Persönliches

Ein satter, tafelmüder Gast

Dreht Kügelchen aus Brot zusammen.

Wenn du dich satt gelebt, gedichtet hast,

Der Abhub taugt zu Epigrammen.

Ich hab' erst spät mich emanzipiert
Und von mir selbst Besitz genommen.
Nur wer die Pietät verliert,
Kann zu sich selber kommen.
Mir ward ein Glück, das ich höher schätzte,
Als alles Gold in Kaliforniens Ebne:
Ich hatte niemals Vorgesetzte
Und niemals Untergebne.
»Warum hältst du dich uns so fern?
Eine Lieb' ist der andern wert.« –
Ich würd' euch lieben herzlich gern,
Wenn ihr nur liebenswürdig wär't.
Ich werde wohl dann und wann verstimmt,
Wenn Nörgeln und Mäkeln kein Ende nimmt.
Dann muß ich von den Größten lesen,
Wie's ihrer Zeit nicht besser gewesen.
Auf einmal werd' ich still und heiter
Und treibe getrost mein Wesen weiter.
[593]
»Auf diesen Mann hohnlästerst du,
Der doch von dir mit Achtung spricht?« –
Er hat vielleicht Grund dazu,
Ich leider nicht.
Bewahr in deinem Busen still,
Was dir dein eigner Dämon gönnte,
Da jedermann nur hören will,
Was er auch selbst sich sagen könnte.
Mir eine Elle zuzusetzen,
Geläng's auch, käme mir nicht in Sinn.
Das einzige, was an mir zu schätzen,
Ist, daß ich so und nicht anders bin.
Soll Ruhm mir blühn, komm' er beizeit.
Was hat die Nachwelt mir zu geben?
Ich möchte von meiner Unsterblichkeit
Doch ein paar Jährchen miterleben.
Gewisser Leute Bann und Acht
Hat nie mich wundergenommen.
Ich hab' ihnen den Verdruß gemacht,
Ohne sie durch die Welt zu kommen.
Ich machte mir keine Modellfigur,
Mein Bildnis danach auszuführen,
Um Kennerbeifall zu erhaschen.
Stets gab ich Vollmacht der Natur
Und ließ, froh, ihre Macht zu spüren,
Mich mit mir selber überraschen.
Hab' doch in gut' und bösen Tagen
Mich redlich und honett betragen
Und soll nun Pfaffen und Philister fragen,
Ob auch mein sittlicher Instinkt
Ihnen genugsam reinlich dünkt?
[594]
Halt' mich nicht, just für das Maß der Welt;
Doch eure heil'ge Glut, ihr Musen,
Hat durchgeläutert diesen Busen
Und ihn mit reinem Hauch geschwellt.
Sonst hab' ich mir selbst Impulse gegeben;
Jetzt leb' ich nicht mehr, ich lasse mich leben.
Ich hinge wahrlich nicht so sehr
An diesem leidigen Leben,
Wenn irgend sonst noch ein Mittel wär',
Um allerlei zu erleben.
Denn wenn auch männiglich bekannt,
Wie bitter oft das Leben schmeckt,
Und daß die Welt sehr ennuyant,
Ward keine zweite doch entdeckt,
Die auch nur halb so interessant.
Ich denke mit Gewissensbissen
Zurück, wie ich mein Lebenlang
Vorbeiging fastend an gewissen Bissen,
Die dann ein Schlechterer verschlang.
Wir haben uns gar nichts zu sagen;
Wie sollten wir uns nicht vertragen?
Mit Menschen bin ich tolerant,
Ob sie mich auch langweilen.
Ein schlechtes Buch fliegt an die Wand
Nach den ersten hundert Zeilen,
Dieweil es Bücher nicht verdrießt,
Wenn man sie nicht zu Ende liest.
»Was ist's für ein Mann? Wie ist er begabt?
Was leistet er, das ihm Ehre macht?« –
Hab' wirklich nie drüber nachgedacht,
Hab' ihn nur schlechtweg lieb gehabt.
[595]
»In der Zeitung las ich soeben
Ein sehr perfides Pasquill auf dich.« –
So haben sie mir's schriftlich gegeben,
Daß sie kleiner und schlechter sind, als ich.
Was dem strebenden Fleiß geglückt,
Wollte mir bald mißfallen.
Was mir dauernd das Herz entzückt,
Mußt' in den Schoß mir fallen.
Kein Trost in tatenlosem Leiden
Ist, daß ich rüstig einst geschafft.
Seh' ich die Zeugen meiner alten Kraft,
Fang' ich nur an, mich selber zu beneiden.
»Warum mich nur das Glück nicht freut,
Das Trost für so viel Kummer beut! –«
Der Strahl, der Sturmgewölk durchbricht,
Tut dir nicht wohl: die Sonne sticht.
Sonst hab' ich, wie die Gedanken kamen,
Sie rasch verbraucht im Augenblick.
Jetzt leg' ich schon in Epigrammen
Ein paar Notpfennige zurück.
»Beklagst dich, daß Gespräch dir fehlt,
Und horchst du nicht und hörst du nicht,
Wie Berg und Wald so feinbeseelt
Säuselnd zu Ohr und Herzen spricht?« –
Es klingt wohl schön, was hier und dort
Natur zu ihrem Kinde sagt,
Doch führt sie stets das große Wort
Und gibt nicht Antwort, wenn man fragt.
[596]
Ach, wer versteht sein eigen Herz!
Ein Rätsel ist dir's in die Brust geschaffen.
Heute schwer wie ein Berg von Erz
Will es dich in die Tiefe raffen;
Morgen aller Schwere entbunden
Jauchzend lodert es wolkenwärts,
Und dann in gleichgemeßnen Stunden
Gelassen trägt es Lust und Schmerz.
Ach, wer beherrscht sein eigen Herz!
In jungen Jahren weint' ich viel
In jedem Rühr- und Trauerspiel.
Jetzt scheint mir das Rührendste auf Erden,
Wenn gute Menschen glücklich werden.
Lange leben ist keine Kunst,
Wird dir nur Zeit dazu gegeben.
Doch wer im Dichten, Wirken, Streben
Es nie erlebt, sich selbst zu überleben,
Der preise seiner Sterne Gunst.

Feuerbestattung?

Ob in Flammen mag verlodern,
Ob im Schoß der Erde modern
Dieser Leib – mich kümmert's nicht,
Wenn, was wahrhaft ich gewesen,
Trotz Verglühen und Verwesen
Weiter wirkt am Sonnenlicht.

Neujahr 1899

Da schwatzen sie von Fin de siècle
Voll Sittenunrat und Lebensekel,
Als ob wahrhaftig so ungefähr
Ein Jahrhundert ein Weinfaß wär',
Drin trüber Bodensatz sich zeige,
Läuft erst das Fäßlein auf die Neige.
[597]
Nicht doch! Ein Weinberg ist die Zeit,
Drin mancherlei Gewächs gedeiht,
Und ist ein Jahrgang arm gewesen,
Der nächste bringt wohl beßre Lesen.
So laßt ins neue Jahr hinein
Uns wünschen goldnen Sonnenschein,
Der süße Trauben in Fülle beut,
Das Blut befeuert, die Kraft erneut;
Dann woll'n wir in unserm Rebengarten
Getrost des neuen Jahrhunderts warten.

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TextGrid Repository (2012). Heyse, Paul. Gedichte. Gedichte. Sprüche. Persönliches. Persönliches. TextGrid Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-648C-8