[235] Der Streit der Schönheit und Tugend-Liebe wurde bey dem sehr vergnügten und beglückten Hochzeit-Feste eines wehrten Freundes in Breßlau J.C.W. beygeleget

Schönheit

Jeh bin der Angelstern/ nach dem die Menschen sehn/
Die auf der Anmuhts See der Liebe wollen gehn.
Der Augen ihr Magnet, der Geister ihre Weide/
Der Sinnen Himmelreich/ der Aufenthalt der Freude.

Die Liebe der Schönheit

Du schöne Mutter zeugst ein unvergleichlich Kind/
Die Liebe/derer Macht die freyen dienstbar find.
Ans deinem Crystallin muß sich mein Strom ergießen/
Und aller Welt mit Lust in Leib und Seele fließen.

Tugend

Ihr Sinnen haltet ein/ die eitler Schönheit voll.
Im Menschen wohnt ein Geist/ der mich verfechten soll:
Die Schönheit/ die nicht stirbt/ erwecket seine Triebe.
Die Tugend ist die Braut der allerreinsten Liebe.

Tugend Liebe

Schweig/ Liebe/ deren Lust aus schönen Augen lach:
Du hast schon ehemals die Erden umgebracht.
Die Kinder Gottes sah'n/ o Schönheit/ welch verderben!
Sich nach den Schönen um/ 1 und musten darum sterben.

Fußnoten

1 1 Buch Mosis. cap. 6.

[236] Schönheit

Werd ich der Sünden-Fluht verhaßte Schuld genennt?
Die Sonne bleibet rein/ wenn sie gleich schwartze brennt.
Gott will den schönen Leib vor andern drum erbauen/
Sein Meisterstück der Welt mit Anmuht anzuschauen.

Der Schönheit Liebe

Die Liebe geht nach dem/ was Liebens-würdig ist.
So lange du Natur des Geistes Wohnung bist/
So lange noch der Geist Vollkommenheiten achtet/
Wird ohne Regung nicht der Schönheit Werck betrachtet.
Drüm halte Tugend ein/ dein Urtheil ist zu scharff/
Weil Tugend der Natur/ die herrlich ist/ bedarff.
Aus Liebe reget uns die Seele Leib und Glieder/
Und Liebe liebet nie/ was der Natur zu wieder.

Tugend

Die Liebe liebt darum nicht wieder die Natur/
Wenn sie der Tugend hold; die blöden Sinnen nur.
Hat leichter Schönheit Glantz auf eine Zeit gewonnen.
Der Geist hat Adlers Krafft/ und sieht in beßre Sonnen.
Gott baut ein seines Haus und setzt den Herrn hinein/
Sprich Schönheit/ welcher muß mehr liebens-würdig seyn?
Des Geistes Schönheit bleibt doch schön vor allen Sachen/
Und soll uns mehr verliebt/ als andre Schönheit machen.

Tugend-Liebe

Die Schönheit ist ein Feind der frey und reinen Brust/
Die Liebe/ die sie pflantzt/ ein Feind der Ruh und Lust.
Doch diese Feinde kan die Kranckheit überwinden/
Die Tugend aber nicht/ in der wir Ruhe finden.
[237]
Drum liebt ein edler Geist zwar einen schönen Leib/
Jedoch entflammt ihn mehr ein Engel-gleiches Weib/
Und will in der Natur er die Natur besprechen/
Muß ihm der Tugend-Hand der Schönheit Rosen brechen.
Der Himmel schlichtete den sonderbahren Streit/
Und sprach: der Tugend nur bleibt die Vortrefflichkeit.
Doch zancket nicht darum/ vereinigt euch zusammen:
Der Menschen-Liebe muß durch euch vollkommen flammen.
Er rief: was ich gesagt/ sey itzo Sonnen-klar/
Und suchte gleich darauf ein ihm beliebtes Paar.
Dem gab er sie/ und sprach: den süßen Brand zu heilen/
Solt ihr euch beyde nun in diese viere theilen.
Ich nehme sprach die Braut/ die Tugend in mein Hertz:
Sie ist der Seelen-Schatz/ der Engel Lust und Schertz;
Die Schönheit an den Leib. Wer will die Liebe haben?
Die beyden ersten sind bey mir des Himmels-Gaben.
So kom mein Edler Wolff/ nim beydes Lieben an.
Ich find an deinem Thun/ was mich entzücken kan:
Gelehrsamkeit/ Verstand/ die Anmuht in Geberden:
Wo durch ich schätzbar kan vor vielen Weibern werden.
Die erste Liebe soll nach meiner Tugend gehn;
Du wirst dem Glück dadurch unüberwindlich sehn.
Die Tugend ist ein Schmuck an Frauen hochzuschätzen/
Ein Atlas in dem Creutz/ ein Leitstern im Ergetzen.
Der Schönheit Liebe nimmt dein Hertz in die Gewalt/
Und giebt der Augen Lust beliebten Aufenthalt.
Sie soll die Dienerin von iener Liebe bleiben:
In Tugend die Natur vergnügen und vertreiben.
[238]
Die ungemeine Braut sprach so viel schönes aus.
Denn zog der Bräutigam in ihrer Tugend-Haus/
Und hat der liebe Geist/ den ihre Schönheit rühret/
In ihre keusche Brust durch Priesters-Hand geführet.
Drauf kam er Seegens-Mund und Schloß die kluge That:
Verliebt/ doch keusches Paar/ das nebst der Tugend hat
In Schönheit sich verliebt/ du wirst in kurtzen schauen/
Wie durch sein schön Geschöpff Gott will Geschöpffe bauen.

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TextGrid Repository (2012). Hunold, Christian Friedrich. Der Streit der Schönheit und Tugend-Liebe. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-85F9-A