Samuel Taylor Coleridge
Der alte Matrose
(The Rime of the Ancyent Marinere)
[Die Sonn' erhob sich aus der See]
[Und lange Zeit verfloß. Verdorrt]
[Ich fürcht' dich, alter Schiffsgesell]
[15][O Schlaf, du bist so süß, so süß!]
[17][Doch nun sprich weiter! rede fort]
[Der Siedler lebt im grünen Wald]
[24][Anmerkungen]
1 Ein alter Seemann begegnet dreien zu einer Hochzeit geladenen Gästen und hält deren einen an.
2 Der Hochzeitsgast wird durch das Auge des alten seefahrenden Mannes wie durch einen Zauber gefesselt und gezwungen, seine Geschichte zu vernehmen.
3 Der Seemann erzählt, wie das Schiff mit gutem Winde und schönem Wetter südwärts segelte, bis es die Linie erreichte.
4 Der Hochzeitsgast vernimmt die Festmusik; aber der Seemann fährt in seiner Geschichte fort.
5 Das Schiff durch einen Sturm gegen den Südpol getrieben.
6 Das Land des Eises und der schreckhaften Töne, wo kein lebendig Wesen zu schauen war.
7 Bis ein großer Seevogel, Albatros geheißen, durch den Schneesturm kam und mit großer Freude und Gastlichkeit empfangen ward.
8 Und siehe! der Albatros erweist sich als einen Vogel von guter Vorbedeutung und folgt dem Schiffe, da es durch Nebel und Treibeis nordwärts kehrt.
9 Der alte Seemann tötet ungastlich den frommen Vogel von guter Vorbedeutung.
10 Seine Genossen erheben sich gegen den alten Seemann, darum daß er den heilbringenden Vogel getötet hat.
11 Aber da der Nebel sich verzieht, rechtfertigen sie denselben, also seines Verbrechens sich teilhaftig machend.
12 Der Wind aber bleibt günstig; das Schiff tritt in den Stillen Ozean und segelt nordwärts, allzeit bis es die Linie erreicht.
13 Das Schiff wird plötzlich von einer Windstille befallen.
14 Und der Albatros fängt an gerächt zu werden.
15 Ein Geist war ihnen gefolgt, einer von den unsichtbaren Bewohnern dieses Planeten, so weder abgeschiedene Seelen noch Engel sind.
16 Die Genossen in ihrer schweren Trübsal möchten gerne die ganze Schuld auf den alten Matrosen werfen: zum Zeichen dessen hängen sie den toten Seevogel um seinen Hals.
17 Der alte Matrose sieht in weiter Entfernung ein Zeichen auf dem Wasser.
18 Und als es näher und näher kommt, scheint es ein Schiff zu sein; und um eine teure Lösung befreit er seine Sprache aus den Banden des Durstes.
19 Eine Freudenblitz
20 Aber Grausen folgt: denn kann das ein Schiff sein, was ohne Wind oder Flut herankommt?
21 Es scheint ihm nur das Gerippe eines Schiffes.
22 Und seine Rippen gleichen Gitterstäben vor dem Antlitz der untergehenden Sonne. Das Gespensterweib und ihr Totengenoss und niemand sonst an Bord des Skelettschiffes. Wie das Schiff, so die Mannschaft!
23 Tod und Nachtmahr würfeln um die Mannschaft des Schiffes, und sie (die letzte) gewinnt den alten Matrosen.
24 Kein Zwielicht in den Höfen der Sonne.
25 Beim Aufgehen des Mondes, einer nach dem anderen fallen seine Genossen tot nieder.
26 Aber Totenbraut beginnt ihr Werk an dem alten Matrosen.
27 Der Hochzeitsgast fürchtet, daß ein Geist zu ihm redet.
28 Aber der alte Matrose versichert ihn seines Leibeslebens und fährt fort, seine schreckliche Buße zu erzählen.
29 Er verachtet die Kreaturen der Windstille.
30 Und ist neidisch, daß sie leben, und so viele liegen tot.
31 Aber der Flucht lebt für ihn in den Augen der toten Männer.
32 In seiner Einsamkeit und seinem Starren sehnt er sich nach dem wandernden Monde und den Sternen, die da weilen und dennoch sich bewegen; allerwegen ist der Himmel ihr Eigentum und ihre bestimmte Ruhestatt, ihr Vaterland und ihre eigene natürliche Heimat, die sie ohne Meldung beziehen, gleich wie Herren, die man sicher erwartete, und ist doch eine geheime Freude bei ihrer Ankunft.
33 Beim Lichte des Mondes steht er Gottes Kreaturen der großen Windstille.
34 Ihre Schönheit und ihr Glück.
35 Er preist sie glücklich in seinem Herren.
36 Der Zauber fängt an, gebrochen zu werden.
37 Durch die Gnade der seligsten Jungfrau wird der alte Matrose mit Regen erfrischt.
38 Er hört Töne und sieht seltsame Geschichte und Bewegungen am Himmel und auf dem Wasser.
39 Die Leiber der Schiffsmannschaft werden beseelt, und das Schiff bewegt sich fort,
40 aber nicht durch die Seelen der Menschen, noch durch Dämonen der Erde oder mittleren Luft, sondern durch eine selige Schar englischer Geister, herabgesandt durch die Anrufung des Schutzheiligen.
41 Gehorsam der Engelschar, treibt der einsame Geist vom Südpol das Schiff bis an die Linie, fordert aber doch noch Rache.
42 Die Mitdämonen des Geistes vom Südpol, die unsichtbaren Bewohner des Elementes, nehmen teil an seiner Kränkung; und zwei von ihnen erzählen sich, der eine dem anderen, daß eine lange und schwere Buße für den alten Matrosen dem Geiste vom Pol bewilligt ist, welcher südwärts heimkehrt.
43 Der Matrose ist eine Verzückung entrückt gewesen; denn die englische Macht läßt das Schiff schneller nordwärts treiben, als Menschenleben ertragen könnte.
44 Der übernatürlichen Bewegung geschieht Einhalt; der Matrose erwacht und seine Buße beginnt von neuem.
45 Der Fluch ist endlich gesühnt.
46 Und der alte Matrose sieht sein Heimatland.
47 Die englischen Geister verlassen die toten Leichname.
48 Und erscheinen in ihren eigenen Lichtgestalten.
49 Der Siedler des Waldes.
50 Nähert sich dem Schiffe mit Verwunderung.
51 Das Schiff geht plötzlich unter.
52 Der alte Matrose wird in des Piloten Nachen gerettet.
53 Der alte Matrose bittet den Siedler ernstlich, ihn zu entsündigen, und es trifft ihn die Buße fürs Leben.
54 Denn immer und immer, durch sein ganzes künftiges Leben zwingt ihn eine innere Angst, von Land zu Land zu reisen.
55 Und, durch sein eigen Beispiel, Liebe und Ehrfurcht gegen alte Dinge zu lehren, die Gott gemacht hat und liebt.
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- TextGrid Repository (2012). Coleridge, Samuel Taylor. Ballade. Der alte Matrose. Der alte Matrose. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-561C-7