4.

1. An J. von Hammer

Jüngst am blühenden Rosenhag sprach mit wichtiger Miene
Gegen Sängerin Nachtigall Honigsammlerin Biene:
Immer saugest du Rosenduft, immer Duft nur der Rosen,
Kosest immer vom glühenden Rosenlippenrubine.
[323]
Zur Werkstätte von meinem Fleiß dient dagegen mir jede
Von den Knospen des Frühlinges zur Entfaltung gedieh'ne.
Denn zum köstlichen Honigseim umzuwandeln versteh' ich
Alles Süße, ohn' Unterschied allen Kelchen Entlieh'ne.
Ob der Blüte die Farbe fehlt, leicht verzeih' ich den Fehler,
Nur der fehlende Nektar bleibt das von mir Unverzieh'ne.
Leider, daß mir der Flug versagt, um zu sehn, ob zu holen
Duft nicht sei aus des blühenden Morgenrotes Karmine.
Darum bin ich durch Emsigkeit die im Land Berühmte,
Du, Verliebte, durch Müßiggang bleibst mit Recht die Verschrie'ne.
Sieh, derweil du dich abgehärmt hast am Dorne der Rosen,
Stieg ich duftend aus Veilchenschoß mit vergoldeter Schiene.
Und nun sage mit Einem Wort, ob du selber nicht meinest,
Daß ich Kleine den Preis vor dir, stolze Große! verdiene?
Oder, willst du noch streiten, laß zum Schiedsrichter uns wählen
Den Dolmetschen der Pforte dort im hochtürmenden Wiene,
Der, so hat mir Hafis gesagt, löst mit glücklicher Schnelle
Jedes Rätsel aus Osten, das schwierig anderen schiene.

2. Der Bußeprediger

Als ich nach Gewohnheit saß in der Schenke neulich,
Mir zu machen Erdennot durch das Glas erfreulich;
Kam ein Bußeprediger mit bestaubtem Kragen
Und hub an den Wein zu schmähn, weit- und lästermäulig.
Selber sich in heiligen Eifer redend, malt' er
Den verdammten Freund mir mit Farben ganz abscheulich;
[324]
Hätt' ich ihm geglaubt, so war in dem Höllenrachen
Von den Drachen keiner so ganz entsetzlich greulich.
Und so tobt er weiter, bis sein Gesicht in Flammen
Selber glüht, ein Höllenschlund, rötlich, trüb' und bläulich.
Meinem Schenken winkt' ich, der ihm ein Glas kredenzte
Und mit schelm'schen Blicken es unterstützte treulich.
Erstlich sträubte sich der Held, sprach den Fluch und Segen;
Endlich nahm er's an den Mund, schlürfte leckermäulig.
Mildere Beredsamkeit drauf entfloß den Lippen,
Paradiesisch lustentzückt, himmlisch morgentäulich.
Mit dem Schenken tanzt' er um, sang das Lob des Weines,
Und den alten Schmähgesang widerrief er reulich.
»O Hafis!« sprach er zu mir, »Wein ist Seelenwollust,
Wie der Himmelsmädchen Kuß ewig neu jungfräulich.«

3. Die Entflohene

Wie die Sonne sinkt am Abend,
Sich im goldnen Glanz begrabend;
Wie der Lenz vorm Herbste flüchtet,
Im Entfliehn mit Duft noch labend;
Wie die schöne Jugendgöttin
Auf dem Roß der Zeit hintrabend;
Wie das Leben, in den Händen
Unerfüllte Wünsche habend:
Also flohst du, Sonne, Frühling,
Jugend, Leben, lustbegabend;
Und Hafis, dir ferne, fühlet
Sterben, Alter, Herbst und Abend.

4. Heim

Gott geleite die armen traurigen Kranken heim!
Gott geleite die müden irren Gedanken heim!
Gott verleihe dir einen Stab der Geduld, mein Herz!
Müder Wandrer! um am Stabe zu wanken heim.
Gott verleihe dir einen gnädigen Hauch, mein Schiff!
Aus den Wogen des Unbestandes zu schwanken heim.
[325]
Alle Triebe, dem dunklen Schoße der Erd' entblüht,
Aufwärts ringen sie, sich zum Lichte zu ranken heim.
Alle duftigen Blütenstäubchen der Frühlingslust,
Rastlos sprühen sie, bis zum Staube sie sanken heim.
Also sehnet Hafisens Seele sich himmelwärts,
Und sein Irdisches zu den irdischen Schranken heim.

5. Herbstlied

Was sagt der Herbst der Ros' ins Ohr.
Daß sie die Munterkeit verlor?
Er mahnt sie an die Nichtigkeit
Der Treue, die der Lenz ihr schwor.
Sie reißt entzwei den Schleier, den
Sie nahm, als er zur Braut sie kor;
Und wie sie bleich vom Throne sinkt,
Erseufzt der Nachtigallen Chor.
Wer brach entzwei das Lilienschwert?
So blank geschliffen war's zuvor.
Die Tulp' entfloh so eilig, daß
Den Turban sie am Weg verlor.
Beschämt senkt der Iasmin sein Haupt,
Weil ihm der Ost die Locken schor.
Es streut der Wind mit voller Hand
Von Bäumen Blättergold empor.
Das dürre Laub schwirrt durch die Luft,
Wie Fledermäus' aus Gräberthor.
Das Totenlied der Schöpfung spielt
Der Herbstwind auf geknicktem Rohr.
Die finstre Tanne trägt den Schnee
Wie weißen Bund ums Haupt ein Mohr.
Der Berg nahm weißen Hermelin,
Weil ihm die nackte Schulter fror.
O sieh des Jahrs Verwüstung an
Und hole frischen Wein hervor!
Die Sonne sandt' uns, eh' sie wich,
Den jungen Most ins Haus zuvor,
[326]
Daß er uns leucht' an ihrer Statt,
Wann ihre Kraft dämpft Wolkenflor.
Sieh, wie des Wintergreises Grimm
Des Frühlingskindes Hauch beschwor.
Er weckt im Bechertönen ein
Verzaubert Nachtigallenchor;
Und trunkne Blicke sich ergehn
Auf schöner Wangen Rosenflor.
Du trink', und seufz' im Winter nicht;
Denn auch im Frühling seufzt ein Thor.

6. Das ist dein Amt

Leucht', o flammendes Sonnenaug', über die Welt; das ist dein Amt.
Lenz! mit blühendem Rosentraum schmücke das Feld; das ist dein Amt.
Mond am Himmel! o schlafe nicht! denn hier auf Erden wollen sein
Liebesnächte von deinem Strahl lieblich erhellt; das ist dein Amt.
Sing', o liebende Nachtigall, was du von Rosen-Schönheit weißt,
Sing' und stirb im Gesang, zu Sang bist du bestellt; das ist dein Amt.
Thräne meines verlassnen Augs! für ein geliebtes Bild, das hier
Soll einkehren, mit duft'gem Flor schmücke das Zelt; das ist dein Amt.
Bild der Schönheit! mit Himmelsglanz allen in Nacht Versunkenen
Vorzuleuchten, dazu hat uns Gott dich gesellt; das ist dein Amt.
Sag' zu deinem verklärten Blick: lege die goldne Rüstung an,
Gründ' auf Erden der Liebe Reich, leuchtender Held! das ist dein Amt.
Zu dem Bogen der Braue sprich: spanne dich stolz, daß Pfeil auf Pfeil
Auf rebellischer Herzen Trotz werde geschnellt; das ist dein Amt.
[327]
Daß du flatternde Locke mich Flatternden fingest, dank' ich dir;
Immer neu sei dein reizendes Netz mir gestellt; das ist dein Amt.
O mein tönendes Saitenspiel! weil das Geschick in meine Hand
Dich gegeben, von Liebeshauch Töne-geschwellt; das ist dein Amt.
Lenk', o rüstiger Steuermann, diesen verlornen Nachen durch
Klipp' und Brandung und Wogendrang, bis er zerschellt; das ist dein Amt.
Laß die heuchlerisch dumpfe Welt scheitern an ihrer Eigensucht.
Lieb' aufrichtig und trink, Hafis! schwärm' unverstellt; das ist dein Amt.

7. Und dann nicht mehr

Ich sah sie nur ein einzig Mal, und dann nicht mehr.
Da sah ich einen Himmelsstrahl, und dann nicht mehr.
Ich sah umspielt vom Morgenhauch durchs Thal sie gehn;
Da war der Frühling in dem Thal, und dann nicht mehr.
Im Saal des Festes sah ich sie entschleiern sich;
Da war das Paradies im Saal, und dann nicht mehr.
Sie war die Schenkin, Lust im Kreis kredenzte sie;
Sie bot mir lächelnd eine Schal', und dann nicht mehr.
Sie war die Ros', ich sah sie blühn im Morgentau;
Am Abend war die Rose fahl, und dann nicht mehr.
Nur einmal weinte Gärtner Lenz um eine Ros':
Als Tod ihm diese Rose stahl, und dann nicht mehr.
Ein einz'ges Mal, als sie erblich, war herb die Lust
Des Lebens, süß des Todes Qual, und dann nicht mehr.
Ich sah die Rose Braut im Flor verschließen in
Die dunkle Kammer eng und schmal, und dann nicht mehr.
Ich will ums Rosenbrautgemach im Mondenglanz
Noch weinen meiner Thränen Zahl, und dann nicht mehr.

8. Die Rose im schönsten Glanze

Der hat in ihrem schönsten Glanz die Rose nicht gesehen,
Wer nie die Perle des Gefühls ihr sah im Auge stehen.
O Liebe! wunderbare Macht, daß deine höchste Wonne
In Menschenbrust den Ausdruck muß borgen von Schmerz und Wehen.
[328]
Die Rose lächelte mich an, und von den süßen Strahlen
Ging mir im stillen Herzen auf ein Drang zu süßem Flehen.
Ich klagte wie die Nachtigall, bis meine Rose weinte;
Und wie ich's sah, verklagt' ich mich, daß es durch mich geschehen.
Die Rose trug, in Duft gehüllt, die Fülle des Gefühles,
Sich unbekannt; mein Seufzer kam, den Schleier wegzuwehen.
Und wie sie sah vor ihrem Blick den Abgrund ew'ger Liebe
Im eignen Herzen, bebte sie darinnen zu vergehen.
Sie sah nach einem Stab sich um, sich schwindelnd festzuhalten,
Sie warf sich an mein schwaches Herz, als könnt' ich bei ihr stehen.
O Rose, wenn du trunken bist, so bin ich selbst berauschet,
Und keine Rettung weiß ich, als zusammen untergehen.

9. Schlußlied

Du Duft, der meine Seele speiset, verlaß mich nicht!
Traum, der mit mir durchs Leben reiset, verlaß mich nicht!
Du Paradiesesvogel, dessen Schwing' ungesehn
Mit leisem Säuseln mich umkreiset, verlaß mich nicht!
Du Amme mir und Ammenmärchen der Kindheit einst!
Du fehlst, und ich bin noch verwaiset verlaß mich nicht!
Du statt der Jugend mir geblieben, da sie mir floh;
Wo du mir fliehst, bin ich ergreiset, verlaß mich nicht;
O du mein Frühling! sieh, wie draußen der Herbst nun braust;
Komm, daß nicht Winter mich umeiset, verlaß mich nicht!
O Hauch des Friedens! horch, wie draußen das Leben tobt;
Wer ist, der still hindurch mich weiset? Verlaß mich nicht!
O du mein Rausch! du meine Liebe! o du mein Lied!
Das hier durch mich sich selber preiset, verlaß mich nicht!

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TextGrid Repository (2012). Rückert, Friedrich. 4.. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-A721-3