Sicilianen

1.

Ach, ein verzaubert Reich ist die Natur,
Stets hoffend, daß man sie des Banns entbinde.
[305]
Im Frühling ahnt sie der Erlösung Spur;
Sie hofft, daß ganz in Glanz und Duft sie schwinde.
Der süße Todesschauer kam und fuhr
Vorüber, wirkungslos im Frühlingswinde.
O Liebe, komm! in deinen Blicken nur
Ist Hoffnung, daß die Welt in Feuer schwinde.

2.

O Frühling, ew'ge Liebesmelodie,
Unausgetönt von allen Nachtigallen,
Unausgeblüht von allen Rosen, wie
Unausgefühlt von Menschenherzen allen!
So Frühling, wie du's nun bist, warst du nie,
Und nie so Frühling wirst du wieder wallen;
Denn nun zum Frühling macht dich blickend Sie,
Und sonst nur Blicke, die der Sonn' entfallen.

3.

Du bist von mir als wie der Lenz geschieden,
Wie war dein Abschiedlächeln zaubervoll!
Ein Thränchen Tau an deinen Augenliden,
Ein Seufzerchen, das auf der Lippe schwoll!
So schiedest du, der Wehmut stillen Frieden
In meinem Busen lassend, nicht den Groll.
So sieht Erinn'rung ewig dich hienieden,
Bis ich dich droben ewig sehen soll.

4.

Ich will aufs Grab dir duft'ge Blüten streuen,
O Blüte, die der Tod in Staub gestreut!
Das Blumenopfer will ich dir erneuen,
So oft der Lenz sein Blumenreich erneut.
Wie sollt' ich, Blumen, euch zu brechen scheuen,
Da sie zu brechen nicht der Tod gescheut?
Für sie zu sterben sollt ihr nun euch freuen,
Weil ohne Sie euch doch zu blühn nicht freut.

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Rückert, Friedrich. Sicilianen. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-A165-A