5.
Große Gesellschaft hab' ich zu Mittag, offene Tafel,
Und sie würzt mir das oft überbescheidene Mahl.
Eins und das andere kommt von den Kindern des Hauses und setzt sich
Mit an den Tisch und sieht freundlich dem Essenden zu;
[320]Hübsch – Gott sei es geklagt! – nicht eins, doch ehrliche Seelen;
So zutraulich und zudringlich sogar wie daheim.
Fast auch mein' ich, es sei aus nördlichen Landen ein Kaufherr
Dieses Geschlechts Urahn, welchen die Welle verschlug
Einst an Napolis Strand; da ließ er ein lebend Gedächtnis
Südlicher Freuden zurück, und es vererbte der Mund,
Diese geknetete Nase, der knorrige Wuchs und der Plattfuß,
Aber das biedre Gemüt erbt' in den Sprößlingen auch.
Und – sie verstehen zu plaudern, zumal die Erwachsenen. Scheu noch,
Stumm an die Lehne des Stuhls drücken die Jüngsten sich an.
Du vor allen gebietest dem Wort, Stammhalter Francesco,
Weil dir häufig vergönnt, gute Gesellschaft zu sehn.
Denn in den Kirchen umher in Sorrent und der Ebene bist du
Tätig, den Festtagsschmuck bunter Tapeten mit Kunst
Hoch von den Pfeilern herab, um Kanzel und Chor zu befest'gen,
Ja und den Hochaltar hüllst du in flitterndes Gold.
Und da geziemt dir's wohl, dich weisen Gesprächs zu befleißen,
Und mit der Theologie lässest du gerne dich ein,
Nur wie's eben ein Laie vermag. Doch hast du am Schnürchen,
Wieviel Scudi die schönfarbige Steinmosaik
In Carrotta gekostet, wieviel in Sorrento der Umhang
Um den Altar, und wann neu sie die Kirche getüncht.
Auch vor allem erscheinst du in Wundergeschichten bewandert,
Denn du liebst, wie du sagst, wenn du ein »Faktum« erfährst.
Auch in der Predigt, so sehr dich übrigens rührt die Betrachtung,
Zieht das Historische doch immer am meisten dich an.
Und so gibst du mir gern die erstaunlichen Wunder zum besten,
Welche der Kirche Patron, Sant Antonino, getan,
Jegliches ganz urkundlich auf hölzerner Tafel verzeichnet
Und ein Gemälde dazu, welches das Faktum bezeugt.
All das hängt in der Krypte. Man sollt's nicht glauben, bekennst du,
Ständ' es geschrieben allein; aber es ist ja gemalt.
Hier ein Schiffer in Nöten, in Wolken der Heilige, der das
Wetter beschwört; dort liegt krank an den Masern ein Kind
Und die bekümmerte Mutter am Bett, zu dem Heiligen betend;
Dort mit dem leichten Gefährt gehet zum Teufel ein Gaul;
[321]Aber der Heilige faßt es am Zaum. Dies alles erzählst du
Deutlich, mit Namen und Ort und mit dem Datum der Tat.
Wenn du aber verschnaufst, andächtig versenkt in Betrachtung,
Fällt mit der Tafelmusik hurtig das Schwesterchen ein,
Trillert das schmachtende Lied: Vieni Teresa! der Schiffer
Lieblingsgesang: Fiedelin! oder ihr Michelemmà.
Ich indessen, ich schmause vergnügt und schenke den Gästen
Fleißig den Wein von Sorrent. Aber ins Fenster herein
Sieht der Vesuv und weht der betörende Duft der Orangen,
Gleitet die Sonne, gedämpft, zärtlich die Blumen entlang.
Und so saßen wir heut in herrlichen Freuden. Auf einmal
Klang von unten ein hell silbernes Stimmchen herauf.
Aber es galt der Luisa. Sie winkt' uns lachend. Da ist sie!
Flüsterte sie. Seid still! Wartet, ich locke sie her.
Damit trat in die Türe der Schalk. Bist du's, Mariuccia?
Rief sie hinunter. So komm! Komm! denn du findst mich allein. –
Und wir hörten ein Huschen die Stiegen herauf, und die Stimme
Klang schon näher: Ich bin's; bist du auch wirklich allein? –
Freilich. – So ist mir's lieb. Wir schwatzen ein wenig. Es hat mir's
Heute die Mutter erlaubt. – Aber so komm nur herein! –
Darauf kam es heran, zwei trippelnde Füßchen, und plötzlich
Stand an der Schwelle, bestürzt, glühend, das schöne Gesicht.
Lachend hielt sie Luisa zurück, die leise sich sträubte,
Rief: Was fürchtest du dich unter Bekannten zu sein? –
Ach, ich selber, ich war nicht wenig erschrocken. Es schien mir
Aug an Augen im Ernst drohend die holde Gefahr.
Aber ich betete still: Sant Antonino, o hilf mir!
Und das Mirakel geschah; eilig besann sich das Herz.
Sei mir freundlich gegrüßt, Mariuccia, rief ich; du kommst nun
Zwar zum Mahle zu spät; aber versuche den Wein,
Iß von den süßen Orangen, und hier sind Kuchen zum Nachtisch;
Sieh, und ein Sessel ist leer. – Aber die Schüchterne stand,
Über die herrlichen Augen gesenkt zartschattende Wimpern,
Und ihr klopfendes Herz lüftet' am Busen das Tuch.
Jetzo nahm ich vom Teller ein Törtchen, brach es zu gleichen
Hälften und trat zur Tür: Nimm es, ich teile mit dir. –
[322]Und sie empfing's zutraulich und hielt's in der Hand, und den andern
Nickte sie jetzt und trat ohne Bedenken herein.
Aber den Sessel – er stand dicht neben dem meinen – verschmähend,
Nippte sie nur vom Wein, den ich im eigenen Glas
Ihr anbot. So standen wir auch und beschlossen die Mahlzeit,
Und Luisa, vergnügt, führte das muntre Gespräch.
Nur du, werter Francesco, schwiegst; denn die geistliche Würde
Hemmte den freien Erguß weltlicher Scherze mit Recht.
Jetzt zu dem offenen Flur, von wo zum Dache die Stufen
Führen, hinaus in den Tag lenkten wir alle den Schritt.
Dort auch ist das Geländer mit Blumen besetzt, und die Nelken
Blüheten reich am Stock. Dort der Luisa im Arm
Stand der Besuch, und sie pflückten ein Sträußlein. Aber ein Kind saß
Einsam unten im Hof neben dem Kätzchen. Da warf
Ihm Mariuccia ein Blümchen hinab, und die Kleine verwundert
Spähet empor. Doch flink bog sich die Lose zurück.
Und nun traf sie ein zweites, und wieder umsonst in die Höhe
Dreht die Kleine den Kopf. – Über das Närrchen! Es denkt,
Daß vom Himmel herab in den Schoß ihm fielen die Blumen,
Flüsterte lachend das holdselige Mädchen. O weh!
Endlich entdeckt sie mich doch! Maria Grazia, willst du
Mehr von den Nelken? – Das Kind lächelte strahlend herauf.
Nun, weit übergelehnt, vom Stock abpflückend den ganzen
Flor, in den Hofraum warf Blumen das Mädchen hinab.
Und ich weidete mich an dem Anblick, wie auf den Zehen
Stehend die schlanke Gestalt über die Brüstung sich hob.
Aus den Pantöffelchen waren die Füße geschlüpft, und die weißen
Strümpflein rührten noch kaum nur mit den Spitzen daran.
Jetzt – ich ersah mir flink die Gelegenheit, raubte den einen
Schuh und verbarg ihn gleich unter dem Rock. Es gewahrt's,
Keiner vertieft in das ernste Geschäft, die Stöcke zu plündern;
Nur Francesco allein sah es und drohte mir sanft.
Und wir trieben es weiter mit Scherz und Plaudern ein Weilchen,
Als auf einmal ein Bursch stürmte die Stiegen herauf.
[323]Komm nach Haus, Mariuccia, geschwind! Mich sendet die Mamma.
Ist die böse! Sie schwört, daß sie es lang dir gedenkt.
Nämlich, es sagt' ihr's einer, du seist hier bei dem Signore.
Lüge nur immer; du weißt, Checco ist stumm wie ein Tier. –
Auch wir andern standen bestürzt. Sie biß sich die Lippe,
Strich sich die Haare zurück, aber sie redete nichts.
Nur ein Blick zu Luisen beklagte sich: Siehe, mir ahnt' es!
Dann in den hölzernen Schuh schlüpfte das Füßchen zurück,
Eins nur; aber sie suchte den anderen, während der Bursch noch
Stand. Da sah sie auf mich, und sie erriet es sogleich,
Und nicht mochte sie bitten, noch ich einräumen den Diebstahl.
Leihe mir deinen so lang, bis sich der meinige fand!
Bat sie Luisen, und suche den Zoccolo. Ach – und addio! –
Dann – noch ein Winken, ein Blick, und die Erscheinung verschwand.