Die Viel-Liebchen (Philippchen) der Doppel-Mandel 1
Zwillingskinder eines Stengels,
Zweigeschwister einer Schale,
Liegen wir geschmiegt beisammen,
Zwei in einem, eins in zweien,
Als ein Sinnbild wahrer Liebe,
Als Symbol von fester Treu.
Der du unsre Schale brichst,
Hüte dich, uns je zu trennen,
[126]Noch zu teilen unsre Hälften,
Oder willst dus doch, so teil uns
Nie mit einem, dem du abhold,
Den du möchtest fliehn hinfürder;
Denn, o wiß es nur, du Kühner!
Wir, gezeugt in einem Schoße
Und gewiegt in einer Wiege
und getraut zu einem Bette,
Ob man uns auch teilt und scheidet,
Suchen stets uns zu vereinen;
Aus den Augen, von den Lippen
Dessen, der von uns gekostet,
Ruft das eine zu dem andern:
»Hörst du Liebchen? Mein Viel-Liebchen!
Komm! und tröste den Verlaßnen!
Komm und hilf ihm, der verwaist!«
Und das Liebchen hört die Stimme;
Über Hügel, über Berge
Treibt es den, der sie empfangen,
Hin zur hartgeteilten Hälfte,
Hin zu dem oft längst Vergeßnen,
Der die Frucht mit ihm geteilt.
Und da stehn die beiden Menschen,
Sehen tief sich in die Augen,
Fühlen stark sich angezogen,
Wissen nicht, wie das geschehn,
Können nimmer sich verlassen,
Müssen fürder einig gehn.
Drum ihr Fremden, Ungeweihten!
Seht ihr je sich zwei umfassen,
Die die Doppelfrucht geteilet,
Denket, es sind nicht sie selber,
Nicht die Menschen, die sich küssen,
Die Viel-Liebchen küssen sich.