I
In einem venezianischen Palast, den der Baron bewohnt: das Vorzimmer, vielmehr ein hoher geräumiger Vorsaal. Im Hintergrund große Tür auf die Treppe, daneben rechts eine kleine Tür ins Dienerzimmer, links ein Fenster in den Hof. Die rechte Wand hat ein vergittertes Fenster auf den Kanal hinaus. An der linken Wand kleine Tür ins Schlafzimmer und noch eine Tür. Der Saal selbst hat Stuckdekoration im Barockgeschmack und kein Mobiliar als einige große Armstühle mit verblichener Vergoldung.
Es treten auf: der Baron und Lorenzo. Der Baron in Lila, mit blaßgelber Weste, Lorenzo ganz schwarz.
Der Baron tritt zuerst ein, mit den Gebärden des Hausherrn.
BARON.
Nein, nein, Ihr müßt mir diese Ehre erweisen, ich tue es nicht anders. Ihr seid ein Edelmann, ich bin ein Edelmann. Ihr heißt Venier, ich heiße Weidenstamm. Ihr gehört zu den Familien, die diese Stadt regieren, ich liebe diese Stadt über alles. Wir finden uns in der Oper, ich will den Namen einer Sängerin wissen, ich sehe mich nach einer Person von Stand um, an die ich meine Frage richten könnte. Eure Haltung, Eure Kleidung, Euer gemessener Blick, Eure wundervoll schönen adeligen Hände ziehen meine Aufmerksamkeit auf sich, und ich finde nichts wünschenswerter, als eine Unterhaltung fortzusetzen, die der Zufall angeknüpft hat.
VENIER.
Sie sind sehr gütig, und ich bin um so beschämter als –
BARON.
Wir wollen uns Du sagen, wie in der großen Welt in Wien und Neapel. Ich will dir erklären – verzeih –
Klatscht in die Hände.
Venier, stumme Bewegung.
Le Duc tritt von links auf.
BARON.
Le Duc, ich komme an, Niemand ist da, mir aus der Gondel zu helfen. Auf der Treppe ist kein Licht. Im Vorhaus [511] kann man den Hals brechen. Wo ist der Lakai, den du aufnehmen solltest? Wo ist der Diener, den der Wohnungsvermieter zu schicken versprochen hat?
Zu Venier.
Du mußt mich entschuldigen, ich bin noch keine vierundzwanzig Stunden hier und, wie du siehst, schlecht bedient.
LE DUC.
Euer Gnaden, es waren drei da, aber mit solchen Galgengesichtern –
BARON.
Genug, du wirst morgen zusehen. Jetzt Lichter, ich habe Spiel! Tokaier, Kaffee!
Zu Venier.
Darf ich dir sonst etwas anbieten?
Pause, während Le Duc serviert.
VENIER.
Sie sind nicht das erste Mal in Venedig, Baron?
BARON.
Wie kannst du das glauben? Aber du machst mich unglücklich, ich sehe, du fühlst dich nicht zu Hause.
Auf ihn zutretend.
Venier, wir überlegen es uns keinen Augenblick, den zehnten Teil unseres Vermögens hinzulegen, wenn wir unter dem Kram eines Antiquitätenhändlers den Kopf eines sterbenden Adonis oder eine Gemme mit beflügelten Kindern finden. Wir fahren stundenweit ins Gebirge, um die Fresken zu sehen, die eine längstvermoderte Hand an die Wände einer halbverfallenen Kapelle gemalt hat. Wir begehen die größten Torheiten um einer Frau willen, die wir im Vorübergehen gesehen haben; und um die Bänder eines Mieders aufzulösen, ehe wir wissen, was dieses Mieder verbirgt, setzen wir unser Leben ein und bedenken uns keinen Augenblick. Aber einen Mann, der uns gefällt, anzureden, einen Menschen zu suchen, ein Gespräch, das vielleicht Unendliches bietet, welche Schwerfälligkeit haben wir da, welche Mischung von Bauernstolz und Schüchternheit. Die Zurückhaltung, deren wir uns einer Statue, einem Gemälde, einer Frau gegenüber schämen würden, einem Manne gegenüber scheint sie uns am Platz.
VENIER.
Und ist es vielleicht auch ebendarum, weil wir Männer sind.
[512]BARON
trinkt sein Glas aus.
Du bist ein Venezianer, ich bins zehnfach!
Der Fischer hat sein Netz, und der Patrizier
das rote Kleid und einen Stuhl im Rat,
der Bettler seinen Sitz am Rand der Säule,
die Tänzerin ihr Haus, der alte Doge
den Ehering des Meeres, der Gefangne
in seiner Zelle früh den salzigen Duft
und blassen Widerschein der Purpursonne:
ich schmecke alles dies mit einer Zunge!
VENIER
für sich.
Wer ist der Mensch?
BARON.
Hoho, ich bin vergeßlich.
Wie gehts der schönen Frau des Prokurators
Manin?
VENIER.
Die lebt nicht mehr.
BARON.
Die lebt nicht mehr?
Mit den meergrünen Augen!
VENIER.
Die ist tot
Seit sieben Jahren.
BARON.
Tot? Was du nicht sagst!
VENIER.
So ist es lang, daß Sie den Aufenthalt ...
BARON.
Recht lang. Drum atm ichs ein mit solcher Lust.
Er geht ans Fenster rechts.
Zu meiner Zeit saß auch der Alte noch
mit seiner roten Mütze auf der Treppe
der kleinen Löwen und erzählte Fabeln.
VENIER.
Der Cigolotti?
BARON.
Wundervolle Fabeln!
Von Serendib und von der Insel Pim-pim.
Er macht das Fenster auf.
Welch eine Luft ist das! In solcher Nacht
ward diese Stadt gegründet. Ihre Augen
schwammen in Lust, er hing an ihrem Hals,
sie tranken nichts als aufgelöste Perlen.
[513]VENIER.
Wer?
BARON.
Weißt dus nicht, weißt du den Anfang nicht?
Ihr seid die Letzten nur von ihrem Blut.
VENIER.
Wovon den Anfang?
BARON.
Von Venedig. Hier
war solch ein öder Wald am Rand des Meeres
wie bei Ravenna. Aber Fischer zogen
an Perlenschmüren und an ihrem langen
goldroten Haar Prinzessinnen ans Ufer.
VENIER.
Prinzessinnen?
BARON.
Von Serendib, was weiß ich!
Sie waren nackt und leuchteten wie Perlen
und lebten mit den Fischern. Andre kamen
dann nach, auf Ungeheuern durch die Luft
und durch das Meer gefahren. Tra la la –
Er sucht eine Melodie.
Wie war das, was sie sang? Tra la la la ...
VENIER
aufstehend.
Wer sang?
BARON.
Die Mandane! heut in der Oper.
Oder Zenobia, wie? Sehr schön. Sehr schön.
Er fährt wieder in seiner Erzählung fort.
Doch später dann zerging die Zauberstadt –
nicht ganz! es blieb ein Etwas in der Luft,
im Blut! Mit rosenfarbnen Muschellippen küßte
das Meer und leckte mit smaragdnen Zungen
die Füße dieser Stadt! Die Kirchen stiegen
wie Häuser der verschwiegnen Lust empor –
VENIER.
Sie haben die Beredsamkeit eines Dichters, mein Baron.
BARON.
Oh, eines Liebhabers, höchstens eines Liebhabers.
VENIER.
Eines Liebhabers, der sich gerade hier ...?
BARON.
Der glücklichsten Stunden erinnert, der unbeschreiblichsten, der unvergeßlichsten ...
Venier, Bewegung.
[514]BARON.
Sie war ein Kind und wurde in meinen Armen zum Weib. Ihre ersten Küsse waren unerfahren wie aus dem Nest gefallene junge Tauben, ihre letzten Küsse sogen die Seele aus mir heraus! Wenn sie kam, abends oder in der Früh, schlanker als ein Knabe! sie war in den großen alten Mantel gewickelt, dann warf sie ihn hinter sich und trat hervor wie ein Reh aus dem Wald.
VENIER.
So hinter sich ...
BARON.
Den Mantel, ja.
VENIER.
Den Mantel, und trat hervor.
BARON.
Sie glühte unter meinen Küssen auf.
Sie hatte einen andern Mantel dann
von nacktem Glanz und ungreifbarem Gold.
Ihr Hals war angeschwollen und ihr Mund
gekrümmt vom Schluchzen grenzenloser Lust.
Beladen war ein jedes Augenlid
mit Küssen, jede Schulter, jede Hüfte!
Ich habe hundertmal im Arm von andern der anderen vergessen, wie durch Dunst durch ihren Leib hindurch den Perlenglanz von jenem Leib im Dunkeln schwimmen sehn und zu mir glühen durch den Dunst goldfarben ein erbsengroßes Mal an ihrer Brust –
VENIER.
Ein Mal! hier! hier?
Zeigt an den Hals.
BARON.
Wie? Hier mich dünkt.
Denkt nach.
Nein, hier.
An der Brust.
Was ficht dich an?
VENIER.
Nichts, nichts, beinahe nichts.
Geht nach rechts vorne.
Baron geht zu Le Duc nach links rückwärts.
VENIER
rechts vorne stehend.
Ich bin wahnsinnig, meine ganze Angst und Erregung ist sinnlos und ich kann sie nicht bemeistern. Er hat mich in der Oper um ihren Namen gefragt, also kennt er sie nicht. Zwar er könnte sie doch früher [515] gekannt haben und hätte nur wissen wollen, wie sie jetzt heißt. Das Muttermal! Jede zweite Frau hat eines. Und er hat ja die falsche Stelle bezeichnet. Warum fallen mir nur die Punkte auf, die meinen Verdacht bestätigen, nicht die, die ihn entkräften! Es war noch etwas,
Nachdenkend.
noch etwas sehr Schlimmes! Das mit dem Mantel, das mit dem Mantel!
BARON
zu Le Duc.
Der Brief an die Opernsängerin ist bestellt?
LE DUC.
Zu Befehl, Euer Gnaden, und es ist auch schon eine alte Frau draußen, welche die Antwort bringt.
BARON.
Wo? her mit dem Brief!
LE DUC.
Sie will nur Euer Gnaden selbst – sie wartet in der Kammer neben dem Vorsaal.
BARON.
Ich gehe sogleich.
Laut.
Zwei Spieltische! Auf jeden vier Lichter!
Zu Venier.
Du entschuldigst mich für einen Augenblick.
VENIER
geht zu Le Duc.
Wer ist dein Herr?
Will ihm Geld geben.
LE DUC
zurücktretend.
Eure Exzellenz werden wissen, daß ich die Ehre habe, dem Herrn Baron Weidenstamm aus Amsterdam zu dienen.
VENIER.
Weidenstamm! Weidenstamm! es gibt keinen Holländer auf der Welt, der ein solches Venezianisch spricht.
LE DUC.
Ich habe sagen gehört, Verwandtschaften –
VENIER.
Des Teufels Verwandtschaften!
LE DUC.
Zumindest habe ich aus dem Mund meines gnädigen Herrn selbst die wiederholte Versicherung, daß er sich seit mehr als fünfzehn Jahren niemals in Venedig aufgehalten hat.
VENIER.
Die hast du, braver Mensch? die wiederholte Versicherung?
LE DUC.
Wiederholt und ausdrücklich.
VENIER
gibt ihm Geld.
Du bist ein sehr braver Mensch und verdienst, einem so ausgezeichneten Kavalier, wie der Baron ist, attachiert zu sein.
[516]LE DUC.
Ich küsse Euer Exzellenz die Hände.
VENIER.
Vor fünfzehn Jahren war sie ein zwölfjähriges Kind. Und dann: er spricht nie von ihrem Singen; wie hab ich solch ein Narr sein können, das zu übersehen. Er wäre tausendmal zu eitel, so etwas zu verschweigen.
Baron kommt zurück, Venier ihm freundlich entgegen.
VENIER.
Nun aber wirklich gute Nacht, und morgen
zum Frühstück, hoff ich, tust du mir die Ehre:
Casa Venier, die jüngere, drei Schritte hinter San Zaccaria.
BARON.
Wie? Gute Nacht? jetzt wär es Schlafenszeit?
Du denkst nicht dran! und ich denk nicht daran,
dich fortzulassen! Nun kommt mein Bankier,
vielmehr sein Sohn und bringt, soviel er kann,
an lustiger Gesellschaft.
VENIER.
Nun, ich kann
beinah erraten.
BARON.
Wie?
VENIER.
Die Redegonda,
die Brizzi –
BARON.
Eine andre nannte er.
VENIER.
Die Corticelli, wie?
BARON.
Mir scheint.
VENIER.
Dazu
zwei, drei Tagdiebe, einer, der Sonette
und einer, der Pasquille schreibt, der dümmste
Abbate und der zudringlichste Jude –
BARON.
Und du und ich,
dann ists die Arche Noah! Jeder Art
ein Tier. Und daß so viele Arten sind,
das macht die Welt so bunt. Wen möchtest du
entbehren? Ich den tollen Neger nicht,
der von der Riva taucht um einen Soldo
und mit den Hunden sich ums Essen beißt,
[517] und nicht den goldnen Dogen, der an uns
vorüberschwebt auf einer Purpurwolke
und einem goldnen Schiff. In tausend Masken
läuft er um mich und zupft mich am Gewand,
der Dieb, der Schlüssel stahl zu meinem Glück.
Lebhafter.
In einen Edelstein hineingebannt
ist unsres Geistes Geist, des Schicksals Schicksal.
Der hängt vielleicht zwischen den schönen Brüsten
der Redegonda, und er schläft vielleicht
bei Zwiebeln in der Tasche eines Juden,
was weiß ich! nicht?
VENIER.
Du bist sehr aufgeräumt.
BARON
tritt nahe zu ihm.
Sei nicht zu stolz darauf, daß du nicht Dreißig bist!
Was später kommt, ist auch nicht arm. Rückkehren
und nicht vergessen sein: der Mund wie Rosen,
die offnen Arme da, hineinzufliegen!
Als wär man einen Tag nur fern gewesen –
und den Ulysses grüßte kaum sein Hund!
Immer fröhlicher.
Ich will hier Feste geben. Schaff mir Löwen,
Zu Le Duc.
die Blumensträuße aus den Rachen werfen!
Vergoldete Delphine stell vors Tor,
die roten Wein ins grüne Wasser spein!
Nicht drei, nicht fünf, zehn Diener nimm mir auf
und schaff Livreen. An den Treppen sollen
drei Gondeln hängen voller Musikanten
in meinen Farben.
VENIER
lächelnd.
Ihr beschämt uns alle.
BARON.
Wie? schon zuviel? zuviel? noch nicht genug!
Ich will den Campanile um und um
in Rosen und Narzissen wickeln. Droben
auf seiner höchsten Spitze sollen Flammen
von Sandelholz genährt mit Rosenöl
den Leib der Nacht mit Riesenarmen fassen.
[518] Ich mach aus dem Kanal ein fließend Feuer,
streu so viel Blumen aus, daß alle Tauben
betäubt am Boden flattern, so viel Fackeln,
daß sich die Fische angstvoll in den Grund
des Meeres bohren, daß Europa sich
mit ihren nackten Nymphen aufgescheucht
in einem dunkleren Gemach versteckt
und daß ihr Stier geblendet laut aufbrüllt!
Mach Dichterträume wahr, stampf aus dem Grab
den Veronese und den Aretin,
spann Greife vor, bau eine Pyramide
aus Leibern junger Mädchen, welche singen!
Die Pferde von Sankt Markus sollen wiehern
und ihre ehrnen Nüstern blähn vor Lust!
Die oben liegen in den bleiernen Kammern
und ihre Nägel bohren in die Wand,
die sollen innehalten und schon meinen,
der Jüngste Tag ist da, und daß die Engel
mit rosenen Händen und dem wilden Duft
der Schwingen niederstürzend jetzt das Dach
von Blei hinweg, herein den Himmel reißen!
Plötzlich innehaltend.
St! St! hör ich nicht singen? Kommts nicht näher?
Merk auf! Hörst du nicht eine süße Stimme?
Hierher! Noch nichts? Nein, früher war es stärker!
Du hörst gar nichts! So ists in meinem Blut.
VENIER
ist plötzlich wieder aufgestanden und hat sein Glas so heftig auf den kleinen Tisch gesetzt, daß es klirrend zerbricht.
Hier ist ein Glas entzwei. Verzeihen Sie.
Es gibt dergleichen Tage, wo ein tolles
und widerwärtiges Geschick den Kopf,
von Schlangenhaaren wimmelnd, uns entgegen
aus jeder Türe reckt und unterm Tisch
hervorkriecht, dran wir sitzen! Flecken hat
die Sonne selbst, am Mond hängt weißer Aussatz,
und unser ganzes Innre geht in Fetzen,
darein sich Diebe wickeln.
[519]BARON.
Es ist ein Alp.
VENIER.
Beinah, nur schläft man nicht!
BARON.
Komm, gehn wir auf und ab, die Luft tut wohl.
O hättest du gelernt wie ich zu leben,
dir wäre wohl.
Ich achte diese Welt nach ihrem Wert,
ein Ding, auf das ich mich mit sieben Sinnen
so lange werfen soll, als Tag und Nächte
mich wie ein ächzend Fahrzeug noch ertragen.
Leben! Gefangenliegen, schon den Tritt
des Henkers schlürfen hörn im Morgengrauen
und sich zusammenziehen wie ein Igel,
gesträubt vor Angst und starrend noch von Leben!
Dann wieder frei sein! atmen! wie ein Schwamm
die Welt einsaugen, über Berge hin!
Die Städte drunten, funkelnd wie die Augen!
Die Segel draußen, vollgebläht wie Brüste!
Die weißen Arme! Die von Schluchzen dunklen
verführten Kehlen! Dann die Herzoginnen
im Spitzenbette weinen lassen und
den dumpfen Weg zur Magd, du glaubst mir nicht?
VENIER.
Wie kannst du einen Blick so sehr mißdeuten?
BARON.
Ich sage dir, es gibt nichts Lustigres
als hier im Zimmer auf und nieder gehn,
sich Wein einschenken, essen, schlafen, küssen
und draußen an der Tür den wilden Atem
von einem gehen hören oder einer,
die lauert und in der geballten Faust
den Tod hält, deinen oder ihren Tod!
Dein Leben, wie des kalydonischen Königs
an ein Scheit Holz, geknüpft an eine Kerze,
die wo vor einem höchst verschwiegnen Spiegel
in sich verglühend vor Erwartung flackert –
und das, worauf der Widerschein der Fackel,
[520] indes du fährst zur Nacht, mit Lust umhertanzt,
vielleicht dein nasses Grab! Hoho, sie kommen!
Es treten auf: Sassi, Marfisa Corticelli mit ihrer Mutter, der Abbate, zuletzt Salaino.
SASSI.
Wie gehts, Mynheer?
BARON.
Wie gehts, mein lieber Sassi?
Spielt Ihr den Hausherrn, mich laßt Diener sein
und Euren Gästen meine Dienste weihn.
SASSI
die Marfisa an der Hand vor ihn führend.
Marfisa Corticelli, die Camargo
des Augenblicks, eine, nein die Tänzerin Venedigs!
BARON.
Marfisa! Euren Namen auszusprechen
heißt Duft einatmen einer seltsam süßen
und wilden Frucht; erlaubt den Lippen, sie zu brechen.
Küßt sie.
DIE MUTTER.
Was lobt Ihr ihre Lippen? Ihre Lippen
sind so wie andrer Mädchen. Mit der Spitze
der Füße trillert sie, und in den Kehlen
der Kniee hat sie hübschre Melodien
als andre, wenn sie sich den Hals ausschrein.
Baron schaut verwundert.
DIE MUTTER
knixt.
Ich bin die Mutter.
BARON
mit Verbeugung.
Lamia, die Mutter
der jüngsten Grazie!
SASSI
vorstellend.
Der Abbate Gamba,
der Plinius, Cicero und Aretin
dieses Jahrhunderts.
BARON.
Viel in einem, viel!
Hier noch ein Freund?
Auf Salaino.
DIE CORTICELLI.
O dies ist kaum ein Mensch,
gebt auf ihn nicht mehr acht als wie auf einen Schatten!
BARON.
So ist es deiner?
[521]DIE CORTICELLI.
Ja, ein Tollgewordner!
mit gräßlichen Gebärden hinter mir,
so wie der plumpe Faun die Nymphe ängstigt.
SASSI.
Dies ist ein junger Musiker, Salaino,
der für das übermütige Ding zuviel
Seufzer verschwendet –
DIE MUTTER.
Aber sonst auch nichts!
DIE CORTICELLI.
Laß ihn doch, Mutter. Und ich bitt euch alle,
tut so wie ich und gebt auf ihn nicht acht.
BARON.
Hier der Patrizier Lorenzo Venier,
seit wenig Stunden meinem Herzen nah,
doch teuer wie ein alterprobter Freund.
Venier verbeugt sich unmerklich, sieht alle durch ein Lorgnon an. Le Duc mit Erfrischungen von
links. Gamba zu Venier. Sassi, Marfisa, Mutter zu Le Duc. Baron rechts rückwärts bei Salaino.
BARON
zu Salaino.
Wie, junger Mensch, du hast nichts und du willst
dies weiter tragen? Armut, dies Gefängnis,
aus dem man nicht entspringt, weils mit uns läuft.
Den Hohn und Speichel einer solchen Vettel!
Du hast nichts! dann hat jeder dicke Schuft
von Seifensieder ja dein Haus, dein Bett
und küßt deine Geliebte, spürst dus nicht so?
Vielmehr er hat ein Recht auf ein Stück Fleisch
aus deiner Brust und darf das Messer noch
an deinem Haar abputzen! spürst dus so!
Greift ihm dabei ins Haar.
Wir werden spielen, wart, wir werden spielen,
und hier ist für den Anfang!
Gibt ihm Geld.
Nägel kauen,
an einem schmutzigen Kanal die Lacke
von Stockfisch atmen und auf feuchtem Stroh
von weißen Knien mit goldnem Strumpfband träumen,
bis das Geheul der Katzen auf den Dächern
dem Traum ein Ende macht. Verfluchtes Leben!
[522]SALAINO
mit erstickter Stimme, den Blick zur Seite.
Ich wäre grad so gern der alte Grabstein
am Kirchentor, auf den die Weiber treten,
die halbverfaulte Alge im Kanal,
der Hund von einem Blinden! Manchen Tag,
mein ich, mich schleift ein Pferd an seinem Schweif,
daß ich von unten mit verdrehten Augen
die ganze Welt ansehen muß, so starr
und so verhaßt ist mir des Lebens Anblick.
Ich kann den Fetzen goldgestickten Stoffs
nicht anschaun, den ein Heiliger von Stein
um seinen toten Leib hat, wie viel minder
ertrag ichs, wenn ich die Lebendigen seh,
in lauter Lust gewickelt wie ein Wurm
im Granatapfel.
BARON.
Hast du keine Schwester?
Zur Kupplerin mit ihr! Was, keinen Bruder,
an den Kapellmeister, der Bubenstimmen
für Engelschöre braucht, ihn zu verkaufen?
Auch nicht? So ging ich und verhandelte
das Leben eines Menschen, den ich nie
gesehn, und liehe die Pistole mir
als einen Vorschuß von der Summe aus,
die ich mit ihr verdienen wollte. Was?
Genug davon. Auf später.
Geht zu den anderen hinüber.
BARON
zu der Gruppe.
Wir spielen gleich. Seid wie zu Hause, bitt ich.
Führt Marfisa am Arm nach vorne.
Was kann ich tun, Marfisa, um dir nicht
ganz zu mißfallen?
MARFISA.
Viel, o eine Menge.
Baron küßt sie auf den Arm.
MARFISA.
Nicht das. Wenn du mich gern hast –
BARON.
Nun?
MARFISA.
So gehst du
und mietest Leute – oh, sie tuns um wenig –
[523] wenn du mich gern hast, so mißfällt dir doch,
wer mich mißhandelt, unterdrückt, erniedrigt –
BARON.
Mißfällt? Ich haß ihn wie den Pfahl im Fleisch.
MARFISA.
Und wenn du hassest, läßt du doch nicht ungestraft?
BARON.
Des Schurken Namen sag, ich find ihn.
MARFISA
klatscht in die Hände.
Du tust es mir?
BARON.
Den Namen!
MARFISA.
Costa.
BARON.
Wie?
MARFISA.
Vicenzo Costa,
der Geck, das ekelhafte Ungeheuer,
der Pächter des Theaters, der die Brizzi
das pas de deux, das mir versprochene,
das große, tanzen läßt. Er geht am Abend
allein nach Haus, ich weiß. Bei San Moisé.
Zwei Männer tuns leicht. Du tusts! Du tusts!
Du bist ein großer Herr, und fremd, hast Diener –
BARON.
Und wirds dich freuen?
MARFISA.
Wie nichts auf der Welt!
BARON.
Und glaubst dann –
MARFISA.
Was?
Baron will sie küssen.
MARFISA.
Vielleicht! vielleicht auch nicht!
Reißt sich los, läuft nach rückwärts.
BARON
will ihr nach, auf einmal steht die Mutter vor ihm.
Liebe Frau, Ihre Tochter ist das entzückendste kleine Ding, das ich je berührt habe – mit der Fingerspitze. Sie ist ein so von Leben starrendes wildes funkelndes Wesen wie ein kleiner Turmfalke.
MUTTER.
Sie haben sie nur von ihrer unbedeutendsten Seite kennengelernt.
[524]BARON.
Ganz richtig, ich brenne darauf, sie besser kennenzulernen. Ich sehe, Sie versteht mich, Sie versteht mich.
MUTTER.
Ich hoffe, Euer Gnaden werden öfter das Ballet mit Ihrem Besuch beehren.
BARON.
Sie versteht mich nicht. Ich gedenke mich hier nur wenige Tage aufzuhalten und möchte keine Gelegenheit versäumen, Ihre Tochter kennenzulernen. Ich werde morgen bei ihr vorsprechen.
MUTTER.
Oh, das ist ganz unmöglich, gnädiger Herr, unsere Appartements sind absolut nicht präsentabel. Es ist absolut unmöglich.
BARON.
Was heißt unmöglich?
Gibt ihr Geld.
Sie wird trachten, bis morgen die Appartements präsentabel zu gestalten.
MUTTER.
Oh, es ist unmöglich, meine Tochter ist nicht im Besitz eines konvenablen Negligé, um so distinguierte Gäste zu empfangen.
BARON.
Ich werde die Ehre haben, ihr durch meine Gondel ein sehr konvenables Negligé zuzuschicken.
MUTTER.
Ich weiß nicht, ob Euer Gnaden auswendig die Maße –
BARON.
Überlassen Sie das meinen Augen, gute Frau. Ich habe hier drinnen Maße genug, zehntausend verschiedene Frauen aus zehntausend blinden Marmorblöcken herauszumeißeln, aber ich habe nicht die Laune, mich mit totem Material abzugeben.
Redegonda tritt auf, ihr Bruder, als Lakai, hinter ihr.
REDEGONDA.
Geh vor und meld mich an!
SASSI
ihr entgegen, mit einer großen Handbewegung.
Die Redegonda!
BARON
ihr entgegen.
So ruft, wer am Verdeck zuerst erwacht:
die Sonne! und die andern rufens nach.
Ich hört Euch diesen Abend, Mademoiselle,
und neidete den körperlosen Tönen
den Weg auf Euren Lippen. Muß ich nun
[525] ein niedrig Band beneiden, schlechte Spitzen,
die diesen Hals berühren? Welcher Gott
war dies, der starb vor Sehnsucht nach dem Anblick
des wundervollsten Nackens? Seinen Namen
hab ich vergessen, doch ich teile, fürcht ich,
sein Schicksal, wenn Ihr geht.
REDEGONDA
sich fächelnd.
Sehr schön gesagt.
BARON
indes Le Duc Erfrischungen serviert.
Erlaubt Ihr?
Redegonda trinkt.
BARON.
Dieses Glas ist nun so wenig
mehr feil, da es an Euren Lippen lag,
als eine von den Kammern meines Herzens!
REDEGONDA.
O solche Gläser haben wir noch viele
zu Haus! Nicht wahr, Achilles? Wenn Ihr wollt,
könnt Ihr sie alle kaufen.
Lacht.
BARON.
Ihr spielt?
REDEGONDA.
Tut Ihrs für mich?
BARON.
Ich bin zu glücklich,
laßt Ihr mich nur den letzten Ruderer sein
an Eures Glückes Schiff.
REDEGONDA.
Was heißt das?
ACHILLES
leise.
Geh!
Baron, mit Le Duc, ist beschäftigt, Sassi, Marfisa, die Mutter, den Abbate an den Spieltisch links rückwärts zu bringen.
REDEGONDA
vorne zu Venier.
Ah, Herr Venier!
Venier grüßt, legt die Hand auf den Mund.
ACHILLES
zu Redegonda.
Er winkt Dir, du sollst schweigen.
REDEGONDA.
Wovon?
ACHILLES.
Nun, wahrscheinlich von seiner Frau.
REDEGONDA.
Ach so! Warum?
[526]ACHILLES
immer halblaut.
Was weiß ich? Schweig!
Redegonda und Achilles ungefähr in der Mitte, Venier geht nach links vorne, Baron kommt von rückwärts zu Redegonda zurück, die durch ihr Lorgnon die Gesellschaft mustert.
REDEGONDA.
Wie? Die ist da? Die Tänzerin! Ich bin
nur gern beim Spiel mit meinesgleichen.
BARON.
Göttin
an Schönheit, müßtet Ihr dann Euren Spieltisch
aufschlagen lassen im Olymp.
REDEGONDA.
Wo ist das?
Baron führt sie zum Spieltisch, winkt Salaino herbei, der die ganze Zeit, im Hintergrund stehend, mit den Blicken der Marfisa folgte. Ein fremder älterer Mann tritt in die Türe, mit einer schüchternen Verbeugung, den Dreispitz unter dem Arm. Niemand bemerkt ihn.
VENIER
links vorne allein.
Ich bin hier lächerlich und kann nicht fort. Und doch, es war keine Täuschung: als dieser Mensch sich auf den Platz neben meiner Loge setzte und ihr Blick, der mich suchte, auf ihn fiel, wurde sie unter der Schminke blaß, und der Ton, der schon auf ihrer Lippe schwebte, tauchte wieder unter wie ein erschreckter Wasservogel, und von dem Augenblick an sang nur mehr ihre Kunst, nicht mehr ihre Seele. Soll ich mich in solchen Dingen irren, ich, der ich aus ihren Schritten auf dem Teppich, aus einem Nichts, aus dem Schlagen ihrer Augenlieder erraten kann, woran sie denkt? Und doch kann ich mich irren und diese ganze Qual kann um nichts sein! Hier ist niemand, den ich fragen könnte; die Redegonda ist zu dumm, Sassi zu boshaft. Und doch war mir, als hätte das ganze Haus gefühlt, daß in ihr etwas Ungeheures vorgegangen war. Und in ihrem Spiel war etwas wie Nachtwandeln, sie ging wie unter einem Schatten. Wer ist dieser Mensch? Mir ist, ich dürfte ihn nicht aus den Augen lassen, als wüßte ich, er ist auf geheimnisvolle Weise bestellt, in mein Leben hineinzugreifen.
[527] Wo hab ich das gehört: Ich seh den Dieb,
der zur geheimsten Kammer meines Glücks
den Schlüssel stahl: er geht um mich herum,
doch kann ich ihn nicht fassen: hab ich das
geträumt? und wann?
SASSI
vorkommend, zu Venier.
Wie, kommt Ihr nicht zum Spiel?
VENIER.
Sassi, wer ist der Mensch?
SASSI.
Ich glaub, nicht viel
Nachdenkens wert. Ein Abenteurer, glaub ich,
doch lustigre Gesellschaft als die Puppen,
von denen man Großvater und Großmutter
mit Namen nennen kann.
VENIER.
Wie kommst du zu ihm?
SASSI.
Ich? vielmehr er zu mir: mit einem Brief,
der auf viertausend Golddublonen lautet.
VENIER.
Und ausgestellt?
SASSI.
Von Arnstein Söhnen, Wien.
BARON
geht rückwärts von Marfisas Seite weg, um den Tisch herum; er ruft nach vorne.
Ihr langweilt euch!
SASSI.
Im Gegenteil, Mynheer!
Baron rückwärts stehend, neben Salaino, dem er spielen zusieht.
SASSI
nach rückwärts gehend.
Ich nehm die Bank.
BARON.
Ich bitte, Sassi, nehmt sie.
DER ABBATE
geht zu Venier nach vorne, sich vorstellend.
Abbate Gamba.
VENIER.
Lorenzo Venier, wir sehen
uns nicht das erste Mal.
ABBATE.
Ihr seid sehr gütig,
Euch zu erinnern.
Leises Gespräch, Abbate zeigt seine Uhr; beide gehen nach rechts vorne.
[528] Der alte Mann ist unbemerkt an den Tisch gegangen, steht hinter der Kerze und pointiert mit.
BARON
über Salainos Schultern schauend.
Nimm rot und bleib!
Nach einer Pause.
Es wird! es wächst! es schwillt!
Schon bücken sich zwei, drei vor dir, indes du
aus deiner Gondel steigst, schon brennt ein Licht
auf einer Treppe, schon für dich bewegt sich
ein Vorhang, und ein Tisch mit schönen Speisen
steht da, für zweie aufgedeckt, die Magd
schielt nur nach deiner Hand, um zu verschwinden.
ABBATE
vorne, zu Venier.
Verlassen Sie sich drauf, ich faß ihn plötzlich
und drück ihn an die Wand.
VENIER.
Wir werden sehn.
BARON
rückwärts, zu Salaino.
Nun gut und gut! Nun liegt schon mehr und mehr
gebundne Beute da, mit Zobelpelz
und goldenen Geweben halbverdeckt!
Dies ist die Larve schon, der Engerling
von einem großen Herrn! Jetzt sind schon hundert,
die um die Wette kriechen! Die Illustrissima,
die hochmütige schöne Bragadin,
dreht schon den Kopf. Nun aus dem Dunkel vor!
ABBATE
zu Venier.
Dies sind die Reden eines Taschenspielers
und eines armen Teufels, der groß prahlt.
BARON
zu ihnen vorkommend.
Ihr lacht! Den Teufel, ja, den spiel ich gern;
den meint Ihr doch, Abbate, der den großen
Goldklumpen nachts ins Netz des armen Fischers warf?
Nein, sagt mir, Freunde wer ist dieser Mensch?
Er zeigt auf den fremden alten Mann am Spieltisch.
Kennt ihr ihn nicht?
ABBATE.
Ich nicht, fragt Sassi.
BARON.
Der kennt ihn nicht, er hat schon mich gefragt.
[529] Der alte Mann ist inzwischen vom Spieltisch weggegangen und verschwindet verstohlen durch die Tür im Hintergrunde.
Nun geht er fort. Bei Gott, mir tut der Mensch
bis in die Seele leid. Er suchte immer lang
und legte noch ein Goldstück, jedes schien
zu zittern, wie er selbst, auf eine Karte
und immer gegen uns. Und jedesmal
zerschellte sein elendes Schifflein kläglich
an jenem dieses Burschen, dessen Segel
vom Wind des Glücks wild aufgeblasen waren.
Er geht ans Fenster, sieht hinab, geht dann nach links an die Tür, winkt Le Duc zu sich.
ABBATE
zu Venier.
Es gibt dergleichen, die wie Raben Aas
die Häuser wittern, wo gespielt wird abends
und mit den Fledermäusen und Nachtfaltern
auf einmal da sind.
VENIER.
Der sah traurig aus.
BARON
zu Le Duc.
Lauf diesem Menschen nach im braunen Rock,
er geht die zweite Brücke, lauf und gib ihm
soviel. Sag nicht, von wem. Steh ihm nicht Rede.
Le Duc ab.
BARON
bleibt einen Moment stehen, blickt ins Leere.
Dies war vielleicht mein Vater.
Zumindest hab ich meinen nie gesehn
und möchte keinem von dem Alter wehtun
aus Angst, es wär gerade der. Es gibt
Zufälle von der Art. Mir träumts auch öfter.
Gott weiß, der tolle Krüppel in dem Dorf,
wo ich heut durchkam und vor zwanzig Jahren
auch einmal schlief, der war vielleicht mein Sohn
und fletschte grad auf mich so wild die Zähne.
Er will zum Spieltisch zurückgehen; Abbate hält ihn auf.
ABBATE.
Erlaubt, reizender Hausherr, einen Blick!
Führt ihn unter ein Licht, betrachtet ihn sehr aufmerksam.
[530] Wir sehn uns nicht das erste Mal! Allein
mich dünkt, Ihr habt Euch wunderbar verändert!
Verdeckt mit seiner Hand einen Teil vom Gesicht des andern.
BARON
betrachtet ihn ebenso aufmerksam, wie eine Statue, von rechts, dann von links, dann von unten.
Wahrhaftig nicht das erste Mal! Wo aber
kanns nur gewesen sein?
ABBATE
triumphierend.
Das frage ich!
BARON.
Doch nicht im Haag? an jenem blutigen Abend? ...
Ich hielt den Kopf des sterbenden Oranien
in meinem Arm, und ringsum drängte sich
unheimliches Gesindel durch die Fackeln:
da war auch einer da, ein alter Jude,
zudringlicher als andre, aber wie,
der? soll ich meinen Augen traun, wart Ihr?
Abbate tritt zurück, beleidigt.
BARON
läßt ihn nicht los.
Nein, nein, jetzt hab ichs! In Damaskus dort,
am Hof Yussuf Alis, der Oberste,
wie sag ich schnell, der Stummen? Wieder nicht!
Abbate tritt noch einen Schritt zurück.
BARON.
Und doch gesehn, bestimmt gesehn! In Rom
bei Kardinal Albani –
ABBATE.
Das kann sein.
BARON.
Ihr wart der Monsignore,
Fängt zu lachen an.
dem die Damen –
Sagt ihm etwas ins Ohr.
und dem der Kardinal dann durch die Diener –
Sagt ihm noch etwas ins Ohr, faßt ihn bei beiden Händen, schüttelt sie kräftig.
Wie!
Lacht.
Das wart Ihr! und habt mich gleich erkannt!
Ich wars, der Euch ...
Ihm ins Ohr.
[531]ABBATE
wütend.
Niemals und nimmermehr
war ich das, Herr, ich habe mich geirrt:
ich hab Euch nie gesehn.
BARON.
Wie schade, schade!
Zu Venier.
Und du verachtest ganz das kleine Spiel?
SALAINO
am Spieltisch, laut.
Ich hab die Bank, wer legt dagegen?
VENIER
nach rückwärts gehend.
Ich!
REDEGONDA
geht vom Spieltisch nach links vorne, Achilles aufwartend hinter ihr.
Richt mir die Schnalle am Schuh, sie ist verschoben.
Was willst du denn, du Garstiger, daß du
mich in den Arm so kneifst; ich hätt beinah
laut aufgeschrien.
ACHILLES.
Was flüstert er mit dir?
REDEGONDA.
Er will, daß ich
heut abends bei ihm bleib, wenn alle fortgehn.
ACHILLES.
Und?
REDEGONDA.
Er mißfällt mir nicht. Er ist auch artig
mit Frauen. Du, ich glaub, er ist ein Fürst
und reist mit falschem Namen.
ACHILLES.
Hat er dir
schon was geschenkt?
REDEGONDA.
Noch nicht, allein ich seh doch,
daß er freigebig ist.
ACHILLES.
Sag ihm vor allem,
du willst, er soll mich zum Bedienten nehmen.
Dann mach ich alles.
REDEGONDA.
Doch wie fang ichs an?
ACHILLES.
Ganz frech.
REDEGONDA.
Sag ich, daß du mein Bruder bist?
ACHILLES.
Nichts Dümmeres! kein Wort!
[532]REDEGONDA.
Allein, mein Graf –
ACHILLES.
Was braucht der zu erfahren?
REDEGONDA.
Glaubst, es geht?
Lacht.
O weh, die Corticelli, die ist boshaft,
vor ihrem Mundwerk hab ich solche Angst
die bringts heraus! merk dir, ich habs gesagt!
BARON
zu ihnen tretend.
Wie, Reizendste? ich morde diesen Burschen
vor Neid.
REDEGONDA.
So nehmt ihn lieber, statt so schwere Schuld
auf Euch zu laden, schnell in Eure Dienste,
dann dient er Euch, und nichts gibts zu beneiden.
BARON.
Ihr wollt mir Euren Diener überlassen?
REDEGONDA.
Ihr sagtet doch, Ihr wollt die Gläser kaufen,
daraus ich trank, nun hier ist ja der Mensch,
der täglich mir die Haare lockt und brennt,
das ist ja noch viel mehr!
BARON.
Beinah so viel
als eine Eurer Locken, also mehr
als Zypern und Brabant!
REDEGONDA.
Er ist nicht dumm, und wär er ordentlicher,
so hätt ers leicht zu Besserm bringen können:
er hat Geschwister, die was andres sind.
ACHILLES
schnell.
Wir sind aus einer Stadt und Nachbarskinder.
BARON.
Sooft sie kommt, bedienst du sie allein,
sonst wirst du ihres Dieners Diener sein.
Bei der Tür im Hintergrund ist der Juwelier hereingekommen und steht lauernd. Auf ein Zeichen
von Achilles kommt er schnell nach vorne; Stellung von links nach rechts: Achilles, Redegonda, Baron, Juwelier. Juwelier hält dem Baron Perlenohrgehänge hin.
[533]BARON.
Tut der Rialto Marmorkiefern auf
und speit den alten Tubal uns hervor?
JUWELIER.
Ich seh, der Herr kennt mich. Das sind ein Paar Ohrgehänge, wie der Herr keine zweiten solche findet in Venedig. Es hat eine Illustrissima sterben müssen in großer Verlegenheit, damit ich diese Ohrringe in die Hand bekomme und sie kann anbieten dem Herrn um einen Preis zum Lachen.
BARON
die Ohrgehänge in der Hand.
O Perlen, Perlen! nichts von Steinen! – Leben!
Sie halten Leben wie ein Augenstern:
die Sterne droben, diese goldnen Tropfen,
sind jeder, sagt man, eine ganze Welt:
so gleichen die, nur von weit weit gesehn,
dem Leib von Überirdisch-Badenden.
Vielleicht sind Kinder,
die einst der Mond mit Meeresnymphen hatte,
hineingedrückt, sie frieren in der Luft:
hier ist ihr Platz, hier saugen sie sich wach!
Hält sie an den Hals der Redegonda.
JUWELIER.
Ich seh, der Herr versteht sich auf Perlen.
Geht eilig ab.
BARON.
Halt, und dein Preis!
JUWELIER
an der Türe.
Ich seh, der Herr versteht.
Ich kenn das Haus. Morgen ist auch ein Tag.
BARON.
Ganz recht! ich kann sie ja nicht überzahlen!
Mit einem Blick auf die Redegonda.
REDEGONDA.
Wie meint Ihr das?
BARON.
Schlag ich für nichts dies an,
daß du sie trägst?
Redegonda gibt ihm die Hand zum Küssen.
BARON.
Die Hand! und wann den Mund? o heute, heute,
[534] unnützes Warten ist nichts als der Wurm
in einer reifen Frucht. O, Warten ist
die Hölle!
REDEGONDA.
Wenns dies boshafte Geschöpf,
die Corticelli weiß, bin ich des Todes!
Zu Achilles.
Fällt dir nichts ein?
ACHILLES.
Wir gehn zum Schein mit allen andern fort
und kehren um, sobald uns eine Ecke
verdeckt –
BARON.
Ein braver Bursch!
REDEGONDA.
Wenn sie uns sehn,
so weißt du dann, ich habs vorausgesagt.
BARON.
So willst du nicht?
REDEGONDA.
O ja, nur hab ich Furcht,
die Menschen sind so neidisch, wenn man schön ist
und nicht gemein wie sie.
Rückwärts treten alle vom Spieltisch weg, außer der Mutter, die noch ein Glas austrinkt. Sassi, Venier, der Abbate gehen nach vorne, Marfisa und Salaino nach rechts. Achilles nimmt sogleich eine andere Haltung an.
BARON.
Wie? Brecht ihr auf?
Salaino tritt ganz dicht zu Merfisa mit glühenden Augen.
MARFISA
kokett.
Und was?
SALAINO.
Und dies: ich bin verliebt in dich, verliebt,
verliebter als Narzissus in sich selber:
er fand im Wasser sich, ich find dein Bild
bis in den flüssigen Spiegel der Musik –
MARFISA.
Nichts Neues sonst?
SALAINO.
Und dies: ich reiß mein Selbst
von diesem Traum, um dens wie Efeu rankt,
und müßt ich alle Nerven ihm zerreißen.
[535]MARFISA.
Wie schade!
Halb von ihm weggehend.
SALAINO.
Wie?
MARFISA.
Ich hörte nur »zerreißen«
und dachte an das Kleid.
SALAINO.
An welches Kleid?
MARFISA.
Du hättest mir doch eins gekauft –
SALAINO.
Ich dir?
MARFISA.
Wenn ich mit dir gegangen wäre –
SALAINO.
Du?
MARFISA.
Mit dir? Ich hätt es angezogen und
wär vor dem Spiegel auf und ab gegangen
und hätt auf dich gewartet, du indes –
SALAINO.
Nun, ich –
MARFISA.
Du hättest nicht getan –
SALAINO.
Marfisa!
MARFISA.
Du hättest doch getan!
SALAINO.
Was, was getan?
MARFISA.
Du weißt ja doch, wer mich gekränkt hat –
SALAINO.
Wie?
Dies zu versprechen ist zu häßlich.
MARFISA.
Ja.
Nicht reden, mit den Augen nur versprechen!
SALAINO.
Da. Aber tust dus nur deswegen?
MARFISA.
Still!
Still jetzt! Geh mir nur ruhig nach! gib acht!
Ganz still, ganz still, sonst macht die Mutter Lärm.
Sie geht ganz unbefangen einige Schritte nach vorne, dann, den Blick auf die Mutter geheftet, langsam nach rückwärts, wie in einem Ballett, zur Tür hinaus. Salaino folgt ihr schnell. Die Mutter[536] bemerkt ihn, läuft den beiden nach. Sassi kehrt sich in diesem Augenblick um, klatscht in die Hände. Alle lachen.
REDEGONDA.
Was das für Menschen sind!
ABBATE.
Die sind schon fort.
Wir folgen ihrem Beispiel, wenn auch nicht
so wortlos und so eilig.
Verbeugt sich.
BARON
verbeugt sich.
Abbate!
VENIER.
Ich seh dich morgen, schnellerworbner Freund.
REDEGONDA
zu Achilles.
Geh vor und leuchte!
BARON.
Mademoiselle!
SASSI.
BARON.
Sie beschämen mich!
Noch winkend.
Abbate!
Alle ab. Der Baron bleibt allein; tritt ans Fenster.
Pause.
Le Duc tritt wieder auf mit einem Brief.
BARON.
Von wem?
LE DUC.
Die gleiche alte Frau,
Die schon vor einer Stunde –
BARON.
Von Vittoria!
Erbricht den Brief, liest.
LE DUC.
Antwort?
BARON.
Ist keine.
Geht auf und ab.
Wie! sie will hierher!
So steigt von links und rechts aus dieser Nacht
hier Gegenwart und hier Vergangenheit
empor, jedwede eine schöne Nymphe.
Und Zufall tanzt, der übermütige Gott,
wie ein betrunkner Stern in dunkler Luft
und streut Verwirrung! Doch ich nehms auf mich!
Und ficht er aus dem Dunkel – ich pariere!
[537]REDEGONDA
tritt lustig und atemlos auf.
Versteck mich! schnell! ein Mann ist hinter mir!
Ich fürcht, es ist der Graf! wenn der mich findet,
der mordet dich und mich. Ich habs gewußt!
Ich habs vorausgesagt! ich habs gesagt!
BARON
führt sie durch die kleine Tür links vorne.
Nur Mut! nur still! hier steh ich, du bist sicher!
Venier tritt ein, hastig und erregt. Er ist sehr blaß. Hinter ihm Le Duc, der dem Baron Zeichen macht, daß noch eine Person draußen im Vorzimmer ist.
Baron zeigt ihm, er solle sie in das Zimmer rechts rückwärts führen.
Le Duc schließt die Tür in dieses Zimmer. Indessen
schlägt es Mitternacht.
BARON
halb für sich.
Wie! mehr Verwirrung! Folgen sie einander
wie Puppen an der Turmuhr, weil es schlägt?
VENIER
ist an der Tür einen Augenblick unschlüssig stehengeblieben, kommt jetzt rasch auf ihn zu.
Herr Holländer! ich tue hier ein Ding, das Ihr aufnehmen dürft, ganz wie Ihr wollt und wofür Ihr später jede Genugtuung haben sollt. Umstände nötigen mich, Argumente, die sich um meinen Hals legen wie der Strick des Henkers.
Hält inne.
Baron zuckt die Achseln.
VENIER.
Wenn das der Fall ist, was ich befürchte, so steht vor Euch ein Mensch, an dem das Schicksal einen unfaßbaren Diebstahl begangen hat, einen Diebstahl, gegen den alle Diebestaten zu nichts werden seit jener ersten berühmten, als die zwei in die schlafende Stadt krochen, das Heiligtum vom Altar stahlen und den von einer langen Reise ermüdeten Fremdlingen im ersten Schlaf die Kehlen abschnitten ... ein Diebstahl, der dem Bestohlenen alles wegnimmt, alles was war, was ist, was sein wird, und das Werkzeug dieses Diebstahls seid ihr.
BARON.
Messer Lorenzo Venier, ich bin um zwanzig Jahre älter als du, und du bist mein Gast. Das macht die Musik zu meiner Antwort. Hör auf dies:
[538] Die Dame,
die sich bei mir befindet, ist dir nichts;
ich hab dich nicht gefragt, ob du vermählt bist,
doch ist es weder deine Frau, Geliebte,
noch sonst dir nah, ja, der Beachtung wert.
VENIER.
Wie weißt du das? Ich hab mich so verstrickt
durch eine kleine Falschheit, daß ich nun,
wo Scham und Zweifel mir den Mund verschließen,
nichts andres weiß, als diesen ganzen Knoten
entzweizuhaun, bevor er mich erwürgt.
BARON.
Die hier drin steht, der steht dein Ernst so fern
wie finstre Waffen einem Maskenkleid.
VENIER.
Du weißt nicht, wer mir nahsteht, wenn sie dirs
nicht mehr verriet als ich, und sie hat zehnmal
mehr Grund als ich zu diesem Maskenspiel.
BARON.
Wär hier ein Ding, das für mich reden könnte,
ein Zipfel ihres Mantels! Könnte dies
ihr blondes Haar, das hier am Vorhang hängt,
goldfarbige Lippen auftun, diesen Argwohn
zu scheuchen.
LORENZO.
Wie, ein blondes Haar?
BARON.
Der Vorhang
entriß es ihr.
LORENZO.
Der Vorhang!
Er besieht es.
Dunkles Gold
wie die vom Weihrauch dunklen innern Kuppeln
der Markuskirche! welchen blöden Narren
macht Phantasie aus mir –
Was soll ich sagen? Wenn du morgen kommst,
sollst du sie sehen. Kenntest du mich besser,
so wüßtest du, ich bin nicht immer so
und nähmst es für den Krampf, der eine Kerze
zuweilen packt, daß sich ihr ganzes Licht
zusammenzieht und sie beinah erlischt.
Doch so ...
[539]BARON.
Du bist so edel von Natur,
sehr wohl vergleichst du dich mit einem Licht,
das manches Mal, bedrängt vom finstern Hauch
des Lebens, flackert. Wahrhaft edle Art
hat dies vom Feuer, daß ihrs nicht gelingt,
sich zu verstecken, wickelt sie sich auch
in Finsternis, verkriecht sich in den Klüften
des Kaukasus in eine Schäferhütte,
sie glüht hindurch. Wer hinkommt, beugt die Knie!
LORENZO.
Nun laß mich gehn. So machst du mich dem Feuer
zu ähnlich. Meine Wangen brennen schon.
BARON.
Noch nicht. Du hast noch etwas gutzumachen.
LORENZO.
Wie kann ichs?
BARON.
Daß du dieses Spielzeug annimmst
und trägst.
Gibt ihm eine kleine Dose.
LORENZO.
Gold und Saphire!
BARON.
Stört dich das,
so denk, es wäre Zinn, nicht darum gab ichs:
es ist mein Bild darauf, und damals war ich
so alt, vielmehr so jung, wie du jetzt bist.
LORENZO.
Nimm diesen schlechten Ring, so stehn wir hier,
du Glaukos, Diomedes ich, das Bild
ungleichen Tausches.
BARON
zeigt auf das Bild auf dem Deckel der Dose.
Hätte dieser da
das Feur in seinem Blut so schön gebändigt
wie du, so stünde nun ein andrer hier,
ich bin ein Kartenkönig.
LORENZO.
Laß ihn ansehn.
BARON.
Er ist mein Vater, denn ein jedes Heut
ist seines Gestern Sohn. Ich bring dir Licht.
LORENZO
das Bild starr betrachtend.
Dies ... ist?
[540]BARON.
Mein Bild. Ich sagte, 's ist lang her.
LORENZO.
Dein Bild?
BARON.
Du wirst wachsbleich.
LORENZO
schreiend.
Ich träum, ich träum!
Hexen und Teufel sind auf meinem Bett!
Schlägt ohnmächtig hin.
Baron, darauf Le Duc mit Wasser, um den Ohnmächtigen beschäftigt.
REDEGONDA
aus der Tür heraustretend.
Ach, ich vergeh vor Angst! Was ist denn hier?
Ganz sicher seid ihr alle einverstanden
und niemand schützt mich! und wo ist mein Bruder?
BARON.
Dein Bruder?
REDEGONDA.
Ja, Achilles ist mein Bruder,
daß dus nur weißt. Es kommt doch nichts heraus
mit der Geheimniskrämerei, und der
Auf Lorenzo.
Ist der Vittoria Mann, der Sängerin:
ich sag dirs grad, weil er mir Zeichen machte,
daß ichs nicht sagen sollte! Denn wenn ich
will, daß sie was verschweigen, tut mirs keiner.
Ich weiß zwar nicht, warum er dirs verschwieg,
allein ich sag dirs grad! und ich geh fort!
BARON.
Dies ist der Mann?
REDEGONDA.
Ja, ja, sie hat den Namen
nur am Theater nicht, weil er von hier
ein Adeliger ist, allein vermählt
sind sie zusammen. Und ein andres Mal,
wenn du so viel Geschäfte hast mit Herrn,
lad niemand ein, in einem dunklen Zimmer
sich totzufrieren! Das ist gar nicht höflich.
LORENZO
schlägt die Augen auf.
Nun wird es Tag.
Er steht auf, die Redegonda läuft hinaus.
Bei Gott, die Redegonda!
[541] Er hält sich atmend am Tisch fest.
So bin ich nicht bei mir!
Erblickt die Dose am Boden, hebt sie auf.
Nein, dies gibt Zeugnis,
Daß ich noch bei Verstand bin. So leb wohl.
Allein hier ist ein Knoten aufzulösen
und wird es! seis zum Guten oder Bösen!
Geht schnell ab.
Baron zu Le Duc, nach einer Pause, Zeichen: Jetzt führ die andere herein. Pause.
Vittoria von rechts rückwärts. Baron vorne am Tisch. Sie zittert vor Erregung, kann nicht gleich sprechen.
BARON.
Bist du es wirklich, Liebste!
Vittoria kann nicht sprechen, muß sich setzen. Pause.
VITTORIA.
Es waren Leute bei dir.
Sie redet fast gedankenlos, sieht ihn unaufhörlich an.
BARON.
Ja, dein Mann.
VITTORIA
versteht dies nicht, überhört die Worte vollkommen in ihrer Erregung, sie will aufstehen, ihre Knie zittern, ihre Stimme bebt; setzt sich wieder.
Es ist zu vieles von zu vielen Jahren:
eins wirft sich auf das andre; laß mich weinen.
Sie weint lautlos; er geht hin, küßt ihre Hand, sie entzieht sie ihm sanft.
So fragst du mich nun gar nichts, du hast recht:
wir sind hinaus übers Erzählen.
BARON.
Liebste,
wie du mich gleich erkannt hast!
VITTORIA.
Sonderbar,
jetzt seh ich dich verändert, im Theater
wars wie ein Blitz, bei dem mein Blut im Sturm
dein frühres Bild auswarf.
BARON.
So wohnts in dir?
VITTORIA.
Du fragst?
Pause.
[542] Auch deinen Namen trägst du nicht mehr,
hast wie ein altes Kleid ihn abgelegt.
BARON.
Was tut ein Name. Bins nicht ich?
VITTORIA
ängstlich.
Ja, bist dus?
Ich bins. Mir ist, ich hab in dieser Stadt,
wo keine Gärten sind, nur Stein und Wasser,
nicht altern können, nicht wie andre altern,
nur viel durchsichtiger und viel gelöster
vom schweren Boden scheint mir alles: dies
sind wohl die Augen, die der Herbst uns einsetzt.
Du warst mir Frühling, Sommer, Sonn und Mond
in einem! Lieber, fühlst du, daß ichs bin?
BARON.
Fühlst du, daß ichs bin?
Will sie küssen.
VITTORIA.
Laß! was willst du tun?
Pause.
In einem zarten, reinen Ton, mit sanften Augen.
Daß dus bist, ob ichs fühle? Ja und nein.
Ich bin bei dir und doch mit mir allein.
BARON.
So red von dir.
VITTORIA.
Ists noch dieselbe Stimme?
Zuweilen seh ich abends auf das Wasser:
es ist verwandelt, scheint ein Element,
herabgeflutet von den Sternen. Lautlos
verschleierts und entschleiert, unaufhörlich
erzeugt es und zerstört es tausend Bilder
von Dingen, die nicht dieser Welt gehören:
so ists in mir. Dies ist nun so geworden.
BARON.
Red noch von dir, noch mehr.
VITTORIA
immerfort lebhafter werdend.
Hast du mich nicht
singen gehört? Sie sagen, daß es finstrer
und lichter wird in einer großen Kirche
von meinem Singen.
[543] Sie sagen, meine Stimme ist ein Vogel,
der sitzt auf einem Zweig der Himmelsglorie.
Sie sagen, wenn ich singe, mischen sich
zwei Bäche freudig, der mit goldnem Wasser,
der des Vergessens, und der silberne
der seligen Erinnerung.
In meiner Stimme schwebt die höchste Wonne
auf goldnen Gipfeln, und der goldne Abgrund
der tiefsten Schmerzen schwebt in meiner Stimme.
Dies ist mein alles, ich bin ausgehöhlt
wie der gewölbte Leib von einer Laute,
das Nichts, das eine Welt von Träumen herbergt:
und alles ist von dir, dein Ding, dein Abglanz.
Denn wie ein Element sein Tier erschafft,
so wie das Meer die Muschel, wie die Luft
den Schmetterling, schuf deine Liebe dies.
In deiner Liebe, nur aus ihr genährt,
unfähig, anderswo nur einen Tag
sich zu eratmen, einzig nur bekleidet
mit Farb, aus diesem Element gesogen,
wuchs dieses Wunder, dies Kind der Luft,
Sklavin und Herrin der Musik, Geschwister
der weißen Götter, die im Boden schlafen,
dies Ding, das ich so: meine Stimme nenne,
wie Einer traumhaft sagt: mein guter Geist!
BARON.
Wie hätte ich an solchen Wundern Schuld?
VITTORIA.
Mein Lieber, wohl. Denn dies entstand ja so:
Als du mich ließest, stand ich ganz im Finstern
und wie ein Vogel an den dunklen Zweigen
hinflattert, suchte meine Stimme dich.
Du warst im Leben, dies war mir genug.
Ich sang, da warst du da, ich weiß nicht wie,
ich meinte manches Mal, du wärst ganz nah
und meine Töne könnten aus der Luft
dich holen, wie die Klauen eines Adlers.
Es wurden Inseln in der Luft, auf denen
[544] du lagest, wenn ich sang. Und immer war mir,
als rief ich nur das Eine: Er ist schuld,
an allen Wonnen er, an allen Qualen!
Merkt nicht auf mich! Er ist es, der euch rührt!
Und meine Klagen senkten sich hinab
wie tiefe Stiegen, unten schlugen Tore
wie ferner Donner zu, die ganze Welt
umspannte meine Stimme und auch dich,
du warst in ihr.
BARON.
Sei wieder mein, Vittoria.
VITTORIA.
Ich kann nicht. Nein. Ich will nicht!
BARON.
Wer verbietets?
VITTORIA.
Wer?
Kleine Pause.
Menschen – auch.
BARON.
Dein Mann?
VITTORIA.
Mein ganzes Schicksal
verbietets ungeheuer. Spürst du das nicht?
Es hüllt mich wie in seinen Schatten ein.
BARON.
Du lügst! Du liebst mich, aber du hast Furcht!
VITTORIA.
O nein, nicht Furcht, nur Ehrfurcht.
BARON.
VITTORIA.
Auf dem Grabe unsrer Jugend?
Schüttelt den Kopf.
Ich hab ein Haus, ich hab –
Für sich.
Noch nicht, noch nicht!
Die Stunde kommt, wo er auch das erfährt!
BARON
will sie an sich ziehen.
Gehör mir wieder! Denk an das, was war!
VITTORIA
zurücktretend.
Ich denk daran. In mir ist keine Faser,
die nicht dran dächte. Eben darum laß mich!
Du denk daran. Denk an das Fürchterliche,
[545] das kam, als wir mit frevelhaftem Finger
aufjagen wollten die verglühte Flamme.
Denk an die Qual! Ich mein, ich muß vergehn
vor Scham, wenn ich dran denke. Auf dem Rand
des Bettes saßen wir wie bleiche Mörder!
Denkst dus? Die Luft der Nacht blieb stehn wie starr,
und draußen spie der Berg sein rotes Feuer
und leuchtete auf dein und meine Qual.
BARON.
Was meinst du?
VITTORIA.
Die drei Tage in Neapel,
wo wir als die Gespenster unsrer selbst
uns in den Armen lagen, schmählich tauschend
mit bleichen Lippen nicht mehr wahre Worte!
Und Küsse, nein, vielmehr blutrote Wunden
ein jedes auf das arme Herz des andern
über und über streute, bis ein Grauen
uns auseinander trieb!
BARON.
In Genua!
Dies war in Genua. Es war zu nah
von unsrem großen Glück, wir hatten noch
die Augenwimpern und die Fingerspitzen
versengt von zuviel Flammen. Welch ein Narr
war ich, Dich so zu quälen, welch ein Narr
und Bösewicht! um der Geschenke willen!
VITTORIA
ganz verwirrt.
Geschenke?
BARON.
Die der Marchese –
VITTORIA
wiederholt.
Der Marchese ... mir?
BARON.
Grimaldi –
VITTORIA
tonlos.
Wie?
BARON.
Der dir das Landhaus baute –
VITTORIA.
Ein Landhaus mir?
BARON.
Das mit dem Pinienhain.
[546]VITTORIA.
Neapel war es und nicht Genua!
Ich weiß von keinem Landhaus! niemals warens
Geschenke, wegen deren du mich quältest!
Nie kam der Nam Grimaldi an mein Ohr!
Neapel wars! Neapel! Ich allein!
Nichts von Grimaldi! ich war ganz allein
– vielmehr nicht ganz allein, wer mit mir war,
hab ich dir damals nicht gesagt, ich hielt
dies einzige Geheimnis mit den Zähnen
in mir zurück wie einen Fetzen Schleier
für meine Seele.
BARON.
Hätt ich alles denn
verwechselt, so den Ort als die Person?
VITTORIA.
Er hats verwechselt! hats vergessen können,
wie man den Inhalt einer schlechten Posse
vergißt, so wie den Namen eines Gasthofs,
wie das Gesicht von einer Tänzerin!
Sie weint.
Und wenn er das vergessen konnte, was
vergaß er nicht?
Pause.
Er weiß's nicht mehr! Ich Närrin! Dies ist Leben.
Nun bin ich ruhig. Siehst du, früher war ich
so wie ein kleines Kind und hab uns ganz
ums Plaudern und ums ruhige Erzählen
gebracht.
Pause.
Ich hab gehört, du warst ein Jahr
hier in den bleiernen Kammern, hast den Weg
mit deinen Händen Dir gebohrt, an Tüchern
dich nachts aufs Kirchendach herabgelassen –
BARON.
Dann kam ein Sprung: doch hatt ich reichlich Kleider
übereinander an: zu unterst meine,
den grünen Rock –
VITTORIA.
Den grünen Rock!
[547]BARON.
Du weinst?
VITTORIA.
BARON.
Kein halbes Jahr. Darüber trug ich
von einem Domherrn das Habit. Zu äußerst
umschloß ein dicker dänischer Edelmann
mit Orden und Perücke diesen Klumpen.
Ich sprang und tat mir nur am Finger weh.
VITTORIA
streichelt sanft seine Hand, die am Tische ruht; mit sanftem Vorwurf.
Nun kommst du wieder!
BARON.
Wer erkennt mich?
VITTORIA.
Baron küßt ihr die Hand.
VITTORIA
sieht ihn lächelnd an.
Und Frauen, Frauen, Frauen
wie Wellen! wie der Sand am Meer! wie Töne
in einem Saitenspiel!
Leicht über seine Stirne streifend.
Dies war der Strand,
verzeih, dies ist der Strand, auf dem die leichte Barke
des leichten Gottes landet, jedesmal
beladen mit der jüngsten Siegerin:
und viele Spuren sind in diesem Strand.
Nun aber geh ich.
BARON.
Wie! wann kommst du wieder?
VITTORIA.
Ich, wieder? nimmermehr! Dies war einmal
und durfte einmal sein.
BARON.
Doch ich?
VITTORIA.
Wohl auch nicht.
BARON.
Du hast mich früher überhört: Dein Mann –
VITTORIA.
Ich habs gehört, ich dacht, mein Ohr betrög mich.
[548]BARON.
Dein Mann ward heut mein Freund.
Vittoria schüttelt verwundert den Kopf.
BARON.
Gleichviel, es kam so.
Und führt mich morgen, er, der von nichts weiß,
an seiner Hand vor dich und nennt den Namen –
VITTORIA.
Den deinen?
BARON.
Nein, den ich jetzt hab. Wir müssen
bedenken –
VITTORIA.
Ja; bedenken, heucheln, lügen.
Ich seh, das Leben läßt von seinem Brauch
nicht ab, und wenn es ein Versprechen hält,
so mischt es einen wilden Augenblick
zusammen aus Verwirrung und Besorgnis
und wirft einem Betäubten sein Geschenk
zweideutig lächelnd vor die Füße hin.
Dich führt mein Mann, der von nichts weiß, mir morgen
treuherzig lächelnd zu. Was dir verborgen,
dacht ich in einer reineren Begegnung
an einem stillern Strande dir zu zeigen.
Nun ists wie eine wilde Hafenstadt
voll Lärm, in dem die Nachtigallen schweigen.
Allein muß nicht in dieser dunklen Welt
sogar das Licht gewappnet gehen? Nun:
wir wollen einen Harnisch von Musik
anlegen und dann mutig alles tun,
was uns gerecht und schön erscheint. Die Macht
ist bei den Fröhlichen. Jetzt gute Nacht.
Geht ab. Pause.
Baron, dann Le Duc, der einige von den Lichtern auslöscht.
LE DUC.
Befiehlt der gnädige Herr zur Nacht?
BARON.
Jawohl,
jawohl, Le Duc. Der gelbe Koffer ist
gekommen? Bring ihn her.
Le Duc bringt den gelben Koffer, sperrt ihn auf.
[549]BARON.
Die Salbe für die Hände ist fast ganz
verbraucht.
LE DUC.
Ich habe nach Marseille geschrieben.
BARON.
Sehr gut. Der neue Diener, wie? gefällt dir.
LE DUC.
Ich glaube nicht, daß Euer Gnaden wirklich
im Ernst gedenken – Stellen Ihrer Dienste
mit Komödianten zu besetzen.
BARON.
Wie?
Sowas im Ernst! Du kannst ganz ruhig sein.
LE DUC.
Ich war vollkommen ruhig. Andernfalls
hätt ich sofort gebeten, meinen Rücktritt
in Gnaden zu genehmigen.
BARON
mit sanftem Vorwurf.
Pause.
Ich habe nicht genug
Bewegung!
LE DUC.
Um Verzeihung, ich vergleiche
den gnädigen Herrn, was die Gestalt betrifft,
in jeder Stadt mit andern Edelleuten
von gleichen Jahren, nein, vielmehr mit Jüngern
und werde mit vollkommenem Vergnügen
mir jedesmal des Resultats bewußt.
BARON.
Die letzten Tage auf dem Schiff, ich fühl es.
Le Duc, wir fechten vor dem Schlafengehn.
LE DUC.
Verzeihung, die Rappiere sind in Mestre
beim übrigen Gepäck.
BARON.
So ringen wir.
Er legt Uhr, Ringe, ein Armband ab.
Le Duc zieht seinen Rock aus, stellt sich mit einer Verbeugung bereit.
Es wird unten heftig an eine Tür geschlagen. Beide horchen; es wird noch einmal angeschlagen.
[550]BARON.
Geh nachsehn.
Heftigere Schläge.
LE DUC
am Fenster.
Eine Gondel mit Maskierten!
BARON.
Auch Frauen?
LE DUC.
Nein, nur Männer.
BARON.
So ists der Messer Grande und mein Tod!
Blickt wild um sich, packt Le Duc an der Gurgel.
Du bists, der mich verkauft hat, Schuft! nur du!
Sonst kennt mich hier kein Mensch!
LE DUC.
Gnädiger Herr,
Hier ist ein Messer. Wozu Ihre Hände?
Entblößt seinen Hals.
BARON
läßt das Messer fallen.
Vergib. Was ist das! Bin ich schon so schreckhaft!
Gib meine Ringe. Zieh dich an, Le Duc.
Das Haus hat keinen zweiten Ausgang. Gestern
noch sicher wie in Mutters Schoß. Verflucht
mein Leichtsinn! wie? es ist gebaut, zum Teufel,
wie eine Mausefalle.
Kramt fieberhaft im Koffer.
LE DUC.
Der Koffer?
BARON.
Nein, das Haus ...
Wirft Kleidungsstücke aus dem Koffer.
das ist der Orden
vom goldnen Sporn –
LE DUC.
Was suchen Euer Gnaden?
BARON
weiterkramend.
Häng du ihn um.
LE DUC.
Den Orden?
BARON.
Du! ich wills!
Und steht der Henker unten, soll zumindest
ein Kämmrer ihm die Türen öffnen, geh!
Nicht den, den großen Leuchter! geh! dein Herr
empfängt.
[551] Wiederholte heftige Schläge; er verstummt, winkt Le Duc abzugehen; dieser geht.
Allein. Er zittert heftig; er hält ein kleines Fläschchen, das er aus dem Koffer genommen, und steckt es zu sich.
Und sind sies, hilft mir dies. Warum? ich könnte
ja noch einmal entkommen. Nein, nein, nein.
Noch einmal alles dies: mit meinen Nägeln
den Mörtel bohren, auf den Atemzug
der Wächter horchen, alle Höllenqualen
erdulden, wenn der letzte Schuft dem Bett
auf zwei Schritt nahe kommt – noch einmal dies?
Ich merk, das Leben will dasselbe Stück
nicht wiederholen ... Was die Seele
genossen und ertragen hat einmal,
brennt sich beim Wiederkehren in sie ein
mit glühnden Stempeln: Ekel, Scham und Qual.
Dies ist beinah der Brauch wie auf Galeeren:
und da und dort hilft eins, sich zu erwehren.
Le Duc kommt zurück mit einem Brief.
BARON.
Was ist? Was wollen sie?
LE DUC.
Fort sind sie, fort
und warfen dies herein mir durch die Tür.
BARON
liest aufmerksam, lacht dann heftig.
Wir sind nur Arlekin und Truffaldino
in einem tollen Stück. Die Herzogin
Sanseverina tut die große Ehre
uns an und ist – errätst du? – eifersüchtig.
LE DUC.
Das ist zum mindesten ein wechselnd Fieber,
es ließ lang aus.
BARON.
Heufieber, alle Jahr
ein Mal, doch heftig. Und sie schreibt, sie wisse,
was mich veranlaßt hat, hierherzugehen.
Ich weiß es selbst nicht! außer Übermut,
der Mäuse immer wieder zu der Falle
hinlockt. Und kurz und gut, sie droht, sie droht,
wenn ich bis morgen abend nicht Venedig
[552] im Rücken habe, ist ein Brief am Weg,
der mich verrät an die Inquisitoren.
Wir gehn. Sie ist die Frau, ihr Wort zu halten.
Doch nun zu Bett; dies ist ein buntes Zeug
von Wiedersehn und Trennung, Angst und Lust,
und macht den Kopf so wirr, als hätt man Nächte
in einem Maskenaufzug umgetrieben.
Wir gehen morgen, zwar vor Abend nicht:
Vittoria wollte mir doch etwas zeigen ...
Was wird das sein? Sie ist noch fast so schön
wie damals ... doch ich merk, man soll kein Ding
zweimal erleben wollen. Wie wenn Fäuste
unsichtbar uns von rückwärts hielten. Seltsam,
Ich wollt, die Redegonda wär geblieben!
Die hält kein Spuk mit Luft als wie mit einem
Gitter umschlossen. Vor zehn Jahren, glaub ich,
hätt ich dergleichen nicht gespürt. Dergleichen
sind deine unsichtbaren Boten, du,
den ich nicht nennen will, und dem die Zeit
auf leisen Sohlen dient.
Er wechselt den Ton.
O schöne Stadt,
die nie versagt! Heut war ein hübscher Tag,
wir wollen ihn uns merken! so gelungen,
als wär er eines Dichters Kopf entsprungen!
Doch was vergeud ich Schlafenszeit mit Schwätzen?
Wir wollen auf dies Heut ein bessres Morgen setzen!
Wendet sich an der Türe zum Schlafzimmer noch einmal um.
Schreib um die Salbe. Ja, du hast schon! Gut.
Zwischenvorhang.