Dem Kameraden,
meiner Frau Frida
[50]
Dem Kameraden,
meiner Frau Frida
Personen.
Ihr braucht nicht mehr zu leiden! Zu der Frau. Halten Sie noch einen Augenblick aus, es wird alles gut.
[53]Sie brauchen nicht zu sterben. Seht mich an, ich sterbe auch nicht. Niemand braucht zu sterben. Ihr könnt alles Leben haben, das ihr wollt! Ihr wollt, ihr wollt, ihr wollt!
Ich winke mit dem Tuch aus dem Fenster, dann holen sie uns. Ich will nicht ersticken, wie die drüben.
Das ist nur einer; sie schießen die Wände ein und kommen durchs Fenster. Dem ersten, der kommt, springe ich an den Hals und beiße ihm die Gurgel durch. Dann weiß man, wofür man stirbt.
Zu spät oder nicht. Wie still es ist. Man hört nur die Schüsse, wie in einer Fabrik. Die Straße ist ganz still.
Sie werden uns foltern, wie sie die Kameraden gefoltert haben. Sie werden uns Geständnisse erpressen, und dann erschießen sie uns.
[55]Jetzt ist alles gleich. Du bist mein Freund, meine Schwester, mein Wesen, meine Frau. Es ist gleich, ob sie uns martern. Das ist gekommen, wann ich es nicht mehr erwartet habe.
Wir sind ganz allein. Alle sind tot. Ich weiß nur noch von dir. Ich habe nur noch dich. Vielleicht entkommen wir über die Leiter an der Wand.
Ich will, daß sie uns nicht sehen. Ich will so stark, daß ich lautlos und wie eine Tote unsichtbar bin.
Ich lebe! Sie winden sich durch die Trümmer der Barrikade, sehen sich schwankend in der Straße um. Komm schnell. Leben!
Entwischt! Das Weib ist uns im Dunkel entwischt! Dafür haben wir den Kerl. Sie packen den Mann und schleppen ihn fort.
Es ist gut, daß Sie sich so vernünftig benehmen. Wir brauchen keine scharfen Mittel gegen Sie anzuwenden.
Seien Sie nicht hochmütig. Ich kenne diesen Ton bei den Untersuchungsgefangenen, er hört bald genug auf, wenn es ernst wird. Sie sind nicht der erste, mit dem ich zu tun habe.
Sehen Sie doch ein, daß Ihre Handlungsweise unrecht war. Sie war aber auch unsinnig. Ein Mann von Ihrer Intelligenz hat nicht das Recht, unverständige Kreaturen aufzureizen. Das werden Sie ja büßen. Aber ich meine. Sie mit Ihren Fähigkeiten könnten der Gesellschaft wirkliche Dienste leisten. Ich sage nicht, kommen Sie zu uns. Aber ich sage: lassen Sie Ihre bisherige Tätigkeit.
Lassen wir diesen Ton. – Ernstlich. Sehen Sie mich an. So, wie ich vor Ihnen stehe – warum meinen Sie denn, stehe ich hier, wenn nicht auch ich meinen Glauben hätte?
Die Macht, sagen Sie. Ja, ich habe die Macht. Und der beste Beweis gegen Sie ist, daß Sie sie nicht haben.
Nun schön. Ich lasse Sie jetzt abführen. Ich sehe, ich habe mich zu weit mit Ihnen eingelassen. Es ist immer wieder dasselbe: Sie und Ihre Genossen glauben bei der geringsten menschlichen Regung von unsereinem das Recht zum Mißbrauch zu haben. Es soll nicht mehr vorkommen.
Ihre Beamten – wie lange? Solange Sie auf Ihrem Posten sind. Solange Sie leben. Solange Ihre Beamten leben. Übrigens, sind Sie Ihrer Beamten sicher?
Ah, und wieso stände ich denn hier vor Ihnen? Wie kommt es, daß Sie und Ihre Organisation vergeblich versuchen, meinen Mund zu schließen? Seit Jahrhunderten versuchen Sie das vergeblich.
Vielleicht muß auch das sein. Sie sind nur das dunkle Feld – ich sage nicht einmal: die Gegenseite! –, auf dem unser Bau reiner und höher dasteht. Vielleicht sind Sie sogar nötig, um unsere Macht leuchtender [60] und bewußter zu machen. Aber das hindert nicht, daß wir Sie und Ihre Kameraden aus der Welt schaffen. Und wissen Sie, wer uns dabei am meisten zu Hilfe kommt? Sie selbst. Was wollen Sie? Sie wollen selbst die Macht. In allen Ländern ist es das gleiche: Ihre Freunde schreien so lange, bis sie sich emporgeschrien haben. Schließlich ist alles nur eine Personenfrage. Zufall, daß nicht Sie hier an meiner Stelle stehen, sondern ich.
Wäre das so, wie Sie sagen, dann hätten Sie nicht das Recht, an dieser Stelle zu stehen. Sind Sie denn dafür, daß in der Welt ein Mensch, besinnungslos vielleicht, einen anderen Menschen beschimpft, oder quält, oder krank macht, oder zuletzt mordet? Nein, dafür sind Sie nicht. Sie sind auf Ihrem Posten, weil Sie glauben, daß dadurch mehr Gerechtigkeit herrscht. Sie vertreten die Gewalt, in Wahrheit, weil Sie glauben, daß Sie dadurch der Güte dienen. Aber Sie haben immer in einer einzigen fürchterlichen Angst gezittert: Man könne Ihnen wegnehmen, was Sie besaßen. Toll vor Angst haben Sie sich in den Jahren Ihren Posten erarbeitet, mit Fleiß, mit Klugheit, mit Protektion, mit Energie. Sie haben heute die Verfügung über Gefängnisse und Maschinengewehre. Und Sie stehen inmitten Ihrer Macht und zittern vor jeder Sekunde Ihrer Zukunft. Aber schon für eine schwache Stimme, wie die meine, für einen Mann, den Sie und Ihre Auftraggeber mit einer kleinen Verfügung beseitigen können, müssen Sie Ihre ganze Geistesgegenwart und Ihre Nervenkraft zusammennehmen. Für uns Schwache müssen Sie dieses große Haus hier mit dicken Mauern bauen, Schildwachen davorstellen. Unablässig müssen Sie eine Armee von Spitzeln in Tätigkeit setzen, Sie müssen die Marterschreie anderer Menschen erdulden. Ihr Leben vergeht in einem angestrengten Unsinn. Ihre ganze Macht ist dazu da, daß Sie Ihrer Angst vor sich selbst ewig neu preisgegeben sind. –
Ich höre Ihnen geduldig zu und lasse Sie für Ihre Reden nicht bestrafen. Sie sehen, ich gebrauche meine Macht sehr milde.
Sagte ich denn, daß Sie, Sie, die Macht haben? Sie selbst sind doch ein Werkzeug der Macht, ein Sklave [61] der andern sind Sie, wie die Wächter draußen Ihre Sklaven sind. Wissen Sie denn noch, was der Mensch ist, was Leben ist, was Freiheit ist? Sie lassen die Menschen peinigen, foltern, morden. Und Sie haben nur die Angst, daran zu denken, daß die Schmerzen, das geronnene Blut und das erstickte Leben der Gepeinigten und Hingeschlachteten Sie einmal anklagen wird bei der Menschheit, anklagen vor dem Ende der Welt, bei allem anklagen, was in uns noch Menschlichkeit war – und daß der Schrei der Gefolterten Finsternis in Ihre Seele bringt und Ihnen das Herz aus dem Leibe reißen wird.
Nicht von Ihnen. Wollen Sie es wissen: Ich bin frei. Hier im Gefängnis. Sie nicht. Sie haben alles zu verlieren, ich nichts. Ich bin es, der zu schenken hat!
Sehen Sie sich um: Das alles bin ich, dieses ganze Haus bin ich. Diese Lampe hier brennt durch mich. Der Schritt des Wächters, den Sie draußen hören, geschieht durch mich. Wäre ich nicht da, so griffe alles ins Leere. Diese Mauern wanken. Das bröckelt in einem Nu zusammen, und an seinem Platz ist ein Schutthaufen, auf dem Kinder und Hunde spielen.
Sie sagen es: Kein Gefängnis mehr, sondern ein Schutthaufen, auf dem Kinder und Hunde spielen. Durch Sie. Wunderbarer Tag!
Hier meine Hände, so leer wie sie, ist mein Leben. Ich brauche ja nichts. Ich bin allein. Ein einzelner. Der andere nach mir läßt alles, wie es war, und mein Sprung war nur für mich.
[62]Ah, ein Mensch nur, der den Sprung tut, ein einziger nur, der sich ganz besinnt, daß er Mensch ist: Und Sie haben alle Macht der Welt vernichtet. Unüberwindlich wären Sie, ein Keim, der durch die Luft fliegt, unsichtbar, allgegenwärtig durch alle Wände, und danach zerfiele alle Gewalt der Erde wie eine schimmelige Bude in der Feuchtigkeit. Sie sind der Mensch. Sie sind: Wir alle. Und nur, der es wagen würde, ahnungslos an Ihre Stelle zu treten und die Räder der Macht weiter kreischen zu lassen, der wäre ein einzelner. Grauenhaft allein wäre der unter den neuen Menschen, morsch, zum sicheren Sturz ins tödliche Vergessen verurteilt, wie ein angefaulter Telegraphenmast vom Wind gefällt wird. Die Macht liegt hinter Ihnen. Sie sind frei. Sie wissen, daß Sie frei sind. Kommen Sie!
Meine Macht? Dieses Schlüsselbund hier auf dem Tisch ist meine Macht. Da ist der Schlüssel zu meiner Wohnung. Hier zu meinem Schreibtisch. Der da zu diesem Zimmer. Und das ist der Schlüssel zu den Verfügungen. Hier sind sie. Nehmen Sie sie. Ich gebe sie Ihnen. Mit diesem kleinen Stückchen von geschmiedetem Eisen befehlen Sie der Welt.
Sie stehen vor mir so weit, daß ich nicht einmal die Arme nach Ihnen strecken kann. Dieser Boden ist ein spitzes Gebirge. Kann ich mich noch retten?
Wer ist das? Ich bin ein Mensch, Sie sind ein Mensch. Ist es nicht Übermut zu gehen? Ich bin geboren und geschaffen in diese Welt hinein, in der ich gelebt habe. Wenn ich mit dir gehe, ist das nicht Lüge? Ich befehle Armeen und gewinne Schlachten. Die Sonne geht morgen auf, ich werde Armeen von Menschen befehlen, und Menschen werden von mir sich befehlen lassen! Ändert sich etwas? Die Macht bleibt. Ich weiß [63] zuviel von Menschen. Ich bin allein. Ich bin kein Bruder. –
Nein. Du bist nicht mehr allein. Niemand ist allein. Jeder von uns ist eine riesige, glühende, rote Sonne im Weltraum, sie scheint mild und klein hindurch in ein Krankenzimmer, und da erst weiß man von ihr. Ah, ich fühle es: Die Gewalt ist tot in dir; aber du zitterst noch vor deiner Erkenntnis? O strecke nur zum erstenmal die Hand aus, nicht um zu befehlen, sondern um zu helfen. Wende nur zum erstenmal den Kopf, nicht um zu richten, sondern um zu führen. Du bist geboren von Millionen Geschlechtern hervor aus dem Licht, um ein wehender Mensch zu sein, ganz unter den Menschen. Alles, was mit dir kam, und in dir alles, was Erkenntnis weiß, schwingt sich durch das Blut deiner Adern in deinen Handgriff, mit dem du hilfst. Du warst einsam; aber dein Wissen, das dich trennte, springt unter den Menschen um in Tat. Wir alle werden unter den Menschenbrüdern sein, keiner mehr groß, keiner mehr klein.
Ja. In Freiheit, in Liebe, in Gemeinschaft. Die ganze Menschheit zu befreien! Wirf deine Knechtschaft von dir, sei frei – frei! Mensch, der du in Wahrheit bist! Stoße die Angst von dir! Hilf der Menschheit. Du unser Bruder!
Es ist alles ruhig. Ich habe eben noch einmal inspiziert und durch die Türen gesehen. Was sollte auch geschehen? Wir haben das neue Alarmsystem. Es kann gar nichts vorkommen.
Es geht etwas vor, seit die neuen Gefangenen da sind. Wenn man zwanzig Jahre Dienst in der Festung tut, fühlt man es am Rücken, ob etwas nicht in Ordnung ist.
An deinem Rücken spürst du das? Die Kerle sollen es an ihrem Rücken spüren, wenn sie sich unterstehen!
Kenn ich vom Irrenhaus her: Der Patient kommt in Gummi, der kann kein Glied mehr rühren, auch wenn die Ohrfeigen von selbst kommen; nur noch schreien, und das hört keiner. Wenigstens uns hat das Schreien noch nie beim Essen gestört.
Wir sind hier nicht im Irrenhaus, junger Mann. Das hier ist eine anständige Festung. Da schreit keiner, denen ist das Schreien schon längst vergangen. Wenn da so eine feine, blanke Haut von draußen kommt, wo wir sehen, der hält nicht still; so einer wird gleich in eine Ecke gesteckt, wo ihm monatelang im Dunkel das Wasser von den Mauern über die Knochen rieselt.
[65]Soll er ja auch, du Anfänger! Ich geh gewiß nicht im Pflegekittel zu ihm. So einen haben wir bald mürbe.
Das ist was andres. Das spür ich. Vor zwanzig Jahren, als ich den Dienst antrat, hab ich es schon mal so gespürt. Damals haben wir ein halbes Dutzend mit unseren eigenen Händen still machen müssen. Die andern wurden an der Mauer von den Posten abgeknallt. Der letzte bekam's so, daß er bald am Schädelbruch starb. Seitdem heißt es, man soll nicht mehr schlagen.
Du meinst, weil der Sträfling photographiert wird? Ich spür's doch im Rücken, daß etwas vorgeht, ich spür's viel stärker als damals; zwanzig Jahre lang war hier ein so stilles Leben, und heute ist mir auf einmal, als ob die Steine aus den Wänden fliegen und die eisernen Türen von Pappe sind. Ich bin gar nicht sicher.
Der Kerl, von dem das Kind ist, der ist längst über alle Berge. Heiraten? Auf dem Halse habe ich sie, und ich habe doch in meinem Alter so sehr meine Ruhe verdient.
Ich muß gleich wieder Runde machen. [66] Wenn du meinst, daß in den Zellen nicht alles in Ordnung ist, will ich den Revolver mitnehmen. – Kannst du nicht einen jungen Mann für deine Tochter brauchen?
Ich muß jetzt in den Keller, wo der Sträfling an die Mauer gekettet steht, seine achtundvierzig Stunden sind abgelaufen.
Die Ketten ertrag ich nicht länger. Ihr sollt mich haben. Ich bin ein einfacher Mensch. Die Augen, die durch die Gittertüre grinsen. In der Nacht krachen die Ketten an mir wie Stücke Eis. Ich will alles sagen, was ihr haben wollt. Ich bin fertig. Ich mache nicht mehr mit. Wenn ihr mich leben laßt, werde ich Schreiber. Ich werde Hausierer. Ich werde Knecht. Ihr könnt mich schlagen.[67] Fragt mich. Preßt mich doch aus. Ihr könnt alles wissen. Ich will frei sein.
Das ist noch nichts. Am Anfang beginnt's immer so mit Kleinigkeiten. Aber wenn er erst gegen uns tobt, dann ist's Zeit, ihn zum Schweigen zu bringen, daß er jahrelang noch Schmerzen spürt, wenn er nur von einer Wächterjacke träumt!
Ihr verfluchten Hunde, laßt mich frei. Ihr Marterschweine, die Ketten herunter! Ihr Lumpendreck, der stinkende Teufel hat euch ausgeschissen, ihr tierisches Spitzelpack, ihr seid nie Menschen gewesen, als Nägel, als Peitschen, als Ketten seid ihr geboren, darum quält ihr Menschen! Ich spucke euch an, foltert mich; schließt mir den Mund, ich kotze euch doch an. Stecht mir die Augen aus, und wenn ihr sie schon tot an die Erde geschmissen habt, werden sie sich noch unter eurem Fuß vor euch ekeln!
Er beginnt. Jetzt ist's Zeit. Hol die Schlüssel. Nimm die Gummiknüppel mit. Auch den Knebel, es brennt mehr, wenn er nicht schreien kann. Bring auch meine Tochter mit dem Kinde mit, es macht der Kleinen immer Spaß, wenn wir einen Anfänger vornehmen. Es soll ja eigentlich nach der Vorschrift nicht sein, aber bei der Art Gefangenen erfahren die Herren doch nie, was wir tun! Mach schnell, die Sachen sind in meinem Zimmer, sag's meiner Tochter.
Aus. Nun ist keine Hoffnung mehr. Ich war schwach, habe sie beschimpft. Die Gitterstäbe sind ganz [68] schwarz und fest da; erst waren sie fast durchsichtig, daß ich glaubte, ich könnte nur durch sie hindurchgehen, wenn die Ketten hart wären. Es ist so trübe, früher zischte ein blaues Licht hinter mir. Als ich schwach wurde, flammten ihre Jacken auf wie gelber Dampf. Das Leben ist vorbei. Meine Knochen werden in der Dunkelheit zerkracht werden, mein Fleisch wird mir heruntergefetzt, ich werde hier wie ein blinder Wurm mich zu Tode zucken.
Bereuen? Welches Wort. Ich bereue nicht, denn ich war es nicht, es war die Dunkelheit, ich hatte alles an mir vergessen.
Seit ich in der Festung bin, höre ich von jedem Sträfling dieselben Worte. Der Mensch ändert sich nicht.
Der Mensch! Wo war ich? Der Mensch. Ich vergaß. Der Mensch ändert sich nicht. Ich war es nicht, der gegen euch schrie. Ich ändere mich nicht, ich bin immer vom Licht geboren. Dieses Gefängnis hat gegen euch geschrien, die Stäbe, die zerpressenden Mauern, die Ketten. Ihr werdet das Gefängnis foltern. Ich bin der Mensch, und ich lebe für den Menschen. Das Gefängnis ist tot und morsch. Ich habe dir nichts Böses gesagt, Wächter, die Mauern hier haben dich beschimpft. Du bist ein Weiser, du warst gütig; du hast recht: der Mensch ändert sich nicht. Du bist es nicht, der mich quält, du hast mich nicht zum Haß gereizt. Du bist ein Mensch. Das war das Gefängnis um dich. Du wirst mich nicht foltern, du verkaufst deine Tochter nicht dem andern, du nicht. Das Gefängnis. Die gelben Flammen eurer Jacken, die Dunkelheit um euch, du nicht, du bist Mensch.
Ich verstehe. Oh, nun kommen wieder helle Lichter um mich. Ja, schweigen in sich, sich sammeln. Nicht dem Munde entlassen, was tot ist und nicht vom Menschen kommt! Welche neue Ruhe um mich. Diese Ketten tönen an mir wie Seidengerausch. Wächter, ich sehe jetzt dein Gesicht, deine Backenknochen, deine Augen. Dein Kleid ist nicht mehr gelb; ich sehe alles; es ist sanft und hell um mich, Wächter!
Du bist ein Mensch wie ich, nicht niedriger als ich. Du brauchst dich nicht zu rächen. Du hast deinen Willen wie ich; du brauchst nur Antwort zu wollen. Warum gibst du deine Tochter dem anderen Wächter?
Nein, es geht mich nichts an, du hast recht. Es geht deine Tochter an; weißt du, wenn sie will, könnte sie eine feine Dame sein.
Aber ihr seid Menschen, man vergißt das mitunter. Du brauchst nur zu wollen. Den festen Willen haben, dann kommt alles. Ich will auch.
Medaille – nein. Ich könnte dir einen Orden verschaffen, einen schönen Orden, zweiter Klasse für Ehrendienste.
Du brauchst nicht auf Krücken zu gehen. Du sollst deine geraden Glieder haben als richtiger Mensch. Deine Tochter bekommt einen vornehmen Mann. Du brauchst nicht mehr in den feuchten Gängen im Dunkel zu leben. Ihr lebt wie Menschen, im hellen Licht, unter Menschen, in der Freiheit.
Freiheit, o das habe ich schon seit Jahren vergessen. Man brauchte nicht Dienstberichte mehr abzufassen. Niemand wär, der mir kommandierte. Leben [70] unter feinen Menschen. Man könnte ganz von vorn anfangen, als wenn man jung wäre.
Ah, ich nicht frei? Schau zu mir herein, was siehst du? Siehst du meine Ketten? Nein, du siehst meine Augen, die umhergehen, wie sie wollen. Du siehst meinen Mund, der zu dir spricht, die Lippen, die Zähne, die Zunge; meinen Kopf siehst du, der jahrelang für dich gedacht hat! Ich sage dir, Kamerad, Bruder, erinnere dich, daß du ein Mensch bist, wie ich. Sei frei!
Laß sie. Geh, schnell. Du hast Jahre Zeit gehabt, nun ist die Stunde für dich gekommen, laß sie nicht vorbeigehen. Sie kommt auch für die andern. Kümmere dich zuerst um dich.
Bruder, was soll ich tun? Ich weiß, das Leben ist nun anders für mich. Ich will keinen Orden. Ich will dir helfen.
Nein, ich bleibe. Gehe du, schnell, eh die andern kommen! Hinaus, eil dich, für immer aus der Festung, zu den Brüdern. Sie brauchen neue Menschen, hilf ihnen.
In deiner Hand pulst ein Siebzehnjähriger. Draußen wartet das Schiff auf die neuen Menschen. Ich weiß, heute nacht geht es aufs Meer.
Ich bleibe. Ich gehe nicht eher, als diese Mauern vor meinem Mund in Freiheit zerwehen. Geh, du mußt!
Das Blut stürzt durch mich, als wäre ich über Äcker und Flüsse gesprungen. Ich will! Zu den Brüdern! aufs Schiff!
Große helle Wölbung Licht strahlt. Lichtschalen schweben um mich her. Eine blaue sanfte Flamme rollt durch mein Blut. Durch die Mauern brennen meine Augen Lichtwurf. Dieses Haus ist weiches Glas.
Was heißt das? Du bist fest in Ketten, du hast ihn nicht erschlagen. Wo ist er? Im Hause geht was vor. Meuterei!
Ich kann nicht. Ich sollt seine Tochter kriegen; feste Anstellung, doppelte Dienstjahre. Ich verhungere. Was soll ich denn machen?
Ich kann nicht. Ich muß meinen Befehl haben. – Gleich kommt die Tochter, dann weiß ich nichts mehr. Ich schließe deine Zelle auf, ich nehme deine Ketten ab. Schnell, komm mit mir. Sag, wohin!
Komm mit mir, du bist frei, du sollst nicht mehr gefangen sein. Hier sind die Schlüssel. Ich halt es nicht mehr aus, das Haus erwürgt mich. Rette mich!
Nein, was fragst du? Ich kann nicht mehr! Ich hab sie erschlagen, als ich zu den Soldaten ging, niemand weiß es. Oh, die Schlüssel brennen wie glühend in meiner Hand, weg mit ihnen! Verdammt, warum bin ich je hergeraten!
Fort mit dir. Vergiß diese Festung. Laufe! Schnell in die Freiheit, unter Menschen, in ein neues Leben.
Und nun, Wunder, sei bei mir. Licht strahle aus mir. Laß diese Eisen an mir verbrennen, wie die Jahre im Hauch der Erde.
Wo seid ihr, Lumpenkerle? Jämmerlinge sind diese Männer. In der Festung rumort's, und ihr seid nicht zu finden, habt euch verkrochen wie die Schnecken, damit keiner von euch dafür einsteht!
Fort? Was für eine zimperliche Stimme. Bist du das, Sträfling, hast du schon dein Teil gekriegt, komm ich zu spät?
Was soll das? Warum ist keiner hier? Ich will mein Leben haben! Seit Tagen spitz ich drauf, daß der Alte dir den Buckel vollschlägt. Soll ich vielleicht an den Gitterstangen rauf und runter rutschen?
Dein Vater ist mein Kamerad, mein Bruder. Unter die Menschen, Kameraden. In ein neues Leben. In die Freiheit.
In die Freiheit? Der alte Narr. Keiner mehr da: warte einmal, dich will ich mir schon holen. – Da die Schlüssel. Ich mach dir jetzt auf. Hast du Hunger, oder bist du schon mürbe geworden im Keller?
Da liegen die Schlüssel. Die andern sind fort, selbst der Gouverneur ist fort. Wir sind die einzigen.
In meiner Macht? Das Kind klingelt mit dem Schlüsselbund. Ich habe noch nie Macht gehabt, was kann ich damit tun? – Ha, ich weiß, du willst heraus! – O ich kenne die Menschen.
Mich befreien! Das Kind klingelt. Was soll ich damit. Ich kenne nur Lust, und ich kriege jeden Mann, den ich will, es sind genug an die Mauer geschlossen. Es ist alles nicht wichtig, und nachher ist alles, wie es immer war.
Doch, es ist alles wichtig. Es bleibt nicht, wie es war. Du hast die Macht. Du kannst davongehen und alle Gefangenen im Hause verhungern lassen.
Sieh auf diese Schlüssel. Sie sind hell. Ein Licht geht von ihnen aus. Jeder ist eine kleine blaue Flamme. Das kommt aus uns, und das geht wieder zu uns zurück. Alle Menschen, die einmal geliebt haben, haben ihren Hauch in diese Gefängnisschlüssel geschickt. Sieh, wie es um sie strahlt. Du hast dein Leben in den Folterkellern verbracht, du kennst die Menschen im Dunkel, du sahst auf ihren Gesichtern nur Gewalt. Du hast nur die Angst und die Gier gesehen. Aber als du dein Kind bekamst, in der Nacht, im dunkelsten Schlaf, in deinen Träumen, da war es bei dir hell, du wußtest, daß du auch geliebt [75] werden kannst; bei dir stand ein strahlender, schöner Mensch in weißem Licht, den hast du geliebt, für den warst du da. Der war in dir. Und nur am Tage fandest du die Gemeinheit in den Gefängniskellern. Dein Leben, wenn du bei dir warst, wenn du ruhtest, dein Leben in dir: war Liebe und Helligkeit. Du warst geliebt. Du kannst helfen!
Hilf! Du wirst den andern helfen, allen. Diese Schlüssel, dieses kleine klingende Blinkfeuer weht die Gefängnismauern um!
Helfen. – Ich. – Mir ist so sanft. Wer bin ich? Ich bin ganz allein. Ich schwebe hinauf, ich fliege, ich bin so leicht. Um mich ist nur weißes Licht. Ich will hinaus in das Licht, hinauf. Ich bin nicht mehr allein. Sie schweben alle in dem Licht; der Alte schwebt da mit dem langen Bart, den sie dreimal in der Woche hungern lassen. Über mir – der hält mir die Hände entgegen, goldene Flammen – der Geschlagene, den sie an die Mauer gekettet haben. Oh, da bist du, ganz hoch oben, ganz weit, du, du winkst mir, du bist zu weit, ich kann nicht zu dir kommen, hilf mir, du –
Nein, nicht ich. Alle. Du bist auserwählt. Dein Leben wird Aufscheinen unter den Menschen sein. Hilf ihnen!
O ich bin dir ganz nah, ich könnte durch dich hindurchgleiten, verschwinden um dich, über dir, unter dir, um dich sein. Ich könnte dein Bett, deine Bank sein, deine Wand, dein Gitter, deine Ketten, deine Zelle, das Haus um dich. Das alles ist fort. Ich sehe nichts mehr, nur Licht, auf und ab und schwebende Menschen drin. – Freiheit! – Bricht zusammen.
Freiheit. O Freiheit für die Menschen! Und daß ich meine Augen und meine Hände und meinen Leib habe, ihnen zu helfen! Ich gebe ihnen die Freiheit, ich Arme! Aber sind sie nicht begraben und vermodert und vergessen? Zu Hilfe, o her zu mir, zur Freiheit! Ab.
Ja, ich führe dich zur Mutter. Nun wirst du bald mit vielen lustigen Menschen spielen, willst du? Wir gehen mit deiner Mutter auf ein ganz großes Schiff, schönes Schiff.
Auf – ab. Auf – ab. Kehrt! Nauke auf Wache! Was sag ich: Wache? Revolutionsposten! Eine Ehre, Nauke, eine Ehre, das bitt ich mir aus! Das hätt auch niemand gedacht! In dieser Zeit hat jeder Posten den Präsidentenstuhl im Tornister. Präsidentenstuhl? Ein ganz gewöhnlicher Lehnsessel wär mir jetzt lieber. Gähnt. Auf – ab. Auf – ab. Kehrt! Verdammt kalt! Großartige Revolution – und nicht einmal einen Tropfen zu trinken! Aber, aber, aber Nauke! – Schlägt sich auf den Mund, sieht sich um. – wenn das nur niemand gehört hat! Na, wartet nur, wenn ich erst mal dran bin, dann wird ein Fäßchen aufgeschlagen, ein Fäßchen, – mit einem Wort: ein Revolutionsfäßchen! ... Auf – ab. Auf – ab. Ich hoffe doch, so wird's nicht weitergehen, sonst könnt mir die ganze Revolution gestohlen ... Fährt zusammen, sieht sich ängstlich um, klopft sich wieder auf den Mund. Gesegnet sein, natürlich gesegnet sein, Nauke! – Das ist öde hier. Da wird einem so schön gesagt: »Du erwartest die Brüder« – und dann kommt keiner. Nicht einmal die Schwestern, die kleinen Schwestern! Hätt ich nur was zu trinken, dann könnt ich meine Revolutionsrede [78] ebensogut halten wie die andern. Ich glaube, den beliebten Ton treff ich herrlich. In der Art: « ... Brüder, Schwestern, Eure Zukunft liegt auf der Liebe!« Wunderschön! Es geht, es geht, Nauke! Du wirst deinen Weg machen!
Es ist schon Morgen. Und ich bin immer noch trocken. Bemerkt die beiden, nimmt Würde an. Halt, wer da? Ah, ihr seid es! Wo bleiben die Kameraden?
Nur noch einen Augenblick Geduld! Ich möchte auch lieber mit Euch auf hoher See sein, uns brennt die Polizei am Nacken.
Wenn wir so lange warten, bis die erste Runde kommt, sind wir verloren. Dann merken sie, daß wir die Offiziere eingeschlossen haben.
Matrose, hast du nicht 'ne Zigarette, mir stehen die Augen aus dem Kopf, habe schon so lange nichts mehr im Magen.
Laßt mich doch mal einen Augenblick sitzen, ich geh schon seit Tagen ohne Obdach, mir ist es so kalt.
Jetzt ist es zu spät. Der Lärm verrät uns. Wir müssen abstoßen. Wer nicht da ist, muß an Land bleiben.
Hier, kommt doch, wir sind da, wir sind in Freiheit! Helft mir, schnell, sie können nicht gehen! Der alte und der junge Gefangene werden über die Landungsbrücke an Bord geschoben. Anna will an Bord. Halt, wo ist mein Kind?
Mein Kind! Sie werden es nicht wagen! Nein, nicht schießen. Nicht Gewalt! Du hast uns gelehrt: Nicht Gewalt!
Ich Mörder! Ich habe es gemordet! Hier bin ich, macht mit mir, was ihr wollt! Ich will nicht länger leben!
Mörder, Mörder. Ich müßte dich töten. Ich kann es nicht mehr. Die um uns sind stärker als unsere rohen Hände. Hier ist Freiheit.
Ende des ersten Aktes.
[85]Eßt, Jungens, eßt! Wenn ihr nicht satt seid, eßt weiter. Das ganze Schiff ist für euch da! Seit wir unterwegs sind, tue ich auch nichts anderes.
Gute Luft? Find ich nicht. Seit wir vom Meer in den Fluß gelaufen sind, legt sich's mir dick über die Nase.
Kann der Offizier nicht seine Uniform abtun? Das bohrt mir die Augen ein, ich bin noch nicht ganz in die Freiheit gesprungen, solang ich die Streifen sehe.
Zieh den Rock aus. Zwölf Jahre lang hat dem Alten die Uniform das Leben verdorben. Der Offizier zieht den Rock aus. Das ist das neue Leben, seht ihr? Wir werden noch manchem den Rock ausziehen.
Gerad das stand auf den Blättern gedruckt, deswegen sie uns eingesperrt haben. Der Staatsanwalt sagte ...
Ach, laß den Staatsanwalt, es gibt keinen Staatsanwalt mehr! Als ich noch ein Junge war, hab ich mir schon hinter jedem Polizisten gesagt: einmal bin ich groß, und dann: den Rock herunter. Da seht ihr – wir haben jetzt die neue Welt, alle müssen den Rock ausziehen!
Laß das Gericht, Bruder, es gibt kein Gericht mehr. Wir reden nicht mehr, wir machen das wirklich. Was? Das ist ein Spaß, wie's jetzt alle Tage geht. Wir heran an ein Schiff, überrumpeln, die Mannschaft festlegen, dem Kapitän die Uniform vom Leibe und alle herunter ins Verdeck zu den Gefangenen schmeißen! Ich hab's geahnt – als Schiffsjunge, als Schornsteinfeger, als Scherenschleifer hab ich's schon geahnt, daß es so kommen mußte. – Offizier, hast du auch satt gegessen?
Hungre, Bruder Mörder, hungre ruhig, hier kann jeder essen und hungern, wie er will. Das ist die Freiheit, seht ihr! –
Festhalten? Aber Bruder, wo steckt ihr? Jetzt beginnt es doch erst! Das Schiff legt an jeder Stadt an, wir heraus, und unter die Leute. In jeder Stadt! Wir legen bei jeder Stadt am Fluß an. Machen Kameraden, die mit uns kommen!
Was die tun sollen? Brüder, Jungens – was die tun sollen? Mit uns kommen, den Offizieren die Röcke herunterreißen, den Polizisten den eigenen Säbel zwischen die Beine halten, die Staatsanwälte ins Loch sperren und mit uns kommen, mit uns kommen! Von einer Stadt in die andere. Hier auf dem breiten Fluß, auf dem Meer, den Schiffen die Ladung abnehmen, die feindliche Mannschaft ins Zwischendeck sperren, in den Städten die Vorratshallen aufmachen. Jeder nimmt sich, was er braucht. Die Freiheit, Freunde! Was fragt ihr? Seid ihr denn Männer? Meine Mutter hätt euch das schon sagen können: die rein zum Bäcker gelangt, und mit dem Brot unterm Rock raus, dem Schutzmann ein Bein gestellt, daß er über seinen eigenen Helm stolpert – und das war doch nur 'ne arme gejagte Matrosenhure!
Und dann an die Banken, und den [87] Zins beseitigt! Ich hab zwanzig Jahre lang daran gerechnet. Das ist das Wichtigste!
Zins? Geld? Ihr armen Kerle habt im Zuchthaus die Zeit verträumt. – Das wissen wir heute ganz genau: Von Geld ist überhaupt nicht mehr die Rede. Jeder nimmt, was ihm vor der Hand liegt: den Topf, das Haus, das Schiffstau. Die Erde ist groß genug für alle Hände. Wir tauschen alles, zuletzt uns selbst. Freiheit! Freiheit! Nieder mit der Gesellschaft!
Wann legen wir an? Wann kommt die erste Stadt? Wann? Oh, die Mörder aus der Welt schaffen! Nieder mit der Gesellschaft!
Die sind eingesperrt – das sind doch Feinde! Kümmere dich nicht um die, wir haben Wichtigeres zu tun! – Kamerad, du machst es an Land bei den Soldaten. Solche wie du gibt es noch mehr. Einer muß nur das Beispiel geben.
Die Frauen machen's auf die andere Art. Das weiß ich von meiner Mutter, daß ein Weib die halbe Stadt umlegen kann. Die Frauen gehen zu den Lauen, denen, die uns Gutes wünschen und sich nie getrauen werden, mit anzupacken. Dann sag ich euch, ehe so ein Tag um ist, hat bald alles den Kopf erhoben, und es kommt ein Wutgebrüll wie von den Löwen in den Käfigen. Auf einmal, seht ihr, sind wir da. Und die neuen Kameraden haben schon die Fäuste den andern vors Gesicht gehalten, ehe sie's selbst noch wissen!
Was wollt ihr? Was ruft ihr mich? Was schreit ihr hinein in mein neues Leben? Ich war auf dem Meer, ich habe die Sterne gesehen. Das Licht sprudelte über mich. Um mich war Licht. So streck ich meine beiden Arme hoch im Licht. So umarme ich euch, meine Lieben, im Licht. Ihr seid die vollen milden Strahlen, und ich bin in den Strahlen. Wir haben die Finsternis zerrissen. Wir haben die Schatten zerschlagen.
Zerschlagene Köpfe hatten sie freilich, die Schatten. Wir haben sie unten ins Zwischendeck gesperrt. Ob's da wohl noch finstrer ist als sonst? Und die Ladung, die wir ihnen abgenommen haben – alles Schattenware. Und der Wein, das Bier, der Rum und der Proviant, den wir von ihnen herübergeschafft haben – alles Finsternis. – Eßt, eßt, Jungens: Nieder mit der Finsternis!
Nieder mit der Finsternis! Wir sind vom Licht. Ich bin nur noch Licht. Du bist Licht. Ich dreh mich und schau dich: du bist Licht. Ich spring unter euch, wir sind eine große, breite, quellende Strahlenflamme.
Flamme, Flamme! Die Flamme über die Länder! Feuersbrünste an die Bankhäuser, Feuer an die Papiere, die Scheine; der Zins der ganzen Welt ist Asche!
Ein Schutthaufen, klirrende Kehrichtreste das Geld! Die Menschen geben sich die Hände. Ich hab's gewußt. Die Welt wird unschuldig.
Unschuldig, unschuldig! Kann man Unschuldige töten! Ich knie vor euch nieder, ich umfasse euere Füße. Ich bin frei geworden. Weib, hier halte ich mit beiden Händen deine Füße, dein erschossenes Kind lebt in mir! Und ich lebe in deinem Strahlenbett, dein Gesicht ist der Lichtbrunnen, deine Arme sind die zuckenden Lichtflüsse, umstrahle mich mit deinen Lichthaaren! Ich bin die Schuld. Ich komme aus dem Kasernendunkel. Ich bin Mörder, ich habe gemordet, ich müßte sterben: nun lebe ich neu im Lichtbrand. Ich knie vor dir auf der Erde, ich schlage vor dir auf die Planken nieder, wehrlos, du [89] weißt alles von mir. Leuchte zu mir, ich lebe neu für die Freiheit.
Freiheit! Wie diese Wirbel im Kreis aus mir hoch strömen! Oh, daß ich noch hier auf meinen Füßen stehe! Merkt ihr nicht, rasend aus mir, rundherum um die Welt die mächtigen Drehungen toben, die drohenden blitzenden Kreise. Was steht ihr da? Ihr ruft mich. Merkt ihr nicht, wie der Raum brausend hinter uns rauscht? Wo seid ihr? Warum bin ich allein? Warum fliegt ihr nicht mit mir? Habt ihr schon vergessen, wie wir auf die fremden Schiffe stürzten, wie wir die zitternden Schiffsknechte knebelten – und wie wenige waren wir: Nur weil wir Freie sind! – Warum schlaft ihr? Warum wache allein ich? Auf! Herauf zu uns! Löst euere Glieder! Vergeßt eure dunkle Nacht von Gestern!
Gestern, gestern: schwere Steine, Schüsse, Militärkolonnen, Mauern stürzen. Heute zischt die Luft um mich, ich rühre keinen Menschen an, ich ströme für euch dahin, wie das Wasser unterm Kiel. Ich bin für euch da, meine Brüder, ich will für euch arbeiten, ich wasche euch das Verdeck, ich koche euer Essen, ich trag euch in die Hängematte, wenn ihr krank seid. Oh, wie klein ist das alles, was ich für euch tue, meine Blutstropfen sind für euch da.
Ein einziges Gläschen Magentropfen wär mir lieber als die großmütigst vergossenen Blutstropfen. Wer für uns da ist, der genießt seine Freiheit und hilft uns bei unserm Spaß. Ich bin dafür, daß heute deine schöne Frau bei mir in der Kajüte bleibt. Hallo, Bruder, hapert's da? Deine Frau bei mir!
Ich gehöre euch! Ich flicke euere Fetzen, ich kämme euch die Läuse aus den Haaren, ich singe euch eure müßigen Minuten vor. Was ist das alles? Seid ihr denn schon selig? Wir sind noch weit von den Menschen! [90] Um uns muß die ganze Welt brennen, die Vergangenheit muß wie Munitionsstädte zum Himmel explodieren, wir müssen über die Erde rasen und die Menschen befreien – und unser Leben ist so kurz!
Freiheit: davon müssen wir was haben. Das Leben ist kurz; seit ich aus meiner Mutter gekrochen bin, weiß ich, daß es mit Essen und Trinken vorbeigeht; ein paarmal einem Weib um den Hals gefallen, und eines Tages fliegst du vom Schiff ins Wasser mit einem Schlag auf den Hinterkopf und bist tot. Die anderen Menschen sollen's ebenso gut haben wie wir, aber wir müssen das fette Beispiel geben. Die Flaschen herauf, sag ich, die Flaschen, und die Eßnäpfe nicht vergessen! Einen Schinken hab ich unter der neuen Ladung entdeckt, einen Schinken, saftig wie Weiberbrust. Wer nicht für das große Freiheitsessen und trinken ist, der ist ein Verräter!
Mach mit mir, was du willst. Ich bin die Planke für deinen Fuß. Für alle Menschen werd ich dasein, ewig in dir!
Zwanzig Jahre keine Weiberhand mehr gehalten. Wo ist meine Frau geblieben? Meine Schwester ist tot. Ich stand alle Tage zwölf Stunden an der Maschine. Ich habe für euch gedacht! Sind wir endlich da? Ich will vergessen, was war, lasse mir die Sonne in die Augen brennen. Dieser Geruch vom Wasser her, ich kenne das nicht. Sind wir frei? Umschlingt mich, preßt eure Arme um mich, und dann hinein in alle Börsensäle der Welt, die Banken gesprengt, unsere Brüder befreit! – Springt mit mir unter die Geldherren, jedes Wort erstickt, das noch mit Gelddienst über die Telegraphendrähte läuft!
[91]Ich wußte es immer, es gibt keinen Besitz! Wir gehören uns alle. Ich bin schwach. Ich habe nie in der Freude gelebt, seit meiner Jugend hab ich Pläne entworfen. Aber ich weiß heute, es gibt eine Freude, vielleicht kann ich allen helfen. Wollt ihr, daß ich für euch tanze? Ich bin alt. Meine Knochen sind weich vom Gefängnis. Soll ich unter euch springen, bis wir den Himmel herunterholen? Daß ich frei bin! Nun müssen alle frei sein!
Trinken, Brüder, hier! O ich weiß es, wie man die Gefangenen herausholt, vielleicht hab ich darum mein Leben lang die Mauern um mich gehabt. Zusammen mit euch brennen wir wie ein Blasfeuer die Zuchthäuser nieder, unsere Brüder sind frei!
Tochter? Ich fühl's kaum mehr. Sie geht so hoch und gerade, ist etwas Feines geworden, nicht mehr zu erkennen von früher; meine Tochter war anders. Die sieht keinen Menschen mehr, schaut durch mich hindurch, daß ich mich oft vor Schreck umdrehe und hinter mich blicke. Sie hört mich schon lange nicht mehr. Aber ich hab ihr nichts zu sagen seit meiner eigenen Flucht!
Ein Schiff. Zu Anna. O sprich, eh ich mit meinen Küssen zu dir falle, sag es mir. Hinauf auf das Schiff. Wünsch es von mir, verlang das! Wir springen von einem Verdeck aufs andere. Nieder mit der Besatzung, wir holen an Bord, was wir finden!
[92]Die Waffen! Auf das Schiff! Wir rammen ein Leck, und dann in der Verwirrung hinüber, die Mannschaft gebunden, und jeden niedergemacht, der gegen uns ist!
Nein, nein, sag ich euch! Das ist nicht die Freiheit! Das ist das Tier. Das ist der Absturz! Die alte Welt der Feinde stirbt schwarz zerfressen an der Pest. – Und diese da, die Kameraden, rasen nach Besitz?
Nein! Ich darf sie nicht lassen. Ich bin erweckt, ich kann nicht mehr zurück. Ich kann die Menschen nie mehr im Dumpfen lassen. Weißt du es noch nicht? Rings um uns tobt Seuche. Drüben fressen Besitz und Seuche brüderlich vereint an den Feinden. Aber hier unsere Brüder – nur die Reinheit kann sie noch retten!
Ich sehe graue Blitze unter ihnen. Die Verwirrung steigt wie Nebel um unser Schiff. Sie fallen in ihre Tierheit zurück. Sie schleudern sich zurück ins [93] blinde Vergessen. – Kameraden, heraus aus der Befleckung. Unsere Kraft ist der reine Wille unseres Freiheitsschiffes, oder die Seuche von drüben stürzt sich über euch!
Was willst du, Kamerad? Komm zu uns, küß mit uns! In einer Stunde springen wir drüben dem Schiff auf den Leib! Küßt mich, Frauen, küßt euch! Das ist ein Leben, ich hab's gewußt, daß so ein Leben kommen wird. Musik! – Ich hörte Musik schon im Mutterleib! Musik! O Freiheit!
Die Pest um uns. Die Pest auf dem Feindesschiff. Und in unsern Brüdern: Das Tier! Zu den andern. Nun verlaß mich nicht. Menschenkraft in mir!
Seid ihr nicht die Führer? Rollt nicht die Zukunft aus unseren Händen als naue Welt? Wie dürft ihr das vergessen?
Ihr seid frei! Vorbild seid ihr für die Menschen! Unser Schiff fährt durch den schimmernden Himmel zu den Menschen, sie aufzurichten, ihr macht sie zu Brüdern, ihr erinnert sie an ihre Heiligkeit. Aus euch wird die Menschheit strömen, ihr pflanzt das Morgenreich in die Länder. Und ihr habt Angst? Drüben folgt euch nur das Tier, die böse Dunkelheit. Ihr müßt nur wollen, und sie ist dahin!
Nimm mein Leben. Zu Anna. Nimm du es, Schwester! Hier lieg ich zu deinen Füßen, dich stärker zu machen.
Wollt ihr mich? Werft mich hinüber, sie hängen mich, oder sie schießen mich zusammen, oder sie hacken mich in Stücke, vielleicht kann jeder blutende Fetzen von meinem Fleisch einen von euch retten!
Ich bin es, sie wollen mich holen. Noch einen Zug von dieser Luft atmen, und sie können wieder das Gefängnis über meinen Schädel pressen. Ruft herüber, daß ich für euch gehe.
Ich weiß, wie man's macht! Schießt mich nieder, ruft, daß ich der Rädelsführer war, einem alten Beamten glauben sie, auch wenn er tot ist. Wozu ist mein Leben gut? Ich habe die Freiheit gespürt, nun kann ich sterben.
Ich bin noch jung, mein ganzes Leben ist noch da, meine Freiheit aufgeben: das hat viel größeren Wert als ihr alle; nehmt mich!
Mich! Mich! Ich – ein Führer! Der Kamerad hat's [95] gesagt! Ihr liefert einen wirklichen Führer aus. Das ist ein Braten für die, knusprig, voll gegessen und getrunken, frisch, mit festen Sehnen! Liebe Brüder und Schwestern: den letzten Schluck, und dann – hopp!
Wir sind nicht verloren. Wir sind noch frei. Glaubt mit mir! Wille, Wille, brenne durch uns, Wille, schieße aus unseren Händen, kehr um in unserm Mund, fahre aus unseren Augen! Alle wollen! Wir stehen in starrer Mauer still, wir tauchen unter, wir verschwinden aus dem Leben, wir fliegen lautlos über uns herauf. Wir wollen! Auf! Aus uns steigt es herauf, heraus aus uns tritt unser Mensch, hinüber durch den Raum, es gibt keine Grenzen, furchtbar für die Gewalt! Mensch, herauf! Hervor aus uns allen, Wille. Die Gewalt prallt zu Staub!
Brüder, Mut, wir schreiten hinaus aus unserem Leib. Unser Wille schwingt aus uns über den Raum hin. Wille, stoß in die Feinde!
Menschen, unsere Gemeinschaft zerstört ihre Panzermacht! – Unsere Kraft! Sie wenden! – Da – sie fliehen!
Verwirrung unter die Gewalt! Gerettet! Die Gewalt sprang ab vor Menschenwillen. Seht, wie das Schiff klein dort unten schwindet! – Ihr, Sternbrüder, seid ihr nun Eurer Kraft gewiss? Das neue Leben liegt vor uns!
Gerettet! Ich hab uns gerettet Werd's mir merken. Allein durch meinen Willen. Man steht still, tut gar nichts, bläst durch die Lippen – und hast du nicht gesehen, ist der andere auf und davon! In die feinsten Restaurants geh ich so! Zahlen? – ist nicht mehr! Kellner, eine gute Zigarre und eine Flasche Sekt: Mein Wille – pfft! Weg mit dir, Dummkopf! Mein Wille! Freiheit!
An Land! Ich komme auf die neue Erde. Habe mich mein Leben lang geduckt, bin gekrochen, hab die Gefangenen gepeinigt. Wir legen an. Es gibt keine Vorgesetzten mehr, nur Brüder.
Ich habe befohlen, habe die Soldaten gequält, ich war dumpf, hab Befehlen gehorcht, ich hab gemordet. Jeder Blutstropfen zerrt an mir, zu den Menschen herüberzuspringen und zu helfen. An Land!
Ich strich an den Zellen des Gefängnisses vorbei, und jedes Stöhnen fand mich taub. Aber nun weiß ich, was das Licht ist, und ich will, daß die Reinheit wie ein Feuer durch die Menschen brennt!
Wir können nicht an Land. Merkt ihr nicht längst, wo wir sind? Drüben am Ufer ist kein lebendes Wesen [97] mehr. Tot, tot! Die Städte sind tot, verkommen, ausgestorben!
Spürt, wo ihr seid, Mut, Kameraden. Aus dem Wasser um uns steigt Tod: Das ist der Untergang für uns, es dringt in alle Poren, wer kann noch atmen, ohne zu wanken!
Brüder, Mut! Um uns ist Tod! Das Land ist tot! Wir fahren durch den Tod. Auf dem Wasser herrscht die Pest!
NAUKE, ERSTER GEFANGENER, ZWEITER GEFANGENER, ERSTER WÄCHTER, OFFIZIER. Die Pest! Die Pest um uns! Hilfe! Hilfe!
Teufel noch einmal, Zins und Kapital, die Pest! Und der Rum ist ausgetrunken. In keiner Flasche mehr ein Tropfen!
Brüder, wir dürfen uns nicht verlieren. Unser Wille muß stärker sein als Todesgefahr. Jede Welle, durch die das Schiff schlägt, spritzt die Seuche um uns hoch. Aus den Turmspitzen der toten Städte drüben fliegt die Seuche zu uns herüber. Jede Mauer will uns zu klebrigem Moder machen. Um uns lebt nichts mehr, Seuchendunst steigt um uns, das Wasser ist zitterndes Grün. Wir sind Menschen. Nur die Zukunft hält uns stark. Wir müssen leben für die Freiheit. Glaubt eurem Willen; er rettet uns aus Einsamkeit der Todeshölle!
Verloren, verloren! Mitten in der Seuche. Ich hasse mich, daß ich mich je von Worten hinreißen ließ. Ich hasse euch!
Du hassest mich, du Lump? Lieber zwanzig Jahre im Kettenkerker, als in der Seuche verrecken. Betrüger!
Ich hab mir den Kopf zermartert für die Menschheit, du hast höhnisch dazu gemäkelt, verfluchter Zinsenhans! Ich, ich will nicht zurück ins Gefängnis, geh allein, du Schwindler.
Was hab ich von diesem Tod? Meine [98] Tochter – eine Fremde! Mein Zimmer verlassen, meine Frau, mein Ansehen, mein Auskommen – für eure Freiheit! Ich will mein Vogelbauer zurück haben, gebt mir mein Sofa wieder!
Ist alles vorbei? Zu spät! Im Stich gelassen von allen! Die Kameraden fallen ab wie Leichentücher! Haß! Wie allein, wie allein! Haßt nicht! Haßt nicht, ihr dürft nicht hassen! Erinnert euch, wer ihr seid! Von uns bleibt nichts in der Welt, wenn ihr noch haßt!
Sterben! Habe ich Liebe gehabt? Wo bleiben die Menschen? Tod, und nie die Menschenfreiheit gespürt! An Land, wenn wir an Land tot hinfallen, ist's gleich, so haben wir doch das ferne Land berührt!
An der Seuche vermodern, wo es zur Freiheit ging! Noch ehe die Menschheit aus der Erde aufstehen konnte, werden meine Arme und Beine blau geschwollen abfallen, mein Kopf wird grinsen, dieses Gehirn soll stinkend schwarzer Teig sein? Ich kann nicht allein sterben. Wenn ich sterbe, wer wird dann noch leben?
Hilft mir niemand? Ich will nicht sterben! Ich habe schwache Menschen verlassen, ich habe Menschen Unrecht getan für die Freiheit! Ich kann nicht sterben!
Brüder, wir leben! Ihr seid nicht allein! Wir blicken uns in die Augen, und jeder von uns ist die ganze Erde bis an den Himmel! Wir schleudern den Tod von uns!
Tod! Ihr habt alle den Tod verdient! Wenn ihr krepiert, ich will der Letzte sein!
OFFIZIER, ERSTER GEFANGENER, ZWEITER GEFANGENER, ERSTER WÄCHTER, ZWEITER WÄCHTER. Ihr Verräter, nieder mit euch Verrätern.
Wollt ihr meinen Tod? Ich geb ihn, er nützt euch nichts. Wir müssen unsern Weg fahren, wir müssen! Wo ihr hintretet, ist die Pest!
Verbrechen! Oh, daß ich nun eure Verwirrung begreife! Welche Schuld! Sie sind Menschen! Wir hatten kein Recht, sie gefangenzuhalten! Das brannte in uns! Welche Schuld!
NAUKE, OFFIZIER, ERSTER WÄCHTER, ZWEITER WÄCHTER, ERSTER GEFANGENER, ZWEITER GEFANGENER in Gewaltsstellung. Tod, wer das Verdeck betritt!
Ich sterbe. Warum erschlagt ihr uns nicht?
NAUKE, OFFIZIER, ERSTER WÄCHTER, ZWEITER WÄCHTER, ERSTER GEFANGENER, ZWEITER GEFANGENER bewegungslos. Rettung. Wir glauben.
Warum wehrt ihr euch nicht? Wir sind krank. Ist das die Pest? Dann sterb ich wie ein Hund. Sie machen euch alle nieder.
Freund, Kamerad, mein Bruder! Du bist die Zukunft, wie wir die Zukunft sind. Nimm mein Leben, wenn ich es geben soll, und lebe du! Alle Menschenkraft, die durch die Welt fließt, strömt jetzt durch mich. Alle Brüder geben ihre Liebe für dich. Unser Leben ist für dich da!
Wer Bruder der Erde ist, wird leben. Ich umarme dich. Du bist nicht krank. Ich will es. Du bist nicht krank. Wir wollen es!
O fühlt ihr, wie die Zukunft wieder durch euer Blut schießt? Du bist nicht krank! Du lebst in der Liebe!
NAUKE, OFFIZIER, ERSTER GEFANGENER, ZWEITER GEFANGENER, ERSTER WÄCHTER, ZWEITER WÄCHTER lösen sich aus ihrer Starre, umarmen Klotz, den Mann, Anna, die Frau, den Gouverneur, schwach, jeder in einem anderen Seufzer. Liebe!
O Kraft, wieder ist sie unter uns! Unser Wille trägt uns wie ein Sternenwind zur Freiheit der Menschen!
Nein, du dienst uns nicht. Wir werden dir dienen! Spüre, wie die Erde hell wird vor unserer Reinigung!
Spürt ihr, wie das Schiff über das Wasser saust! Unser neues Blut treibt seinen Lauf. Das Ziel ist nahe!
Was sind wir für die Menschen? Tragen wir schon die Freiheit in unseren Händen? Nein, so haben wir nur uns selbst gewonnen! Wir haben noch uns! Wir haben noch alles zu verlieren!
Ich wollte aus uns allen: Liebe! Aber nun darf ich es nicht mehr sagen. Das ist noch Hochmut. Es ist zuviel. Wir sind noch zu reich. Wir müssen hinab, ganz tief hinab zur letzten Armut!
[102]Geliebter, vernichte mich, zerstöre mich, dring in mich, tu mir Gewalt vor allen, ich will niedrig sein. Nicht einmal die Hand leg ich über die Augen!
Nicht ich, Geist soll dich durchdringen. Ich bin ein armer Mensch, ich bin nur noch für die Menschheit da!
Oh, wie tanzen wir alle noch in der Macht und der Gier der Gegenwart. Wir sind noch nicht arm genug für die Zukunft!
So hoffnungslos, daß sie verzweifelt ist. Die Verzweiflung muß über uns sein. – Wir haben noch zu viel Hoffnung, noch schlafen wir! – Verzweiflung über die Welt: aus ihr die Kraft, das Äußerste zu wollen! Das Schiff tobt an den Städten vorbei, und wir fürchten noch ihre Gefahr für unser Leben, unsern Willen. Und jetzt sage ich euch, Kameraden, wir müssen an Land!
So müssen wir die lebendige Stadt schaffen! Wir müssen durch den letzten Tod, durch den letzten Unrat, durch die erstickende Pestwolke. Wir müssen zu den Menschen!
O seht, wie lang ist es her, daß dies nicht mehr war: dort unten die Stadt! Türme und Häuser wie Kornähren dicht, und darunter klein: lebende Menschen!
O meine Brüder, wir müssen hinein in das Schicksal, wissend! Was haben wir getan! Wir haben durch die Flucht und durch die Erniedrigung nur uns gewonnen. Nun müssen wir uns wieder verlieren. Wir sind zu sehr Selbst; wir haben noch ganz unser Ich. Wir müssen uns sprengen! Jetzt müssen wir zerstören!
ANNA, DIE FRAU. Zerstören?
Zerstören müssen mir unsere letzte Rettung. Zerstören müssen wir die Planken unter unseren Füßen. Wir müssen unsere letzte Sicherheit zerstören. Wir dürfen nicht mehr zurück. Wir dürfen nicht mehr fliehen können.
Nein, es ist unser Glaube für die Menschen! Wir müssen durch die größte Versuchung, um alles zu verlieren!
O ihr Brüder, zuerst müssen wir ganz verschmolzen sein, einig wie eine Wabe Honig, ein einziges aufblitzendes Feuerlicht in Liebe, eh wir den Menschen die Freiheit bringen. Brüder! Wir sind eins in Liebe!
Welt! Unser Leib trägt die Freiheit um die Erde. Brüder, Kameraden, für die Menschheit werft ihr euer Leben fort, unser Glaube wirft uns in die Zukunft.
Dieser Hebel sprengt unser Schiff – er ist heiße Glut. – Mut, Glaube! Wir können nicht mehr zurück. Vor uns die Stadt! Wir müssen an Land – wir dürfen uns nicht mehr aufs Schiff zurück retten! Ich sprenge das Schiff! – Hingabe!
Nein! Um alles in der Welt: nicht der Hebel! Ich hab's nicht für Ernst gehalten! Die Hand fort vom Hebel! [104] Stürzt hinauf zur Kommandobrücke, um dem Gouverneur in den Arm zu fallen.
Ende des zweiten Aktes.
[105]Ich bin schon ganz schwach. Und dabei die Männer immer wieder vertrösten, solang die Brotverteilung stockt!
Man kann keinem Menschen mehr ruhig, ins Gesicht schauen, so kriecht diese Seuchenluft um einen. Die Männer fallen an den Barrikaden mit den Waffen in der Hand um vor Hunger oder weil die Pest auf ihnen sitzt.
Kein Mensch hat mehr zu essen, wenn wir nicht sorgen! Wie lange können wir uns noch halten? Was sollen wir denn machen?
Wie sollen wir hinüberkommen? Ein Schritt über diese Barrikademauern und durch die Gräben, und wir sind erschossen wie unsere Männer!
Ich kann diesen Hunden kein gutes Gesicht machen, selbst wenn sie den Angriff gegen die Stadt ließen. Achtzigtausend Menschen haben sie uns aus dem Land geschleppt, achtzigtausend als Sklaven in die Bergwerke gesteckt, in ihren Kloaken ersticken lassen, geschlagen, gefoltert, zu Tode getreten, als Sklaven! Was,[106] dazu haben die Unsrigen sich das Blut in den Adern verdorren lassen, vor Arbeit und Hunger und Müdigkeit und Krankheit, daß wir nun mit den Bürgern verhandeln!? Alles soll für nichts gewesen sein?
Aber es geht nicht weiter! Was soll man machen? Die Unsrigen halten es nicht länger aus. Und heut war ein Tag, das war noch nie. So eine Schwäche kam plötzlich über alle. Eine sinnlose Hoffnung wie bei Sterbenden!
Zum erstenmal hörte ich heut Gerüchte in der Stadt – als wenn sich etwas Großes geändert hätte in diesem Elend!
Als ob ein Flieger aus der Luft hunderttausend Proklamationen abgeworfen hätte, die jedem das Glück versprachen.
Das ist viel unheimlicher als Fliegerzettel. Morgen sind sie alle aus Enttäuschung auf Gnade und Ungnade ausgeliefert!
Es sollen Menschen in der Stadt sein, die keiner noch gesehen hat, sie gehen herum und muntern die Schwachen auf. Aber wer kann das glauben? Fiebergerüchte. Wie sollen die hereingekommen sein?
Die Freiheit sag ich? Wie kommt das nur aus meinem Mund! Blumen wieder zu sehen? Der Himmel über mir, Luft um mich? Mein Kleid über eine Wiese wehen?
Wie sind aber die Bürger aus diesem Schloß entkommen? Die Unsrigen haben niemand gefangen, nur die paar Diener, die als Wachen an den Toren standen!
[107]Jetzt fragt keine nach Mut. Hat auch keine von uns gefragt, als der Aufstand begann. Es ist das Letzte!
Wo sind wir? Dort ist es dunkel. – Halt, Geräusch! Ah! – Wer ist da? Anna im Licht. Wo kommst du her?
Ich komme zu euch. Man hat uns gehetzt wie Fledermäuse im Licht. Wir schleichen tagelang durch Löcher, Schutthaufen von Häusern, durch Keller und Gänge zu euch. Unsere Brüder dringen durch die Mauern und Steine zu euch in die Stadt, wie Wassertropfen durch Erdreich.
Die Stadt ist bedeckt von schwarzer Luft, Tausenden, an glatter Haut brechen plötzlich Wunden stinkend auf, Abgezehrte fallen in die Knie und bleiben tot liegen; die Seuchen, wie vom Feind gesandt, blasen Signale durch die Häuser – und ich bin gewählt, für die Spitäler zu sorgen. Ich bin zu schwach.
Was kann ich noch tun? Wir haben in den Fabriken keine Kohlen mehr, keinen Strom, die Treibriemen sind dürr und fettlos und reißen am Rad, die Sicherungen brechen im Metall und saugen die Arbeiter in den Tod. Können wir denn noch arbeiten? Was kann ich machen?
Brot brauchen sie! Brot! Nur dies erste. Das Brot. Es ist nichts da. Nichts mehr. Diese Freiheit ist die Verantwortung, die auf jedem Menschen liegt. – Ich kann nicht länger an ihr tragen. Wer bin ich noch? Ein Nichts. Für die andern – eine Lüge.
Wo seid ihr, Schwestern? Ihr seid fern von euch. Ihr brecht zusammen unter Kindern, die nicht eure Geburten sind. Ihr seid nur noch die Buchstaben eurer Namen. Ihr seid Beamte, Minister, Leitende – aber rollte das aus euch? Müßt ihr erst euch noch mit eurem Hirn hersagen, daß ihr lebt und handelt für die Idee? Oh, dann seid ihr verloren! Das erste Geständnis vor euch selbst, und ihr seid verloren, die Stadt verloren, die Freiheit ist verloren!
Unser größter Mut war, daß wir die Verzweiflung verbargen. Da unten, das Volk glaubt uns stark – wüßten sie, wie wir uns fesseln, um nicht in den Wahnsinn des Nichts auszubrechen, so würden sie an Hoffnungslosigkeit sterben wie Regenwürmer auf ausgedörrtem Stein!
Aber ihr seid verloren, wenn ihr euch vom fremden Sinn lenken laßt! Ihr wollt die Freiheit? Ihr selbst seid die Freiheit: Ihr braucht nicht zu flüchten, ihr braucht nichts zu verbergen. Wie? Ihr leitet? Ihr verfügt? Ihr versammelt, ordnet an, gebt Aufträge, seid Zahlen-Nenner, [109] macht Zahlen? In welcher alten Welt lebt ihr? Wollt ihr die Kadaver eurer selbst bleiben?
ERSTE, ZWEITE, DRITTE REVOLUTIONÄRIN. Was sollen wir tun?
Du backe selbst Brot! Das Volk braucht euch nicht! Ihr braucht die andern, weil ihr euch selbst braucht!
O wär sie doch schon unter uns in der Stadt, die helle, ehrliche Stille, das Atemanhalten der Treibriemen!
Wir sind nicht allein. Glaubt ihr, daß wir auch nur stehen könnten, wenn nicht aus allen Städten der Welt Arme zu uns sich herüberstreckten! In alle Mauern hinein bohren sich Augen, hinauf in den Himmel brennen Augen. Zu uns, zu uns! Zu uns blitzen sie her, verzweifelt, so wie ihr verzweifelt seid. Jeder Schrei, der aus uns auffliegt, kommt aus den Millionen Mündern. Glaubt nicht, wir hätten nur Kraft, wenn wir in Regimentern einherstampfen. Blickt hindurch durch die Mauern, springt über die Grenzen! Stürzt zu allen Frauen, die lieben! Millionen Frauen in jedem Land stehen wie auf einsamer Insel, um sie strudelt Verzweiflung, sie warten auf euch. Millionen sind da, bebend bereit zu unserm Kampf! Blickt hin, wie diese Erdkugel von Frauen, eng gedrängt starre Leiber, und doch noch unverbunden, aus dem Dunkel aufsteigt, noch geschlossene Augen, gekreuzte Hände, noch ein enger Riesenfriedhof von Haarkränzen, aber ein Schrei aus euch, ein Schrei zu Verwandten: die Arme breiten sich, Augen in tiefer Kraft finden euch, und ein Herzschlag gemeinsam zittert durch die Haut der Erde, [110] daß einen Atemzug lang jede Hand stillhält, jede Arbeit ruht, jede Fabrik versinkt, jeder Mörderschuß kraftlos vor den Lauf zu Boden fällt.
Du wirst es ihnen nicht geben, wenn du nichts anderes tun als sie nur führen willst! Treibe sie, meine Freundin, sei unter ihnen, hauche ihnen Erregung ins Gesicht, daß sie es einen Tag lang vergessen. Ein Tag nur, ein einziger Tag Ruhe, ein Tag Stille aller Menschen auf der Erde, und diese alte Welt ist verwischt; eure Mauern und Gräber treiben die Feinde selbst zurück, ohne daß einer von uns die Hand regt. Ein Tag nur ganz eure Kraft, euer Lächeln, euer Duft, euer Atem!
Ihr müßt zu ihnen. Ihr dürft sie nicht täuschen mit neuen Verfügungen. Ihr müßt unter ihnen sein und ihnen helfen. Helfen zum ersten neuen Tag der Welt.
Bin ich unter den Führerinnen? Wißt ihr, was euch erwartet? Auf euch haben wir unsere Verteidigung gestellt. Und nun nichts?
Du sprichst, als hättest du ein eigenes Recht – und bist doch genau wie alle anderen Frauen. Heute machen wir keinen Unterschied mehr!
Weißt du nichts Besseres von dir? Alle Frauen sind wie ich. Auch das ist gleich. Du brauchst nicht mich. Aber ich such einen, der leben will, nicht sterben.
Hast du schon deine Hände zum erstenmal angesehen? Hast du schon deine Arbeit zum erstenmal angesehen? Deine Maschine? Deine Fabrik? Deinen Weg am [113] Morgen bis zur Nacht? Deine Genossen? Deine Stadt? Die Welt draußen?
Dazu hat dich deine Mutter geboren, daß du nicht mehr anders kannst, daß du gehorchst, daß du nicht weißt, was du tust? Du hast ja nicht einmal Zeit und Freiheit, mich anzuschauen und deine Arme um meinen Hals zu legen! Deine Arme? Deine Arme wissen längst nichts mehr von dir seit deiner Kindheit – deine Beine sind nur noch zum Stehen an der Maschine gut, dein Bauch zum Verdauen, dein Glied zum Krankheitverbreiten und zum Zeugen von Kindern, die so jämmerlich leben wie du selbst, und dein Kopf, um über der toten Beschäftigung deines Körpers zu wachen. Du weißt nichts von dir, du weißt nichts von mir. Was hast du vom Leben?
Nein! Du bist nicht allein. Ihr alle müßt aufhören. Ihr müßt alle einmal wieder wissen, woher ihr kommt, daß ihr lebt, daß ihr Freiheit habt, zu tun, was ihr wollt, und nichts zu tun. Sieh mich an. Bei mir hast du mehr als Lust: Du hast die Freiheit.
Ich höre schon in meinem Ohr eine andere Antwort rauschen, als ich dir sagen wollte. Aber ich bin nicht allein, ich halte fest. Wenn wir aufhören zu arbeiten, dann überrumpelt der Feind uns wie Kinder. Binden werden uns die Bürger, fortschleppen, ermorden oder in die Bergwerke schmeißen und zur Todesarbeit peitschen, sie würden in die Stadt dringen, ohne Widerstand zu finden.
Ja, mein Freund, mein Geliebter, laß mich deine Hüfte fühlen! Sie würden kommen, ohne Widerstand zu finden. Wie durch Kissen würden sie gehen, auf Weichem würden sie schreiten – und darin versinken! Auf [114] unheimlich Weichem würden sie schreiten müssen! Einer nach dem andern aus ihrem Heer sinkt ein in eure Widerstandslosigkeit, einer nach dem andern läßt die Hände sinken vor euren ruhenden Händen. Einer nach dem andern hungert neben eurem Hunger. Einer nach dem andern wird umgurgelt von der steigenden und steigenden Flut der Gewaltlosigkeit. Schaut hin, ihr hattet die Feinde mitten unter euch, und während sie noch um sich schlugen, fielen ihnen die Waffen aus den schreckzitternden Händen. Sie waren wissend geworden. Sie waren wissend geworden von sich – durch euch. Die Feinde sind zersplittert, versunken, die Bürger sind verschwunden. – Ihr habt die neuen Brüder unter euch!
Komm, ich weiß einen grünen Rasen mit Büschen am Wasser. Dieser Abend wird so schön, die Sonne ist noch rötlich da.
Oh, warum so schnell! Komm mit mir! Nimm dir doch Zeit, Zeit, Zeit! Was hindert uns? Mach dich frei, wie ich!
Wieder zu spät. Ich bin dir durch den ganzen Gang vorausgekrochen, jetzt könnt ich beim besten Willen nicht hinter euch gehen!
Was willst du? Was redest du? Ich hab vor euch den Dreck im Gang an meinen Kleidern aufgewischt, und jetzt ist es euch nicht fein genug gewesen. Bin ich dir vielleicht selbst zu schmutzig?
Ich hab schon einmal gesagt, ich nehme keine Belohnung. Ich tu's aus reiner Menschenliebe. Verhandlungen, ja. Geheime Verhandlungen: wunderschön. Aber ihr wollt doch nicht etwa spionieren?
Spionieren, mein Freund, da hätt ich dich gebeten – tätest du das nicht auch aus reiner Menschenliebe?
Was heißt das? Was wird das? Bürger, du beleidigst! Du hast mich drüben am Ufer angeredet. Du hast mir gesagt, daß du zu den Revolutionären gehen willst, um sie mit euch zu versöhnen, aber ohne öffentlichen Lärm, ohne starre Haltung, als einfacher Mensch. Ich habe dir den geheimen Zugang zur Stadt gezeigt, denn du hast mir geschworen, daß du nicht Mißbrauch triebest. Alles um der Versöhnung willen. Du weißt es. Warum sprichst du nun krumm? Denke dir, hättest du es nicht mit mir zu tun, ein anderer hätte dir schon lange eine auf den Kopf gegeben.
Eben weil ich es mit dir zu tun habe! Selbst wenn ich spionieren würde, geschähe es nur zum Besten der Revolutionäre.
[116]Nein, dafür denken sie zu einfach. Sieh, man muß doppelt denken können, wie wir, dreifach denken muß man können, nach jeder Seite hin. Kannst du doppelt denken?
Siehst du! Wir haben gelernt, auf so viel Arten zu denken, wie es Zahlen und Menschen gibt. Für jeden etwas. Darum wissen wir Bürger besser, was für die Revolutionäre gut ist, als sie selbst. Sie müssen sich mit uns versöhnen. Aus Menschenliebe!
Wir werden jedermann das doppelte Denken lehren, auch dich, mein Freund. Wenn erst alle Revolutionäre doppelt denken, nach rechts und nach links, dann ist die Revolution zu Ende, alle sind wie wir, und das Leben im Paradies beginnt.
Du mußt zwei Gesichter machen. Eins für sie und eins für uns. Freund, ich kenne dich, ich weiß, wie gut du es meinst. Damit das Glück bald kommt, müssen alle Revolutionäre auf unserer Seite sein. Damit sie auf unserer Seite sind, müssen sie in unseren Händen sein. Damit sie in unseren Händen sind, müssen sie uns ergeben sein. Das ist doch alles ganz klar. Und ergeben sind sie, wenn sie ahnen, wie stark wir sind, und wenn sie schwach werden.
Stark sein – und schwach werden? Das hab ich schon gehört, das sagten schon die Brüder auf dem Schiff. Ich glaube, du bist mein Mann!
[117]Das weiß ich längst. – Damit sie bereit werden, müssen sie Tag und Nacht unablässig an der Maschine liegen. Unterdessen beraten wir uns mit ihren Führern und ziehen sie auf die Seite der Versöhnung. Wir erkunden die Hilfskräfte und die Zugänge der Stadt – warum gleich spionieren sagen?! –, dann kommen wir. Dann haben wir sie, dann belehren wir sie, und dann beginnt das Paradies.
O viel, mein Lieber. Du gehst in die Fabriken und machst dein fröhlichstes Gesicht: hundertfache Arbeit. Und dann vor allem die Getreidespeicher, sehr wichtig, eine Zündschnur – puff, die ganze Bude fliegt auf! Sie müssen hungern, daß sie die Fliegen an der Wand beneiden. Dann gehst du zu den Kämpfern und machst ihnen begreiflich, wenn sie aufhören, die Revolution zu verteidigen, und uns endlich herankommen lassen, oder wenn sie gar wie du, mein lieber Freund – zu uns herüberkommen, dann beginnt das Paradies! Und vor allem: Wir liefern das Essen! Du sagst ihnen: Alles Essen, was nicht von uns kommt, ist vergiftet. Nur wir haben das gute Essen!
So viel auf einmal, das ist gewiß das doppelte Denken! Du hast mich damals gewonnen, damit ich dich zu den Führern bringe, für die Versöhnung.
Aber wie? Du willst dich davonmachen? Hast du denn kein Gewissen? Du mußt doch mitarbeiten am Paradies? Tu du, was ich dir gesagt habe, dann wirst du ein ganz großer Mann sein!
Das ist noch dein altes, dummes, billiges Gewissen. Ich lehre dich doch gerade unser neues, feines, doppeltes Gewissen! Jetzt den Weg zu den Führern. Mit denen werd ich schon fertig.
Zeig ihn mir, ich finde ihn. Du hast anderes zu tun! Sag du den Revolutionären, was ich dir gesagt habe. Dann werdet ihr alle glücklich!
Hundertfache Arbeit, lustiges Gesicht in den Fabriken, Getreide hoch, Hunger, Versöhnung, den Anfang machen: das hab ich schnell gemerkt, das war wie auf dem Schiff. Aber dann: Ausliefern, zu den Bürgern übergehen! das kommt hinzu. Das doppelte Gewissen – das ist neu. Und dann kommt das Paradies!
Unmöglichkeit! Zusammensturz! Raserei! Woher kommen wir? Welches Recht haben wir, zu leben? Wenn das möglich war, hat alles keinen Sinn mehr! Wenn das möglich war, hat nichts je Sinn gehabt. Dann sind wir Betrüger, Betrüger!
Du weißt, daß es Sinn hat, du weißt welchen Sinn. Aber vielleicht waren wir lässig, vielleicht hochmütig, Verrat ist Mißverständnis. Daß Mißverständnis möglich war? – Vielleicht hatten wir zu wenig Liebe? – Immer wenn die Stunde groß wird, kommt Verrat. Gerade den Verrat muß man überwinden.
Ihn unwichtig machen. Verrat kann nur gegen die Person gehen. Aber verrate du das Volk? Unmöglich. Wir müssen den Verrat aus der Welt schaffen.
Nein, nicht verhandeln. Wir geben uns dem Feind. Er fordert – wir geben alles. Er fordert Waffen, wir legen sie hin. Er will Geld, wir geben ihm, was da ist, er will Speise, wir geben ihm die unsere. Er will unser Leben, wir zeigen ihm, daß wir es opfern. Er kann nichts mehr fordern. Er ist allein, und ihm bleibt nur noch zu verlangen, daß er werde wie wir selbst. –
Wir geben zurück, was wir vom Volk empfingen. Wir bringen ihm Brüder, aber solange die Brüder noch Feinde sind, werfen wir uns vor sie, und wir opfern ihnen unser Schicksal! – Zu den Feinden! – Ich kreuze ihren Angriff. Ich laufe durch die Stadt, und wo ich nur einen Windstoß von bürgerlicher Luft wittre, da tret ich hin als ein Mensch, der die Ehre der Vergangenheit nicht mehr hat. – Ich gehe zu den Feinden, den Gang der Selbstvernichtung.
Spring heraus aus deiner Hirnwelt, Freund! Wir müssen unter sie, arbeiten, als hätt jeder von uns tausend Leiber – sonst wär alles verloren! Aus Kellerlöchern komm ich her, von Unratswinkeln, aus Versammlungen, suchte euch zusammen. Sie plündern, Menschen sind erschlagen, eigene Genossen auch. Raub wo ein Bissen. Ein Zündholz ist Besitz. Und dabei geht die Arbeit weiter. Eine unsichtbare Hand greift in die Massen und [120] treibt sie gegen ein Haus. Durchsuchung. Zwei Schritte daneben läuft das Leben, als sei seit Unendlichkeit nichts verändert.
Das alles spielt den Feinden in die Hände. Wenn nicht, eh noch die Bürger in die Stadt dringen, eine Umkehr kommt, ungeheure Umkehr geschieht, dann ist das Volk verloren. Zerhackt wird alles, erstickt die Freiheit.
Kamerad, ist's jetzt nicht gleich, was geschieht? Wird nicht ewig in diesem Volk die Idee leben, wird nicht unsterblich unter ihnen die Freiheit umhergehen?
Nein, nein, nein! Das Schlimmste kommt, das Entsetzlichste: eine Sklavenhorde. Die Freiheit wird ewig gestorben sein. Wir taten noch nichts, nun müssen wir alles tun.
Betrug! Wer das sagt: Alles oder nichts! – denkt alles und bleibt beim Nichts. Schritt für Schritt mußt du vorgehen. Dein Leben hingeben ganz an die Tat – selbst ohne Freude, nur um es zu geben!
Aber Plündern sagtest du! Raub! Sie morden! Wo bleibt das ewige Bild des Menschen, wo bleibt unsere ewige göttliche Abkunft, wo bleibt das freie Menschenleben, dafür wir herkamen? Ich werfe mich ihnen vor den Weg!
Nein, nie! Halte sie nicht. Wenn du sie hältst, wenn du ihnen Licht predigst, um sie zurückzuhalten, dienst du der Finsternis.
Nein, sie dienen Gott. Sie müssen hindurchgehen durch die Niedrigkeit, um die Niedrigkeit zu erkennen. Sie müssen sich beflecken, um Reinheit sehen zu können.
Aber wofür zertrümmern sie? Wir, wir sind Brüder der Gemeinschaft. Wir kämpfen für die Menschheit. Aber sie, ihr Leben ist eine Blutlache. Und wofür?
Nein, nicht befreit von der Welt, sondern mit der [121] Last aller Weltkugeln des Himmels auf den Schultern. Nicht untergehen, sondern unter sie gehen. Einer von ihnen werden.
Nicht das Morden. Wir morden nicht. Nein – breite die Arme und schwimm unter ihnen. Du mußt ihre Welle verstärken, daß ihr großer Gleichstoß durch dich rinnt und nur mit dir noch lebt!
Lausche auf die Stimmen, die aus dem Dunkel ans Tageslicht steigen. Höre das Geheimnis der Erde: Es gibt keine Führer. Führertum ist Betrug! Du mußt ein Teil sein, eine geringe Zelle von ihnen; ein Zucken nur in ihren Muskeln.
Mann, nur zu ihm mußt du! Zum Letzten, Höchsten, wovon wir stammen. Aber hindurch mußt du zu ihm durch unsere endlichen, zeitlichen, befleckten Leiber, durch die Schwierigkeit des Kleinen, durch den Schweiß der Sünde. Alles mußt du wollen, die allerletzte größte Freiheit der Menschen, so groß, daß sie selber die Erdkugel durch den Raum schicken können – mußt es wollen, und mußt wissen, daß du es nach und nach erst machen wirst, von Volk zu Volk, Stadt zu Stadt, von Mensch zu Mensch. Hart ist das. Zu dem unendlichen Glück der Menschheit müssen wir durch den ganzen Trümmersturz des Menschseins.
Und du meinst, das ginge so leicht? Die Idee umgibt uns mit einem Stachelpanzer, wir können ihr nicht folgen, ohne unsere Umgebung zu verwunden.
Dreh ihn um den Stachelpanzer; verwunde nicht die andern, stich dich selbst! Unser Opfer müssen wir bringen, unser eigenes Opfer.
Mehr, mehr, das ganze Dasein geben! Wir waren die Führer, wir ragten auf, sandten Ströme von uns, die die Massen bewegten. Das war unsere Sünde! Die Welt wird neu. Wir haben kein Recht mehr, zu sein. Wir dürfen nicht mehr dasein. Über uns hinweg muß die Freiheit [122] kommen. Nicht wir mehr befreien die Menschen, sie selbst tun es auf unserem Leib. Das Opfer unseres Lebens ist unsre letzte Wahrheit – unsere erste Tat. Wir müssen dahingehen, verschwinden – durch das Volk!
Das Opfer unsres Lebens durch das Volk: Das erst ist deine Liebe! Und nur dann wird unser Blut in ihnen kreisen, dann erst wird unser Herzschlag im Volke ein Riesenstoß zum göttlichen Geiste sein.
Durch unser Opfer wird die Welt neu! So lauf ich mit ihnen? Rase mit ihnen durch die Straßen, breche Türen auf? Schreie mit ihnen »Hunger!«?
Verloren! Verloren, wenn wir nicht retten! Die Führer sind weich, verhandeln. Die Bürger sind in der Stadt: in allen Ecken stecken sie mit den Führern. Das Volk wird verraten, wie man eine Nuß vom Baum schüttelt.
Nichts zu verlieren! Du Nachschwätzer! Du Lügner! Alles, alles: Das Leben! Das Leben! Das Leben! – Könnte man sich endlich doch ausruhen!
Ausruhen! Ihr sollt ausruhen! Die Hände sinken lassen, sie beschauen. Nicht in gespanntem Zittern warten auf den nächsten Pfiff zur Arbeit.
Halt, es sind Kameraden! Ich bürge für sie. Ihr kennt mich. Meine Jahre sind im Gefängnis geblieben, für euch. Ihr wißt es.
Ihr seid selbst Bürger! Ihr seid so fern von uns wie die andern: ihr seid gerad so glatt und lau wie sie!
Ich weiß Essen! Ich weiß gute Leute! Es ist für jeden da! Wer kommt mit mir? Hier – Er wirft die Flugblätter unters Volk, auch auf den Boden. – daß ihr wißt, was ihr tun müßt!
Glaubt es nicht! Es ist nicht wahr! Ihr werdet betrogen! Sie lügen euch an. Nicht einmal das Essen, das sie euch versprechen, werden sie euch geben! Ich weiß es: Ihr rast in die Sklaverei!
Er führt sie zu den Bürgern. Nun ist der Augenblick. Jetzt darf unser Leben nichts mehr sein. Jetzt unsere Kraft ins Volk!
Es darf nicht zu spät sein. Jeder einzelne von ihnen [125] muß eine Sekunde lang nur von sich wieder wissen. Dann ist alles gewonnen.
Millionenfach müssen wir uns teilen, und jeder Blutstropfen von uns muß auf einen Menschen geschleudert werden und ihm Freund sein.
Mißtrauen. – Hunger. – Die Luft um mich braust von Menschen, umkrampft halten sie sich keuchend ineinandergebissen im Kampf. Eine Höhle von Brausen ist um mich. Schwarzer Wind von Nachtstimmen. – Lärm, Schreie. Wie heraus? Zu den andern? – Hört ihr mich? Kann ich euch ein Wort von mir hinüber durch die Mauern werfen? Kann ich mich tausendfach durch den Sturm zu euch hinwehen? – Ah – hier ist eine Zunge, die für euch redet! Sie hebt eines der Flugblätter, das Nauke zur Erde fallen ließ, auf. Papier, Gedrucktes.
Ein Aufruf – ah, und das hilft? Hilft das? Wissen sie darnach, wohin sie gehen? Liest. »Volk! Die Stunde deines Glückes ist da! Nimm dir deine Rechte. Nimm dir selbst die Freiheit, deren du dich würdig fühlst.« Unterbricht sich im Lesen. In diesen Buchstaben, das Schwarze zwischen dem Weißen, reckt sich dunkles Grinsen. – Betrug! – Da müßte stehen: »Mensch!« »Mensch« – dann hätte es mich gestoßen, dann würde ich es glauben! »Mensch, nimm dir selbst die Freiheit.« Ich seh es, was da steht – Betrug! Liest. « ... deinen Gegnern die Hand reichen ... sie sind nicht deine Gegner ... Arbeit aufnehmen ... Heute abend große Verteilung von Lebensmitteln ... Zeichen der Versöhnung ... der Kampf ist beendet ...« Sie knüllt den Zettel zusammen. Betrug! Und ich bin inmitten, während hunderttausend Hände diese Blätter ergreifen. Diese Worte stürzen in [126] müde, widerstandslose Augen, Männer sprechen sie zu Frauen, Frauen schreien sie als Hoffnung weiter! Oh, nur helfen, helfen, daß ein Wille mit Händen und brennenden Flammen über dieses Papier hinsaust und die Lüge herausätzt, eh sie die Adern der Menschen frißt! Mensch! Mensch, nimm dir selbst die Freiheit!
Mensch, du bist im Dunkel. Die Finsternis ist deine Wohnung: Du öffnest den Mund heraus aus deiner schwarzen Höhle, um nur zu fressen, und du schluckst einen Tropfen Licht ein. Du ergießt dein Geschlecht in der bittersten Nacht, und ein Flammenlicht streicht an dir vorbei! Mensch, dein Geist fliegt im Licht! Ich rufe deinen Geist! Mensch, ich rufe deine Liebe! Mensch, fahr aus dir auf! Höre mich, Arbeiter! Du schlingst täglich, du weißlich zitternder Wurzelbaum, deine Arme um die Maschine; Arbeiter, Geist in dir, du bist Mensch! Du preßt dich täglich, wie ein kranker Zweig, über den Tisch und rechnest; Mensch, laß deine Bücher vor dir versinken! Du stehst täglich an einem Pult und redest zu den Armen, Mensch, hauche dein Licht in das Wort für die Brüder. Männer, Frauen, Arbeiter, Verfolgte, Getriebene, ihr im Dunkel, in den Fabriken, in den Stuben, am Hunger, kaum daß ihr euch besinnt, herauf aus dem Dunkel. Ich rufe zu euch. Fliegt durch das Licht. Ihr seid das Licht. Herauf gegen das Dunkel. Brüder, Schwestern! Empörung gegen das Dunkel! Empörung! Freiheit! Menschen! Freiheit! Sie stürzt nieder.
Geliebte, meine Seele, mein Leib, meine Freundin! Laß mich dich halten und fest an mich tun. Ich streichle dich. Ich lege meinen Kopf auf dich und höre deinen Atem. O sprich zu mir. Du bist mit mir mein ganzes Leben gegangen, als ich aufgewacht bin. Du hast den Kopf zurückgeworfen und über die Menschen geschaut, wenn ich schwach wurde. Du warst trotzig, dein Trotz hat mich vorwärtsgetrieben, wenn ich [127] klein war. Du warst fest, ob du auch krank und matt warst, wenn ich schwankte. Du hast geglaubt, und ich habe geglaubt. Mein Liebstes, mein Mensch, meine Schwester, meine Frau, meine Kameradin! Jetzt drück dich an mich, jetzt gib mir deine zärtliche Hand. Meine Stunde ist da. Unsere Stunde ist da. Ich werde hin müssen, mich aufgeben im Blut. Sterben. Ich weiß es. Nichts anderes hilft mehr. Der Feind ist mitten unter uns. Mitten in der Stadt. Ich stoße überall auf ihn, ich kann ihn nicht greifen, er ist unsichtbar. Das ist nicht mehr Verrat! Nicht mehr ein Einzelner ist abgefallen. Sie siegen! Sie zersetzen die Stadt; sie durchdringen die Leiber und die Willen und lähmen sie. Das ist Untergang.
Die Stadt oder ich! Und vielleicht, wenn ich mein Leben zersprenge, brechen sie auf mit mir, unsere Brüder von der Erweckung opfern sich ganz hin; und ich weiß, unser Atem wird in das Volk strömen und sie alle zu freien Menschen emporbrennen!
Du bist es? Du sahst uns am Schiff, wußtest du darnach nicht, daß wir nicht maklern und nicht verraten? Die Bürgerbotschaft ist unseren Ohren ein hohler Schall. Du warst in unsrer Gemeinschaft. Warum tratest du zu den Bürgern, den Feinden?
Ich trat nicht zu den Bürgern. Ich gehöre zu euch. Ich bin von den Kleinen, nichts an mir fiel den Mißtrauischen auf. Ich bringe euch Gutes: Drüben die Armee der Feinde ist nicht mehr fest, die ist nicht mehr ein drohender Wald mit den zahllosen Stahlbäumen. Das Heer wird schwach. Tausende der Frauen [128] aus dem Volk der Bürgerarmee rufen heute ihren Soldaten das Wort nach: »Menschen!« Die Männer recken die Fäuste zur Empörung, und man kann sie nicht mehr niederschlagen. Redner stehen plötzlich vor den Massen und rufen Hohn und Warnung über die Waffen. Das Heer der Bürger ist schwankend. Wir, die im stillen ihnen Zweifel einflüstern, haben Freunde. Ihr in der Stadt habt draußen Freunde. Hört mich: Sammelt alle Kraft, die ihr hier noch findet, macht einen Ausfall. Ein großer Angriff von euch, der letzte Tag der Gewalt, und ihr habt den Sieg über die Bürger!
Ihr bleibt? Ihr seid zu schwach? Das meint ihr nur. Ich sag euch dies: Auch die schwächste Macht, wenn ihr sie jetzt entschlossen aus der Stadt vorwärtstreibt, hat den Sieg über dieses Heer.
Ihr wollt nicht kämpfen? Dann kommt zu uns. Ruft die Brüder zusammen. Alle müssen herüber zu uns. Verlaßt die Stadt in Verkleidungen durch den unterirdischen Gang. Mischt euch unter das Volk, dringt ins Heer – sendet Angst und Verzweiflung unter das Volk drüben und in die Herzen der Soldaten. Ihr könnt das. Macht, daß sie zerfallen, daß sie untereinander sich morden.
So hört mein letztes Wort, vom Freund, den ihr brüderlich gerettet habt. Kommt, kommt! Und sei es nur, um die Stadt zu verlassen. Wir verstecken euch. Wir retten euch. Bei uns drüben jenseits der Wälle und der Gräben, auf den weiten Ländern, seid ihr gerettet. [129] Hier, inmitten der Tatenlosigkeit, findet ihr den gewissen Tod, mitsammen dem Tod der Stadt.
Ich kenne nur eure Bruderliebe, ich weiß nicht, wie stark ihr seid. Ich bin nur einer aus den vielen, ich habe euch Bericht zu sagen. Mehr vermag ich nicht. Aber daß ihr nicht kämpft, daß ihr bleibt, ist euer Verderben!
Geh zurück und sag ihnen, daß wir nicht kämpfen. Sag es jedem, der noch lebendig hört. Ich weiß: dies wird größer sein als eine Schlacht.
Endlich! Zum Schiffsgefangenen. Eile! Schnell zu den Deinen. Rufe ihnen zu von uns: »Die Arbeit ruht!« Nehmt eure Hände von den Maschinen und streckt sie uns herüber! – Auf der ganzen Erde, bald, umarmen sich Brüder – Nun mehr als je, bleiben wir. Es ist der letzte Feuergang: Hindurch!
Ende des dritten Aktes.
[130]Ihr werdet es sehen, ihr werdet es glauben! Ich sag es euch! Ich besitze die große Macht, ich befehle dem Willen. Ihr seht mir das nicht an? Ihr zweifelt an mir? Ihr haltet mich für einen einfachen Mann? Ich sage euch, ich kann es, ich hab es gelernt; ich weiß, wie man's macht, ich war oft genug dabei auf unserer Fahrt. Nur gut wollen, und man hat jeden. Das Volk? Ihr wollt, daß das Volk nachgibt, die Arbeit aufnimmt und daß sie milchzahm wie Kälber hinter euch herlaufen!? Sofort. Ich streife mir die Ärmel auf, ich rufe an, ich beschwöre – und eine Minute später habt ihr's!
Wir verstehen das nicht. Wenn du tun kannst, wie du redest, wirst du belohnt. Aber es ist das letzte Mal, daß wir auf dich hören. Wir irren seit Stunden durch die Stadt, und wir wissen nicht, warum wir nichts ausrichten. Wir haben den Besitz, wir haben die Macht, wir haben die Waffen, wir können alle zugrunde gehen lassen, die Widerstand leisten – und wir sehen nicht, wohin. Der Widerstand rückt breiig weich zurück. Wir sind am Ende. Jetzt, jetzt müssen wir siegen, sonst haben wir ums Nichts gekämpft.
[131]Bürger, ich helf euch, wie ich es versprach. Und nun bin ich Gouverneur und Sohn des Geistes! Macht wichtige Gebärden. Auf, Volk, höre mich! Ich befehle deinem Geiste! Hier stehe ich, ein Sohn des Geistes, und ich gebiete dir mit meinem Willen! Wichtige Gebärden im Kreise. – Stille. – Alles bleibt still. Gutes Zeichen. – Auf, Volk, tu, was ich dir sage und was ich will. Ich beschwöre dich bei Totenkopf und gekreuzten Knochen: Folge mir! Hier stehen deine Wohltäter! Sie sind reich, und können dich beschenken, sie sind mächtig und können dich in ihre Dienste nehmen, sie sind bewaffnet und können dir das Leben lassen! Auf, Volk, Geist des Volkes, gehorch ihnen, folge ihnen! Erscheine, erscheine!
Das ist nicht der Wille, das ist Mißverstand! Ein Verräter weiß nie das Ziel, das die Herzen der Menschen emporreißt. Geh! Was du treibst, ist Jahrmarkt!
Ihr da, Bürger! Ihr steht in euren Masken, als wäret ihr erfundene Maschinen, um die Welt schauern zu lehren! Was ihr seid, wissen wir. Bomben tragt ihr auf dem Rücken, und wenn ihr sie gegen uns werft, springt nur diese Erde entzwei in ärmlichen Schutt und ewige Verwesung. Ihr könnt uns morden; ihr erstickt nicht den ewigen Menschen!
Die Macht? Die Macht seid ihr! Ich bin die Machtlosigkeit! Wir sind die heilige Machtlosigkeit, in die ihr ohne Halt hineinstürzt, und je mehr ihr preßt und [132] mordet, um so mehr umhüllt euch unsere göttliche Machtlosigkeit, und ihr gleitet eine glatte Schräge hinab in die Höhle, aus der ihr nicht mehr herausfindet! Wer seid ihr? Schlagt eure Masken zurück, die finsteren Masken, die ihr zum Schutz vor uns tragt! Herunter mit euren widerlichen Grauensmasken, Bürger, daß man euch ins Gesicht sieht. Herunter! Und man sieht: Aus eurer Furcht- und Schreckensrüstung quillt das ganz gewöhnliche, platte, niedrig fleischige Bürgergesicht!
Du sprichst als Feind. Ich weiß nicht, warum du feindlich bist – was wollt ihr? Wir verstehen es nicht. Wir wollen eure Freundschaft. Wir wollen euch glücklich machen!
Ihr hört in uns nur den Feind, weil ihr uns nicht versteht. Ihr versteht uns nicht, weil ihr nicht wissen wollt, daß wir die ewige Wahrheit des Lichts in alle Zukunft sind!
Die höchste Gerechtigkeit, göttliche Erden-Gerechtigkeit! Wir, die Söhne der Erde, wir, das Volk, sind die Wahrheit. Und ihr, nein, ihr seid es nicht, ihr seid die Gewalt, und die Bestechung, und die Knebelung, und der Verrat, und die Maske der Finsternis!
Nichts! Wir brauchen euer Glück nicht. Es gibt kein Glück. Es gibt nur unser Leben, und unsere Arbeit und unsere Schöpfung. Das Glück ist euer Köder. Glück, das habt ihr erdacht, um uns zu kaufen!
Fordert. Wir geben euch. Wir machen [133] euch reich und satt. Wir geben euch Ämter und Wagen, wir zahlen euch zu und geben euch Macht.
Endlich, dieses Wort! – Wir wollen das Volk. Sprecht zum Volk. Macht, daß es ist, wie es früher war, wie es immer war! Dann hat es das Glück.
Irgendwo gab es einmal Führer. Es gibt keine Führer mehr. Wir sind Menschen. Wir sind vom Volk. Ihr wollt uns kaufen? Ihr kauftet nur Einzelne, Wesen, die absterben, wie ihr im Moment, da ihr sie kauft. Nie werdet ihr das Volk kaufen!
Das Volk will leben. Leben miteinander. Freiheit. Neue Völker zeugen. Die Erde, auf der wir stehen, zu einem einzigen Leib machen, zum Leib des Himmels, der empfängt und gebiert, der seine Nahrung strömt für alle, die er gebar.
Ich schwärme nicht mehr. Die Wirklichkeit hat begonnen – die Macht ist aus. Wir wollen die Macht nicht, wir brauchen die Macht nicht mehr. Eure Macht hat verloren. Wir, die Machtlosen, wir, die nichts haben als unser Leben, unsern Willen, unsere Hände, Millionen Menschenhände, wir kneten schon an unserer neuen Erde – und ihr droht uns die Macht? Ich zerblase eure Macht, eure Rüstungen, eure schweren Fleischklumpen, wir zerblasen eure Drohung!
Euch ist jeder fremd, der die Zukunft schafft. Ihr seid Einzelne, ihr wollt die ruchlose Macht für den Einzelnen. Wir sind das Volk, wir wollen nur das Leben.
[134]Eure Feindschaft zerstört euch selbst. Eure Feindschaft lebt nur noch bei euch; uns ist sie vergangen, uns ist sie verweht und vergessen, wie eure Giftgase, die einmal noch unsere Freunde morden konnten, aber die dann in die Luft zerströmten und rück auf euch euer eigenes Gewissen zerätzten. Ihr seid uns nicht mehr Gefahr. Wir haben das neue künftige Leben uns selbst abzukämpfen. Zurück mit euch in die Reihen eurer Auflösung, hinab mit euch in die Dunkelheit eurer Gewalt. Vernichtet seid ihr. Geht!
Du vermochtest nichts. Prahlerei. Du hast gelogen. Du hast uns betrogen! Zu den Brüdern. Ihr kamt selbst vom Bürger – nun bekämpft ihr den Bürger! Aber hütet euch vor der Stunde eures Lebens, wo ihr hinter den Kampf blickt und erkennen werdet, daß der Sturz der Bürger euer eigener Fall ist!
Das ist nicht Drohung, das ist Hoffnung! Geht eure Vernichtung nur über unsern eignen Sturz? So reißen wir unser Leben heraus aus dieser Welt!
Ihr lehrt uns Gewaltlosigkeit – damit habt ihr alle Gewalt der Welt gegen euch! Stirb in deiner neuen Ewigkeit! Den andern Bürgern nach. Ab. Nauke bleibt.
[135]Ich verstehe nicht. Auf dem Schiff ist es immer gegangen. So bleibe doch, so höre doch. Ich versuch es noch einmal – früher ist es doch immer geglückt! – Er ist fort! Was ist denn das? Was mach ich denn? Ich verstehe nicht! Erblickt die Brüder. Ah, ihr! Sagt mir, wie kommt es, daß ich's nicht traf? Ich fühlte, wie mein Wille an die Luft prallte und zerbrach. Was geschah? Ich versteh nicht. Ich tat, was wir auf dem Schiffe taten, und diesmal ging es nicht! Sagt mir! –
Ah – ja! Ich vergaß! Ihr nennt mich Verräter. Aber wenn ich tue wie ihr – ist es dann nicht gleich, wozu?
Nein, es ist nicht gleich. Du nahmst unsere Worte – aber ohne unser Ziel sind sie tote Leichenhüllen – und dientest mit ihnen den Feinden! Verräter!
Was wir in Gemeinschaft tun müssen für alle, in höchster Liebe und in der Hingabe des Herzens und des Lebens, das tatest du allein, als Einzelner, aus Machtlust und Betrug. Um Lohn. Für die Gewalt! Darum Verräter!
Ich verstehe nicht. Ich tat wie ihr. Wo ist der Betrug? Sieht auf die beiden alten Gefangenen. Sind die beiden Alten mehr als ich? Sieht auf den Offizier. Ist der Junge stärker als ich? Auf Anna. Bei der lag ich – ist die größer als ich? Ihr sagt, ich ein Verräter? Ah, es wird klar, ihr habt mich heimlich umstellt, ihr habt mich in eine Falle gelockt, um mich schwach zu machen, um mir mein Echo zu zerschneiden, um mich bloßzustellen! Ich Betrug!? Ihr seid die Betrüger! Ihr habt vor mir gegaukelt und habt mich glauben lassen, auch ich könnte wie ihr. Betrüger! Verräter, Verräter – ihr! Feinde sagt ihr? Den Feinden dien ich? Den Bürgern? Und ihr? – ihr Lügner! Bürger seid ihr, ihr selbst! Bürger! Ausbeuter. [136] Zum Mann. Du bist ein Bürgersöhnchen! Zu Klotz. Du bist ein Geheimredner und treibst Volksschacher! Zum Gouverneur. Du bist ein ehemaliger Gouverneur – das kannst du nie vergessen! Ihr habt mich verlockt, ihr habt mich betrogen, ihr habt mich um mein frohes Leben gebracht. Ich verfluche euch. Ich hasse euch! Ihr sollt es zahlen! Volk, Volk, hier sind deine Feinde, hier sind deine Ausbeuter, hier sind die Bürger. Die Betrüger. Die Verräter. Er stürzt hinaus. Von draußen. Volk, Volk! Greif die Betrüger!
Das Gewesene ist abgefallen wie der alte Leib aus der Vergangenheit. Heut sind wir sehnig. Nicht einmal Verzweiflung treibt uns heut mehr. Wir haben die Gewißheit. Heut gilt es unser Letztes, unsern Willen, und das höchste Wunder oder den Untergang!
Eine Zeitung, ich will eine Zeitung haben! Ich habe endlos lange keine Zeitung mehr gesehen! Wer hat eine Zeitung?
Wir wissen das nicht. Die Gerüchte sausen wie die Wolken über unsere Köpfe hin. Einige sagen, die Bürger sind mitten unter uns und haben unsichtbar jeden Punkt der Stadt besetzt, um uns alle niederzumachen. Dann heißt es wieder, wir hätten Beistand bekommen: eine Gemeinschaft von Männern und Frauen, die keiner kennt, seien da. Sie bringen Licht und Heizung und Essen, soviel man nur braucht – Brot! Und dann haben sie unendliche Mengen Munition und neue Waffen, mit denen man die größten Heere nieder schlägt.
Waffen! Waffen! Irgendwo sollen Waffen sein! Die Bürger sind in der Stadt. Um uns rückt die schwarze Mauer von Stahl und Gas heran und würgt uns zusammen!
Der Zerfall ist im Volk. Bin ich das, bist du das, waren wir das? O armes, lebendes Geschwür, das verwesend von der Erde abblättert! Kann ich noch helfen?
Verfaulung. Ganz tiefer Sturz – und ich sehe den Aufstieg. Wir können helfen. Neues Blut in sie. Unser Blut! Zu Klotz. Hilf auch du! Zum Volk. Freunde, heute feiern wir!
Betrug! Da sind sie! Greift sie! Nieder mit den Schwindlern. Schlagt sie nieder, die Schufte, sie bringen euch Unglück, sie bringen jedem Menschen Unglück! Schlagt sie tot! Sie lügen euch an. Sie sind schuld, daß ihr vor Hunger zugrunde geht. Sie sind schuld, daß ihr mit den Bürgern im Kampf seid. Ohne sie hättet ihr Essen und ruhiges Leben! Die Bürger sind über euch, ihr seid besiegt! Erschlagt die falschen Brüder, das ist eure einzige Rettung vor den Bürgern, sonst werdet ihr selbst niedergemacht.
Lüge! Lüge! Sie brachten euch nichts, ihr habt es erfahren – nichts! Ihr hungert, weil sie es wollten!
Laßt ihn! Er ist nur schwach und zweifelnd! Wir sind die Schuldigen, wir die Söhne der Erde, [140] wir die Sternbrüder, wir die Erweckten. Opfert uns – so werdet ihr den Sieg haben!
Noch schweben wir zu fern von euch. Nehmt uns: erschlagt uns, wenn ihr wollt. Tötet uns, wenn ihr sehen müßt, wie unsere Seele in euch lebt: Die Menschheit! Schluckt uns auf. Laßt uns verschwinden unter euren Füßen und Fäusten – und ihr habt unsere Waffen.
Nein! Nein! Zuviel! Haltet zurück. Nicht das Opfer! Noch lebt ihr, Freunde. Wir sind gemeinsam durch die Schrecken der Welt gegangen, und nun sollt ihr sterben! Dies eine Mal laßt euer Denken nicht den Schritt zur Wirklichkeit machen. Bleibt! Es ist zu grauenhaft auf dieser letzten Schwelle!
Ich hab das Wort gesprochen: Opferung. Ich sprach das Gesetz aus. Nun war ich wieder ein Tier wie ehemals. Gab Gesetze. Ungeläutert immer noch. Das war Sünde, wenn auch zur Rettung. Das letzte Mal, es bleibt nichts anderes. Wir müssen hinab.
Sehr ihr, wie sie beraten? Seht da den Feind – fort müssen sie! Hört auf mich! Sie helfen euch nicht, wenn sie leben. Es sind Fremde! Sie sprechen eine andere Sprache als ihr. Ihr seht die Feinde nicht? Hört ihre Sprache, seht ihre Gestalt!
[141]Und euer Kampf? Ihr wollt unterliegen? Die Bürger fallen über euch her und schlagen euch zu wehrlosen Sklaven!
Wer seid ihr? Denkt, wer ihr wart vor eurer Geburt! Taucht hinab in euch – kommt über uns, weil wir euch fremd sind, und blickt in euch selbst: Da – einmal wußtet ihr, daß die Erde euch gehört, das Feld, die Fabrik euch, wie euer eigener Arm! Vergessen habt ihr. Habt euch heut hinübergehungert über den letzten Verfall. Seid im Greisenalter. Hinein müßt ihr in neue Jugend, hören wieder die Schilfgräser summen an eurem Fluß. Hinab tauchen müßt ihr in euch. Hinaus springen über uns, ohne Dienerscheu; nie sonst werdet ihr befreit von eurer schielenden Zweideutigkeit. Volk, deine Gewißheit und deine Kraft geht über uns! Dann habt ihr Kraft über die Bürger.
Was habt ihr Angst vor den Bürgern, die ihr nicht seht? Die hier sind gegen euch! Ihr flieht vor den Bürgern? Das da sind eure Bürger!
Volk, wir sind es, wir. Ihr wartet auf die Gewalt? Übt sie an uns! Ihr hungert? Fort mit unseren Mäulern! Ihr meint noch, wir seien euch Führer? Wollt ihr wissen, wer wir sind? Ich sag euch alles, das Verruchteste! Heut nacht hatt ich einen Traum – ich bin nur einer von uns –, und ich träumte unsere Wahrheit, denn der Traum schob die Riegel fort von meiner Verstellung. Da war in einem Saal mit glattem, weitem Boden ein Befehlsmensch, ein Blutherrscher. Ich stand gekrümmt vor ihm. Was ich dabei dachte? Ich dachte an das Ehrenregiment, das mir verliehen wurde. »Hol mir ein Auto!« rief der Herrscher. Ich fand mich sehr geehrt und lief unterwürfig hinaus wie ein Diener. Ich hätt es geholt, da erwachte ich. Das bin ich, das sind wir. Hab ich nach diesem Traum noch das Recht, für die Menschen zu arbeiten?
[142]Nur ein Traum? Aber das Schlimmste wißt ihr noch nicht. Jetzt zeig ich es euch. Er ballt die Hände hohl übereinander und streckt sie vor, als enthielten sie etwas. Wißt ihr, was ich in meinen Händen bewahre? Hier? Orden, Auszeichnungen, Dokumente, Freundschaftsbriefe und Pläne feindlicher Herrscher!
Du weißt es – nichts! Laut zum Volk. Volk, so werf ich diese Schätze von Ehre und Reichtum unter dich! Verachte sie, sie sind deine größte Gefahr!
Volk, sie haben verhindert, daß ihr Essen findet! Sie sind am Fortzug unserer Retter schuld. Sie haben die Bürger besiegt.
Nicht besiegt. Wir siegen nicht. Es gibt keinen Sieg! Hinaus mit dem Sieg aus der Welt! Wir sind nicht Soldaten, wir sind Menschen! Nicht Sieg befreit euch – nur eure Erkenntnis!
Wie sie geschlachtet werden! Ich ertrag es nicht länger, dieses Opfern! Ich bin bei euch. Ich will mit euch sterben!
Nein, bleibt! Ihr müßt leben! Dazu ist unser Opfer, daß ihr unter alles Volk der Erde geht und die Hingabe lehrt für die Menschheit!
Ich habe Todesangst. Aber ich sterbe für euch. Aus Jahrtausenden fiel ein Funke in mich, ich warf ihn weiter – laßt ihn brennen in euch!
Weltfeiertag! Weltfreudentag! Unser Opfer – dein Spiel zum Fest! Jetzt spring und tanze! Über die Menge hin. Unser Opfer – darnach wachst du auf zur reinen Morgenkraft!
Weltfeiertag! Ich feire! Weltruhetag! Meine Hände spielen. O wie lang war das nicht. Endlich seh ich wieder um mich die Halme wachsen; hoch über den weißen Wolken schwebt blauer Luftglanz! Weltfeiertag! O Freundschaft, Freundschaft zu allen Menschen!
Dann unser Vergnügen, dann unser Spiel! Die Opferung – ihr vergeßt! Die Opferung, sie haben es selbst gewollt! Die Opferung, es ist versprochen!
Volk, nun brauchst du nicht Führer mehr. Wir treten ab. Zum letztenmal von mir dieses Wort des Befehls: Zerstör und schaffe!
Schnell die Taschen durchsuchen, ob Geld drin ist! Er greift in die Taschen der leeren Röcke, holt mit beiden Händen Geld heraus. Aha; endlich – meine Zukunft ist gesichert! Läuft ab.
Mord! Mord! Ihr habt sie erschlagen. Ein Weltgemetzel ist geschehen. Rache! Rache für die Führer. Rache für den Mord!
Die Führer sind tot. Aber spür in deiner Hingabe ihren Geist: ewig lebend unter uns handelt ihr unsterblicher Wille!
Sie starben für uns. Wir Kleinen leben. In uns Kleinen leben sie weiter! Die Zeit der Kleinen ist gekommen.
Nicht das Wunder – die Tat! Wir sind nicht mehr die Kleinen. Wir sind aus dem Dunkel ans Licht gestiegen – die Kameraden unter allen Völkern der Erde. – Nun rücken die Mächtigen der Welt zum Kampf gegen uns, wie gegen den furchtbarsten Feind!
Wißt ihr nicht, daß hier Mord wütet? – Glück? Was ist das? Wir kennen nur noch die Zukunft und unseren Willen!
Die Menschen stürzen aus der Stadt durch die Felder und rufen allem Volk »Freiheit« und »Brüderschaft« zu!
Funkenblitze sind hinübergesandt zu uns, und Boten kommen: in allen Ländern der Erde grüßt sich das Volk!
Aus den Wäldern kommen unendliche Scharen von Fremden, dicht wie Laub. Sie schwenken unsere Fahnen, und wo die Unsrigen ihnen begegnen, umarmen sie einan der!
Hört ihr? Hört ihr über uns, um uns, hoch das Summen? Die Telegraphen umströmen unsere Botschaft zu allen Freunden um die Erde!
Wir sind von euch. Ihr seid wir. Wir sind Volk. Alle kräftigen Arme her: Wir wollen arbeiten! Als freie Menschen arbeiten!
Ihr backt Brot? Werdet glücklich? Zeugt Kinder, habt Familien? Dafür starben die Brüder? – Ihr wollt die Erde umwuchern mit eurem Arbeitssamen. – Ich muß euch stören! Heraus aus der Ruhe eures Lebens, noch eh sie beginnt! Nieder mit eurem dicken Glück! – Zur Freiheit, zur Ewigkeit!
O Bruder, in jedem Stück Eisen, das ihr aus der Erde holt, in jedem Fetzen Leder, das Kameraden wissend damit schneiden, holt ihr ein Stück von eurem Morgenreich zu euch. Aber immer muß neue Bitternis sein. Immer müssen Menschen jagen über die ganze Welt, die euch treiben, daß ihr nicht vergeßt, ewig aufs neue den Sprung zum Morgenreich zu wagen!
Zu Ende diese Welt. Ermordet mein Blut. Tot mein Weg! – Und ich half nicht. Ich stand dabei! – Ich lebe noch! – Die Glieder dorren schlaff an meinem Leib. – Versunken sind die Häuser. Hier ist Wald; dunkler Wald rings. Meine Haare wehen um die Stämme, daß ich weiß: hier endet mein Leben. – Ich gehe von euch.
O täusche dich nicht. Was du an mir sahst, ist zu Ende. Ich bin über alle Stufen des dunkelsten Lebens geschritten, nun werde ich vergessen, was ich wußte, und in das zweite Leben sinken. Ihr seid höher als ich. Vergeßt mich. Ich bin euch verschwunden.
Ich bin nicht höher. Ich warf meine Gewalt hin. Ich bin nur ein einfacher Mensch noch. Ich lebe mit dir.
Mit dir bleibe ich allein. Mit dir grabe ich die Erde. Mit dir in der Arbeit der Hände weiß ich [149] nichts mehr von den Strömen der Vergangenheit. Auf der harten Erde schaffen wir von Jahreszeit zu Jahreszeit. Auf engem Raum, fern von großen Stunden. Klein und unscheinbar sind wir geworden. Vergessen vom Morgenreich, an dem wir schufen.
Ein einfacher Mensch. Die große Hölle ist vorüber. Alle Menschen sehen den Stern. Komm zu mir, du Vergessensein!
Bauer wirst du sein. Still sitzen. Vergangenheit brüten; die Welt zurückhalten! Hindern! – Und also – sind wir Gegner?
Nicht Gegner! – Morgen leben andere an meiner Statt. Ich bin nur ein Geringer. Ich will vergessen sein in meiner Arbeit für euch.
Ah – niemals vergessen! Nie vergessen! Trümmerwut und Mord! – Neue Menschheit, du hebst dein Morgengesicht aus dem Dunkel. Wissend seid ihr: Verbrannt und neu gezeugt im Blut. – Eure Kraft treibt mich weiter. Ich gehe.
Komm, dein Leben beginnt heute neu. Wir sind Kameraden. Und spür ich auch nie mehr deinen Arm um meinen Hals, wir müssen weiter! Unser Weg geht noch durch viele Länder.
Ende.