AUS: GESAMMELTE GEDICHTE
ARABESKE ZU EINER HANDZEICHNUNG MICHELANGELOS
(FRAUENPROFIL MIT GESENKTEM KOPF IN DEN UFFIZIEN)

Kam die woge ans land?
Kam sie ans land und sickerte langsam
Rollend mit des kiesels perlen
Wieder hinaus in die wogenwelt?
Nein! sie bäumte wie ein zelter ·
Hob empor die weisse brust.
Durch die mähne knisterte der schaum
Schneeweiss wie des schwanes rücken.
Strahlenstaub und regenbogen-nebel
Zitterten durch die luft:
Hülle geworfen ·
Hülle gewechselt ·
Flog auf breiten schwanenschwingen
Durch der sonne weisses licht.
Ich kenne deinen flug · du flüchtige woge.
Doch der goldne tag wird sinken ·
Wird gehüllt in den dunklen mantel der nacht
Müde zur ruhe sich legen ·
Tau wird in seinem atem glimmen ·
[55]
Blumen um seine glieder sich schliessen
Eh du dein ziel erreichst. –
Und hast du das goldene gitter erreicht
Und streichest still auf gebreiteter schwinge
Über des gartens weite gänge ·
Über die lorbeer- und myrtenwellen ·
Über der magnolien dunkle krone ·
Gefolgt von lichten · ruhig blinkenden ·
Gefolgt von starrenden blumenaugen ·
Nieder auf heimlich zischende iris ·
Getragen gewiegt in tränen-milden träumen
Von der geranien duft
Von der jasminen und tuberosen schweratmendem duft ·
Getragen zum weissen landhaus
Mit den mond-erleuchteten scheiben
Mit seiner wache von hohen dunklen ·
Hohen treuen zipressen:
Da vergehst du in ahnungen-angst ·
Wirst verbrannt von dem bebenden sehnen ·
Gleitest vor wie ein wehen vom meer ·
Und du stirbst zwischen weinrebenlaub ·
Der weinreben sausendem laub
Auf des balkones marmorschwelle.
Doch des balkonvorhangs seide
[56]
Wiegt sich langsam in schweren falten
Und die goldnen traubenbüschel
Von den angstvoll gedrehten ranken
Sinken hin in des gartens gras.
Glühende nacht!
Langsam brennst du über der erde ·
Der träume seltsam wechselnder rauch
Flackert und wirbelt hinweg aus deiner spur.
Glühende nacht!
Wille wird wachs in deiner weichen hand
Und treue ein rohr nur für deines atems stoss!
Und was ist klugheit an deinen busen gelehnt?
Und was ist unschuld bezaubert von deinem blick
Der nicht sieht aber wild saugt
Zur sturmflut der adern roten strom ·
Wie der mond des meeres kaltes wasser saugt? –
Glühende nacht!
Gewaltige blinde mänade ·
Hervor durch das dunkel blinken und schäumen
Seltsame wogen von seltsamem laut:
Der becher klang ·
Des stahles hurtiger singender klang ·
Des blutes tropfen · der blutenden röcheln
Und voll ausgestossen des wahnsinns brüllen ·
[57]
Gemischt mit der purpurroten gierde heiserem schrei.
Aber der seufzer · glühende nacht?
Der seufzer der schwillt und stirbt ·
Stirbt um neu geboren zu werden ·
Der seufzer · du glühende nacht?
Sieh! des vorhangs seidenwellen trennen sich
Und eine frau hoch und herrlich
Zeichnet sich schwarz ab in der schwarzen luft ·
Heilige sorge im blick.
Sorge für die keine hilfe –
Hoffnungslose sorge.
– – – – – – – – – – – – – –
Stumm und ruhig steht sie auf dem balkon ·
Hat nicht wort nicht seufzer nicht klage ·
Zeichnet schwarz sich ab in der schwarzen luft
Wie ein schwert im herzen der nacht.

[58] IM GARTEN DES SERAIL

Rosen senken ihr haupt so schwer
Von tau und duft.
Pinien schaukeln so schweigsam und matt
In schwerer luft.
Quellen rollen ihr schweres metall
In träger ruh.
Minarets schauen in Türken-vertraun
Dem himmel zu.
Der halbmond spielt in das sanfte blau
So sanft hinein
Und küsst der lilien und rosen schar ·
Alle die blumen klein
Im garten des serail –
Im garten des serail.

[59] SEE-STÜCK

Hervor aus des haares rabenschwarzen wolken
Der augen blinkendes zwillingslicht
Strahlend bricht.
Des atemzugs wehungen laue und leise
Über die klippen der schultern der weissen
Sachte gleiten.
Indess gegen kleides spitzenküste
Schwellend sich wälzen die wogenden brüste
Schaumweiss doch stumm.
Ach wenn doch klänge
Schmelzend weich und
Zauberisch mild
Hin zu sich tragendes
Liebe-klagendes
Meerfrauenlied!

[Lass frühling kommen wann er will]

[60]
Lass frühling kommen wann er will ·
Grünen das grün ·
Das lied von tausend vögeln tönen
Und blumen blühn!
Das schönste des schönen
Eilet zu flackern
Auf fluren und ackern ·
Quillt in den gärten und birgt sich im walde ·
Wälzet den duft über welle und halde –
Was tut das mir?
Mein herz ist nicht blume noch blatt
Das am frühling freude hat.
Wird ihm sein frühling seltsam und weh
Je? – –
[61][63]

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TextGrid Repository (2012). George, Stefan. Jens P. Jacobsen. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-D1C9-6