[173] Phryne
Als Phryne vor dem Putzaltar
Ihr balsamirtes schwarzes Haar
Mit grauem Modepuder schmückte,
Und mit dem Anstand einer Braut
Auf ihre zarte Rosenhaut
Ein ganzes Weltsystem von schwarzen Pflastern drückte,
So trat Urania, die gute Fey,
Die sie zur Taufe hob, unangeklopft herbey
Und sprach, mit Majestät in jeder Miene,
Mit Ernst in jedem Ton, zur armen blassen Phryne:
Noch ehe du das Licht der Unterwelt erblickt,
Hab ich dich mit dem Reiz des Himmels ausgeschmückt:
Und du Wahnsinnige! du wagst mit eignen Händen
Das Denkmal meiner Huld zu schänden?
Itzt fährt sie mit dem Zauberstab
Erzürnt an Phrynens kalte Stirne;
Wohlan, galante Modedirne,
Behalte stets den Reiz, den deine Kunst dir gab.
So sprach die Fey, und nun war sie verschwunden.
[174]Die gute Phryne saß allein,
Gleich einem unbeseelten Stein,
Den halben Vormittag im Armstuhl angebunden.
Kaum kam sie zu sich selbst zurück,
So blieb ihr erster schwacher Blick
Auf dem getreuen Spiegel kleben.
Was seh ich? Himmel! ist es wahr?
Ich eine Tiegerhaut? ich graues Haar?
Die Schmach kann ich nicht überleben!
So ruft sie, rauft sich voller Wuth
Die Locken aus, und wäscht sich bis aufs Blut.
Umsonst, es will ihr nicht gelingen
Die schwarzen Flecken wegzubringen:
Und ach, sie starb, wie man leicht denken kann,
– Ihr Mädchen, zittert – ohne Mann.