Zurufe an die Freunde

Für K.L.

1. Führer

Du fährst auf aus dir wie ein entflammtes Zündholz, schwankend dünn im großen Taglicht-Umkreis
Vor dir atmet das Völkergeschöpf vorfühlend und rück die Glieder in brauner Angsteshaut.
O steh grade, halte die Augen entgegen, streck die Hände.

Du siehst die Löcher aus den Augen schaun, die Arme tastend, Leiber hilfegedrängt, die Köpfe weiß und viel, als blicktest du lang in den schmerzenden Spiegel.

Sieh dein Gesicht groß wächsern dir entgegen,

Das Blut läuft über die Augen vom erdig weißen Haar,

Hungerfalten um deinen zerknirschten Mund, der breit zum Schrillen aufklappt.

Sieh dein Gesicht weich und rund, rotfleischig, zahnlos, sanft erschreckt bei der Geburt.

Sieh dein Gesicht in der Abendstunde der schwesterlichen Nachdenklichkeit.

Sieh die Augen spiegelnd über Nasen, gekrümmt in Jahrtausendgestalt,

Sieh die Augen blaß ausgelaugt von Verfolgungen,

Sieh den Mund, der faltig blieb von den Flammen der Scheiterhaufen, den Mund, der dünn ist von den Überfällen der Truppen, er schloß sich nicht seit den Handschellen der Gerichtsdiener.

Führer, sieh dein Ewigkeitsgesicht, schmal. Brüderlich.

2. Wort

Du sprichst. Dein Blut erduftet den Armen in levkojischen hellen Beeten
[41] Deine Finger ziehen breit Sonnenstraßen für erstickte Proleten
Du erwinkst den Hungrigen die großen beladenen Kühlmetzgerein,
In kalten Nordlanden schießen aus dir kristallene Häuser von gläsernem Stein.

Du schenkst den jungen Unglücklichen stille Inseln, grüne heiße Urwälder für frierende schwangere Frauen,

Du hältst den Müden deine Handflächen hin, sie werden schnell ruhige Häuser bauen.

Du singst Operntenor auf bemalten Bühnen für Heimarbeiter ohne Sonntagszeit,

Du blickst vor dich Palmen, Schiffsrauch auf Meeren, Eisenbahnreisen für Sterbende im schweißigen Kleid.

Du fliegst mit buckligen Steinsetzern aus splitterndem Staub in den Wald, ans Wasser, zu Tieren,
Du springst unter stehlende Kinder inmitten der Angst, und spielst Ball in Massenquartieren.
Du wirfst um gepeitschte Landlöhner hohe Städte her, eckige Häuser mit Licht und groß,
Du tanzt mit den alleinsitzenden Mädchen im Saal und ziehst sie auf deinen Schoß.
Du liegst in der Nacht am gewölbten Leib, du küßt nackte Arme zärtlich und lang,
Du strömst in alle Frauen der Welt und streichelst ihren Gang.
Du sprichst: die Erde springt wie eine Fackel empor und zerstiebt im finstersten Traum,
Von fernen Sternstrahlen haucht dein Wort und erbaut sie neu aus dem Raum.

3. Eine Botschaft

Vielleicht kam sie zur Zeit, eine Botschaft vom Lächeln der Menschen, Sonnengang, und, ganz einfach, von Blumen.

Abstieg in die dunklen Buchstaben der fremden Worte, wie [42] in abendliche Gänge hinaus zwischen südlichen Mauern, die zu einer runden Bucht führen mitten in hohen verlöschenden Wasserwolken.

Schauen wie durch den nächtlichen Traumweg eines Fernrohrs, hinein in den riesigen südleuchtend gewölbten Strahlenball unserer Erinnerungen.

Eine Sonne und ein Mond schweben umeinander, licht rötlicher Schaum in weißer Silberhitze über der neu aufscheinenden Erde.

Lächeln, das vor den brüllenden Schwungrädern der Fabrik nicht zittert, Freundinnen in den fliegenden Kleidern! Die sanften, so gestreichelten Locken inmitten blonder Getreidefelder, über die nur stiller Wind zuckt.

Die helle Haut der Freunde, ruhige Körper, die steil auf der schrägen Wiese stehen, während fern ein Wasserfall wölbend am sonnigen Ufer Perlenbögen über sie klirrt.

Die dichten Wiesen so sanft wie große Tieraugen, weit drüben vorm Wald staunt wie Hornton das rote Kleid einer Golfspielerin im Abendglück.

O Botschaft von Menschen! Ja, vielleicht gibt es Lächeln und schöne Körper, und Augen, die ruhig zarte tiefe Horizonte wie große Blumenkelche um sich austeilen.


Vielleicht, trotzdem ich aufblicke, ich sitze an meinem Tisch, und ich weiß von dem ungeheuren Zug der Menschen um mein Haus,

ich weiß die alten angstvollen Schädel und die kleinen schweigenden Kinder, die an einem schmerzenden Arm schnell mitgezerrt werden,

ich weiß den rasenden Zug, vorbei unter meinem Fenster, vor Furcht Schweigsamer, und nur ein Heulen zieht in die Nacht von den tausend eilenden Tritten auf dem harten Granit;

ich weiß die aus schwarzer Nacht einsam Grinsenden, mit Höllenfalten der Generäle im versteckten Gesicht, die aus vier Weltecken ihre Maschinengewehre auf mein Haus richten.

Aber ich weiß, ich weiß von den verstohlenen Händedrücken meiner Brüder im Dunkel des Menschengedränges,

von der Freundschaft, die wie Scheinwerfer aus nie greifbarem [43] Dunkel in die Nacht hinauf blitzt und ein magisches Bild von Hoffnung und Seligkeit in die Wolken wirft,

ich weiß von der unsichtbaren, schwebenden Riesenstimme, unser Gesang, der wie eine Stahlkette meine Freunde umschlingt.

Ich weiß, wie ich hinunterspringe und wie es im roten Licht der Nacht gegen eine rohe Überzahl von Teufeln geht.

O es ist gewiß, diese alle, die in der Straßenschlacht stehen, werden sterben. Aber das sinnlose heiße Auszischen unseres Lebens fliegt hinaus in die Welt, die Sterne tragen unsere Gesichte verschüttend durch die Nächte, wie Bienen, die vom Blütenstaub beschwert um den Erdball auf und nieder steigen.


Dichte Wiesen schwellen auf aus unseren Keimen, sanfter Hornton im Grün aus dem roten Kleid einer glücklichen Frau, Locken flattern um helle Glieder hoch, die straffe Haut ausgeruhter Leiber springt rosig über die Lichtung hin, wie auf sanften Stengeln blüht Lächeln uns an, das gelernt hat, nicht zu beben unterm fernen Maschinengestampf.

Unser Blut fliegt um die Welt wie die Mittagswolke, die die Keime der heißen Gärten trägt. In allen gewölbten Ländern der runden Erde wird ein schöner Mensch geboren. Einer nur, aber wie viel ist das schon!

Eine Botschaft kam, und der Weltball unserer Erinnerungen wie ein Mond aus dem Meer stieg auf.

Wir verströmen unser Leben, wir sprengen unsern Leib hinaus in die Katastrophen des dunklen Raums, aber unser Tod über Jahrtausende hin streut hie und da auf die Erde ein Lächeln der Menschen, einen Blick auf den Sonnengang, und, ganz einfach, Blumen.

4. Die Engel

Führer, du stehst klein, eine zuckende Blutsäule auf der schmalen Tribüne,
[44] Dein Mund ist eine rund gebogene Armbrust, du wirst schwingend abgeschnellt.
Deine Augen werfen im Horizontflug leuchtende Flügel ins Grüne,
Deine Ringerarme kreisen weit hinein ins feindliche Menschenfeld.

Du schwächliche Säule, Gottes Stoß hat deine Krummnase in die zitternden Massen geschwungen,

Deine Ohren hohl beflügelt schweben wie leichte Vögel rosig auf bleiernem Volksschrei,

Die hellen Flügel tragen den Thron deines Kopfes sanft über Steinwürfe und graue Beleidigungen,

Dein Kopf schüttelt wie Wolkengefieder goldblitzende Himmelskuppeln auf die Menschenschultern herbei.

O Engel, ihr fliegt im leuchtenden Ball des Hauptes durch blauen Raum,
Augen, ihr Engel, pfeilt zu den schwirrenden Brüdern im Kreis;
O Zunge, Arme, Gliedersäulen, Engel, ihr umschlingt euch wie Zweige im wehenden Baum.
Führer, sprich! Um dich ringen die Engel auf kristallenen Bergen hochstrahlend und heiß.

5. Denke

Die Nacht im weißen Gefängnis ist mondperl und hoch,

Glanzbraune Gerüste kreuzen vor der Luke in die Zukunft,

Der Führer liegt auf der wulstigen Pritsche,

Ein Spitzelauge haarig schmal witzte durch das Guckloch der glatten Eisentür.

Er liegt ganz still, daß das Blut durch die graden Glieder fließt und zurückschießt,

Der Turm braun bewachsen des Haupts wird auf und herab bestiegen eilends von Wachen.

Tief unten der Wassergraben des Munds liegt in Dürre.

Draußen warten die dunklen bewegten Felder auf den Feuerschein.

[45] O Mund, bald schwimmen bewaffnete Haufen wie schwarze Wellen hervor,

Braunes Haupt, du schleuderst sie krachend weit ins Land,

O Schein des Auges, der das Ziel im Brandfeuer trifft.

O Kuppel, darin die neuen Häuser der Erde schweben, flach ineinandergehüllt, zahllos, und Bildsäulen, Wälder, Sprachen,

Du kristallenes Haupt!


Liegst nun schweigend im weißen Würfel der Zelle auf nächtigem Pritschenrand,

Die Finger schmal zu den Seiten wie morgen im Grab.

Aber dein Pulsschlag klopft schon sacht durch die Mauerröhren der Burg,

Die Wärter flüstern verboten den Gefangenen zu.

Dein Bruderauge kreist schauend wie bewegter Stein durch die wachenden Zellen hin.

Denke du durch alle Gefangenenhirne, hinaus zu den Wachen, über die Höfe, hinaus in die Straßen!

Der Stein über dir aufgetrieben, schwillt.

Dein Haar ist die Plattform der schlaflosen Wachen,

Die Steinmauern in deinem Blut atmen auf und ab von deinem Beben,

Die Gitterfenster rund hoch um das Haus sind dunkel aus deinem Blick.

In Jahrtausenden ist die Burg dein Abbild weit in die Länder hin, dein Name schwebt feuergroß auf dem Himmel, über deinem riesenhohen Steinkopf.


Führer, schlafe heute nacht nicht. Nur diese Nacht denke noch!


License
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Rubiner, Ludwig. Zurufe an die Freunde. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-9EAB-F