Einem Kinde der Sünde
Ob's deine Augen auch verneinen
Mit ihrem hellen, klaren Licht;
Ob auch auf deinem zarten, feinen,
Madonnenschönen Angesicht
Es liegt, als wäre deine Seele
Ein seltner Kelch, der niemals trog,
Drin Keuschheit sich und Kraft vermähle:
Ein Kind der Sünde bist du doch! ...
Ob deine Augen drohend blitzen –
Ob du auch zitternd, zornbewehrt,
Dich vor dem Frechen suchst zu schützen,
Den deiner Schönheit Reiz betört, –
Der deines Nackens holde Fülle
Umspannen will mit engem Joch –
Ein Bild der lieblichsten Idylle! –
Ein Kind der Sünde bist du doch!...
Ob du auch sittsam deine frommen
Blauaugen niederschlägst, wenn jach,
Wie's just passiert, ein Wort gekommen –
Ein Wort von bravem, derbem Schlag –
Es fährt heraus – die andern kichern:
[80]»Ein Witz, der nicht zum feinsten roch!«
Ob du auch kalt sie's läßt versichern –
Ein Kind der Sünde bist du doch! ...
Denn ich, Madonna, muß es wissen –
Du hast es selbst mir ungesäumt
Gebeichtet, da auf weichen Kissen
Ich manche Nacht bei dir verträumt ...
Dein schöner Leib ist so gesellig
Und Kosen dünkt ihn wunderfein –
Drum bist du heimlich gern gefällig:
Du sollst ein »Kind der Sünde« sein? ...