Geibel's Tod

Ich weiß es jetzt. In jener Nacht,
Die unsres Freundes letzte war,
Bin ich aus schwerem Traum erwacht,
Aus einem Traum gar wunderbar.
Mein Lagernachbar rief mich an:
»Was jammerst du im Schlaf so laut?«
Ich sprach: »Mahn' Morgens mich daran;
Ich hab' ein Traumgesicht geschaut.«
In einem Kerker fand ich mich,
Und Jemand schied von mir. Ein Wort
Mir sagend, etwa wie »versprich,
An mich zu denken!« ging er fort. –
Das war in einem Dorf am Strand
Des Gardasees, die Nacht war hell,
Das Mondlicht in dem schönen Land
Warf lichten Schimmer ins Gewell.
[107]
Der Tag brach an, manch froh Gespann
Flog schon des Wegs, ich trat hinaus;
Palmsonntag war's, und Jedermann
Nahm einen Ölzweig mit von Haus.
Mit mir jedoch ging jener Traum.
Ich sann ihm nach unausgesetzt;
Ja, daß der Geist besiegt den Raum,
Daß du erschienst, ich weiß es jetzt.
Du gingst von uns, wie nah dem Ziel,
Wer uns geführt, von dannen geht.
Die Harfe war dein Saitenspiel,
Voll Anmut und doch sturmdurchweht.
Dein reichstes war dem Vaterland,
Dem Schönen jedes Lied geweiht.
Leb wohl, du treue Freundeshand,
Und Dank dir über Grab und Zeit!

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Lingg, Hermann von. Gedichte. Ausgewählte Gedichte. 5. An Personen. Geibel's Tod. Geibel's Tod. TextGrid Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-F190-B