Der verwitterte St. Stephansturm 1
Turm, der du viele hundert Jahr'
Aufstrebtest stolz ins Reich der Lüfte,
Um dessen Haupt der Felsenaar
Wie um den Mast die Möwe schiffte,
Auch dich zerfraß der Zeiten Zahn.
Um dir noch Leben zu erzwingen,
Strich man dich Sterbenden noch an
Und band den Leib mit Eisenringen.
So hatte man Eid von Vivar,
Den greisen, noch aufs Roß gebunden,
Als er schon eine Leiche war,
Das Stahlkleid über alte Wunden.
So lagen Ringe schwer von Erz
Dem treuen Heinrich in der Sage
Ums alte, gramerfüllte Herz,
Auf daß aus ihm nicht brach die Klage.
Wo ist die Glocke, riesiggroß,
Die oft die Luft gesetzt in Wogen,
Guß aus des Christenfeinds Geschoß,
Das deinen Nacken nicht gebogen?
[82]Die Glocke rühren nimmer sie,
Sie ruhet hinter morschen Gittern;
Es möcht' die Donnermelodie
Zu sehr den alten Leib erschüttern.
Daß deinem Haupt ein Kreuz man bot,
Auf daß dein Wuchs noch höher reiche,
Das ist ein Strecken vor dem Tod,
Das ist das Wachstum einer Leiche.
Von Hagel, Sturm und Regenguß,
Von Blitz und Bomben oft getroffen,
Gesteinigt wie dein Stephanus,
Siehst wohl auch du den Himmel offen.
Was soll Scheinleben dir und Zwang?
Mein Turm! zerspreng die Eisenringe!
Einstürzend unterm Glockenklang
Ein Schwanenlied den Sternen singe!
Dann aus dem Schutte, Turmes Geist!
Flieg' eine Wolk' in Himmels Fernen,
Vom Felsenaare noch umkreist,
Mit ihm verschwindend unter Sternen!