[145] Drittes Statiönchen

1.

Dutzend-Fürsten, Taschen-Höflein,
Glücklich, wer euch niemals kennt!
Hoffouriers- und Kammerzöflein-
Und Actricen-Regiment!
Alles ein Intrigen-Knäuel,
Teegeklatsch und Weiberschnack, –
Schütz Euch Gott vor solchem Greuel
Und vor seidnem Lumpenpack!
Mittags spart man's ab am Essen,
Trinkt Zichorien statt Kaffee,
Und der Wein wird karg gemessen,
Alles für die Soirée.
Ohne Hosen wird gesessen
Morgens früh bei dem Lever,
Denn der Schneider näht die Tressen
An zur heutgen Soirée.
[146]
Aber abends welcher Lüstre,
Welch Getümmel, welcher Glanz,
Welch vornehmes Hofgeflüster,
Welcher reiche Damenkranz!
Eines Kammerherren Schlüssel
Reibt sich am Minister-Stern,
Und von einer leeren Schüssel
Nähmen alle beide gern.
Generalen-Epauletten
Werden rot, weil sie nicht echt,
Neben den massiven Ketten,
Die der Herr Hofbanquier trägt.
Plötzlich fliegen auf die Türen,
»!Ha, der HErr!« heißt's überall:
Seine Durchlaucht sieht man führen
Ihre Durchlaucht in den Saal!
Und nach dem Adreßkalender
Reiht sich alles hoch und tief,
Alle Herren stehn wie Ständer,
Alle Damen knixen schief.
Sieh, mit spanischer Grandezza
Sieht der Herr durch ihre Reihn,
Er nur redet laut und mezza
Voce falln die andern ein.
Hungern, Dursten, Gähnen, Frieren,
Echo und Maschine sein,
Obendrein im Whist verlieren
Und im Tanz sich abkastein –
O der übertünchten Leere,
Draus die Armut allwärts schielt,
Just als ob's ein Jahrmarkt wäre,
Wo man Volkstheater spielt!
Munter, munter, Marionetten,
Tanzt zu Seinem Zeitvertreib!
Ha, wenn sie den Draht nicht hätten,
Hätten sie nichts in Kopf und Leib!

[147] 2.

Jüngstens ist im Hoftheater
Unsrem lieben Landesvater
Folgendes Malheur passiert,
Wie die Chronik referiert.
Durch die fürstliche Lorgnette
Blickend von gewohnter Stätte,
Fand der adlersicht'ge HErr
Einen Fremdling im Parterr.
War kein Kerl wie andre Fremde,
Trug ein blaugestreiftes Hemde
Und ein tricolores Tuch, –
Gründe zum Verdacht genug!
Sein Gesicht von roter Farbe
Zeigte eine breite Narbe,
Und der rundgezogne Bart
Schien verpönter Hambachs-Art.
[148]
Auf der Stirne böse Falten,
Aber doch zurückgehalten,
Fragt der HErr den Kammerherr,
Wer der Fremdling im Parterr?
Und der Kammerherr schickt's weiter
An des Fürsten Leibbereiter,
An den Rat und Adjutant –
Keiner hat den Kerl gekannt.
In den Logen ersten Ranges
Hob darauf ein leises, banges,
Scheues Flistern ringsum an,
Alles für den fremden Mann.
»Durchlaucht spricht von Propagande,
Fort mit ihm aus unsrem Lande,
Weh ihm, wenn in Tagesfrist
Er noch hier zu finden ist!«
So ein Polizei-Beamte,
Welchen heil'ger Zorn entflammte,
Aber Durchlaucht winkte still,
Daß er's selber ordnen will.
Seiner Diener schickt er einen,
Vor dem Fremdling zu erscheinen
Und zu fragen frank und frei,
Wer, woher und was er sei?
Nach minutenlangem Harren,
Ängstlichem Hinunterstarren,
Kommt mit klug verschwiegnem Blick
Der Lakai zum HErrn zurück.
»Durchlaucht! dieser Fremdling,« spricht er,
»Nennt sich Johann Jacob Richter,
Macht in Senf für eignes Haus« – –
– »Stille!« – Und der Spuk war aus!

[149] Drei neue Stücklein mit alten Weisen

(Für Deutsche Liedertafeln.)

[150] 1.

Mel. Das Volk steht auf, der Sturm bricht los.


Herr Michel und der Vogel Strauß
Sind leibliche Geschwister:
Aus diesem guckt's Kamel heraus,
Aus jenem der Philister.
Sie flögen gern und könnten's auch,
Die Schwingen sind gegeben,
Doch bleiben sie nach altem Brauch
Fein an der Erde kleben.
Der eine birgt den Kopf im Sand
Und läßt den Steiß sich blasen,
Der andre wühlt sich mit Verstand
In Bücher ein und Phrasen.
Indes hat man dem Strauß geschickt
Die Federn ausgerissen,
[151]
Indes die Fremde sich geschmückt
Mit Michels Geist und Wissen.
Sie lassen alle beide sich
Von einem Kinde leiten,
Das spornt und treibt sie ritterlich
Und lacht: Ich will Euch reiten.
Und was der Strauß für einen Wanst
Besitzt und welchen Magen!
– Nur du, mein deutscher Michel, kannst
Und mußt noch mehr vertragen!

[152] 2.

Mel. Heil unsern Fürsten, Heil.


Ihr macht mich irr durch das Gekrächz
Von Russen und Franzosen;
»Konservativer« heißt es rechts,
Und links heißt's »Ohne-Hosen«.
»Was ist des Deutschen Vaterland?«
So singt Ihr alle Tage,
Doch weder Rhein- noch Donaustrand
Antworten auf die Frage.
Wenn einer: »Lippe-Detmold« spricht, –
Hui, Partikularismus!
Und haßt er die Pariser nicht, –
Pfui, Kosmopolitismus!
Das Vaterland ist immer so,
Wie's passend wird befunden,
Bald Klein-Sedez, bald Folio,
Doch immerdar – gebunden!
Auflagen und den Druck versehn
Gern selbst die großen Herren,
Und die nicht so wie andre stehn,
Die Lettern läßt man – sperren.
Fürwahr, ein komischer Roman!
Wie wär's, wenn wir's versuchten,
Und bänden statt in Corduan
In Klammern ihn und Juchten?!

[153] 3.

Mel. Hoch klingt das Lied vom braven Mann.


Was ist, Ihr Herrn, ein deutscher Patriot? –
An alle Fakultäten diese Frage – ? –
»Ein Mann, der sonntags dient dem lieben Gott
Und seinem König alle Werkeltage.«
Was will, Ihr Herrn, ein deutscher Patriot? –
»Für sich ein Ämtchen, Titelchen und Bändchen,
Für seine – ehelichen – Kinder Brot
Und legitime Fürsten für sein Ländchen.«
Wie denkt, Ihr Herrn, ein deutscher Patriot? –
»Wenn's hoch kommt, wie die Allgemeine Zeitung;
Vom Franzmann spricht er nur mit Haß und Spott
Und schwärmt für Preußens Gaslichts-Welt-Verbreitung.«
Was kann, Ihr Herrn, ein deutscher Patriot? –
»Rezepte, Akten und Kompendien machen,
[154]
Laut klagen über seines Volkes Not
Und heimlich in sein sichres Fäustchen lachen.«
Hinaus zum Tempel, deutscher Patriot! –
– Eh' du dich in's Sanctissimum geheuchelt,
Und eh' dein Kuß, Judas Ischarioth,
Die Freiheit, den Messias, rücklings meuchelt!!

License
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Dingelstedt, Franz von. Drittes Statiönchen. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-7FFE-9