[251] Zweyter Gesang: Unschuld, Liebe, Güte, Sanftmuth, Barmherzigkeit, Großmuth
O edles Menschenherz! Auch überworfen
Von Sturm und Wogen, schmachtend, seufzend auch,
Wenn schwarze Wuth zehnfacher List und Bosheit
Dich zehnfach ängstigt, Scham Dir anhaucht,
Daß Brüder so entweyh'n der Menschheit Namen,
Des Menschenherzens Ehre so verlästern,
Im heißesten Moment der edeln Wehmuth
Verläßt Dich nicht der Weisheit Heldenkraft,
Zu söndern scharf die Bosheit von dem Bösen,
Nicht ihm, der Bosheit nur in ihm zu fluchen!
Du hassest nur, was Licht und Liebe hasset!
Du segnest den, deß bitterscharfen Schiefsinn
Du zürnend, wehmuthvoll und bang verdammest
Und in den Schlund des bodenlosen Abgrunds
Verwünschest, welchem er, dem Hauch der Pest gleich,
Die rechts und links erwürgt und schlachtet, aufstieg!
O edles Herz! Du zürnst, wie Engel zürnen!
O edles Herz, dein Zorn ist schöner noch,
Noch lieblicher als Sanftmuth, Huld und Gnade!
So zürnte der mit Männerzorn und Liebe
Des Vaters, dessen Brust voll Kinderhuld
Und milden Segens war für holde Kinder!
O edles Herz! Du zürnest, blutig weynend,
Wenn Du nicht retten kannst und nach der Rettung
Des Bösewichts, wie nach dem Morgenroth
Der Wächter, lechzest, lechzest, wie nach Einem,
Nur Einem Tropfen Kühlung jener lechzte,
Der den verdrängten Brosamdürftigen,
Beleckten von der Hunde Mitleid, fern sah
Im Schose Abrahams, der Schmerzenstage,
Der Jammernächte frey, umstralt mit Lichte!