Fünfter Akt
Anderthalb Jahre später. Die neue Kirche steht vollständig fertig und zur Einweihung geschmückt. Der Bach rinnt dicht vorbei. Es ist früher
nebliger Morgen.
Der Küster ist dabei, vor der Kirche Kränze aufzuhängen; bald darauf kommt der Schulmeister hinzu.
DER SCHULMEISTER.
Schau', schau', schon auf?
DER KÜSTER.
Tut not genug!
Helft mit! Hier zwischen diese Stangen
Soll Laub als Gasse für den Zug.
DER SCHULMEISTER.
Beim Pfarrhaus wird was aufgehangen, –
Das schließt mit einem runden Rahmen –
DER KÜSTER.
Ei wohl, ei wohl!
DER SCHULMEISTER.
Zu welchem End'?
DER KÜSTER.
Ein Ehrenschild, wie man es nennt,
Soll da hinein, mit seinem Namen.
DER SCHULMEISTER.
Ja, heut wird's bunt in der Gemeine!
Sie kommen aus dem ganzen Kreis;
Von Segeln ist der Fjord schier weiß.
DER KÜSTER.
Ja, jetzt sprang alles auf die Beine;
Zu seines sel'gen Vorfahrs Zeit
War Fried' und Eintracht weit und breit;
Da schlief man selbst, da schlief der Nachbar; –
Ich weiß nicht, was da mehr mitmachbar.
DER SCHULMEISTER.
Das Leben, Freund, das Leben!
DER KÜSTER.
Gut!
Doch uns versehrt es nicht das Blut;
Wie kommt das wohl?
DER SCHULMEISTER.
Weil ich und Ihr
Uns plagten, bis der Nachbar schlief; –
Nun, da er wach ward, schlafen wir; –
Denn niemand wünscht uns mehr aktiv.
DER KÜSTER.
Doch leben hätte mehr Verstand?
[364]DER SCHULMEISTER.
So sagt Herr Propst und Pfarrer Brand;
Ich selber sage ganz das gleiche, –
Doch, wohl zu merken, damit reiche
Ich nur der großen Zahl die Hand.
Uns aber gilt ein Hirtenbrief,
Der nicht wie Sonn' und Mond zu sehen; –
Die wir hier als Beamte schalten,
Wir müssen stramm dawider halten,
Ein Hort der Kirchenzucht und Wissenschaft sein,
Zur Leidenschaft stets zu gewissenhaft sein,
Kurz, über den Parteien stehen.
DER KÜSTER.
Jedoch der Pfarrer steht nicht drüber.
DER SCHULMEISTER.
Das ist just eben, was er sollte.
Wißt, seine Vorgesetzten sind
Zu seinem Tun durchaus nicht blind;
Und wenn ihn nicht das Volk so wollte, –
Längst hätt' er seinen Abschiedsstüber.
Doch er ist fein, er riecht den Pfeffer,
Er kennt die Welt und seine Treffer.
Er baut die Kirche. Jeder Zahn wird
Hier stumpf, sobald nur was getan wird.
Was da getan wird, wenig wiegt es;
Daß was getan wird, – seht, da liegt es!
Wir heißen sicher einmal Spätern
Ein einziges Geschlecht von Tätern.
DER KÜSTER.
Ja, Ihr, die Ihr im Reichstag wart,
Ihr kennt das Volk und seine Art.
Doch einer, der durchs Kirchspiel reiste,
Just als es wach ward, kurzum, preiste,
Wir wär'n aus Schläfern, hier im Norden,
Ein Volk nun von – Gelobern worden.
DER SCHULMEISTER.
Ja, das Geloben liebt's und übt's,
Dies Volk, ein Volk, gelobend baß,
Ein Volk, so rasch entwickelt, daß
Bald Jeder Dolmetsch des Gelübd's.
[365]DER KÜSTER.
Um Euch studierten Mann zu fragen, –
Was ist – mein Grübeln zu belehren –
Ein Volksgelübde, sozusagen?
DER SCHULMEISTER.
Ein Volksgelübd'? Schwer zu erklären,
Wie leicht, als seiend zu bescheinigen.
Das ist was, drin sich alle einigen
Kraft einer einigen Idee;
Das Volk will, daß ein Werk gescheh' –
In seiner Zukunft notabene.
DER KÜSTER.
So; schön; das leuchtet mir nun ein;
Hingegen ist mir noch nicht klar –
Ich meine, – ja, – um welches Jahr –
DER SCHULMEISTER.
Sprecht ruhig aus!
DER KÜSTER.
Wann bricht nun jene
Zeit, die man Zukunft nennt, herein?
DER SCHULMEISTER.
Die Zeit kommt niemals!
DER KÜSTER.
Niemals?
DER SCHULMEISTER.
Nein!
Und das ist ganz in seiner Art;
Denn kommt sie, ist sie Gegenwart
Geworden, – ist nicht Zukunft mehr.
DER KÜSTER.
Hm, das begreift sich nicht zu schwer;
Nur darin fehlt mir noch die Klarheit: –
Wann wird dann solch ein Volksschwur Wahrheit?
DER SCHULMEISTER.
Ich hab' Euch doch gesagt: solch Schwur
Bezieht sich auf die Zukunft nur;
Nun also: in der Zukunft!
DER KÜSTER.
Ja, –
Doch sagt, wann ist die Zukunft da?
DER SCHULMEISTER
leise.
Das ist ein Küster!
Laut.
Liebster Mann,
Soll ich's aufackern wiederum, –
[366] Daß Zukunft niemals da sein kann;
Denn wenn sie da ist, ist sie um!
DER KÜSTER.
Hm!
DER SCHULMEISTER.
Hinter jedes Dings Begriff
Verbirgt sich eine Art von Kniff.
Jedoch es ist kein Kniff dabei,
Das heißt, für männiglich, – so sei
Bemerkt, – so weiter zählt als drei.
Gelübde heißt im Grund Gelüge,
Sei gleich, wer's ablegt, völlig ehrlich;
Bislang galt Halten für beschwerlich, –
Doch mag's dreist gelten für undenkbar, –
Sofern man ist von Logik lenkbar.
Doch lassen wir die hohen Flüge.
Hört, sagt mir –?
DER KÜSTER.
Pst!
DER SCHULMEISTER.
Was ist das?
DER KÜSTER.
Still!
DER SCHULMEISTER.
Es spielt, wie mich bedünken will,
Wer auf der Orgel.
DER KÜSTER.
Das ist er.
DER SCHULMEISTER.
Der Pfarrer?
DER KÜSTER.
Freilich.
DER SCHULMEISTER.
Hol' mich der –!
Was den so früh schon hergeführt hat!
DER KÜSTER.
Ich glaube kaum, daß er die Nacht
Sein geistlich Bett auch nur berührt hat.
DER SCHULMEISTER.
So!
DER KÜSTER.
Ja, das geht noch schlimm, gebt acht!
Man merkt, wie's heimlich an ihm frißt,
Seitdem er nun verwitwet ist.
Wohl wahr; er sagt Euch nie ein Wort!
Doch bricht's hervor, bald hier, bald dort.
Da spielt er. Hört nur, hört! Man meint,
Daß er um Frau und Söhnchen weint.
DER SCHULMEISTER.
Schier daß man Stimmen unterscheidet –
[367]DER KÜSTER.
Und eine tröstet, eine leidet –
DER SCHULMEISTER.
Ging's an, ich würde gleich gerührt!
DER KÜSTER.
Ja, wenn man nicht Beamter wär'!
DER SCHULMEISTER.
Und eingezwängt und eingeschnürt
Von Rücksicht auf die Standesehr'!
DER KÜSTER.
Ja, bliese gleich des Satans Nüster
Auf all den Bücherlug und -trug!
DER SCHULMEISTER.
Und wär' man nicht so suppenklug;
Und dürft' man einmal fühlen, Küster!
DER KÜSTER.
Freund, niemand sieht uns, – laßt uns fühlen!
DER SCHULMEISTER.
Das schickte sich, so in der Sphäre
Des Volkes sich herumzusühlen!
Ein Mann such', nach des Pfarrers Lehre,
Niemals in Zweiem seine Ehre;
Selbet wer da will, kann nicht auf ein
Mal Mensch und Staatsbeamter sein;
Man mag sich nur in allen Stücken
Das Bild des Vogts vor Augen rücken.
DER KÜSTER.
Just seins?
DER SCHULMEISTER.
Nun, nehmt zum Gegenstand
In der Vogtei die Unglücksnacht, – und
Wie das Archiv herausgebracht und
Gerettet ward!
DER KÜSTER.
Das war ein Brand!
DER SCHULMEISTER.
Wie da der Mann zu helfen strebte!
Es war, als ob er zehnfach lebte!
Der Teufel aber stand im Zimmer;
Sein Weib – ihn sehn! und ein Gewimmer –:
»Dein Seelenheil! Dein ewig Teil!
Der Schwarze will Dir an den Kragen!«
Da ruft der Vogt, beherzt wie immer:
[368] Mein Heil? Zur Höll' mit meinem Heil!
Helft mir bloß das Archiv wegtragen!
Der Mann ist Vogt, seht, ganz und gar,
Mit Leib und Leben, Haut und Haar,
Und wird auch einst dahin gelangen,
Wo Lob und Lohn ihn laut empfangen.
DER KÜSTER.
Und das ist wo?
DER SCHULMEISTER.
Gegebnerweis':
In guter Vögte Paradeis.
DER KÜSTER.
Mein kluger Freund!
DER SCHULMEISTER.
Was gibt's?
DER KÜSTER.
Es tagt
Da hinter allem, was Ihr sagt,
Von Zeichen, daß die Zeit in Gärung;
Denn Gärung ist hier, ganz gewiß;
Das kündet schon der große Riß,
Den's zwischen Alt- und Neuem gab.
DER SCHULMEISTER.
Was schimmelt, muß hinab ins Grab,
Was fault, dient Frischem zur Ernährung; –
Die Brust der Zeit höhlt Schwindsuchtsfieber;
Und hustet sich der Hals nicht Luft, –
Dann nur gleich alles in die Gruft!
Ja, Gärung, Gärung ist hier, Lieber;
Das schmeckt der schlechtste Karrenschieber.
Als unser altes Kirchlein sank,
Da war's, als würd' nun alles schwank,
Drin unser Leben bis zur Stund'
Sein Heim gehabt und seinen Grund.
DER KÜSTER.
Da fiel ein Schweigen auf die Menge.
Erst hatte sie: Reißt ein! geschrien,
Doch hielt das Schrei'n nicht auf die Länge,
Und manchem wurd' doch schwül und schien
Doch der Verlust schier unersetzlich.
Man sah: nun war's mit all dem aus;
Und plötzlich klang's, das alte Haus
Wär' eigentlich doch unverletzlich.
[369]DER SCHULMEISTER.
Doch fühlte sie so lang' sich noch
In des vergangnen Geistes Joch,
Als nicht das Schloß der neuen Zeit
Nach Fug und Recht war eingeweiht,
Und merkte drum mit Angst und Harren
Auf jeden frischgefügten Sparren
Und sah gespannt dem Tag entgegen,
Der alter Fahnen Niederlegen
Und neuer Fahnen Hissen fände.
Allein schon wie der Turm anstieg,
Wurd' bang und bänger man – und schwieg;
Und jetzt – ja, jetzt stehn wir am Ende.
DER KÜSTER
zeigt nach der Seite hinaus.
Seht nur die Masse! Weit und breit ist
Herbeigeströmt.
DER SCHULMEISTER.
Zu Tausenden!
Wie still es ist!
DER KÜSTER.
Und doch: wie wenn
Das Meer vor einem Sturm dumpf dröhnt!
DER SCHULMEISTER.
Das ist des Volkes Herz, das stöhnt, –
Ein Herz, das nun wohl bald so weit ist,
Zu würdigen, wie groß die Zeit ist.
Ist's nicht, als ob zum Thing sie führen,
Sich einen neuen Gott zu küren!
Wo blieb der Pfarrer? Mir ist kraus;
Ich wollt', ich säß' versteckt zu Haus!
DER KÜSTER.
Ich auch, ich auch!
DER SCHULMEISTER.
In solcher Stund'
Erpeilt man nicht den eignen Grund;
Tief geht's und immer tiefer nieder;
Man sinkt, man sträubt sich, sinket wieder –
DER KÜSTER.
Freund!
DER SCHULMEISTER.
Bruder!
DER KÜSTER.
Hm.
DER SCHULMEISTER.
Nun –?
[370]DER KÜSTER.
's ist vergeblich –!
Ich glaub', jetzt fühlen wir buchstäblich!
DER SCHULMEISTER.
Was? Ich nicht!
DER KÜSTER.
Mit Verlaub, auch ich nicht!
Ein Zeugnis fällt uns sicherlich nicht!
DER SCHULMEISTER.
He, sind wir Weiber, so zu kohlen?!
Die Schule wartet. Gott befohlen!
Ab.
DER KÜSTER.
Jetzt bin ich wieder kühl im Kopf
Und zugeschraubt wie'n Eisentopf.
Was träumt' ich da, ich Narr, ich blöder!
Fort an die Arbeit, dummer Tropf!
Müßiggang ist des Teufels Köder.
Nach der andern Seite ab.
Die Orgel, welche während des Vorhergehenden gedämpft geklungen hat, erbraust mit einem Male mächtig und endet mit einem schneidenden Mißlaut. Bald darauf tritt Brand aus der Kirche.
BRAND.
Nein! die Orgel will nicht klingen,
Läßt sich nicht zum Sprechen zwingen,
Jeder Laut wird Qual und Pein;
Bogen, Wölbung, Wände legen,
Stemmen starr sich mir entgegen,
Hammern hölzern alles nieder,
Klemmen, klammern meine Lieder,
Wie ein Sarg sein Opfer, ein.
Welche Stimmen ich auch lockte,
Sich das Werk nur mehr verstockte.
Laut auf sang ich mein Gebet,
Doch zerbrach's am Deckenpfosten,
Wie von Glocken, alt und rosten,
Dumpf, hohlbrüstig Stöhnen geht.
Und mir war's, Gott selber stand
Auf dem hohen Chor anklagend,
Mit ergrimmter Richterhand
Mein Gebet zu Boden schlagend.
Groß gebaut werd' Gottes Haus,
Schwor ich einst, erregten Blutes;
[371] Fällte, rodete, riß aus,
Allzu selbstgewissen Mutes.
Heute reut mich fast des Baus.
Alle ziehn die Häupter bloß,
Jeder schreit: Wie groß! Wie groß!
Ob man's besser dort verstehn kann,
Als ich hier, der ich's nicht sehn kann?
Ist sie groß? Sind diese Wände,
Was ich war zu baun gewillt?
Hat dies Holz der Sehnsucht Brände,
Die nach ihm gelechzt, gestillt?
Gleicht dies Haus dem Tempelbild,
Das mein Geist sich hehr erhöhte, –
Jenem Weltdom aller Nöte? –
Hm, wär' Agnes noch am Leben,
Wär's nicht so. Im kleinsten Kleinen
Sah sie noch des Großen Flamme,
Mochte meine Zweifel heben,
Erd' und Himmelszelt vereinen
Wie ein Laubdach überm Stamme.
Bemerkt die Anstalten zum Fest.
Kränze, Fahnen überall;
Aus der Schule Liederschall;
Alle sind auf mich erpicht;
Vor dem Pfarrhaus staut sich's brausend, –
Prahlt mein Nam' in Gold dort nicht?
Gott, gib Kraft, – sonst stürz' mich tausend
Klafter unters Tageslicht!
Bald nun schlägt des Festes Stunde;
Ich bin jetzt in aller Munde,
Und in aller Herzen ich nur!
Was sie denken, o, ich weiß es;
Ah, wie ihr begeistrungsheißes
Loblied, das auf mich nur lauert,
Mir das Herz wie Frost durchschauert!
Könnt' man sich, o könnt' man sich nun
In des tiefsten Dickichts Hecken
Wie ein wildes Tier verstecken!
[372]DER VOGT
kommt in voller Uniform und grüßt, vor Freude strahlend.
Da brach der große Tag herein,
Der Sabbath nach dem Wochenlauf,
Jetzt holen wir die Segel ein
Und ziehn den Sonntagswimpel auf
Und gehn vorm Strome, sanft und sacht,
Und sehn, wie alles gut gemacht.
Viel Glück, Sie edler, großer Mann,
An dem das Land sich freuen kann!
Viel Glück! Ich fühl' mich ganz gerührt
Und doch auch wieder schrecklich froh!
BRAND.
Mir ist der Hals wie zugeschnürt.
DER VOGT.
Ei, Bester, das ist bald gewichen!
Nur immer tüchtig losposaunet,
Und 's Maß dem Volk recht voll gestrichen!
Die Resonanz ist hier ja so,
Daß jeder, den ich fragte, staunet,
Baß staunet –
BRAND.
So?
DER VOGT.
Der Propst sogar
Erfand sie jedes Tadels bar.
Und welch ein Stil voll Harmonie!
Und in den Formen ausnahmslos
Welch großer Zug –
BRAND.
Das merkten Sie?
DER VOGT.
Was merkt' ich?
BRAND.
Daß ihr Anschein groß?
DER VOGT.
Nicht bloß ihr Anschein, – daß sie's ist,
Von welchem Punkt man sie auch mißt.
BRAND.
Sie ist es? Schmeicheln Sie nicht bloß –?
DER VOGT.
Zum Donnerwetter ist sie groß, –
Zu groß für unsern Nordlandsort!
In andern Ländern, wo man's kann,
Da legt man höhern Maßstab an,
Doch hier, wo – zwischen Wellen dort
Und Bergen da – des Spatens Stoß
[373] Auf Fels nur klirret, kläglich Los,
Hier ist sie groß, mein heilig Wort!
BRAND.
Ja, ja, so ward die alte Lüge
Durch eine neue nur ersetzt.
DER VOGT.
Was nun?
BRAND.
So fühlt das Volk sich jetzt,
Statt durch der Vorzeit morsch Gefüge,
Durch ein modern Getürm ergetzt.
Einst scholl's im Chorus: Wie ehrwürdig!
Jetzt brüllt der Chorus: Schaut, wie groß, –
Welch Prunkstück fiel uns in den Schoß!
DER VOGT.
Mein lieber Freund, ich sag' nur dies:
Wer sie noch größer wollt', wär' würdig,
Daß man's als Hochmut ihm verwies'.
BRAND.
Doch jedem werde reiner Wein:
Die Kirch', wie sie hier steht, ist klein; –
Das einem hehlen, hieße lügen.
DER VOGT.
So seines Lohns sich zu betrügen!
Potz Grillen! Tut man das in Acht,
Was man mühselig selbst gemacht?
Der schlichte Mann ist so zufrieden;
Mit offnem Munde steht er da,
Weil er noch nie dergleichen sah; –
So bleib' ihm doch sein Glück beschieden!
Warum den armen Teufel wecken
Und ihm durchaus ein Licht aufstecken,
An dessen Schein ihm gar nichts liegt?
Nein, was sein Glaube sagt, das wiegt.
Das kommt im Grund auf eins hinaus,
Ob Gotteshaus, ob Hundehaus, –
Genug, wenn Seel' für Seele bloß
Des Glaubens lebt: Das Haus ist groß.
BRAND.
Allüberall die gleiche Lehre!
DER VOGT.
Zudem sind an dem heutigen Feste
All diese Seelen unsre Gäste,
Wobei's höchst ungebührlich wäre,
Bespeisten wir sie nicht aufs beste.
Ja, Ihrethalben selbst, des weitern,
[374] Wär's widersinnig, ließe man
Die Beule jener Wahrheit eitern.
BRAND.
Was heißt das?
DER VOGT.
Hören Sie mich an.
Erst wird von unserm Vorstand Ihnen
Ein silberner Pokal verehrt;
Zerstör'n Sie nun der Kirche Wert,
So wird die Inschrift harlekinen;
Sodann das Festlied, das gedichtet,
Die Rede, die ich halten wollte,
Sie wären beide gleich gerichtet,
Wenn dieser Bau nicht groß sein sollte.
Sie sehn, Sie müssen sich wohl fügen.
Die Ohren steif, es wird schon gehen!
BRAND.
Ich seh' nur, was ich oft gesehen, –
Ein Lügnerfest zum Preis von Lügen.
DER VOGT.
Davor bewahr' der Himmel jeden; –
Was führen Sie denn da für Reden!
Doch die Geschmacksfrag' hab' ein End';
Ich habe noch ein Argument; –
War jenes Silber, dies ist Gold;
Denn, wie Sie nun einmal ein Schnitter
Im Weingeländ' des Glücks sind, rollt
Auch diesmal – – kurz: – Sie werden Ritter!
Sie soll'n noch heut als Ordensmann
Das Kreuz auf Ihre Rockbrust steppen.
BRAND.
Ich hab' ein schwerer Kreuz zu schleppen;
Nehm' das von mir, wer mag und kann.
DER VOGT.
Was nun? Sie freun sich wohl im stillen?
Rührt Sie denn nicht dies Gnadenzeichen?
Sie sind ein Rätsel ohnegleichen!
Bedenken Sie, um Gottes willen –
BRAND
stampft auf.
All dies Geschwätz ist eitler Kram;
Ich geh' davon, so klug ich kam.
Sie haben nichts von dem entdeckt,
Was hinter meinen Worten steckt.
[375] Die Größe schafft mir wenig Gram,
Die Euch nach Fuß und Zoll bezahlt wird, –
Was unsichtbar zurückgestrahlt wird,
Uns kalt durchschaudert, heiß durchzittert,
Mit jedem hohen Traum umwittert,
Wie nächt'ger Sternenglanz durchglüht, –
Das, das –! Ah, gehn Sie! Ich bin müd';
Und lehr'n und tun Sie, was Sie wollen –
Geht nach der Kirche hinauf.
DER VOGT
vor sich hin.
Wer rettet sich aus diesem tollen
Gewirr? Was sagst du, lieb Gemüt,
Zu Größe, die zurückgestrahlt wird,
Die nicht nach Fuß und Zoll bezahlt wird?
Und nächtiger Sternglanz? – Faule Fische!
Er kam doch nicht vom Frühstückstische?
Ab.
BRAND
kommt den Platz herab.
So einsam hab' ich nie gestanden
Im wildesten Gebirg wie hier; –
So läßt man jede Frage mir
Im seichtesten Gewäsch versanden.
Blickt nach der Richtung, in der der Vogt verschwunden ist.
Zudrosseln möcht' ich ihm die Kehle!
So oft ich seinen dumpfen Sinn
Emporziehn will, Narr, der ich bin,
Speit er mir seine stinkende Seele
Frech mitten vor die Augen hin.
O Agnes, warum bliebst Du nicht!
Wie mir dies Spiel die Kraft zerbricht,
Wo Flüchtling keiner, keiner Sieger –.
Ja, fruchtlos kämpft ein einsamer Krieger.
DER PROPST
tritt auf.
Omeine Kinder, meine Lämm –!
Ich wollte sagen – Amtskollege!
Verzeihung! Doch das Fest – hem, hem –
Die Predigt – ist in einem rege.
Ich bracht' sie gestern schon zu Kopf,
[376] Doch steckt sie mir noch frisch im Kropf.
Doch nun vor allem meinen Dank!
Sie brachen hier mit männlichem
Vertraun sich Bahn durch Rank und Zank,
Sie wagten Altes zu zerschellen,
Um Würdigeres hinzustellen.
BRAND.
Da fehlt noch viel.
DER PROPST.
Das sollte doch –!
Ich dächte – nur die Weihe noch?
BRAND.
Was frommt ein Neubau, fehlt darin
Der neue Geist, der reine Sinn!
DER PROPST.
Das kommt, mein Freund, ganz nebenbei.
Der Decke saubre Schnitzerei,
Der helle Raum, – ei, das erzieht,
Daß auch das Volk mehr auf sich sieht.
Und gar die schöne Resonanz,
Die jedes Wort zu zweien macht,
Was meinen Sie! verhundertfacht
In jeder Brust des Glaubens Glanz.
Wir stehn hier, traun, vor Resultaten,
Wie sie sogar in großen Staaten
Nicht besser zu erzielen wären.
Und all das spricht zu Ihren Ehren.
Umschwebe Sie denn auch mein steter
Amtsbrüderlicher Dank, dem später,
Am Mittagstisch, von jüngern Kräften
Des Stifts (aufstell' ich die Bilanz)
In Ihren Ruhm- und Ehrenkranz
Manch Lorbeerblatt noch anzuheften.
Doch, lieber Brand, Sie taumeln schier –?
BRAND.
Schon längst wich Kraft und Mut von mir.
DER PROPST.
Begreiflich! So viel Mühn und Plagen!
Und alle ganz allein getragen!
Doch sind sie jetzt ja überwunden;
Getrost! schon winken bessre Stunden;
Bald wird der Himmel wieder klar.
[377] Von mehren Tausend eine Schar
Ist aus den Sprengeln rings erschienen;
Nun frag' ich Sie, wer nimmt's mit Ihnen
An Geist und Rednergaben auf?
Sehn Sie, der Amtsgenossen Hauf'
Empfängt Sie nun mit offnen Armen,
Und die Gemeind' läßt ihrem warmen
Gefühl für Sie ergriffen Lauf!
Und dann das Werk selbst, – wie's geglückt ist!
Und dann, – wie alles schön geschmückt ist!
Und dann des Tages Text, – wie groß!
Und dann der Festschmaus, – beispiellos!
Just als ich durch die Pfarre flitzte,
Sah ich, wie man das Kalb aufschlitzte.
Beim Himmel, Brand, ein köstlich Tier!
Das mocht' nicht leicht sein, sagt' ich mir,
Solch leckern Braten aufzutreiben,
In diesen Läuften, ernst und schwer,
Da wir das Pfund vier Kronen schreiben.
Doch lassen wir nun diese Bilder.
Mich führen and're Dinge her.
BRAND.
Nur los geschlitzt, gehackt, zerfetzt!
DER PROPST.
Mein Vorgangsmodus, Freund, ist milder.
Doch bündig; – denn wir sind gehetzt;
Es ist ein kleiner Punkt, worin
Sie sich von heut ab ändern müssen, –
Ein Leichtes, wie ich sicher bin.
Ja, ich vermute fast, Sie wissen
Schon, wo wir nicht zusammenpassen:
Darin, wie Sie Ihr Amt auffassen.
Sie kümmern sich nicht einen Hauch
Um das, mein Freund, was Schick und Brauch;
Und Schick und Brauch, das ist, ich meine,
Denn doch im Grund das Allundeine.
Du lieber Gott, ich will nicht schelten,
Da man noch nicht Erfahrung hat, –
Auch kommt man aus der großen Stadt
[378] Und findet hier ganz andre Welten.
Doch jetzt, mein Freund, jetzt wird es wichtig,
Sie stell'n die Segel endlich richtig.
Man fand bisher mit Recht, Sie lägen
Zu sehr der Einzelseele ob.
Der Fehler – unter uns! – ist grob.
Man muß sie massenweise wägen.
Man scher' sie all' mit einem Kamm,
So fährt am besten Hirt wie Lamm.
BRAND.
Erklären Sie sich näher!
DER PROPST.
Nun,
Sie schenkten uns, in frommem Tun,
Die Kirche hier, als wie ein Kleid
Der Friedlich- und Gerechtigkeit.
Der Staat sieht in der Religion
Den besten Weg zum guten Ton, –
Den Hort, dem er sein Heil empfahl, –
Kurzum, die Richtschnur der Moral.
Sehn Sie, der Staat ist knapp gestellt;
Er will Valuta für sein Geld.
Ein Christ, – so heißt's, – ein Patriot.
Der Fiskus wirft sein Geld doch nicht
Gott und den Leuten ins Gesicht;
Umsonst, mein Freund, ist nur der Tod.
Nein, nein, der Staat ist nicht so toll.
Und bald wär's Land von Elend voll,
Wenn er nicht, von erhabner Stätte,
Sein Aug' auf alles Leben hätte.
Doch dies gelingt dem Staat nur kraft
Pflichtwilliger Beamtenschaft,
Hier also: seiner Seelenhirten.
BRAND.
Jedwedes Wort ist Weisheit!
DER PROPST.
Nur
Ganz kurz noch. Also, Sie bewirten
Ihn mit der Kirche, sozusagen,
Und wünschen folglich beizutragen
Zu seiner Stärkung und Kultur.
In diesem Sinn möcht' ich das Fest,
[379] Das wir heut feiern wollen, deuten,
In dem, wie man die Glocken läuten,
Den Schenkungsbrief verlesen läßt.
Mit diesem Brief zugleich geloben
Sie, auf mein Fordern einzugehn –
BRAND.
Ich wär' nicht ich, wenn ich dies tät'!
DER PROPST.
Ja, jetzt, mein Freund, ist es zu spät –
BRAND.
Zu spät? Zu spät! Das möcht' ich sehn!
DER PROPST.
Ich bitte Sie, wozu dies Toben?
Kalt Blut! Ich lache schier! Je nun,
Sie soll'n doch gar nichts Schlimmes tun!
Kein einziger fährt minder gut,
Weil auch dem Staat dabei genug wird;
Sie dienen, wenn Ihr Sinn nur klug wird,
Zwei Herren unter einem Hut.
Den Jakob oder den Johann
Zu retten, ist nicht Ihres Amtes;
Ihr Ziel muß sein, daß Ihr gesamtes
Kirchspiel am Heilsquell trinken kann.
Und trinkt der ganze Kreis sich Heil,
Wird auch dem einzelnen sein Teil.
Der Staat ist, dünkt Sie das auch spanisch,
Aufs Härchen halb republikanisch.
Die Freiheit haßt er bis aufs Blut;
Die Gleichheit aber schmeckt ihm gut;
Doch Gleichheit kann nicht sein, bevor
Nicht, was uneben, glattgebohnt wird.
Und hierin hau'n Sie 'n übers Ohr, –
Indem von Ihnen das Unebne
Und nie bislang Bekanntgegebne
Im Gegenteil gerad' betont wird.
Einst war der Mensch der Kirche Glied,
Heut pfeift er sein persönlich Lied;
Dabei dem Staat ein schlechter Knappe;
Weshalb es denn auch heut so schwer ist,
Den Gleichheitsbeitrag abzuführen,
Nebst all den sonstigen Gebühren,
[380] Indem die Kirche heut die Kappe
Für alle Köpfe längst nicht mehr ist.
BRAND.
O, welche Fernsicht öffnet sich!
DER PROPST.
Nur nicht verzagt, nur nicht erkaltet;
Obwohl unleugbar ist, hier waltet
Ein Wirrwarr, der ganz lästerlich.
Doch Hoffnung ist, wo Leben ist;
Und nach dem Schenkungsakt bemißt
Sich Ihre Pflicht, in Zukunft enger
Zum Staat zu stehn, nur um so strenger.
Nur Maß und Regel führt zum Ziel,
Soll nicht versprengter Kräfte Spiel,
Als wie ein Rudel rüder Fohlen,
Der Überliefrung Grenzmarkzeichen
Zerstörend nahen und entweichen.
Aus jeder Ordnung Fundament
Ist ein Gesetz emporzuholen:
Das, was die Kunst als Schule kennt,
Und unser Kriegerstand, so viel
Mir noch bewußt, Tritt halten nennt.
Ja, dies, mein Freund, dies ist das Wort!
Dort liegt des Staates Ziel, nur dort.
Den Springmarsch wär' er gerne quitt;
Marsch auf der Stelle g'nügt ihm nit; –
Für jeden Fuß den gleichen Schritt,
Den gleichen Takt für jedes Knie, –
So will's des Staats Philosophie.
BRAND.
Dem Aar die Gosse – und dem Volke
Der Gänse Berg und Wetterwolke!
DER PROPST.
Der Mensch ist, Gott sei Dank, kein Tier; –
Doch braucht es Poesie und Fabel,
Versieht uns wohl die Bibel. Ihr
Belegstoff reicht. Sie wimmelt schier
Von Genesis bis Offenbarung
Von Bild und Gleichnis und Parabel.
Zum Beispiel, ich erinn're bloß
An den geplanten Turm zu Babel!
[381] Was ward der guten Leute Los?
Welch höchst trübselige Erfahrung!
Und das warum? Nun, sie entzweiten
Sich, schwammen nicht in einem Strom,
Verfochten jeder sein Idiom,
Kurz, wurden zu Persönlichkeiten.
Das ist der eine von den Kernen,
Die dieser Fabel Schale birgt:
Wer sich von andern will entfernen,
Der hat sein Heil schon halb verwirkt.
Wem Gott mißgönnt vom Freudenquell,
Den schafft er individuell.
In Rom hieß es sothanen Falles:
Die Gottheit nahm ihm den Verstand;
Doch toll und einsam, eins ist alles;
Und drum kein Mann auf eigne Hand,
Dem nicht die gleichen Lose drohten,
Die der, den David einst als Boten
Absandte, – die Uria fand.
BRAND.
Wohl möglich; aber, was auch droht,
Ich schau' nicht Untergang im Tod.
Und halten Sie für festgesetzt,
Daß jenen Bauenden zuletzt
Mit gleicher Sprache, gleichem Sinne
Geglückt wär', ihres Turmes Zinne
Bis in den Himmel aufzurichten?
DER PROPST.
Bis in den Himmel? Nein, mit nichten;
Denn der wird keinem Menschen inne.
Das ist der andre von den Kernen,
Die dieser Fabel Schale birgt:
Ein Bau hat schon sein Recht verwirkt,
Will er hinauf bis zu den Sternen.
BRAND.
Doch Jakobs Leiter übertürmt sie;
Und jeder Seele Sehnsucht stürmt sie.
DER PROPST.
Auf die Art! Soll mich Gott bewahren!
Da läßt sich alles weitre sparen.
[382] Gewiß, der Preis des Himmels steht
Auf rechtem Wandel und Gebet.
Doch Glaub' und Leben zu verquicken,
Das hieß' nur beide schlecht beschicken; –
Sechs Tage der Geschäfte Führung,
Den siebenten des Herzens Rührung!
Was gäb' die Kirche, werktags offen,
Der Sonntagspredigt noch zu hoffen?
Es schwächt des Wortes Läutrungskraft,
Verschänkt man's nicht als seltnen Saft.
Religion sowohl wie Kunst
Verfliege nie zu breitem Dunst.
Sie sehn Ihr Ideal genau
Von Ihrer Kanzel Vogelschau, –
Doch tun Sie's ab, samt Ihrer Tracht,
Sobald die Kirchtür zugemacht.
Für alles gilt nun mal der Satz,
Der Hauptsatz: Lerne Dich beschränken.
Und daß Sie dies recht in sich tränken,
Erschien ich heut hier auf dem Platz.
BRAND.
Nun denn, in diese Seelenbütten
Des Staats weiß ich kein Korn zu schütten.
DER PROPST.
Ich kam zu umgekehrten Schlüssen.
Nur ist Ihr Feld hier nicht. Sie müssen
Empor –
BRAND.
Wozu, als Vorstuf', not,
Daß man hinabstößt mich in Kot?
DER PROPST.
Erhöht wird oft, wer sich erniedert;
Kein Star spricht, der nicht erst entfiedert.
BRAND.
Ihr müßt, wen Ihr gebraucht, erst töten!
DER PROPST.
Da sei Gott vor; – Sie meinen, Brand,
Ich wollte Sie –?
BRAND.
Ja! Immer röten
Sie erst an meinem Blut die Hand!
Man paßt nur noch als fahl Skelett
Auf Euer Faul- und Fäulnisbett!
[383]DER PROPST.
Ich lass', weiß Gott, nicht einer Katze
Zur Ader – und nun Ihnen gar!
Ich dachte nur, es wär' am Platze,
Stellt' ich den Lauf des Weges dar,
Der einst mein Weg zum Glücke war.
BRAND.
Und wissen Sie, was Sie da sagen?
Ich soll, beim ersten Hahnenschrei
Des Staats, verleugnen das, wobei
Mein Herz bis heute hoch geschlagen!
DER PROPST.
Verleugnen, Freund? Wer davon spricht!
Ich wies Sie nur auf Ihre Pflicht.
Sie soll'n die Weltverbessrungs-Mucken,
Die niemand frommen, in sich schlucken.
Bewahr'n Sie sie zum Selbstgenuß, –
Doch unter luftdichtem Verschluß!
Meinthalben schwärmen Sie inwendig,
Doch niemals offen vor der Menge.
Mein Freund, es straft sich auf die Länge,
Beträgt man starr sich und unbändig.
BRAND.
Ja, Furcht vor Strafe, Gier nach Lohn
Kainszeichnen Deine Stirn und klagen
Dich an, daß Du, in Eintagsfron,
Den Abel in Dir längst erschlagen.
DER PROPST
für sich.
Jetzt sagt er, meiner Seel', gar »Du«;
Das geht zu weit!
Laut.
Nun denn, wozu
Noch länger streiten! Sie verstehn,
Daß ich Sie bitte, einzusehn, –
Gesetzt, Sie wollen vorwärtskommen, –
In welchem Land, in welcher Zeit
Sie leben; denn es kam nie weit,
Wer störrisch widern Strom geschwommen.
Sehn Sie die Künstler, die Poeten
Dem Geist der Zeit entgegentreten?
Ziehn unsre Krieger aus den Scheiden
[384] Je Säbel, die da wirklich schneiden?
Niemals! Denn ein Gebot dich heißt:
Schick' dich in deines Landes Geist.
Sein Ich soll keiner frei entfalten,
Noch sich erhöhn, noch ab sich spalten,
Vielmehr sich schlicht im Haufen halten.
Human sind, sagt der Vogt, die Zeiten:
Was hätten Sie für Möglichkeiten,
Verständen Sie sie bloß human!
Drum erst die Kanten abgeschroten,
Und abgehobelt Knorr' und Knoten!
Erst wenn Sie glatt sind, wie die andern,
Und nie mehr Sonderwege wandern,
Wird, was Sie tun, zu Nutz getan.
BRAND.
Fort, fort von hier!
DER PROPST.
Ja, das ist wahr;
Ein Mann wie Sie ruft offenbar
Nach einem bessern Wirkungskreis;
Doch müssen Sie, verständiger Weis',
Ob groß nun Ihr Gebiet ob klein,
Erst in die Zeitmontur hinein.
Vom Korporalstock muß den Herden
Der Marschtakt eingeprügelt werden;
Denn unser Führerideal
Ist heutzutag der Korporal.
Wie dieser rottenweis' die Seinen
Zur Kirche führt, so machen Sie's
Als Hirt, und führen die Gemeinen
Gemeineweis' zum Paradies.
Der Glauben ist's, worauf zu baun ist, –
Sie haben doch Autorität,
Die wiederum auf Studium steht,
Weshalb ihr blindlings zu vertraun ist.
Und wie der Glaube darzustellen,
Erhellt doch aus dem Rituellen.
Mein Bruder, – all dies ist so leicht;
Ich seh', noch eh' viel Zeit verstreicht, –
Nur Mut! – Sie alles glatt erledigen. –
[385] Ich will nur in der Kirche drüben
Mich noch im lauten Sprechen üben;
Die Resonanz ist fast gênant, –
Sie ist so selten hierzuland'.
Auf Wiedersehn! Ich werde predigen
Vom Zwiespalt in der Menschenbrust
Und von des Gottesbilds Verwischung.
Jetzt spür' ich aber wahrlich Lust
Auf eine kleine Herzerfrischung.
Ab.
BRAND
steht eine Weile wie versteinert in seinen Gedanken.
Verschlang dies Werk nicht all mein Los
Wie eine reißende Lawine?
Da gellt Eintagsdrommetenstoß
Und zeigt mir, welchem Gott ich diene.
Ha! Noch seid Ihr um mich betrogen!
Die Kirche dort hat Blut gesogen;
Mein Glück, mein Leben ward ihr Kitt;
Doch mich bekommt Ihr selbst nicht mit!
O, fürchterlich, zu stehn alleine, –
Wohin ich blicke, winkt mir Tod;
O, fürchterlich: man reicht mir Steine,
Und ich, ich hungere nach Brot.
Wie sprach er grauenvolle Wahrheit, –
Und doch, was ward da aufgedeckt!
Weh, Gottes Taube sitzt versteckt;
Weh, nie noch brachte sie mir Klarheit.
O, ein Herz nur, im Glauben gleich,
Wie würd' ich ruhig, stark und reich!
Ejnar, bleich, abgezehrt, schwarzgekleidet, kommt des Wegs vorüber und bleibt bei Brands Anblick stehen.
BRAND
schreit auf.
Du, Ejnar!
EJNAR.
Ja, so ist mein Nam'.
BRAND.
Du weißt nicht, wie ich dürstet' just
Nach einem Menschen in meinem Gram!
O, komm, komm, komm an meine Brust!
EJNAR.
Bedarf es nicht; ich bin im Hafen.
[386]BRAND.
Du nährst noch Groll um das Geschehne,
Da wir zuletzt uns trafen –
EJNAR.
Nein;
Du hast nicht Schuld. Du griffst allein
Als das vom Herren ausersehne
Werkzeug in meine Weltlust ein.
BRAND
zurückweichend.
Welch eine Sprache?
EJNAR.
Die der Ruhe, –
Die einer lernt, wenn er die Schuhe
Der Sünde auszog und bereute.
BRAND.
Verwunderlich! Was mir die Leute
Erzählten, war ganz unverblümt
Das Gegenteil –
EJNAR.
Lang' war ich Beute
Von Hochmut, Trotz auf eigne Stärke.
Die Welt und ihre eitlen Werke,
Die Kunst, die man an mir gerühmt,
Mein Singsang waren lauter Schlingen,
In Satans Frondienst mich zu bringen.
Doch Gott behielt mich im Gesicht;
Sein schwaches Schaf verließ er nicht;
Er half mir fort zum rechten Ziel.
BRAND.
Auf welche Weise?
EJNAR.
Ich verfiel.
BRAND.
Verfielst? In was?
EJNAR.
In Trunk und Spiel.
Er schob mir Wein und Würfel hin.
BRAND.
Das, meinst Du, war des Herren Sinn?
EJNAR.
Es war der erste Schritt zum Heile.
Dann ward ich leidend nach 'ner Weile;
Verlor zum Zeichnen Lust und Hand; –
Mein Hang zur Munterkeit verschwand; –
Ich wurd' ins Hospital gesandt, –
Lag krank, – die Fiebergrade stiegen, –
Sah mich in allen Stuben liegen,
Sah Tausende von großen Fliegen; –
Kam wieder auf und ward bekannt
Mit Schwestern, drei an Zahl, wie deren
[387] Im Sold des Himmels gehn und lehren:
Welch Kleeblatt und ein Theolog
Mich ganz dem Joch der Welt entzog,
Aus Sünd' und Schuld den Weg mir wies
Und Gottes Kind mich werden hieß.
BRAND.
So also.
EJNAR.
Ja. So läuft ein Pfad
Im Tal, ein Pfad auf schmalem Grat.
BRAND.
Und dann?
EJNAR.
Dann? Zog ich weit und breit
Und predigte Enthaltsamkeit;
Doch läuft man da zu oft Gefahr,
Versuchungen ins Netz zu gehen;
So ließ ich den Beruf denn stehen
Und reise jetzt als Missionar –
BRAND.
Wohin denn?
EJNAR.
Nach den Nilquellseen.
Doch lassen wir das Reden sein.
Ich will –
BRAND.
Bei unserm Feste fehlen?
Wir feiern heut –
EJNAR.
Nein, danke, nein;
Mein Platz ist bei den schwarzen Seelen.
Leb' wohl!
Wendet sich zum Gehen.
BRAND.
Und kein Erinnrungsschimmer
Durchzuckt Dich hier und läßt Dich fragen –?
EJNAR.
Wonach?
BRAND.
Nach ihr, der dieser Riß,
Der Einst und Heute scheidet, Klagen
Entlocken würd' –
EJNAR.
Du denkst gewiß
An jenes junge Frauenzimmer,
In dessen Sündennetz ich hing,
Eh' ich des Glaubens Bad empfing.
Nun, fand sie noch den Weg zum Lichte?
BRAND.
Sie war mein Weib in all den Jahren.
[388]EJNAR.
Das ist unwesentlich; ich richte
Mein Augenmerk nicht auf derlei,
Will nur das Wichtige erfahren.
BRAND.
Freud' kam und Leid; wir wurden drei –
Und sahn das Dritte wieder gehen –
EJNAR.
Das ist unwesentlich.
BRAND.
Ach ja;
Es war ja Lehen mehr als Gabe, –
Und tagt doch einst ein Wiedersehen.
Doch ihr ging der Verlust zu nah, –
Da drüben grünt nun Grab an Grabe.
EJNAR.
Das ist nicht wesentlich.
BRAND.
Auch nicht?
EJNAR.
Von all dem heisch' ich nicht Bericht.
Sag' mir, wie ging sie in den Tod.
BRAND.
Mit Hoffnung auf ein Morgenrot,
Mit all des Herzens reichem Glanz,
Mit Willen, bis zum Letzten ganz,
Mit Dank für, was das Leben gab
Und nahm, – so ging sie in ihr Grab.
EJNAR.
Wortflitterkram, das insgesamt.
Wie war ihr Glaub' in seinem Kern?
BRAND.
Wie Gold.
EJNAR.
An wen?
BRAND.
An Gott, den Herrn.
EJNAR.
Nur den; ja, dann ist sie verdammt.
BRAND.
Verdammt –?
EJNAR.
Verdammt, ja, tut mir leid.
BRAND
ruhig.
Geh, Wicht!
EJNAR.
Und Dich wird, seiner Zeit,
Der Höllenfürst wie sie verderben;
Du wirst wie sie auf ewig sterben.
BRAND.
Du Elender verdammst zum Tod!
Und lagst jüngst selber noch im Kot.
EJNAR.
Es klebt kein Fleck auf meinem Kleid;
Im Glaubenswaschtrog ward ich blank;
Ab rieb sich jeder Kotgestank
Am Waschbrett echter Heiligkeit;
[389] Das Klopfholz der Erwecktheit schlug
Mein Adamslinnen rein genug;
Weiß wie ein Chorhemd hält mich stets
Die Seifenlauge des Gebets.
BRAND.
Pfui!
EJNAR.
Gleichfalls. Schweflig riecht die Welt
Hier schon; auftaucht schon Urians Horn.
Ich bin ein himmlisch Weizenkorn,
Du bist im Sieb des Richters – Spelt.
Ab.
BRAND
blickt ihm eine Weile nach, mit einem Male leuchten seine Augen auf, und er bricht in die Worte aus.
Der mußt' kommen, mich zu retten!
Jetzt fiel'n ab die letzten Ketten;
Eigne Farben will ich führen,
Und ob alle Tod mir schwüren.
DER VOGT
tritt eilig auf.
Teurer Pfarrer, sputen, sputen!
Mehr Geduld noch ist dem guten
Volk unmöglich zuzumuten –
BRAND.
Mag es kommen.
DER VOGT.
Ohne Sie!
Sputen Sie sich heimwärts. Die
Prozession drängt anzufangen;
All die guten Leute wollen
Wie ein Bach, vom Schnee geschwollen,
Nach dem Pfarrhof, flehn, verlangen,
Schrein: Wir woll'n den Pfarrer sehn!
Hör'n Sie nur, da ruft man Ihnen!
Schnell! Sonst macht das Volk noch Mienen,
Inhuman zu Werk zu gehn!
BRAND.
Meine freie Stirne soll
Nimmer unter diese Menge;
Hier verbleib' ich.
DER VOGT.
Sind Sie toll?
BRAND.
Euer Weg ist mir zu enge.
DER VOGT.
Aber wird er denn, je weiter
Die Gemeinde vordringt, breiter?
[390] Potz! Da stürmen sie! Da haben
Wir's! Der Propst, der Amtmann steht
Halben Leibs im Straßengraben.
Los, drauf los! Autorität!
Mit der Peitsche, wenn's vonnöten!
Ha, zu spät! Die Schranken weichen, –
Und die Prozession geht flöten.
Die Menge strömt herein und bricht sich in wilder Unordnung durch den Festzug hindurch nach der Kirche hinauf Bahn.
EINZELNE STIMMEN.
Brand!
ANDERE
zeigen empor nach der Kirchentreppe, wo Brand steht, und rufen.
Seht, dort!
WIEDER ANDERE.
Gib's Anfangszeichen!
DER PROPST
eingeklemmt im Gedränge.
Vogt, so stau'n Sie doch die Leute!
DER VOGT.
Wie denn! Ich bin machtlos heute.
DER SCHULMEISTER
zu Brand.
Ein erlösend Wort nur, Brand!
Sieh, der Sturm nimmt überhand.
Sag' uns, was bereitet sich:
Gutes oder Schlimmes, – sprich!
BRAND.
O, so geht denn durch die trägen
Wolken doch ein dumpfes Rollen!
Hört's! Ihr steht an Scheidewegen!
Ganz müßt Ihr das Neue wollen, –
Allen Schutt erst aus Euch fegen, –
Eh' Ihr bau'n dürft, Zoll um Zoll,
Was Euch neu umwölben soll!
STIMMEN VON BEAMTEN.
Rast der Pfarrer?
STIMMEN VON GEISTLICHEN.
Ist er toll?
BRAND.
Ja, ich war's, im Wahn, daß meist und
Gernst hier jeder doch im Geist und
In der Wahrheit wandelte!
Und ich war's, indem ich dachte,
Daß ich Gott Euch gnädig machte,
Wenn ich mit ihm handelte!
Seht, so wollt' ich ihn betrügen:
[391] Unsre Kirche ist zu klein; –
Doppelt denn! Das schlägt wohl ein!
Fünffach denn! Das muß genügen!
So wich ich vom Weg des Lichts,
Floh sein »Alles oder Nichts!«
Auf dem Weg der Kompromisse.
Doch er hat mich wach gerüttelt,
Die Posaune des Gerichts
Scholl in meine Finsternisse,
Daß ich lauschte, angstgeschüttelt,
Klein, wie David stand vor Nathan,
Zitternd, auf sein Donnerwort; –
Jetzt sind alle Zweifel fort.
Kompromiß heißt unser Satan!
DIE MENGE
in wachsender Gärung.
Jagt sie fort, die uns geblendet,
Steinigt sie, die uns entnervt!
BRAND.
Für Euch selbst den Blick geschärft!
Auf Euch selbst den Zorn gewendet!
Eure Kraft habt Ihr vermarktet,
Euer Selbst habt Ihr zerklaubt,
Und anstatt daß Ihr erstarktet,
Füllt nun Flachheit Euer Haupt.
Kommt Ihr etwa, weil Ihr glaubt?
Nein, Euch lockt nur all der Klingklang,
Orgellärm und Küstersingsang
Und der Kitzel einer Predigt,
Die da recht nach aller Kunst
Lispelt, säuselt, Wolken schürzet,
Blitzt, kracht, Schlossenschauer stürzet
Und zuletzt verweht in Dunst!
DER PROPST
für sich.
Damit ward der Vogt erledigt.
DER VOGT
ebenso.
Den Hieb muß der Propst verschmerzen.
BRAND.
Nur den Schein der neuen Kerzen
Wollt Ihr, keine tiefre Brunst.
Und dann wieder heim in Dumpfheit,
Heim zu Sorg' und Plag' in Stumpfheit,
[392] Leib' und Seel' in Werktagsschuhen,
Und im tiefsten Grund der Truhen
Wohlversargt das Buch des Lebens
Bis zum nächsten Fest! Vergebens
All die Träume, die ich nährte,
Als den Opferkelch ich leerte!
Groß die Kirch' ich türmen wollte,
Ihre Wölbung schirmen sollte
Nicht bloß Glauben, nicht bloß Lehre, –
Schirmen alles, dem im Leben
Gott Gedeihensrecht gegeben, –:
Arbeitstages Eintagsdust,
Abendmuße, nachtbang Träumen,
Jugendblutes frische Lust,
Alles, was nur Menschenbrust
Mocht' an Freud' und Leid umsäumen. –
Baches niedersiedend Schäumen,
Wasserfalles Schluchtdurchbäumen,
Stimmgewirr aus Sturmeslungen,
Meeresbrandens Donnerungen
Sollten, geistgebannt, verschmelzen
Mit der Orgelwogen Wälzen
Und dem Lied der Menschenzungen.
Des Werks hier sag' ich mich los!
Nur in Lüge ist es groß;
Schon im Geiste reif zu fallen,
Würdig Eurer Willenskleine.
Das ist jedes Wachstums End',
Daß Ihr Gott und Erde trennt;
Sechs der Tage holt Ihr sein
Himmelsbanner ängstlich ein,
Und am siebenten alleine
Sieht man es gen Himmel wallen.
STIMMEN AUS DER MENGE.
Führ' uns! Laß das Banner fliegen!
Führ' uns, und wir werden siegen!
DER PROPST.
Hört ihn nicht, er ist kein Christ,
Lebt nicht in dem rechten Glauben!
[393]BRAND.
Brav! Da lehrst Du selbst den Tauben
Unsern unheilbaren Zwist,
Und woran's am meisten fehle.
Denn kein Glauben ohne Seele.
Und nun sag', wer eine ist,
Wer die Blume, die ihn würzte,
Nicht seit jenem Tag vermißt,
Da er taumelnd vorwärts stürzte.
Lustbetört, auf wüstem Pfade,
Jedes Rattenfängers Raub,
Macht Ihr Euch dem Leben taub;
Ausgebrannt erst, dürres Laub,
Tanzt Ihr vor die Bundeslade.
Haben Krüppel dann und Tröpfe
Ausgeschmeckt die letzten Töpfe, –
Hei, dann ist es Zeit, zu beten,
Zeit, den Heilsweg anzutreten.
In nichts mehr vom Tier verschieden,
Da sich jed Gepräg' verlor,
Pocht Ihr an der Gnade Tor,
Sucht Ihr Gott, – als Invaliden!
Darum muß sein Reich vereisen.
Kann er wohl mit Seelengreisen
Seines Zepters Macht erweisen?
Heißt es nicht: Als Kind allein,
Wenn des Blutes Wellen rein
Noch und kräftig in dir kreisen,
Taugst du ihm zum Himmelserben,
Wirst du einst das Reich erwerben?
Alles Markten ist vergebens.
Kommt mit frischen Kinderwangen,
Männer, Weiber, denn gegangen
In den großen Dom des Lebens!
DER VOGT.
Aufgeschlossen denn!
DIE MENGE
schreit wie in Angst auf.
Nicht diese!
BRAND.
Unsre Kirche hat kein Ende.
Estrich ist die grüne Wiese.
Matte, Aue, Meer und Fjord,
[394] Und allein des Himmels Wände
Wölben sich darüber fort.
Dort soll all Dein Werk geschehen,
Allgehört und allgesehen;
Sorg' nicht, was Du auch bereitest,
Daß Du sie damit entweihtest.
Sie soll alles decken, grade
Wie den ganzen Stamm die Rinde;
Glaub- und Lebenszwist verschwinde.
Sie soll mit des Tags Befleißen
Lehre und Gesetz verschweißen.
Da soll Tagwerk eins Dir heißen
Mit des Herzens Sternpfadtraume,
Kindes Spiel am Weihnachtsbaume,
Festtanz vor der Bundeslade!
Es geht wie ein Sturm durch die Menge, einige weichen zurück; die meisten scharen sich dicht um Brand.
TAUSEND STIMMEN.
Wie ein Stern ist uns erschienen:
Eins ist: Leben – und Gott dienen!
DER PROPST.
Alles folgt ihm! Männer – Weiber –!
Helft, Vogt, Amtmann, Küster, Schreiber!
DER VOGT
leise.
He, bin ich ein Ochsentreiber,
Mich mit ihm herumzustoßen?
Mag er sich nur erst verboßen!
BRAND
zu der Menge.
Ist hier Gott? Kann er hier sein?
Nein! Drum auf nach seinem großen
Reich voll Freiheitssonnenschein!
Sperrt die Kirchentür zu und nimmt den Ring mit den Schlüsseln in die Hand.
Hier bin ich nicht Pfarrer mehr,
Widerrufe meine Gabe,
Und aus meinen Händen habe
Niemand diesen Ring als – der!
Wirft ihn in den Bach.
Lockt's Dich, Sklav' des Staubs, nun noch,
Steig hinein durchs Kellerloch,
[395] Krümm' und bück' den mürben Rücken,
Laß im Dunkel Deinen siechen
Seufzer längs dem Boden kriechen,
Schlaff wie einen Schwindsuchtshauch!
DER VOGT
leise, erleichtert.
Hui, da ward sein Orden Rauch!
DER PROPST
ebenso.
Und der Bischof läg' in Stücken!
BRAND.
Kommt, Ihr Jungen, kommt, Ihr Frischen,
Laßt des Lebens Hand den Tal-
Staub Euch von der Stirne wischen!
Gebt die Stunde nicht verloren!
Ihr erwacht ja doch einmal;
Müßt doch einmal, neu geboren,
Mit dem Kompromißgeist brechen.
Auf aus Euren niedren Schwächen,
Auf aus all dem halben Streben; –
Jagt den Feind aus Euren Toren,
Dräut ihm Krieg auf Tod und Leben!
DER VOGT.
Ich verles' die Aufruhrsakte!
BRAND.
Lies! Ich brech' mit jedem Pakte.
DIE MENGE.
Weis den Weg! Führ' uns von hinnen!
BRAND.
Übers Meer der Gletscherzinnen!
Wandern woll'n wir durch die Lande,
Lösend alle Seelenbande,
Die das Volk gefesselt halten,
Läutern woll'n wir, neugestalten,
Von der Trägheit Schlaf befreiend,
Männer seiend, Priester seiend,
Prägend neu den matten Stempel,
Wölbend unser Reich zum Tempel!
Die Menge, worunter der Küster und der Schulmeister, schart sich um ihn zusammen. Brand wird auf die Schultern der Männer emporgehoben.
VIELE STIMMEN.
Groß sind diese Zeiten! Große
Dinge ruhn in ihrem Schoße!
Die Menschenmasse strömt durch das Tal empor; wenige bleiben zurück.
[396]DER PROPST
zu den Fortziehenden.
Weh, Verblendete, was wollt Ihr?
In des Satans Fangnetz rollt Ihr,
Wenn Ihr seinen Reden traut!
DER VOGT.
He! Kehrt um! Umkehren sollt Ihr!
Juckt Euch gar so sehr die Haut?
Leutchen, bleibt, – Ihr geht zugrunde!
Hm, sie hören nicht, die Hunde!
DER PROPST.
Wollt von Haus und Hof Ihr gehn?
STIMMEN AUS DER MENGE.
Größer wird all das erstehn!
DER VOGT.
Aber wie der Not begegnen –
Ohne Felder, ohne Vieh?
STIMMEN.
Gott der Herr ließ Manna regnen,
Da sein Volk um Hilfe schrie!
DER PROPST.
Hört, wie Eure Weiber klagen!
DIE STIMMEN
von fern.
Wir verleugnen, die versagen!
DER PROPST.
Eure Kinder schrein: Bleibt wegen uns!
DIE GANZE SCHAR.
Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns!
DER PROPST
sieht ihnen eine Weile mit gefalteten Händen nach und sagt dann verzagt.
Ohne Herd', voll Angst: Was wird nun?
Steht der alte Seelenhirt nun,
Bis aufs Hemde ausgezogen!
DER VOGT
droht Brand nach.
Schütz, paß auf, jetzt bricht Dein Bogen!
Geh, und mach' Dein Testament!
DER PROPST
dem Weinen nahe.
Testament? – Die sind verloren –!
DER VOGT.
Mut, Herr Propst, nur nichts verschworen,
Wenn man seine Schafe kennt!
Folgt den Leuten.
DER PROPST.
Sollt' er wirklich? Traun! Er rennt
Hinterher, der Wackre, Gute!
[397] Ha, mir wird ganz neu zu Mute.
Ich will auch hinauf. Am End'
Halten wir ihn noch, den Troß.
Legt den Sattel auf mein Roß; –
Schafft 'ne berggewohnte Stute!
Alle ab.
Bei der obersten zum Dorf gehörigen
Saeterhütte (Sennhütte).
Die Landschaft steigt im Hintergrund an und geht in große und öde Gebirgsplateaus über. Es ist Regenwetter. Brand, von der Menge – Männern, Weibern und Kindern – begleitet, kommt den Berg herauf.
BRAND.
Blickt vorwärts; vor uns liegt der Sieg!
Das Dorf schwand unserm Höherstieg,
Und drüber hin, von Wand zu Wand,
Hat Nebeldunst sein Dach gespannt.
Nun, allem Dust und Düster fern,
Flieg frei, flieg hoch, Du Volk des Herrn!
EIN MANN.
Mein alter Vater kann nicht mehr.
EIN ANDERER.
Seit gestern ist mein Magen leer –
MEHRERE.
Ja, stärk' uns erst zu unserm Werk!
BRAND.
Erst vorwärts, vorwärts übern Berg!
DER SCHULMEISTER.
Auf welchem Weg?
BRAND.
Das gilt gleichviel,
Führt er nur grad' und rasch zum Ziel.
Hier, kommt!
EIN MANN.
Hier geht's zu steil hinauf;
Wir machen's nicht vor Nacht, paßt auf!
DER KÜSTER.
Wenn einer in die Eiskirch' stürzte –!
BRAND.
Der steilste Weg ist auch der kürzste.
EIN WEIB.
Mein Kind ist krank!
EIN ANDERES.
Mein Fuß ist wund.
EIN DRITTES.
Herr, meine Zung' ist dürr wie Zunder!
DER SCHULMEISTER
zu Brand.
Gib ihrem Glauben neuen Grund!
[398]VIELE STIMMEN.
Brand, tu ein Wunder! Tu ein Wunder!
BRAND.
So stahl Euch Knechtschaft alle Stärke;
Ihr wollt den Lohn schon vor dem Werke.
Auf, werft die Todesschwachheit ab, –
Wo nicht, kehrt um in Euer Grab!
DER SCHULMEISTER.
Traun, er hat recht; erst die Beschwerden;
Und unser Lohn wird uns ja werden!
BRAND.
Er wird's, so wahr ein Gott die Hand
Gereckt hält über Meer und Land!
VIELE STIMMEN.
Er prophezeit! Er prophezeit!
MEHRERE IM HAUFEN.
Hör', Pfarrer, – wird's ein heißer Streit?
ANDERE.
Und wird er lang? Und wird er blutig?
EIN MANN.
Sind unsre Feinde stark und mutig?
DER SCHULMEISTER
leise.
Ich wag' dabei doch nicht mein Leben?
EIN ANDERER MANN.
Was wird mein Teil am Siegeslohn?
EIN WEIB.
Mir stirbt doch etwa nicht mein Sohn?
DER KÜSTER.
Ist uns vor Dienstag Sieg gegeben?
BRAND
blickt sich verzweifelt um im Haufen.
Was fragt Ihr da? Was wollt Ihr wissen?
DER KÜSTER.
Zunächst: wie lange währt der Streit?
Dann: was wird uns durch ihn entrissen?
Und endlich: unsres Siegs Gewinn!
BRAND.
Das fragt Ihr mich?
DER SCHULMEISTER.
Jawohl; vorhin
Bekamen wir nicht recht Bescheid.
BRAND
empört.
Ihr sollt ihn haben!
DIE MENGE
rottet sich dichter zusammen.
Rede! Sprich!
BRAND.
Wie lang der Streit währt, fragt Ihr mich?
Nun, bis an Eures Lebens Ende,
Bis jedes Opfer Ihr gebracht,
Von jedem Pakt Euch frei gemacht,
[399] Bis Euer Willen Euch die Wende
Jedweder Flucht ward angesichts
Der Fordrung: Alles oder nichts!
Was Euch entrissen wird? Nun wohl!
Jedwedes üppige Faulheitsbette,
Jedwede goldne Sklavenkette,
Jedweder Halbheit hohl Jdol!
Und der Gewinn? Des Willens Reinheit,
Des Glaubens Kraft, des Geistes Einheit, –
Ein Opfermut, der, furchtgestählt,
Mit Jubel selbst das Schwerste wählt, –
Um jede Stirn die Dornenkrone, –
Seht, das wird Euch zuletzt zum Lohne!
DIE MENGE
unter rasendem Schreien.
Verrat! Er hat sein Wort gebrochen!
BRAND.
Nie hab' ich anderes versprochen.
EINIGE.
Du hast uns Sieg gelobt und Ehren; –
Jetzt willst in Opfer Du's verkehren!
BRAND.
Ja, Sieg gelobt' ich, – und Ihr sollt
Auch Sieger sein, wenn Ihr nur wollt.
Doch wer im ersten Gliede schreitet,
Muß fallen können, wenn es gilt;
Wofern solch Kampf ihm widerstreitet,
So mag er abtun Schwert und Schild.
In Feindeshand die Fahne fällt,
Die zagen Mannes Wille hält;
Wen Furcht anfrißt, das bleiche Gift,
Der ist gezeichnet, eh's ihn trifft!
DIE MENGE.
Er kürzt uns unser Lebensrecht
Für ein noch ungezeugt Geschlecht!
BRAND.
Nur als ein Heer zum Tod Bereiter
Erreicht ein Volk sein Kanaan.
Durch Fall zu Sieg! So, Mann für Mann,
Aufbiet' ich Euch als Gottes Streiter!
DER KÜSTER.
Wenn man's bedenkt, die Lag' ist heiter!
Im Dorf sind wir in Acht und Bann –
[400]DER SCHULMEISTER.
Ins Dorf zurück –, das geht nicht an.
DER KÜSTER.
Und wer will weiter? Wer will weiter?
EINIGE.
He, schlagt ihn tot!
DER SCHULMEISTER.
Wer blieb' uns dann
Als Oberhaupt in all den Wirren?
WEIBER
weisen erschrocken den Weg hinunter.
Der Propst! Hu!
DER SCHULMEISTER.
Laßt Euch bloß nicht kirren!
DER PROPST
von einigen der Zurückgebliebenen begleitet, tritt auf.
O, meine Kinder! meine Lämmer!
Hört Euren alten Hirten doch!
DER SCHULMEISTER
zur Menge.
Wir hausen nicht mehr dort im Dämmer;
Am besten gehn wir übers Joch!
DER PROPST.
O, konnt' ich so in Euch mich irren!
Könnt Ihr mich so verwunden!
BRAND.
Schlug
Er Euch nicht Wunden Jahr um Jahr?
DER PROPST.
Hört nicht auf ihn! Mit Lug und Trug
Verlockt er Euch.
MEHRERE.
Und das ist wahr!
DER PROPST.
Doch wir sind milde, wir vergeben,
Wo wir aufricht'ge Reu' erleben.
O, blick' doch in dich, lieber Christ,
Und sieh, mit welcher schwarzen List
Er Herz und Geist dir aufgewiegelt!
VIELE.
Was hat er uns nicht vorgespiegelt!
DER PROPST.
Und dann, – wen hofft Ihr aufzuklären,
Ihr, Volk, im Winkel hier geboren?
Seid Ihr zu Großem auserkoren?
Wird ein Gebundner durch Euch frei?
[401] Ihr habt Eu'r Werktagskleinerlei;
Was drüber ist, das kann nicht währen.
Was könnt Ihr auf der Walstatt nützen?
Ihr mögt Eu'r niedrig Hüttlein schützen.
Fühlt Ihr Euch Weltenüberwinder?
Was wollt Ihr zwischen Falk und Weih?
Was wollt Ihr zwischen Wolf und Bären?
O, meine Lämmer, – meine Kinder!
DIE MENGE.
Ja, weh uns, – wahr ist, was er sagt!
DER KÜSTER.
Und doch, da wir den Schritt gewagt,
Verschlossen wir der Hütten Tür; –
Nein, dort ist keine Heimstatt für.
DER SCHULMEISTER.
Nein, nein, er hat das Volk bemündigt,
Hat ihm gezeigt, wo es gesündigt;
Nun ist's des Schlafens endlich über;
Und was da drunten Leben heißt,
Unleben heißt's erwachtem Geist –
DER PROPST.
Ach, glaubt mir, das geht bald vorüber
Und legt sich in die alten Falten, –
Nur ein klein wenig still gehalten!
Der Ort – mein Wort will ich Euch geben –
Wird bald wie vordem friedlich leben.
BRAND.
Wählt, Mann und Weib!
EINIGE.
Wir geben's auf!
ANDERE.
Zu spät; zu spät! Den Berg hinauf!
DER VOGT
kommt gelaufen.
Ein Glück, ein Glück, daß ich Euch finde!
DIE WEIBER.
Ach, Bester, sei nicht aufgebracht –!
DER VOGT.
Ach was! Jetzt kommt nur! Macht nur, macht!
Jetzt hat's ein Ende, das Geschinde; –
Ich sag' nur das: Ihr seid noch heute
Vor Abend alle reiche Leute!
MEHRERE.
Wie das?
DER VOGT.
Ein Fischzug füllt den Fjord!
Millionen stehn sie an Millionen!
[402]DIE MENGE.
Was?
DER VOGT.
Jeder Fußtritt kann sich lohnen!
Womöglich treibt ein Sturm sie fort.
Sie zogen vordem nie hierher; –
Jetzt, Freunde, kommt's an unsern Ort,
Jetzt hungern wir so bald nicht mehr!
BRAND.
Wählt zwischen Gott und diesem hier!
DER VOGT.
Folgt Eurem einfachen Verstand!
DER PROPST.
O, ist dies nicht ein Wunder schier,
Ein Fingerzeig von Gottes Hand?
Ich schaut's im Traum schon klipp und klar,
Doch glaubt' ich stets, mich äfft' ein Mahr; –
Nun sehn wir hell, worauf's gezielt –
BRAND.
Ihr würft Euch selbst weg, wenn Ihr fielt!
VIELE.
Ein Fischzug!
DER VOGT.
Millionen Fische!
DER PROPST.
Für Weib und Kind gedeckte Tische!
DER VOGT.
Ihr seht, die Zeit ist schlecht gewählt,
Daß Ihr in leerem Streit Euch quält,
Zumal mit einer Übermacht,
Die selbst Herrn Propst zu ungeschlacht.
Jetzt überlaßt es ruhig Dümmern,
Um fremde Händel sich zu kümmern;
Der Herrgott hilft sich schon allein;
Die Feste fällt so bald nicht ein;
Nur jetzt geschwärmt nicht und gehimmelt,
Wo drunt' im Fjord der Hering wimmelt!
Werft Euer Netz nur unbeirrt;
Da braucht's nicht Mut und Blut; das wird
Ein Sieg, der keinen fortbeordert,
Noch, daß er selbst sich opfre, fordert.
BRAND.
Just dieses Opfers Fordrung brennt
Mit Flammenschrift am Firmament.
DER PROPST.
Ach, wer da opfern will, den trennt
Von mir nur eine kleine Reise.
Kommt nächsten Sonntag beispielsweise!
Ich werd', weißgott –
[403]DER VOGT
ihm das Wort abschneidend.
Ja, ja; ja, ja!
DER KÜSTER
leise zum Propst.
Behalt' ich meinen Küsterposten?
DER SCHULMEISTER
ebenso.
Bleib' ich, nach dem, was heut geschah?
DER PROPST
mit gedämpfter Stimme.
Laßt Ihr's Euch hier ein Wörtlein kosten,
So trifft Euch wohl kein streng Gericht –
DER VOGT.
Kommt, kommt; verliert die Zeit doch nicht!
DER KÜSTER.
Dies Zögern wird Euch nur zum Fluch!
EINIGE.
Und unser Pfarrer –?
DER KÜSTER.
Laßt ihn laufen!
DER SCHULMEISTER.
Spricht nicht in diesem Heringshaufen
Der Herrgott wie ein offen Buch?
DER VOGT.
Dem Mann wird nur, was ihm gebührt;
Er hat Euch lang' g'nug nasgeführt –
MEHRERE
Er log uns vor!
DER PROPST.
Er ist kein Christ;
Er hat nicht 'mal cum laude, wißt!
EINIGE.
Was hat er?
DER VOGT.
Niedrigen Charakter!
DER KÜSTER.
Das sehn wir klar, daß dem so ist!
DER PROPST.
Die eigne alte Mutter plackt' er
In ihres letzten Stündleins Pein!
DER VOGT.
Sein Kind hat er schier umgebracht.
DER KÜSTER.
Sein Weib auch!
WEIBER.
Pfui, so ein Vertrackter!
DER PROPST.
Ein schlechter Vater, Mann und Sohn!
Spricht das nicht aller Lehre Hohn?
VIELE STIMMEN.
Er riß uns unsre Kirche ein!
ANDERE.
Er sperrt die neue, als zu klein.
WIEDER ANDERE.
Er warf uns auf 'ne Plank im Sturm!
[404]DER VOGT.
Er stahl mir meinen Narrenturm.
BRAND.
Ich seh' das Mal auf Eurer Stirn,
Ihr folgt mir über keinen Firn.
DER GANZE HAUFE
brüllend.
Mag er allein von dannen ziehn!
Auf, auf, und steinigt, steinigt ihn!
Brand wird mit Steinwürfen die Felseneinöde hinaufgetrieben. Nach und nach kehren die Verfolger zurück.
DER PROPST.
O, meine Kinder, meine Lämmer!
So kehrt Ihr einig denn zurück
In Eurer Hütten traulich Dämmer;
O, glaubt, es dient zu Eurem Glück.
Der liebe Gott ist ja so gut,
Er fordert kein unschuldig Blut;
Und die Regierung ist desgleichen
So mild, wie kaum in andern Reichen;
Und Eure Obrigkeit – vor allen
Der Vogt – wird Euch nicht lästig fallen;
Und ich such' in nichts anderm Ruhm
Als in humanem Christentum; –
Wir Obern haben nur ein Streben:
In Fried' und Freud' mit Euch zu leben.
DER VOGT.
Doch find't sich wo ein fauler Fleck,
Das ist gewiß, so muß er weg.
Sind wir erst über diesen Tag,
So wähl'n wir eine Kommission,
Die, inwieweit die Religion
Schadhaft geworden, prüfen mag.
Sie mag aus Geistlichen bestehn,
Die Propst und ich dazu ersehn, –
Sowie, beruhigt das die Geister,
Aus Küster und aus Dorfschulmeister,
Samt wem Ihr sonst Vertrauen gönnt,
So daß Ihr ohne Sorg' sein könnt.
DER PROPST.
Dank Euch, im Herrn geliebte Brüder,
Daß Eurem alten Seelenhüter
Doch noch ein Ton entgegenklang.
Das stähl' Euch auf dem neuen Pfad,
[405] Daß Gott ein Wunder für Euch tat!
Lebt wohl! viel Glück zu Eurem Fang!
DER KÜSTER.
Ja, das sind wahre Christenseelen!
DER SCHULMEISTER.
Die können mehr als bloß krakehlen.
WEIBER.
Die sind so freundlich und so fein!
ANDERE.
So richtig mit dem Volk gemein!
DER KÜSTER.
Die können uns nicht bloß zertreten.
DER SCHULMEISTER.
Und mehr, als Vaterunser beten.
Die Schar zieht den Berg hinab.
DER PROPST
zum Vogt.
Paßt auf, wie dies uns Frucht und Lohn trägt!
Jetzt steigt im Hui das Wetterglas;
Denn, Gott sei Dank. es gibt etwas,
Das die Bezeichnung »Reaktion« trägt.
DER VOGT.
Das war mein Werk, daß der Spektakel
Sich, kaum erregt, auch schon zerschlug.
DER PROPST.
Das meiste tat wohl das Mirakel –
DER VOGT.
Mirakel?
DER PROPST.
Nun, der Heringszug.
DER VOGT
pustet.
Das war natürlich Lüge!
DER PROPST.
So?
DER VOGT.
Was wollt' ich machen; ich war froh,
Daß mir just dies vom Munde fuhr; –
Man könnt's wohl tadeln, hätte nicht
Die Lage –
DER PROPST.
Da ist nichts zu rechten;
Im Notfall läßt sich's wohl verfechten.
DER VOGT.
Und streckt dann, eh' ein Tag verstreicht,
Sich alles wieder nach der Decke, –
Was tut's da, ob wir unsre Zwecke
Durch Wahrheit oder Trug erreicht?
DER PROPST.
Mein Freund, ich bin kein Rigorist.
Blickt in die Felseinöde hinauf.
Ist das nicht Brand, der dort so trist
Sich hinschleppt?
[406]DER VOGT.
Freilich! Ob er's ist!
Ein einsamer Ritter auf seiner Fahrt!
DER PROPST.
Nicht ganz; ein Knappe, scheint's, bewahrt
Ihm Treue noch –
DER VOGT.
Herrje, die Gerd!
Die beiden sind einander wert.
DER PROPST
munter.
Wenn einst sein Opferdurst geletzt,
Sei dies als Grabschrift ihm gesetzt:
Hier ruhet Brand, sein Tun ward wirr!
Sein Lohn ein Mensch, – und der war irr!
DER VOGT
den Finger an der Nase.
Zwar wenn man's recht bedenkt, so sehn wir:
Es richtete – im besten Wahn –
Das Volk doch etwas inhuman.
DER PROPST
zuckt die Achseln.
Vox populi vox dei. Gehn wir!
Ab.
Oben auf den weiten Hochebenen.
Das Unwetter wächst und jagt die Wolken schwer über die Schneefelder; schwarze Zinnen und Gipfel treten hier und dort hervor und werden vom Nebel wieder verschleiert.
Brand kommt blutig und zerschlagen des Wegs.
BRAND
bleibt stehen und blickt zurück.
Tausend folgten meinem Rufe;
Keins gewann die höchste Stufe.
Aller Herzen wohl verschönt der
Drang nach einer größern Zeit.
Wohl durch aller Seelen tönt der
Feldruf: Auf zum heiligen Streit!
Doch die Walstatt selbst bleibt stille;
Opfer weigert zager Wille; –
Einer starb für aller Schwächen, –
Feigheit heißt nicht mehr Verbrechen!
Sinkt nieder auf einen Stein und blickt sich scheu um.
O, wie oft erschrak mein Kinder-
herze, sträubte sich mein Haar,
[407] Stand ich, wann Verstecken war,
Und der Hund just anschlug, in der
Dunklen Stube voll Gespenster.
Aber ward die Angst am größten,
Mußte der Gedanke trösten:
Draußen lacht ja Tag und Licht,
Nacht ist ja dies Dunkel nicht, –
Laden sind ja nur vorm Fenster.
Sorg' nicht! Bald wird unbegrenzter
Sonnenschein, als Überwinder
All der Nacht, durch Tür und Fenster
Seinen Einzug halten in der
Dunklen Stube voll Gespenster!
Ach, wo blieb der Sonne Segen! –
Pechschwarz schlug mir nacht entgegegen, –
Und da saß ein stumpf hinbrütend
Volk von greisem Blick und Haar,
Längstgestorbne Träume hütend, –:
Dumpf so wider 's Schicksal wütend,
Hielt der König Jahr um Jahr
Wacht an Schneefrieds Totenbahr',
Legt' ihm 's Ohr an magre Rippen,
Hielt ihm Flaum vor blasse Lippen,
Hofft', noch einmal blühten roten
Blutes Rosen aus dem Toten.
Keiner, gleich ihm, wahnbetört,
Gab dem Grab, was ihm gehört.
Keinem will die Wahrheit ein:
Leichen träumt man nicht ins Leben,
Leichen müssen untern Stein;
Neuen Saaten Wuchs zu geben,
Dies ist ihr Beruf allein,
Nacht, nur Nacht – und aber Nacht!
Keiner hat der Wahrheit acht.
Hätt' ich Blitze zu entsenden,
Eures Strohtods Schmach zu enden!
Springt auf.
Nachtgesichte seh' ich jagen,
[408] Schwarzem Höllenschoß entgoren!
Eine Zeit im Panzerkleide
Fordert Opfer bis zum Grab,
Heischt geschwungnen Stahl statt Stab,
Reißt die Klingen aus der Scheide; –
Vettern seh' ich Schwerter zücken, –
Brüder scheu sich seitwärts drücken,
Tarnkapp' über Aug und Ohren;
Seh' mein eigen Volk verloren
An ein Übermaß von Schande; –
Mann und Weib, da's gilt, versagen
Sich den Bittenden, wehklagen
Feig, einritzend sich den Namen
Armen Fischervolks vom Strande,
Volks aus Gottes schlechtstem Samen, –
Hoffend, daß sie so, gesenkten
Haupts, ihr Los am besten lenkten.
Fahne! Maitagregenbogen!
Wo, wo blieben deine Farben?
Wo dein Blau-Rot-Gold? Verdarben
Sie, die einst so stolz ausrollten,
Als des Volks Gesang umschwoll den
Königlichen Ideologen,
Bis er Zung' und Schlitz dir schnitt?
Weh, dein Züngeln ward Geprahl,
Weh, kein Drachenzahn wuchs mit,
Als sie dir den Rachen schenkten; –
Daß doch still geblieben wäre
Volk wie königliche Schere!
Die mit den vier Friedensecken
Langt vollauf als Notsignal,
Fängt ein Kutter an zu lecken!
Schlimmre Bilder, schlimmre Lose
Tauchen aus der Zukunft Schoße!
Eine schwarze Wolkenwand,
Naht der Kohlenqualm des Britten;
Was da frisch und grün, befleckend,
Jeden Keim mit Ruß bedeckend,
[409] Kommt er giftschwer angeglitten,
Stiehlt den Tag von allen Wegen,
Rieselt, wie ein Aschenregen
Des Vesuv, auf Stadt und Land.
Häßlich sind die Menschen jetzt; –
Zu der Grubenhämmer Klopfen
Gluckt's wie Sang von Wassertropfen;
Krüpplig Volk die Meißel wetzt,
Erzes Geister zu entbinden, –
Bucklig Leib und Seel' zuletzt,
Gierverzerrt die Zwergenzüge
Nach des Goldes blanker Lüge.
Ohne Lachen, ohne Weinen,
Ohne brüderlich Empfinden,
Ohne Selbst-sich-Überwinden
Hämmert's, münzt es, feilt es; – keinen
Lockt die Sage mehr vom Licht;
Keiner mehr von all den Blinden
Sagt sich, daß die Pflichten nicht
Enden, wo die Kräfte schwinden!
Schlimmre Bilder, schlimmre Lose
Tauchen aus der Zukunft Schoße!
Eitlen Klügelns Wolfesrachen
Will der Lehre Sonne morden;
Helft uns! schreit's empor zum Norden:
Aufgebot von Berg zu Berg! –
Stur und störrisch zischt der Zwerg:
Was soll ich bei diesem Werk?
Mögen starke Völker wachen,
Andre sich zum Sturmbock machen,
Wir gehören zu den schwachen, –
Wir, das kleine Land, verlieren
Auf solch heiligen Turnieren,
Stell'n für unsern Bruch vom Heil
Nicht des Volks Gemeinwohl feil.
Nicht für uns hat er gelitten,
Hat ein Zahn vom Dornenkranze
Seine Schläfen ihm zerschnitten,
[410] Ward gerannt die Römerlanze
Dem Gestorbnen in die Seiten,
Ward gebohrt durch Fuß und Hand ihm
Spitzer Nägel Feuerpfeil.
Wir sind klein, sind kaum bekannt ihm,
Spür'n zu helfen, keinen Trieb.
Nicht für uns ward 's Kreuz getragen.
Ahasveri Knieriemhieb,
Purpernd des dem Tod Geweihten
Schulter, bleibt zu allen Tagen
Am Passionswerk unser Teil.
Wirft sich in den Schnee nieder und bedeckt sein Antlitz; nach einem Weilchen blickt er auf.
Hab' geträumt ich? Bin erwacht nun?
Alles grau, verweht in Nacht nun!
War ein Zug Gesichte nur,
Was da jäh vorüberfuhr?
Hat des Menschen Seele dessen,
Der nach sich ihn schuf, vergessen,
Ganz dem Abgrund sich verdungen –?
Lauschend.
Horch, der Sturmwind spricht mit Zungen!
CHOR DER UNSICHTBAREN
im Sturme sausend.
Nimmer wirst Du, Mensch, ihm gleichen, –
Denn aus Staub bist Du gemacht;
Magst ausharren oder weichen,
Immer stürzt Dein Pfad in Nacht!
BRAND
wiederholt die Worte und sagt leise.
Weh! Fast will es wahr mir scheinen!
Stieß er nicht vom Kirchenchore
Mich zurück mit meinen Peinen,
Riß mich los von all dem Meinen,
Schloß vor mir des Lichtes Tore,
Hieß mich bis zum Letzten kriegen,
Ließ mich endlich unterliegen!
DER CHOR
stärker über ihm tönend.
Nimmer wirst Du, Wurm, ihm gleichen, –
Denn dem Staub bist Du entstammt;
[411] Magst nachfolgen oder weichen,
Immer bleibt Dein Tun verdammt!
BRAND
vor sich hin.
Weib und Kind und lichte Tage,
Tage voll beglückten Strebens,
Tauscht' ich wider Kampf und Klage,
Riß die Brust mir wund, – vergebens
Warf ich alles in die Wage.
DER CHOR
mild und lockend.
Träumer, nie wirst Du ihm gleichen,
Was Du ihm auch dargebracht;
Wähne nie, je zuzureichen; –
Denn als Mensch bist Du gemacht!
BRAND
bricht in leises Weinen aus.
Agnes, Alf, o, kommt zurücke!
Einsam sitz' ich hier und sehne
Mich auf öder Bergeslehne,
Spukumgraust, nach einst'gem Glücke –!
Er blickt auf; ein dämmerheller Fleck öffnet und erweitert sich im Nebel vor ihm; eine weibliche Gestalt steht da, in lichtem Gewande, einen Mantel über den Schultern. Es ist Agnes.
DIE ERSCHEINUNG
lächelt und breitet die Arme nach ihm aus.
Sieh mich Dir zurückgegeben!
BRAND
fährt verwirrt auf.
Agnes! Du bist noch am Leben!
DIE ERSCHEINUNG.
Alles war ein Fiebertraum!
Nun soll sich das Übel heben!
BRAND.
Agnes! Du!
Will ihr entgegeneilen.
DIE ERSCHEINUNG
schreit auf.
Nicht hier herüber!
Siehst Du nicht des Abgrunds Saum?
Nicht des Wasserfalles Schaum?
Mild.
Nein, es ist kein Traum, kein trüber,
Kein Gesicht mehr, was Dir droht.
Brand, Du sahst, in Wahnsinnsnot,
[412] Alles wie mit Nacht verhängt, –
Träumtest, daß wir Dich verließen. –
BRAND.
O, daß Du noch lebst! Gepriesen –!
DIE ERSCHEINUNG
schnell.
Später! Jetzt kein Wort von diesen!
Folg' mir, komm; die Stunde drängt.
BRAND.
O, doch Alf?
DIE ERSCHEINUNG.
Ist auch nicht tot.
BRAND.
Lebt!
DIE ERSCHEINUNG.
Ja, lebt, gesund und rot!
All Dein Leid war Traum und Trug,
All Dein Streit ein leerer Spuk.
Alf sitzt auf Großmutters Schoß;
Sie genas, und er ward groß.
Auch die Kirch' steht noch wie einst;
Bau' sie größer, wenn Du meinst; –
Drunten mühn im Dorf die Leute
Still sich hin, wie einst so heute.
BRAND.
Einst –?
DIE ERSCHEINUNG.
Ja, einst, – da Friede war.
BRAND.
Friede!
DIE ERSCHEINUNG.
Brand, wie lange säumst Du!
BRAND.
Ach, ich träume!
DIE ERSCHEINUNG.
Nein, nicht träumst Du.
Doch bedarfst Du Ruh' und Pflege –
BRAND.
Ich bin stark.
DIE ERSCHEINUNG.
Das hat noch Wege;
Noch zu nach ist die Gefahr.
Wieder wirst Du wie ein Schatten
Mir und meinem Kind entjagen,
Wieder wird Dein Geist ermatten, –
Willst Du die Arznei nicht wagen.
BRAND.
O, gib her!
DIE ERSCHEINUNG.
Du hast in Deiner
Hand sie, Du allein, sonst keiner.
BRAND.
Nenn sie denn!
DIE ERSCHEINUNG.
Der Arzt, der alte.
Den so manches Buch belehrt,
[413] Der so klug, wie selten einer,
Fand drei Wörtlein als den Herd
Deiner Krankheit, deren kalte
Schauder Dich mit Wahnsinn schlagen.
Denen mußt Du ganz entsagen,
Die aus dem Gedächtnis bleichen,
Die von jeder Tafel streichen.
Die sind all des Schreckgesichts,
Das Dich anfiel, anzuklagen;
Die vergiß, soll Deiner reichen
Seele Siechtum endlich weichen!
BRAND.
Sag' sie!
DIE ERSCHEINUNG.
»Alles oder nichts.«
BRAND
zurückweichend.
Ist es das?
DIE ERSCHEINUNG.
So wahr ich lebe,
Und so wahr Dir Tod gesetzt!
BRAND.
O, so hängt in dräuender Schwebe
Über uns das Schwert noch jetzt!
DIE ERSCHEINUNG.
Brand, bei mir ist Lieb' und Lust;
Flieh, Dein Weib an starker Brust,
Fort zu wärmern Himmelsstrichen –
BRAND.
Meine Krankheit ist gewichen.
DIE ERSCHEINUNG.
Ach, doch kommt sie wieder, Brand.
BRAND
schüttelt den Kopf.
Nein, ich fühl's, das Fieber schwand
Träume noch, wer träumen mag,
Ruft des Lebens lichter Tag!
DIE ERSCHEINUNG.
– Lebens?
BRAND.
Folg' mir!
DIE ERSCHEINUNG.
BRAND.
Vollbringen, was ich muß:
Leben, was bis jetzt geträumt, –
Endlich tun, was noch versäumt.
DIE ERSCHEINUNG.
Ha, unmöglich! All die Qual
Deiner Kämpfe –!
[414]BRAND.
Noch einmal!
DIE ERSCHEINUNG.
All die grausen Traumeswehen
Willst Du wach und frei bestehen?
BRAND.
Wach und frei.
DIE ERSCHEINUNG.
Dein Kind verlieren?
BRAND.
Es verlieren.
DIE ERSCHEINUNG.
Brand!
BRAND.
Ich muß.
DIE ERSCHEINUNG.
Noch einmal mein Blut gefrieren
Machen, bis des Todes Kuß
Mich von Dir erlöst?
BRAND.
Ich muß.
DIE ERSCHEINUNG.
Alles Licht mit Nacht zerdrücken,
Nie Dein Herz an Tag beglücken,
Nie des Lebens Früchte pflücken,
Nie Dein Leid im Lied ertränken?
Ach, ich muß so vieler denken!
BRAND.
Wär' ich ich, wenn ich mich schonte?
DIE ERSCHEINUNG.
Du vergißt, wie man Dir lohnte!
Äffte doch am Ziel ein Trug Dich;
Man verließ Dich, Brand, man schlug Dich!
BRAND.
Nicht für mich hab' ich gelitten,
Nicht für eignen Sieg gestritten.
DIE ERSCHEINUNG.
Für ein Volk in Grubengängen!
BRAND.
Einer kann viel Nacht verdrängen.
DIE ERSCHEINUNG.
Für gerichtete Geschlechter?
BRAND.
Viel vermag oft ein Gerechter.
DIE ERSCHEINUNG.
Denk der ältesten der Fehden!
Wessen Zorn trieb uns aus Eden?
Nimmermehr geöffnet werden
Pforten, die der Arm zutat!
BRAND.
Offen blieb der Sehnsucht Pfad!
DIE ERSCHEINUNG
verschwindet unter donnerähnlichem Getöse; Nebel wälzt sich über die Stelle, wo sie stand, und ein Schrei, grell und schneidend wie der eines Flüchtenden, ertönt.
Stirb! Was willst Du hier auf Erden;
[415]BRAND
steht eine Weile wie betäubt.
Es ist fort! Den Nebelschlund
Flog's hinein mit schwarzen Schwingen,
Wie ein Habicht. Ha! Der Grund
Jener Fordrung waren Schlingen,
Mich noch jetzt zu Fall zu bringen –!
Kompromiß, da sprach Dein Mund!
GERD
kommt mit einem Stutzen.
Sahst Du dort den Habicht fliehn?
BRAND.
Ja, Du; diesmal sah ich ihn.
GERD.
Schnell, beschreib mir, wohin strich er!
Heut will ich's an ihm vollziehn!
BRAND.
Schwerlich; der ist kugelsicher!
Ob er schon an mörderlicher
Ladung oft zu enden schien, –
Schoß, just da den Todesstich er
Haben sollt', flugs hinter mich er –
Und fing an aufs neu' zu fliehn.
GERD.
Hier den Renntierstutzen raubt' ich, –
Lud mit Stahl und Silber; – viel
Minder toll bin, als Ihr glaubt, ich, –
Wartet nur!
BRAND.
So triff Dein Ziel!
Wendet sich zum Gehen.
GERD.
Hinkst ja, Pfarr? Was ist geschehn hier?
Bist gestürzt?
BRAND.
Das Volk verwies mich
Meines Amts.
GERD
näher.
Blutstropfen stehn Dir
Auf der Stirn!
BRAND.
Man schlug und stieß mich.
GERD.
Deine Stimm', einst so metallen,
Raunt nur mehr, wie Wind im Laube!
BRAND.
Alle – Alles –
GERD.
Nun?
BRAND.
Verließ mich.
GERD
sieht ihn mit großen Augen an.
Jetzt erst merk' ich, wer Du bist!
[416] Nicht der Pfarr, wie erst mein Glaube; –
Pah, des Pfarrers und des Allen!
Du bist, – der am größten ist.
BRAND.
Dem Wahn fiel ich fast zum Raube.
GERD.
Laß mich Deine Hände sehen!
BRAND.
Wozu das?
GERD.
Die Nägelmale!
Rote Perlen um die fahle
Stirn, den Blutbiß scharfer, böser
Dornenzähn' ins Fleisch geschlagen!
Dich hat ja das Kreuz getragen!
Vater sagt' einst oft zu mir,
Wie dies wär' vor lang geschehen,
Weit von hier – und nicht von Dir; –
Doch ich seh', das waren Sagen, –
Ja; denn Du bist der Erlöser!
BRAND.
Weiche!
GERD.
Soll ich niederfallen
Und anbeten?
BRAND.
Fort von hier!
GERD.
Du vergossest ja das Blut,
Das da helfen sollt' uns allen!
BRAND.
Brauchte selber Hilf' zu gut.
Laß mich still mein Haupt verhüllen!
GERD
will ihm den Stutzen geben.
Töte die verruchte Brut –!
BRAND
schüttelt den Kopf.
Nein, ich muß mein Los erfüllen.
GERD.
Sprich nicht so; Du, als Erlöster,
Weisest Deine Wunden her; –
Du bist aller Menschen Größter!
BRAND.
Der Geringste ist es mehr.
GERD
blickt hinauf, wo die Wolken sich lichten.
Weißt Du, wo Du stehst?
BRAND
starrt vor sich hin.
Ich steh'
Tief am Fuße steiler Wände,
Leib und Seel' gleich wund und weh.
GERD
wilder.
Weißt Du, wo Du stehst, sag'!
[417]BRAND.
Mir
Ist, als ob der Nebel schwände –
GERD.
Wohl, er tat's: Das schwarze Horn
Dort zerriß ihn wie ein Dorn!
BRAND
blickt auf.
Schwarzes Horn? Eiskirche!
GERD.
Ja!
Ist der Kirchgast endlich da!
BRAND.
Tausend Meilen fort von hier! –
O, wie ich nach Licht mich härme!
Wie verlangt mein ganzer Wille
Nach des Friedens Kirchenstille,
Nach des Lebens Sommerwärme!
Bricht in Tränen aus.
Jesus, Dich hab' ich genannt;
Niemals wolltest Du mir nahn,
Folgtest dicht mir auf dem Fuße,
Ungegrüßt, doch nah zum Gruße;
Laß mich nun vom Heilsgewand,
Feucht vom Wein der wahren Buße,
Nur noch ein arm Eckchen fahn!
GERD
bleich.
Wie? Du weinst ja! Du, der Seher!
Warm, daß Deine Wange glüht, –
Daß des Gletschers Grabtuch leise
Tropfend in den Abgrund sprüht, –
Daß in Tränen mein Gemüt
Auftaut wie aus ewigem Eise, –
Daß der Schneetalar, entbreitet,
Von dem Eisberg-Prediger gleitet –!
Bebend.
Mann, was weintest Du nicht eher!
BRAND
hellen Auges, strahlend, wie verjüngt.
Im Gesetz erfriert die Seele, –
Ohne Licht kein Blühn auf Erden!
Galt's bislang, die Tafel werden
Gottgegebener Befehle, –
Will ich nun, ein Mensch, zu meinen
Brüdern in die Sonne treten.
[418] Sie besiegt mich. Ich kann weinen,
Ich kann knieen, – ich kann beten!
Sinkt in die Knie.
GERD
lugt nach oben und sagt leise und scheu.
Sieh, da setzt er sich, der Böse!
Siehst Du seinen Schatten schwanken!
Sieh, wie er des Gipfels Flanken
Mit den breiten Schwingen schleißt!
Wenn das Silber jetzt nur beißt, –
Daß uns dieser Schuß erlöse!
Reißt den Stutzen an die Wange und schießt. Hohles Dröhnen, wie von rollendem Donner, antwortet hoch oben von der Bergwand.
BRAND
fährt auf.
Ha, was tust Du!
GERD.
Gut getroffen!
Er verliert den Halt, – er fällt;
Horch, da schreit er, daß es gellt!
Sieh nur, sieh, sein halb Gefieder
Flockt wie Schnee die Bergwand nieder; –
Immer mehr wird's – immer mehr –!
Hei, er stürzt am End' hierher!
BRAND
sinkt zusammen.
Mitgeboren, mitverloren!
So nur wird die Schuld beschworen.
GERD.
Steht das weite Himmelszelt,
Seit er fiel, nicht doppelt offen?
Sieh, er rollt, er überschlägt sich, –
Pah, Dein toter Zorn erträgt sich;
Bist ja weiß wie eine Taube –!
Schreit entsetzt.
Hu, was für ein wild Geschnaube!
Wirft sich nieder in den Schnee.
BRAND
krümmt sich unter der herabstürzenden Lawine und ruft empor.
Sag' mir, Gott, im Todesnahn!
Wiegt vor Dir auch nicht ein Gran
Eines Willens quantum satis –?
Die Lawine begräbt ihn und erfüllt das ganze Tal.
EINE STIMME
antwortet durch den Donner.
Gott ist deus caritatis!
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