[166] Personen.
- Baron Kreutz.
- Malchen, seine Tochter.
- Frau von Berg, seine Schwester, eine arme Witwe.
- Karl,
- Hans, ihre Söhne.
- Der Fürst von **
[166] Personen.
Ihnen, meine günstigen Herren, widme ich diesen Versuch, Ihre Lehren auch in das große Publikum zu verbreiten, und sie folglich gemeinnütziger zu machen. Die dramatische Form habe ich gewählt aus reiner Freude am sprechen und sprechen lassen 1. Ich bilde mir ein, ein gutes Drama gemacht zu haben, denn es ist drastisch, und Sie selbst sagen: Gute Dramen müssen drastisch sein 2.
Wie dieser Gedanke, oder dieses Profil von einem Gedanken 3 in mir entstand, davon will ich kürzlich Rechenschaft geben. Ich habe einen Freund, mit dem ich in einer parzialen Ehe 4 lebe, den ich aber bald werde portraitiren lassen, weil ich mich schon ein wenig müde an ihm gesehen habe. Die Hauptursache dieser Müdigkeit liegt wohl darin, daß ich Sie beide, meine günstigen Herren, als die größten Genies betrachte, die auf dem Erdboden leben, Er hingegen mit seinem beschränkten Sinn die hohe Verwirrung Ihrer hohen Geister nicht zu fassen vermag. Neulich war er gar so verwegen, mir eine Stelle aus Duclos moeurs de ce siècle vorzulesen, und sie recht unverschämt auf Sie zu appliciren. Sie lautet nämlich folgendergestalt:
[167] Qui sont ceux qui jouissent du droit de pononcer? – degens, qui, à force de braver le mèpris, viennent à bout de se faire respecter et de donner le ton; qui n'ont que des opinions et jamais des sentiments; qui en changent, les quittent et les reprennent, sans le savoir ni s'en douter; ou qui sont opiniâtres sans être constans. Voilà cependant les juges des reputations; voilà ceux dont on mépise les sentimens et dont on recherche le suffrage; ceux qui procurent la Consideration, sans en avoir eux mêmes aucune. – Vous voyez des hommes dont on vante le mérite; si l'on veut examiner en quoi il consiste, on est étonné du vide; on trouve que tout se borne à un air, un d'importance et de suffsance; un peu d'impertinence n'y nuit pas; et quelques fois le maintien suffit.
In deutsch: »Wer sind denn die Herren, die das Recht zu entscheiden ausüben? – Leute, die der Verachtung so lange trotzen, bis sie es endlich dahin bringen, sich geltend zu machen, und den Ton anzugeben; die nie Grundsätze, sondern nur Meinungen haben, die sie wechseln, wegwerfen, wieder aufnehmen, ohne es selbst zu wissen, oder zu ahnen; die sich beständig glauben, weil halsstarrig sind. Sehet da die Richter über Reputation; Menschen, deren Gesinnungen man verachtet, und dennoch ihren Beifall sucht; Menschen, die Andern Ansehn verschaffen, ohne selbst welches zu besitzen. – Man rühmt ihre Verdienste, aber bei näherer Untersuchung erstaunt man über ihre Leerheit und wird bald gewahr, daß sich Alles nur auf ein gewisses Air einschränkt, einen Ton der Wichtigkeit und Selbstgenügsamkeit mit ein wenig Impertinenz gemischt, der Manche blendet.«
Da meinte nun der unverschämte Mensch, Sie erfüllten gewissenhaft Duclos Vorschriften, und der Erfolg habe Duclos Prophezeiungen entsprochen.
Um ihn zu widerlegen führte ich ihn mit triumphirender Miene in mein Bücherkabinet; ich zeigte auf Ihre Fragmente, Ihre Lucinde u.s.w. Von der Lucinde meinte er, hätten sich von den Gergesener Säuen, deren Sie pag. 84, der Fragmente [168] als sämmtlich ersäuft erwähnen, doch wohl einige gerettet, und zwar die feistesten, um da hinein zufahren.Dabei sei nichts kläglicher, als sich dem Teufel umsonst ergeben, nämlich schlüpfrige Gedichte machen, die nicht einmal vortrefflich sind 5.
Ich wurde zornig, aber er kehrte sich nicht daran. Von der Lucinde kam er auf Ihre schöne poetische Wuth, schlechte Sachen anpreisen, von welcher Sie zuweilen ergriffen würden, wenn nämlich Ihre Gönner oder Freunde die Verfasser wären. Er meinte, vieleLobredner bewiesen die Größe ihres Abgottes antithetisch durch die Darlegung ihrer eigenen Kleinheit 6.
Ich wollte ihm das Lästermaul stopfen ich deutete auf Ihre Fragmente. Da sagte er: die meisten wären hoher Unsinn, den Niemand, auch Sie selbst nicht einmal verstünden.
Länger konnte ich mich nicht halten, denn eben ergriff mich ein Gedanke – diesmal war es aber keinProfil, sondern eine Seele von einem Gedanken 7 – und frohlockend rief ich aus, daß es diesen herrlichen Fragmenten nur an einer faßlichern Form fehle, um verstanden zu werden; daß sie nur nicht eben Igel 8 sein müßten, und daß ich mich selbst anheischig mache, sie in dramatischer Form so darzustellen, daß Jedermann Lust und Freude daran haben solle. Er faßte mich beim Wort und flugs ging ich an die Arbeit.
Nun muß ich zwar bekennen, daß es mir nicht möglich gewesen ist, Ihren ganzen herrlichen fragmentarischen Unterricht in die dramatische Form zu gießen, und ich habe theils Ihre schönen, volltönigen, in der neuesten philosophischen Terminologie ausgedrückten Wundergedanken, theils Ihre herrlichen, kraftvollen Zoten weglassen müssen; denn dasjenige Publikum, für welches ich schreibe – (Sie [169] wissen, ich schreibe nur für den großen Haufen) – wurde die Erstern doch nicht verstanden, und für die Letztern zu zarte Ohren affectirt haben.
Weh', sehr weh' hat es mir freilich gethan, die köstlichsten Dinge in dieser Art mit Stillschweigen übergehen zu müssen. Wie gern hätte ich zum Beispiel den Zuschauern die interessante Situation aus den Misterien der Venus Πάνδημος mitgetheilt, welche, wie Sie sagen, eine Allegorie auf die Vollendung des männlichen und weiblichen Geschlechts zur vollen ganzen Menschheit ist 9, und welches die witzigste und schönste Situation in der schönsten Welt sein soll 10. Wie gern hätte ich meinem Karl in der Scene mit Malchen die Bitte in den Mund gelegt: sich doch ein Mal der Wuth ganz hinzugeben, und unersättlich zu sein 11 wie schön würde in seinem Munde die Vehauptung geklungen haben: daß zwar ein Libertin verstehen möge, den Gürtel mit einer Art von Geschmack zu lösen, aber daß nur die Liebe den höheren Kunstsinn der Wollust lehre 12; wie angenehm würden nicht die Zuschauer durch die lehrreiche, höchst sittliche und in dramatische Handlung gebrachte Anekdote unterhalten worden sein, wo die Thür zugeschlossen wird, und man damit anfängt sich zu küssen, daß es böse Gedanken macht, wo man alsdann das elende dumme Halstuch als ein Vorurtheil wegschiebt, und 13 – doch halt! es wird zu viel. Ich schweige und bewundere nur den fessellosen Geist.
Sehen Sie, meine günstigen Herren, alle diese schönen Sächelchen habe ich weglassen müssen, ob ich gleich wohl wußte, welchen starken Effekt sie hervorgebracht haben würden. Aber die Alltags-Menschen haben keinen Sinn für die Frechheit, der Sie so vortrefflich das Wort reden 14, und ich mußte mich daher auf dasjenige einschränken, [170] was auf der Bühne sagbar ist. Dem Himmel und Ihnen sei Dank! es blieb noch immer genug übrig, um meinen parzialen Ehekonsorten zu beschämen, und den Samen Ihrer weisen Lehren auch unter dem großen Haufen auszustreuen.
Freilich steht mein Karl allein da; die mit ihm Spielenden gehören eigentlich auch zum großen Haufen, haben auch keinen hinanreichenden Sinn; aber hier blieb ich nur der Natur getreu, denn wie wenige mögen sich dieses erhabenen Kunstsinnes erfreuen.
Nach allem diesem wage ich mir zu schmeicheln, daß ich, meine günstigen Herren, ein Lächeln des Beifalls von Ihnen wohl verdient habe, und daß, wenn es mir einmal widerfahren sollte, einen schlechten Roman wie William Lovell zu schreiben, in welchem die Langeweile in Mittheilung übergeht 15 oder einen solchen, in welchem, nach Ihrem eigenen Geständniß, die Gesetze einer kleinlichen unechten Wahrscheinlichkeit verletzt 16 und die gewöhnlichen Erwartungen von Einheit und Zusammenhang getäuscht werden 17, Sie dennoch nicht ermangeln werden, Ihrem Publikum zu beweisen, daß mein Buch tief und ausführlich, klar und transparent ist, und daß den Leuten nur der echte systematische Instinkt, der Sinn für das Universum fehlt 18.
So berge ich mich unter dem weißen Fittig Ihres Schwans, der Alles, was sterblich an ihm ist, in Gesänge aushaucht 19, welches darum doch keine sterblichen Gesänge sind; und wenn ich vielleicht so glücklich sein sollte, daß Sie in diesen Blättern ein wenigästhetische Bosheit fänden, so würde ich mich unendlich freuen, dieses, nach Ihrem Ausspruch, wesentliche Stück der harmonischen Ausbildung 20 mir zu eigen gemacht zu haben.
[171] Uebrigens ist der reichhaltige Stoff noch lange nicht erschöpft, und ich werde mit Vergnügen, bei wiederholten Veranlassungen, meine Dankbarkeit auf eine ähnliche Art zu beweisen suchen.
Geschrieben zu Jena, mit einer Schwanenfeder aus Ihrem weißen Fittig. Im September 1799.
Der Verfasser.
[172]1 Athenäum pag. 6.
2 ibid. pag. 13.
3 ibid. pag. 12.
4 ibid. pag. 106.
5 Fragmente pag. 3.
6 ibid. pag. 18.
7 bid. pag. 54.
8 ibid. pag. 54.
9 Lucinde pag. 28.
10 Ibid. pag. 28.
11 Ibid. pag. 9.
12 Ibid. pag. 61.
13 Ibid. pag. 94.
14 Ibid. pag. 40.
15 Fragmente pag. 128.
16 Ueber Göthes Meister pag. 157.
17 ibid. pag. 159.
18 ibid. pag. 159.
19 Vorrede zur Lucinde.
20 Lucinde pag. 90.
Seinen Franz hat er vorausgeschickt. Es soll da in der Stadt ein tiefgelehrter Mann wohnen, den hat er nur noch besuchen wollen.
Wie? drei Jahre war er abwesend von Mutter und Braut? Kaum noch ein Spazirgang trennt ihn von beiden? und er findet noch Muße Gelehrte zu besuchen?
Was hast du darein zu reden? Eitelkeit, nich weiter. Ein Bursche wie Karl, der alle vier Fakultäten im Kopfe hat –
Das wird er auch. Die Wissenschaften veredeln den Menschen, machen ihn – wie nennen se es doch gleich? – human. Das ist ein neues Modewort.
Naseweiß! Du meinst wohl, Karl sollte noch immer den Schäfer aus Geßners Idyllen spielen? – Der tändelt nicht mehr, der ist jetzt transcendental!
Allen Respekt vor der Vernunft; aber wenn sie sich nicht mit dem Herzen vermählt, so kommt sie mir vor, wie unser langer dürrer Nachbar, der Hagestolz.
Schweig', und störe mir meine Freude nicht. O, ich habe euch noch mehr zu sagen. Es ist heute ein wichtiger Tag für Karln und für uns Allle. Der Fürst jagt in meinem Forste.
Er wird aber ein Frühstück bei uns einnehmen. Wenn nur Karl bald käme, daß ich ihn dem Fürsten sogleich vorstellen könnte. Was gilt's, der macht ihn auf's wenigste zum Geheimde-Kabinetsrath.
Was Luftschlösser! Karl hat bei Fichte die Wissenschaftslehre, bei Schle gel die Ästhetik, bei Schiller die Historie gehört; Sapperment, Kinder! er muß ein ganzer Kerl sein.
Ach, Bruder, du hast keine Söhne; du weißt nicht, wie einer Mutter zu Muthe ist, die ihren Liebling hinaus in die weite Welt schickt, ohne mit sorglicher Mutterliebe in der Ferne über seine Schritte wachen zu dürfen; die ein gesundes, herziges Naturkind aus ihren Armen ließ, und vielleicht einen physisch und moralisch verbildeten Krüppel zurück erhält.
Das bitt' ich euch, wenn er kommt, laßt mich nur gleich mit ihm allein, daß ich nur erst sein Herz erforsche, mit seinem Wissen mag es dann bestellt sein wie es wolle.
Schon gut, Schwester. Komm, wir wollen die Buchenallee hinab ihm entgegen wandeln; er kann nicht lange mehr bleiben.
Gern, Bruder. Ich hoffe, die alte Mutter werde nicht vergebens geh'n, weil er etwa mit den Gelehrten noch zu sprechen hat.
Ich freue mich – und doch ist mir so bänglich zu Muthe – wenn er auch hinanreicht an das mütterliche Ideal, wird er d'rum mir noch sein, was er vor drei Jahren war? – wird meine Natürlichkeit sich mit seiner hohen Weisheit vertragen?
Wie wird die gute Mutter sich freuen! O, das ist recht schön! Nun darf sie nicht mehr klagen, daß sie keine Stütze hat, weil ich so dumm bin, und nichts lernen kann.
Gesagt wohl nicht, aber es ist doch wahr. O, ich fühle es recht gut, daß ich nur ein simpler Mensch bin. Ich meine es wohl gut, aber ich kann es nicht so von mir geben. Wenn zuweilen ein Brief von meinem Bruder vorgelesen wird, und ich verstehe kein Wort davon, da muß ich manchmal fortgehen und mich schämen.
Ach, liebe Cousine! ich kann ja so gar nichts für meine alte Mutter thun! Die Jägerei hab' ich freilich gelernt, aber was hilft das? Alle Dienste sind besetzt; ich verstehe mich auch nicht zu präsentiren; schwatzen kann ich vollends gar nicht, und so bleib' ich sitzen. Ach! Sie glauben nicht, wie mich, das schmerzt, daß ich meiner Mutter und dem Oheim so auf dem Halse liege. Nun, Gottlob! Der Bruder ist wieder da! der wird Geheimde-Rath werden, [177] oder so etwas; der wird der Mutter ein sorgenfreies Alter verschaffen; und da werde ich ihn recht lieb haben. Alle werden ihn lieb haben, weit mehr als mich, aber ich will ihn nicht beneiden, er ist ja mein guter Bruder, und nun werden Sie ihn heirathen, nicht wahr?
Sehen Sie, das ist ein großes Glück, denn sind gar ein wackeres Mädchen. Was man doch glücklich ist, wenn man Verstand hat!
Ja, wenn ich auch so ein gescheiter Kerl geworden wäre, wahrlich, liebe Cousine, Sie hätte ich mir nicht nehmen lassen.
Ja. Sie sind mir wohl gut, Sie haben Mitleid mit mir; aber ich – mein Leben könnt' ich für Sie lassen.
Nun, es ist nun einmal so. Wir können ja nicht alle klug sein, und der Klügste muß die Beste haben, von Rechts wegen. In Zukunft werde ich Sie Schwester nennen, nicht wahr?
Und Sie und Karl werden mich noch ein wenig zustutzen, was sich so eben hinein bringen läßt; viel wird es nicht sein, aber freuen werde ich mich über Ihr Glück, das brauchen Sie nicht erst hinein zu bringen, das ist schon hier in meinem Herzen.
[178]Beileibe nicht! wenn ich nur immer mit Ihnen sein kann, bei Ihnen bin ich am liebsten. Jetzt muß ich gehen. Der Fürst jagt in unserm Forste. Es thut mir leid, daß ich meinen Bruder nicht empfangen kann. Sagen Sie ihm das. Es thut mir recht leid. Er soll d'rum nicht denken, daß ich ihn weniger liebe, oder daß ich etwa gar – neidisch auf ihn wäre. Nein, der Oheim hat's befohlen. Ich muß in den Wald. Adieu, liebe Cousine! – Bewegt. Adieu, liebe Schwester! Ab durch den Garten.
Noch einmal drücke ich dich an mein mütterliches Herz! Sie umarmt ihn. Gott sei Dank, daß ich dich wieder habe! Dich, meine Hoffnung, meinen Stolz, mein Alles! – Bist du noch, der du warst? der gute, fromme, herzliche Mensch? – O ja, du wirst es sein! Magst du doch viel oder wenig gelernt haben; die bekümmerte Mutter möchte dich lieber fromm als gelehrt wieder sehen. Tugendhaft gingst du von mir, tugendhaft kehrst du in meine Arme zurück, nicht wahr?
[179]Ich kann darüber mit dir nicht streiten, auch begehre ich nur Beruhigung. Man hat mir so manches von den jetzigen Modesistemen erzählt.Sie legt ihre Hand auf seine Schulter und spricht ängstlich. Karl! du glaubst doch an Gott?
Jeder gute Mensch wird immer mehr und mehr Gott. Gott werden, Mensch sein, sich bilden, sind Ausdrücke, die Einerlei bedeu ten 5.
[180]Das wissenschaftliche Ideal des Christianismus ist eine Cha rakteristik der Gottheit mit un endlich vielen Variationen 7.
Gott ist nicht blos ein Gedan ke, sondern zugleich auch eine Sache, wie alle Gedanken, die nicht bloße Einbildungen sind 8.
Es ist ein sehr natürlicher, ja fast unvermeidlicher Wunsch, alle Gattungen der Religion in sich vereinigen zu wollen 9.
Ach! ich kann dir nicht antworten. Aber ich bitte dich, rede mit unserm Pfarrer, er ist ein wackerer, vernünftiger Mann –
Ich mag nicht. Die Religion ist schlechthin groß wie die Natur. Der vortrefflichste Priester hat doch nur ein Stück davon 10.
[181]Das Verhältniß des wahren Künstlers und des wahren Men schen zu seinen Idealen ist durch aus Religion. Wem dieser innere Gottesdienst Ziel und Geschäft des ganzen Lebens ist, der ist Priester, und folglich bin ich auch Priester 11.
Der Satan ist eine deutsche Erfindung denn der deutsche Satan ist satanischer als der ita lienische und englische. Er ist ein Favorit deutscher Dichter und Philosophen, er muß also auch wohl sein Gutes haben.
Mutter, ich bitte Sie, nicht diese Ele gien von der heroisch kläglichen Art; es sind die Empfindungen[182] der Jämmerlichkeit bei dem Ge danken der Albernheit von den Verhältnissen der Plattheit zur Tollheit 13.
Sie wollen mich in meiner Bahn aufhalten? Dies ist umsonst. Wer Einmal thöricht oder edel sich bestrebt hat, in den Gang des menschli chen Geistes mit einzugrei fen – 14
– Der muß mit fort, oder er ist nicht besser daran als ein Hund im Bratenwender, der die Pfoten nicht vorwärts setzen will.
Ach! ich bitte dich, setze die Pfoten rückwärts! Deine hohe Geistesverwirrung kann dich einst zu Verzweiflung und Selbstmord führen!
Ist es eine Handlung, so kann vom Recht gar nicht die Rede sein, sondern nur von der Schick lichkeit.
Sie meinen vielleicht wie Rousseau: daß irgend eine gute und schöne 16 Freigeisterei den Frauen weniger zieme als den Männern?
Alberner Mensch! es ist unverschämt so von Rousseau zu sprechen. Aber großer Gott! möchtest du doch blos unverschämt sein! – Ich verlasse dich tief gebeugt. Ich bin nur ein Weib, und kann dir nichts entgegen setzen, als mein Gefühl. Dein Oheim ist ein Mann, er mag männlich mit dir sprechen. Ab.
Was man doch nicht alles erfährt! Aber sieh' nur Vetter, du mußt dich ein wenig in deine Mutter fügen, wieder herzlich werden wie vormals. Du bist so kalt, so ernsthaft.
Eine Bestie? Schäme dich. Ich merke schon, du hast zu viel studirt, bist zu einsam gewesen. Ich werde dich in gute Gesellschaften führen.
[185]Die Gesellschaften der Deut schen sind ernsthaft, ihre Komö dien und Satyren sind ernsthaft, ihre Kritik ist ernsthaft, ihre ganze schöne Literatur ist ernst haft 23.
Hör' einmal Vetter, bleib' mir mit dem Krimskrams vom Halse, und laß uns vernünftig reden. Ich habe ein Project für dich.
Es kann nichts anmaßender sein, als überhaupt zu existiren, oder gar auf eine bestimmte selbstständige Art zu existiren 26.
Die meisten Menschen sind nur gleich berechtigte Prätenden tender Existenz; es gibt wenig Existenten 27.
Die Narrheit ist blos dadurch von der Tollheit verschieden, daß sie willkürlich ist, wie die Dummheit 28.
Also ist deine Narrheit willkürlich? Gut, so lasse ich dich einsperren. – O Karl! Karl! nicht wahr, du verstellst dich nur? du bist nicht so ein Erz-Genie? – rede, was hast du denn eigentlich studirt?
Gott helfe mir! du bist der vollständigste Narr aller Narren! Höre, Vetter! noch will ich mich moderiren –
Solche überschwengliche Dummheiten sollten in den Jahr büchern des menschlichen Geistes aufbewahrt werden, man kann sie mit allem Verstande nicht so er finden 31. Hast du weiter nichts gelernt, so ist es ewig Schade um das schöne Geld und die kostbare Zeit. – Was soll nun aus dir werden?
Ich habe immer gedacht, das wäre mein Fall. – Rede, kannst du dich in der Welt benehmen? verstehst du, [187] mit aller deiner kritischen Weisheit dir in schwierigen Fällen zu helfen?
O das Talent aus einer Mu stercharte von Mitteln die zweck mäßigsten auszuwählen, ist so ge ringfügig, daß auch der gemeinste Verstand dazu hinreicht 33.
Wollte Gott, du hättest diesen gemeinsten Verstand! – Da steht er nun, der Jammermensch mit der hohen Anmaßung! Was ist aus ihm geworden!
Dein Ich ist äqual einem Narren. Ich meinte es so gut mit dir; ich hatte dir meine Tochter bestimmt, das liebe naive Mädchen. –
Naiv ist, was bis zur Ironie, oder bis zum steten Wechsel von Selbstschöpfung und Selbstver nichtung natürlich, individuell oder klassisch ist oder scheint 35.
Potz Unsinn und kein Ende! Vetter, ich rathe dir Gutes. Lenke wieder ein, oder du wirst nimmer mein Schwiegersohn.
Ei lächle du dich an so viel du willst. Ich ziehe meine Hand von dir ab. – Es bleibt mir nur noch eine Hoffnung übrig: ich will dir das Mädchen herschicken. Wenn [188] es der Liebe nicht gelingt, diesen verrückten Kopf wieder an Ort und Stelle zu rücken, so ist Alles verloren! Ab.
Es liegt in der Natur des Mannes ein gewisser tölpelhafter Enthusiasmus, der leicht bis zur Grobheit göttlich ist 38. Er will sie abermals umarmen.
Allerdings, aber die Frauen müssen wohl prüde bleiben, so lange die Männer sentimental, dumm und schlecht genug sind, ewige Un schuld und Mangel an Bildung von ihnen zu fordern 40.
Zwar fehlt es den Frauen an Sinn für die Kunst, an Anlage zur Wissenschaft und an Abstracti on 42, zwar ist muthwillige Bos heit mit naiver Kälte und lachen der Gefühllosigkeit eine angebor ne Kunst Ihres Geschlechts – 43.
Warum sollt es auch nicht un moralische Menschen geben dür fen, so gut wie unphilosophische und unpoetische 49.
Die öffentliche Meinung ist ein Unthier, das man muthig auf den Rücken werfen muß, und dann ist es nur ein gemeiner Frosch 51.
Warum nicht? Leichtfertige Ge spräche müssen ruchlos genug sein, sie sind das Salz an die Speisen. Es frägt sich gar nicht, warum man sie sagen soll, son dern nur wie man sie sagen soll, denn lassen kann und darf man es doch nicht 54.
Aber, es wäre ja grob, mit einem reizenden Mädchen so zu reden, als ob sie ein geschlecht loses Amphibion wäre 55.
Geben Sie doch nur Acht auf die Kinder. Ein kleines Mädchen findet nicht selten ein unbeschreibliches Vergnügen darin, mit den Beinchen in die Höhe zu gesticuliren, unbeküm mert um ihren Rock, und um das Urtheil der Welt. Wenn das ein kleines Mädchen thut, was darf ich nicht thun, da ich doch bei Gott ein Mann bin, und nicht zar ter zu sein brauche als das zarte ste weibliche Wesen? 57
Vortrefflich! Wenn es noch länger dauert, [193] so fängt er an zu gesticuliren. Geh'n Sie, mein Herr, Sie werden frech.
Ich habe gnug. Sind das die Wunderdinge, die wir erwarteten? – Welche Täuschung! Guter Hans! Wie liebenswürdig erscheint gegen dies hohe kritische Aufklärung dein simples ehrliches Gemüth!
Auch da nichts? Nun so hol' dich der Teufel! – Denk nur, Malchen, was der Hans eben gemach hat, der brave Junge.
Der Fürst – du kennst ihn – auf der Jagd ist er ein Wagehals. Da hat er eine Wilde Sau gereizt, die Bestie stürzt wüthend auf ihn los, kein Jäger in der Nähe, retiriren kann er nicht mehr, bei meiner armen Seele! es war um ihn gescheh'n. Flugs springt unser Hans vor, zuckt [194] sein Weidmesser, stellt sich dem erboßten hier entgegen, und läßt es anlaufen wie man eine Lerche spießt.
Ein wackerer Junge. Der Fürst soll sehr gnädig gegen ihn gewesen sein. Ich muß fort, Se. Durchlaucht zu empfangen. – Nun Karl, noch ist es Zeit, besinne dich, sei vernünftig. Ich werde dich dem Fürsten vorstellen. Wenn du aber auch da dumme Streiche machst, so sind wir geschiedene Leute. Ab.
Wenn Verstand und Unverstand sich berühren, so gibt es einen elektrischen Schlag, das nennt man Polemik 60.
Bruder! lieber Bruder! es ist recht fatal, daß der Fürst eben kommt, daß ich dir nicht sagen kann, wie sehr ich mich freue! wie lieb ich dich habe! Aber nun bleiben wir ja wieder beisammen, und wenn ich gleich gegen dich nur ein einfältiger Mensch bin, so wirst du doch mein Freund sein, nicht wahr? Mein väterlicher Freund?
Jeder ungebildete Mensch ist die Kari katur von sich selbst 61. Dein Freund kann ich also nicht sein. Denn die Freund schaft [195] ist für dich wie für die Weiber, zu vielseitig und zu ein seitig. Sie muß ganz geistig sein, und durchaus bestimmte Grenzen haben 62.
Diese Absonderung würde dein Wesen nur auf eine feinere Art eben so vollkommen zerstö ren, wie bloße Sinnlichkeit ohne Liebe 63.
Hier habe ich die Ehre, Ew. Durchlaucht meinen ältern Vetter vorzustellen, der so eben von der Universität zurückgekommen, wo er studirt hat bis an den Hals.
Ich will hoffen, auch noch ein wenig höher hinauf. Zu Karl. Herr von Berg, ich freue mich, kennen zu lernen. Ihre Familie hat meinem Hause jederzeit wichtige Dienste geleistet. Ihr Vater war ein braver Mann.
Ich darf kühnlich antworten, wie Sthenelos dem Agamemnon: wir rühmen uns viel besser zu sein als unsere Väter 64.
Arrogant ist, wer Sinn und Charakter zugleich hat, und sich dann und wann merken [196] läßt, daß diese Verbindung gut und nütz lich sei 65.
Sie scheinen viel Vertrauen auf sich zu haben; fast ein wenig mehr als sich mit der Bescheidenheit verträgt.
Was darf sich der nicht zu trauen, zu dem der Witz selbst durch eine Stimme vom geöffne ten Himmel sprach: du bist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlge fallen habe! 66
Vetter, ich weiß nicht, ob der Witz Wohlgefallen an dir hat; aber das weiß ich, daß Sr. Durchlaucht, ich, deine Mutter und wir alle ein großes Mißfallen an dir haben.
Gelassen, lieber Baron. Diese Zuversichtlichkeit gründet sich vielleicht auf ein sehr ausgezeichnetes Verdienst, und dann ist sie schon verzeihlich. Lassen Sie doch hören, junger Herr, worauf haben Sie sich am meisten applicirt?
So nennen sich solche, die neben ihren [197] andern Rechten, die oft so unrechtlich sind, auch ein Naturrecht haben, welches nicht selten noch unrechtlicher ist 68.
Der historische Styl muß vor nehm sein durch nackte Gediegen heit, erhabene Eil und großartige Fröhlichkeit 70.
Wenn nur nicht in den Hand lungen der gesetzgebenden, aus übenden oder richterlichen Ge walt oft etwas willkürliches vor käme, wozu sie für sich nicht be rechtigt scheinen 71.
Jetzt merke ich, wo Sie hinaus wollen, und rathe Ihnen wohlmeinend, sich mit der Staatsverwaltung nicht zu befassen; wenigstens nicht in meinem Lande, wo Ruhe und Sittlichkeit herrschen.
Sittlichkeit? das glaube ich kaum. Denn die erste Regung der Sittlichkeit ist Opposition gegen die positive Gesetzlichkeit und konvenzionel le Rechtlichkeit. 74
Es ist natürlich, daß die Franzosen dominiren, denn sie sind eine chemische Nation; das Zeitalter ist gleichfalls ein che misches Zeitalter 75.
Die französische Revolution, Fichtes Wissenschaftslehre und Goethes Meister sind die größten Tendenzen des Zeitalters.
Liberal ist, wer von allen Seiten und nach allen Richtungen wie von selbst frei ist, und in seiner ganzen Menschheit wirkt 78.
Armer Schwärmer! das kann niemand, so lange er ein Mitglied der Gesellschaft ist, welche Fleiß und Nutzen von ihm fordert.
Fleiß und Nutzen sind die To desengel mit dem feurigen Schwerte, welche dem Menschen die Rückkehr in's Paradies ver wehren 79.
Ich hatte den besten Willen ihm nützlich zu werden, aber er ist der größte moralische Vagabund, der mir jemals vorgekommen ist. Er weiß nichts von Pflichten gegen Gott, den Staat und seine Mitbürger.
Aus dem Unterschied, den man zwischen Pflichten macht, entste hen die Fantome von Hingebung, Aufopferung, Großmuth, und was alles für moralisches Unheil 82.
Ich gebe mich selbst wie ein Kunstwerk, welches, im Freien ausgestellt, jedermann den Zutritt verstattet, und doch nur von denen genossen und verstanden wird, die Sinn und Studium mit bringen 83
Sehr wohl, junger Herr, diesen Sinn und Studium habe ich freilich nicht, und alles, was mir zu Ihrer Entschuldigung übrig bleibt, ist der menschenfreundliche Glaube, daß Sie verrückt sind.
Es wird mir immer klarer und fester, daß vollendete Narrheit und Dummheit im [201] Großen, das ei gentliche Vorrecht der Männer sei 84.
Mein Fürst, sagen und glauben Sie was Sie wollen. Es gibt unvermeidliche Lagen und Verhältnisse, die man nur dadurch liberal behandeln kann, daß man sie durch einen kühnen Act der Willkür verwan delt, und durchaus als Poesie be trachtet 85.
Junger Herr, ich schicke Sie einstweilen in's Tollhaus, und bitte Sie, dieses Tollhaus, Kraft Ihrer kühnen Willkür, als Poesie zu betrachten.
Das Leben des universellen Geistes ist eine un unterbrochene Kette innerer Re volutionen, alle Individuen, die ursprünglichen ewigen nämlich, leben in ihm. Er ist echter Poly theist und trägt den ganzen Olymp in sich 86. Ab.
Das ist also unsere heutige Bildung? Impertinente Anmaßung, hochtrabender Unsinn, und gänzliche Mutlosigkeit.
[202]Wenn diese Pest um sich greift, was soll aus der menschlichen Gesellschaft werden! – Weinen Sie nicht, Madame. Er verdient Ihr Mitleid, nicht Ihren Zorn. Ein paar Jahre im Tollhause werden ihn schon zur Vernunft bringen. – Zu Hans. Nun, mein lieber junger Freund, Sie sagen gar nichts zu dem Allen?
Ach nein, gnädigster Herr. Wenn ich Alles verstanden hätte, so würde ich vielleicht meinen Bruder zu vertheidigen wissen.
Sie stutzen? kann ich denn weniger für einen Mann thun, der mir diesen Morgen vielleicht das Leben gerettet hat?
Keinen Dank. Ich will das nicht. Es war längst mein Vorsatz, in Einem Ihrer Söhne die Verdienste seiner Vorfahren zu belohnen. Der Zufall im Wald macht mir diese Belohnung jetzt zur persönlichen Pflicht.
Gott! so warst du mir zum Versorger erkohren! du, an dem ich mich oft durch Geringschätzung versündigt habe!
Es geschieht nicht selten, Madam, daß Eltern den simpeln, aber nützlichen Menschen vernachlässigen, und [203] den Feuerkopf zum Liebling wählen, der Alles durcheinander wirft, aber nichts wieder in Ordnung stellt.
Gnädigster Herr – ich bin so bewegt – komm' her, Vetter – laß dich an mein Herz drücken! Auch ich habe dir abzubitten. Ja, du bist ein wackerer Mensch, und ein guter Oberforstmeister. Du verstehst Wälder anzupflanzen, die einst unsern Nachkommen Schatten und Wärme geben werden; jener Bube versteht nur Alles auszuwurzeln, was unsern Vorfahren und uns Schatten und Wärme gab.
Was? – doch wohl nicht diese Scene? – Was könnte einem Fürsten willkomm'ner sein, als das häusliche Glück seiner Unterthanen!
1 Karl trägt rund geschnittenes Haar, und seine Kleidung ist sehr nachlässig.
2 Lucinde pag. 182.
3 Fragmente pag. 63.
4 ibid. pag. 63.
5 ibid. pag. 73.
6 Fragmente pag. 125.
7 ibid. pag. 126.
8 ibid. pag. 63.
9 ibid. pag. 92.
10 ibid. pag. 92.
11 Fragmente pag. 15.
12 ibid. pag. 15.
13 Fragmente pag. 105.
14 ibid. pag. 7.
15 ibid pag. 5. seq.
16 Belle et bonne, man kennt den französischen Ausdruck, so viel wie derb.
17 Fragmente pag. 130.
18 Fragmente pag. 119.
19 ibid. pag. 56.
20 ibid. pag. 78.
21 ibid. pag. 79.
22 Lucinde pag. 115.
23 Lucinde pag. 71.
24 ibid pag. 76.
25 ibid. pag. 8.
26 ibid. pag. 9.
27 ibid pag. 10.
28 Lucinde pag. 20.
29 ibid pag 68.
30 ibid. pag. 17.
31 ibid. pag. 45.
32 ibid. pag. 105.
33 Lucinde pag. 107.
34 ibid pag. 69.
35 ibid. pag. 14.
36 ibid. pag. 101.
37 Lucinde pag. 120.
38 ibid. pag. 30.
39 ibid. pag. 116.
40 Fragmente pag. 10.
41 ibid. pag. 10.
42 ibid. pag. 25.
43 Lucinde pag. 142.
44 Fragmente pag. 11.
45 Fragmente pag. 11.
46 ibid. pag. 11.
47 Lucinde pag. 14.
48 Fragmente pag. 16.
49 Fragmente pag. 74.
50 ibid. pag. 35.
51 Lucinde pag. 40.
52 ibid. pag. 9.
53 ibid. pag. 77.
54 Lucinde pag. 116.
55 ibid. pag. 116.
56 ibid. pag. 116.
57 ibid. pag. 38.
58 Lucinde pag. 51.
59 Fragmente pag. 100.
60 Fragmente pag. 81.
61 ibid. pag. 17.
62 Lucinde pag. 113.
63 ibid. pag. 113.
64 Fragmente pag. 4.
65 Fragmente pag. 71.
66 Lucinde pag. 71.
67 Fragmente pag. 101.
68 Fragmente pag. 143.
69 ibid. pag. 20.
70 ibid. pag. 57.
71 ibid. pag. 118.
72 ibid. pag. 118.
73 ibid. pag. 118.
74 Fragmente pag. 134.
75 ibid. pag. 134.
76 ibid. pag. 46.
77 ibid. pag. 74.
78 Fragmente pag. 143.
79 Lucinde pag. 85.
80 ibid. pag. 77.
81 ibid. pag. 78.
82 Lucinde pag. 115.
83 ibid. pag. 96.
84 Lucinde pag. 96.
85 Fragmente pag. 139.
86 ibid pag. 146.