1. Die reisende Fabel
Die arme Tochter des Äsop,
Die Fabel, reiste von Athen,
Entfernte Länder zu besehn.
Wer sie erblickte, der erhob
Ihr Wesen, ihren Gang,
Und ihren Anzug. Nicht zu lang
Und nicht zu kurz, war er bequem:
Wohin sie kam, da war sie angenehm.
Zu Rom schenkt ihr ein feinres Kleid
Ein Freigelassener
1 des Kaisers seiner Zeit,
Es stand ihr wohl, es war gemacht
Nett, aber ohne Pracht!
Dann reiste sie darin, noch blöde, nach Paris;
Ein edler Ritter
2 nahm sie auf, und unterwies
Das wohlerzogne Kind, das seine Freundin ward,
In Sitten und in Putz, nach seiner Landesart.
Auch nahm er einst sie mit, in einer Gallanacht,
An Ludwigs Hof, in Hofestracht.
Und weil der jungen Maintenon
3An Geist und Schönheit sie vollkommen glich,
So zog sie allsobald des Königs Aug' auf sich.
Was hatte sie davon?
[69]Er rühmte sie den Prinzen, sie gefiel!
Und einst beim Spiel,
Nannt' er, in Gnaden, sie: die Menschenlehrerin!
Ich? Ihro Majestät! ich bin
Nur eine
Zeitvertreiberin! 4Mich hören Kinder nur so gern!
Ich? Lehrerin? der Menschen? das sei fern!
Was recht und Tugend ist, zu lehren und zu preisen,
Das überlaß' ich Herrn,
Und Königen, und Weisen!