Erster Bezirk
Italienische Gedichte

Aus dem römischen Tagebuch,
von Allerheiligen bis Weihnachten

1817.


Herr! laß mich nicht im fremden Lande sterben,
Wo keine Hand die Augen zu mir drücket
Und keine mir den Ort mit Blumen schmücket,
Wo man mich hinwirft bei zerbrochnen Scherben.
Einst wünscht' ich eine Stätte zu erwerben
An jenem Orte, der seitdem entrücket
Dem Geist ward wie den Augen, wo gepflücket
Vom Tod ich sah die schönste Blum' entfärben.
Das waren Wünsche, die ich that in Reimen,
Als ich, mit Blumenspielwerk überhäufend
Ein Menschengrab, Abgötterei getrieben.
Jetzt fühl' ich still den Ernst im Herzen keimen
In nächt'ger Stund' und flehe, Thränen träufend:
»Herr! laß mich sterben heim bei meinen Lieben!«

[303] Aus der Jugendzeit

Aus der Jugendzeit, aus der Jugendzeit
Klingt ein Lied mir immerdar;
O wie liegt so weit, o wie liegt so weit,
Was mein einst war!
Was die Schwalbe sang, was die Schwalbe sang,
Die den Herbst und Frühling bringt;
Ob das Dorf entlang, ob das Dorf entlang
Das jetzt noch klingt?
»Als ich Abschied nahm, als ich Abschied nahm,
Waren Kisten und Kasten schwer;
Als ich wieder kam, als ich wieder kam,
War alles leer.«
O du Kindermund, o du Kindermund,
Unbewußter Weisheit froh,
Vogelsprachekund, vogelsprachekund
Wie Salomo!
O du Heimatflur, o du Heimatflur,
Laß zu deinem heil'gen Raum
Mich noch einmal nur, mich noch einmal nur
Entfliehn im Traum!
Als ich Abschied nahm, als ich Abschied nahm,
War die Welt mir voll so sehr;
Als ich wieder kam, als ich wieder kam,
War alles leer.
Wohl die Schwalbe kehrt, wohl die Schwalbe kehrt,
Und der leere Kasten schwoll,
Ist das Herz geleert, ist das Herz geleert,
Wird's nie mehr voll.
Keine Schwalbe bringt, keine Schwalbe bringt
Dir zurück, wonach du weinst;
Doch die Schwalbe singt, doch die Schwalbe singt
Im Dorf wie einst:
[304]
»Als ich Abschied nahm, als ich Abschied nahm,
Waren Kisten und Kasten schwer;
Als ich wieder kam, als ich wieder kam,
War alles leer.«

Oktaven

1.

Ich hätte Herzzerreißendes zu singen,
Wollt' ich enthüllen, was tief in mir lodert;
Ich müßte mich zu falschen Tönen zwingen,
Wollt' ich der Menge geben, was sie fodert.
Wie helle Blumen aus der Erde dringen
Und dunkler Tod still unter ihnen modert;
So soll mein Sinn sich sanft in Schmuck verhüllen
Und meine Trauer euch mit Lust erfüllen.

2.

Da ich des Lebens Lust und Leid erfuhr,
Mein Herz vermag zu zürnen und zu lieben,
Zu mir vernehmlich redet die Natur,
Mir jede Sprache lebt, die Menschen schrieben;
Und alles, das ich nicht zu denken nur,
Auch auszusprechen fühle mich getrieben:
Wie sollt' ich nicht, zum Trotz den Splitterrichtern,
Mich selber zählen zu den wahren Dichtern?

Sicilianen

1.

Ach, ein verzaubert Reich ist die Natur,
Stets hoffend, daß man sie des Banns entbinde.
[305]
Im Frühling ahnt sie der Erlösung Spur;
Sie hofft, daß ganz in Glanz und Duft sie schwinde.
Der süße Todesschauer kam und fuhr
Vorüber, wirkungslos im Frühlingswinde.
O Liebe, komm! in deinen Blicken nur
Ist Hoffnung, daß die Welt in Feuer schwinde.

2.

O Frühling, ew'ge Liebesmelodie,
Unausgetönt von allen Nachtigallen,
Unausgeblüht von allen Rosen, wie
Unausgefühlt von Menschenherzen allen!
So Frühling, wie du's nun bist, warst du nie,
Und nie so Frühling wirst du wieder wallen;
Denn nun zum Frühling macht dich blickend Sie,
Und sonst nur Blicke, die der Sonn' entfallen.

3.

Du bist von mir als wie der Lenz geschieden,
Wie war dein Abschiedlächeln zaubervoll!
Ein Thränchen Tau an deinen Augenliden,
Ein Seufzerchen, das auf der Lippe schwoll!
So schiedest du, der Wehmut stillen Frieden
In meinem Busen lassend, nicht den Groll.
So sieht Erinn'rung ewig dich hienieden,
Bis ich dich droben ewig sehen soll.

4.

Ich will aufs Grab dir duft'ge Blüten streuen,
O Blüte, die der Tod in Staub gestreut!
Das Blumenopfer will ich dir erneuen,
So oft der Lenz sein Blumenreich erneut.
Wie sollt' ich, Blumen, euch zu brechen scheuen,
Da sie zu brechen nicht der Tod gescheut?
Für sie zu sterben sollt ihr nun euch freuen,
Weil ohne Sie euch doch zu blühn nicht freut.

[306] Ritornelle

1.

1.
Laßt Lautenspiel und Becherklang nicht rasten,
Solang' es Zeit ist zu der Jugend Festen.
Ist Fasching aus, so folgen dann die Fasten.
2.
Der Freundin Bild ist in mein Herz geflossen;
Die Hand des Schöpfers ewig sei gepriesen,
Die mir zum Seh'n das Aug' hat aufgeschlossen.
3.
Mir träumt', ich starb, und deine Thränen flossen,
Da richtet' ich mich auf und lebte wieder,
Der welken Blume gleich, die Tau begossen.

2.

1.
Blüte der Mandeln!
Du fliegst dem Lenz voraus und streust im Winde
Dich auf die Pfade, wo sein Fuß soll wandeln.
2.
Zierliches Glöckchen!
Vom Schnee, der von den Fluren weggegangen,
Bist du zurückgeblieben als ein Flöckchen.
3.
O Lorbeerzweige!
Ihr wachst auf einem himmelnahen Gipfel,
Zu dem ich nun schon zwanzig Jahre steige.

3.

1.
Was ist zu machen?
Geh' ich von ihr, so wird mein Herz zerspringen;
Und bleib' ich bei ihr, wird sie aus mich lachen.
2.
Werde nicht irre
Am dunkeln Liebesrätsel! Sinn' und harre,
Bis sich's dir lieblich wie ihr Haar entwirre.

Lizenz
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link zur Lizenz

Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Rückert, Friedrich. Erster Bezirk. Italienische Gedichte. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-AB05-5