Erstes Bruchstück
Kritik

An unsere Sprache

Reine Jungfrau, ewig schöne,
Geist'ge Mutter deiner Söhne,
Mächtige von Zauberbann,
Du, in der ich leb' und brenne,
Meine Brüder kenn' und nenne
Und dich selber preisen kann!
Da ich aus dem Schlaf erwachte,
Noch nicht wußte, daß ich dachte,
Gabest du mich selber mir,
Ließest mich die Welt erbeuten,
Lehrtest mich die Rätsel deuten
Und mich spielen selbst mit dir.
Spenderin aus reichem Horne,
Schöpferin aus vollem Borne,
Wohnerin im Sternenzelt!
Alle Höhn hast du erflügelt,
Alle Tiefen du entsiegelt
Und durchwandelt alle Welt.
Durch der Eichenwälder Bogen
Bist du brausend hingezogen,
Bis der letzte Wipfel barst;
Durch der Fürstenschlösser Prangen
Bist du klingend hergegangen,
Und noch bist du, die du warst.
[3]
Stürme, rausche, lispl' und säusle!
Zimmre, glätte, hau' und meißle,
Schaffe fort mit Schöpfergeist!
Dir läßt gern der Stoff sich zwingen,
Und dir muß der Bau gelingen,
Den kein Zeitstrom niederreißt.
Mach' uns stark an Geisteshänden,
Daß wir sie zum Rechten wenden,
Einzugreifen in die Reih'n.
Viel Gesellen sind gesetzet,
Keiner wird gering geschätzet,
Und wer kann, soll Meister sein.

An die Dichter

Geist genug und Gefühl in hundert einzelnen Liedern
Streu' ich, wie Duft im Wind, oder wie Perlen im Gras.
Hätt' ich in einem Gebild es vereinigen können, ich wär' ein
Ganzer Dichter, ich bin jetzt ein zersplitterter nur.

Naturpoesie

Das Schönste ward gedichtet
Von keines Dichters Mund,
Kein Denkmal ist errichtet,
Kein Marmor thut es kund.
Es hat sich selbst geboren,
Wie eine Blume sprießt
Und wie aus Felsenthoren
Ein Brunnquell sich ergießt.

Calderon und seine Bearbeiter

Calderon mit seiner steifen
Formenpracht kann ich begreifen,
[4]
Auch an seinem immer neuen
Farbenschmelz mein Aug' erfreuen,
Selbst Phantome seiner krassen
Kloster-Hofluft gelten lassen.
Aber wer ihn heut noch gelten
Machen will, den muß ich schelten.
Wo er stehn will auf den Brettern,
Wird die Zeit herab ihn schmettern,
Die mit Fürstenknecht und Pfaffen
Künftig nichts mehr hat zu schaffen.

Zu Lessings Denkmal

Jeder Deutsche, wenn er Lessing nennen höret, fühle Stolz;
Der, der Bildung Baum zu pflanzen, ausgereutet faules Holz.
Deutschen Geistes sprödes Erz mit männlicher Begeist'rung schmolz,
Und wohin er immer zielte, stets ins Schwarze schoß den Bolz.
Ihm ein Denkmal zu errichten braucht es nicht, Er hat's gethan;
Aber wie wir ihm verpflichtet uns erkennen, zeig' es an:
Er hat eingeschlagen, die wir wollen gehn, der Forschung Bahn,
Und zum Ziel der Wahrheit, das wir suchen, ging er uns voran.
Er zuerst hat unser Wesen fremder Fessel frei gemacht
Und zu Ehren vor Europas Augen unser Volk gebracht:
Drum, solang in uns Gefühl der Ehre, Mut der Freiheit wacht,
Als Befreiers, Ehrenwächters, sei, o Lessing, dein gedacht.

[5] Goethe

Der euch das Kreuz
Mit Rosen umwunden,
Hat er vor euch
Nicht Gnade gefunden?
Nein, ihr seid stolz,
Am nackten zu hangen.
Laßt mir das Kreuz,
Von Rosen umfangen!

Heldenleben

(Zu Rostem und Suhrab.)


Das ist des alten Heldenlebens Geist,
Daß, wie du immer ihm entfremdet seist,
Du dich ergriffen von der Herrlichkeit,
Erschüttert fühlst, erhoben und geweiht,
Zugleich erkennest, daß, wie frisch und stark,
Es gleichwohl schadhaft sei im innern Mark,
Darum dem Tod verfallen rettungslos,
Doch auch im Untergang so schön und groß,
Daß so zu leben, auch um so zu sterben,
Das schönste scheint, was könn' ein Mensch erwerben.

[6] Zweites Bruchstück
Selbstschau

Zum Anfang

Mache deinem Meister Ehre, o Geselle, baue recht!
Wie das Maß er hat genommen, nimm die Kelle, baue recht!
Nicht um deine Mitgesellen sorge, wie sie mögen baun;
Dafür laß den Meister sorgen, deine Stelle baue recht!
Frage nicht, was mühsam heute deine Hand gefügt, wie bald
Wohl im Sturm der Zeiten wieder es zerschelle, baue recht!
Laß nicht deinen Unmut fragen, welch Bewohners Ungeschmack
Künftig die von dir gebaute Wand entstelle, baue recht!
Gärtner, dem der Grund zum Mörtel und zur Kell' ein Spaten dient,
Rühr' dich, und den Bau der Erde treu bestelle, baue recht!
Bau' die Formen der Gewächse, gründe Pflanzen und vertilg'
Unkraut, daß in Weg dem Kraut es sich nicht stelle, baue recht!
Ordne deine blüh'nden Staaten, freu' dich der Bevölkerung.
Beet' und Pfad' und auch die Leitung jedem Quelle baue recht!
Fischer, dem das Meer zum Acker und zum Pflug ein Nachen dient,
Furche tief das Beet der Fluten, deine Welle baue recht!
Fleug, Weltteile zu verknüpfen, Schiff, und laß den Handel blühn!
Handel, deine Mess' und Bude, Wag' und Elle, baue recht!
Laß vom Recht und von der Liebe, König, dir den Thronsaal baun!
Bau' den Giebel frei und luftig, und die Schwelle baue recht!
[7]
Wenn die Eintracht Häuser bauet, die die Zwietracht niederreißt:
Eintracht, komm, nimm unsrer Zwietracht Trümmerfälle, baue recht!
Kleinlich ist der Staaten Fachwerk vor dem ew'gen Bau der Welt:
Komm, Weltweisheit, Weltengeistes Baugeselle, baue recht!
Die Vergangenheit der Schöpfung bau' uns aus den Trümmern auf,
Und die Zukunft der Geschichte baue helle, baue recht!
Löse du die Sprachverwirrung, die den Bau ins Stocken bringt;
Daß Idee den Plan des Meisters her uns stelle, baue recht!
Sichre, stille, ungestörte Architektin, o Natur,
Baue fort nach unbewußtem Kunstmodelle, baue recht!
Bau' die stolzgewölbte Kuppel deines Saals, o Himmel, wo
Mit Musik sich ewig drehen Sphärenbälle, baue recht!
Sonnenbahnen und Milchstraßen, der Planeten Wohnungen,
Die vier Häuser für des Mondes Wechselschnelle, baue recht!
Baue die Korallenriffe und die stille Muschelbank,
Heil'ges Meer, und der kristallnen Grotten Helle baue recht!
O Baumeister an den Flüssen, Biber, daß der Menschenwitz
Von dir lerne, deine Bauten ohne Kelle baue recht!
Eure schwebenden Paläste baut, ihr Vögel, unterm Ast!
Künstlerbiene, die sechseck'ge Honigzelle baue recht!
Bau' die Gruft nach rechtem Maße für der Chrysalide Schlaf,
Raup'! und deine dunklen Flügel, o Libelle, baue recht!
Bau' dich hoch, o Königskerze, brenn' in Blüten still hinan!
Lilie, deines Kronenleuchters Fußgestelle baue recht!
Auf Gerüst der Blätter schwebend, Blume, bau' dein Heiligtum,
Duftverhüllter Liebespaare Brautkapelle baue recht!
Bauet selbst, ihr Balsamstauden, euch zum Opferduftgefäß!
Dich dem Moschus zum Behältnis, o Gazelle, baue recht!
[8]
Unbewußte Dichterseele, Nachtigall, o baue dir
Deine Kehle, daß sie lieblich Liebe gelle, baue recht!
Liebe, bau' dein Rohr der Flöten, daß es Sehnsucht atme; bau',
Andacht, deine Orgel, daß sie Himmel schwelle, baue recht!
Frühlingsprediger! Amphion der Natur! daß Herz an Herz
Der Gemeinde, Stein der Kirch' an Stein sich stelle, baue recht!
Bau' die musikal'sche Leiter der Gedanken himmelan,
Freimund! deiner Liederwogen Tongefälle baue recht!
Geist der Liebe, Weltenseele, Vaterohr, das keine
Stimme überhöret der dich lobenden Gemeine!
Eine Reihe Dankgebetes, Lobgesangs ein Faden
Zieht sich hin vom Duft des Morgens zu des Abends Scheine.
Eine Reihe Lobgesanges, Dankgebets ein Faden
Zieht sich hin vom Duft des Abends zu des Morgens Scheine.
Eine Schnur, woran geordnet dir zum Preise hangen
Aller Himmel Sterne, samt den Blüten aller Haine.
Eine Schnur, woran das Meer die Perlen seiner Andacht
Und der Erdgrund reihet seiner Inbrunst Edelsteine.
Gib, daß in das Lobgeweb', das neu die Schöpfung täglich
Dir aus tausend Fäden wirkt, ich wirken dürf' auch meine!
Der du gabest, dich zu loben, eine Stimme jedem
Leben von der lichten Sonne bis zum dunklen Steine!
Gib, daß diese Seele auch durch der Gebetesflammen
Schürung dir die innere Lebendigkeit bescheine!
Laß im Psalmenstrom der Schöpfung, in der Weltenmeere
Großen Hymnenwogen mit hinschwimmen diese kleine!
O Natur, mit deinem Hauche läutere die Seele,
Daß sie wiederhalle rein dein Glockenspiel, das reine!
Gib, daß in den großen Einklang deiner Stimmen jedes
Menschenherz harmonisch schmelze, ob es jauchz', ob weine!
Weltenohr! vor dem gesungen vom Beginn der Zeiten,
Die Jahrhunderte herab, viel Dichter im Vereine:
[9]
Ihrer Saiten Widerspruch ist vor dir ausgeglichen;
Ihre hunderttausend Stimmen hörest du als eine.
Laß in deinem Abendwinde Rosen säuseln über
Eines jeden, der dir sang, nun schlummernde Gebeine!
Laß den freien Dichtermund hier deinem Lobe dienen,
Bis in Engelzungen dort sich freier mischet seine!

Dichterselbstlob

Ich bin König eines stillen Volks von Träumen,
Herrscher in der Phantasieen Himmelsräumen.
Kaiserkron' und Königskerze mir zu Füßen
Blühen auf, mich, ihren Oberherrn, zu grüßen.
Um die dunklen Locken farb'ge Wolkenbogen
Sind, ein buntgesteintes Diadem, gezogen.
Alle Frühlingsblumen kommen, vorzutragen
Meinen Ohren ihre ew'gen Liebesklagen.
Alle Bronnen aus der Schöpfung Tiefen brechen,
Von Geheimnissen mit mir sich zu besprechen.
An der Linken trag' ich Salomonis Siegel,
Mit der Rechten heb' ich Dschemschids Weltenspiegel.
Alle Geister sind des Siegels Unterthanen,
Und die Schöpfung schwört zu meinen Sonnenfahnen.
Gegen Nacht und Finsternis in Kampfesschranken
Führ' ich eine Schar von leuchtenden Gedanken.
Kommt und helft, den Himmel auf der Erde stiften,
Helft den Tod mir töten und das Gift entgiften.
Jeden Baum des Lebens soll mein Hauch beblättern,
Und die Schlang' am Stamme soll mein Arm zerschmettern.
Morgenwinde, gehet aus auf allen Pfaden,
Mir zum neuen Paradies die Welt zu laden.
[10]
Wer dem Druck der Tyrannei muß draußen weichen,
Eine Freistatt biet' ich ihm in meinen Reichen.
Dort ist Mühsal, Drang, Verfolgung, Not und Kummer;
Hier ist Frieden, Eintracht, Stille, Ruh' und Schlummer.
Ihr Bewohner Dschinnistans, Peris und Dschinnen,
Baut mir hier ein Wunderschloß mit goldnen Zinnen.
Bauet mir den Weltpalast mit vielen Zimmern,
Wo vereint die Herrlichkeit der Welt soll schimmern.
Bauet so viel Zimmer mir als Nationen;
Jede soll mit ihrer Lust in einem wohnen.
Bauet so viel Dächer mir als Himmelszonen;
Jede soll mit ihrer Pracht auf einem thronen.
In der sieben Prunkgemächer Tepp'che wirken
Soll man Wunderwerk' aus sieben Weltbezirken.
Malerei soll Frühlingsglanz an Wänden weben,
In den Nischen sollen Marmorbilder leben.
Und Musik soll mit den ew'gen Sphärentönen
Alle Lebensstimmen der Natur versöhnen.
O ihr Geister, um das Zauberschloß den Garten
Pflanzt mit Bäumen und Gewächsen aller Arten.
Nachtigallen aller Zonen mit den Rosen
Aller Himmel lasset mir zusammen kosen.
O ihr Götter Hindostans, die ihr in Blumen-
Kelchen wohnet, kommt zu euern Heiligtumen!
Ihr, gewebt aus Mondesstrahlen, Sylph- und Elfen,
Sollet auch mir meinen Park bevölkern helfen.
O ihr dem Olymp entstürzten Griechengötter,
Rettet her zu mir euch gegen eure Spötter.
Bau' die Mauern meines Gartens, o Amphion!
Die Delphine meiner Fluten zügl', Arion!
Zähme meines Haines Wild mit Saiten, Orpheus!
Und die Scharen meines Traumvolks führ', o Morpheus!

[11] Einkehr

Wer durchs Lebensmeer gesucht
Und ein Gut gefunden,
Flüchte sich zur stillen Bucht,
Weitrer Fahrt entbunden.
Eh' erschlafft die Segel sind,
Kann der Wind nicht rasten;
Immer lockt der Hoffnung Wind
Unversuchte Masten.
Drüben wo die goldne Frucht
Reift der Hesperiden;
Eh' auch du das Land gesucht,
Hast du heim nicht Frieden.
Nicht den Zaubergarten wirst
Finden du, den fernen,
Aber ihm, indem du irrst,
Zu entsagen lernen.
Gib dem Herzen, was es will,
Laß die Welt es lehren,
Daß kein Heil ihm bleibt, als still
In sich einzukehren.
Wer ein Leben hat gelebt,
Mag sich wohl verschließen;
Aus der Welt, die er begräbt,
Wird sein Himmel sprießen.
Doch, Freimund, höre, was jener spricht:
Die deutsche Sprache verstehst du nicht. –
Still, Herz, mit deinem Pochen!
Ob dieses deutsch ist, was ich sprach,
Ich weiß es nicht, ich sprach nur nach,
Was Engel zu mir gesprochen.

[12] Weltpoesie

Was vor Jahrtausenden gerauscht
Im Wipfel ind'scher Palmen,
Wie wird es heut von dir erlauscht
Im Strohdach nord'scher Halmen!
Ein Palmenblatt, vom Sturm verweht,
Ward hergeführt von Schiffern,
Und seinen heil'gen Schriftzug, seht,
Ihn lernt' ich zu entziffern.
Darein ist ganz mein Geist versenkt,
Der, ohne zu beachten,
Was hier die Menschen thun, nur denkt,
Was dort die Menschen dachten.
Und so, wiewohl das Alte stärkt,
Das Neue zu verstehen,
Wird doch viel Neues unbemerkt
An mir vorübergehen.
Bemerken werden die es schon,
Die laut am Markte walten,
Vom Volk beklatscht; ein stiller Lohn
Ist mir doch vorbehalten.
Daß über ihrer Bildung Gang
Die Menschheit sich verständ'ge,
Dazu wirkt jeder Urweltsklang,
Den ich verdeutschend bänd'ge.

Großes aus Kleinem

Du sagest mir: »O nicht zersplittre
In Lieder dich! web' ein Gedicht!«
Ich aber sage dir: Verbittre
Mir die unschuld'ge Freude nicht!
Sieh hin, wie auf der Aue
[13]
Der Sonne Licht sich bricht
In jedem Tropfen Taue!
Wenn ich mich kann in Tropfen spiegeln,
Was soll ich Teiche legen an?
Und Meere stürmisch aufzuwiegeln,
Scheint vollends mir nicht wohlgethan.
Mir gnügt's am leisen Klange,
Den ich gewann zum Bann
Jedwedem Herzensdrange.
Ein Teppich scheinet mir mein Leben,
Und immer sticket meine Hand;
An welcher Stell' ich auch mag weben,
Am obern oder untern Rand;
Zuletzt, wo so viel Kleinstes
Sich still verband, entstand
Ein Großes, Allgemeinstes.

Goethe und die Dichtung

Reinem Meister ahmt' ich nach,
Ob es auch der größte wäre;
Seinen Lauf hat jeder Bach,
Jeder Strom hat seine Sphäre;
Aber einen muß ich nennen,
Ihn als Leitstern anerkennen!
Goethe! Wie auf eigner Bahn
Ich durchs Meer mich umgetrieben,
Immer ist als Tramontan'
Er im Auge mir geblieben;
Und wenn er soll untergehn,
Wird er mir im Herzen stehn.
Daß nicht alt und junge Neider
(Himmel, dies Gezücht veredle!)
[14]
Mich verschrein als Hungerleider,
Der um einen Brocken wedle;
Lob' ich einen toten Mann,
Der mir keinen geben kann.
Stand ich je in seinem Schutz?
Hat er mich gelobt, genannt?
Mich gehoben, anerkannt?
Lob' ich ihn aus Eigennutz?
Dennoch ja! ich weiß und sehe,
Daß ich mit ihm fall' und stehe.
Wird je der Beruf des Schönen
Buße predigen statt schildern
Und zerreißen statt versöhnen
Und verwildern statt zu mildern,
Statt zu singen dumpf zu winseln,
Statt zu malen grell zu pinseln;
Siegt das Abenteuerliche
Über das Gebührliche
Und das Ungeheuerliche
Über das Natürliche:
Dann wird Goethe nicht mehr sein,
Und wir andern gehn mit drein.

Der Schenkwirt und seine Gäste

Zur Rede ward ich jüngst gestellt
Von meinem Freund, dem alten,
Versprochen habe mehr der Welt
Mein Dichten als gehalten.
Den Vorwurf hab' ich umgestellt,
Erwidernd meinem Alten:
Ich habe mehr mir von der Welt
Versprochen als erhalten.
[15]
Beim Wirte lag ein guter Wein
Im Keller aufgehoben;
Und sprächen nun die Gäste ein,
So würden sie ihn loben.
Der Wein ist gut, der Keller schützt
Ihm wohl der Güte Dauer;
Doch wenn ihn gar kein Gast benützt,
Wird er am Ende sauer.
Wenn einer nun zuletzt spricht ein
Und muß was Herbes schmecken,
Wird er den armen Wirt verschrein
An allen Straßenecken.
Der Wirt verliert nicht die Geduld,
Sonst spräch' er: »Junge Laffen!
Wer hat, ihr oder ich, die Schuld,
Daß ich nichts Neu's kann schaffen?
Hätt' Altes man mir weggeschafft
Mit häufig zeit'gem Dargang,
So hätt' ich Vorrat nachgeschafft
Vom neusten besten Jahrgang.«

Ausdruck der Empfindung

Manches hab' ich wohl empfunden,
Als es lebend vor mir stand,
Doch den rechten Sinn gefunden
Erst, als ich die Worte fand.
Darum auch ist Weltverklärung,
Poesie, dein Zauberstrahl,
Weil ich ohne dein' Erklärung
Nicht mich selbst verständ' einmal.

[16] Das Leben ein Gesang

Daß mein Leben ein Gesang,
Sag' ich's nur! geworden;
Jeder Sturm und jeder Drang
Dient ihm zu Akkorden.
Was mir nicht gesungen ist,
Ist mir nicht gelebet;
Was noch nicht bezwungen ist,
Sei noch angestrebet!
Von der Welt, die mich umringt,
Wüßt' ich unbezwingbar
Wen'ges nur; die Seele klingt,
Und die Welt ist singbar.

Ermutigung zur Übersetzung der Hamasa

1828.


Die Poesie in allen ihren Zungen
Ist dem Geweihten eine Sprache nur,
Die Sprache, die im Paradies erklungen,
Eh' sie verwildert auf der wilden Flur.
Doch wo sie nun auch sei hervorgedrungen,
Von ihrem Ursprung trägt sie noch die Spur;
Und ob sie dumpf im Wüstenglutwind stöhne,
Es sind auch hier des Paradieses Töne.
Die Poesie hat hier ein dürft'ges Leben,
Bei durst'gen Herden im entbrannten Sand,
Mit Blütenschmuck und Schattenduft umgeben,
[17]
Mit Abendtau gelöscht den Mittagsbrand,
Verschönt, versöhnt ein leidenschaftlich Streben
Durchs Hochgefühl von Sprach- und Stammverband,
Und in das Schlachtgrau'n Liebe selbst gewoben,
Die hier auch ist, wie überall, von oben.
Wer aber soll die nord'sche Nacht erheitern
Mit solchem Abglanz von des Südens Glut?
Wer den Gesichtskreis meines Volks erweitern,
Daß seinem Blick auf jene Welt sich thut?
Das enge Leben freilich geht zu scheitern,
Je mehr hereinströmt diese Geisterflut;
Doch, soll der Ost einmal zum Westen dringen,
Wer ist der Mann, ihn ganz heranzubringen?
Darum nur mutvoll vorwärts, auszubeuten
Den spröden Schacht, den nicht erwühlt ein Scherz,
Das fremde Leben deinem Volk zu deuten,
Das ohne dich ihm bliebe taubes Erz.
Wann erst der Menschheit Glieder, die zerstreuten,
Gesammelt sind ans europäische Herz,
Wird sein ein neues Paradies gewonnen,
So gut es blühn kann unterm Strahl der Sonnen.
Und laß dich nicht im edlen Tagwerk irren
Von Schülern, die nur meistern meisterlich,
Die in des Worts zerrütteten Geschirren
Den Geist verschütten, aber trau' auf mich,
Zu sammeln rein den Hauch arabischer Myrrhen,
Geweiht zu meinem Priester hab' ich dich,
Komm, mir im deutschen Pantheon zu räuchern
Und laß die trockne Spreu den trocknen Keuchern!

[18] Drittes Bruchstück
Kirchenjahr

Der Baum des Lebens

Als Adam lag im Todeskampfe schon,
Schickt' er zum Paradiese seinen Sohn,
Zu holen einen Zweig vom Lebensbaum,
Und zu genesen hofft' er noch davon.
Seth brach das Reis, und als er's hergebracht,
War schon des Vaters Lebenshauch entflohn.
Da pflanzten sie das Reis auf Adams Grab,
Und fortgepflanzt ward es von Sohn zu Sohn.
Es wuchs, als in der Grube Joseph lag,
Und Israel in der ägypt'schen Fron.
Des Baumes Blüten gingen duftend auf,
Als David harfend saß auf seinem Thron.
Dürr ward der Baum, als an dem Weg des Herrn
Irr' ward in seiner Weisheit Salomon.
Doch die Geschlechter hofften, daß ihn neu
Beleben sollt' ein andrer Davidssohn.
Das sah im Geist der Glaube, da er saß
Im Leid an Wasserflüssen Babylon.
Und als der ew'ge Blitz vom Himmel kam,
Zerbarst der Baum mit hellem Jubelton;
Begnadigt ward der dürre Stamm von Gott,
Zu dienen zu dem Holz der Passion.
Es zimmerte die blinde Welt aus ihm
Das Kreuz und schlug ihr Heil daran mit Hohn.
Da trug der Baum des Lebens blut'ge Frucht,
Daß, wer sie koste, Leben sei sein Lohn.
[19]
O Freimund, sieh! der Baum des Lebens wächst,
Ausbreitend sich, je mehr ihm Stürme drohn.
Die ganze Welt ruh' unter seinem Schirm!
Die halbe ruht in seinem Schatten schon.

Bethlehem und Golgatha

Er ist in Bethlehem geboren,
Der uns das Leben hat gebracht,
Und Golgatha hat er erkoren,
Durchs Kreuz zu brechen Todes Macht.
Ich fuhr vom abendlichen Strande
Hinaus, hindurch die Morgenlande;
Und Größeres ich nirgend sah
Als Bethlehem und Golgatha.
Wie sind die sieben Wunderwerke
Der alten Welt dahingerafft,
Wie ist der Trotz der ird'schen Stärke
Erlegen vor der Himmelskraft!
Ich sah sie, wo ich mochte wallen,
In ihre Trümmer hingefallen
Und stehn in stiller Gloria
Nur Bethlehem und Golgatha.
Weg ihr ägypt'schen Pyramiden!
In denen nur die Finsternis
Des Grabes, nicht des Todes Frieden
Zu bauen sich der Mensch befliß.
Ihr Sphinx' in kolossalen Größen,
Ihr konntet nicht der Erde lösen
Des Lebens Rätsel, wie's geschah
Durch Bethlehem und Golgatha.
Erdparadies am Roknabade,
Flur aller Rosen von Schiras!
[20]
Und am gewürzten Meergestade
Du Palmengarten Indias!
Ich seh' auf euren lichten Fluren
Noch gehn den Tod mit dunklen Spuren:
Blickt auf! Euch kommt das Leben da
Von Bethlehem und Golgatha.
Du Kaaba, schwarzer Stein der Wüste,
An den der Fuß der halben Welt
Sich jetzt noch stößt, steh' nur und brüste
Dich, matt von deinem Mond erhellt!
Der Mond wird vor der Sonn' erbleichen,
Und dich zerschmettern wird das Zeichen
Des Helden, dem Viktoria
Ruft Bethlehem und Golgatha.
O der du in der Hirten Krippe
Ein Kind geboren wolltest sein,
Und, leidend Pein am Kreuzgerippe,
Von uns genommen hast die Pein!
Die Krippe dünkt dem Stolze niedrig,
Es ist das Kreuz dem Hochmut widrig;
Du aber bist der Demut nah'
In Bethlehem und Golgatha.
Die Kön'ge kamen anzubeten
Den Hirtenstern, das Opferlamm,
Und Völker haben angetreten
Die Pilgerfahrt zum Kreuzesstamm.
Es ging in Kampfes Ungewitter
Die Welt, doch nicht das Kreuz in Splitter,
Als Ost und West sich kämpfen sah
Um Bethlehem und Golgatha.
O laßt uns nicht mit Lanzenknechten,
Laßt mit dem Geist uns ziehn ins Feld,
[21]
Laßt uns das heil'ge Land erfechten,
Wie Christus sich erfocht die Welt!
Lichtstrahlen laßt nach allen Seiten
Hinaus als wie Apostel schreiten,
Bis alle Welt ihr Licht empfah'
Aus Bethlehem und Golgatha.
Mit Pilgerstab und Muschelhute
Nach Osten zog ich weit hinaus;
Die Botschaft bring' ich euch, die gute,
Von meiner Pilgerfahrt nach Haus:
O zieht nicht aus mit Hut und Stabe
Nach Gottes Wieg' und Gottes Grabe!
Kehrt ein in euch und findet da
Sein Bethlehem und Golgatha.
O Herz, was hilft es, daß du knieest
An seiner Wieg' im fremden Land?
Was hilft es, daß du staunend siehest
Das Grab, aus dem er längst erstand?
Daß er in dir geboren werde
Und daß du sterbest dieser Erde,
Und lebest ihm, nur dieses ja
Ist Bethlehem und Golgatha.

Für die sieben Tage

Sprich, liebes Herz, in deines Tempels Mitten,
Für sieben Wochentage sieben Bitten.
Zum ersten Tag: Laß deine Sonne tagen
Und Licht verleihn der Erd' und meinen Schritten.
Zum zweiten Tag: O laß nach dir mich wandeln,
Wie Mond der Sonne nach mit leisen Tritten.
Zum dritten Tag: Lehr' deinen Dienst mich kennen
Und wie ich dienen soll mit rechten Sitten.
Zum vierten Tag: Du wollst mich nicht verlassen
In meiner Woch', in meines Tagwerks Mitten.
[22]
Zum fünften Tag: O donnr' ins Herz mir deine
Gebote, wann sie meinem Sinn entglitten.
Zum sechsten Tag: O laß mich freudig fühlen,
Wodurch du mir die Freiheit hast erstritten.
Zum siebenten: Die Sonne sinkt am Abend;
O dürft' ich mir so hellen Tod erbitten!

Adventlied

Dein König kommt in niedern Hüllen,
Ihn trägt der lastbar'n Es'lin Füllen,
Empfang ihn froh, Jerusalem!
Trag ihm entgegen Friedenspalmen,
Bestreu' den Pfad mit grünen Halmen!
So ist's dem Herren angenehm.
O mächt'ger Herrscher ohne Heere,
Gewalt'ger Kämpfer ohne Speere,
O Friedensfürst von großer Macht!
Es wollen dir der Erde Herren
Den Weg zu deinem Throne sperren,
Doch du gewinnst ihn ohne Schlacht.
Dein Reich ist nicht von dieser Erden,
Doch aller Erde Reiche werden
Dem, was du gründest, unterthan.
Bewaffnet mit des Glaubens Worten,
Zieht deine Schar nach den vier Orten
Der Welt hinaus und macht dir Bahn.
Und wo du kommest hergezogen,
Da ebnen sich des Meeres Wogen,
Es schweigt der Sturm, von dir bedroht.
Du kömmst, auf den empörten Triften
Des Lebens neuen Bund zu stiften
Und schlägst in Fessel Sünd' und Tod.
O Herr von großer Huld und Treue,
O komme du auch jetzt aufs neue
[23]
Zu uns, die wir sind schwer verstört.
Not ist es, daß du selbst hienieden
Kommst, zu erneuen deinen Frieden,
Dagegen sich die Welt empört.
O laß dein Licht auf Erden siegen,
Die Macht der Finsternis erliegen,
Und lösch' der Zwietracht Glimmen aus;
Daß wir, die Völker und die Thronen,
Vereint als Brüder wieder wohnen
In deines großen Vaters Haus!

Des fremden Kindes heiliger Christ

Es lauft ein fremdes Kind
Am Abend vor Weihnachten
Durch eine Stadt geschwind,
Die Lichter zu betrachten,
Die angezündet sind.
Es steht vor jedem Haus
Und sieht die hellen Räume,
Die drinnen schaun heraus,
Die lampenvollen Bäume;
Weh wird's ihm überaus.
Das Kindlein weint und spricht:
»Ein jedes Kind hat heute
Ein Bäumchen und ein Licht
Und hat dran seine Freude,
Nur bloß ich armes nicht.
An der Geschwister Hand
Als ich daheim gesessen,
Hat es mir auch gebrannt;
Doch hier bin ich vergessen
In diesem fremden Land.
Läßt mich denn niemand ein
Und gönnt mir auch ein Fleckchen?
[24]
In all den Häuserreih'n
Ist denn für mich kein Eckchen,
Und wär' es noch so klein?
Läßt mich denn niemand ein?
Ich will ja selbst nichts haben,
Ich will ja nur am Schein
Der fremden Weihnachtsgaben
Mich laben ganz allein.«
Es klopft an Thür und Thor,
An Fenster und an Laden;
Doch niemand tritt hervor,
Das Kindlein einzuladen,
Sie haben drin kein Ohr.
Ein jeder Vater lenkt
Den Sinn auf seine Kinder;
Die Mutter sie beschenkt,
Denkt sonst nichts mehr noch minder;
Ans Kindlein niemand denkt.
»O, lieber heil'ger Christ!
Nicht Mutter und nicht Vater
Hab' ich, wenn du's nicht bist;
O, sei du mein Berater,
Weil man mich hier vergißt!«
Das Kindlein reibt die Hand,
Sie ist von Frost erstarret;
Es kriecht in sein Gewand,
Und in dem Gäßlein harret,
Den Blick hinaus gewandt.
Da kommt mit einem Licht
Durchs Gäßlein hergewallet
Im weißen Kleide schlicht
Ein ander Kind; – wie schallet
Es lieblich, da es spricht:
»Ich bin der heil'ge Christ,
War auch ein Kind vordessen,
[25]
Wie du ein Kindlein bist;
Ich will dich nicht vergessen,
Wenn alles dich vergißt.
Ich bin mit meinem Wort
Bei allen gleichermaßen;
Ich biete meinen Hort
So gut hier auf den Straßen
Wie in den Zimmern dort.
Ich will dir deinen Baum,
Fremd Kind, hier lassen schimmern
Auf diesem offnen Raum,
So schön, daß die in Zimmern
So schön sein sollen kaum.«
Da deutet mit der Hand
Christkindlein auf zum Himmel,
Und droben leuchtend stand
Ein Baum voll Sterngewimmel
Vielästig ausgespannt.
So fern und doch so nah',
Wie funkelten die Kerzen!
Wie ward dem Kindlein da,
Dem fremden, still zu Herzen,
Das seinen Christbaum sah!
Es ward ihm wie ein Traum;
Da langten hergebogen
Englein herab vom Baum
Zum Kindlein, das sie zogen
Hinauf zum lichten Raum.
Das fremde Kindlein ist,
Zur Heimat nun gekehret
Bei seinem heil'gen Christ;
Und was hier wird bescheret,
Es dorten leicht vergißt.

[26] Viertes Bruchstück
Mikrokosmus

Die sterbende Blume

Hoffe! du erlebst es noch,
Daß der Frühling wiederkehrt.
Hoffen alle Bäume doch,
Die des Herbstes Wind verheert,
Hoffen mit der stillen Kraft
Ihrer Knospen winterlang,
Bis sich wieder regt der Saft
Und ein neues Grün entsprang. –
»Ach, ich bin kein starker Baum,
Der ein Sommertausend lebt,
Nach verträumtem Wintertraum
Neue Lenzgedichte webt.
Ach, ich bin die Blume nur,
Die des Maies Kuß geweckt
Und von der nicht bleibt die Spur,
Wie das weiße Grab sie deckt.« –
Wenn du denn die Blume bist,
O bescheidenes Gemüt,
Tröste dich, beschieden ist
Samen allem, was da blüht.
Laß den Sturm des Todes doch
Deinen Lebensstaub verstreun,
Aus dem Staube wirst du noch
Hundertmal dich selbst erneun. –
»Ja, es werden nach mir blühn
Andre, die mir ähnlich sind;
[27]
Ewig ist das ganze Grün,
Nur das einzle welkt geschwind.
Aber, sind sie, was ich war,
Bin ich selber es nicht mehr;
Jetzt nur bin ich ganz und gar,
Nicht zuvor und nicht nachher.
Wenn einst sie der Sonne Blick
Wärmt, der jetzt noch mich durchflammt,
Lindert das nicht mein Geschick,
Das mich nun zur Nacht verdammt.
Sonne, ja du äugelst schon
Ihnen in die Fernen zu;
Warum noch mit frost'gem Hohn
Mir aus Wolken lächelst du?
Weh mir, daß ich dir vertraut,
Als mich wach geküßt dein Strahl;
Daß ins Aug' ich dir geschaut,
Bis es mir das Leben stahl!
Dieses Lebens armen Rest
Deinem Mitleid zu entziehn,
Schließen will ich krankhaft fest
Mich in mich und dir entfliehn.
Doch du schmelzest meines Grimms
Starres Eis in Thränen auf;
Nimm mein fliehend Leben, nimm's,
Ewige, zu dir hinauf!
Ja, du sonnest noch den Gram
Aus der Seele mir zuletzt;
Alles, was von dir mir kam,
Sterbend dank' ich dir es jetzt:
Aller Lüfte Morgenzug,
Dem ich sommerlang gebebt,
Aller Schmetterlinge Flug,
Die um mich im Tanz geschwebt;
Augen, die mein Glanz erfrischt,
[28]
Herzen, die mein Duft erfreut;
Wie aus Duft und Glanz gemischt
Du mich schufst, dir dank' ich's heut.
Eine Zierde deiner Welt,
Wenn auch eine kleine nur,
Ließest du mich blühn im Feld,
Wie die Stern' auf höhrer Flur.
Einen Odem hauch' ich noch,
Und er soll kein Seufzer sein;
Einen Blick zum Himmel hoch
Und zur schönen Welt hinein.
Ew'ges Flammenherz der Welt,
Laß verglimmen mich an dir!
Himmel, spann' dein blaues Zelt,
Mein vergrüntes sinket hier.
Heil, o Frühling, deinem Schein!
Morgenluft, Heil deinem Weh'n!
Ohne Kummer schlaf' ich ein,
Ohne Hoffnung aufzustehn.«

Die Scheidungsbrücke

Zwischen Zeit und Ewigkeit
Steht die Scheidungsbrücke,
Füllend mit dem Schreckensglanz
Die furchtbare Lücke.
Weißt du wohl, wie scharf und fein
Ist der Brücke Bogen?
Wie ein Schwert ist sie gezückt,
Wie ein Haar gezogen.
Soll ein Fuß des Menschen gehn
Auf der schmalen Brücke,
Wo nicht aufzufußen hat
Raum ein Fuß der Mücke!
[29]
Wer nicht fest darüber hin
Sich zu schreiten trauet,
Hoffe nicht, daß drüben ihm
Edens Wonne tauet.
Wenn der Frevler angelangt,
Steht die Brück' und funkelt,
Daß sich die Besinnung ganz
Schwindelnd ihm verdunkelt.
Ihn verwirrend, tritt heran
Mit des Todes Schrecken
Das Gedächtnis seiner Schuld,
Grau'n ihm zu erwecken.
Drunten gähnt der Abgrund auf,
Und der Seele Beben
Treibet ihn, dem eignen Sturz
Selber zuzustreben.
Doch, wo ein Gerechter geht,
Schwebt um ihn Vertrauen,
Das den Abgrund ihm entrückt
Und ihm läßt nicht grauen.
Hoffnung hebet seinen Blick,
Liebe gibt ihm Schwinge,
Glaube lächelt, daß sein Geist
Selig vorwärts dringe.
Seiner guten Werke Duft
Wird zu Goldwolkrändern,
Daß sich ihm die Brücke rings
Schmücke mit Geländern.
Auf der Brücke geht er hin,
Unter seinem Fuße
Steht sie wie aus Quaderstein
Oder Eisengusse.
[30]
Freimund! wenn du drüber gehst,
Hüllen deine Lieder
Dich in Duft, daß du nicht siehst
In den Schwindel nieder.
Schwebend, wie der Morgenwind
Über Lilienbeete,
Geh, daß nicht dein Fußtritt schwer
Auf die Brücke trete.

Adler und Lerche

Könnt' ich steigen,
Dem Adler gleich,
Der kommenden Sonn' entgegen,
Die Brust getaucht
In Morgenrot,
Badend in Glanz des Äthers,
Weil in Tiefen
Die Nacht noch träumt,
Dem erwachenden
Auge der Welt
Den ersten Blick entsaugen!
Oder fliegen,
Der Lerche gleich,
Nach, der scheidenden Sonne nach,
Über der stillen Schöpfung,
Angeglühet
Vom letzten Strahl,
Die Seel' im Liede verhauchend,
Verschwebend,
Verschwirrend
In Ätherduft,
Nie mehr wieder
Zur Erd' hernieder!
[31]
Aber ach!
Der Adler, der
Der Sonn' ins Angesicht geschaut,
Senkt den Fittich
Aus Himmelsglanz,
Um in dunkeler Tiefe
Nach der Beute des Tags zu spähn,
Und die Lerche
Aus den Wirbeln
Ihres Himmelsgesanges
Sinkt ermattet
Zum Boden wieder,
Wo sie das Nest für die Nacht gebaut.
Kann kein erdegeborner,
Flügelbegabter
Heldensinn,
Sängergeist
Den Banden der niedren Mutter
Ganz entfliehn,
Dem edlen Vater
Lichte zu?
Liebe setzte die Schwingen
Der Begeisterung
An mein Herz,
Und es flog
Der Sonne zu,
Bis die Fittiche
Schmolzen,
Seinen Höhen
Entstürzend
Es ins Meer der Beschämung sank.
Und es klagte.
Doch die Liebe
Sprach, die Schwing' ihm erneuend:
»Andre geb' ich
[32]
Dir, die schwache,
Aber himmlische
Freundin, nicht.
Stärkre, die nicht
Wieder schmelzend
Noch Erneuung bedürfend,
Sicheren Flugs dich
Allen Sonnen
Vorüber tragen
Der höchsten zu,
Gibt mein stärkerer
Zwillingsbruder
Tod dir einst.«

Lüfteleben

Wär' ich die Luft, um die Flügel zu schlagen,
Wolken zu jagen,
Über die Gipfel der Berge zu streben,
Das wär' ein Leben!
Tannen zu wiegen und Eichen zu schaukeln,
Weiter zu gaukeln,
Seele den flüsternden Schatten zu geben,
Das wär' ein Leben!
Echo, die schlummernde, neckend zu wecken,
Nymphen zu schrecken,
Über die schauernden Fluren zu beben,
Das wär' ein Leben!
Rosen mit Schmeicheln entkosen ein Lächeln,
Nelkenglut sächeln,
Duftige Lilienschleier zu heben,
Das wär' ein Leben!
Bräuten an ihrem Gewande zu säuseln,
Locken zu kräuseln,
Düfte von beiden als Steuer erheben,
Das wär' ein Leben!
[33]
Myrrhen und Weihrauch zum Opfer zu tragen,
Sel'ges Behagen,
Heiligen Flammen den Atem zu geben,
Das wär' ein Leben!
Schwellende Fülle zu schütteln von Zweigen,
Ähren zu neigen,
Trauben zu küssen im Schoße der Reben,
Das wär' ein Leben!
Morgens dem Reh und der Blum' auf dem Rasen
Wache zu blasen,
Abends die Träume der Schöpfung zu weben,
Das wär' ein Leben!
Kühl bei des Mittags versengenden Gluten
Tauchen in Fluten,
Auen mit träufelnder Schwinge beschweben,
Das wär' ein Leben!
Rosen, aus euern verschlossenen Thüren
Düfte entführen
Um sie in Freimunds Lieder zu weben,
Das wär' ein Leben!

Becher und Wein

Gebt Ohren meinem Spruche,
Vernehmt und trinket nur,
Ein Bruchstück aus dem Buche
Der Weisheit der Natur.
Es fiel ein Strahl der Sonne
Zugleich mit Adams Fall,
Verlustig seiner Wonne,
Und ward, erstarrt, Metall.
Es hing das Gold in Klüften,
Wohin das Licht nicht drang,
[34]
Und sehnte sich, den Lüften
Zu künden Glanz und Klang.
Da kam, um zu erlösen
Den Bruder aus der Nacht,
Gefahren mit Getösen
Der Bergmann in den Schacht.
Da ward die Starrheit milde,
Als in des Künstlers Hand
Ein glänzendes Gebilde,
Ein tönendes, entstand.
Es war ein leer' Gefäße
Und gab nur hohlen Klang;
Da fehlte der gemäße
Gehalt der Form nicht lang.
Denn als im Sonnenstrahle
Das Mark der Rebe schmolz,
Da ward die goldne Schale
Auf goldnen Inhalt stolz.
Der Becher gab ein Tönen,
Der Wein begeistert schwoll,
Empfindend, daß versöhnen
Des Lebens Streit er soll.
Es spiegelte der Himmel
Sich in der klaren Flut,
Und irdisches Gewimmel
Trank heitern Lebensmut.
Erhebt den Blick, ihr Zecher,
Und trinkt, dem Lichte hold,
Aus goldnem Sonnenbecher
Geschmolznes Sonnengold.

[35] Des Stromes Liebe

Ich stürze meinen Wogenschwall
Durch grause Felsenklüfte,
Und meines Ganges Donnerhall
Vernehmen alle Lüfte.
Daß ich ein wilder Gießbach bin
Und hege keinen sanften Sinn,
Das mag ein jeder wissen.
In Fesseln thu' ich nimmer gut
Und dulde keine Banden;
Und wer begegnet meinem Mut,
Der wird vor ihm zu schanden;
Und wer sich mir entgegenstemmt,
Mich in der stolzen Freiheit hemmt
Er muß den Frevel büßen.
Den Felsen, der in meiner Bahn
Sich keck entgegen türmet,
Fass' ich mit starken Armen an,
Er wird hinabgestürmet;
Das Blümlein aber, das gebückt
Auf meine Strudel niederblickt,
Darf ohne Scheu mich küssen.
Und dämpfen wollt' ich meinen Mut,
Wenn ich ein Quellchen fände,
Das willig seine klare Flut
Mit meinem Strom verbände:
Ich gäbe meinen wilden Sinn
Geduldig ihr in Fesseln hin
Und lernte sanft zu murmeln.
Und wenn du denn das Quellchen bist,
Und wenn ich dir gefalle,
So sei mir froh als Braut gegrüßt,
So zeuch in meine Halle;
Mein Haus ist hochgewölbt und kühl,
[36]
Laß uns der Minne süßes Spiel
In seinem Schatten spielen.
Und wenn der wilde Schaum dich schreckt
Auf meines Reiches Fläche,
Sieh nur herein, der Schaum bedeckt
Kristallne Wasserbäche.
Rein komm' ich aus der Mutter Schoß,
Und keine trübe Lache floß
Mit meinem Strom zusammen.
So komm und laß mein Brausen dir,
Wie ich dich liebe, sagen.
Komm, Braut, o komm, und laß von mir
In meinem Arm dich tragen,
Von meiner stolzen Manneskraft
In hohem Lauf dahingerafft
Zum Bett des Ozeanes.

Gestillte Sehnsucht

In goldnen Abendschein getauchet,
Wie feierlich die Wälder stehn!
In leise Stimmen der Vöglein hauchet
Des Abendwindes leises Wehn.
Was lispeln die Winde, die Vögelein?
Sie lispeln die Welt in Schlummer ein.
Ihr Wünsche, die ihr stets euch reget
Im Herzen sonder Rast und Ruh';
Du Sehnen, das die Brust beweget,
Wann ruhest du, wann schlummerst du?
Beim Lispeln der Winde, der Vögelein,
Ihr sehnenden Wünsche, wann schlaft ihr ein?
Was kommt gezogen auf Traumesflügeln?
Was weht mich an so bang, so hold?
Es kommt gezogen von fernen Hügeln,
[37]
Es kommt auf bebendem Sonnengold.
Wohl lispeln die Winde, die Vögelein:
Das Sehnen, das Sehnen, es schläft nicht ein.
Ach, wenn nicht mehr in goldne Fernen
Mein Geist auf Traumgefieder eilt,
Nicht mehr an ewig fernen Sternen
Mit sehnendem Blick mein Auge weilt;
Dann lispeln die Winde, die Vögelein
Mit meinem Sehnen mein Leben ein.

An den Sturmwind

Mächtiger, der du die Wipfel dir beugst,
Brausend von Krone zu Krone entsteigst,
Wandle du stürmender, wandle nur fort,
Reiß mir den stürmenden Busen mit fort.
Wie das Gewölke, das donnernd entfliegt,
Dir auf der brausenden Schwinge sich wiegt,
Führe den Geist aus dem irdischen Haus
In die Unendlichkeit stürmend hinaus.
Trage mich hin, wo die bebende Welt
Rings in Verwüstung und Trümmer zerschellt!
Über den Trümmern mit grausender Lust
Fühl' ich den Gott in der pochenden Brust.

Zum Schlusse

Die Welt ist rauh und dumpf geworden,
Die Stimm' entfiel ihr nach und nach,
Die einst in tönenden Akkorden
Zum offnen Ohr des Menschen sprach.
Als, aus der Welten Mitte quellend,
Von Gottes Thron ein Chorgesang
[38]
Der Engel, durch die Räume schwellend,
Bis an der Schöpfung Grenzen drang;
Als, seine Sternenkreise schwingend,
Der Himmel sprach zur Erd' hinab,
Und sie, entgegen leise klingend,
Aus ihren Blumen Antwort gab;
Da, in der Ozeane Brausen,
Darüber Gottes Odem fuhr,
Vernahm der Mensch mit heil'gem Grausen
Die Äolsharfen der Natur.
Die Morgen- und die Abendwinde
Verkündigten den Preis des Herrn
Und flüsterten dazwischen linde
Von menschlichen Gefühlen gern.
Von Liebe sprach das Blatt am Baume,
Und lieblich war des Tieres Ruf;
Der starre Stein, er sprach im Traume,
Daß ew'ge Lieb' auch ihn erschuf.
Und ungehindert wie vom Quelle
Sich Wog' auf Wog' herniedergoß,
So war des Worts kristallne Helle,
Die von der Menschenlippe floß.
Die Brust ein Spiegel ungetrübet,
Gefühl ein reiner Wiederhall,
Gesang durch keine Kunst geübet,
Der Dichter eine Nachtigall.
O hätt' in jenen goldnen Tagen,
Als frei des Mundes Flut gerollt,
Die goldnen Saiten Freimund schlagen
Vorm Ohr der ganzen Welt gesollt.
Wie hätt' er von dem Ewig-Schönen,
Von Lieb', aus der die Schöpfung quillt,
[39]
Gewollt in erdentbundnen Tönen
Entfalten rein ein Himmelsbild.
Nun haben der Natur Gewalten
Zu wildem Kampfe sich empört,
Die Harmonie der Weltgestalten
Ist vor des Menschen Blick gestört.
Die ew'ge Schönheit hat den Schleier
Genommen vor ihr Angesicht,
Und kaum vernimmt des Dichters Leier,
Was die der Sterne droben spricht.
Der Elemente seindlich Hadern
Raubt seine Stille dem Gefühl,
Und zuckend durch der Menschheit Adern
Geht leidenschaftliches Gewühl.
Sich machen unterm Himmelsbogen
Die Stürme durch Zerstörung Bahn,
Und stürmisch geht in hohlen Wogen
Des Menschenlebens Ozean.
Es regt sich die Natur im Grimme,
Weil gegen sie der Mensch im Kampf;
Zum Schrei wird ihr die sanfte Stimme,
Und die Gebärde wird zum Krampf.
Die losgerissnen Erze dröhnen,
Zerreißend ihrer Mutter Schoß,
Sie wollen nicht mehr Liebe tönen,
Werkzeuge der Zerstörung bloß.
Den Baum der Phantasie entbildert
Nun des Verstandes kalte Hand;
Die Blume des Gefühls verwildert,
Der Quell der Dichtung stockt im Sand.
Und Freimund, wenn er klar will singen,
Was er nur ahnt und klar nicht sieht,
[40]
Muß mit dem Wort um Ausdruck ringen
Und kämpfen mit der Sprach' ums Lied.
Und wenn von Nachtigall und Rosen
Ein Frühlingshauch sein Lied durchdringt,
So seufzt er, wie das laute Tosen
Des Marktes spurlos es verschlingt.

Führung

Geschrieben im vierzigsten Lebensjahre.


Dich, Israel, hat in der Wüste Jehova wunderbar geführt,
Er hat dich zum Verheißungslande durch Irren vierzig Jahr' geführt.
Er hat dich wollen altern lassen, damit verjüngt du ziehest ein;
Er hat, da unterwegs du starbest, dich heim als neue Schar geführt.
Er hat dich wollen dursten lassen, um dir den Quell aus Felsgestein
Zu schlagen: er hat tags im Donner, dich nachts in Blitzen klar geführt.
Er hat dich lassen irre gehn, damit du kämst ans rechte Ziel!
Er hat dich langsam, seltsam, aber er hat ich immerdar geführt.
Und als du zum verheißnen Lande nun hingelangt warst, riefest du:
Er hat mich wunderbar geleitet, doch mich zurecht fürwahr geführt!
So rufet Freimund, den durch Wüsten der Herr im Donner und im Blitz,
Durch Läut'rungsfeuer hin zum Lichte, zum Liebeshochaltar geführt;
So rufet Freimund auch am Ziele, wo sich die Irren aufgelöst:
Er hat fürwahr mich recht geleitet, er hat mich wunderbar geführt.

[41] Fünftes Bruchstück
Zahme Xenien

Angereihte Perlen

Es wird durch Seufzerhauch getrübt ein Spiegel zwar;
Doch wird durch Seufzerhauch der Seele Spiegel klar.
Vor Gott ist keine Flucht, als nur zu ihm. Nicht Trutz
Vor Vaters Strenge ist, nur Liebe Kindes Schutz.
Der Vater straft sein Kind und fühlet selbst den Streich;
Die Härt' ist ein Verdienst, wo dir das Herz ist weich.
Ein Vater soll zu Gott an jedem Tage beten:
Herr, lehre mich, dein Amt beim Kinde recht vertreten.
O blicke, wenn den Sinn dir will die Welt verwirren,
Zum ew'gen Himmel auf, wo nie die Sterne irren.
Es weichen Sonn' und Mond einander freundlich aus;
Selbst ihnen wäre sonst zu eng ihr weites Haus.
Wenn dir in Zornesglut dein sterblich Herz will wallen,
Sag' ihm: Weißt du, wie bald du wirst in Staub zerfallen?
Zum Feinde sag': Ist Tod uns beiden nicht gemein?
Mein Todesbruder! komm und laß uns Freunde sein.
Viel lieber mag die Lieb', als an der Sonne Flecken,
Den Stern in dunkler Nacht, der etwa glänzt, entdecken.
Du wirst nicht musterhaft durch Jagd nach andrer Fehlern,
Und nie wirst du berühmt durch fremden Ruhmes Schmälern.
Der Name bleibt allein, wenn alles muß zerstieben;
O laß dem Toten das, was ihm allein geblieben!
[42]
Durch Buße wendest du die Strafen Gottes ab;
Doch Menschen denken dir den Fehltritt noch im Grab.
Sei gut und laß von dir die Menschen Böses sagen;
Wer eigne Schuld nicht trägt, kann leichter fremde tragen.
Zu deinem Hochmut sprich: Staub wird, was ist von Erden;
Komm, laß uns werden Staub, eh' wir zum Staube werden!
Gibst du dem Feinde nach, so gibt er dir den Frieden;
Und gibst du dir nicht nach, so ist dir Sieg beschieden.
Wer ist dein ärgster Feind? des Herzens böse Lust,
Die widerspenst'ger wird, je mehr du Lieb's ihr thust.
Wer einem Fremdling nicht sich freundlich mag erweisen,
Der war wohl selber nie in fremdem Land auf Reisen.
Weißt, wo es keinen Herrn und keinen Diener gibt?
Wo eins dem andern dient, weil eins das andre liebt.
Zur Liebe kommst du nicht, so lang' du hängst am Leben;
Du findest mich nicht eh'r, bis du dich aufgegeben.
So lang' dein eigner Wert für dich nicht liegt im Grabe,
Wie seh' ich, ob ich Wert in deinen Augen habe?
Kein Wunder, wenn in Lieb' ein Liebender zerrann;
Ein Wunder, wie ein Sein vor deinem dauern kann!
Was sagt, wer von dir sagt, mehr, als wer schweiget still?
Doch weh' dem Herzen, das von dir still schweigen will.
Sag' ich, du seist in mir? sag' ich, in dir sei ich?
Du bist, was an mir ist; was ich bin, ist durch dich.
O Sonn', ich bin dein Strahl, o Ros', ich bin dein Duft;
Ich bin dein Tropf', o Meer, ich bin dein Hauch, o Luft.
Geheimnis, unerforscht! Was nicht die Himmel fassen,
Hier in dies enge Herz will es sich fassen lassen.
Ich bin ein Blatt des Baums, der ewig neue trägt.
Heil mir! es bleibt mein Stamm, wenn mich der Wind verschlägt.
Abtreten kannst du dann in Frieden von der Welt,
Wenn du in einem Sohn verjüngt dich hergestellt.
Vernichtung weht dich an, so lang' du Einz'les bist;
O fühl' im Ganzen dich, das unvernichtbar ist.
Wie groß für dich du seist, vorm Ganzen bist du nichtig;
Doch als des Ganzen Glied bist du als kleinstes wichtig.
[43]
Die kleine Biene steht dem Feind so ritterlich,
Weil sie für sich nicht ist, sie fühlt ihr Volk in sich.
Weil sie so Süßes wirkt, muß sie so bitter stechen;
Die Erd' hat keine Lust, die nicht ein Weh wird rächen.
Aus einem Blumenkelch saugt sie so Gift als Seim;
Denn heimlich ist der Tod in jedem Lebenskeim.
Es muß ein Maulbeerblatt den Fraß der Raupe leiden,
Daß es verwandelt sei aus schlechtem Laub in Seiden.
Der Erde Weihrauch trägt Ameisenfleiß zusammen,
Zum Himmel duftet er in Mittags Opferflammen.
Sieh! wie im Staube blind Ameisenheere wimmeln,
Gehn sie so wenig irr' als Sternenchör' an Himmeln.
Der Abendsonne nach schwebt Lerche jubilierend,
Und Mücke tanzt im Strahl, sich selber musizierend.
Die Sonne sinkt, die Lerch' entschwirrt in Ätherduft,
Zur Erde fällt sie nicht, ihr Grab ist in der Luft.
Wann Sonnenlicht erlosch, tritt Sternenglanz hervor;
Auf Erden lebt der Tag, die Nacht im höhern Chor.
Die Macht der Sonne drückt den Geist zur Erde nieder,
In Nachtviolenduft steigt er zum Himmel wieder.
Durch Himmel wiegte mich die Nacht hindurch mein Traum;
Und als ich aufgewacht, fühlt' ich mich eng in Raum.
Wach' auf, die Sonne sucht ein Bild dir vorzumalen,
Wie man zu Gottes Ruhm am Morgen könne strahlen.
In bunten Schalen steht der Frühwein eingeschenkt,
Womit der König Lenz sein Hofgesinde tränkt.
Mit sieben Zungen thut die Lilie sich kund,
Und halbgeöffnet schweigt der Rose Knospenmund.
Die Blumen wollen dir ein Gottgeheimnis sagen,
Wie feuchter Erdenstaub kann Himmelsklarheit tragen.
Es wankt das Tulpenbeet, von eignem Glanze trunken:
Das Liebesfeuer brennt, wer zählet seine Funken?
Narzisse schaut dich an mit goldnem Augenstern:
»Ich blicke nach dem Licht, du blicke nach dem Herrn!«
In tausend Blumen steht die Liebesschrift geprägt:
»Wie ist die Erde schön, wenn sie den Himmel trägt.«
[44]
Wenn du Gott wolltest Dank für jede Lust erst sagen,
Du fändest gar nicht Zeit, noch über Weh zu klagen.
O Herz, versuch' es nur! so leicht ist gut zu sein;
Und es zu scheinen ist so eine schwere Pein.
Wer erst sein Tagewerk gethau hat, kann dann ruhn;
O fördre dich, geschwind dein Tagewerk zu thun.
Vor jedem steht ein Bild des, was er werden soll:
So lang' er das nicht ist, ist nicht sein Friede voll.
O bitt' um Leben noch! du fühlst, mit deinen Mängeln,
Daß du noch wandeln kannst nicht unter Gottes Engeln.
Kann auch der Sonne Kraft ein irrer Stern entwallen?
Wie könnte denn ein Mensch aus Gottes Liebe fallen!
Aus jedem Punkt im Kreis zur Mitte geht ein Steg,
Vom fernsten Irrtum selbst zu Gott zurück ein Weg.
Wer jetzo mich verkennt, der spornet nur mich an,
Zu werden so, daß man mich nicht verkennen kann.
Und wenn ich auf der Welt das Gute nirgends fände,
Ich glaubt' ans Gute doch, weil ich's in mir empfände.
Welch Herz noch etwas liebt, das ist noch nicht verlassen;
Ein Fäserchen genügt, Wurzel in Gott zu fassen.
So stark ist Liebeskraft, daß selber Gott liebeigen
Dahin, wo er geliebt sich fühlet, hin muß neigen.
Gott fürchtet selbst sich nicht durch Liebe zu erniedern;
Wie sollt' ich Liebe nicht, wo ich sie fänd, erwidern?
Im selben Maß du willst empfangen, mußt du geben;
Willst du ein ganzes Herz, so gib ein ganzes Leben.
Der Liebe Opfer zwingt dem Herzen Großmut ab;
Wer kann verachten, was sich ihm aus Lieb' ergab?
Der Prüfstein trügt dich nie: gut ist, was wohl dir thut,
Und das ist schlimm, o Herz, wobei dir schlimm zu Mut.
Zwiespältig ist Verstand und kann oft mißverstehn;
Gefühl, das mit sich eins, kann niemals irre gehn.
Wenn du die Richter auch mit Kunst für dich gewannst,
Was hilft es, wenn du selbst nicht los dich sprechen kannst?
Die Strafe macht dich frei von dem Gefühl der Schuld;
Drum straft dich, Kind, nicht Zorn des Vaters, sondern Huld.
[45]
Wenn dich die Liebe soll beleben, werde Staub!
Nicht hartem Felsgestein entsproßt des Frühlings Laub.
Daß sie die Perle trägt, das macht die Muschel krank;
Dem Himmel sag' für Schmerz, der dich veredelt, Dank.
Die süßste Frucht trägt nicht der Baum im vollsten Saft;
Nicht eher reifet Geist, bis schwindet Körperkraft.
In Liebesweh'n verzehrt hat ihren Leib die Luft;
Drum weckt als Gotteshauch sie Leben aus der Gruft.
Der Frühling strickt ein Netz aus Farben, Tönen, Düften;
Komm, Herbstwind, und befrei' den Geist aus Zaubergrüften!
Mein Baum war schattendicht; o Herbstwind, komm und zeige,
Indem du ihn entlaubst, den Himmel durch die Zweige!
Verweht sind ohn' Ertrag der Blumen bunte Farben,
In Scheuern eingeheimt die farbenlosen Garben.
O Baum des Lebens, sieh, der Herbstwind wühlt, er sucht,
Ob unterm Blätterschmuck du bergest eine Frucht.
Des Herbstes mag sich freun, was eine Frucht getragen,
Da, was nur Blätter trug, vor seinem Hauch muß zagen.
Die Schwalbe läßt ihr Nest und sucht ein wärmer Land;
O Seele, schwing' dich auf! die Lust der Erde schwand.
Den Frühling sucht mein Herz, dem droht kein Wintersturm,
Die Rose, der kein Dorn das Herz nagt und kein Wurm.
Den Garten kenn' ich wohl, wo alle Lenze wohnen,
Die flüchtig auf Besuch durchziehn der Erde Zonen.
Den Garten kenn' ich wohl, wo nie ein Keim verdarb,
Wo alles Früchte trägt, was hier als Blüte starb?
Ein Bruchstück ist mein Lied, ein Bruchstück das der Erde,
Das auf ein Jenseits hofft, daß es vollständig werde.
Die Liebe, die zum Kranz am Himmel reiht Plejaden,
Hält diese Perlen auch am unsichtbaren Faden.

Anmaßung und Bescheidenheit

Etwa bei gewalt'gen Thaten
Läßt sich auch Anmaßung leiden;
[46]
Bei bescheidnen Resultaten
Aber sei nicht unbescheiden!
Wenn du nur das Kleinste leistest,
Wird dir's auch zum Ruhm gereichen,
Wenn du nur dich nicht erdreistest,
Es dem Großen zu vergleichen.

Alt und neue Welt

Von deinen Kindern lernst du mehr als sie von dir:
Sie lernen eine Welt von dir, die nicht mehr ist;
Du lernst von ihnen eine, die nun wird und gilt.

Weg und Ziel

Weil das Ziel erfreulich ist,
Hat mich's nicht gerühret,
Daß der Weg abscheulich ist,
Der zum Ziele führet.
Aber danken wollt' ich dir,
Glück, wenn dir's gefiele,
Gäbst du schöne Wege mir
Auch zum schönen Ziele.

Schiffahrt

Wie ein Schifflein auf dem Meer,
Schwebt das Leben überm Tod,
Oben, unten, ringsumher
Von Gefahren stets umdroht.
Eine schwache Bretterwand
Trennet dich von deinem Grab;
[47]
Eines Hauches Unbestand
Wiegt dich schaukelnd auf und ab.
Seien Lüfte noch so klar,
Sei die Tiefe noch so still;
In Gefahr ist immerdar,
Wer durchs Leben schiffen will.

Vierzeilen

1.
Die Rose stand im Tau,
Es waren Perlen grau.
Als Sonne sie beschienen,
Wurden sie zu Rubinen.
2.
Siehst du, hörst du im Frühlingswind
Der Eiche Winterlaub schwirren zu Grab?
Was ist es? Die jungen Triebe sind
Erwacht und stoßen die alten ab.
3.
Wenn die Wässerlein kämen zu Hauf,
Gäb' es wohl einen Fluß;
Weil jedes nimmt seinen eigenen Lauf,
Eins ohne das andre vertrocknen muß.
4.
Den Kohl, den du dir selber gebaut,
Mußt du nicht nach dem Marktpreis schätzen;
Du hast ihn mit deinem Schweiß betaut,
Die Würze läßt sich durch nichts ersetzen.
5.
Der Zweck der thätigen Menschengilde
Ist die Urbarmachung der Welt,
Ob du pflügest des Geists Gefilde
Oder bestellest das Ackerfeld.
6.
Mal' innen deine Zimmer aus,
Daß sich daran dein Aug' erquicke;
Laß außen ungeschmückt dein Haus,
Daß es nicht reize Feindesblicke.
[48] 7.
Der Verstand ist im Menschen zu Haus,
Wie der Funken im Stein;
Er schlägt nicht von sich selbst heraus,
Er will herausgeschlagen sein.
8.
Nie war mir noch so lieb ein Tag,
Stets war darauf der Abend mir willkommen,
Ob ich denn wohl nun klagen mag,
Wenn meines Lebens Abend auch will kommen?
9.
Hoffnung faßt in sich der Zukunft Ewigkeit,
Ewig hält Erinn'rung die Vergangenheit.
Und so hast du, wie die zwei dir stehn zur Seiten,
Herz, in jedem Augenblick zwei Ewigkeiten.
10.
Mag sein, daß einer
Dies that als ehrlicher Mann.
Ich wäre keiner,
Wenn ich es hätte gethan.
11.
Was du Ird'sches willst beginnen, heb' zuvor
Deine Seele im Gebet zu Gott empor.
Einen Prüfstein wirst du finden im Gebet,
Ob dein Ird'sches vor dem Göttlichen besteht.
12.
Das sind die Weisen,
Die durch Irrtum zur Wahrheit reisen.
Die bei dem Irrtum verharren,
Das sind die Narren.
13.
Vom Guten zum Bösen ist kein Sprung,
Der Übergang ist unmerklich gemacht,
Wie der Tag durch die Dämmerung
Sich verliert in die Nacht.
14.
Manch art'ges Büchlein läßt sich einmal lesen,
Zu dem der Leser nie dann wiederkehrt;
Doch was nicht zweimal lesenswert gewesen,
Das war nicht einmal lesenswert.
15.
Wenn der Prophet thut auf den Mund,
Thut er nicht lauter Weisheit kund,
[49]
Doch glückt's gläubigen Leuten,
Alles als Weisheit zu deuten.
16.
Wer Leidenschaften schildern will,
Muß drinnen sein zugleich und draußen;
In deinem Herzen sei's fein still,
Und hör' um dich den Sturmwind brausen.
17.
Um andre leichter zu ertragen,
Mußt du dir sagen,
Daß du selbst nicht zu jeder Frist
Andern leicht zu ertragen bist.
18.
Schön ist's in gelehrten Gilden
Tiefsinnig über das Schöne sprechen,
Aber schöner ist Schönes bilden
Ohne den Kopf zu zerbrechen.
19.
Wiedersehn ist ein schönes Wort,
Ist es nicht hier, so ist es dort:
Sei es nun dort oder hier,
Auf Wiedersehn scheiden wir.

Notes
Erstdruck unter dem Titel »Bausteine zu einem Pantheon« in: Gesammelte Gedichte, 1. Teil, Frankfurt a. M. (Sauerländer) 1843.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Rückert, Friedrich. Pantheon. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-A980-0