, im Wallnertheater.
GROSS.
I bewahre, im Reichshallen-Theater. Erinnern Sie sich denn nicht mehr an den dressierten Ochsen?
GOLLWITZ.
Oh natürlich, entschuldigen Sie nur, daß ich Sie nicht gleich erkannt habe.
GROSS.
Sie haben mir damals so viel erzählt von dem Nest hier und von Ihrer Frau und den beiden Töchtern, und wenn ich einmal durchkomme, soll ich Sie besuchen. Na, nun komme ich durch – nun besuche ich Sie. Aber wenn es Ihnen vielleicht unangenehm ist, dann kann ich ja wieder gehen.
GOLLWITZ
Groß zurückhaltend.
Aber ich bitte Sie, Herr Groß, nehmen Sie doch Platz; ich bedaure nur, daß meine Frau nicht anwesend ist, sie ist mit meiner Tochter im Seebad.
GROSS.
Mit Marianne?
GOLLWITZ
befremdet.
Nein, mit Paula.
GROSS.
Also mit der jüngeren. Die ältere war ja damals ein bißchen bleichsüchtig; hat sich das gegeben?
GOLLWITZ
wie oben.
Oh, ich danke, ja, sie ist jetzt verheiratet. – Beiseite. Was ich dem Menschen alles erzählt haben muß.
GROSS
schreit Gollwitz an.
Glücklich?
GOLLWITZ.
Außerordentlich! – Die jungen Leute leben Tauben miteinander.
[22]GROSS
schlägt auf den Tisch und springt auf.
Da soll doch das Wetter dreinschlagen –
GOLLWITZ.
Erlauben Sie – – –
GROSS.
Was andere Leute für Glück mit ihren Kindern haben, und ich –?
GOLLWITZ.
Sie haben wohl Unglück mit Ihren Kindern?
GROSS.
Hören Sie, Professor, jetzt wird es mir zuviel. Sie tun ja, als ob ich Ihnen die Geschichte noch gar nicht erzählt hätte.
GOLLWITZ.
Ach ja, ich besinne mich – Ihr Fräulein Tochter – –
GROSS.
Was, Tochter, ich habe gar keine Tochter – aber mein Sohn Emil – der Schlingel!
GOLLWITZ.
Richtig, richtig, der Schlingel.
GROSS.
Genau so ist's mit ihm gekommen, wie ich es Ihnen damals gesagt habe.
GOLLWITZ.
Ah, das überrascht mich.
GROSS.
Wie kann Sie denn das überraschen, es konnte gar nicht anders kommen. Nichts lernen wollen – den ganzen Tag herumbummeln – Schulden machen – Liebschaft – leichtsinniges Frauenzimmer – was war das Ende vom Liede? – Durchgebrannt! Na – mein Sohn ist er gewesen!
GOLLWITZ.
Aber ich bitte Sie, ein junger Mensch – –
[23]GROSS.
Was? Wollen Sie den Burschen vielleicht noch in Schutz nehmen? Dann will ich Ihnen einmal die Geschichte von A bis Z erzählen. Setzen Sie sich nieder.
GOLLWITZ
seufzend.
Ach du lieber Gott!
STRIESE
sieht zur Tür heraus, das Manuskript in der Hand.
Herr Professor, Herr Professor!
GROSS.
Was ist das wieder für eine Störung?
GOLLWITZ.
Entschuldigen Sie nur einen Augenblick. Zu Striese tretend. Was wollen Sie denn?
STRIESE.
Nehmen Sie es nur nicht ungütig, aber ich halte es da drinnen wahrhaftig nicht mehr aus vor Freude.
GOLLWITZ.
Haben Sie denn schon gelesen?
STRIESE.
Ja, den ersten Akt habe ich hinter mir. – Das ist ja geradezu ein großartiges Gemälde menschlicher Leidenschaften, und die Sprache, die Sprache!
GOLLWITZ.
Sie glauben also wirklich, daß man es aufführen könnte?
STRIESE.
Eine wahre Affenschande ist es, Herr Professor, daß so ein Stück im Schreibtisch liegt. – So was gehört aufs Theater, – auf mein Theater.
GOLLWITZ.
Ja, aber –
GROSS
hat bis jetzt Zeichen der Ungeduld gemacht und springt nun auf.
Wenn Sie wichtigere Geschäfte haben, kann ich ja gehen.
[24]GOLLWITZ.
Bitte, bitte, ich stehe sofort zu Diensten. Zu Striese. Lesen Sie nur erst die andern Akte, die sind noch schöner –
STRIESE.
Nee, Herr Professor, Ihr Wort in Ehren, aber das glaube ich Ihnen nicht. Noch schöner als der erste Akt, das ist ja geradeswegs ein Ding der Unmöglichkeit. Im Abgehen beiseite. Den hab' ich, den hab' ich!
GOLLWITZ.
Also bitte, Herr Groß.
GROSS.
Bis wohin hatte ich Ihnen denn die Geschichte damals in den Reichshallen erzählt?
GOLLWITZ.
Verehrter Herr, ich muß gestehen, mir ist inzwischen so vielerlei durch den Kopf gegangen –
GROSS
ärgerlich.
Da bleibt mir nichts anderes übrig, als Ihnen die ganze Geschichte noch einmal zu erzählen.
GOLLWITZ
jammernd.
Lieber Gott!
GROSS.
Um es also kurz zu machen: Meine Frau ist eine geborene Quisenow. Gott, ich war ein junger Mensch, und sie hatte eigentlich so gut wie nichts, als ich sie vor achtundzwanzig Jahren heiratete.
GOLLWITZ.
Vor achtundzwanzig Jahren –
GROSS.
Ja, ja! Die Zeit vergeht, wie nun unser ältester Junge geboren wurde – –
GOLLWITZ.
Dieser entsetzliche Emil?
[25]GROSS.
Ach, keine Idee – da kommen doch erst noch der Fritz und der Paul dazwischen. Emil ist der jüngste.
STRIESE
von links.
Meine Herren, ich bitte tausendmal um Entschuldigung, nur eine einzige Zwischenfrage möchte ich mir erlauben.
GOLLWITZ.
Was wollen Sie denn?
STRIESE.
Steht denn hier in der Stadt überhaupt Militär?
GOLLWITZ.
Wieso?
STRIESE
leise vertraulich.
Weil da zum zweiten Aktschluß der große Einzug der Priester vorgeschrieben ist. Da brauche ich doch wenigstens meine sechs bis acht Mann Soldaten dazu.
GOLLWITZ.
Soldaten?
STRIESE.
Es läuft freilich höllisch ins Geld, man muß jedem zwanzig Pfennig geben und ein Galeriebillet auch noch für den weiblichen Anhang, aber lieber Gott, das Publikum ist eben durch die Meininger so verwöhnt, da darf man sich nicht lumpen lassen.
GROSS.
Hören Sie, verehrter Herr Professor, jetzt reißt mir aber die Geduld.
GOLLWITZ.
Wie?
GROSS.
Da sprengen Sie mich eigens von Berlin hierher, und dann lassen Sie mich hier stehen, und kümmern sich gar nicht um mich?
GOLLWITZ.
Ich bin eben ein bißchen beschäftigt – ich –
[26]GROSS.
Glauben Sie, ich habe nichts zu tun? Ich muß weiter, um halb acht Uhr mit dem Kurierzug.
GOLLWITZ.
Ach wie schade!
GROSS.
Ja, wenn es Ihnen noch so leid tut – ich kann Ihnen nicht helfen – das Geschäft vor allem. Aber wenn ich von der Messe zurückkomme, dann bleibe ich ein paar Tage hier, da werden wir hoffentlich ungestört sein.
GOLLWITZ.
Gewiß, gewiß!
GROSS.
Vergessen Sie bis dahin nicht wieder, was ich Ihnen heute erzählt habe, sonst müßte ich noch einmal von vorn anfangen.
GOLLWITZ.
Ach nein – alles, nur das nicht.
GROSS.
Empfehlen Sie mich Ihrer Frau Gemahlin – erzählen Sie ihr aber vorläufig gar nichts von meinem Emil, ich möchte die Sache gern diskret behandelt wissen. Ab.
GOLLWITZ.
Herr du meine Güte, ist das ein Mensch! Ruft zur Tür hinaus. Rosa! Rosa!