29. Das Mitleid
Pity dropping soft the sadly-pleasing tear.
Gray.
Mitleid! Heil dir, du Geweihte!
Weiches Herzens, milder Hand,
Wallst du an des Dulders Seite
Durch der Prüfung rauhes Land;
Taust wie Balsam, milde Zähren,
Hebest das zerknickte Rohr.
Wie zu Hyllius Altären
Blickt die Not zu dir empor.
Deine Hilfe stillt ihr Flehen;
Dein Erbarmen eilt zur That.
Wünsche brennst du auszuspähen,
Spendest, wenn der Mangel bat:
Spendest Brüdern, welche darben,
Deines Tagewerks Gewinn;
Bindest loser deine Garben
Vor der Ährenleserin.
In verarmter Witwen Krüge
Schüttest du der Stärkung Wein,
Prägst des Lächelns heitre Züge
Abgehärmten Wangen ein;
Hebst erlegner Wandrer Bürde
Auf dem tiefbeschneiten Damm,
Und verpflegst in sichrer Hürde
Deines Nachbars irres Lamm.
[290]Sorglich streust du vor die Scheuer
Vögeln Korn im Winter aus;
Nötigst zu des Herdes Feuer
Pilger in dein wirtlich Haus;
Herbergst an des Strohdachs Balken
Prognens federlose Brut;
Schirmest Täubchen vor des Falken,
Küchlein vor des Geiers Wut.
Du entführst die junge Waise
Ihrer Mutter Rasengruft;
Jeden Seufzer, noch so leise,
Raubt dein Ohr der Abendluft;
Sanft, wie tauige Hyaden,
Blickst du auf das Findelkind,
Reichst ihm Ariadnens Faden
Durch des Lebens Labyrinth.
Du erwärmst in sanfter Rührung
Auch der Selbstsucht starres Eis,
Warnst vor lockender Verführung
Blütenüberstreutem Gleis';
Neigest dich mit leisem Trösten
An der Schwermut dumpfes Ohr;
Hebst entfesselt den Erlösten
Von des Kerkers Stroh empor.
Herzen, die der Harm zerrissen,
Hegst du mit besorgter Treu';
Rückest der Geduld das Kissen
Auf des Schmerzenlagers Streu;
Schonst des Schlummers, nahst auf Socken;
Kühlst mit deinem Palmenreis;
Trocknest mit ergoßnen Locken
Banger Todeskämpfe Schweiß.
[291]Bleib bei uns, bis einst die Hefe
In dem Thränenkelch versiegt;
Kränze bleicher Trübsal Schläfe,
Die an deinen Schoß sich schmiegt;
Herze sie mit Ammenarmen,
Sei umstürmter Pflänzchen Stab,
Die das ewige Erbarmen
Dir zur Pflege übergab.