Nachruf

So bist du hingegangen, armer Mann,
Und bist im wüsten Irrenhaus erblichen,
Gehörend so im Ende denn auch an
Der Zeit, der du in deinem Lauf geglichen.
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Bestimmt, ein blühend grüner Ast zu sein
An deines Vaterlandes Künstlerbaume,
Fandst dus zu eng in dem beengten Raume,
Und, selbst als Baum zu gelten, luds dich ein.
Also entrückt der vaterländschen Erde,
Verpflanztest du, was so versprechend schien,
Hin, wo im Treibhaus am geheizten Herde
Und unter Glas sie bleiche Pflanzen ziehn.
Der Triebe Kraft blieb deiner Heimat eigen,
Nur Laub und Holz, es ward mit dir versetzt.
Ein wenig gor der Saft noch in den Zweigen,
Dann starb er ab und du mit ihm zuletzt.
Daß du ein Ehrenmann, hat dich getötet,
Daß du kein Tor, war deines Wahnsinns Grund,
Wem Selbsterkenntnis noch die Stirne rötet,
Der straft sich Lügen selbst mit eignem Mund.
Vom Lob getragen und vom Ruhm beschienen,
Fandst du dich selbst zu arm für solchen Wert,
Und ehrlich, so viel Beifall zu verdienen,
Hast später Bildung du dich zugekehrt.
Mit österreichscher alter Treue,
Um auszufüllen, was dir noch zu weit,
Nahmst du die Torenweisheit, alt und neue,
Rasch auf in deines Ruhmes schwellend Kleid.
Und weil dem Liebchen gerne nah der Buhle,
Der Wind am stärksten da, woher er weht,
Begabst du dich in Schwabens Dichterschule,
Wo fern ein Meister seinen Schülern steht.
Dort in der alten Heimat alter Sparren,
Zum Märchen schon gewordenen von je,
Dem Vaterlande der Genies und Narren,
Weil fix, als beiden eigen, die Idee,
[339]
Warst du von einem Männerkreis umgeben,
Die granweis, wie einst König Mithridat,
An Gift gewöhnt sich all ihr ganzes Leben,
So daß sie nun verdauen jeden Grad.
Du aber mit den unentweihten Kräften,
Der sein du wolltest, was für jene Scherz,
Du trankst dir Tod in jenen Taumelsäften,
Was für den Kopf bestimmt, es traf dein Herz.
Da trat, was du geflohn in allen Tagen,
Die Wirklichkeit dich an, von Inhalt schwer,
Halb selbst sich Überheben, halb Verzagen,
Stand still die Uhr, der Zeiger wies nicht mehr.
Und so sei dir ein Lebewohl gesprochen,
Ob Tat und Wollen sich gleich noch so weit;
Was dich zerbrach, hat Staaten schon zerbrochen:
Dich hob, dich trug und dich verdarb die Zeit.

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TextGrid Repository (2012). Grillparzer, Franz. Gedichte. Gedichte. Nachruf. Nachruf. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-F166-7