[29] Erste Abteilung:
Von den Königen und dem Hofleben
[29][31]Man erzählt, daß, als einst ein König den Befehl zur Hinrichtung eines Gefangenen gegeben, dieser Unglückliche in seiner verzweifelten Lage anfing, in seiner Muttersprache Schmähreden und Lästerungen gegen ihn auszustoßen; denn das Sprichwort sagt: Wer keine Hoffnung mehr für sein Leben hegt, der sagt alles, was er auf dem Herzen trägt.
Der König fragte, was er sage? Ein edelgesinnter unter seinen Wesiren antwortete: O Herr, er sagt: »Und die ihren Zorn unterdrücken und den Menschen verzeihen, denn Gott liebt die Gütigen.« Der König hatte Mitleid mit ihm und schenkte ihm das Leben. Ein anderer Wesir aber, der das Gegenteil von jenem war, sagte: Für Leute unseres Standes ziemt es nicht, vor dem Könige etwas anderes als die Wahrheit zu reden; jener Mensch hat den König geschmäht und Unziemendes gesprochen. Der König runzelte die Stirn über diese Rede und sprach: Mir hat die Lüge, die er gesagt hat, besser gefallen, als diese Wahrheit, die du gesagt, denn jene beabsichtigte etwas Gutes, diese ist aus Bosheit hervorgegangen, [31] und die Weisen haben gesagt: Eine Lüge, welche Gutes bezweckt, ist besser, als eine Wahrheit, welche Unheil versteckt.
Ein König von Chorasan sah einst im Traume den Sultan Mahmud Sohn Sebuktegins hundert Jahre nach dessen Tode; sein ganzer Körper schien vermodert, bloß die Augen drehten sich in den Augenhöhlen und blickten umher. Die Weisen alle waren unfähig, dieses zu erklären, nur ein Derwisch vermochte diesen Dienst zu leisten und sagte: Er sieht noch mit Neid, wie ein anderer sich seines Besitztums erfreut.
[32]
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Man erzählte mir von einem Königssohne, welcher klein und mißgestaltet war, indes seine Brüder groß waren und schön von Gestalt. Einst blickte ihn sein Vater mit Widerwillen an; der Jüngling verstand dieses mit feinem Sinne und sprach: O Vater, ein kleiner Mann voll Verstand ist besser als ein großer voll Unverstand; nicht alles, was größer ist an Gestalt, ist besser an Gehalt, denn »das Schaf ist ein reines Tier und der Elefant ist ein unreines Tier«.
Man erzählt, daß in jener Zeit ein gefährlicher Feind erschien; als nun die beiden Heere einander gegenüberstanden, war jener Jüngling der erste, der sein Pferd auf den Kampfplatz trieb, indem er ausrief:
So sprach er, stürzte sich auf die Soldaten des Feindes und warf einige krieggeübte Männer nieder. Als er wieder vor seinen Vater trat, küßte er ehrerbietig die Erde und sprach:
Wie man erzählt, waren die Soldaten des Feindes zahlreich, diese aber wenig; einige wollten fliehen, da erhob der Jüngling seine Stimme und rief: Haltet euch wacker, ihr Streiter, sonst gibt man euch Weiberkleider. Die Kühnheit der Reiter wurde durch seine Worte angefeuert, sie stürzten mit einem Male auf den Feind, und sie sollen an diesem Tage den Sieg davongetragen haben. Der König küßte seinem Sohne Haupt und Augen und schloß ihn in seine Arme, und er schätzte ihn jeden Tag höher, bis er ihn endlich zu seinem Thronfolger ernannte. Seine Brüder wurden darüber eifersüchtig und taten Gift in sein Essen; doch seine Schwester sah es von dem Söller, sie schlug das Fenster zu, und der Jüngling verstand das Zeichen; er zog die Hand von der Speise zurück, indem er sagte: Es ist widersinnig, daß Verdienstvolle sterben, damit Verdienstlose ihre Stelle erben.
Als man dem Vater dieses berichtete, ließ er die Brüder kommen und machte ihnen die verdienten Vorwürfe; dann bestimmte er von den Ländern des Reiches einem jeden einen passenden Anteil, um die Feindschaft zu begütigen und dem Zwiste [35] ein Ende zu machen; denn das Sprichwort sagt: Zehn Derwische liegen unter einer Decke, aber zwei Könige haben nicht Raum in einem Lande.
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Eine Bande arabischer Räuber hatte sich auf einem Berge festgesetzt und den Durchzugsort der Karawanen besetzt, die Einwohner jener Länder waren durch ihre Anschläge erschreckt, und die Soldaten des Sultans hatten vor ihnen die Waffen gestreckt; denn sie hatten eine unzugängliche Feste auf dem Gipfel des Berges in ihre Gewalt gebracht, und diese zu ihrer Freistätte und ihrem Zufluchtsorte gemacht. Die Verwalter der Provinzen jener Gegend hielten Rat über die Abwehr dieses Unheils, denn, sagten sie, läßt man die Bande längere Zeit in diesem Treiben gehn, so wird es unmöglich, ihr zu widerstehn.
[36] Sie kamen endlich zu dem Entschluß, jemanden zu beauftragen, die Räuber auszuspähen und die günstige Gelegenheit zu ersehen, bis sie einst, als diese ausgezogen waren, um Leuten aufzupassen und ihren Schlupfwinkel leer gelassen, einige kampferfahrne und kriegskundige Männer aussandten, die in dem Bergpasse einen sichern Versteck fanden. Als die Räuber nachts zurückkamen nach vollendetem Ausfalle und vollbrachtem Anfalle, lösten sie von den Waffen ihre Glieder und legten ihre Beute nieder. Der erste Feind, der sie überfiel, war der Schlaf, bis die eine Nachtwache vorüber war;
als die herzhaften Männer aus ihrem Hinterhalte hervorrannten, und einem jeden die Hände auf den Rücken banden. Am Morgen führten sie sie dem Könige vor; dieser befahl sie alle hinzurichten. Zufällig befand sich unter ihnen ein Jüngling, bei dem die Erstlingsfrucht der Jugend kaum zu reifen angefangen, und der dunkle Schatten in dem Rosengarten seiner Wange eben aufgegangen. Einer der Wesire, nachdem er sich an dem Fuße des königlichen Thrones zum Kusse gebückt und das Angesicht der Fürbitte in den Staub gedrückt, sprach: Dieser Jüngling hat nicht gleich den andern aus dem Garten des Lebens gekostet und von den Erstlingen der Jugend genossen; ich[37] wage es daher auf die Großmut und den edlen Sinn deiner Majestät die Hoffnung zu richten, du werdest durch das Geschenk seines Lebens deinen Knecht zum Danke verpflichten. Der König runzelte seine Stirn über diese Worte, denn sie stimmten nicht mit seiner hohen Einsicht überein, und er sprach:
Ratsamer ist es, dieser Menschen Brut und Gezücht auszurotten, und besser deren Grund und Wurzel auszureißen, denn das Feuer auslöschen und die glühenden Kohlen lassen, oder die Otter töten und ihre Brut am Leben lassen, ist nicht der Verständigen Sache.
Der Wesir konnte nicht umhin, diese Rede untertänigst anzuhören und seine Billigung zu zeigen, und mußte der vortrefflichen Ansicht des Königs laut seinen Beifall bezeugen, und er sagte: Was der Herr, es daure seine Herrschaft! zu sprechen [38] geruht, ist die Wahrheit selbst; denn wäre er in der Gesellschaft die ser Bösewichter erzogen worden, so hätte er sich ihrer Art und Weise zugesellt und in ihre Reihe gestellt. Aber dein Knecht ist der Hoffnung, er werde, wenn er in der Gesellschaft der Guten seine Erziehung empfangen, auch zu der Art und Weise der Verständigen gelangen; denn er ist noch ein Kind, und die Lebensart der Gewalttat und des Frevels jener Rotte hat sich in seiner Natur noch nicht befestigt, in der Überlieferung aber heißt es: »Kein Kind wird geboren, das nicht die Anlage zum Islam hätte, dann aber machen es seine Eltern zum Juden und Christen und Magier.«
So sprach er, und mehrere von den Gesellschaftern des Königs unterstützten seine Fürbitte, bis der König dem Jüngling das Leben schenkte und sprach: Ich will Gnade schenken, kann ich mir es auch nicht als ratsam denken.
Kurz, der Jüngling wurde von dem Wesir in sein Haus gebracht und mit aller Liebe und Güte bedacht; ein geschickter Lehrer wurde mit seiner Erziehung beauftragt, daß er zierliche Anrede lernte und gewandte Gegenrede und was sonst zum gefälligen Anstand bei Hofe gehört, und daß er in den Augen aller Wohlgefallen fand. Einmal tat der Wesir in Gegenwart des Königs Erwähnung seiner Vorzüge und guten Eigenschaften, und bemerkte, die Erziehung der Verständigen habe bei ihm Eingang gefunden, und durch sie sei die frühere Roheit aus seiner Seele verschwunden. Der König lächelte über diese Rede und sprach:
Einige Jahre verflossen darüber, als einige lose Gesellen des Stadtviertels sich zu ihm fanden und sich zur Genossenschaft mit ihm verbanden, so daß er zur gelegenen Stunde den Wesir nebst seinen zwei Söhnen erschlug, unermeßliche Schätze davontrug, in der Räuberhöhle seines Vaters Stelle vertrat und als Rebell auftrat. Der König biß sich in die Hand des Erstaunens und sprach:
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Am Hofe des Uglumisch sah ich eines Hauptmanns Sohn, der über alle Beschreibung Verstand und Feinheit und Scharfsinn und Klugheit besaß, ja von der Zeit seiner Kindheit an zeigten sich auf seiner Stirn die Zeichen der Größe.
Kurz, er kam in große Gunst bei dem Sultan, denn er war von schöner Gestalt und von trefflichem Gehalt, und die Weisen haben gesagt: Der Reichtum liegt im Verdienste, nicht in dem Baren, die Größe liegt im Verstande, nicht in den Jahren. Seine Standesgenossen wurden auf ihn eifersüchtig, und machten ihn der Treulosigkeit verdächtig, und gaben sich vergebliche Mühe, ihn zu verderben.
Was kann der Feind, wenn liebevoll der Freund? Der König fragte ihn: Aus welchem Grunde sind jene so feindselig gegen dich? Er antwortete: Im Schatten des königlichen Thrones konnte ich alle [41] befriedigen, mit Ausnahme des Neidischen, dieser wird nur durch das Aufhören meines Glückes befriedigt; möge deiner Majestät Macht und Glück dauern!
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Man erzählt von einem Könige von Persien, der die Hand der Gewalttätigkeit gegen die Güter seiner Untertanen ausstreckte und mit Erpressung und Bedrückung befleckte, so daß die Leute wegen der Ränke seiner Ungerechtigkeit ihre Habe in die Welt hinaustrugen, und vor der Not seiner Bedrückung den Weg nach der Fremde einschlugen. Als der Untertanen weniger wurden, litten auch die Einkünfte des Landes Schaden, der Schatz blieb leer, und die Feinde fielen das Reich von allen Seiten an.
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Eines Tages las man in seiner Gesellschaft aus dem Schahnameh von dem Untergang der Herrschaft Dhohaks und von der Geschichte Feriduns. Der Wesir fragte den König: Wie konnte sich denn Feridun, der weder Schatz noch Besitz noch Gefolge hatte, des Königtums bemächtigen? Er antwortete: Wie du es eben gehört hast: die Leute ergriffen seine Partei und scharten sich um ihn und machten ihn stark, so daß er das Königtum gewann. Da das Scharen der Leute, sagte der Wesir, die Ursache des Königtums ist, warum zerstreust denn du die Leute? Solltest du etwa keine Lust zum Königtum haben?
Welches ist denn die Ursache des Scharens der Soldaten und der Untertanen? fragte der König. Der Wesir antwortete: Bei einem Könige ist Gerechtigkeit notwendig, damit sie sich um ihn scharen, und Milde, damit sie unter dem Schatten seiner Macht sicher wohnen; dir aber fehlt beides.
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Dem König behagte der Rat des treuen Wesirs nicht; er ließ ihn fesseln und ins Gefängnis werfen. Nicht viele Zeit verging, als die Vettern des Sultans sich zum Streite aufmachten, und ein Heer zum Aufstande zusammenbrachten, und auf das Reich ihres Vaters Anspruch machten. Viele, die durch seine Bedrückung aufs Äußerste gebracht, sich zerstreut hatten, scharten sich um sie und machten sie stark, so daß er seines Reiches entsetzt ward und jene seinen Thron besetzten.
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Ein König hatte sich mit einem unerfahrenen Jüngling in ein Schiff gesetzt; der Jüngling hatte das Meer noch nie gesehen und die Unannehmlichkeiten der Schiffahrt nie versucht. Er fing an zu weinen und zu klagen, und ein Zittern befiel seinen Körper; so sehr man ihn auch zu begütigen [44] suchte, wurde er doch nicht ruhiger. Dem Könige wurde dadurch das Vergnügen gestört, aber man wußte keine Hilfe. Da sprach ein weiser Mann, der auf dem Schiffe war: Wenn du gebietest, so will ich ihn zum Schweigen bringen. Dies wird mir äußerst angenehm sein, antwortete der König. Der Weise ließ den Jüngling in das Meer werfen; nachdem er einigemal untergetaucht war, ergriff man ihn bei den Haaren und zog ihn an das Schiff; er hing sich mit beiden Händen an das Steuerruder, und als er wieder heraufgekommen war, setzte er sich in eine Ecke und blieb ganz ruhig. Dies gefiel dem Könige wohl, und er fragte, welcher geheime Grund hier obwalte? Der Weise antwortete: Vorher hatte er die Not des Untertauchens nicht geschmeckt und kannte darum den Wert der Sicherheit des Schiffes nicht; nur insofern kennt jemand den Wert der Gesundheit, als er schon in Krankheit verfallen ist.
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[45] Den König Hormus fragte man: Welche Schuld hast du denn an den Wesiren deines Vaters gefunden, daß du sie hast in Fesseln legen lassen? Er antwortete: Eine Schuld habe ich bei ihnen nicht erkannt, aber ich sah, daß sie in ihrem Herzen eine unbegrenzte Furcht vor mir hatten und in mein Wort durchaus kein Vertrauen setzten; ich fürchtete daher, sie möchten aus Besorgnis vor ihrem eignen Schaden nach meinem Verderben trachten; darum handelte ich nach dem Worte der Weisen, welche gesagt haben:
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Ein König in Arabien war in hohem Alter krank und hatte alle Hoffnung zum Leben aufgegeben; da trat ein Reiter zur Türe herein und brachte ihm die frohe Botschaft: Das bewußte Schloß haben wir mit deiner königlichen Macht erobert, die Feinde sind gefangengenommen, und Soldaten [46] und Untertanen jener Gegend sind alle deiner Gebote gewärtig. Als der König diese Rede hörte, stieß er einen kalten Seufzer aus und sprach: Dies ist keine freudige Nachricht für mich, sondern für meine Feinde; damit meinte er die Erben des Reiches.
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Als ich eines Jahres in Andacht auf dem Kissen des Grabmals des Propheten Johannes, ihm sei Heil! in der Moschee zu Damaskus kniete, kam [47] ein König aus Arabien, der durch seine Ungerechtigkeit bekannt war, zufällig als Wallfahrer dahin, verrichtete sein Gebet und seine Anrufung und sprach seine Bitten.
Dann wandte er sich zu mir und sprach: Um des Hochsinns der Derwische und der Lauterkeit ihres Gottesdienstes willen bitte ich euch, begleitet mich mit euern Wünschen, denn ich bin wegen eines gefährlichen Feindes in Sorgen. Ich antwortete ihm: Übe gegen deine schwachen Untertanen Gnade, dann brauchst du des starken Feindes Schaden nicht zu fürchten.
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Ein Derwisch, dessen Gebete bei Gott Erhörung fanden, kam einst nach Bagdad; Hedschadsch, Sohn Jusufs, ließ ihn rufen und sprach zu ihm: Bete um etwas Gutes für mich. Der Derwisch betete: O Gott, nimm seine Seele weg! Um Gottes willen, rief Hedschadsch, was ist das für ein Gebet? Es ist ein Gebet um Gutes für dich und alle Muselmänner, antwortete der Derwisch.
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Ein ungerechter König fragte einen frommen Mann: Welches unter den guten Werken ist für mich das vorzüglichste? Für dich, antwortete [49] dieser, ist es der Mittagsschlaf, daß du indessen einen Augenblick wenigstens die Leute nicht plagest.
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Von einem Könige ist mir erzählt worden, welcher einst eine Nacht in fröhlichem Gelage zum Tage gemacht, und im höchsten Taumel der Trunkenheit ausrief:
Dem König gefielen diese Worte; er streckte einen Beutel mit tausend Dinaren zum Fenster hinaus und rief: Reiche deinen Rockzipfel. Wo [50] soll ich einen Rockzipfel hernehmen, entgegnete der Derwisch, da ich keinen Rock habe? Dem Könige flößte dieses sein Elend noch mehr Mitleid ein; er fügte ein Ehrenkleid zu dem Beutel und schickte ihm beides hinaus. Der Derwisch verpraßte und verschleuderte die Summe in kurzer Zeit –
und kam wieder in einem Augenblicke, wo der König sich nicht um ihn kümmerte. Man meldete ihm das Anliegen des Derwischs; er wurde darüber aufgebracht und runzelte seine Stirn. Deshalb haben Leute von Einsicht und Erfahrung gesagt: Vor der Heftigkeit und dem Ungestüm der Könige muß man auf der Hut sein, denn ihr Geist beschäftigt sich meist mit den Schwierigkeiten der Regierungsgeschäfte, und sie können daher das Zudrängen der gemeinen Leute nicht ertragen.
[51] Er sprach: Jagt den unverschämten, verschwenderischen Bettler fort, der eine solche Gabe in so kurzer Zeit weggeworfen und verschleudert hat; denn der Vorrat der Schatzkammer ist der Bissen der Armen, nicht die Speise der Satansbrüder.
Ein treuratender Wesir entgegnete: O Herr, mir scheint es ratsam, daß man solchen Menschen ihren Unterhalt stückweise zuteile und bestimme, damit sie beim Ausgeben nicht verschwenden können; daß du aber den Befehl gegeben, ihn fortzujagen und hinauszuwerfen, dies ist doch nicht die Weise edelgesinnter Männer, jemandem durch Güte Hoffnung einzuflößen und ihn dann durch Vereitlung der Hoffnung zu verwunden.
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[52] Einer von den frühern Königen regierte sein Reich mit Sorglosigkeit und behandelte sein Heer mit Lieblosigkeit. Als nun ein gefährlicher Feind erschien, ergriffen alle die Flucht.
Einer von denen, welche diesen Verrat begangen hatten, war mein Freund; ich machte ihm Vorwürfe darüber und sprach: Unedel und vermessen, undankbar und pflichtvergessen ist es, bei einer geringen Veränderung der Umstände seinem alten Herrn den Dienst zu versagen und sich der Verpflichtung vieljähriger Wohltaten zu entschlagen. Er antwortete: Laß mich sprechen, und du wirst mich entschuldigen. Ist es billig, daß mein Pferd ohne Futter bleibe und ich als Pfand mein Sattelfutter gebe? Wenn ein Sultan für das Heer mit seinem Golde geizig ist, kann man doch für ihn nicht mit seinem Leben freigebig sein.
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Ein Wesir wurde abgesetzt und trat in den Kreis der Derwische; der Segen ihrer Gesellschaft [53] wirkte auf ihn, und Ruhe des Geistes ward ihm zuteil. Als ihn der König aufs neue in Gnaden annahm und ihm ein Amt übertragen wollte, nahm er es nicht an, sondern er sprach: Vom Amte verjagt ist besser als von der Welt geplagt.
Der König erwiderte: Wir brauchen aber doch einen Mann von genügender Einsicht, welcher der Verwaltung des Reiches gewachsen sei. O König, sagte der Wesir, das Kennzeichen eines Mannes von genügender Einsicht ist, daß er sich in solche Geschäfte nicht einläßt.
Zu einem Schwarzohr sagte man: Aus welchem Grunde hast du dir die beständige Gesellschaft des Löwen gewählt? Damit ich, antwortete er, den Überfluß seiner Jagd verzehre und unter seinem mächtigen Horte vor der Bosheit meiner Feinde sicher lebe. Nun, sagte man, da du unter den Schatten seines Schutzes getreten bist und deine Dankbarkeit für seine Wohltaten bekennest, warum trittst du ihm nicht näher, damit er dich [54] in den Kreis seiner Vertrauten ziehe und dich unter seine getreuen Diener rechne? Ich bin ja doch, erwiderte er, vor seiner Gewalttätigkeit nicht sicher.
Es trifft sich zuweilen, daß der Gesellschafter der königlichen Majestät Kopfstücke gewinnt, aber es geschieht auch, daß er seinen Kopf verliert, und weise Männer haben gesagt: Vor dem Wechsel der Launen der Könige muß man auf der Hut sein, denn zuweilen geraten sie über eine Begrüßung in Zorn, zuweilen geben sie für eine Beschimpfung ein Ehrenkleid. Man hat auch gesagt: Viele Witzreden sind für Höflinge ein Verdienst, für Weise ein Fehler.
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Einer meiner Freunde klagte bei mir über sein unglückliches Geschick. Lebensunterhalt, sagte er, habe ich wenig und der Hausgenossen viele, und ich bin nicht imstande, die Last der Armut zu tragen. Zuweilen kömmt mir der Gedanke, in ein anderes Land zu gehen, damit, wie ich auch dort leben möge, niemand weder mein Gutes noch mein Böses kenne.
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Doch bin ich auch wieder wegen der Schadenfreude meiner Feinde besorgt, denn mit Verleumdung werden sie hinter meinem Rücken lachen und meine Abreise zum Wohle meiner Hausgenossen einem Mangel an männlichem Sinne zuschreiben und sprechen:
Ich verstehe bekanntlich etwas von der Kunst, die Rechnungen zu führen; wenn mir durch euern Einfluß irgendein Amt angewiesen wird, das mir Gemütsruhe verschafft, so werde ich mich zeitlebens nicht von der Verpflichtung zum Danke dafür lösen können. O Freund, sprach ich, der Dienst der Könige hat zwei Seiten, Hoffnung des Brotes und Furcht des Todes, und es widerstreitet der Ansicht der Verständigen, um jener Hoffnung willen sich in diese Furcht zu stürzen.
Was du sagst, erwiderte er, das paßt nicht auf meine Lage, und du gibst keine Antwort auf meine Frage. Hast du den Spruch nicht gehört: Wer Untreue begangen, muß vor der Rechenschaft bangen?
Und die Weisen haben gesagt: Vier Leuten ist es vor vier Leuten bange, dem Räuber vor dem Sultan, dem Diebe vor dem Nachtwächter, dem Wüstling vor dem Angeber, der Buhldirne vor dem Polizeiobersten; wer aber keinen Fehler hat in der Rechnung, hat auch keine Furcht vor der Abrechnung.
Ich erwiderte: Auf dich läßt sich die Erzählung von jenem Fuchse anwenden, den man einst über [57] Hals und Kopf davonlaufen sah. Als man ihm zurief: Was ist denn geschehn, daß wir dich in solchem Schrecken sehn? antwortete er: Ich habe gehört, daß man das Kamel zum Frondienste fängt. O Tor, sagte man, was ist denn zwischen dem Kamel und dir für eine Verbindung, und zwischen dir und ihm für eine Vergleichung? Schweigt, rief er, denn wenn die Neider in ihrer Bosheit sagen: dieser ist ein Kamel, und ich gefangen werde, wer wird sich um meine Befreiung kümmern oder meinen Zustand untersuchen? und bevor Theriak aus Irak gekommen, ist der von der Schlange Gebissene umgekommen. Du besitzest freilich, sprach ich, Verdienst und Frömmigkeit, aber die Neider liegen im Hinterhalt und die Kläger sitzen im Winkel; wenn auch dein Wandel vortrefflich ist, so versichern sie das Gegenteil, du mußt von dem Könige Vorwürfe hören und Verweise annehmen, und wer darf sich in solchen Umständen eine Einrede erlauben? Darum scheint es mir ratsamer, daß du dir den Besitz der Genügsamkeit erhaltest und dich des Strebens nach einer Ehrenstelle enthaltest; denn die Verständigen haben gesagt:
Als der Freund diese Rede hörte, wurde er unwillig und zog sein Gesicht in Falten, und fing an Worte voll Kränkung auszusprechen: O über die [58] Urteilsfähigkeit und Verstandesvortrefflichkeit! Wohl ist das Wort der Weisen wahr, welche gesagt haben: Im Gefängnisse können die Freunde nützlich werden, denn an der Tafel wollen sich alle Feinde als Freunde gebärden.
Ich sah, daß er sich selbst nicht mehr gehörte und meinen Rat mit Unwillen anhörte; ich ging daher zu dem Vorsteher des Diwans, mit dem ich von früherer Zeit her bekannt war, und stellte diesem seine Umstände vor, so daß man ihm ein geringes Amt übertrug. Nach Verlauf einiger Tage erkannte man die Güte seiner Gesinnung und belobte die Trefflichkeit seiner Verwaltung; er rückte in seiner Stellung vor und hob sich zu einer höhern Stufe empor, und so war sein Gestirn im Steigen, bis es in den Zenit seiner Wünsche gelangte und er das nächste Vertrauen der königlichen Majestät erlangte, »daß die Leute mit Fingern auf ihn wiesen und die Großen ihm ihr Zutrauen bewiesen«. Ich war über seine glückliche und sichere Stellung hocherfreut und sprach:
In dieser Zeit traf es sich, daß ich mit mehreren Gefährten die Reise nach Mekka machte; als ich wieder von der Wallfahrt zurückkehrte, kam mir der Freund eine oder zwei Tagereisen entgegen, ganz verstört in seinem Aussehn und wie ein Derwisch anzusehn. Was ist geschehn? rief ich. Er antwortete: Was du gesagt hattest; einige waren vom Neide gegen mich geplagt, und ich wurde von ihnen der Veruntreuung angeklagt; der König geruhte nicht, zur Aufdeckung der Wahrheit eine Untersuchung anzustellen, indes die alten Gefährten und wohlgesinnten Genossen ein Wort der Wahrheit zu sagen sich nicht vermaßen und der langen Freundschaft vergaßen.
Kurz, ich wurde in das Gefängnis geworfen und auf mannigfaltige Art gepeinigt, bis in dieser Woche, wo die frohe Nachricht von der glücklichen Rückkehr der Pilger ankam, man mir meine [60] schweren Fesseln auszog, aber meine Besitztümer einzog. Damals, sprach ich zu ihm, wolltest du meinen Wink nicht beherzigen, als ich sagte: Der Dienst der Könige ist wie eine Seereise, gewinnreich, aber gefahrvoll; entweder wirst du Schätze erwerben oder in den Wellen sterben.
Ich hielt es nicht für geraten, das Aufreißen seiner innern Wunde ferner fortzutreiben und Salz hineinzureiben; ich begnügte mich daher, noch folgende Verse auszusprechen:
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Einige Leute lebten in meiner Gesellschaft, deren Äußeres durch Rechtschaffenheit geschmückt war. Einer von den Großen hatte eine sehr hohe Meinung von ihnen und hatte ihnen deshalb einen Gehalt angewiesen. Doch einer derselben beging eine zu dem Stande der Derwische [61] nicht passende Handlung; dies tat ihnen in der Meinung jenes Mannes Abbruch, und ihr Markt verlor seinen Zuspruch. Ich wollte ihnen auf irgendeine Art wieder zu ihrem Lebensunterhalt verhelfen und beschloß daher, ihm meine Aufwartung zu machen, aber der Pförtner ließ mich nicht ein und wies mich mit Grobheit ab; ich entschuldigte ihn, eingedenk des Spruches:
Bis endlich die Vertrauten jenes Großen erfuhren, was mir geschah; diese führten mich ehrenvoll ein und wiesen mir einen obern Platz an; allein ich setzte mich demutsvoll weiter unten hin und sprach:
Kurz, ich setzte mich nieder und sprach über verschiedenes hin und wieder, bis endlich die Rede auf das Vergehen meiner Freunde kam; da sagte ich:
Dem Fürsten gefielen diese Worte, und er befahl, daß man meinen Freunden die Mittel des Unterhalts nach der frühern Weise reiche und ihnen den ausgefallenen Gehalt genau bezahle. Ich sprach meinen Dank für die Huldgabe aus, küßte untertänig den Boden, und bat um Entschuldigung meiner Kühnheit, und als ich im Begriffe war hinauszugehn, sagte ich diese Worte:
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Ein Königssohn erbte von seinem Vater einen reichen Schatz; er öffnete die Hand der Großmut und machte die Freigebigkeit zum Gesetz und schüttete über Soldaten und Bürger zahllose Gnadengaben aus.
[63] Einer seiner Vertrauten wollte ihm auf unüberlegte Art einen guten Rat geben und sagte: Die früheren Könige haben dieses Gut mit Mühe erworben und zu einem nützlichen Gebrauche niedergelegt; ziehe also deine Hand von dieser Handlungsweise zurück, denn Ereignisse stehen vor dir und Feinde hinter dir, sonst möchtest du zur Zeit, wo du dessen benötigt bist, hilflos sein.
Der Königssohn runzelte die Stirn über diese Rede, denn sie stimmte mit seinem Sinne nicht überein, und sprach: Gott, der Erhabene und Gepriesene, hat mich zum Besitzer dieses Reiches gemacht, daß ich genieße und genießen lasse, nicht zum Wächter, daß ich aufbewahre.
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Als man einst, so wird erzählt, Nuschirwan dem Gerechten auf der Jagd ein Stück Wildbret briet, fehlte es an Salz, und man schickte deshalb einen Burschen in ein Dorf, um welches zu holen. Nuschirwan[64] sagte ihm: Bezahle das Salz, damit nicht ein Gesetz daraus entstehe und das Dorf zugrunde gehe. Als man ihn fragte, welches Unheil denn aus dieser Kleinigkeit entstehen könne? antwortete er: Die Grundlage der Ungerechtigkeit in der Welt ist gering gewesen, aber jeder Spätergekommene hat etwas dazugetan, bis sie zu diesem Übermaß angewachsen ist.
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Von einem Beamten habe ich erzählen hören, der die Wohnung der Untertanen verödete, um die Schatzkammer des Königs anzufüllen, uneingedenk des Wortes der Weisen: Die so die Geschöpfe Gottes plagen, um die Gunst eines Geschöpfes zu erjagen, eben diesem Geschöpfe wird Gott auftragen, mit der Hand der Rache ihr Leben zu schlagen.
Als das Haupt aller Tiere gilt der Löwe und als das Niedrigste aller Lebenden der Esel, und doch ist nach der Ansicht aller Verständigen der Esel, der Lasten trägt, besser als der Löwe, der Menschen erlegt.
Dem Könige wurde ein Teil seiner sträflichen Handlungsweise bekannt; er ließ ihn auf die Tortur legen und unter vielfachen Peinigungen hinrichten.
Einer von denen, welche seine Bedrückungen erlitten hatten, ging an ihm vorüber, und über seinen jähen Sturz nachdenkend, sprach er:
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Man erzählt von einem Menschenbedrücker, daß er einst einem frommen Manne einen Stein an den Kopf warf; der Derwisch konnte sich nicht rächen, aber er bewahrte den Stein bei sich auf, bis zur Zeit, wo der König gegen jenen Soldaten in Zorn geriet und ihn in die Grube werfen ließ; da kam der Derwisch und warf ihm den Stein an den Kopf. Wer bist du und warum wirfst du mich mit diesem Steine? rief jener. Ich bin der und der, antwortete er, und dies ist der Stein, den du in der und der Zeit mir an den Kopf geworfen hast. Wo bist du denn so lange geblieben? fragte jener. Wegen deiner hohen Stellung, antwortete der Derwisch, scheute ich mich, jetzt aber, da ich dich in der Grube sehe, habe ich die Gelegenheit als Beute geachtet.
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[67] Ein König hatte eine schreckliche Krankheit, die es nicht ziemt zu nennen. Einige griechische Ärzte kamen dahin überein, daß es für diese Krankheit kein anderes Heilmittel gebe, als die Galle eines durch bestimmte Merkmale ausgezeichneten Menschen. Der König ließ eine Nachsuchung anstellen, und man fand einen Bauernsohn mit den Merkmalen, welche die Ärzte angegeben hatten. Sein Vater und seine Mutter wurden herbeigerufen und durch große Geschenke zufriedengestellt, und der Kadi gab das Gutachten, daß es erlaubt sei, das Blut eines Untertanen zu vergießen, um das Leben des Königs zu erhalten. Als der Henker auf dem Punkte war, ihn zu töten, wandte der Knabe sein Angesicht gen Himmel und lachte. Wie kannst du denn in einem solchen Augenblicke lachen? fragte der König. Der Knabe antwortete: Das Kind mit Liebe zu pflegen ist die Pflicht des Vaters und der Mutter, die gerichtlichen Forderungen bringt man vor den Kadi, und Gerechtigkeit verlangt man von dem Könige; nun aber haben Vater und Mutter um des zerbrechlichen Gutes der Welt willen mich dem Tode überliefert, und der Kadi hat zu meiner Hinrichtung sein Gutachten gegeben, und der Sultan sieht seine Rettung in meinem Untergang; außer Gott sehe ich keine Zuflucht für mich.
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Das Herz des Sultans wurde durch diese Rede gerührt, seine Augen füllten sich mit Tränen, und er sprach: Es ist besser ich sterbe, als daß ich das Blut eines Unschuldigen vergieße. Er küßte ihm Haupt und Augen, drückte ihn an seine Brust, gab ihm reiche Geschenke und ließ ihn gehen. Man erzählt, der König sei in derselben Woche wiederhergestellt worden.
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Einer von den Sklaven des Amr Ben Leis war entflohen; man setzte ihm nach und brachte ihn zurück. Der Wesir, welcher einen Haß auf ihn geworfen hatte, gab den Rat, ihn zu töten, damit die andern Sklaven nicht das gleiche täten. Der Sklave legte vor Amr den Kopf auf die Erde und sprach:
Doch da ich unter den Wohltaten dieses Hauses aufgewachsen bin, so möchte ich nicht, daß dir bei der Auferstehung mein Blut zur Schuld angerechnet würde; wenn du mich töten willst, so töte mich wenigstens aus einem gesetzlichen Grunde, damit du bei der Auferstehung nicht gestraft werdest. Wie soll ich einen gesetzlichen Grund finden? fragte der König. Erlaube mir, antwortete der Sklave, daß ich den Wesir töte, dann kannst du mich zur Strafe dafür töten lassen, und hast mich doch auf gesetzmäßige Art getötet. Der König lachte und sagte zu dem Wesir: Was hältst du davon? O Herr, rief dieser, bei dem Grabe deines Vaters, laß diesen Schurken los, daß er mich nicht ins Unglück stürze! Ich habe gefehlt, daß ich dieses Wort der Weisen nicht beachtet:
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Der König von Sausen hatte einen Hofmeister von edlem Gemüte und schönem Anstande, der gegen alle in ihrer Gegenwart dienstbeflissen war [70] und in ihrer Abwesenheit Gutes von ihnen redete. Einst betrug er sich auf eine Art, die dem Könige mißfiel; dieser beraubte ihn seiner Güter und ließ ihn züchtigen. Die Hauptleute des Königs, welche seiner frühern Wohltaten eingedenk waren und sich zur Dankbarkeit dafür verpflichtet hielten, bewiesen ihm, solange er im Gefängnisse war, Güte und Milde und erlaubten sich gegen ihn weder Schmähung noch Unbilde.
Von der Schuld, die der König von ihm zu fordern hatte, konnte er einen Teil abtragen, für das übrige aber blieb er im Gefängnisse. Ein anderer König aus jenen Gegenden schickte ihm insgeheim eine Botschaft des Inhalts: Die Könige deines Landes wissen den Wert eines großen Mannes, wie du bist, nicht zu schätzen und behandeln ihn auf rücksichtslose Weise; wenn der edle Sinn dieses Mannes, dessen Ausgang Gott segnen möge! sich auf unsere Seite zu wenden geruhen wollte, so würden wir uns die äußerste Mühe geben, ihn zu ehren, denn die Großen [71] dieses Reiches werden in seinen Anblick ihren höchsten Stolz setzen und sehen einer Antwort auf dieses Schreiben mit Sehnsucht entgegen. Der Hofmeister nahm davon Kenntnis, und da er wegen der Gefahr besorgt war, schrieb er eine kurze Antwort, wie sie ihm zweckmäßig schien, auf den Rücken des Blattes und schickte es fort. Einer von den Leuten des Königs erfuhr diesen Vorfall und setzte den König davon in Kenntnis, indem er sagte: Jener, den du ins Gefängnis hast setzen lassen, hat einen Briefwechsel mit den Königen der Nachbarländer. Der König ergrimmte und befahl, die Sache zu untersuchen; man ergriff den Boten und las seinen Brief. Auf demselben war geschrieben: Die gute Meinung Ihrer Hoheiten ist besser als das Verdienst Ihres Knechtes; der ehrenvollen Gunst, deren Sie ihn gewürdigt haben, kann aber Ihr Knecht nicht Folge leisten, weil er unter den Wohltaten dieses Hauses aufgewachsen ist, und wegen einer geringen Änderung des Sinnes seinem früheren Wohltäter nicht untreu werden darf, eingedenk des Spruches:
Der König war erfreut über seine dankbare Gesinnung; er schenkte ihm Geld und Ehrenkleid, bat ihn um Verzeihung und sprach: Ich habe gefehlt [72] und dich unschuldig gequält. O Herr, antwortete der Hofmeister, dein Knecht findet in dieser Sache bei dir keine Schuld, sondern es war der Ratschluß Gottes, daß mir etwas Widerwärtiges zustoßen sollte, darum war es besser, daß es durch deine Hand geschehen, der du deinen Diener durch frühere Wohltaten verbunden und zur Dankbarkeit verpflichtet hast.
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Ein arabischer König befahl den Räten seines Diwans, den Gehalt eines gewissen Mannes, solange er lebte, zu verdoppeln, weil er eifrig im Hofdienste und jedes Befehles gewärtig sei, während die andern Hofdiener sich mit Scherz und Spiel beschäftigten und ihre Dienstpflicht vernachlässigten. Ein Einsichtsvoller, welcher dieses hörte, sprach: Auf gleiche Art verhält es [73] sich mit der Höhe des Ranges der Menschen am Hofe des erhabenen und gepriesenen Gottes.
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Von einem ungerechten Manne wird erzählt, der das Holz der Armen auf eine drückende Weise kaufte und es den Reichen um hohen Preis verkaufte. Ein Einsichtsvoller, der bei ihm vorüberging, sagte:
Der Ungerechte wurde unwillig über diese Worte und zog sein Gesicht in Falten, und er nahm keine Rücksicht darauf, bis einst in einer Nacht Feuer aus der Küche in den Holzvorrat kam, seine ganze Habe verbrannte und ihn von dem weichen Pfühle in die heiße Asche bettete. Zufällig ging derselbe Einsichtsvolle bei ihm vorüber und hörte, wie er zu seinen Freunden sagte: Ich weiß nicht, woher dieses Feuer in mein Haus gekommen ist. Er antwortete: Von dem Herzensrauch der Armen.
Ein Ringer hatte es in seiner Kunst bis zur höchsten Vollkommenheit gebracht; er verstand [75] dreihundertundsechzig vortreffliche Kunstgriffe und konnte jeden Tag einen andern anwenden. Zufällig fühlte er in einem Winkel seines Herzens eine Neigung zu der Schönheit eines seiner Schüler; er lehrte ihn dreihundertneunundfünfzig Kunstgriffe, nur einen einzigen wollte er ihn nicht lehren, indem er ihn als etwas Unbedeutendes wegließ. Der Jüngling brachte es in der Kunst und der Körperkraft zur höchsten Vollkommenheit, und niemand war imstande, es mit ihm aufzunehmen, so daß er endlich in Gegenwart des Sultans äußerte: Den Vorzug, welchen mein Meister vor mir hat, verdankt er seinem Alter und seinem Unterrichte, sonst stehe ich an Kraft nicht unter ihm und in der Kunst komme ich ihm gleich. Dem König mißfiel diese ungeziemende Rede; er befahl, sie sollten miteinander ringen. Ein geräumiger Platz wurde dazu bestimmt, die Mächtigen des Reichs und die Großen des Hofes waren als Zuschauer zugegen. Der Jüngling trat gleich einem trunknen Elefanten mit einer Heftigkeit auf, daß er einen ehernen Berg hätte von seiner Stelle reißen können. Der Meister aber, welcher wußte, daß der Jüngling ihm an Kraft überlegen war, faßte ihn mit jenem besondern Kunstgriff, den er vor ihm verborgen gehalten hatte und den der Jüngling nicht abzuwehren verstand; er hob ihn mit beiden Händen von der Erde auf, hielt ihn über seinem Kopfe in der Schwebe, und warf [76] ihn dann auf die Erde. Die Zuschauer erhoben ein Geschrei; der König ließ dem Meister Geld und Ehrenkleid geben, dem Jüngling dagegen gab er einen derben Verweis, daß er vorgegeben, er könne es mit seinem eignen Meister aufnehmen, es aber nicht durch die Tat bewährt hatte. O Herr, erwiderte der Jüngling, der Meister hat mich nicht durch Kraft und Gewalt besiegt, sondern eine Kleinigkeit war noch in der Ringkunst übriggeblieben, die er mir vorenthalten, und durch diese Kleinigkeit hat er heute gesiegt. Der Meister aber sagte: Eben für einen solchen Tag hatte ich sie aufgespart, denn die Weisen haben gesagt: Gib dem Freunde nicht so viel Kraft, daß, wenn er ein Feind wird, er es mit dir aufnehmen könne. Hast du nicht gehört, was jener sagte, der von seinem Schüler schmachvoll behandelt wurde?
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Ein Derwisch wohnte als Einsiedler in einem Winkel der Wüste; ein König ging vorüber; der Derwisch – denn in der Zurückgezogenheit liegt der Besitz der Zufriedenheit – erhob seinen [77] Kopf nicht und nahm keine Rücksicht auf ihn; der König aber – denn in der Herrschaft liegt herrisches Wesen – wurde darüber unwillig und rief: Dieses Volk in Lumpen ist wie das Vieh. Der Wesir sagte zu dem Einsiedler: Der König der Erde ist bei dir vorbeigegangen, warum hast du ihm keine Ehrfurcht bewiesen, und was die gute Sitte verlangt, nicht erwiesen? Dieser antwortete: Sage dem Könige: Erwarte Ehrenbezeigung von dem, der von dir Gunstbezeigung erwartet, und wisse übrigens, daß die Könige da sind, um über die Untertanen zu wachen, nicht die Untertanen, um den Königen den Hof zu machen.
Der König fand die Worte des Derwisches wahr, und sprach: Erbitte dir etwas von mir. Ich bitte [78] dich darum, antwortete der Derwisch, daß du mich nicht ferner belästigest. Gib mir einen Rat, sagte der König. Er sprach:
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Ein Wesir kam zu Dhul Nun, dem Ägypter, und bat ihn, er möchte seiner im Gebete gedenken. Tag und Nacht, sagte er, mühe ich mich im Dienste des Sultans ab, seine Gnade ist mein Hoffen und seine Strafe meine Furcht. Dhul Nun weinte und sprach: Wenn ich Gott so fürchtete wie du den Sultan, ich gehörte unter die Zahl der Heiligen.
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Ein König gab Befehl zur Hinrichtung eines Unschuldigen. O König, rief dieser, wegen eines Unwillens, den du gegen mich empfindest, suche nicht deine eigne Qual. Wieso? fragte der König. Diese Strafe, antwortete er, ist in einem Augenblick an mir vollzogen, aber die Schuld davon lastet ewig auf dir.
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Die Wesire Nuschirwans beratschlagten über eine wichtige Angelegenheit des Reiches, und jeder gab nach bestem Wissen seine Meinung ab. Der König beratschlagte auch mit, und Busurdschmihr stimmte der Meinung des Königs bei. Als ihn die Wesire insgeheim fragten, welchen Vorzug er denn in der Meinung des Königs vor dem Urteile so vieler weiser Männer finde, antwortete er: Weil der Ausgang der Sache unbekannt ist, und es von dem Willen Gottes abhängt, ob sich die Meinung aller richtig oder falsch erweisen wird, darum ist es besser, der Meinung des Königs beizutreten, damit, wenn sie sich als unrichtig erweist, man um der Beipflichtung willen vor der Züchtigung sicher sei.
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Ein Betrüger kräuselte seine Haare, als ob er ein Alide wäre, zog mit der Hedschas-Karawane in die Stadt ein, als ob er von der Wallfahrt käme, und überreichte dem König ein Gedicht, als ob er es verfaßt hätte. Einer von den Gesellschaftern des Königs, der in diesem Jahre von einer Reise zurückgekommen war, sagte: Ich habe diesen bei dem Opferfeste in Basra gesehen, wie kann er denn ein Wallfahrer sein? Darauf sagte ein anderer: Sein Vater war ein Christ in Malatia, wie kann er denn ein Alide sein? Und sein Gedicht fand man in dem Diwan Enweris. Der König befahl, man solle ihn schlagen und hinauswerfen, weil er so viele Lügen gesagt habe. O Herr der Erde, rief jener, ich will dir ein anderes Wort sagen, wenn dieses nicht wahr ist, so habe ich jede Strafe verdient, die du über mich verhängen magst. Was ist es? fragte der König. Er sprach:
Der König lachte und sprach: Ein wahreres Wort als dieses hast du in deinem Leben nicht gesagt. Er befahl, man solle ihm das, was er verlangt hatte, reichen.
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[81] Man erzählt von einem Wesir, der sich gegen seine Untergebenen gütig zeigte und auf das Wohl aller bedacht war. Einst hatte ihm der König etwas vorzuwerfen, und ließ ihn gefangen setzen. Alle bemühten sich um seine Befreiung, die Aufseher zeigten sich milde in seiner Züchtigung, und die übrigen Großen redeten Gutes von seinem Wandel, bis der König ihm sein Vergehen verzieh. Ein Einsichtsvoller sprach, als er dieses erfuhr:
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Einer von den Söhnen Harun Al Raschids kam von Zorne glühend zu seinem Vater und klagte, daß ein Hauptmannssohn seine Mutter geschmäht habe. Harun fragte die Großen des Reichs, welche Strafe dieser verdient hätte. Der eine gab den Rat, ihn zu töten, ein anderer, ihm die Zunge auszuschneiden, ein andrer, seine Güter einzuziehen und ihn zu verbannen. Harun aber sprach: Mein Sohn, edel ist es, wenn du ihm verzeihest; kannst du es aber nicht, so schmähe du auch seine Mutter, aber überschreite dabei das richtige Maß nicht, sonst ist das Unrecht auf unsrer Seite.
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Ich war einst mit mehreren Großen auf einem Schiffe; ein Boot ging hinter uns unter, und zwei Brüder gerieten in einen Strudel. Einer von den Großen sagte zu dem Schiffer: Ziehe diese beiden heraus, dann gebe ich dir hundert Dinare. Während aber der Schiffer den einen rettete, ging der andere unter. Ich sprach: Diesem war kein ferneres Leben bestimmt, darum hast du ihn nicht zuerst ergriffen. Der Schiffer lachte und erwiderte: Was du sagst, ist wohl wahr, doch war es meine Absicht, diesen hier zuerst herauszuziehen, weil er einst, als ich in der Wüste ermüdet zurückgeblieben war, mich auf sein Kamel setzte, während ich dagegen von jenem in meiner Kindheit Peitschenhiebe empfangen habe. Ich rief: Wahrhaftig ist der allmächtige Gott: »Wer Gutes tut, tut es sich selbst, und wer Böses tut, ladet es sich selber auf.«
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Es waren einst zwei Brüder; der eine lebte im Dienste des Sultans, der andere aß sein Brot durch seiner Hände Arbeit. Einst sagte jener reiche zu dem armen: Warum dienst du nicht dem Sultan, um dich von der Mühseligkeit des Arbeitens zu befreien? Dieser antwortete: Warum arbeitest du nicht, um der Erniedrigung des Dienstes zu entgehen? Die Weisen haben gesagt: Ein bißchen Brot essen und ruhig sitzen ist besser als goldnen Gürtel und Schwert umbinden und im Dienste stehn.
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[84] Man brachte Nuschirwan dem Gerechten die frohe Botschaft, daß Gott, der Mächtige und Erhabene, einen seiner Feinde aus der Welt genommen. Hast du gehört, sprach Nuschirwan, daß er mich darin lassen will?
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Eine Versammlung von Weisen unterredete sich an dem Hofe des Kesra über eine wichtige Sache; Busurdschmihr schwieg, und als man ihn fragte, warum er bei dieser Beratung nicht mitspreche, antwortete er: Die Wesire gleichen den Ärzten, der Arzt aber gibt nur den Kranken Arznei; da ich nun sehe, daß ihr mit eurer Meinung auf dem rechten Wege seid, so habe ich keinen Grund dabei mitzusprechen.
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Als dem Harun Al Raschid die Herrschaft Ägyptens übergeben wurde, sagte er: Als Gegensatz zu jenem Tyrannen, der im Stolze über die Herrschaft Ägyptens sich anmaßte, Gott zu sein, schenke ich dieses Reich dem geringsten meiner Sklaven. Er hatte einen Schwarzen von langsamem [85] Verstande, namens Chosseib, dem vertraute er die Herrschaft Ägyptens an. Dieser soll so beschränkt an Verstand und Einsicht gewesen sein, daß, als einst einige ägyptische Landleute sich bei ihm beklagten, die Baumwolle, die sie an dem Ufer des Nils gesäet, sei durch einen unzeitigen Regen zugrunde gegangen; er sagte: Ihr hättet Wolle säen sollen. Ein Einsichtsvoller, welcher dieses hörte, sprach:
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Einem Könige hatte man ein chinesisches Mädchen gebracht; als er einst betrunken war, wollte er sich zu ihr legen, allein sie widersetzte sich. Der König geriet darüber in Zorn und schenkte sie einem seiner schwarzen Sklaven, dessen Oberlippe an dem Vorsprung der Nase vorbeiging und dessen Unterlippe auf den Halskragen herabhing; bei dem Anblick seiner Gestalt wurde selbst die [86] Hexe Sakhr krank, und aus seiner Achselhöhle roch es wie eines Pechquells Gestank.
Den Neger erfaßte in diesem Augenblick die Leidenschaft, und es überwältigte ihn der Begierde Kraft, und da er von Liebe glühte, raubte er ihre Blüte. Am Morgen suchte der König das Mädchen und fand es nicht; als man ihm sagte, was geschehen war, wurde er zornig und befahl, man solle den Neger mit dem Mädchen an Händen und Füßen fest zusammenbinden und sie von dem Dache des Schlosses in den Graben hinunterwerfen. Ein edelgesinnter unter den Wesiren legte das Angesicht der Fürbitte auf die Erde und sprach: Der arme Neger hat hierin nicht gefehlt, alle deine Diener und Sklaven sind ja an deine königlichen Gaben und Geschenke gewöhnt. Wenn er aber nur eine Nacht gewartet hätte, bevor er sich ihr näherte, erwiderte der König, was wäre es? O Herr, sagte der Wesir, hast du diesen Spruch nie gehört?
Dem Könige gefiel dieses Witzwort, und er sprach: Den Neger schenke ich dir, was soll ich aber mit dem Mädchen machen? Das Mädchen schenke dem Neger, antwortete der Wesir, was er halb gegessen, gehört ihm auch ganz.
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Alexander der Grieche wurde einst gefragt: Durch welches Mittel hast du die Länder des Ostens und Westens erobert, während den frühern Königen, die mehr Schätze und Macht [88] und Jahre und Heere hatten als du, eine solche Eroberung nicht möglich gewesen ist? Er antwortete: In allen Reichen, die ich mit Gottes Hilfe eingenommen, habe ich die Untertanen nie geplagt und von ihren Königen stets nur Gutes gesagt.