[34] Personen
- Gontran de l'Ancre, ein junger Edelmann (Tenor)
- Nicolas Pariset, Wirt zur Mühle (Bariton)
- Christine, seine Schwester (Sopran)
- Therese, seine Cousine und Braut (Mezzo-Sopran)
- Bombardon, Sergeant (Bariton)
- Soldaten
- Bauern und Bäuerinnen
[34] Personen
Aber Närrchen, was soll ihm denn geschehen sein? Auf dem Wege ins Dorf hinüber, bei hellem lichten Tage werden ihn keine Räuber anfallen.
Wer spricht von Räubern? Aber ärger als das! Suzon hat mir erzählt, als sie mit dem Brot heut früh aus [38] dem Dorfe kamen, daß an der Mairie ein großer Zettel angeschlagen sei, und daß Männer und Weiber in größter Aufregung davor ständen.
Aha, deshalb ist unser neugieriger Colas so schnell hinübergelaufen. Nun, was wird's sein, eine neue Verordnung des Kaisers, die man proklamiert.
Und das sagst du so ruhig? Weißt du nicht, was die kaiserlichen Verordnungen seit zehn Jahren enthalten? Krieg und Rekrutenaushebung; man greift zu Familienvätern und Kindern, um die Lücken der Armee auszufüllen, wenn der Kaiser sie wieder in die afrikanischen Wüsten führt, und wenn sie mir unsern Colas in die Rekrutenjacke steckten –
O, das Martialgesetz kümmert sich nicht um Bräute und Familien. Wenn sie mir meinen Colas wegführten –
Nun, ein bißchen von deinem Colas gehört auch mir. Und zumal heute am Hochzeitstag! Du machst mich ängstlich mit deiner kindischen Furcht.
Ja, gehen wir hinunter zur Mairie – aber, das Gasthaus, wenn ein Gast käme – meinetwegen – ich muß wissen, was aus meinem Colas wird!
Ich habe mir's doch überlegt, wie kindisch Christinens Besorgnis ist – sie ließ sich nicht zurückhalten, aber ich dachte, wenn doch vielleicht – Gäste –
Schau, schau, eine solche Dienerin ist wohl wert, daß man dreimal klopft! Sappristi! Sie sind die Wirtin, Madame?
Kamerad – aber – sacrénom – da sitzt er und schaut in den Tisch statt auf das bildsaubere Mädel – da muß ich sagen, ich bin doch trotz meiner Vierzig ein anderer Kerl und hab' auch immer Glück bei den Frauen gehabt. Im Regiment nannte man mich den »Stürmer«, Schanzen und Mädchen – einerlei – da ist sie – rechts geschaut, Kamerad!
Hierher? Der Ruf des Kaisers! In Melun wird ein Bataillon rekrutiert, es geht gegen Rußland, und trotz meiner doppelten Kapitulation habe ich mich enrollieren lassen.
Ja, Mademoiselle, und um das Eis besser zu passieren, erwärmt man sich mit einem Glase Wein und an dem Feuer solcher funkelnden Augen – Er will sie umarmen.
Herr Sergeant, hier wird nicht im Feuer exerziert. – Sie geht hinüber. Und Sie, junger Herr, Sie müssen auch mit nach Rußland?
Außer wenn Sie sich mit der Eremitage begnügen [42] wollten, und wer weiß, ob mit der Hochzeit – Sie weint.
Nichts – fragen Sie nicht – o mein Colas, und nach Rußland – Herr Sergeant, muß denn alles nach Rußland gehen?
Wer einen Ersatzmann stellt – freilich – aber wo findet man jetzt einen solchen? Ich möchte gleich bei Ihnen als Ersatzmann einstehen, Mademoiselle.
O pfui, Sie scherzen, wo zwei armen Mädchen das Herz zerbrochen wird. Sie geht weinend links ab, ins Gasthaus.
Zweien? Sacrebleu! hat der Wirt zwei Bräute? Aber unser Wein wird warm! Eingeschenkt, Kamerad! Ein scharmantes Demoisellchen! Angestoßen! Hoch! Es leben die schönen Frauen!
Hassen? Ich verachte sie, alle, alle; geht, laßt mich; warum in der Wunde wühlen, die Euer guter Humor eben notdürftig geheilt.
Nun, ruhig Blut, Kamerad; warum habt Ihr mir nicht gesagt, was Euch quält – kommt, angestoßen, Freundschaft und Vertrauen! Nun, heraus damit, Ihr habt bittre Erfahrungen gemacht?
Erfahrungen? Eine, aber die genügt, das ganze Geschlecht verachten zu lernen. Ein Mädchen, das ich für einen Engel hielt, das ich von Kindheit an liebte, für dessen Treue ich meine Seligkeit verschworen hätte – ich Tor – ein Jahr rief mich fort nach dem Süden wo meine einzige teure Schwester erkrankt war, und als ich zurückkehrte nach Paris – fand ich sie als die Gattin eines anderen.
Oder ihm, dem Rivalen, aber was konnte er dafür. Ich sah sie beide, sie waren glücklich, unglücklich ich allein. Da beschloß ich, Paris, Frankreich zu fliehen und in der Ferne Zerstreuung und Vergessenheit zu suchen!
Jetzt steh' ich, wie einst der große Sergeant Herkules, am Scheidewege. Soll ich den Bräutigam über die verlorene Braut trösten, oder den Schnurrbart drehend die schöne Braut über den Verlust des Bräutigams zu trösten versuchen? – Pfui! – Bombardon! Wie kannst du dich besinnen? Der Kamerad hat den Vorrang! Er geht ab in die Eremitage, nimmt aber sein Gewehr sowie Stock und Ränzel des Gontran mit.
Also Kinder, Courage, die große Armee verlangt nach mir; jeder Soldat trägt einen Marschallstab in der Tasche, und wenn ich zurückkehre, mache ich dich Zu Therese. zur Marschallin, und dich Zu Christine. zu meiner Generaladjutantin.
So ist's recht, wackrer Rekrut, so muß ein braver Soldat denken, und ihr schönen Kinder bewährt euch jetzt als wackere Töchter des Vaterlands.
Weiß man das, Mademoiselle? Ich möchte auch lieber als Gefangener in solchen Banden liegen. Aber wenn die Trommel ruft! Ferner Trommelschlag. Horch, man bildet schon die Kompagnie.
[47]Drum vorwärts, junger Held, die Trommel ruft. Kurzen Abschied, frohen Humor, frische Courage; das Soldatenleben, sappristi, wird dir schon gefallen.
Beim zweiten Trommelzeichen rangiert sich die Kompagnie; beim dritten wird abmarschiert. [48] Vorwärts, junger Held, ich erwarte dich. Er geht ab nach rechts.
Hört mich! Unter den Glücklichen unseres Dorfes, die das Los nicht getroffen, sind viele, die mich seit Jahren umworben und mir Liebe zugeschworen haben, ich will –
Ah, da kommen sie zur rechten Zeit! Freunde, Mathieu, Joseph, Seraphin, Claude Marie – um Gottes willen! Hört mich an!
Da hast du's! Sapperment! Stellt meine Courage nicht noch länger auf die Probe! Es ist auch eine kuriose Zumutung, sich für einen andern totschießen zu lassen, um dann zu heiraten! Ferner Trommelschlag. Basta! Das zweite Trommelzeichen! Die Kompagnie rangiert sich. Mein Reisebündel, meinen Abschiedskuß – noch einen Abschiedskuß! Küßt erst Therese, dann Christine. Christine, Schwester, auch einen Abschiedskuß – ach, da kommt der Sergeant, mich zu holen. – Vorwärts, Sergeant, die große Armee ist bereit.
Einen Auftrag an Sie, schöne Demoiselle, liebevolle Schwester. Lassen Sie mich aus Ihren Händen das goldene Kreuz empfangen, das Sie jenem zusagt, der sich für Ihren Bruder als Ersatz bietet! Der Ersatzmann hat sich gestellt!
Mein armer Kapitän! Ich weiß nicht, was er hat! Genesen ist er Gott sei Dank durch unsere und Christinens sorgsame Pflege – aber seine Schwermut –
Schwermut nennst du das, Männchen? Ich weiß einen andern Namen dafür! Er ist verliebt – in unsere Christine.
In meine Schwester? Meiner Seel'! Ich hab' mir's auch schon gedacht. Wenn ich das Glück erlebte, meinen Kapitän, meinen Lebensretter, Schwager nennen zu dürfen! Und sie – Christine – was glaubst du, mein pfiffiges Weibchen?
Ja, wer kennt sich da aus! Ihre Augen, ihre Wangen, die bald rot und bald blaß werden, wenn sie ihn [59] anschaut, lassen mich vermuten, daß er ihr nicht gleichgültig ist. Aber ihre Worte, ihr Benehmen bleiben fremd und kalt. Sie betrachtet sich nun einmal als die Braut eines andern.
Der vielleicht längst tot und begraben ist. Die zwei Jahre sind vorbei, und keiner hat sich mit dem goldnen Kreuze gemeldet; aber wie ich sie kenne, sie wird warten und warten – bis ihr das Herz bricht.
Ei, du hitziger Held der großen Armee! Aber das sag' ich dir geradeheraus, wenn ich meine zwei Jahre endlich abgewartet hätte, und ein so reizender Kavalier – ach, da ist er!
Ach, das ist schön, daß Sie aus Ihrer Einsamkeit herauskommen, den schönen Abend im Freien zu genießen. Ich richte das Abendessen hier unter den Bäumen.
Sie ist nur ins Dorf hinab, weil heute, wie es heißt, die letzten Truppen aus unserm Bezirk heimkehren sollen. Aber jeden Augenblick kann sie zurückkehren. Ich richte indessen das Abendessen! Auf Wiedersehen, Herr Kapitän! Sie geht ab ins Haus.
Pardon, mein Kapitän – wenn ich unser Abendessen noch auf kurze Zeit hinausgeschoben – aber ich weiß, daß meine Schwester Christine –
O, es war ein sichtbares Zeichen der Vorsehung, daß ich Sie, mein Kapitän, in meine Heimat führen durfte.
Und wir sind so glücklich mit Ihnen, Sie dürfen uns nicht mehr desertieren. Gefangen und festgehalten!
Mein braver Junge! Du vergißt, daß euer freundliches Haus ein Plätzchen braucht für den Gatten deiner Schwester!
Seht, Kapitän, wenn ein Herr wie Ihr wirklich für ein einfaches Landmädchen wie Christine, eine – wie Therese sagt –
Aber ich schwatze da, und Sie sind bewegt, Kapitän – pardon, Therese hat's eingebrockt, sie soll's auch austrinken. Er geht ab ins Haus.
Wär' es möglich, was mein Herz noch nicht zu hoffen gewagt? Christine liebt mich! Nein! Noch hat sie selbst mit keinem Wort es verraten, was mich so selig, so überglücklich machen würde. Nie hätte ich sie sonst an ihr Versprechen gemahnt, nie an die Erfüllung ihres Schwures sie erinnert, wenn ich nicht die Gewißheit erlangt, daß ihre Liebe allein entscheide.
Noch heute will ich mir Gewißheit verschaffen und mit Christinen – Er wendet sich zum Hause. Ha – da ist sie!
Ich habe vergebens gewartet, der Zug der Heimkehrenden trifft erst spät abends ein. Sie will ins Haus. Ha, Gontran!
Weil ich überrascht bin, Sie im Freien zu sehen? Mein Pflegling hat ohne meine Einwilligung das Zimmer verlassen, Drohend. ist das erlaubt?
Ich bin genesen, geheilt durch Ihre liebevolle Fürsorge, geheilt auch von den Wunden und Zweifeln, die ich, ohne daß Sie es ahnten, im Herzen trug!
[62]Ich kann es noch nicht fassen! Welches Wunder der Vorsehung, Ihr, den sich mein Herz erkoren, Ihr seid es, der mir der Mutter teures Vermächtnis, mein goldenes Kreuz zurückbringt.
Es liegt unter dem Schnee von Wilna, wo ich vor zwei Jahren im ersten Treffen verwundet niedersank. Ich hielt es in der Hand, um es einem Kameraden zu geben, der es dir mit deiner Freiheit zurückbringen sollte.
Sie wissen doch, daß ich dem Unbekannten, der mir das Kreuz bringt, durch meinen Schwur verpfändet bin, daß vielleicht heute schon unter den Heimkehrenden der berechtigte Bewerber –
Bürgt Ihnen das Ehrenkreuz auf meiner Brust nicht, das ich an der Stelle Ihres goldenen Kreuzes trage? Nun wohl, Sie verletzen mich, aber ich liebe Sie, und will meinen Stolz meiner Liebe zum Opfer bringen. – Es war vor zwei Jahren, am fünften Mai, als ich das Kreuz empfing, ein goldenes, schlichtes Kreuz, in dessen Mitte eine Perle wie eine Träne glänzte –
Mein Fräulein! Es ist genug! Gott verzeihe Ihnen dieses Mißtrauen, diese Beleidigung eines ehrlichen Soldaten, – ich verzeihe Ihnen – aber – dieses Wort hat uns auf ewig getrennt! Leben Sie wohl und vergessen Sie mich, wie ich mir Mühe geben will, Sie zu vergessen! Er stürzt ab.
Großer Gott! Was tat ich? Und doch – ich kann, ich darf nicht anders! Das heilige Andenken meiner Mutter habe ich mit diesem Pfande eingesetzt, ich harre aus, bis es mir zurückgegeben wird. Gott, du weißt, was mich dies Opfer kostet.
Meiner Treu', den Gedanken hab' ich selbst schon gehabt; wenn auch verändert, hat er mich doch an den jungen Mann erinnert, dem ich damals die Eremitage anwies!
Schade, daß du ihm das nicht auch erzählt! O, ich sehe, ich bin von einem Komplott umgeben, das meine Standhaftigkeit Grille und Laune nennt. – Aber hier vor euch erneuere ich den Schwur. Wer mir das goldene Kreuz zurückbringt, nur der löst mein Versprechen, [69] und kommt er nicht, so will ich im Kloster mein gequältes Herz auf ewig verschließen.
Ha, unsere Braven kehren heim, vielleicht kommt mir Kunde von ihm. Ich eile ihnen entgegen. Sie geht ab ins Dorf, nach rechts.
Und wenn auch! Ich an ihrer Stelle hätte dem schönen Hauptmann ohne weiteres geglaubt und mein Gewissen beruhigt.
Nur gemach, Männchen, laß sie nur bei den Heimkehrenden nachfragen, der eine oder der andere wird ihr schon – aber – wer kommt denn dort den Hügel herab?
Das Dorf ist schon das rechte – und die Mühle steht auch da – aber das Haus? Man hat es nur ein wenig neu adjustiert, ich bin schon an der rechten Stelle. Er kommt herab.
Mort de ma vie – das ist ja der arme Junge, den sie am Hochzeitstage auf einen andern Posten kommandiert hatten, und wie ich sehe – den Arm in der Schlinge, die Kommodemütze auf dem Kopf, laß dich umarmen, Kamerad – Freiwilliger?Umarmung.
Sie werfen einen Blick auf diesen hölzernen Fuß, auf diese schäbige Montur, auf dieses vernarbte, sonnenverbrannte, [70] schneeverstöberte Gesicht! Ja, Kinder, so kehrt die große Armee nach Frankreich zurück. – Er wischt sich eine Träne aus dem Gesicht.
O, reden Sie nicht davon! Wir alle haben uns gelobt, von dem Unabänderlichen nicht viel zu sprechen, und uns in Gottes Namen des schwerersehnten Friedens zu freuen!
Nein, nein, mein wackrer Sergeant, Ihr seid trotzdem immer noch ein ganz respektabler Mann, und wenn Ihr Euch ein wenig von den Strapazen erholt habt –BOMBARDON. Glauben Sie, Madame? Nun, das beruhigt mich einigermaßen.
Gebt den Tornister, Kamerad, Ihr bleibt bei uns; da, die Eremitage und das Gärtchen dabei soll Euch eingeräumt werden –
Richtig, Christine, ein wohl adjustiertes Frauenzimmer. Rufen Sie sie hierher, ich habe mit ihr zu reden.
Großer Gott, diese Frage – Sie dreht sich um und erblickt Christine, die von rechts auftritt. und er hat mit Christinen – wenn er – ich mag's nicht glauben –
In der Freude des Wiedersehens wollte mir keiner Rede stehen, aber sie kommen alle hierher, alle und dann –
Freilich wären Sie berechtigt gewesen, zu heiraten, denn die zwei Jahre Ihres Gelöbnisses sind längst vorüber –
Bombenelement, hat denn die defekte Montur mein ganzes Signalement so verunstaltet, daß ihr alle den Sergeanten nicht mehr erkennt, der hier herkam, eine dritte freiwillige Kapitulation anzunehmen, an dem Tage, als man dich vom Traualtar wegtrommelte?
Ja, ich bin's, und ich hörte, wie dieses mutige, hochherzige Mädchen, um dein eheliches Glück nicht zu stören, die Worte sprach: »Wer als Ersatz für meinen Bruder einsteht, dem gebe ich dieses goldene Kreuz, und wer es mir zurückbringt, dem gehört mein Herz und meine Hand!«