[46] Hadesbilder

1.


Diese Bilder aus dem Hades,
Alle schwarz und schauerlich,
(Geister sind's, sehr niedern Grades,)
Haben selbst gebildet sich
Ohn' mein Zutun, mir zum Schrecken,
Einzig nur – aus Tintenflecken.

2.


[47]
Habe stets dabei gedacht,
Überall, wo's schwarz und Nacht,
Spuket die gespenst'ge Rasse,
Darum auch im Tintenfasse.
Die ihr schreibt, nehmt euch in acht!
Weil ich Klecksograph entdecket,
Daß im Tintenfaß oft stecket
Eines gift'gen Dämons Macht.

3.


Hier das Tintenfaß mit stummer Feder,
Wenn man's umdreht, sieht mit Staunen jeder:
Wie in einen Dämon tierisch kraß
Sich umwandelt oft das Tintenfaß.

4.


Vom Hades ist dies schwarze Blatt ein Bild,
Hier ist kein Sternenhimmel, kein Gefild,
[48]
Kein Menschenlaut ist hier, kein Vogelsang,
Hier rauscht kein Bach ein grünes Tal entlang,
Hier schweigt des Marktes lärmender Verkehr,
Hier, wo nur Schatten schweben stumm umher.
Der eine weiß vom andern hier kein Wort,
Er meint, er sei allein an diesem Ort,
Am Orte, wo sie Schlimmes einst vollbracht,
Hier schweben sie als Schatten durch die Nacht.
Ihr Schatten hier in schwarzer Einsamkeit
Macht euch zur Einkehr in euch selbst bereit!
Hier streift die Erdenschwere von euch ab,
Die euch das vor'ge irre Leben gab,
Die also schwer die Seele euch umfing,
Daß sie statt aufwärts – weh, nach unten ging!

[49] 5.


Dies ist Frau von Schnepper, ha!
Hocherstaunt nach ihrer Leiche,
Als sie sich im Mittelreiche,
Nicht im Himmelreiche sah.
»Einen Schnepper an meinem Kleid!«
Sprach sie sterbend noch zum Schneider;
Einzig wegen schöner Kleider
Hat der Sonntag sie erfreut.
Jetzt doch rief sie: »Hu der Nacht!
Als mein Leib mir wurde starrer,
Sprach doch zu mir der Herr Pfarrer:
›Bald Sie schaun des Himmels Pracht,
Schon ein Engel steht bereit,
Sie zu führn in Gottes Arme,‹
Und nun, daß sich Gott erbarme!
Und nun welche Einsamkeit!
Wo ist nun des Himmels Pracht,
Ist die Sonne, sind die Sterne?
Nur mein Kleid (noch seh' ich's gerne)
Blieb mir in des Hades Nacht –
Da ruft's fernher: ›In dich geh!
[50]
Nieder zog dich Erdenschwere,
Deine trübe Seele kläre,
Dann erst schwebet sie zur Höh'.
Hier in Nacht dir Licht erring,
Bis dir fällt vom Aug' die Schuppe,
Wiss'! erst in der Nacht der Puppe
Wird die Raup' zum Schmetterling.‹«

6.


Als ich heut klecksographieret,
Statt mit Tinte mit Kaffee,
Da kam schnell heranspazieret
Die Frau Rätin Salome.
Täglich ging die zur Visite
Einmal, wenn nicht zweimal gar,
Setzte sich auf Sofas Mitte,
Weil sie die Gelehrtste war.
Angestaunt von den Frau Basen,
War sie solchen allen gut,
Jene nur das Kochbuch lasen,
Sie doch die Frau Wildermuth.
Sterbend sprach sie: »Zur Visite
Muß ich, hebet mich zur Höh'!«
Doch der Tod kam, sprach: »Ich bitte
Sie zu mir heut zum Kaffee!«
[51]
Weh! nun sitzt schon viele Wochen
Sie in Hades' Einsamkeit,
Doch als sie Kaffee gerochen,
Hat sie herzlich das erfreut;
Sie ist gut, will oft zitieren
Sie, weil es ihr Freude schafft,
Gerne sie klecksographieren
Mit des Kaffees duft'gem Saft.
Aber als ich's wollt' probieren
Sogar mit Mokkakaffee,
Ließ sie nimmer sich verführen;
Deutlich ich daraus erseh',
Daß sie von der Erde Tand
Reuig sich zu Gott gewandt.

7.


Wer kommt so bleich herausgekrochen?
Ob der auch wohl den Kaffee roch?
Die Tinte, ha! hat er gerochen,
Die zieht ihn an im Hades noch.
Nur Akten waren seine Freude,
Sein einz'ger Freund der Schreibebock,
Die Geldkass' seine Augenweide,
Der Schreibfilz seiner Seele Rock.
[52]
»Ich sitze,« spricht er, »weh! ohn' Feder
In einem leeren Tintenfaß,
Weil einst ich einem Hochverräter
Ums Geld schrieb einen falschen Paß.
O wollet an den Finger streichen
Nur einen Tropfen Tinte mir!
Und sollt' der Tropfen mir nicht reichen,
Doch zwei, auch Federn und Papier.
Beweisen will ich Gott ganz gründlich
In schlagender Beschwerdeschrift,
Daß nach dem Strafgesetzbuch sündlich
Es ist, daß mich der Hades trifft.« –
»Zurück!« rief ich, »du, dessen Seele
Nichts als ein sand'ger Schreibfilz ist,
Ein wüster Filz, Nest all der Fehle,
Ob deren du im Hades bist!«
Da zog den Kopf zurück er schnelle,
Fuhr in sein leeres Tintenfaß,
Doch schien er mir dabei mehr helle,
Der Reue Zeichen ist mir das.

8.


Eine Geistin ist dieses, die im Leben einst ganz
Einzig gelebt hat für Spiel und für Tanz;
[53]
Sie hatte kein Herz, hat auch keins gekannt
Als das Herz auf der Karte, Coeur Aß benannt.
In den Spiel- – in den Tanzsaal, in den Betsaal doch nie
Trugen die luftigen Füße sie,
Nach dem Tode ein Luftgeist, in Lüften stumm,
Wirbelt sie ohne Tänzer herum,
Sie wirbelt im Regen, sie wirbelt im Schnee,
Oft hört man im Sturmwind sie rufen: »Weh! weh!«

9.


Dies Gespenst ist fürchterlich!
Mitternachts erhebt es sich
Aus des Herrn Baronen Gruft.
Dann, wenn's einen Bauern sieht,
Stürzt es auf ihn aus der Luft,
Hängt sich an sein Herz und zieht
Alles Blut aus solchem schier.
Dies Gespenst heißt man »Vampir«.
Ob das der Baron einst war,
Will und kann ich glauben nicht,
Das wär' gar zu arg fürwahr!
Fragt man, leis der Bauer spricht:
»'s war des Herrn Baron sein alter
Gülteintreiber und Verwalter.«

[54] 10.


Ha! schaut den bleifarb'gen Mann,
Der hat auf seiner Lebensbahn
Einst nichts gefühlt und nichts gedacht,
Als wie man falsche Münze macht.
In dem Gewölbe, wo er sann,
Kommt er als Nachtgespenst oft an,
Dann mischt sich des Gewölbes Luft
Mit Bleidampf und mit Leichenduft.
Stumm einen Mörser trägt er her
Und stoßt, als wenn was in ihm wär';
Der Mörser aber, der ist leer,
Denn jeder Stoß gibt einen Schall,
Hell wie die Sünderglöcklein all:
Bei jedem Stoße blickt er stumm
Und scheu in dem Gewölb' herum,
Dann schleppt er einen Sack herbei
Und zählt, dumpf tönt's wie Zinn und Blei.
[55]
So tönt es bis zum Hahnenschrei,
Und plötzlich dann in Schwefelluft
Zerfließet der bleifarbne Schuft,
Und bis zu seiner Wiederkehr
Ist's im Gewölbe stumm und leer.

11.


Diese Feuerruferin,
Ries'ger Schmetterling der Nacht,
Flieget, wenn kein Mensch mehr wacht,
Manchmal über die Dächer hin.
Dann sich rötet rings die Luft,
Als ob's brenne ungeheuer,
Und wie voll Verzweiflung ruft
Aus der Luft es: »Feuer! Feuer!«
Wer es hört, ruft's nach und rennt
Fort und ruft: »Wo brennt ein Haus?«
Doch die Röte losch schon aus,
Und ringsum es nirgends brennt.
Dann nach sieben Tagen sieht
Klar der Wächter auf dem Turm
Ein furchtbares Feuer, zieht
Alle Glocken an zum Sturm.
Glocken tönen auch vom Land,
Feuerspritzen rasseln her,
Doch der Wind weht allzusehr,
Und zehn Häuser frißt der Brand.
Wer die Feuerruferin
Einst im Erdenleben war,
[56]
Das ist jedem Landmann klar,
Und kein Glaskopf irre ihn!
Ha! sie war ein böses Weib,
Das erdrosselt ihren Mann,
Zu verbergen seinen Leib,
Zündete das Haus sie an.
Zornig wehte dann der Wind,
Immer mehrte sich die Glut,
Zehen Häuser fraß geschwind
Und sie mit des Feuers Wut.
Sieben Tag' doch, eh' ein Brand
Ruft zu Hilfe Stadt und Land,
Packt zu ihrer Buße dann
Plötzlich sie ein mächt'ger Wind,
Wirbelt mit ihr auf geschwind,
Daß den Brand sie sage an.
»Feuer!« sie gezwungen ruft
Und zerfließt in rauch'ge Luft.

12.


Aus des Burgverlieses Trümmer
Steiget in des Mondes Schimmer
Oft der Alte bleich herauf.
Schlimm war seines Lebens Lauf,
[57]
Wein trank er in vollen Zügen,
Weniger würde daran liegen,
Schlimmeres doch hat er gestiftet:
Denn in einem Kelch voll Punsch
Hat er seine Frau vergiftet,
Die nicht war nach seinem Wunsch.
Talwärts zieht es ihn nun immer,
Suchen will er jenes Haus,
Wo er einst bei einem Schmaus
Jene Greueltat vollbracht.
Sucht und sucht, doch findet's nimmer;
Denn bei Kaiser Konrads Schlacht
Fiel es schon in Asch' und Trümmer;
Doch er schwebt noch immerdar,
Schwebet schon viel hundert Jahr.
Oft durch meinen Garten schwebt er,
Dann den Kelch, den schwarzen, hebt er
Vor dem Kreuz am Schweizerhaus
Stöhnend in die Nacht hinaus.
Drauf vom Kreuzesbilde immer
Sinkt auf ihn ein heller Schimmer,
Und ich glaub', daß jetzt dem Armen
Reue kommt und bald Erbarmen.

13.


Gar eine Puppe, jenes Zwitterding
Zwischen der Raupe und dem Schmetterling,
Stieg aus dem Hades auf ganz flügellos.
»Zurück mit dir in Schattenreiches Schoß,
Bis Flügel dir gewachsen licht und groß!« –
»Die kommen nicht, ich ließ schon lang mich narren,
Nicht länger will ich in der Nacht mehr harren,
Ein Dummkopf ist, der spricht: ›Durch Nacht zum Licht!‹
Durch den Verstand zum Licht, nicht durch die Nacht!
So hat's mein lichter Kopf sich stets gedacht.«
[58]
Also die irre Seele zu mir spricht.
Ich aber sprach zu ihr: »Dein trotziges Gesicht
Schaut aus der Puppe noch, wie's ehmals war,
Und jene schwere Mütze, die sogar
Du noch im Hades nicht hast abgestreift,
Beweisen, daß zum Flug du nicht gereift,
Dein Kopf es ist, dein Stolz, dein Selbstbetrug,
Was dir noch lange hemmt den leichten Flug.«
So sprach zur Puppe ich, die eine Hand,
Unsichtbar mir, zurück zum Hades trug,
Daß sie abstreife dort ihr Erdgewand,
Den Kopf voll eigensinnigem Verstand,
Voll Eigenliebe und voll Selbstbetrug,
Dann erst die Seele fliegt im leichten Flug
Aus Nacht empor zum lichten Heimatland.

14.


Oft sieht die Geistin man im Mondenschein
Um Mitternacht an dem Waldbrunnen stehn,
Dort lehnt sie sich ans moos'ge Kreuz von Stein,
Als fühlt' sie unterm Herzen tiefe Wehn.
[59]
Bleich, blaß und stumm, wie nur der Mond kann sein,
Blickt erst sie in den Brunnen still hinein,
Dann wirft sie zitternd was in seinen Schacht
Und stürzt sich jählings nach in seine Nacht.
Dumpf aus der Tiefe dröhnt der schwere Fall,
Die Wasser rauschen auf am Brunnenstein,
Doch Todesstille wird es bald darauf,
In schwarze Wolken hüllt das Kreuz sich ein,
Und die Waldblume hört zu duften auf.

15.


Dies Bild von einem Hunnenkönig
Kam aus der Tinte heut heraus,
Gebetet hat der Alte wenig,
Jedoch verübt manch argen Graus;
Wer ihm nicht ganz war untertänig,
Dem stach er selbst die Augen aus.
Nun sitzt er in des Hades Schauer,
Bis seine Herrscherwut gestillt,
Aus seinen Augen ihm, o Schauer!
Ein ganzer Bach von Tränen quillt.
[60]
Im Mondenlicht, wann gehn Gespenster,
Sich malet oft von selbst ans Fenster
Der Schloßkapell' sein büßend Bild.

16.


Die Geistin hier in schwarzer Tracht
Schwebt aus der Burg jedwede Nacht,
Sobald tönt zwölf des Turmes Glocke;
Auf ihrem langen schwarzen Rocke
Sich bildet ein Gerippe dann,
Das Totengeripp' von ihrem Mann;
Wie Phosphor leuchtet's durch die Nacht,
Sie hat durch Gift ihn umgebracht.
Schwebt sie durch meines Gartens Hecke,
Ich morgens stets mit Schau'r entdecke,
Daß rings von meinen Blumen allen
Die Blätter liegen abgefallen.

[61] 17.


Auf einer Kanzel läßt sich nieder
Jedwede Nacht der schwarze Geist,
Leis betet er, dann lauter wieder,
Auch weint dabei er allermeist.
Wer der wohl ist, wer der wohl war?
Der Küster sagt zwar: ein Vikar.
Man nannte ihn: Hegelsmagister,
Doch schon vor zehen Jahren ist er,
Man sagt, nach Indien gereist,
Dort hab' ein Haifisch ihn gespeist.
Warum er nun als Geist hier laufet,
Das wird ein jeder glauben gern,
Er glaubte nicht an unsern Herrn
Und hat die Kinder doch getaufet,
Die Tauf' verlacht beim Wirt zum Stern.
Im Hades nun kam ihm die Reue,
Daß er will pred'gen nun aufs neue,
Will pred'gen, daß sein Glaub' nun sei
Von seinem vor'gen Glauben frei;
Schwarz kam er aus dem Tintenfaß,
Schwarz, schwarz er wohl im Hades saß,
Doch weil er in der Kirch' erscheint,
Dort pred'gen will und stille weint,
So hoff' und glaub' ich für ihn fest,
Daß Gottes Gnad' ihn nicht verläßt.

[62] 18.


Als ich klecksographiert im Mondenschein,
Kam dies Gespenst herauf als wie von Stein,
Doch hat's geöffnet seinen Mund. Mit Klagen
Hat's reuig seine Schuld mir vorgetragen.
Gottes Erbarmen ende seine Pein!
Doch zu entschlagen mich weitläuf'gen Fragen,
Hab' seine Pein, nicht seine Schuld allein,
In Wahrheit ich in Verse hier gebracht,
Die lest euch vor in stiller Mondennacht.
Sooft der Mond im vollen Licht
Um Mitternacht durch Wolken bricht,
So ruft ein Greis im Irrenhaus
Durchs Fenstergitter hohl heraus:
»Im Rhein, im Rhein, im tiefen Rhein,
Da lag ein schwarzer, blut'ger Stein.
O wenn im Rhein der Stein noch wär',
Oder im tiefen schwarzen Meer!
Er drücket Kopf und Herz mir ein,
O Stein! Stein! wandle mich zu Stein!«
Fragt man: »Was ist's mit diesem Stein?«
Heißt er den Frager stille sein.
So rief er jahrelang, nie müd;
Doch als er einst blieb unbewacht,
Er sich den bleichen Hals durchschnitt
[63]
In einer hellen Mondennacht.
Bei Bingen in dem tiefen Rhein
Hört man seitdem im Mondenschein
Dieselbe Stimme in der Luft.
In Tönen der Verzweiflung ruft
Die Stimme: »Stein! o wärst du noch
Tief, tief im schwarzen Binger Loch!
Verruchter Stein! Mit dir, mit dir
Schlug ich einst tot den Kaufherrn hier!
Dich drauf an seinen Hals ich hing
Und warf ihn in des Strudels Ring,
Daß er im blut'gen Gischt verschwand.
Drauf wollt' ich rennen ins fernste Land,
Da stob aus dem Strudel ein Wirbelwind,
Der hob mich über den Strudel geschwind,
Drehend mich ob ihm in Wirbeln, ach!
Schrecklicher noch! Aus der nassen Gruft
Wirbelt des Toten Gespenst mir nach,
Hielt in der blut'gen Hand den Stein,
Drückt, mit mir wirbelnd in der Luft,
Ihn mir ins zitternde Herz hinein.
Wie war mir der Stein im Leben so schwer,
Wie ist er's mir im Tode noch mehr,
Ihr alle, die ihr noch wachet am Rhein,
Bittet zu Gott um die Seele mein!«
Und wenn es so bei Bingen ruft,
Sieht man vom Rufer keine Spur,
Schifft nur der Mond still durch die Luft
Und kreist ein schwarzer Vogel nur
Um des Erschlagnen nasse Gruft.

[66] Nutzanwendung

Dies war aus alter Zeit ein Weib,
Doch jetzt noch gibt es Frauen,
Frauen, die emsig ihren Leib,
Doch faul den Geist bebauen.
Wie werdet, Eitle, ihr einmal
Nach dem Tod aus Spiegeln blicken!
In des aufgeblasenen Rocks Skandal,
Den Putzhut in dem Rücken.
Um euren Arm den Firlefanz
Von Spitzen, – Gott, welch Schauer!
Beginnet ihr den Totentanz
So um die Kirchhofmauer.
Die Männer, die in gleichem Wahn
Mit euch, ihr Eitlen, stecken,
Mittanzen als Gerippe dann
In ihren läpp'schen Fräcken,
Angströhren, daß sich Gott erbarm'!
Auf ihren Köpfen tragend,
Oder Klapphüte unterm Arm,
Komplimentenräder schlagend.
Stellt euch einmal die Engel vor
In Hüten lächerlich putzig,
Wie jetzt sie sind bei euch im Flor,
Im Nacken sitzend stutzig.
Seht sie in des Ballonrocks Schmach,
Wie euch, o Schauer! wallen,
Gewiß, ihr würdet sagen: ach!
Wie tief sind die gefallen!
Ihr Fraun, die ihr die Eitelkeit
Durch Demut überwunden,
Euer Kopfputz sei ein Tüchlein breit,
Um die blanke Stirn gebunden.
Umhüllen möge euren Leib
Ein weißes Kleid von Linnen,
Das könnt ihr selbst zum Zeitvertreib
Euch mit den Töchtern spinnen.
Die Seele bleibt, auf diese baut,
Ihr Fraun, der Leib ist flüchtig;
Doch mancher, ach! ist ihre Haut
Mehr als die Seele wichtig.
Die Seele, noch so schön umhüllt,
[67]
Ist's eine wüste Seele,
Die blicket einst als Schreckensbild
Aus dem Spiegel ohne Fehle.
Ihr aber, deren Seele licht,
Demüt'ge, fromme Frauen!
Ihr werdet nach dem Tode nicht
Aus ird'schen Spiegeln schauen.
Ihr schwebet aus der Erde Nacht
Empor zur Himmelsklarheit,
Schaut, was ihr hier geglaubt, gedacht,
Im Spiegel ew'ger Wahrheit.

20.


Einst waren zwei Kameraden,
Die schwuren einen Eid,
Daß jeder auf sich wollt' laden
Des andern Freud' und Leid.
Es war ein Krieg in Sachsen,
Hin zogen sie voll Mut,
Sangen. »Juheh! verwachsen
Sind wir mit Leib und Blut!«
Raketen und Bomben fliegen,
Zerreißen des einen Bein,
[68]
Der andre ließ ihn liegen,
Floh über Stock und Stein.
Doch war's ihm immer bänger,
»Eid!« rief er, »böser Traum!«
Er konnt' nicht leben länger,
Hing sich an einen Baum.
Das war, als an der Wunde,
Der starb im Lazarett,
Und seit derselben Stunde
Der andre doppelt geht.
Er geht als wie verwachsen
Mit des Kameraden Leib,
Auf dem Schlachtfeld nachts in Sachsen
Er so umher sich treibt!
Er stieg heut aus dem Fasse
Der Tinte reuig auf,
Ich hoff', daß Gott erlasse
Ihm bald den bangen Lauf.

21.


Seht ihr dort den alten Bau von Stein,
Totenstille ist's in ihm und leer,
Die Gemächer sind gerissen ein,
[69]
Und die Eulen flattern drin umher.
Einer einst bewohnte dieses Haus,
Um ihn lebend schon des Hades Nacht,
Hier kein Freund ging freudig ein und aus,
Hier ward nie geweint und nie gelacht.
Hier schloß Liebe niemals einen Bund,
Hier war keine Mutter, war kein Kind,
Nur ein mürr'scher Diener und ein Hund
Waren hier des Herren Hausgesind'.
Wer der war, will ich sagen euch:
Ha! ein Wuchrer, sein sich Gott erbarm'!
In der Eisentruh' an Golde reich,
In dem Herzen doch an Liebe arm.
Kam ein Bettler, klopfend an das Haus,
Goß sich oft auf ihn ein Tintenfaß,
Oder stürzte wild der Hund heraus,
Daß der Arme fortfloh leichenblaß.
Mancher trug noch seine letzte Kraft,
Hoffend Zinse, in dies finstre Haus,
Doch was froh nach oben ward gebracht,
Kam nach unten nimmerfroh heraus.
Fest im Lehnstuhl saß er wie im Bann,
Bleich, einäugig, zählend, wägend Gold,
Horchte man, selbst in der Nacht hat's dann
Oft getönt, wie wenn man Taler rollt.
Als er so einst oben saß allein,
Rechnend noch in mitternächt'ger Stund',
Trat zur Türe ein Gerippe ein,
Legt die Hand ihm kalt auf Herz und Mund.
Schreien wollt' er, konnt' es nimmermehr,
's war der Tod – doch schreiben noch mit Not:
»Hab' versteckt was in« – schrieb zitternd er
Und sank drauf in seinen Lehnstuhl tot.
Offen blickt sein Auge, hat geblickt,
Als wenn's hier noch wollte suchen was,
Niemand hat es liebend zugedrückt,
Und so morgens noch im Stuhl er saß.
Niemand gab zum Grab ihm das Geleit,
Nur der mürr'sche Diener und der Hund;
Wer es sah, dem kam kein Herzeleid,
Kalt sie senkten ihn in Grabesgrund.
All sein Gut nahm das Gericht zur Hand,
Ließ auch suchen, ob was sei versteckt,
[70]
Denn von einem großen Diamant
Sprach man laut, doch wurde nichts entdeckt.
Niemand wollt' bewohnen dieses Haus,
Drum zu einer Scheuer ward's gemacht,
Und der Lehnstuhl wurde als ein Graus,
Wo er noch steht, unters Dach gebracht.
Oft bei Tag ein Kater auf ihm sitzt,
Schwarz, einäugig und unheimlich ganz,
Hell aus seinem einzlen Aug' es blitzt,
Als wär's aus dem Stuhl ein Demantglanz.
Doch wenn nachts ums Haus die Eule kreist,
Hört man Silberklänge wohlbekannt,
In dem Lehnstuhl sitzt des Wuchrers Geist
Mit dem Diamant in ihn gebannt.

22.


Auch mein Bild kam aus dem schwarzen Tintenfaß.
Als ich es sah, da wurde ich leichenblaß.
[71]
Aus dem Kopfe kommen schwarze Dünste,
Der Arznei – und Dichtkunst schlechte Künste,
Meines ganzen eitlen Lebens Dunst,
Scham, daß ich unwert so vieler Gunst.
Schaut den alten Leib, der ein Gerippe,
Während ich am Lebensbaum noch nippe,
An den Füßen schaut die Erdenschwere,
O! wenn die noch abzustreifen wäre!
Ich vermag es nicht, und ihre Macht
Zieht mich nieder in des Hades Nacht.

23.


Menschenhand hat nicht dies Bild gemacht,
Gleich den andern kam's durch eigne Macht
Ungeahnet aus der Tinte Nacht.
Es erblickend hab' ich still gedacht:
[72]
Als der Herr sein Werk hier hat vollbracht,
Fuhr er nieder in der Schatten Reich,
Hat auch diesen noch sein Wort gebracht.
Ihr unsel'ge Geister, geht in euch!
In der Nacht hier stellt das vor'ge Leben
Licht nun auf den schwarzen, leeren Grund,
Dann fühlt Reue: denn o welchen Fund
Werdet schauen ihr voll Schmerz und Schauer,
Um Erlösung flehn in tiefer Trauer.
Der am Kreuz dem Schächer einst vergeben,
Als er gläubig sich zu ihm gewandt,
Der wird dann mit liebevoller Hand
Aus der Nacht auch euch zum Lichte heben.

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