52. Bei dem Grabstein einer Wöchnerin 1
Sieh, Wandrer, so entkeimt des dunkeln Grabes Nacht
Einst Gottes Samenkorn, versenkt im Erdenthale!
So sprengt den Leichenstein der ew'gen Liebe Macht!
So sprießt einst Gottes Saat und bricht des Sarges Schale!
So steigt die Lilie aus kühler Erde Schoß
Und läßt ihr Knospenblatt, das Leichentuch, entfallen.
Der Engel windet sich vom Grabesschleier los
Und fühlt das Sterbgewand ätherisch ihn umwallen.
[319]Auch du, verwelkter Kelch, gebrochnes Menschenherz,
Zerknicktes zartes Rohr, zerquälte Körperhülle,
Einst hebt ihr euch und blüht, wo weder Angst noch Schmerz,
Noch Tod euch mehr erreicht, in ew'ger Himmelsstille.
Die Knospe, schon zerstört, eh' sie sich uns enthüllt,
Der Säugling strebet nicht umsonst mit schwachen Händen;
Auch seines Schicksals Kreis wird endlich einst erfüllt,
Und seines Mondes Ring wird hell sich einst vollenden!
O Wandrer, den das Bild der Auferstehung rührt,
Du dankst dem Künstler, der in diesen Stein es prägte;
Erheb auch deinen Blick – zu dem, dem Preis gebührt,
Daß er die Hoffnung tief in unsre Seele legte!