Wir Frauen
Das ist der Mond, der Blüte bringt
und in der Blüte tief die Frucht –
das ist der Mond, der Sonne trinkt
und Lieder jauchzt und Klarheit sucht.
Sie nannten ihn den Wonnemond,
und Kirschenblüten hat's geschneit . . .
wir aber feiern klaren Blicks
den Sonnentag des Völkerglücks,
den Blütenmond der neuen Zeit.
Wir feiern. Die wir rechtelos
– ein tiefgeknechtetes Geschlecht –
hindämmern in der Heimat Schoß,
wir feiern unser Bürgerrecht.
Wir hegen in der Mutterhut
der Zukunft lichten Maientrost;
wir halten in der Frauenhand
der Völkerfreiheit Unterpfand . . .
und rauschend geht der Wind aus Ost.
Wir feiern diesen Maientag:
denn laut an unserm Herzen klingt
des Mannesherzens Widerschlag,
der um das Heil der Menschheit ringt.
[236]Wir feiern dieses Frühlingsfest:
wenn tief in unserm Schoße sprießt
die Hoffnung, die den Sieg empfängt,
die Sehnsucht, die zum Lichte drängt,
die Saat, die hoch in Halme schießt.
So feiern wir den ersten Mai,
der blütenstrotzend zieht ins Land:
wir stehn dem Mann im Kampfe bei,
gehn lachend mit ihm Hand in Hand.
Wir nahmen längst das stolze Recht,
das stumpfe Blindheit uns versagt . . .
der Lenz ist da! Die Zeit der Not
versinkt. Wir kämpfen – heiß und rot
der Freiheit Maienmorgen tagt.