[159] [161]Vorgänge: 3.

[161] 1.

Zwei Menschen gehn durch nebelnassen Hain;

er faßt einen alten Friedhof ein.

Die feuchten Blätter hängen schwer herab,

so schwer, als möchten sie die Zweige brechen;

sie hängen um ein frisches Grab.

Ein Mann beginnt sich auszusprechen:


Nach diesen Trennungstagen,

die einen Andern aus mir machten,

will ich mein wahres Trachten

nicht länger halb im Dunkeln vor dir tragen.

Eh ich die Leiche liegen sah,

hatt ich den Traum, ihr stilles Antlitz trüge

[162] den Mut der Tat zur Schau; der Traum war Lüge.

Ich sah in ihre zerlittenen Züge:

dem Wahnsinn schien die starre Maske nah.

Ich habe vor dem Anblick nicht gebebt;

da lag ein Herz, der Einsamkeit erlegen.

Ich stand und fühlte das Gesetz: wer lebt,

hilft töten, ob er will ob nicht.

Und aus dem gramvollen Gesicht

schlug kalt die Mahnung mir entgegen:

Keinen zu brauchen, gottgleich allein

williges Herz der Welt zu sein!


Er neigt sich, um die tropfenschweren

Blätter von sich abzuwehren.

Mitwehrend spricht ein Weib in ihn hinein:


Wie du gestanden hast an ihrer Bahre,

erkenn ich aus dem Büschel grauer Haare,

der früher nicht an deiner Schläfe drohte.

Wozu nun noch verstorbnes Leid auffrischen!

Das Leben wird dir's ebenso verwischen

wie hier dies Zeichen – sieh: ich geb's der Toten.


Sie legt ihre Hand wie segnend auf das Grab;

sie drückt sich tief im feuchten Erdreich ab,

ein Tropfen schimmert in dem schwarzen Ballen.

Zwei Menschen stehn, als sei ein Schwur gefallen.

[163] 2.

Durch hohe Pappeln fingert grell der Mond,

legt harte Schatten vor ein kleines Haus;

fern hockt der Großstadtdunst, glanzüberthront.

Zwei Menschen sinnen in die Nacht hinaus.

Der Dunst der Felder schleicht, das Mondlicht dämpfend.

Ein Weib sagt zögernd, mit sich kämpfend:


Die Frau, die du bestattet hast,

hat uns befreit von einer Last;

ich weiß ihr Dank! und will ihn offenbaren.

Wo ist ihr Kind? Dein Kind! – gieb mir's bei Zeiten;

noch können wir's zu unserm Glück anleiten.

Was planst du immer wieder Heimlichkeiten!

[164] soll's etwa so ein Freund dir aufbewahren?


Der Mann am Fenster blickt ins bleiche Land;

er wirrt in seinen grauen Schläfenhaaren.

Er spricht verhalten, abgewandt:


Vorläufig darfst du dir den Dank ersparen.

Auch wird kein Freund in deinem Glück dich stören;

die Tote wußte nichts von diesen Leuten.

Mein Kind wird meine Mutter mir verwahren;

ich schwieg nur, um dein freies Wort zu hören –

nun laß dir Eins dazu bedeuten:

Mir haben mehr als Eure beiden Seelen

ihr ganzes Glück geoffenbart;

in jeder schien ein Stück zu fehlen,

es lag in mir wie aufgespart.

Wohl band an Jene mich ihr Leidensfrieden,

wohl riß zu Dir mich deine Lebenslust,

doch immer blieb mir frei bewußt:

mir hat die Welt ein reicheres Glück beschieden.

Vielleicht entdeckst auch Du dies Glück bei Zeiten

und lernst mein Kind zu seinem Glück anleiten!


Er kehrt seine Stirn brüsk gegens Licht;

fern hockt der Großstadtdunst, glanzüberthront.

Sie lächelt eigen; er sieht es nicht.

Zwei Menschen blicken einsam in den Mond.

[165] 3.

Sonne lacht; die Stoppelfelder schimmern.

An verfärbten Blättern zupft der Wind,

Früchte lüpfend. Heimlich Leben spinnt

weiße Fäden; rings im Blauen flimmert's.

Scheinbar tändelnd hat ein Mann

einem Weibe solch ein zart Geflechte

um ihr schwarzes Haar gewunden –

nun streckt er seine narbige Rechte:


Was doch die Seele brav lernen kann,

hat's nur der Körper erst für gut befunden!

Kaum hab ich mir die eine Hand lahm geschunden,

schon stellt sich meine Linke geschickter an

[166] als je die Rechte! Selbst auf der Jagd:

wie hat mein Vater mich neulich ausgelacht,

als ich so schießen wollte – und dann:

keinen Fehlschuß tat ich beim Kesseltreiben!

Ich kann auch wieder heimlich schreiben;

falls dir's vielleicht mal zuviel Mühe macht,

Frau Fürstin, meine Sekretärin zu bleiben –


Leichthin hat er das Spinngewebe

wieder ihrem Haar entnommen,

leichthin hält er's in der Schwebe;

bis es wegschwebt, flimmernd, wehend.

Wie mit Willen nicht verstehend

sagt sie, nur ihr Atem geht beklommen:


Du tust sehr glücklich mit deinem Spiel.

Fast wie Gaukler, die sich schämen,

Lux, ein Unglück ernst zu nehmen.

Scheint diese Müh dir nicht zuviel? –

Doch den reichen Seelen

muß das Glück wohl fehlen,

das sie Andern zeigen als ein Ziel –


gelt? – Er schweigt. Rings lüpft der Wind

Früchte; heimlich Leben spinnt

weiße Fäden über Zaun und Dach.

Zwei Menschen schaun dem fliehenden Sommer nach.

[167] 4.

Abendröte ruht auf alten Wegen.

Stille Mühlen stehn im kahlen Land

wie gebannt;

hohe Bäume glühn der Nacht entgegen.

Wo der dämmergraue Park sich lichtet,

unweit einer Grabkapelle,

gehn zwei Menschen, Hand in Hand.

Und, als sei ein Streit geschlichtet,

weist ein Weib ins Freie, Helle:


Du mußt nit meinen, ich sei so schicksalsblind,

daß ich am Himmel niemals Wolken seh.

Hier birgt noch jeder Strauch mein einsam Weh:

[168] hier sahst du kalt auf mein getötetes Kind.

Jetzt aber, wo dein Leben mich durchrinnt,

so warm, als klopfe unter meinem Herzen

Dein Herz mit allen Wonnen, allen Schmerzen,

jetzt will ich kämpfen, bis ich vor dir steh

so lauter wie ein wolkenloser Tag.

Wer sind nun deine dunkeln Freunde? sag!


Abendröte ruht auf alten Wegen;

durch die glühenden Kiefernkronen

graut der Nacht ein fahles Haus entgegen,

hoch mit eisernem Balkone.

Ein Mann sagt willig, sagt mit Hohn:


So laß dir denn erwidern:

schon bist du selbst im Bunde.

Von allen seinen Gliedern

ist keins so reif wie Du zur Stunde.

Denn diesen Bund hat nur die Sehnsucht gestiftet,

nichts wider Willen mehr mitanzusehen.

Man darf sogar Verrat begehen;

das Schlimmste ist, man wird vielleicht vergiftet.

Es folgen Alle nur dem einen Satze:

dort, lieber Freund; scheint Ihre Kraft am Platze.


Abendröte ruht auf alten Wegen;

Wolken glühn zwei Menschen wirr entgegen.

[169] 5.

Morgennebel brodelt auf fernen Seen.

Gelbes Laub tanzt über abgemähte

Wiesen und zerfahrne Chausseen

zur Musik der Telegraphendrähte;

sturmbetroffen stockt ein Menschenpaar.

Jäh ist eine Wanderschaar

Schwalben durch die brausenden Pappeln

und die Drähte hingeschossen,

unbekümmert um die zerfetzten Genossen,

die im Grase abgestürzt zappeln.

Der Mann kürzt ihre Qual mit einigen Streichen.

Nun weist er auf die kleinen Leichen:


[170] Ja, Mutter Isis: blick nur betroffen her!

kannst du noch fliegen, Seele? und allein!? –

Dein Auge hat sehr stolzen Schein –

dann ist es gut: dann brauchst du mich nicht mehr.

Zugvögeln gleich: da ziehn sie, planvoll verbunden,

und denkt doch keiner an Ich und Du!

schon sind sie, schau nur nach, im Nebel verschwunden,

von einer Heimat der andern zu –

zum jammervollsten Tod bereit

in ihrer Sehnsuchtsherrlichkeit –

komm weiter!


Er winkt in den Sturm, sein Stock zuckt wie ein Degen.

Da tritt das Weib ihm voll entgegen:


Lukas! Nun hast du deutlich genug gesprochen!

kennst du das Wort Selbstherrlichkeit?

Hältst du die Fürstin Lea für so gebrochen,

daß sie sich umsieht, was ihr Halt verleiht?

Nun will ich frei sein! frei auch vom letzten Band,

das mich noch fesselt an jene Welt der Gecken.

Frei, weil mir's ziemt; nicht Dir zum Unterpfand.

Dann biet'ich dir vielleicht die Helfershand.

Warum nicht früher, das wirst du bald entdecken.


Sie nimmt seinen Arm; sie sieht, er lächelt eigen.

Zwei Menschen fühlen, wie's stürmt, und schweigen.

[171] 6.

Trüber Tag und dunkle Ahnenbilder,

Gaslichtflammen, rostige Wappenschilder,

und hohe Spiegelwände. Und inmitten

stehn zwei Menschen mit höflich kühlen

Mienen neben den steifen Stühlen

und begrüßen einen Dritten.

Dieser nickt und sieht voll Schonung

und gelangweilt in die Welt.

Und nachdem man Platz gewählt,

sagt ein Weib mit merklicher Betonung:


Hoheit, ich danke für Ihr Entgegenkommen.

Und da Sie gütigst in die Scheidung willigen,

[172] und da uns das Geschick den Erben genommen,

und um Verwickelungen zuvorzukommen,

möchte ich fragen, ob Sie's völlig billigen,

daß mir auch jetzt, das heißt nach Bruch der Ehe,

die Hälfte meiner Mitgift noch zustehe;

sonst will ich mich trotz meines Anspruchs verpflichten,

so weit wie möglich zu verzichten.


Jener wehrt mit gnädiger Bewegung;

hierauf hört man nur das Gaslicht raunen.

Und nach flüchtigem Erstaunen

nimmt ein Mann das Wort, fast mit Erregung:


Hoheit, auch mich verlangt es, Dank zu sagen –

ich leg' ihn nicht mit leeren Händen nieder;

hier bring' ich die Archivpapiere wieder,

die ich gewillt war zu unterschlagen.

Ich möchte aber nicht, daß Hoheit glauben,

ich sei aus Leichtsinn zu der Tat geschritten;

ich trat mein Amt an mit dem Zweck, zu rauben.

Ich möchte nur, daß Hoheit mir erlauben,

als Mensch den Menschen um Verzeihung zu bitten.


Er legt errötend ein Bündel auf den Tisch;

Jener wehrt, als ob er Staub wegfächelt.

Wieder hört man nur das Gasgezisch.

Zwei Menschen glühen; der dritte lächelt.

[173] 7.

Ein Stübchen schwimmt voll Cigarettenduft;

zwei Menschen hauchen Ringe in die Luft.

Immer umwölkter blickt und sinnt der Mann

das Weib an:

ihren herrischen Wuchs, ihr sorgsam schlicht Gewand,

ihr schwer zu glättendes Haar, die große Hand,

den kühnen Hals, das sanft geschwungene Kinn –

Endlich wirft er gezwungen hin:


Du hast es äußerst talentvoll angestellt,

dich mir als reiche Frau zu entpuppen;

ich hoffe, daß mir's immer öfter wie Schuppen

von den verliebten Augen fällt.


[174] Ich bin dir dankbar für das charmant posierte

Schauspiel der Armut, das du mir geboten;

beinah so dankbar wie der Toten,

die mir zu Liebe Demut simulierte.

Nur glaube nicht, mit allerhand geschickten

Künsten sei Klarheit zu erzielen;

im Leben führt das Rollespielen

zu arg verwirrenden Konflikten.

Da wird die Wahrheit denn statt Ziel

ein offenherzig Lügenspiel.


Sein Blick wird schärfer; sie hält ihn aus.

Sie scheucht den Rauch weg, sie sagt klar heraus:


Wundert dich das, du freier Mann?

Du wolltest doch, ich sollt dir zeigen,

ob ich verstünde, planvoll zu schweigen;

du schuldigst deine eignen Künste an!

Was unterschied mich denn von einer Dirne,

bevor ich glauben durfte, wir sind Eins?

Der Schutz des Reichtums! nicht des schönen Scheins:

ich biete aller Welt die Stirne.

Die Tote aber lehre uns fürs Leben:

nur volles Selbstgefühl kann voll sich selbst hingeben!


Sie blickt ins Freie; er hat die Augen geschlossen.

Zwei Menschen sitzen rauchumflossen.

[175] 8.

Die Georginen schütteln sich im Wind;

gefallnes Obst liegt auf den Gartensteigen.

Am Straßenzaun steht scheu ein armes Kind

unter den brausenden Pappelzweigen

vor einer Frau; sie schenkt ihm von den Früchten.

Selig rennt's weg, als müßt es flüchten.

Sie tritt zu einem Mann, sie sagt gelind:


Jetzt stand gewiß dein Töchterchen vor dir,

ob ich wohl reif sei, ihm zuzureden

zu seinem Glück – o glaube mir:

ein rechtes Kind vergißt für jeden

Apfel den ganzen Garten Eden,

[176] drum ist es glücklicher als wir.

Wir schwelgen ewig im Geist und putzen

zu Vorbildern einander aus,

Einbildung träumt von ihrem Nutzen,

bis wir verdutzt im Lebensbraus

zum Sinn des alten Gebotes erwachen:

du sollst dir kein Bildnis noch Gleichnis machen!

Statt uns getrost an allen neuen

Reizen wie Götter frei zu freuen –


Ein fallender Apfel macht sie stocken.

Er liegt zerplatzt. Der Mann sagt trocken:


Du hast sehr reizend gepredigt – aber

mich sticht nicht mehr der Götterhaber.

Im Geist zwar geht's schön glatt vom Fleck

auf dem beliebten hohen Pferde;

aber der Leib liebt halt die Erde,

und eh man's denkt, liegt man plattweg

– pardon – im Dreck.

Bis wir nicht lenkbare Luftschiffe bauen,

wohnen wir nicht auf Wolkenauen;

inzwischen zeigt uns jeder Kinderdrachen,

der Mensch muß Alles zum Gleichnis machen.


Die Georginen schütteln sich im Wind;

zwei Menschen spüren, der Herbst beginnt.

[177] 9.

Die Sonnenblumen beugen sich im Regen;

zuweilen rauscht's vom Dach wie Geisterklopfen.

Der wilde Wein hängt schlaff dem Sand entgegen,

die roten Blätter scheinen Blut zu tropfen.

Der Mann steht trommelnd an der Fensterscheibe.

Plötzlich sagt er zu dem Weibe:


Ich will dir einen Traum erzählen.

Wir standen feierlich in einem Saal,

als sollten wir vor Zeugen uns vermählen.

Ich hielt und bot dir einen vollen Pokal,

um durch den Trunk den Trauschwur zu besiegeln.

Mit einem Mal

[178] seh ich tief unten in dem dunkeln Wein,

wie hoch von oben her, vollkommen rein

ein lächelndes Gesicht sich spiegeln:

die Tote lebt. Sie schwebt. Sie lächelt wieder.

Sie nimmt ein Fläschchen Gift aus ihrem Mieder.

Sie träufelt es in unser Kelchglas nieder.

Und ich: ich lächle mit – und laß dich trinken –

und trinke selbst – mir weiten sich die Glieder –

und fühle fern mich in die Welt versinken.


Und ich – beginnt das Weib zu überlegen

und starrt abwesend in den rauschenden Regen –


ich stand heute Nacht allein im Traum;

ich war ein leuchtender Schneeglöckchenbaum.

Aber fern kam furchtbar ein Funkeln an,

als wollt's mich zerstören: ein sturmgesträubter Tann,

ein Wald wilder Lichter, braungolden, grün, blau,

wie ein riesenhaft sich spreizender Pfau,

und mir geht's bis ins Mark, so eilt das Ungeheuer.

Da wird aus mir ein einziges Blütenfeuer;

von weißen Flammen stiebt die ganze Au

und flammt frei hoch mit mir, hoch, immer freier –

und unten prasselt der verbrennende Pfau!


Und wieder rauscht's vom Dach wie Geisterklopfen.

Zwei Menschen hören's tropfen und tropfen.

[179] 10.

Licht kämpft mit Wolken über Forst und See.

Durchs Wasser jagen Schatten, wie Centauern

aufbäumend an den düstern Kiefernmauern,

die rings im Bodenlosen schauern;

durchs Uferdickicht rauscht ein flüchtendes Reh.

Zwei Menschen treten aus der Waldesruh.

Innig schaut ein Weib dem Lichtkampf zu:


Ich fange an, dein märkisches Land zu lieben;

es liegt wie wartend, was der Himmel bringt.

Und wenn ich seh, wie dort die Winde stieben

und hier die Stille mit sich selber ringt,

und wie sich all die Sehnsucht nach dem Licht,

[180] die aus dem grauen Wasserspiegel bricht,

paart mit der Sehnsucht in die Nacht

des Weltenschooßes, drin die Sonne wacht,

und selbst die Bäume beben, als ob sie ringen

den Umschwung der Gestirne mitzuschwingen:

dann geht mir auf, was uns ans Leben bannt

und doch uns lockt, dem Tod anheimzufallen,

und immer freier streckt sich meine Hand

nach deinen Freunden, nach den Menschen allen.


Und gleißend öffnet sich ein Wolkenspalt;

den See durchfährt ein schlangenhaftes Blenden,

hinschillernd an den starren Kiefernwänden,

die rings ins Bodenlose enden –

ein Mann sagt kalt:


Jawohl, es ist im Himmel wie auf Erden.

Was sich noch unfrei fühlt, das sehnt sich frei

und möchte immer freier werden;

für mich ist dies Gelüst vorbei.

Ich lernte meine Sehnsucht stillen;

ich bin so gotteins mit der Welt,

daß nicht ein Sperling wider meinen Willen

vom Dache fällt.


Grell greift ein Sonnenstrahl ins Waldesgrauen;

zwei Menschen müssen zu Boden schauen.

[181] 11.

Die Nacht der Großstadt scheint ins Land zu wogen:

Laternen lauern bleich den Fluß entlang.

Gleich trunknen Nixen zucken schwank

die Widerscheine unterm Brückenbogen,

vom Takt der Strömung hin und her gezogen;

zwei Menschen bleiben stehn am Uferhang.

Ein Mann, wie von dem Zerrspiel mitgezwungen,

weckt schwanke Erinnerungen:


Ellewelline tanzt Serpentine –

oh, wie war der Maitag wunderbar!

als der Herr Eidechs im Sonnenschein erwarmte,

als ich im Weibe noch die Welt umarmte;

[182] da hatt ich noch kein graues Haar.

Da hatt ich blaue Himmelschuh an,

und war ein schön feuriger Reitersmann;

jetzt zieh ich durch die Nacht im Hundetrott.

Und könnt doch spornstreichs, wie rüstige Witwer dürfen,

aus »allen neuen Reizen« Freude schlürfen –

gelt, Fürstin – freier als ein Gott!


Er lacht. Er lacht sie an. Sie rührt sich nicht.

Es zuckt wie buhlend in den Wassergrüften.

Sie will's nicht sehn – wegblicken – Nein, nicht – o Licht:

heilig strömt's über – sie flammt, sie spricht,

schauernd bis in die schwangern Hüften:


Ich bin nicht mehr Fürstin! ich bin dein Weib!

ich trage dein Blut in meinem Leib!

Du wirst Mein bleiben! du wirst mich nicht schänden!

du hast mein nacktes Leben in Händen!

Das ist die tötlichste Schmach für ein Weib,

verschmäht ein Mann ihren willigen Leib!

Das war's, was Jene zum Äußersten trieb;

was ihr nicht ahntet, wie Wir jetzt, Wir –

drum gingst du pflichtlos, schuldlos von ihr.

Mich aber hast du blutpflichtig lieb!


Sie zittert; sie will seine Hände fassen.

Er starrt; er wehrt ihr. Zwei Menschen erblassen.

[183] 12.

Der Mond erleuchtet scheu ein kleines Zimmer;

das Licht durchranken Schatten, viele, viele.

Ein Mann umschreitet schweigend, wie zum Spiele,

die schwarzen Fensterkreuze auf der Diele.

Doch nun, als löse sich ein Blatt vom Stiele,

bebt eines Weibes Stimme durch den Schimmer:


Ich trag ein Kind –von Dir, von Dir –

ich tu meine Wonne auf vor dir –

o trag sie mit mir! gemeinsam! grenzenlos!

Du mußt ja; fühl's doch! ich weiß es und ich sag'es,

mit jedem Pulsschlag sagt mir's Herz und Schooß:

Wir Beide, wir sind Eines Schlages!


[184] Was quälst du uns! o denk an die Nacht zurück,

als sich's erfüllte, dein Weisheitswort vom Glück!

Ja: alle Torheit, alles Leid

sind Ausgeburt der Einsamkeit.


Die Stimme schweigt; der Raum schweigt mit, wie leidend.

Die Fensterkreuze flehn ins kahle Feld;

doch drüber schwebt die fremde fahle Welt.

Der Mann sagt schneidend:


Oh, ich denke an viele Nächte zurück;

jede war voll Wonne – doch Glück? ist Das Glück?

Dein Schooß, ich hab ihn nicht erschlossen:

ein Andrer hatte ihn vor mir genossen.

Und dein Herz – ich wollt mich nicht danach fragen,

aber wieder und wieder mußt ich mir sagen:

die reinste Glückseligkeit zwischen uns Beiden

ist die zwischen Heiden –

und daß dein Leib dir nicht heilig gewesen ist,

Das zu vergessen vermag nur ein Christ!


Er stiert plötzlich: es war, als flog

jäh ein Glanz hoch, überirdisch schlank.

Da macht's ihn aufschrein: Lea! – sie wankt –

will fliehn – Er – Licht, Schatten, Alles schwankt –

schwankt Herz an Herz ihr: ich log, ich log!

Zwei Menschen weinen – o Glück! – Dank – Dank –

[185] 13.

Nun krümmt das welke Laub sich sacht zum Falle;

nun bringt's die lange verhüllten Früchte alle

in Feld und Garten voll zu Ehren.

Die Eberesche schwenkt die hundert schweren

hochroten Büschel kühn vorm Ziegeldache.

Nur des Hollunders purpurschwarze Beeren

betrauern sich am dunkelgrünen Bache,

zu dem sie lastend niederschwellen.

Ein Mann verfolgt die Bilder in den Wellen:


Eins greift ins andre – keins ruht – nichts ruht –

o hilf ein Ziel sehn! – wie's lockt, wie's warnt, dies Drängen!

Es bringt kein Glück, du, still Brust an Brust zu hängen;

[186] so trieb's die Tote – das fraß an ihrem Blut.

Ich war ihr Vampyr. Du wirst der meine,

wenn ich noch länger in dir ruh.

Schon immer bannender werfen Deine

Augen mir ihre Blicke zu.

Dann kreist die Welt mir, als will sie mich befreien,

als sind auch Wir nur einsam zu Zweien.


Im dunkeln Wasser kreist Bild in Bild.

Er faßt das Weib an, wie innerst aus den Gleisen.

Sie neigt sich zu ihm, muttermild:


Du Ungestümer – so laß die Welt doch kreisen –

sie kreist durch mich wie dich; was wehrst du ihr!

Bald wirst du dankbar das Wunder preisen,

daß dir die Tote aufersteht in mir.

O Du! wie lag ich einst voll Grauen,

vom Geist der Unterwelt durchwütet;

da lehrtest Du mich, ihm vertrauen,

der Lust wie Leid zur Reife brütet.

Nun sieh, wie dort ums Dach die Früchte lachen,

rot uns ins Herz, still wirkende Gebote!

Heute fühlst du nur das Rote;

morgen wirst du froh erwachen.


Leis umweht ihr Haar ihm Bart und Wangen.

Zwei Menschen sehn die Welt gen Himmel prangen.

[187] 14.

Doch bei Halblicht, grau um etwas Dunkles,

hocken Menschen in einem Raum, der dumpf ist,

wie Kaninchen um eine Schlange.

Denn da läßt von allen möglichen Geistern

ein berühmtes Medium sich bemeistern,

und man lauscht ihm immer neugierbanger.

Und nun zuckt die Schlafende, wimmert, röchelt;

und ein Weib, das eben stolz noch lächelte,

rauscht zum Saal hinaus, blaß, fliehend,

hastig einen Mann mitziehend.

Draußen, tief ausatmend, haucht sie glühend:


Empörend – schamlos – diese entmenschten Augen!

[188] Nun weiß ich, daß ich nicht zum Vampyr tauge;

verzeih mein Bitten, dies Schauspiel zu besehn!

Erniedrigend! Noch fühl ich mein Herz mitpochen

mit diesem Weibsbild, als könnt's mich unterjochen –


und Dich? Auch? Sprich doch! – Sie späht ihn an im Gehn;

um sie braust die Weltstadt, zur Nacht auf, lichtdurchbrochen.

Mich? fragt er ruhig und bleibt hell stehn:


Was schiert mich diese feile Verzückte,

was diese geflissentlich Verrückten,

die wichtig tun mit dem Geschäfte,

den überirdischen Geist zu fassen,

um dann vom Dunst der irdischen Säfte

ihr bißchen Geist noch benebeln zu lassen.

Hol sie der Teufel, die hirnschwachen Tröpfe,

die mit dem Anspruch gottgleicher Geschöpfe

vor lauter Tiefsinn danach gieren,

zurückzukehren zu den Tieren!

Ein Pferd, das Nachts die Ohren spitzt,

wo Wir, die's lenken, froh sind Nichts zu hören,

weiß mehr von derlei Geisterchören

als solch ein Mensch, das Od ausschwitzt.

Komm, fasse dich! Das Unfaßbare

bedeutet nur: bring Dich ins Klare!


Zwei Menschen schreiten weiter, lichtumblitzt.

[189] 15.

Windfackeln lodern. Rot rauschen die Bäume

um scharrende Pferde, bunt blinkernde Zäume;

hoch leuchten die Blätter in die Umnachtung.

Hoch Wimpel und Seile! und drüber die Sterne!

so zeigen die fahrenden Leute gerne

die Künste ihrer Todesverachtung.

Froh staunt das Dorfvolk unten im Kreise.

Abseits lehnt ein Paar. Ein Mann rühmt leise:


Ja, sie tun mir wohl, diese Vogelfreien,

mit ihrer Geistesgegenwart.

Als ob eine uralte Mannszucht sie feie:

eder Griff bedacht, zielbedacht, willenshart.


[190] Nur auf sich bedacht – klar im Wirbel des Traums

der Mitgefühle: nur die Tat gilt, die Tat!

So üben sie auf schwankem Draht,

im Flitter der Armut Beherrscher des Raums,

die großen Tugenden der Zeit:

Gefaßtheit und Gelassenheit!


Und erregt, als ob er mitschwingen möchte,

umspannt sein Blick ihr Spiel immer funkelnder.

Und des Weibes Blick schwankt immer verdunkelter.

Heftig faßt sie seine vernarbte Rechte:


Lux! was schwärmst du! – Scheinen dir Deine Ziele

auf einmal nur noch Träume und Spiele?

bin Ich's, die dein Gefühl entzweit?

Ich denke anders von deinen Handlungen!

Mir winkte strahlend aus all deinen Wandlungen

die große Tugend der Ewigkeit:

die Kraft, den Willen der Welt zu fassen

und Nichts, rein Nichts beim Alten zu lassen!

Und da ist mein Stern still dem deinen genaht:

wie du mich fühlst, ist das nicht meine Tat?!


Und da schmettern Trompeten und Trommelton,

und das Volk klatscht Beifall den kühnen Springern;

und sie bitten stolz um den kleinen Lohn.

Zwei Menschen geben mit hastigen Fingern.

[191] 16.

Rauch und Funken flüstern im Kamin:

Unruh ist, wo Feuergeister hausen,

Unruh, wo die kühlen Wolken ziehn –

horch, die halbentlaubten Pappeln brausen.

Horch – da legt sich das Gemurr der Flammen:

ein Weib nimmt all ihr Selbstgefühl zusammen:


Mir sagt der Geist, wir wollen Ruhe haben!

Und sperr ich dir den Weg zur Tat, nun gut:

du sollst nicht sagen, ich sei dein Wankelmut:

geh hin, sei frei! und nimm mein Hab und Gut

in deinen Dienst wie andre Freundesgaben! –

Was stehst du nun und staunst mich lächelnd an?

[192] Lukas! – welch Rätsel bist du, Mann –


Sie will in seinen Augen lesen;

es blaut ein Glanz darin wie nie zuvor.

Die Flammen geistern hell und laut empor.

Ein Mann bekennt sein stillstes Wesen:


Ja, staun ihn an, den Mann – hier steht er, lacht,

der einst mit furchtbar heiligem Ernst gedacht:

ich bin bös gut, ich bin ein Geist,

an dem die Überlebten sterben,

verführt von ihm, sich vollends zu verderben,

damit der Weltlauf schneller kreist –

so macht sich der gebrechlichste Verbrecher

im Handumdrehn zum Richter und zum Rächer,

bis ihn die Welt in seine Schranken weist.

Das war's; drum hatt'ich Helfershelfer von Nöten.

Drum steh ich jetzt und beichte mit Erröten:

gewichtige Mittel zu nichtigen Zwecken,

das ist die Taktik der Gaukler und Gecken –

ein einzig Fünkchen neue Tugend wecken

frommt mehr, als tausend alte Sünder töten.

Und bist du jetzt noch mein mit Hab und Gut,

dann, Fünkchen, hei: hell lacht die Glut!


Die Flammen murmeln eine Wunder-Erzählung:

zwei Geister feiern ihre Vermählung.

[193] 17.

Und sie staunen ins Land: es atmet Glanz ohne Ende.

Mittagsnebel wandern und weiten alle Grenzen;

aus jedem der tausend Schleier scheint die Sonne zu glänzen.

Und der Mann berührt des Weibes gefaltete Hände:


Also morgen geh ich uns mein Töchterchen holen.

Du wirst dich wundern, Lea – vielleicht auch nicht:

sie wird dein Ebenbild – Gang, Haltung, Gesicht –

trotzdem sie blond ist wie ein Goldfuchsfohlen.

Ja, Meine, du hast mir schon im Geist geschlafen,

bevor sich unsre wachen beiden Körper trafen;

und nun begreifft du wohl mein Mannesbangen.

Der Geist, der Alles antreibt, in Eins zu gehören,

[194] der strebt das Einzelgeschöpf zu zerstören;

denk, wie wir todeslüstern am Meer uns umschlangen!

Da jauchzten wir den irresten Lebenstrieben;

da hätte die Liebesgier uns aufgerieben,

hätt ich nicht Botschaft von der Toten empfangen.

Jetzt seh ich dort die Nebelgeister walten

und freu mich unsrer festeren Gestalten.


Es wogt; und blaß, wie ferne Inseln, erscheinen

die Wälder durch die leuchtend wehenden Falten.

Das Weib legt schwer die Hände in die seinen:


So laß uns denn den Leib recht heilig halten;

die Seele weiß sich schon allein zu frommen.

Mir ahnt ohnehin, uns wird von deinen alten

Geistesfreunden noch Unheil kommen.

Nimm's nicht für Furcht! O, umso stolzer bin ich,

daß du nicht loskonntest von mir.

Und umso demutwilliger weiß ich innig,

daß ich nicht lassen kann von Dir.

Und so, leibhaftig, ist dein Kind auch mein;

ich will ihm eine Mutter sein,

als hätt's in meinem Schooß geruht,

es ist ja Blut von Deinem Blut.


Und blaß und blasser wehn die Nebel ins Leere.

Zwei Seelen segnen ihre Erdenschwere.

[195] 18.

Doch funkeln Sterne wie von je.

Der Nachtwind irrt ums Haus mit Sehnsuchtsrufen

und rüttelt an den morschgewordenen Stufen;

die Pappeln brausen wie die See.

Ergriffen lauscht das Weib den hohen Bäumen,

ein Mädchenseelchen ruht vor ihr in Träumen;

sie dämpft besorgt das Lampenlicht.

Sie tritt ans Fenster zu dem Mann. Sie spricht:


Lukas – wir müssen nun wohl streben,

dem kommenden Geschlecht zu leben.

Wenn meine schwere Stunde naht,

dann ist kein Raum hier. Noch kann ich reisen,

[196] und – gelt? uns wird auf jedem Pfad

das Wunder der Ehe sich neu erweisen,

beim alleroffenherzigsten Treiben

uns doch ein reizend Geheimnis zu bleiben –

und drum: frei heraus, Lux: ich möcht, wir fahren

nach den Inseln, wo wir selig waren!

Da kann keine fremde Hand uns hindern,

ein Paradies zu bauen mit unsern Kindern.

Und deine alten Eltern, so sehr sie jetzt grollen,

ich glaube, dann werden sie mitbauen wollen.


Die Sterne funkeln wie von je.

Der Nachtwind rauscht ums Haus wie Wogenrollen.

Der Mann blickt lächelnd auf die dunkle Chaussee.


Und wenn die alten Eltern nun niemals wollen?

kannst du die Welt zu Deinem Glück bekehren?

Willst du den kommenden Geschlechtern lehren,

man brauche Inseln, um selig zu sein?

Ja, komm, wir reisen! hoch steht dein Schloß am Rhein!

Da rauscht das Leben rings kreuz und quer,

an dem alles Menschenstreben sich mißt!

Wer in der weiten Welt nicht selig ist,

der wird's auf einer Insel nimmermehr!


Und da: da dehnt ein Hauch den engen Raum –

zwei Menschen sehn: ein Kind lächelt im Traum.

[197] 19.

Und es glänzt ein Strom im Tal; Rebhügel steigen

von kleinen Städten zu Berg und Burg empor.

Herbstfeierlich in letzter Prunksucht umzweigen

die Wälder sie mit hundertfarbigem Flor.

Am Schloßteich spielt ein Kind im Sonnenschein

und schmückt sich mit den sterbebunten Blättern;

ihr goldrot Haar huscht durch den alten Hain –


husch – lacht der Mann – gleich wird's ein Eichkätzchen sein

und über uns im Epheu klettern.

Und der Himmel, schau, wie hochzeitsblau!

ich wollt am liebsten, wir gingen Beide

in edlem Sammet und lautrer Seide,

[198] wie deine Ahnen einst hier schritten.

Wir dürften's wagen, aus diesem Freiherrnbau

die Toten alle heraufzubitten

zur Feier der Freiheit, die Unsern Bund umschwebt:

Vivat, ihr Herrn! wie schwarz das Grab auch nachtet,

Erinnerung schimmert, und wer's recht betrachtet,

der hat das Leben hundertmal gelebt;

hier soll der Odem eines Glückes wehn,

das Macht hat, tausend Tode zu bestehn!


Das Weib lächelt; sie hat das Wappen besehn,

das unterm Epheu nistet überm Tor.

Sie weist empor:


Schau dort: da lugt dasselbe Glück hervor:

für diesen Sternschild hat manch Herz gelodert,

das einst die Welt zu stürmen sich verschwor,

und das jetzt unter unsern Füßen modert.

O Lux, hier rührt mich jeder Strauch und Baum,

und jeder raunt mir doch: die Welt ist Traum.

Nur Du, du bist wie ich so wirklich mir;

du lebst, du leibst, du liebst mit mir.


Da raschelt's. Blätter flattern; durchs Buschwerk schlüpft

das Kind, den Lockenkopf umrankt mit Reben.

Bin ich nicht schön?! jubelt's und hüpft es.

Zwei Menschen öffnen beide Arme dem Leben.

[199] 20.

Und Kerzen schimmern; und still ins Schlafgemach

dürfen die Träume Ewigen Lebens treten.

Rings im gebräunten Schnitzwerk beten

Engel aus Erz und hüten immerwach

die Sterne auf den silberblauen Tapeten.

Die hohen Spiegel stehn gleich Lichtportalen,

aus denen, in verklärte Schatten getaucht,

die Leiber zweier seliger Geister strahlen –

das Weib haucht:


Bin ich nicht schön? O wie das liebreizend klang,

als unser Eichkätzchen so vor uns sprang;

ich sah uns nackt vor Gott in Wonne stehn –

[200] wie jetzt. O Meiner! Uns hat mit Urgewalt

das Meer getraut! Und diese Muttergestalt,

nicht wahr, du kannst sie fromm beschauen

wie Meister Dürers benedeiete Frauen,

und sie darf jubeln: in Himmelshöhn

brennt keine Scham mehr! – sag: Bin ich noch schön? –


Die Schatten beben; die Kerzenflammen wehn.

Es flimmern Menschensterne rings im Blauen.

Des Mannes Blick scheint über weite Auen

hinzugehn:


Als du auf wildem Meer mit mir

wogtest im Boot, sahst weg von mir,

sahst unter uns das Grab hinschwanken

und über uns den grauen Himmel wanken

und bebtest nicht – da warst du schön.

Jetzt aber, hier, vor diesem klaren Spiegel,

wo jeder deiner Makel mir ein Siegel

auf meine eignen Häßlichkeiten drückt,

und siehst mich an und fühlst nun, wie wir rangen,

bis wir das wüste Element bezwangen,

und bebst beglückt –

oh Du, jetzt sind wir mehr als schön!


Es schimmern Erzengel aus Lichtportalen.

Zwei Menschen strahlen.

[201] 21.

Und Kerzen wehn noch in den hellen Tag;

entzückte Lippen glühn, verschämte Wangen.

Geburtstagsblumensträuße prangen.

Das Kind hat seinen Glückwunsch aufgesagt;

nun darf's mit Gärtnersmann und Magd

und mit dem riesigen Rosinenkuchen

wohlgemut das Weite suchen.

Und während draußen Tanz und Trubel lacht,

nimmt zart der Mann des Weibes Blick gefangen:


Komm, Seele – weißt du noch? heut jährt sich's grad,

als ich, ein Lohnmensch, vor dich trat

und deinen Blick empfing, der Ketten sprengte.


[202] Und nun, in diesem freien Turmgemach,

an diesem lichterloh gekrönten Tag,

der dir und mir dein Leben schenkte,

der jedes Wort belebt zum Dankausruf,

daß uns die Welt zu denkenden Wesen schuf,

daß wir uns nicht mehr dumpf im Urnebel drehn,

daß wir zu weinen und zu lachen verstehn,

nicht mehr in Sümpfen uns ungetümlich plagend,

nicht mehr wie Brüllaffen mondsüchtig klagend,

auch nicht mehr wie solch Kindlein handelnd,

das sich, von jeder Laune betört,

sein eignes Himmelreich verstört –

wir, Adam und Eva, gen Eden wandelnd: –

Komm –: Siehst du dort den Schieferberg im Tann?

da ließ dein Ururahn sechs Knechte henken!

Willst du mir diesen kahlen Berg heut schenken,

der hundert freie Menschen nähren kann,

wenn wir sie mitmenschlich zum Werk anlenken?!


Sie blickt den Berg, sie blickt den Himmel an:

er scheint sich in ein Zukunftsland zu senken.

Sie blickt zu Tal, wie übermannt vom Denken –


sie lacht: hab Dank, mein Herr und Lehensmann!


Und talher prangt voll Sonnengold der Fluß.

Zwei Menschen tauschen einen Festtagskuß.

[203] 22.

Und eine Mondverfinsterung beginnt;

den blanken Ball beschleicht ein scharfer Schatten.

Der Schatten schwillt und macht mit seinem matten

Erdschwarz den Himmelskörper blind.

Der kahle Burghain steht um Turm und Erker

wie ein Gespensterschwarm um einen Kerker.

Das Weib sinnt:


Es hat eine Seele sich befreit:

sie band sich selber die Hände.

Da kam die Ruhe: Nun bist du gefeit.

Ich halt dich umfangen wie Raum und Zeit:

unser Band hat nicht Anfang noch Ende.


[204] Nun seh ich ohne Sehnen und Bangen

um unsre Sterne das ewige Dunkel hangen;

wir wissen ungeblendet heimzufinden.

Und selbst der Mond, der alte Bösewicht

mit seinem unheimlich geborgten Licht,

kann uns das Sonnenband nicht mehr entwinden.


Im Mond der Schatten schwillt und schwillt;

im dunkeln Weltraum blinkt immer befreiter

das Licht, das von den Sternen quillt.

Der Mann sinnt weiter:


Und man erkennt: Verbindlichkeit ist Leben,

und Jeder lebt so völlig, wie er liebt:

die Seele will, was sie erfüllt, hingeben,

damit die Welt ihr neue Fülle giebt.

Dann wirst du Gott im menschlichen Gewühle

und sagst zu mir, der dich umfangen hält:

du bist mir nur ein Stück der Welt,

der ich mich ganz verbunden fühle.

Bei Tag, bei Nacht umschlingt uns wie ein Schatten

im kleinsten Kreis die große Pflicht:

wir Alle leben von geborgtem Licht

und müssen diese Schuld zurückerstatten.


Im Mond der Schatten schickt sich an zu weichen;

zwei Menschen sehn den Himmel voller Zeichen.

[205] 23.

Und immer kühner greift der Morgenwind

durch Wolken in die nebelvollen Täler;

die Wolken flüchten immer schneller,

die Nebel eilen stromgeschwind.

Von Berg zu Berg wehn breite Sonnensträhnen.

Der Mann steht auf von Rechnungen und Plänen:


Sieh, jetzt im Zwielicht kannst du deutlich sehn,

wie mächtig unser Zukunftsland sich streckt;

wenn wir im Frühjahr an den Schachtbau gehn,

ist schon zum Herbst das Lager aufgedeckt.

Dann soll mein Grubenvölkchen bald verstehn,

daß freies Land noch freiere Leute heckt,

[206] auch ohne die »soziale Republik«;

und unsern Kindern wird ein Licht aufgehn,

wozu sich da vom Schornstein der Fabrik

die Rauchfahne der Arbeit reckt,

wenn hier zum Turm her Sonntags längs des Flusses

von Hütte zu Hütte auf allen Höhn

die bunten Wimpel des Genusses

um dein Sternenbanner wehn!

Gelt, das wird schön? und mehr als schön!


Er legt beide Fäuste auf seine Pläne.

Die Nebel eilen stromgeschwind.

Die Sonne streift mit ihrer Strahlenmähne

die kleinen Städte unten, Schiffe, Kähne:

Mit strahlt das Weib, hell lacht der Wind:


Es wird! Wo kreisend die Sterne sich rühren,

da greift jeder Bannkreis in andre ein!

Und wenn's statt Hundert nur ein Dutzend spüren,

dann wird das Dutzend unermeßlich sein!

Und mitgebannt mit dir in alle Sphären,

o Welt, ich helf dir Freiheit gebären!


Sie lehnt sich an ihn muttergroß.

Die Berge schwellen im Morgenduft.

Es ragt sein Haupt, es wogt ihr Schooß.

Zwei Menschen schaun wie Götter in die Luft.

[207] 24.

Doch erdschwer stockt die weiche Luft und läßt

noch manch verblichnes Blatt zu Boden schauern;

der alte Hain steht bis ins Mark durchnäßt,

der Nebel trieft vom Moos der Mauern.

Das Weib, die Hände unters Herz gepreßt,

unterdrückt ein fröstelnd Trauern:


Du meinst, du hast mehr Willen als ein Baum?

Und lernte nun dein eigen Kind uns hassen

mit unserm herrischen Freiheitstraum?

Lux – unser Eichkätzchen – dir zeigt sie's kaum –

weiß sich vor Heimweh nit mehr zu lassen!

Ich hätt's im zehnten Jahr auch schlecht ertragen,

[208] so jählings in ein ander Land verschlagen;

wir aber können allerorten bestehn.

Du kannst jedwedem Erdfleck Zukunft spenden;

und halt ich erst mein Mutterglück in Händen,

dann laß uns heim in Deine Heimat gehn!


Sie sieht, er nickt – schwer, ohne aufzusehn;

er streicht den grauen Fleck in seinen Haaren –


Meinst du, mir sei dies Leid nie widerfahren?

Bei deinen Worten hört'ich fern am Rhin

die Schnitter ihre Sensen dengeln

und sah zum Hammerschlag gleich Engeln

die Nebel durch die Haide ziehn.

Ich lief vor Heimweh noch mit fünfzehn Jahren

fünf Meilen weit in einer Nacht nach Haus.

Da, Morgens, trat mein Vater zur Tür heraus:

Du?? Marsch, zurück! – Und da – ich hab's halt müssen –

da lernt'ich zähneknirschend mit wunden Füßen

in jedem Straßenbaum die Heimat grüßen;

und so – so muß auch mein Kind durch die Welt!

Ihr kleiner Wille möge sich nur bäumen;

dann wird sie einst wie Wir so herrisch träumen,

so frei von Weiberlaunen – gelt?!


Er sieht, sie nickt – sie atmet auf im stillen.

Zwei Menschen baun auf ihren Willen.

[209] 25.

Und rauher wettert's über die Berge herab.

Die hohen Tannen fangen den Wind und juchen;

aus den Taltiefen langen die kahlen Buchen,

als ob sie oben Kräfte zu schöpfen suchen,

so sehnig schlank. Der Mann weist hinab:


Da sieh, wie's wächst, wo Leidenschaften sich drängen!

Hier reckt sich jeder Baum mit kühnerer Kraft;

wie riesige Schlangen, die sich im Kampf hochzwängen.

O, ich erfuhr's, wie man nach Raum ringt im Engen,

immer bestärkter vom Leid der Leidenschaft!

Wer's aber zu ersticken versucht,

dies tierisch Trübe, göttlich Klare,

[210] von Lust und Liebe Unlösbare,

der ist von Anfang an verflucht:

verdammt zur Ohnmacht: verrückt, verrucht,

wird er an jedem Glück zum Diebe,

zu schwach zum Haß selbst, aus – Liebe zur Liebe.


Er rührt das Weib an, weiterzuschreiten.

Sie steht wie wehrend; und sonderbar

bäumt sich im Wind ihr schwarz schlängelnd Haar.

Sie glättet's. Ihr Blick flammt wie vor Zeiten:


Wem sagst du das? Kam mir je ein Leid,

das ich nicht hinnahm mit rüstigen Händen?!

Wußt ich nicht jedes in Lust zu wenden,

seit wir einander eingeweiht:

uns eint der Geist, der uns entzweit –

ich seh ihn walten nun aller Enden!

Ich sehe im Geist sogar die Zeit,

da wird sich Menschenwitz getrauen,

die Erde aus ihrer Axe zu biegen

und anders um die Sonne zu fliegen –

ich sehe das Eis der Pole tauen,

der Blitz wird uns auf Wolken wiegen

doch bis in alle Ewigkeit

wird Haß und Liebe alldem obsiegen!


Zwei Menschen schüttelt ein Wonnegrauen.

[211] 26.

Doch ruhig geht der Schein der Sonne unter.

Durchs Rebgelände kriecht der Abendrauch

der kleinen Talstadt und der Moderhauch

des welken Laubes wie verzagt.

Ein Baum wirft sacht ein letztes Blatt herunter.

Das Weib fragt:


Doch die dort unten? sind sie je zu belehren,

daß ihnen unser herrischer Wandel dient?

Einst ritt der Held gepanzert und geschient;

heut muß sich Jeder wie ein Handelsjud wehren!

Ich will an deinem menschlichen Zukunftsglauben

nicht mit Zweifelsfingern klauben,

[212] aber gläubiger hüt'ich unser göttlich Glück!

Jeder Zwist befeindet's. Denk dich zurück:

dein nächster Freund, wie hat er's uns erschwert!

Scheint er dir jetzt nicht hassenswert?


Ihre Stirn treibt Schatten in die Flucht;

in ihrem dunklen Blick zuckt erwachend

ein Irrlicht alter Eifersucht.

Der Mann sagt lachend:


Er ist mir doch zu gottvoll zum Hasse:

ein so urdeutscher Menschheitstyrann,

daß nur der Vollblutjude Liebermann

ihn malen könnte: so schön voll Rasse.

Was sind denn hassenswerte Kreaturen?

Vorwand für unser eigen häßlich Wesen!

Der Deutsche reißt am Zopf des Chinesen,

den Britten wurmt der Eigennutz des Buren.

Du fühlst, wir leben widersittig;

doch laß uns drum den Gott nicht schmähen,

mit dem die Sittsamen sich blähen,

uns treibt er zum Aufschwung mit seinem Fittig!

Wir haben durch ihn den Weg zur Liebe gefunden!

Ich hasse nur in meinen schwachen Stunden.


Da glänzt ihre Stirn auf wie die Abendflur.

Zwei Menschen schweben über ihrer Natur.

[213] 27.

Und an fernen Dächern und Kirchen hin wie an Särgen

fliegt der Morgen mit phönixgoldnem Schweif.

Die Nebel lösen sich von den kalten Bergen

und schmücken die Tannen mit reinstem Reif.

Und im Geist aufgehend in den verklärten Landen,

sagt der Mann dem Weib, als sei aller Kampf überstanden:


Sieh, Seele: so werd'ich's immer wieder spüren,

und bin ich noch so menschenmüd, Du:

nur dein Blick braucht sonnig mich anzurühren,

dann fliegen mir Gotteskräfte zu.

Nicht, du, wie damals, als wir uns noch

hochtrabende Götternamen gaben –

[214] die hab ich mit der Toten begraben;

jetzt tragen wir willig das Menschenlebensjoch.

Jetzt weiß unser Wille erst recht die Flügel zu breiten,

jeden Augenblick kann er hinaus über Räume und Zeiten;

denn selig Seel in Seele ergeben

begreifen wir das Ewige Leben,

das Leben ohne Maß und Ziel,

selbst Haß wird Liebe, selbst Liebe wird Spiel.

Dann ist der Geist von jedem Zweck genesen,

dann weiß er unverwirrt um seine Triebe,

dann offenbart sich ihm das weise Wesen

jedweder Torheit – durch die Liebe.


Er sucht ihren Blick; er will ihr Dunkelstes lesen.

Sie steht, als höre sie ferne Glocken klingen.

Sie spricht, als sei sie in der Zukunft gewesen:


Dann wird uns Segen aus jedem Werk entspringen.

Dann lebst du nicht mehr mit dem Leben in Streit.

Dann kann uns ganz die Ruhe der Allmacht durchdringen.

Nicht Mann, nicht Weib mehr wird um die Obmacht ringen.

Klar über aller Menschenfreundlichkeit

steht Mensch vor Mensch in Menschenfreudigkeit!


Sie öffnet die Arme, als will sie die Welt umschlingen.

Fern flammt der Himmel in goldner Herrlichkeit.

Mit flammt ein Seelenpaar auf Geistesschwingen.

[215] 28.

Doch weit und hoch und funkelnd spannt die Nacht

ihr Grauen aus um Turm und Hain und Garten.

Im Tal bezeugt ein Lichtlein ihre Macht.

Die Stadt schläft, von den Sternen bewacht.

Und über die Wipfel deutend, die frosterstarrten,

fragt das Weib mit Vorbedacht:


Doch wenn nach unsern göttlichen Augenblicken

die menschlichen Stunden das Herz beschleichen?

können wir uns wie diese Eichen

mit sichern Wurzeln in jedes Schicksal schicken?

Das Kind kann's noch – da sprachst du wahr;

sie denkt schon dran, hier Spielgefährten zu finden.

[216] Sie kann ihr Herz noch frei an Alles binden;

selbst ihren Büchern bringt sie's dar.

Wir aber, die wir nicht mehr einsam sind

und doch den Zwiespalt dieser Welt empfinden,

dürfen wir träumen wie ein Kind?


Das Licht im Tal erzittert; sie sehn's verschwinden.

Des Mannes Lächeln wird seltsam wild.

Es ist ein Lächeln, das allem Schicksal gilt.

Sein Blick erhebt sich in die nächtigen Fernen,

als lese er die Antwort aus den Sternen,

seltsam mild:


Es ist in uns ein Ewig Einsames –

es ist Das, was uns Alle eint.

Es tut sich kund als Urgemeinsames,

je eigner es die Seele meint.

Sie wurzelt rings im grenzenlos Alleinen;

sie liebt es, sich im Weltspiel zu entzwein,

um immer wieder selig sich zu einen

durch Zwei, die grenzenlos allein.

So lebt die Liebe – das ist kein Traum.

So, Kind, erlebt dein Herz im dürrsten Baum,

was ihm wohl oder wehe tut;

nur leiser, ferner, nicht so nah dem Blut.


Zwei Menschen lächeln über Zeit und Raum.

[217] 29.

Und der Wald schweigt wie von Andacht gepackt;

der erste Schnee liegt tief und schwer.

Aus Höfen und Scheunen vom Talgrund her

tönt gedämpft der Dreschertakt.

Fern, groß, im weißen Sonnenglast,

steht eine Bäurin und worfelt Korn;

zuweilen blitzt ihr Sieb auf wie voll Zorn,

dann flattern Spatzen. Der Mann macht Rast:


Dieses Schauspiel ergreift mich immer,

als sei's der Mutter Menschheit Bild.

Da steht das riesige Frauenzimmer,

ihre Worfel schüttelnd, wild, schaffenswild,

[218] die Körner hütend mit harten Tatzen,

vor Eifer glühend, vor Freude rot:

tanzt auch manch leichtes zu den Spatzen,

die schweren geben Menschenbrot.

Und jetzt auf einmal fühl'ich's mit Beben:

deines Schooßes Frucht ist der Allmacht von Nöten!

Und käme auch dieses Kind blind ins Leben

und du hast nicht wieder die Kraft, es zu töten,

dann will ich glauben, du hast die höhere Kraft,

die Licht aus tiefstem Dunkel schafft!


Er will sie küssen – ihm stockt das Herz:

sie steht wie weit hinweggetragen.

Ihrem Blick entquillt ein Licht in sein Herz:

das stillt alle Wonne, allen Schmerz:

ein Licht goldner Ruhe – er hört sie sagen:


Bei deinen Worten hat dein Kind

die Augen in mir aufgeschlagen –

es wird nicht blind.

Es sah mich an wie aus tiefem Bronnen.

Seine Augen waren zwei blaue Sonnen.

Es wird wie Du durchs Leben gehen.

Ich hab's gesehen.


Traumhaft flüstert sie: Dein Kind und meins.

Traumhaft schauern zwei Herzen in eins.

[219] 30.

Und die Sonne küßt den Schnee vom Dach,

und leise summt die Glut in den Kaminen.

Lächelnd tritt das Weib ins Turmgemach;

breit vom Morgenglanz beschienen

sinnt der Mann auf seine Arbeit nieder.

Er blickt nicht auf. Sie lächelt wieder.

Leise naht sie ihm in heller Freude,

weich umwogt vom Mutterhoffnungskleide:


Lukas – mir war so fröhlich eben:

ich saß und dachte in dich hinein:

der Name, den wir unserm Kind bald geben,

soll auch der Name deines Bergwerks sein.


[220] Und mir kam ein Wort, das wie vom Himmel fiel:

nimm all dein Schicksal als Kinderspiel!

Denn gelt: den reichen Seelen

darf das Glück nicht fehlen,

das sie Andern zeigen als ein Ziel –


Da blickt er auf – sie fühlt sich erbleichen:

seine Augen gleißen, Spott nistet drin.

Seine Hand weist auf einen Bauplan hin:

da liegt ein Brief mit seltsamen Zeichen.

Die Chiffern wogen ihr wie ein Meer.

Rauh kommt seine Stimme zu ihr her:


Ja, ein Spiel – nenn's Schicksal, nenn's Glück, Gott, Welt –

nur: lerne verlieren, willst du gewinnen!

Ich werde mein Werk hier nicht beginnen.

Du wirst bald allein hier auf Namen sinnen;

was du ahntest, hat sich eingestellt,

Hier: aus alter Freundschaft hat man mir diesen

gnädigen Wink von »oben« verschafft:

binnen vier Wochen bin ich verhaftet

oder verbannt – auf amtsdeutsch: landesverwiesen.

Nun heißt es, stolz an neue Arbeit gehn,

damit wir vor dem Gott in uns bestehn!


Aus seinen Augen weicht aller Spott.

Zwei Menschen beugen sich vor Gott.

[221] 31.

Und es tanzt der Schnee; kalt flimmern die Flocken

wie Sterne im schwachen Sonnenschein.

Immer stiller starrt das Weib landein.

Aber wärmer immer, als will er sie feien,

streicht der Mann ihre schwarzen Locken:


Wir haben einst als Menschen gefehlt,

nun kommt die Menschheit und will uns strafen.

Aber sieh: ihr Geist hat uns so beseelt,

daß wir wie Kinder, wenn Mutters Schläge trafen,

nur umso lieber an Mutters Herzen schlafen,

der eignen Unvollkommenheit entrückt,

vom Glück aller Seelen mitbeglückt.

[222] Und gleich den Flocken, die irrend vom Himmel tanzen

und findet doch jede ihr irdisch Ziel,

laß uns nun hingehn, als sei's zum Spiel,

und in fremdes Land deutsche Edelsaat pflanzen.

Denn im blutigen Ernst deiner schweren Stunde

– oh, ich fühl's, ich seh's: dann liegst du allein –

aber eilend winkt dir jede Sekunde:

bald wirst du wieder bei mir sein,

wie unsre Kinder mit leichtem Schritt,

und bringst mir die Heimat in jede Ferne mit!

O schweig nicht länger – ja, blick mich an:

sieh, hilfebittend steht hier ein Mann,

den keine Einsamkeit mehr quält,

langsam durch heißen Haß zur Liebe gestählt,

und dem doch heimlich die Heimwehwunde klafft –

o sage mir ein Wort voll tiefer Kraft!


Und er sieht, er fühlt: er muß niederknien –

und ein Blick, eine Stimme, so unermessen

wie rings die Stille, kommt über ihn:


Hast du das Machtwort »Wir Welt« vergessen? –


Und es tanzt der Schnee, und die Flocken wehn

wie Saat des Lichts von Himmel zu Erden.

Keine Grenze mehr. Zwei Menschen sehn

ihr Vaterland unendlich werden.

[223] 32.

Doch eine Nacht kommt, da drohn die Weiten;

da hat der Mond Macht. Grausig rein

erleuchtet sein erlauchtes Licht den Hain.

Und das Weib schluchzt auf, wild auf wie vor Zeiten:


Ich trag ein Kind – o Du, von Dir –

ich tu meine Schwachheit auf vor dir!

Du hast meine Seele von mir befreit,

nun kommt leerer als je die Einsamkeit!

Wenn du gehst, und ich taste nach einer Hand

in meiner jammervollen Stunde –


Und sie wirft sich an ihn mit stammelndem Munde,

[224] und mit schmerzgekrümmten Fingern umspannt

seine lahme Rechte sie hart wie Stahl

und rafft sie auf aus ihrer Qual:


Dann laß mein Töchterchen bei dir stehn!

Dann wirst du stark sein! laß sie es sehn!

sehn, wie das Mutterwehe dich schüttelt!

daß sie's mit heiligem Schrecken durchrüttelt!

daß sie bei Zeiten lernt, sich dem Leben

opferherrlich hinzugeben!

daß unsre Kinder einst einfach handeln,

wo wir noch voller Zwiespalt wandeln,

einfältig lieben oder hassen,

mit ganzem Willen die Welt umfassen,

sich heimisch fühlen selbst zwischen den Sternen

und mit jedem Feuer spielen lernen!

Und wehrt mir der Tod, euch wiederzusehn,

dann laß mich in Dir verklärt auferstehn!

Und lebt dir ein Sohn, dann lehr ihn mit Lachen

aus jeder Not eine Tugend machen!

Und unsre Mädchen, die leite an:

das Recht der Frau ist der rechte Mann!

Allen Beiden aber leg ins Herz

die Macht der Liebe über den Schmerz!


Und es leuchtet wie seines ihr Gesicht.

Zwei Menschen sehn sich eins mit allem Licht.

[225] 33.

Und es sprießen wohl Sterne aus der Erde,

so strahlt der Schnee im Mittagsglanz,

so sind die Berge Ein Silberkranz.

Aber strahlender noch als all der Glanz

wird nun des Mannes Blick und Geberde:


Nun schau und lausche, ganz wie wir sind,

ganz Geist in Leib, nicht trunken blind,

klar aufgetan bis ins Unendliche,

Unüberwindliche, Unabwendliche,

bis wir im Schooß alles Daseins sind:

und du wirst sehn, Herz, daß die Erde

noch immer mitten im Himmel liegt,

[226] und daß Ein Blick von Stern zu Stern genügt,

damit dein Geist zum Weltgeist werde.

Es ist ihm eingefügt jeder Leib,

vom kleinsten Stäubchen bis zum herrlichsten Sterne,

verknüpft noch in verlorenster Ferne,

Weltkörper alle, auch wir, mein Weib!

Und so, schon jetzt durchkreist vom Schwung

der einst im Tod uns ureins wirrenden Triebe,

aus innerster Erinnerung

im Leben eins durch wissende Liebe,

sieh mich nun stehn in ferner Nacht, allein,

vom Anschaun der Gestirne so durchglutet,

wie wenn die Wonnewelle zwischen uns flutet:

in diesem Anschaun bin ich Ewig Dein

und will dir treuer als je mir selber sein!

Ja, neige dich her – o Mein – o wunderbar:

nun schmückt auch Dich ein erstes graues Haar –


Er schlingt es los aus ihrer Lockennacht;

ihm scheint kein Schnee so zart und rein

wie dieses Silberfadens Schein –


Sie nickt und flüstert wie erwacht:

es ist bis in die Seele Gottes Dein.


Und Sterne sprießen, soweit die Sonne scheint.

Zwei Seelen wissen, was sie eint.

[227] 34.

Doch die Stunde des Scheidens naht und naht,

wie wenn die Zukunft eilender rollte.

Und sie gehn noch Einmal den steinigen Pfad,

wo das Werk ihres Geistes wachsen sollte.

Und inmitten der kahlen, vereisten Flächen

muß das Weib einen alten Zweifel aussprechen:


Wenn ich spüre, wie's wächst, mein Fleisch und Blut,

und still neuen Sinn ins Dasein tut,

als fasse der Mensch das Göttliche nur

kraft seiner tierischen Natur,

als hülle, was wir lehren, nur Handlungen,

die wir im Grunde nicht verstehen,

[228] und was wir reden, nur Verwandlungen,

die währenddem mit uns geschehen –

dann frag'ich mich: blickt nicht der blödeste Tor

gottvoller noch als wir zu Gott empor?


Und schauernd sinnt sie nach: zu Gott –

Da sagt der Mann mit mildem Spott:


Zu welchem? Zu dem biblischen Erdaufseher?

Ja, Dem tat's not, Weltweisheit zu verbieten;

die Hunde meines Vaters sind ihm näher

als alle Priester und Leviten.

Wir aber, wir Menschen der wachsenden Einsicht, kennen

ihn anders, den Gott in unsrer Brust,

dank jenem Geist allrühriger Liebeslust,

den ich nicht wage »Gott« zu nennen:

Gott ist ein Geist, der klar zu Ende tut,

was er zu Anfang nicht gedacht hat –

dann sieht er Alles an, was Ihn gemacht hat,

und siehe da: es ist sehr gut! –

Und beugst du dann vor ihm das Knie

und weihst ihm willig deinen Menschenschmerz,

dann spricht der heilige Geist des Fleisches: sieh,

so spielt Gott mit sich selbst, o Herz!


Und kindlich lächelnd, göttlich klar,

schweigt Herz an Herz ein Geisterpaar.

[229] 35.

Und Seel in Seele neu begnadet

umschreiten sie die alte Ahnengruft.

In den verschneiten Wäldern badet

der goldenblaue Morgenduft.

Und Hand in Hand vorbei an Baum und Baum

erzählt der Mann dem Weib einen Traum:


Es war, als ging ich irr auf Schicksalswegen,

und nur das Eine wußte ich:

ich kam vom Tod und ging dem Tod entgegen –

da fand ich in der dunkeln Wüste Dich.

Dein Haupt beschirmend hob zur Sternenzone

ein Palmbaum seine starre schwarze Krone;

[230] doch eins der Blätter neigte sich,

als sollten wir's auf einen Friedhof bringen.

Und da wir's nun zu uns herniederzwingen,

da fängt es an zu knistern und zu glühen,

und seine zitternden Adern sprühen

ein leuchtendes Gefäßnetz aus.

Und von dem Ätherglanz mit dir umschlungen,

entschweb'ich, aller Irrsal hell entrungen,

still heimathin durchs Weltgebraus.


Und Hand in Hand vorbei an Baum und Baum

erzählt das Weib: Es muß dein Traum

in meinen Schlaf geleuchtet haben:


Ich schwebte über einem breiten Graben,

und jenseits, hoch am grauen Himmelssaum,

stand deine strahlende Gestalt, doch schlief,

bewacht von sieben dunklen, die sich beugten.

Und während sie im Wasserspiegel tief

mir ihre Ähnlichkeit mit dir bezeugten,

begannen sie in dich hinein zu schwinden.

Und du, erwachend, sprachst, mir beigesellt:

wir sind so innig eins mit aller Welt,

daß wir im Tod nur neues Leben finden.


Und ringsher träumt die Waldung, weiß verkleidet.

Zwei Menschen fühlen, daß der Tod nicht scheidet.

[231] 36.

Und Tal und Berge ruhn in bleicher Pracht;

groß blühn die Sterne durch die Bäume,

und lautlos über Raum und Räume

erdehnt ins Leere sich die blaue Nacht.

Und nun ist bald das Schwere vollbracht;

schon rührt sich fern durchs Land, als schlüge

ein Herz im Schnee mit dumpfer Macht,

eisern das Bahngeräusch der Züge.

Und heiß, mit einem Lächeln heiliger Lüge,


haucht das Weib: Nun magst du gehn –

hier, wo wir noch durch unsern Himmel schreiten,

sag ich dir ruhig – – sie bleibt jäh stehn,

[232] ihre Stimme bricht, ihre Hände gleiten

ihr schützend unters Mutterherz,

ihre Lippen zwingen sich zum Scherz:

in guter Hoffnung auf Wiedersehn –

Da muß weit der Mann die Arme breiten:
Nicht aber so! – ja weine, weine –
o sieh: aus tiefster Quelle klar
quillt meine Träne heiß in deine –
und mich verklärend mit dem Glorienscheine
um dein nachtentsprossen Haar,
steh ich hier vor dir und schwör dir: Nie
wird diese Klarheit enden! – Sieh:
es legt das Dunkel sich in meine Hände,
als ob es Zuflucht suchte und nun fände:
zu Sternen heb'ich meinen sichern Blick!
Da – o Glück:
ahnst du sie, die Pflicht der Welt?
Ja: von Sphären hin zu Sphären
muß sie Saat aus Saaten gebären,
bringt sie uns das Licht der Welt:
rieselnd wie aus dunklem Siebe
sät es Liebe, Liebe, Liebe
von Nacht zu Nacht, von Pol zu Pol –
Zwei Menschen sagen sich Lebwohl.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Dehmel, Richard Fedor Leopold. Vorgänge: 3.. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/