[1] Der Prolog.
Vers 1–860.
Vers 1–860.
Vers 861–3110.
Vers 3111–3186.
Vers 3187–3852.
Vers 3853–3918.
Vers 3919–4322.
Vers 4323–4362.
Vers 4363–4420.
Vers 4421–4518.
Vers 4519–5582.
Vers 5583–5610.
Vers 5611–6044.
Vers 6045–6062.
Vers 6063–6300.
Vers 6301–6321.
Vers 6322–6526.
Vers 6527–6574.
Ein junger Mann, mit Namen Melibeus, reich und mächtig, zeugte mit seinem Weibe, Prudentia mit Namen, eine Tochter, die man Sophia hieß. Und eines Tages geschah, daß er zum Zeitvertreib aufs Feld hinaus, sich zu ergötzen, ging. Er ließ sein Weib und Töchterlein im Hause, von dem die Thüren fest verschlossen waren. Vier seiner alten Feinde hatten es erspäht und setzten Leitern an des Hauses Wände und durch die Fenster stiegen sie hinein; und dann verwundeten sie seine Tochter an fünf verschiedenen Stellen tödtlich mit fünf Wunden, das heißt an ihren Füßen, ihren Händen, an ihren Ohren und an Mund und Nase, und ließen sie für todt und gingen fort. Als Melibeus, wieder heimgekehrt, das Unglück sah, zerriß er wie ein Toller seine Kleider und hub zu weinen und zu schreien an.
Prudentia, sein Weib, so weit sie's wagen durfte, ersuchte ihn mit Weinen aufzuhören; indeß er schrie und weinte immer mehr.
Dies edle Weib, Prudentia, besann sich auf eine Stelle im Ovid, aus jenem Buche, genannt der Liebe Heilung, worin er sagt: der ist ein Narr, der eine Mutter stört, wenn sie des Kindes Tod beweint, eh' sie sich eine Zeit lang satt geweint; und dann soll sich der Mann befleißen, sie zu trösten mit Liebesworten, und er soll sie bitten, mit Weinen aufzuhören.
Aus welchem Grunde dieses edle Weib, Prudentia, geduldig es ertrug, daß eine Weile lang ihr Gatte schrie und weinte. Und als sie ihre Zeit gekommen sah, sprach sie zu ihm in dieser Art:
»Ach, Herr! Du machst Dich selber einem Narren gleich! Gewiß es ziemt nicht einem weisen Manne, daß er sich solche große Sorgen [235] mache.« Denn deine Tochter wird durch Gottes Gnade genesen und es überstehn. Und ständ' es so, daß sie gestorben wäre, darfst Du Dich doch nicht selbst um ihren Tod zerstören. Denn so spricht Seneka: »Ein weiser Mann soll nicht zu sehr den Tod von seinen Kindern bejammern, sondern mit Geduld ihn tragen, so gut wie er den eigenen Tod erwarten muß.«
Doch Melibeus Antwort gab und sprach: »Wer könnte wohl das Weinen unterlassen, wenn also groß der Grund zum Weinen ist. Selbst Jesus Christus, unser Herr, beweinte den Tod von seinem Freunde Lazarus.«
Prudentia entgegnete: »Fürwahr, ich weiß, gemäßigt Weinen ist uns nicht verboten. Darf man betrübt mit den Betrübten sein, so ist gewiß zu weinen auch erlaubt. Apostel Paulus an die Römer schreibt: Der Mensch soll sich erfreuen mit den Frohen und weinen mit dem Volke, welches weint. Doch wenn gemäßigt Weinen auch erlaubt ist, ist ungemäßigt Weinen doch verboten. Im Weinen ist das rechte Maß zu halten, gemäß dem Spruch, den Seneka uns lehrt. Ist todt Dein Freund – so spricht er – so laß Dein Auge nicht zu feucht von Thränen, noch zu trocken sein; und wenn die Thränen Dir ins Auge kommen, so lasse sie nicht fallen. Und wenn ein Freund von Dir geschieden ist, so suche einen andern Freund zu finden. Denn das ist größre Weisheit, als zu weinen um Deinen Freund, den Du verloren hast. Was kann Dir dieses nützen? Und deßhalb – läßt Du Dich durch Weisheit leiten – treib Deine Sorgen aus dem Herzen fort! Erinnere Dich, was Jesus Sirach sagt: Ein fröhlich Herze macht das Alter lustig, doch ein betrübter Muth vertrocknet das Gebein. Auch sagt er: Sorgen in dem Herzen haben schon um sein Leben manchen Mann gebracht. Salamo sagt: Wie Motten in der Schafe Pelz die Kleider schädigen und der kleine Wurm den Baum, so schädigt Sorge auch das Herz des Menschen. Deswegen sollen wir den Tod von unsern Kindern so wie von unserm zeitlichen Besitz mit Langmuth tragen. Erinnere des geduldigenHiob Dich. Als seine Kinder er verloren hatte und sein irdisch Gut, sprach dennoch er: Von meinem Herren ward es mir gegeben, von meinem Herren ward es mir genommen; wie es mein Herr gewollt hat, so ist's recht; gesegnet sei der Name meines Herrn!«
Auf alle diese Sachen seinem Weibe, Prudentia, Antwort gebend, Melibeus sprach: »All' Deine Worte sind so wahr wie nützlich.« [236] Doch ist mein Herz also von Sorgen schwer, daß ich nicht weiß, was ich beginnen soll.
»Laß rufen« – sprach Prudentia – »alle treuen Freunde und wer von der Verwandtschaft weise ist. Erzähle ihnen Deinen Fall und horche, was sie im Rathe Dir zu sagen haben, und richte Dich nach ihrem Urtheilsspruch. Salamo sagt: Befolgst Du weisen Rath in allen Dingen, wirst Du es niemals zu bereuen haben.«
Auf diesen Rathschlag seines Weibes, Prudentia, ließ Melibeus eine Versammlung dann zusammenrufen von unterschiedenen Leuten, wie Doktoren und Aerzten, alt und jungem Volke und einigen von seinen alten Feinden, die – ausgesöhnt mit ihm, so wie es schien – in seiner Gunst und Gnade wieder standen. Und gleicher Weise kamen auch zu ihm etwelche seiner Nachbaren, die ihn aus Furcht mehr als aus Liebe ehrten, wie solches oft geschieht. Auch manche zungenfert'ge Schmeichler kamen und im Gesetz gelehrte, kluge Advokaten.
Und als dies ganze Volk vorsammelt war, erklärteMelibeus ihm in sorgenvoller Weise seinen Fall. Und nach der Art von seinem Vortrag schien es, als ob er grimmen Zorn im Herzen trage, bereit an seinen Feinden sich zu rächen, und wünsche, daß sofort der Krieg beginne.
Nichtsdestoweniger erbat er sich doch ihren Rathschlag in Betreff der Sache.
Ein Wundarzt trat hervor und mit Erlaubniß und Genehmigung von denen, welche weise waren, sprach er zu Melibeus, was Ihr hören sollt: »Herr! –« sagte er – »uns Aerzten steht es an, daß wir an Jedermann das Beste thun, was wir vermögen, wenn herbeigerufen, und daß wir den Patienten keinen Schaden thun. Daher geschieht es manches Mal, daß, wenn zwei Leute gegenseitig sich verwundet haben, derselbe Wundarzt beide heilt; und so ist's nicht mit unsrer Kunst verträglich, Partei zu nehmen und den Streit zu nähren. Doch sicherlich, was Eurer Tochter Heilung anbetrifft, so werden wir bei Tage wie bei Nacht stets unsere Pflicht so aufmerksam erfüllen, daß sie mit Gottes Hilfe bald gesund und heil soll werden, wenn es möglich ist.«
Ganz in derselben Weise sprachen die Doktoren, indeß gebrauchten sie der Worte mehr und sagten: wie durch Gegensätze man die Krankheit banne, so sei auch Streit in gleicher Art zu heilen.
Die Neider unter seinen Nachbarsleuten und seine heuchlerischen [237] Freunde, die sich zum Scheine mit ihm ausgesöhnt und seine Schmeichler heuchelten zu weinen und übertrieben und vergrößerten in reichem Maße seine Sache, indem sie Melibeus höchlichst priesen ob seiner Kraft und seiner Mächtigkeit, ob seiner Freunde und ob seiner Güter, und seiner Gegner Macht verachteten; und ohne Rückhalt riethen sie ihm an, er müsse sich an seinen Feinden rächen und gegen sie sofort den Krieg beginnen.
Ein weiser Advokat erhob sich dann und mit Erlaubniß und Genehmigung von denen, so weise waren, sprach er: »Die Angelegenheit, die uns an diesem Ort vereint, ist ein gar schwer gewichtig Ding und sehr bedeutungsvoll, sowohl der Schlechtigkeit und Bosheit wegen, so ausgeübt, als auch nicht minder aus dem Grunde, daß großer Nachtheil noch aus dieser Sache in spätrer Zeit vielleicht entstehen kann, sowie auch ferner in Betracht des Reichthums und der Macht der gegenseitigen Parteien. Aus welchem Grund es höchst gefährlich wäre, in dieser Sache sich zu irren. Daher ist dieses unsre Meinung, Melibeus: Wir rathen Dir vor allen Dingen, daß Du gleich Dein Bestes thust, um Deine eigene Person zu sichern in solcher Weise, daß es an Kundschaft nicht noch Wache Dir ermangle, um Deinen Leib zu schützen. Und darnach rathen wir Dir an, Dein Haus hinreichend mit Besatzung zu versehen, die wohl im Stande ist, nicht minder Deinen Leib als Deine Wohnung zu vertheidigen. Indessen, ob es nützlich, Krieg zu führen und unverzüglich Rache auszuüben, dar über können in so kurzer Zeit wir nicht entscheiden. Deßwegen bitten wir um Frist und Muße zur Ueberlegung, ehe wir entscheiden. Denn sagt nicht das gemeine Sprüchwort schon: Wer rasch entscheidet, wird es rasch bereuen. Auch spricht das Volk: Der ist ein weiser Richter, der rasch die Sache aufzufassen weiß, indessen Zeit sich zur Entscheidung gönnt. Zwar geb' ich zu, daß alles Zögern höchst verdrießlich ist, jedoch wenn man sein Urtheil geben soll, so ist es nicht zu tadeln; dann ist es angemessen und durchaus vernünftig. Das zeigte Jesus Christus, unser Herr, durch eignes Beispiel. Denn als man das auf Ehebruch ertappte Weib ihm gegenüber stellte, war er sich zweifelsohne wohl bewußt, was er als Antwort ihnen sagen wollte; jedoch nicht plötzlich wollte er sie geben und darum schrieb er, Untersuchung pflegend, zuvor erst zweimal in den Sand. Aus diesen Gründen bitten wir um Ueberlegung und darauf werden wir mit Gottes Gnade Dir etwas rathen, was Dir nützen soll.«
[238] Das junge Volk erhob sich wie ein Mann, und der Versammlung Mehrzahl spottete des alten weisen Mannes und fing zu lärmen an und sagte: »Recht so, wie man das Eisen schmieden muß, so lang es warm, recht so soll auch ein Mann die Unbill rächen, so lang' dieselbe frisch und neu noch ist«; und dann mit lauter Stimme schrieen sie: »Krieg, Krieg!« Auf sprang indessen einer jener alten Weisen, und gab mit seiner Hand ein Zeichen, daß alles schweige und Gehör ihm schenke. »Ihr Herren!« – sprach er – »es giebt manchen Mann, der schreit: Krieg! Krieg! und weiß dabei nur wenig, was Krieg besagen will. Anfangs hat Krieg so großen, weiten Eingang, daß Jeder, dem gelüstet Krieg zu führen, ein solches leicht vermag: indessen wie das Ende sich gestalten werde, ist sicherlich so leicht zu wissen nicht: Fürwahr, wenn erst ein Krieg begonnen hat, so findet manches ungeborne Kind der Mutter durch eben diesen Krieg den Tod schon früh, oder lebt sorgenvoll und stirbt im Elend; und darum sollte, eh' ein Krieg begonnen wird, man große Ueberlegung pflegen und großen Rath zuvor darüber halten.« Und als der alte Mann dann seine Rede durch weitre Gründe zu verstärken dachte, begann mit einemmal beinah' das ganze Volk sich zu erheben, und, seine Rede unterbrechend, hießen sie ihm oftmals seine Worte abzukürzen. Wer zu dem Volk von einer Sache spricht, die es nicht hören mag, deß Predigt wird dem Volke stets mißfallen. DennJesus Sirach sagt: Musik im Trauerhause sei ein lustig Ding. Das heißt: Man redet vor dem Volk vergeblich, wenn ihm die Rede nicht gefällt, wie man vergeblich singt, vor dem, der weint.
Und als daher der alte Mann ersah, daß ihm die Hörer fehlen würden, so setzte er sich schamvoll nie der. Denn es sagt Salamo: Wenn man Dir nicht Gehör schenkt, spare Deine Worte. »Ich sehe wohl,« – sprach dieser weise Mann – »daß das gemeine Sprüchwort Recht behält: es fehlt an gutem Rathe, wenn man ihn bedarf.«
Doch waren in des Melibeus Rath auch manche Leute, die ihm heimlich in das Ohr zu dieser oder jener Sache riethen, dagegen öffentlich ihm grade widerriethen. Als Melibeus nun gehört, daß sich der größte Theil von seiner Rathsversammlung in Uebereinstimmung befand, daß er den Krieg beginnen solle, trat er sofort auch ihrer Meinung bei und billigte den Urtheilsspruch vollkommen.
Als aber Frau Prudentia ersah, daß ihres Mannes Absicht dahin ziele, an seinen Feinden sich zu rächen und Krieg mit ihnen [239] anzufangen, sprach diese Worte sie zu ihm: »Mein Herr!« – so sagte sie – »ich bitte Dich, so herzlich als ich kann und darf, verfahre nicht mit übergroßer Hast und gieb um jeden Preis auch mir Gehör. Petrus Alphonsus sagt: Wenn man Dir Gutes oder Uebles thut, so eile nicht, es wieder zu vergelten, denn Du wirst Deine Freunde dann behalten und Deine Feinde haben länger Furcht. Das Sprüchwort sagt: Am besten eilt, wer klug zu warten weiß, und Böses erntet, wer das Böse sä't.«
Worauf indessen Melibeus seinem WeibePrudentia zur Antwort gab: »Ich denke nicht, nach Deinem Rathe mich zu richten aus mancher Ursache und manchen Gründen. Denn Jeder würde sicher von mir denken, ich sei ein Thor, wenn ich um Deines Rathes willen an Sachen ändern wollte, die von so vielen weisen Leuten beschlossen sind und ausgemacht. Zum zweiten aber sage ich, ein jedes Weib ist böse und nicht ein einziges gutes unter allen. Denn unter tausend Männern – so sagt Salamo – hab' ich wohl einen guten Mann gefunden; doch unter allen Weibern fand ich nie ein gutes. – Wenn ich von Deinem Rath mich leiten ließe, so würd' es sicher außerdem noch scheinen, als ob ich Dir die Herrschaft über mir gegeben, und Gott verhüte, daß dem also sei. Denn Jesus Sirach sagt: Sobald ein Weib die Oberherrschaft hat, so handelt ihrem Manne sie zuwider; und Salamo sagt: Gieb nie in Deinem Leben Deinem Weibe, noch Deinen Kindern oder Freunden Macht über Dich, denn besser ist es, daß Deine Kinder Dich um ihre Nothdurft bitten, als daß Du selbst in Deiner Kinder Hand Dich giebst.
Und wollte ich in dieser Sache jetzt nach Deinem Rathe auch zu Werke gehn, so müßte es so lang' verschwiegen bleiben, bis daß die Zeit kommt, wo man's wissen darf. Und dieses dürfte kaum geschehen können, wenn ich von Dir berathen worden bin. [Geschrieben steht: Geschwätzigkeit der Weiber verbirgt nur das, was ihnen unbekannt ist. Auch sagt der Philosoph noch fernerweit: In bösem Rath sind alle Weiber den Männern weit voraus; und das sind meine Gründe, weßhalb ich Deinen Rathschlag nicht begehre.«]
Als Frau Prudentia voller Freundlichkeit mit großer Sanftmuth alles angehört, was ihr zu sagen ihrem Mann beliebte, erbat sie sich von ihm Erlaubniß, auch ihrerseits zu reden und sprach in dieser Art: »Mein Herr, – begann sie – was den ersten Eurer Gründe anbelangt, so ist darauf die Antwort leicht gegeben. Denn [240] ich behaupte, es sei keine Thorheit, Entschlüsse dann zu ändern, wenn sich die Sache selbst geändert hat, oder in einem andern Lichte uns erscheinet, denn zuvor. Und ich behaupte ferner noch, daß, hättet Ihr gelobt selbst und geschworen, ein Unternehmen auszuführen, jedoch gerechter Ursach' willen solches unterlaßt, aus diesem Grunde dennoch Niemand sagen soll, daß Ihr eidbrüchig und ein Lügner seid. Das Buch besagt: Ein weiser Mann verliere nichts dabei, wenn er den Sinn zu etwas Besserm kehre. Auch in dem Fall, daß Euer Unternehmen von einer großen Menge Volks berathen und beschlossen worden ist, befolgt ihr dennoch, was Euch vorgeschlagen, nur insofern Euch solches selbst behagt; denn jeder Sache Nützlichkeit und Wahrheit wird besser von den Wenigen erkannt, die weise und vernünftig sind, als von der Menge, in der Jeder schreit und Beifall dem klascht, welches ihm gefällt. Fürwahr, solch große Menge ist nicht ehrlich. Und nun zu Eurem zweiten Grunde: Wenn Ihr besagt, daß alle Weiber böse seien, dann – mit Verlaub – müßt Ihr auch folgerichtig sie allesammt verachten; dagegen sagt das Buch: Wer Jedermann verachtet, der mißfällt auch Jedem. UndSeneka besagt: Wer nach der Weisheit streben will, muß Niemanden mißachten, dagegen frohen Sinns und ohne Stolz und Anmaßung die Kenntniß lehren, die ihm eigen ist, und sich nicht schämen, Dinge, die er nicht versteht, von Leuten zu erfahren und zu lernen, welche geringer als er selber sind. Und, Herr, daß manches gute Weib gelebt hat, ist leichtlich zu erweisen. Denn, Herr, gewißlich, der Herr Jesus Christ würde sich nimmermehr erniedrigt haben, daß durch ein Weibsbild er geboren würde, wenn alle Weiber schlecht gewesen wären. Und hinterher, der großen Güte wegen, die in Weibern ist, erschien auch der Herr Jesus Christ, als er vom Tod zum Leben auferstanden war, noch einem Weibe lieber als den Jüngern. Und wenn auch Salamo besagt, er hätte nie ein gutes Weib gefunden, so folgt daraus noch keineswegs, daß alle Weiber böse sind. Denn ob er nie ein gutes Weib gefunden, so fand, gewißlich, mancher andre Mann doch manches Weib voll Güte und voll Treue. Wahrscheinlich aber war die Meinung Salamos, daß er kein Weib von ganz vollkommner Güte gefunden habe; das heißt: kein Wesen ist vollkommen gut, als Gott allein, wie er es selbst imEvangelium lehrt. Denn da ist keine Creatur so gut, daß ihr an der Vollkommenheit von ihrem Gott und Schöpfer nicht etwas mangele. – Der dritte Eurer Gründe ist dann dieser: Ihr sagt, [241] wenn Ihr durch meinen Rath Euch leiten ließet, so würde es erscheinen, als ob Ihr mir die Herrschaft und Regierung gegeben hättet über Euere Person. Herr! mit Verlaub, dem ist nicht so. Denn dürfte man sich nur von solchen rathen lassen, die über unsere Person die Herrschaft und Regierung haben, so würde man nicht oft berathen sein. Denn wer sich Rath zu einem Zweck erbittet, der hat noch stets die freie Wahl, ob er dem Rathe folgen will, ob nicht. Und nun zum vierten Grunde, wo Ihr sagt, daß die Geschwätzigkeit der Weiber nur das, was ihnen unbekannt, verberge. Herr! Diese Worte gelten nur für Weiber, die Schwätzerinnen und verdorben sind, von denen man gesagt hat, daß drei Dinge den Mann aus seinem eigenen Hause jagen, nämlich: Rauch, Regen und die bösen Weiber. Von solchen Weibern sagt auch Salamo: es sei weit besser, daß man in der Wüste, als mit der Zänkerin beisammen wohne. Und mit Erlaubniß, Herr! das bin ich nicht. Denn oft genug habt Ihr erprobt, wie viel Geduld und Schweigsamkeit ich habe und wie ich solche Sachen hüten kann und wahren, die man geheimnißvoll verbergen soll. Und nunmehr, was den fünften Grund betrifft. Obschon Ihr sagt, daß in bösem Rathe die Weiber überlegen sind den Männern, so hält – weiß Gott! – hier dieser Grund nicht Stich. Denn so müßt Ihr's verstehen. Ihr fragt um Rath, was Böses zu begehen, und wenn Ihr Böses unternehmen wollt, und Euer Weib hält Euch von dieser bösen Absicht dann zurück, so ist, gewißlich, Euer Weib dafür weit mehr zu loben als zu tadeln. So müßt den Philosophen ihr verstehn, wenn er besagt, daß bei bösem Rathe das Weib dem Manne überlegen sei. Wenn Ihr ein jedes Weib und ihre Gründe tadelt, so kann ich Euch durch manches Beispiel zeigen, daß viele gute Weiber lebten und noch leben, und daß ihr Rath heilsam und nützlich ist. Seht Jakob an, der durchRebekkas, seiner Mutter, Rath den Segen seines Vaters sich gewann, sowie die Herrschaft über seine Brüder. Durch ihren guten Rath befreite Judith die Stadt Bethulia, in der sie wohnte, aus Holofernes' Hand, der sie belagerte und ganz zerstören wollte. Abigail befreite Nabal, ihren Mann, vom König David, der ihn tödten wollte, und sie beruhigte den Zorn des Königs durch ihren Witz und ihren guten Rath. Esther hob Gottes Volk durch guten Rathschlag hoch empor unter der Herrschaft KönigsAhasverus. Auch noch von manchen andern guten Weibern, die gleichfalls reich an gutem Rath gewesen, vermöchte man zu lesen [242] und zu sprechen. Und fernerweit: als unser Herr den Adam, den Vater unsres Stamms erschaffen hatte, sprach er in dieser Weise: Es ist nicht gut, ein Mann allein zu sein; laßt uns darum ihm eine Hülfe machen, welche ihm selber gleich ist. Hieraus könnt Ihr ersehen, wären Weiber nicht gut und nicht ihr Rathschlag werth und nützlich, so würde Gott sie nicht erschaffen haben und hätte sie anstatt Gehülfinnen des Mannes vielmehr Verderberinnen des Manns genannt. Und einst sprach in zwei Versen ein Gelehrter: Was ist besser als Gold? – Jasper! – Was ist besser als Jasper? – Weisheit! Was ist besser als Weisheit? – Das Weib! – Und was ist besser als ein gutes Weib? – Nichts!! – Und Herr! aus manchen andern Gründen könnt Ihr sehn, daß viele Weiber gut sind und daß ihr Rath heilsam und nützlich ist. Und deßhalb, Herr! wollt meinem Rath Ihr traun, so will ich Eure Tochter heil und gesund zurück Euch geben, und werde manches andre für Euch thun, von dem Ihr große Ehre haben sollt.«
Als Melibeus diese Worte seines WeibesPrudentia vernommen hatte, sprach er: »Ich sehe wohl, das Wort von Salamo hat Recht: Ein freundlich Wort zu guter Zeit ist Honigseim; denn es ist für die Seele Süßigkeit und giebt Gesundheit unserm Leibe. Und, Weib! um Deiner süßen Worte willen und weil ich Deine große Weisheit und Deine große Treue erprobt und wohl bewährt gefunden habe, will ich in allen Dingen mich nach Deinem Rathe richten.«
»Nein, Herr!« – sprach Frau Prudentia – »da Ihr mir versprecht, daß Ihr durch meinen Rath Euch leiten lassen wollt, will ich Euch lehren, wie bei der Wahl von Räthen zu verfahren sei. Zunächst erfleht vom lieben Gott, in Demuth bei allen Werken Euer Rath zu sein; und daß er seinen Rath und Trost Euch gebe, betragt Euch so, wie es Tobias seinem Sohne lehrte: Gott, Deinen Herren, segne jeder Zeit und bitte ihn, Dich auf dem graden Wege zu erhalten, und all Dein Denken sei in ihm auf immerdar. Auch St. Jakobus sagt: Ermangelt Jemand unter Euch der Weisheit, so bittet Gott darum.
Und hinterher müßt Rath Ihr bei Euch selber pflegen und die eigenen Gedanken wohl erwägen in solchen Dingen, die Euch nützlich scheinen. Das aber müßt Ihr aus dem Herzen bannen, was gutem Rath zuwider ist, und das heißt: Zorn und Neid und Uebereilung. Zum ersten: wer bei sich selbst zu Rathe gehen will, muß ohne Zorn sein; das ist sicherlich aus manchen Gründen nöthig. Der erste ist: [243] daß, wer von Zorn erfüllt und rachbegierig ist, der glaubt, er könne thun, was unthunlich ist. Und zweitens: wenn man zornig ist und böse, kann man nicht überlegen, und wo die Ueberlegung fehlt, fehlt Rath. Zum dritten aber sagt uns Seneka, daß der, so zornig ist und wuthentbrannt, nur tadelnswerthe Dinge spricht und Andere durch schlimme Worte zu Zorn und Aerger reizt. Und Herr! Begehrlichkeit treibt gleichfalls aus dem Herzen fort. Denn der Apostel spricht, daß die Begehrlichkeit die Wurzel alles Uebels sei. Und glaubt mir wohl: ein habsücht'ger Mann denkt an nichts weiter, als an das Ziel von seiner Habsucht zu gelangen, und sicher wird er nie befriedigt sein; denn mit dem Ueberfluß an Reichthum wächst auch die Begehrlichkeit noch mehr. Und Herr! auch Uebereilung müßt Ihr aus dem Herzen bannen, denn für das Beste könnt Ihr sicherlich nicht den Gedanken halten, der plötzlich sich in Eurem Herzen regt; vielmehr müßt Ihr ihn oftmals überlegen, denn, wie ich vorhin schon gesagt, das Sprüchwort heißt: Wer rasch entscheidet, der wird rasch bereun. Herr! Ihr seid nicht immer in der gleichen Stimmung, denn, sicherlich, Ihr haltet eine Sache oft für gut, die später Euch als Gegentheil erscheint. Und habt Ihr bei Euch selber Rath gepflogen und dann durch weise Ueberlegung ausgefunden, was Euch das Beste scheint, dann rath' ich Euch, es ganz geheim zu halten. Vertrauet Keinem Eure Absicht an, wenn Ihr nicht sicher glaubt, daß Ihr durch Mittheilung die eigne Lage sehr verbessern könnt. Denn Jesus Sirach sagt: Nicht Deinem Freunde noch Deinem Feinde offenbare Dein Geheimniß je und Deine Thorheit; denn man hört Dir wohl zu und merket drauf und stimmt Dir bei in Deiner Gegenwart, doch spottet Deiner, wenn Du nicht zugegen. Ein anderer Gelehrter sagt: daß Du nur selten Jemand finden wirst, der Dein Geheimniß zu bewahren weiß. Das Buch besagt: Hältst Du in Deinem Herzen den Entschluß, bewahrst Du ihn in einem sichern Kerker; doch theilst Du ihn an Jemand anders mit, so wird er Dich in seiner Schlinge haben. Und deßhalb thut Ihr besser, Euren Rath im Herzen zu verbergen, als Jemanden zu bitten, was Ihr ihm vertraut, geheim zu halten und davon zu schweigen. Denn so sagt Seneka: Kannst Du nicht Deinen eignen Rath bei Dir behalten, wie wagst Du, einen Andern dann zu bitten, daß Dein Geheimniß er bei sich bewahre? Indessen, wenn Du wirklich glaubst, daß Deine Lage durch die Mittheilung an Andere sich günstiger gestalten kann,[244] so solltest Du in dieser Weise reden: Zunächst darfst Du Dir nicht den Anschein geben, ob Krieg, ob Frieden, oder dies und das Dir lieber sei; nein, Deine Absicht darfst Du ihm nicht zeigen. Vertraue darauf, daß im Allgemeinen die Rathgeber auch Schmeichler sind und namentlich die Räthe großer Herren; denn sie sind stets weit mehr bemüht, in wohlgefäll'gen Worten das zu sagen, was ihrer Herren Neigung meist entspricht, als Worte, welche treu und nützlich sind, und daher sagt man, daß der reiche Mann, der sich nicht selbst zu rathen weiß, nur selten einen guten Rathschlag höre. Sodann zieh' in Betracht, wer Deine Freunde, Deine Feinde sind. Und was die Freunde anbetrifft, bedenke, wer wohl der treuste und klügste sei, der älteste und best' im Rath erprobte. Bei ihnen suche Rath, wie es der Fall erheischt. Ich sage: Zu den treuen Freunden geht zunächst, Euch Rath zu holen. Denn so spricht Salamo: Wie sich das Herz des Wohlgeruches freut, so lieblich ist des treuen Freundes Rath der Seele. Und gleichfalls sagt er: Nichts ist dem treuen Freunde zu vergleichen; denn sicher Gold und Silber haben nicht den Werth, wie eines treuen Freundes guter Wille. Und ferner sagt er: Ein treuer Freund ist eine feste Burg, und wer ihn findet, findet einen Schatz. Dann müßt Ihr darauf sehen, daß Eure treuen Freunde klug und schweigsam sind; denn – sagt das Buch – frag' immer die um Rath, so weise sind. Und aus demselben Grunde sollt Ihr zu Eurem Rathe Freunde rufen, die alt genug und viel erfahren sind und wohl erprobt, um guten Rath zu geben. Denn – wie das Buch sagt – ist alle Weisheit bei den alten Leuten und alle Klugheit in der langen Zeit. Und Tullius sagt: daß große Dinge nicht durch Kraft verrichtet werden, noch durch Geschicklichkeit des Leibes, sondern durch guten Rath, durch Ansehn der Personen und durch Wissen, drei Dinge, welche nicht das Alter schwächt, die sich vielmehr von Tag zu Tag vermehren und verstärken. Dann soll Euch dies zur allgemeinen Richtschnur dienen: Zuerst müßt Ihr in Euren Rath nur wenige vertraute Freunde rufen. Denn Salamo sagt: Viele Freunde nenne Dein; doch unter tausenden erwähle einen zum Berather. Denn wenn Du anfangs Deine Absicht auch nur wenigen vertraust, kannst Du doch später, wenn es nöthig ist, sie manchen andern Leuten noch erzählen. Doch siehe stets darauf, daß Deine Rathgeber die drei Bedingungen erfüllen, welche ich erwähnt, das heißt, daß weise sie und treu und voll Erfahrung sind. Und handle nicht [245] in jeder Noth nach einem Rath allein; denn oftmals ist es nützlich, daß Viele Dich berathen. Denn Salamo besagt: Wo viele Rathgeber sind, da ist das Heil. Nun, da ich Euch gesagt, bei welchen Leuten Ihr Euch Rath erholen sollt, will ich Euch lehren, welcher Rath zu meiden ist. Zunächst müßt Ihr den Rath der Thoren fliehn. Denn Salamo sagt: Nimm keinen Rath von einem Thoren an; denn er räth Dir nach eigener Lust und Neigung. Das Buch besagt: des Thoren Eigenschaft ist diese: Er denkt von einem Jeden alles Schlimme und alles Gute denkt er von sich selbst. So sollst Du auch den Rath von Schmeichlern fliehen, die sich mehr Mühe nehmen, Dein eignes Ich zu preisen, als Dir der Dinge Wahrheit kund zu thun. Deßhalb sagt Tullius: die größte Pest der Freundschaft ist die Schmeichelei. Und daher thut es Noth, daß mehr als irgend wen Du Schmeichler meidest. Das Buch sagt: flüchte und fliehe eher vor süßen Worten schmeichlerischer Preiser, als vor den bittern Worten Deines Freundes, der Dir die Wahrheit sagt. Salamo spricht: Des Schmeichlers Worte sind der Unschuld Schlinge; und ferner noch: Wer seinem Freunde süße Schmeichelworte giebt, der legt ein Fangnetz ihm vor seine Füße. Und daher sagt auch Tullius: Leih' nicht Dein Ohr den Leuten, die Dir schmeicheln und laß durch ihre Worte Dich nicht leiten. Und Cato sagt: Sieh Dich wohl vor und fliehe süße und gefäll'ge Redensarten und meide Deiner alten Feinde Rath, selbst wenn Du Dich mit ihnen ausgesöhnt hast. DasBuch sagt: Niemand kehrt mit Sicherheit in seines alten Feindes Gunst zurück. Und Aesop spricht: Vertraue nicht dem Manne, mit welchem Du in Krieg und Feindschaft lebtest, und sage ihm von Deiner Absicht nichts. Und Seneka sagt uns den Grund, warum: Dort, wo ein großes Feuer lang gewährt – so spricht er – bleibt etwas Dunst und Hitze stets zurück. Und deßhalb räth uns Salamo: Auf Deinen alten Feind vertraue nimmermehr. Denn sicherlich, selbst dann, wenn sich Dein alter Feind mit Dir versöhnt hat und Dir die demuthsvollste Miene zeigt und selbst vor Dir sein Haupt beugt, trau' ihm nimmer.
Denn solchen Schein der Demuth nimmt er zu sei nem eignen Nutzen an, nicht weil er Liebe für Dich hegt; nur weil er glaubt durch solchen Schein der Haltung den Sieg davon zu tragen, welchen über Dich in Kampf und Streit er nicht gewinnen konnte. Petrus Alphonsus sagt: Schließ keinen Bund mit Deinen alten Feinden, denn Freundlichkeit, die ihnen Du erweist, verkehren sie in Bosheit. [246] Und ebenso mußt Du den Rath von Denen meiden, die Deine Diener sind und große Ehrerbietung Dir erzeigen, die sie vielleicht aus Furcht nur heucheln, nicht aus Liebe hegen. Und daher spricht ein Philosoph: Niemand ist dem vollkommen treu ergeben, vor dem er sich in hohem Maße fürchtet. Und Tullius sagt: Kein Kaiser hat so große Macht, daß er bestehen kann, wenn nicht sein Volk mehr Liebe zu ihm hat, als Furcht. Den Rath Betrunkener mußt Du gleichfalls meiden, denn kein Geheimniß können sie verbergen. Salamo sagt: Kein Schweigen ist, wo Trunkenheit regiert. Auch hege stets Verdacht bei Rathschlägen von solchen Leuten, die im Geheimen Dir zu einer Sache und öffentlich zum Gegentheile rathen. Denn Cassiodorus sagt: Die Art, den Feind zu hindern, sei höchst schlau, wenn heimlich man das Gegentheil bezwecke von dem, was öffentlich zu thun man scheine. Du sollst ingleichen Argwohn hegen bei den Rathschlägen der Bösen, denn ihr Rath ist immer voll Betrug. Und David sagt: Gesegnet ist der Mann, der nicht dem Rathe böser Leute folgt. Auch sollst den Rath von jungem Volk Du meiden, dieweil – wieSalamo uns sagt – ihr Rath nicht reif ist. Nun Herr! da ich gezeigt Euch habe, von welchen Leuten Ihr nicht Rath sollt holen und welcher Leute Rath Ihr fliehen sollt, will ich Euch weisen, wie Ihr nach der Lehre des Tullius Euren Rath prüfen sollt. Was Eure Rathgeber betrifft, so müßt Ihr manche Dinge in Erwägung ziehn. Zu allererst mußt Du erwägen, daß in der Sache, so Du vorhast und für welche Du Rath Dir holen willst, Du nur die reine Wahrheit sprichst und aufrechthältst. Das heißt: erzähle treulich Deine Angelegenheit, denn, wer falsch redet, kann in einer Sache, in der er lügt, nicht wohl berathen werden.
Und darnach mußt die Dinge Du bedenken, die Deinem Zweck entsprechen; wie weit Du handeln willst nach Deiner Freunde Rath und inwiefern es der Vernunft gemäß und Deine Macht dazu genügend ist und ob der größte und der bess're Theil von Deinen Räthen Dir in der Sache beistimmt oder nicht? Und dann bedenke, was dem Rathe folgt, ob etwa Friede, Krieg, Haß, Gnade, Nutzen oder Schaden und was noch sonst, und unter allen wähle Dir das Beste und laß das Andere ruhn. Sodann bedenke, worin der Grund der Sache liegt, die Du berathen hast, und welche Frucht daraus entspringen mag und reifen? Und auch den Grund der Sache mußt Du untersuchen. Und hast Du den Beschluß geprüft, wie ich gesagt, und welche [247] Seite besser und mehr nützlich sei, und hast durch kluge, alte Leute es erprobt, dann bedenke, ob Du es auch vollführen und zum guten Ende bringen kannst? Denn gute Gründe giebt es, daß man nichts unternehmen soll, was man nicht auch vollbringen kann, wie sich's gebührt; nein, keine Last darf Jemand auf sich nehmen, die er zu tragen nicht im Stande ist. Denn – wie das Sprüchwort sagt: Wer allzuviel umfaßt, bringt wenig heim. Und Cato sagt: Versuche nur zu thun, wozu die Kraft Du hast, damit die Last nicht allsosehr Dich drücke, daß Du die Sache liegen lassen mußt, die Du begonnen. Und bist Du zweifelhaft, ob Du ein Ding vollführen kannst, ob nicht, dann laß es lieber, als es anzufangen. Und Petrus Alfonso sagt: Hast Du die Macht, ein Ding zu thun, das Dich gereuen kann, so ist es besser: nein als ja. Das heißt: weit besser ist, die Zunge still zu halten, als zu sprechen. Denn, wenn Dich bess're Gründe überzeugen, daß ein Werk, das Du die Macht zu thun hast, Dich späterhin gereuen werde, so laß es liegen und beginn' es nicht. Recht haben die, so Jedermann verbieten, eine Sache zu unternehmen, wenn es in Zweifel steht, ob ausführbar dieselbe ist, ob nicht. Und wenn Ihr Euren Rath alsdann geprüft habt, wie ich vorhin gezeigt, und wohl wißt, daß Ihr im Stande seid, das Unternehmen durchzuführen, dann nehmt es ernstlich, bis das Ziel erreicht ist.
Nun ist es Grund und Zeit, daß ich Euch zeige, wann und weßwegen Ihr ohne Tadel Euern Entschluß verändern könnt. Gewiß, man darf die Absicht und den Rath dann ändern, sobald der Grund dazu hinwegfällt und sobald ein neuer Grund dafür sich weist. Denn das Gesetz besagt: Für Sachen, welche neu entstanden sind, geziemt sich neuer Rath. Es sagt auch Seneka: Wenn Dein Entschluß zu Deiner Feinde Ohren kommt, so ändre Deinen Rath. Und Deine Ansicht magst Du dann auch wechseln, wenn Du gefunden hast, daß – sei's durch Irrthum oder andre Gründe – Schaden und Harm Dir daraus kommen kann. Auch in dem Falle, daß Dein Beschluß und seine Gründe nicht ehrenwerther Art sind, ändre Deinen Rath; denn die Gesetze sagen: Im Fall ein Vorhaben ehrlos, desgleichen unausführbar sei, daß es gehalten und vollbracht nicht könne werden, so habe es auch keinen Werth. Und dies nimm für die allgemeine Regel: Jeder Beschluß, der also stark befestigt worden ist, daß er aus keinem Grund – was auch geschehen möge; – sich wieder ändern läßt, solch ein Beschluß – ich sage es – ist schlecht.«
[248] Als dieser Melibeus nun die Lehren von seiner Frau Prudentia vernommen hatte, gab er in dieser Weise Antwort: »Frau!« – hub er an – »Ihr habt mich bis zu dieser Zeit im Allgemeinen wohl und passend unterrichtet, wie bei der Wahl und bei dem Ausschluß meiner Räthe ich handeln soll; nun aber möcht' ich gern, daß Ihr geneigtet, mir insbesondre noch zu sagen, was Euch bedünkt und was Ihr von den Räthen haltet, die wir in unsrer gegenwärt'gen Lage wählten«. »Mein Herr!« – sprach sie – »ich bitte Euch in aller Demuth, daß Ihr nicht hartnäckig Euch gegen meine Gründe auflehnt und Euch nicht mißvergnügt im Herzen macht, selbst wenn ich sagte, was Euch nicht gefiele. Gott weiß, nach meiner Absicht sprech' ich nur zu Eurem Besten, zu Eurer Ehre, Eurem Nutzen und daher hoffe ich auch fest, daß Eure Güte in Geduld es aufzunehmen wissen werde. Und darin traut mir« – sprach sie – »daß in diesem Falle Ihr den gepflognen Rath nicht eigentlich Berathung nennen könnt, vielmehr nur einen Vorschlag und Beschluß der Thorheit, wobei in mancher Weise Ihr geirrt habt. Zunächst und fernerhin habt Ihr geirrt in der Berufung Eurer Rathgeber, da Ihr zuerst nur wenig Leute zu Euerer Berathung hättet wählen sollen, um späterhin, im Fall es nöthig war, an mehrere die Sache kund zu thun. Doch sicher ist, Ihr rieft in Euren Rath urplötzlich eine Menge Volks, sehr lästig und verdrießlich anzuhören. Daher habt Ihr geirrt; denn da, wo Ihr zu Eurem Rath nur Eure treuen, alten, weisen Freunde laden solltet, habt Ihr fremdes, junges Volk herbeigerufen, nebst falschen Schmeichlern, ausgesöhnten Feinden und Leuten, die Euch Ehrfurcht zollen, doch nicht lieben. Und auch darin habt Ihr geirrt, daß Ihr zu der Berathung Zorn, Neid und Uebereilung mitgebracht habt, die alle dreie einem nützlichen und ehrenhaften Rath zuwiderlaufen, und weder Ihr noch Eure Räthe habt, wie Ihr solltet, diese dreie ausgerottet und zerstört. Und dann habt Ihr geirrt, daß Euren Räthen Ihr Eure Lust und Neigung offenbart habt, gleich Krieg zu führen und Euch gleich zu rächen; und da aus Euren Worten sie erspäht, auf welche Seite ihr Euch neigtet, so riethen sie Euch mehr nach Eurer Neigung und weniger zu Eurem Nutzen. Ihr irrtet auch, dieweil es scheint, daß Euch genügend war, Euch nur von diesen Räthen Rath zu holen und das mit wenig Vorsicht; wogegen in so ernster, schwerer Frage wohl mehre Rathgeber und weitre Ueberlegung nöthig waren, um Euer Unternehmen auszuführen.
[249] Ihr irrtet auch, denn Ihr habt Euren Rath nicht in der Art und in der vorbesagten Weise geprüft, wie es für diese Sache sich gebührt. Ihr irrtet auch, dieweil Ihr zwischen Euren Räthen nicht einen Unterschied gemacht habt; das heißt: nicht zwischen treuen Freunden und Euren Räthen voll Verstellungskunst. Ihr kanntet nicht die Meinung Eurer treuen Freunde, welche alt und weise sind; in einen Mischmasch warft Ihr alle Worte und schenktet Euer Herz der Mehrzahl und der stärkeren Partei, und stimmtet dieser zu. Und sintemal Ihr wißt, daß man beständig eine größre Zahl von Thoren als von Weisen findet und daß man bei Berathungen mit Schaaren und mit Massen Volks weit eher auf die Zahl als auf die Weisheit der Personen achtet, so seht Ihr wohl, daß stets die Thoren in solchen Rathsversammlungen die Oberhand behalten.«
Und Melibeus antwortete und sprach: »Wohl will ich eingestehn, daß ich geirrt. Doch da Du vorhin mir erzählt hast, daß der nicht tadelnswerth ist, welcher den Entschluß aus guten Gründen in gewissen Fällen wechselt, bin ich bereit, nach Deinem Rathe auch meinen abzuändern. Das Sprüchwort sagt: zu sündigen ist menschlich; doch lange in der Sünde zu beharren, ist wohl ein Werk des Teufels sicherlich.«
Auf dieses Wort entgegnete die Frau Prudentia und sprach: »Nun untersuchet Euren Rath genau, und laßt uns sehn, wer am vernünftigsten gesprochen hat und wer die beste Lehre uns gegeben? Und insoweit die Prüfung nöthig ist, laßt mit den Aerzten und Doctoren uns beginnen, die in der Angelegenheit zuerst gesprochen haben. Ich sage, daß die Aerzte und Doctoren Euch so verständig Rath ertheilten, wie sie sollten; auch haben sie in ihrer Rede weislich gesagt, daß es zu ihrem Berufe gehöre, Jedem Ehre und Nutzen zu schaffen, Niemanden zu kränken und nach ihrer Kunst sich zu befleißen, diejenigen zu heilen, so in ihrer Obhut stehn. Und, Herr, wie sie Dir weislich und verständig Antwort gaben, so sage ich nicht minder, daß sie auch hoch und königlich für ihre edle Rede belohnt werden sollten, auch aus dem Grunde, daß sie um so mehr Aufmerksamkeit und Thätigkeit zur Heilung Eurer lieben Tochter aufwenden mögen. Denn obschon sie Eure Freunde sind, solltet Ihr es nicht leiden, daß sie Euch umsonst dienen, sondern Ihr solltet sie um so mehr belohnen und ihnen Eure Großmuth zeigen. Und was die Meinung anbelangt, die von den Aerzten in diesem Fall geäußert wurde; nämlich, daß man in Krankheitsfällen [250] den Gegensatz durch Gegensatz verbannt, so möchte ich gern wissen, wie Ihr den Text versteht und was Ihr von ihm denkt.«
»Nun,« – sagte Melibeus – »ich habe es in dieser Art verstanden, daß grade wie sie mir ein Leides zugefügt, ich sie mit einem andern treffen sollte, und wie sie sich an mir gerächt und mich beleidigt haben, so soll auch ich mich rächen und ihnen Schaden thun; dann heile ich ein Leiden durch das andre.«
»Schau! schau!« – rief Frau Prudentia – »wie leicht ist Jedermann bereit, nach eigner Lust und Neigung zu verfahren.
Gewiß in dieser Art darf nicht der Aerzte Wort verstanden werden. Denn Schlechtigkeit ist nicht der Gegensatz von Schlechtigkeit, Gewalt nicht von Gewalt und Unrecht nicht von Unrecht; sie sind vielmehr nur Aehnlichkeiten; deßhalb wird eine Gewaltthat nicht durch eine andere verbannt, ein Unrecht durch ein zweites Unrecht nicht, denn jedes dieses verschlimmert und vermehrt das andere nur. Nein, sicherlich, der Aerzte Wort muß dieser Art verstanden werden: das Gute und das Ueble sind zwei Gegensätze, der Krieg und Frieden sind es, Rache ist's und Dulden, Eintracht und Zwietracht, sowie vieles Andre. Und diesen stimmt St. Paulus, der Apostel, an manchen Stellen bei. Er sagt: Vergeltet Böses nicht mit Bösem und Fluch mit Fluch; sondern überwindet das Böse durch das Gute und segnet die, so Euch verfolgen. Und an vielen andern Stellen räth er zum Frieden und zur Eintracht. Doch nun will ich zu Euch vom Rathschlag sprechen, der durch den Advokaten Euch gegeben ward und von den weisen und den alten Leuten, die alle übereingestimmt in dem, was Ihr zuvor gehört, daß nämlich Ihr vor allen Dingen Euch befleiß'gen solltet, Euch selbst zu schützen und Euer Haus in guten Stand zu setzen, und welche sagten, daß Ihr in diesem Falle mit Vorbedacht und reifer Ueberlegung zu Werke gehen müßtet. Und Herr, was nun den ersten Punkt betrifft, auf welche Art Ihr Euere Person zu schützen habt, so müßt Ihr klar begreifen, daß, wer Krieg führt, auch desto mehr vor allen Dingen andächtig und in Demuth beten sollte, daß Jesus Christ in seiner Gnade ihm solchen Schutz verleihe, und ihm der höchste Helfer sei in seiner Noth. Denn, sicherlich, in dieser Welt ist Niemand, der wohlberathen wäre ohne den Beistand unseres Herren, Jesu Christ. Mit dieser Meinung stimmt David, der Prophet, auch überein, indem er sagt: wenn Gott die Stadt nicht schützet, so wachet der Wächter umsonst. Nun, Herr, darauf sollt ihr den Schutz Euerer Person, Eueren treuen Freunden anvertrauen, die als erprobt[251] erkannt sind, und von ihnen sollt Ihr Beistand begehren, um Euere Person zu schützen. Denn Cato sagt: Bedarfst Du Hülfe in der Noth, frag' Deinen Freund, denn es giebt keinen bessren Arzt, als einen treuen Freund. Und dann müßt Ihr Euch fern von fremden Leuten und von Lügnern halten, deren Gemeinschaft Euch verdächtig scheinen sollte. Denn Petrus Alphonsus sagt: Geh' niemals eines Weges mit dem fremden Mann, wenn Du ihn nicht geraume Zeit gekannt hast; und fällst durch Zufall ohne Deinen Willen Du mit ihm in Gesellschaft, so forsche schlau, wie Du vermagst, durch Unterhaltung sein früheres Leben aus und halte Deinen Weg vor ihm geheim, indem Du sprichst: Du wollest dahin gehen, wohin Du nicht willst; und hält er einen Speer, so gehe ihm zur Rechten, und führet er ein Schwert, so geh' zur linken Seite.
Und fernerhin müßt Ihr Euch vorsorglich vor allem solchen Volke hüten, von dem ich vorhin sprach, und sie und ihren Rathschlag meiden. Und außerdem betragt Euch in der Art, daß Ihr aus Ueberschätzung Eurer eignen Kraft die Gegner nicht verachtet und ihre Macht nicht zu gering veranschlagt und nicht den Schutz der eigenen Person aus Uebermuth versäumt; denn jeder Weise fürchtet seinen Feind. Salamo sagt: Wohl dem, der sich vor allem fürchtet; denn wahrlich, wer durch seines Herzens Hartnäckigkeit und seinen Steifsinn zu große Anmaßung besitzt, dem wird es übel gehen. Dann müßt Ihr ferner allen Hinterhalten und aller Auskundschafterei zuvorzukommen suchen. Denn Seneka sagt: daß der weise Mann, welcher Unheil kommen sieht, das Unheil vermeide, und in Gefahr komme nicht der, so die Gefahr zu fliehen wisse. Und ob es Dir gleich scheint, daß Du an einem sichern Platze seist, so sollst Du dennoch stets Dein Bestes thun, Dich selbst zu schützen, das heißt: versäume nicht, für Deine Sicherheit zu sorgen, nicht nur bei Deinem größten Feinde, nein, bei dem kleinsten auch. Ovid besagt: Das kleine Wiesel tödtet den großen Bullen und den wilden Hirsch. Und das Buch sagt: Ein kleiner Dorn sticht selbst den König und selbst ein Hündchen packt das wilde Schwein. Indessen sag' ich nicht, Du sollst so feige sein, und ungegründete Besorgniß hegen. DasBuch sagt: daß Manche die Betrüger selbst belehren aus übergroßer Angst, daß sie betrogen werden könnten. Doch sieh' Dich vor, nicht vergiftet zu werden, und meide deßhalb die Gemeinschaft der Spötter, denn – sagt das Buch – zieh' mit den Spöttern nicht desselben Weges und meide ihre Worte wie das Gift.
[252] Was nun den zweiten Punkt betrifft, daß Eure weisen Räthe Euch ermahnten, das Haus mit ganzem Fleiße auszurüsten, so möchte ich gern wissen, wie diese Worte Ihr verstanden habt und was Euch von denselben dünkt?«
Melibeus sprach und gab zur Antwort: »Gewiß, in dieser Art verstand ich es, daß ich mein Haus mit Thürmen versehen sollte, wie sie Schlösser und derartige Gebäude haben, und auch mit Waffen und Geschütz, durch welche ich mich selber und mein Haus so schützen und vertheid'gen kann, daß sich die Feinde fürchten sollten ihm zu nahn.«
Hierauf entgegnete sogleich Prudentia: »Die Ausrüstung von hohen Thürmen und von hohen Bauten erfordert große Kosten und viel Arbeit; und wenn Ihr sie vollendet habt, so sind sie keinen Strohhalm werth, falls sie nicht auch von treuen, alten, weisen Freunden vertheidigt werden. Und lerne zu verstehen, daß die größte und stärkste Besatzung, die ein weiser Mann sich halten kann, um sich und seine Habe zu beschützen, darin besteht, daß er beliebt bei seinen Unterthanen und seinen Nachbarn ist. Denn Tullius sagt: es gäbe keine Garnison, welche man nicht besiegen und vernichten könne, und Herr sei, wer der Bürger und des Volkes Liebe habe.
Nun, Herr, zum dritten Punkt! Als Eure alten, weisen Räthe sagten, daß Ihr nicht rasch und übereilt in dieser Sache verfahren solltet, dagegen Euch mit großem Fleiß und großer Ueberlegung wohl rüsten und versorgen, da sprachen sie – so dünkt mich – durchaus wahr und äußerst weise. Denn Tullius sagt: Zu jeder Sache, eh' Du sie beginnst, bereite Dich mit großem Fleiße vor.
Drum rathe ich und sage Dir: im Rache nehmen, wie in Krieg und Schlacht und in der Zurüstung bereite Dich wohl vor, eh' Du beginnst, und thue es mit großer Ueberlegung. Denn Tullius sagt: Bei langer Vorbereitung auf die Schlacht erfolgt der Sieg in Kürze. Und Cassiodorus sagt: Je länger die Besatzung in Bereitschaft steht, je stärker ist sie.
Nun laßt uns von dem Rathschlage sprechen, den Eure Nachbarn gaben, die Euch zwar Ehrfurcht zollen, doch nicht lieben, und Eure alten Feinde, die sich ausgesöhnt, die Schmeichler, die Euch öffentlich zu diesem und insgeheim zum Gegentheile rathen, und auch das junge Volk, das Euch anrieth, Euch zu rächen und Krieg im Augenblicke zu beginnen. Gewiß, mein Herr, wie ich zuvor gesagt, Ihr habt [253] Euch sehr geirrt, in solcher Weise derartig Volk in Euren Rath zu rufen, da diese Rathgeber durch die zuvor erwähnten Gründe genügsam schon getadelt sind. Doch nunmehr laßt uns darauf näher eingehn.
Zunächst müßt Ihr der Lehre des Tullius folgen. Es thut gewiß nicht Noth, der Wahrheit dieser Sache oder dem Grunde der Berathung näher nachzuforschen, denn wohl bekannt ist, wer sie waren, so Euch die Unbill und die Bosheit zugefügt, wie hoch die Zahl der Uebelthäter war, und wie sie alles Unrecht und alle Schlechtigkeit vollbracht. Ihr müßt nunmehr die andere Bewandtniß prüfen, von welcher eben dieser Tullius das folgende hinzufügt. Denn Tullius macht es klar, was unter ›Consentaneum‹ zu verstehen sei; das heißt: wer sie und was sie und wieviel sie waren, die Deinem Rath in Deinem Eigensinn, Dich ungesäumt zu rächen, beigestimmt. Und laßt uns auch betrachten, wer sie und was sie und wieviel sie waren, die Euren Widersachern zugestimmt. Was nun den ersten Punkt betrifft, so ist es wohl bekannt, welch eine Sorte Volk es war, die Deinem Eigensinne beigestimmt. Denn, wahrlich, alle, die zu raschem Krieg Euch riethen, sind nicht Eure Freunde. Laßt uns nun erwägen, wer sie sind, die Ihr als Freunde Euerer Person so hoch geschätzt habt. Denn mögt Ihr noch so mächtig und so reich sein, so steht Ihr doch allein. Gewiß, Ihr habt kein andres Kind als Eure Tochter, Ihr habt nicht Brüder, Vettern, andre nahe Anverwandte, um derenwillen Eure Feinde aus Furcht es unterlassen sollten, mit Euch zu streiten und Euch zu vernichten. Auch wißt Ihr, das Ihr Euren Reichthum unter manche Genossen zu vertheilen habt und daß, wenn Jeder erst sein Theil erhalten hat, sie sich nur wenig darum kümmern werden, Euren Tod zu rächen. Doch Deiner Feinde Zahl ist drei, und sie besitzen viele Brüder, Kinder, Vettern und andre nahe Sippe; und hättest Du von ihnen selbst auch zwei bis drei erschlagen, so bleiben doch genug, um ihren Tod zu rächen und Dich zu tödten. Und sollte Euere Verwandtschaft auch weit zuverlässiger und sicherer sein, als die von Euren Gegnern, so ist sie doch nur weitläufig mit Dir verwandt; sie ist entfernte Sippe, während die Angehörigen von Deinen Feinden zu ihrer nahen Sippe zählen. Und wahrlich in der Beziehung ist ihre Lage besser als die Eure. Dann laßt uns auch betrachten, ob der Rath von denen, so Euch zu rascher Rache riethen, wohl der Vernunft entspricht? Nun, wie Ihr wüßt, das thut er sicher nicht; denn nach Vernunft und Recht darf Keiner selbst an Jemand Rache nehmen, [254] sondern nur der Richter, unter dessen Gerichtsherrschaft es steht, und der ermächtigt ist, Vergeltung bald schnell, bald langsam auszuüben, je wie es das Gesetz verlangt. Und überher mußt Du bei diesem Worte, das Tullius ›Consentaneum‹ nennt, noch erwägen, ob Deine Kraft und Macht ausreichend und genügend seien zu Deinem Eigensinn und dem von Deinen Räthen. Und hier, wahrhaftig, kannst Du wieder sagen: Nein! Denn es gebührt sich wohl mit Recht zu sagen, daß wir nur das vollführen sollten, was uns mit Recht zu thun erlaubt ist; und daher dürfen wir aus eigner Machtvollkommenheit auch rechtlich niemals Rache nehmen. Drum müßt Ihr einsehn, daß Eure Macht für Euren Eigensinn nicht hinreicht, noch sich mit ihm verträgt.
Nun lasset uns den dritten Punkt noch prüfen, denTullius ›Consequens‹ benennt. Du mußt verstehen, daß die Rache, welche Du zu nehmen beabsichtigst, die Consequenz hat, daß weitre Rache daraus folgt, sowie Gefahr und Streit und mancherlei von Schäden sonder Zahl, die wir für jetzt nicht übersehen können.
Und was den vierten Punkt betrifft, den Tullius ›quid gignatur‹ nennt, mußt Du betrachten, daß dieses Unrecht, welches man Dir zugefügt, durch den Haß Deiner Feinde erzeugt worden ist, und daß die Rache dafür wiederum andere Rache erzeugt und viele Sorgen und Verschwendung reichen Gutes, wie ich zuvor gesagt. Nun, Herr, in Anbetracht des Punktes, den Tullius ›causa‹ nennt und der der letzte Punkt ist, mußt Du verstehen, daß dieses Unrecht, welches Du empfingst, verschiedene Gründe hat, welche die Gelehrten oriens und efficiens nennen und causa longinqua und causa propinqua; das heißt: der ferne und der nahe Grund. Der ferne Grund ist der allmächt'ge Gott, da Er der Grund von allen Dingen ist. Der nahe Grund sind Deine drei Feinde. Der zufällige Grund war Haß, der wesentliche Grund sind die fünf Wunden Deiner Tochter, und der formale Grund die Weise ihres Handelns, sofern sie Leitern nahmen und in Deine Fenster stiegen. Und der finale Grund war die Ermordung Deiner Tochter, obschon nicht alles ausgeführt ward, was in der Absicht lag. Indeß vom fernen Grund zu sagen, zu welchem Ende sie dies führen wird und was aus ihnen in diesem Falle schließlich werden mag, das bin ich nur zu rathen und vorauszusetzen fähig. Doch wohl darf ich vermuthen, daß sie zu einem schlimmen Ende kommen werden, denn das Buch der Verordnungen sagt: [255] Selten und mit großer Mühe werden Sachen zu einem guten Ende gebracht, welche schlecht begonnen wurden. Nun, Herr, wenn man mich fragen wollte, warum Gott es zugelassen hat, daß Euch Menschen solche Schlechtigkeit zugefügt haben, so kann ich keine Antwort darauf geben, weil mir die Wahrheit darüber unbekannt ist. Denn der Apostel sagt: Von großer Tiefe ist die Weisheit und Erkenntniß unseres Herrn, des allmächtigen Gottes; unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege. Indessen durch verschiedene Erwägungen und Schlüsse halte ich daran fest und glaube, daß Gott, der voller Gerechtigkeit und Weisheit ist, dieses Ereigniß aus gerechten und vernünftigen Gründen zugelassen habe.
Deine Name ist Melibeus; das heißt: ein Mann, der Honig trinkt. Du hast so vielen Honig der süßen, zeitlichen Reichthümer und der Freuden und Ehren dieser Welt getrunken, daß Du berauscht bist, und Jesus Christ, Deinen Schöpfer, vergessen hast. Du hast ihm nicht die Achtung und Ehrerbietung erwiesen, die Du ihm schuldest; noch hast Du das Wort Ovids beachtet, welcher sagt: Unter dem Honig Deiner leiblichen Güter ist das Gift verborgen, welches die Seele tödtet. Und Salamo sagt: Findest Du Honig, so iß sein genug; denn issest Du im Uebermaß, so wirst Du ihn ausspeien und dürftig und arm sein. Und vielleicht verachtet Dich Christ und hat sein Antlitz und seine Ohren der Barmherzigkeit von Dir abgewendet und hat zugegeben, daß Du in dieser Weise für dasjenige gestraft werdest, worin Du gesündigt hast. Du hast gesündigt gegen unsern Herrn, Jesus Christus; denn sicherlich hast Du erlaubt den drei Feinden der Menschheit, das heißt: dem Fleische der Welt und dem Teufel in Dein Herz einzusteigen durch die Fenster Deines Körpers und hast Dich nicht hinreichend vertheidigt gegen ihre Angriffe und Versuchungen, so daß sie Deine Seele an fünf Stellen verwundet haben; das heißt: die Todsünden sind durch die fünf Sinne in Dein Herz eingestiegen; und in gleicher Weise hat unser Herr, Jesus Christus, es gewollt und zugegeben, daß Deine drei Feinde durch die Fenster Deines Hauses eingestiegen sind und Deine Tochter in der bereits erwähnten Art verwundet haben.«
»Gewiß,« – sprach Melibeus – »ich sehe wohl, daß Ihr Euch große Mühe gebt, in dieser Art mich zu bereden, daß ich mich nicht an meinen Feinden rächen soll, indem Ihr hin auf die Gefahren und die Uebel weist, die aus der Rache kommen können. Doch wer[256] bei jeder Rache alle Uebel und Gefahren bedenken will, so aus dem Rachenehmen kommen können, der würde niemals Rache nehmen, und dieses wäre schlimm. Denn durch Vergeltung werden die bösen Menschen von den guten abgesondert; und die, so bösen Willen hegen, bezähmen ihre böse Absicht, wenn sie die Strafe und die Züchtigung von Uebelthätern sehen.«
Hierauf erwiderte Prudentia: »Ich stimme Euch gewißlich bei, daß durch Vergeltung viel Uebel und viel Gutes kommen mag. Jedoch Vergeltung steht nicht Jedem zu, vielmehr allein den Richtern, sowie denen, an die Gewalt verliehen gegen Missethäter ist; und überdies behaupte ich, daß gradeso wie einer sich versündigt, der Rache gegen einen Andern nimmt, nicht minder auch der Richter sündigt, wenn er nichtdie straft, welche es verdienen. Denn dies sagt Se neka: Das ist ein guter Meister, der die Widerspenst'gen straft! Und Cassiodorus sagt: Ein Mensch hütet sich vor Ausschreitungen, wenn er weiß, daß solche den Richtern mißfallen und den Fürsten. Ein Andrer sagt: Der Richter, welcher Furcht hegt Recht zu sprechen, macht die Leute widerspenstig. Und der Apostel Paulus sagt in seinem Briefe, den er an die Römer schrieb: Die Obrigkeit trägt nicht den Speer umsonst, sondern um die zu strafen, welche Böses thun, und um die guten Menschen zu beschützen. Wenn Ihr an Euren Feinden Rache nehmen wollt, müßt Ihr Euch an den Richter wenden der über sie Gewalt besitzt, und er wird sie bestrafen, so wie es das Gesetz verlangt und fordert.«
»Ach!« – sagte Melibeus – »solche Rache gefällt mir nicht, Da ich mich jetzt entsinne und bedenke, wie mich das Glück von Kindheit an gehegt und mir in mancher Fährlichkeit geholfen hat, so will ich es erproben und, wie ich denke, wird es mit Gottes Hülfe mir zur Seite stehn, um meine Schmach zu rächen.« Prudentia sprach: »Fürwahr, wollt Ihr nach meinem Rath zu Werke gehn, so sollt Ihr keineswegs das Glück versuchen, nein, Ihr dürft nicht dem Glücke trauen, noch vor ihm Euch beugen, denn nach den Worten Senekas gelangen Dinge, die thöricht und in Hoffnung auf das Glück begonnen sind, zu keinem guten Ende. Und eben dieser Seneka besagt: Je heller und je glänzender das Glück ist, um desto eher und desto rascher bricht es. Vertrauet nicht darauf; es ist nicht treu noch standfest; denn meinst Du seiner Hülfe sicher und gewiß zu sein, so wird es Dich verlassen und betrügen. Und wenn Ihr sagt, daß Euch das [257] Glück von Kindheit an gehegt hat, so sage ich, daß dieserhalb Ihr umsomehr ihm sowie seinem Witz nicht trauen solltet. Denn es sagt Seneka: Der Mann, der durch das Glück verhätschelt ist, macht sich zu einem großen Thoren. Nun, da Ihr Euch zu rächen wünschet und verlangt, und Rache, welche durch den Richter ausgeübt wird, Euch mißfällt, und solche Rache, die in der Hoffnung auf das Glück genommen wird, gefährlich ist und ungewiß, so bleibet Euch kein andres Mittel, als Eure Zuflucht bei dem höchsten Richter zu nehmen, der alle Schlechtigkeit und Bosheit rächt. Er wird Euch rächen, wie er selbst bezeugt, indem er spricht: Mir laßt die Rache, ich will sie vollziehen!«
Zur Antwort gab ihr Melibeus: »Wenn ich die Schlechtigkeit nicht räche, die mir von Menschen angethan ist, so lade ich dadurch die Leute ein, die Unrecht mir gethan, und fordre dadurch auch die andern auf, mir wieder etwas Böses zuzufügen. Denn geschrieben steht: Wenn Du für alles Unrecht keine Rache nimmst, so ladest Du die Gegner ein, Dir eine neue Bosheit zuzufügen; und wenn ich ruhig es ertrüge, so würde man mir soviel Böses thun, daß ich es weder tragen noch ertragen könnte, und würde tief erniedrigt sein und so gehalten werden. Denn Manche sagen: Wer viel erträgt, dem wird so Manches überkommen, daß er es schließlich nicht mehr tragen kann.«
Prudentia sprach: »Fürwahr, ich räume ein, daß übermäß'ge Duldung zwar nicht gut ist, indessen daraus folget nicht, daß Jedermann, dem Böses zugefügt ist, die Rache auf sich selber nehmen sollte, denn sie gehört und sie gebührt allein den Richtern, die Ungerechtigkeit und Kränkung strafen sollen, und daher sind die beiden Schriftbelege, die Ihr zuvor erwähnt habt, in Hinsicht auf die Richter nur verstanden; denn wenn sie gegen Schlechtigkeit und Unrecht sich übermäßig duldsam zeigen, so fordern sie nicht nur die Leute auf, ein neues Unrecht zu begehen, nein, sie befehlen ihnen solches an; wie auch ein weiser Mann sagt, daß der Richter, wenn er die Sünder nicht bestraft, den Leuten anbefiehlt und heißt, zu sündigen. Und die Richter und die Obrigkeiten könnten in ihrem Lande soviel von den Widerspenstigen und Uebelthätern zu leiden haben, daß diese durch solche Duldung im Laufe der Zeit an Stärke und Macht so wachsen würden, daß sie im Stande wären, die Richter und die Obrigkeit von ihren Stellen zu verdrängen und sich zuletzt von ihrer Oberherrschaft[258] loszusagen. Doch setzen wir den Fall, daß es Euch freigestellt sei, Euch zu rächen, so sage ich, daß Ihr nicht Kraft und Macht genug besitzt, es jetzt zu thun. Denn zieht Ihr in Vergleichung Eurer Gegner Macht, so werdet Ihr in mancher Hinsicht finden, daß ihre Lage, wie ich Euch zuvor gezeigt, weit besser als die Eure ist; und daher sage ich, daß es für Euch jetzt gut sei, zu ertragen und in Geduld zu warten. Ihr wißt auch ferner, daß ein allgemeiner Spruch besagt: daß es Tollkühnheit sei für einen Mann, mit Mächtigern und Stärkeren zu kämpfen, und gegen einen Mann von gleicher Macht zu streiten, und das will sagen, der an Stärke gleich ist, sei gefährlich; und mit dem Schwächeren zu streiten, das sei Thorheit; weßhalb ein Mann den Streit vermeiden soll, soviel er kann. Denn Salamo sagt: Dem Mann gereicht zur großen Ehre, wenn er von Lärm und Streit sich freihält. Und kommt es vor, daß Dich ein Mann beleidigt hat, der mächt'ger ist, als Du bist, so bemühe und befleißige Dich lieber, das Uebel zu heilen als Dich dafür zu rächen. Denn Seneka sagt, daß derjenige sich einer großen Gefahr aussetze, welcher mit einem größeren Mann, als er selber, streite. Und Cato sagt: Wenn ein Mann von höherem Rang und Stande oder von größrer Macht, als Du, Dich kränkt und Dich beleidigt, dulde es; denn der Dich einst gekränkt hat, mag in spätrer Zeit Dir helfen und Dich unterstützen. Indeß gesetzt, Ihr hättet Macht und Freiheit Euch zu rächen, so sag' ich doch, es giebt gar manche Gründe, um Euch zurückzuhalten, Rache auszuüben und Euch geneigt zu machen, das Unrecht, welches man Euch angethan hat, in Geduld zu tragen. Zuerst und fernerhin betrachtet wohl die Fehler Eurer eigenen Person, für welche Gott, wie ich zuvor gesagt, Euch diese Trübsal dulden läßt. Es sagt der Dichter, daß wir in Geduld die Widerwärtigkeiten, so uns überkommen, tragen sollen und wohl bedenken und erwägen, daß wir es wohl verdient, wenn sie uns treffen. UndSt. Gregorius sagt, daß einem Manne, welcher die Anzahl seiner Sünden und seiner Fehler wohl erwägt, die Trübsal, die er leidet, weit geringer scheine. Und je mehr er seine Sünde für schwer und drückend hält, je leichter und je sanfter wird die Strafe ihm erscheinen. Daher mußt Du Dein Herz bezwingen und es beugen, das Joch von unserm Herren, Jesus Christ, zu tragen, wie es St. Peter sagt in seinen Briefen. Jesus Christ hat für uns gelitten – sagt er – und uns ein Vorbild gelassen, daß ihr sollt nachfolgen seinen Fußstapfen, welcher keine Sünde gethan hat, ist [259] auch kein Betrug in seinem Munde erfunden. Welcher nicht wieder schalt, da er gescholten wurde, nicht dräuete, da er litt. Auch die Ergebung, welche die Heiligen im Paradiese in Trübsal zeigten, so ohne Schuld und ohne Fehler sie traf, sollte in Euch Geduld erwecken. Und ferner sollt Ihr Euch befleißen, Geduld zu lernen, weil die Trübsal dieser Welt nur eine kurze Weile währt und bald vorbei ist, die Freude aber, die der Mensch durch Geduld im Leiden erlangt, von langer Dauer ist. Darum spricht in seinem Briefe der Apostel: Die Freude Gottes ist von langer Dauer, und das will sagen, sie ist immerwährend. Deßwegen glaubt und haltet fest: der ist nicht gut gepflegt, noch gut erzogen, der nicht Geduld besitzt, noch lernen will. Denn Salamo sagt, daß Weisheit und Verstand des Mannes erkannt nur werde durch Geduld. Und andern Ortes sagt er, daß wer geduldig sei, mit großer Klugheit auch sich selbst regiere. Und eben dieser selbe Salamo sagt auch: Der zornige und grimmige Mann macht Lärm, doch der geduld'ge stillet und beschwichtigt ihn. Auch sagt er: Es ist werthvoller, Geduld zu haben, als sehr stark zu sein. Und der sein eignes Herz in Herrschaft hält, ist mehr zu preisen, als der durch Kraft und Stärke große Städte nimmt. Und daher sagt in seinem Briefe der heiligeJakobus, daß die Geduld das große Mittel sei, vollkommen uns zu machen.«
»Gewiß,« – sprach Melibeus – »ich gestehe zu, Prudentia, daß die Geduld Vollkommenheit bewirkt; indessen kann nicht Jeder sein, wie Ihr es wünscht. Nein, ich gehöre nicht zur Zahl der ganz vollkommnen Menschen, dieweil mein Herz nicht eher Frieden hat, bis daß die Zeit für meine Rache da ist. Und wenn für meine Feinde höchst gefährlich war, mir Uebles anzuthun, so achteten sie der Gefahr doch nicht und führten muthig ihre Absicht aus; und deßhalb, dünkt mich, sollte man auch mich nicht tadeln, wenn ich mich um meiner Rache willen in unbedeutende Gefahr begebe, obschon ich eine große Ausschreitung begehe, indem ich nämlich einen Schimpf durch einen andern räche.«
»Ach!« – sagte Frau Prudentia – »Ihr sprecht, was Euch gefällt. Jedoch in keinem Fall der Welt soll je ein Mann Gewalt und Ausschreitung begehn, um sich zu rächen. Denn Cassiodorus sagt: Wer durch Gewalt sich rächt, der thut nicht minder übel, als jener, der Gewalt zuerst verübt. Darum sollt Ihr Euch nach des Rechtes Ordnung rächen, das heißt durch das Gesetz und nicht durch [260] Ausschreitung und durch Gewalt. Und wollt Ihr die Gewaltthat Eurer Gegner auf andre Weise rächen, als das Recht befiehlt, so sündigt Ihr. Daher sagt Seneka, daß Bosheit nie ein Mann durch Bosheit rächen solle. Und wenn Ihr sagt, das Recht erlaube einem Mann, sich vor Gewaltthat durch Gewalt zu schützen, und gegen Kampf durch Kampf, so habt Ihr dann gewißlich Recht, wenn die Vertheidigung sofort geschehen ist und ohne Aufschub odes langes Zögern, und nur um sich zu schützen, nicht zu rächen. Und es gebührt sich, daß ein Mann in seiner Selbstvertheidigung so mäßig sich beweise, daß Niemand Grund hat, ihn zu tadeln wegen Unfug und Gewalt, wenn er sich selbst beschützt hat; denn solches wäre wider die Vernunft. Pardi! Ihr wißt sehr wohl, daß Ihr Euch jetzt nicht zu vertheidigen denkt zu Eurem Schutz, vielmehr Euch rächen wollt. Und Ihr beweist, daß Ihr nicht Willens seid, in Eurem Thun gemäßigt zu verfahren; und dafür ist Geduld – so denk' ich – gut. Denn Salamo besagt: Wer nicht geduldig ist, hat großen Harm zu tragen.«
»Gewiß,« – sprach Melibeus – »ich gebe zu, wenn man ungeduldig und böse über Sachen wird, die uns nichts angehn, so ist's kein Wunder, wenn uns Harm geschieht. Denn das Gesetz besagt, daß Jener schuldig sei, der unberufen sich in etwas menge; und es sagt Salamo: Der Mann, der sich in Zank und Streit von Andern mischt, gleicht Jemandem, der einen fremden Hund beim Ohre faßt. Denn, wie der Mann, der einen fremden Hund beim Ohre faßt, von ihm gebissen wird, ganz in derselben Weise ist es auch natürlich, daß den Schaden trägt, wer sich aus Ungeduld in andrer Leute Zank hineinmengt, der ihn nichts angeht. Doch Ihr wißt wohl, daß mir diese That, mein Kummer und mein Leiden will das sagen, sehr nahe geht; und deßhalb ist es nicht verwunderlich, wenn ich ungeduldig und böse bin; und – mit Verlaub – ich kann nicht sehn, wie es mir schaden könnte, wenn ich Rache nehme, denn ich bin reicher, sowie mächtiger, als meine Feinde sind. Auch ist es Euch bekannt, daß Alles auf der Welt durch Geld und den Besitz von vieler Habe regiert wird; und Salamo sagt: Jedes Ding gehorcht dem Gelde.«
Doch als Prudentia hörte, wie ihr Gatte sich seines Reichthums und seines Geldes, der Gegner Macht verkleinernd, selber rühmte, nahm sie das Wort und sprach in dieser Weise: »Gewißlich, lieber[261] Herr, ich gebe zu, daß Ihr so reich wie mächtig seid, und auch daß Reichthum gut ist, sofern auf rechte Weise er erlangt ward und gut verwendet wird. Denn wie der Körper des Menschen nicht ohne Seele leben kann, so kann man ohne zeitlichen Besitz nicht leben, und Reichthum kann uns große Freunde schaffen. Und daher sagt Pamphilus: Ist eines Rinderhirten Tochter reich, so kann sie unter tausend Männern wählen, wen sie zu ihrem Gatten haben will; sie wird von Tausenden dann nicht verschmäht und abgewiesen werden. Und dieser Pamphilus sagt auch: Wenn Du recht glücklich bist, das heißt, sehr reich, so wirst Du viele Freunde und Genossen finden; doch wechselt einst das Glück und wirst Du arm, dann Freundschaft und Genossenschaft lebt wohl! Du wirst allein stehn oder zur Gesellschaft nur die Armen haben. Und außerdem sagt Pamphilus, daß man die Leute, die durch Familienbande mit uns verknüpft sind, durch Reichthum adeln und erheben könne. Und wie durch Reichthum vieles Gute kommt, so kommt durch Armuth manches Leid und Uebel; denn große Armuth zwingt den Menschen oft das Uebele zu thun. Und Cassiodorus nennt daher die Armuth eine Mutter des Verderbens, das heißt: die Mutter von unsrer Schande und von unserm Untergange. Petrus Alphonsus sagt daher: Wohl ist die größte Widerwärtigkeit der Welt, wenn ein durch Stamm und Abkunft freier Mann, gezwungen durch die Armuth, die Gaben seiner Feinde essen muß. Und gleicher Weise sagt auch Innocenz in einem seiner Bücher, indem er spricht: Die Lage eines armen Bettlers ist kummervoll und unglücklich; denn bettelt er nicht um sein Brod, so muß er Hungers sterben, und bettelt er, stirbt er vor Scham, und doch die Noth wird ihn, zu betteln, zwingen. Und darum sagt auch Salamo, daß Sterben besser sei, als solche Armuth. Und dieser selbe Salamo sagt ferner: Weit besser ist's, den bittern Tod zu sterben, als solcher Art zu leben. Durch diese Gründe, die ich Euch genannt und noch durch viele andre, die ich nennen könnte, gesteh' ich zu, daß Reichthum gut für jene sei, die solchen wohl erworben haben und ihn in rechter Art zu brauchen wissen; und ich will Euch deßwegen zeigen, wie Ihr verfahren müßt, um Reichthum anzusammeln und welcher Art Ihr ihn gebrauchen sollt. Zuerst sollt Ihr ihn ohne große Gier erlangen mit guter Weile, nach und nach, nicht aber überhastig; denn ein Mann, den es nach Reichthum allzusehr verlangt, ergiebt sich leicht dem Diebstahl oder andern Uebelthaten. Und darum sagt uns [262] Salamo: Wer zu sehr eilt, um schleunig reich zu werden, kann seine Unschuld nicht bewahren. Auch sagt er: Reichthum, welcher eilig kommt, vergeht auch schnell; indessen Reichthum, welcher nach und nach gesammelt ist, stets wachsen und sich mehren wird. Und Reichthum, Herr, sollt Ihr erwerben durch Eueren Verstand und Eure Arbeit zu Eurem Nutzen und ohne irgend einem andern Menschen deßwegen Unrecht oder Harm zu thun. Denn das Gesetz spricht: Es macht sich Niemand selber reich, wenn er einem Andern Schaden thut, das heißt, daß es Natur mit Recht verbiete und verwehre, durch Schaden Anderer sich reich zu machen. Und Tullius sagt, daß Sorge nicht, noch Todesfurcht, noch was dem Menschen sonst begegnen kann, so gegen die Natur geht, als wenn ein Mensch durch Schaden Andrer den eignen Nutzen zu vermehren suche. Und wenn auch zwar die Mächtigen und Großen leichter als Du zu Reichthum kommen, so sollst Du doch nicht faul und langsam sein, Dir Vortheil zu erschaffen, denn dieser Art wirst Du dem Müßiggang entfliehn. DennSalamo sagt, daß Müßiggang viel Böses lehre. Derselbe Salamo besagt: Wer arbeitet und seinen Acker baut, wird Brod essen, doch wer träge ist und sich zu keinem Handel und Geschäfte hält, der wird in Armuth sinken und vor Hunger sterben. Und der, so faul und lässig ist, kann nie die rechte Zeit für seinen Vortheil finden. Ein Versemacher sagt, daß sich der Faule im Winter entschuldige, dieweil es kalt sei, und im Sommer der starken Hitze wegen. Aus diesem Grunde redet Cato: Wachet und gebt Euch nicht zu vielem Schlafe hin, denn Uebermaß an Ruhe nährt und brütet manches Laster. Und deßhalb sagt der heilige Hieronymus: Thut etwas Gutes, damit Euch nicht der Teufel, unser Feind, im Müßiggange finde, denn nicht zu seinen Werken nimmt der Teufel leicht, wen er in guten Werken thätig findet. Daher müßt Ihr, um Reichthümer zu erlangen, die Trägheit fliehen. Und hinterher sollt Ihr den Reichthum, den Ihr durch Arbeit und Verstand gewonnen habt, in solcher Weise brauchen, daß Euch die Menschen nicht für karg und allzu sparsam halten, und nicht für thöricht großartig, das heißt, verschwenderisch; denn wie man einen geiz'gen Menschen ob seiner Filzigkeit und Kargheit tadelt, so ist auch der zu tadeln, der verschwendet. Und drum sagt Cato: Gebrauche Deinen Reichthum, den Du gewonnen hast, in solcher Art, daß Niemand Grund hat, Dich einen Geizhals oder Filz zu nennen, denn eine große Schande ist für Jeden: ein leeres [263] Herz bei einer vollen Börse. Auch sagt er noch: Die Güter, welche Du erworben hast, gebrauch' mit Maß, und das will heißen: gieb sie mäßig aus; denn die, so ihre Habe thöricht verthuen und verschwenden, werden, wenn gar nichts mehr ihr eigen ist, die Güter andrer Leute wegzunehmen suchen. Ich sage nun, daß Ihr den Geiz vermeiden sollt, indem Ihr solcher Art den Reichthum braucht, daß man nicht sagen kann, es läge Euer Schatz begraben, nein daß Ihr ihn in Eurer Macht und Euren Händen habt. Denn einweiser Mann tadelte den Geizigen durch diese beiden Verse: Weßwegen und wozu begräbt ein Mann sein Gut aus großem Geiz, wenn ihm bewußt ist, daß er sterben muß? denn in dem gegenwärt'gen Leben ist das Ende eines jeden Manns der Tod. Und warum und zu welchem Zwecke verbindet und verknüpft er sich so fest mit seinem Gut, daß, ihn davon zu trennen und zu scheiden, sein sämmtlicher Verstand nicht fähig ist, obwohl er weiß, daß er bei seinem Tode aus dieser Welt gar nichts von hinnen trägt? Und daher sagtSt. Augustin, daß ein Geiziger der Hölle gleiche, die auch, je mehr sie schluckt, je mehr Begierde hat, zu schlucken und zu schlingen. Und so wie Ihr zu meiden sucht, ein Geizhals oder Filz genannt zu werden, so sollt Ihr Euch auch derart halten und betragen, daß man Euch nicht ›Herr Hans Verschwender‹ heißt. Daher sagt Tullius: Die Güter Deines Hauses sollten niemals so fest und so geheim gehalten werden, daß sie die Güte und das Mitleid nicht zu öffnen wüßten, das heißt: sie unter die Bedürftigen zu theilen; noch sollte Deine Habe je so offen sein, daß sie zum Gut der Allgemeinheit werde. Auch müßt Ihr ferner beim Erlangen und beim Gebrauche Eures Reichthums drei Dinge stets in Eurem Herzen haben, und diese sind: Gott, unser Herr, Gewissen und ein guter Ruf. Erst sollt Ihr Gott in Eurem Herzen tragen, und nicht für Schätze dürft Ihr etwas thun, das Gott, unserm Schöpfer, irgend wie mißfallen könnte. Denn nach dem Worte Salamos ist es weit besser, bei Gottes Liebe wenig Gut zu haben, als durch das viele Gut die Liebe unsres Herrn und Gottes zu verlieren. Und der Prophet sagt, daß es besser sei, ein guter Mann zu sein und wenig Gut und Geld zu haben, als ein Bösewicht bei großem Reichthum. Doch sag' ich ferner, daß Ihr Euch stets bestreben solltet, reich zu werden, sofern Ihr dabei Euch ein gutes Gewissen bewahrt. Und der Apostel sagt, daß in der Welt uns Nichts so große Freude machen sollte, als wenn uns das Gewissen [264] ein gutes Zeugniß giebt. Auch sagt derWeise: Das Innere des Menschen ist sehr gut, wenn im Gewissen keine Sünde steckt. Sodann müßt Ihr bei dem Erwerb und dem Gebrauch von Reichthum sehr große Sorge tragen und Euch streng bemühn, daß Ihr den guten Namen Euch erhaltet und bewahrt. Denn Salamo sagt: Ein gut Gerücht ist köstlicher, denn großer Reichthum; und so sagt er an einer andern Stelle: Bestrebe Dich mit großem Fleiß, Dir Deinen guten Namen und Deine Freunde zu erhalten, denn diese halten länger bei Dir aus als Schätze und ob sie noch so kostbar sind. Und sicherlich, ein Edelmann kann der nicht heißen, der unterläßt, nächst Gott und ruhigem Gewissen auch seinen guten Namen zu bewahren. Und Cassiodorus sagt, daß es ein Merkmal eines edlen Herzens sei, wenn Jemand liebe und den Wunsch besäße, sich einen guten Namen zu erhalten. Und deßhalb sagt St. Augustin: zwei Dinge seien nöthig und erforderlich: ein gut Gewissen und ein guter Ruf; das heißt: ein gut Gewissen für Dich selber und guter Ruf für Deine Nachbarn draußen. Und wer dem eignen ruhigen Gewissen so sehr vertraut, daß er darüber seinen guten Namen oder Ruf geringschätzt und nicht achtet und unbesorgt ist, diesen zu bewahren, ist nur ein roher Kerl. Nun, Herr, ist Euch von mir gezeigt, wie Ihr verfahren sollt, um Reichthum zu erwerben und wie Ihr ihn gebrauchen sollt; und wohl ersehe ich, daß bei dem Vertrau'n, das Ihr auf Euren Reichthum habt, Ihr Willens seid, zu kriegen und zu kämpfen. Ich rathe Euch, daß Ihr nicht Krieg und Schlacht beginnt in dem Vertrau'n auf Euren Reichthum, denn er genügt nicht, um den Krieg zu unterhalten. Und deßhalb sagt ein Philosoph: Wer Krieg wünscht und ihn führen will, kann nie genug besitzen, dieweil, je mehr er hat, je mehr er zahlen muß, um Sieg und Ehre zu erkaufen. Und es sagt Salamo: Je größern Reichthum Jemand hat, jemehr Verzehrer hat er. Und, theurer Herr, wenn es auch sein mag, daß Ihr durch Euren Reichthum über vieles Volk gebietet, so ist es weder gut noch ziemlich, Krieg zu machen, wenn Ihr mit Nutzen und mit Ehre in andrer Weise Frieden halten könnt, denn der Sieg der Schlachten, so in dieser Welt geschlagen werden, liegt weder in der Ueberzahl noch Masse an Kriegsvolk, noch in der Tapferkeit der Mannen, dagegen in der Hand von Gott, dem allgewalt'gen Herrn. Weßhalb auch Judas Makkabäus, der ein Gottesritter war, als er mit einem Gegner kämpfen sollte, der mehr an Zahl und größre Massen Volks besaß [265] und stärker war als diesesMakkabäus Heer, sein kleines Häuflein also tröstete und sprach: Ebenso leicht kann Gott, unser allmächtiger Herr, der kleinen Schaar den Sieg verleihen, wie der großen Menge, denn Schlachtensieg hängt nicht von starken Heeren ab, er kommt allein durch Gott, den Herrn im Himmel. Und, theurer Herr, dieweil kein Mensch Gewißheit hat, ob Gott ihm Sieg verleihen werde oder nicht – wie Salamo gesagt hat – so sollte Jedermann sich höchlichst scheuen, Krieg zu beginnen. Und da in Schlachten viel Gefahren sind, und es sich manchmal wohl ereignen kann, daß auch der Große wie der Kleine darin getödtet wird, und da geschrieben steht im zweiten Buch der Könige: Der Schlachten Führung ist ein Wagestück und ungewiß; und da im Kriege die Gefahren groß sind, so sollte Jeder auch den Krieg vermeiden und ihn fliehn, soviel er irgend nur vermag. Denn wer sich in Gefahr begiebt – sagt Salamo – kommt darin um.«
Nachdem in dieser Art die Frau Prudentia geredet hatte, entgegnete ihr Melibeus und sprach: »Ich sehe, Frau Prudentia, durch Eure schönen Worte und durch Eure Gründe, die Ihr mir gezeigt habt, daß Ihr den Krieg nicht liebt; doch habe ich bislang nicht Euren Rath gehört, wie ich in dieser Sache handeln soll.«
»Gewiß,« – sprach sie – »ich rathe Euch, daß Ihr mit Euren Gegnern Euch verständigt und Frieden haltet. Denn St. Jakobus sagt in seinem Briefe, daß durch Eintracht und Frieden Reichthum gewonnen wird, durch Hader und Streit aber zu Grunde gehe. Und deßhalb spricht auch unser Herr, Jesus Christ, zu seinen Aposteln in dieser Weise: Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen.«
»Ah!« – sagte Melibeus – »nun sehe ich klar, daß Ihr nicht meine Ehre und meine Würde schützt. Ihr wißt sehr wohl, daß meine Gegner den Streit und Kampf durch ihre Uebelthat begonnen haben; auch seht Ihr klar, daß sie mich nicht um Frieden bitten und ersuchen, und nicht verlangen, mit mir versöhnt zu sein. Wollt Ihr denn, daß ich mich so erniedrige, daß ich mich ihnen unterwerfe und sie um Gnade bitte? Fürwahr, das wäre nicht nach meinem Sinn. Denn wie man sagt, daß allzugroße Einfalt Verachtung zeuge, so geht es auch zu großer Demuth und Sanftmüthigkeit.«
Nunmehr fing Frau Prudentia an, sich ärgerlich zu stellen, und sagte: »Gewiß, Herr, mit Verlaub! ich liebe Euren Ruhm und [266] Euren Nutzen wie meinen eigenen, und habe dieses stets gethan, und keiner sagte je das Gegentheil. Doch hätte ich gesagt, Ihr solltet Friede und Versöhnung Euch erkaufen, so hätte ich mich wenig nur vergriffen und versprochen. Denn der Weise sagt, Uneinigkeit beginnt durch Andere, doch die Versöhnung durch Dich selbst. Und derProphet sagt: Das Böse fliehe und das Gute thue! Den Frieden suche und erhalte, so viel an Dir liegt. Doch sag' ich nicht, daß Ihr bei Euren Gegnern eher um Frieden bitten solltet, als sie bei Euch; denn ich weiß wohl, Ihr seid so eigensinnig, daß Ihr um meinetwillen niemals etwas thut; und es sagt Salamo: Den, welcher ein zu hartes Herz besitzt, trifft schließlich Unglück und Verderben.«
Als Melibeus seine Frau Prudentia anscheinend böse sah, sprach er in dieser Weise: »Frau, ich bitte Euch, laßt Euch nicht kränken, was ich sage; denn ich weiß gar wohl, daß ich in Zorn und Aerger bin, und dieses ist kein Wunder; und wenn man zornig ist, vergißt man, was man thut und spricht. Daher sagt der Prophet, daß trübe Augen nicht klar sehen. Doch sag' und rathe mir, was Dir gefällt; ich bin bereit, zu thuen, was Du wünschest. Und wenn Ihr mich ob meiner Thorheit scheltet, so kann ich Euch dafür nur loben und verehren. Denn Salamo sagt, daß, wer den Thoren tadelt, größre Gnade finden soll, als der durch süße Worte ihn betrügt.«
Dann sagte Frau Prudentia: »Wenn ich dem Anschein nach mich böse zeige, geschieht es nur zu Eurem großen Nutzen. Denn Salamo sagt: Es ist besser einen Thoren für seine Unvernunft zu schelten und zu tadeln, als ihn in seiner Thorheit zu bestärken und zu loben und über seinen Unverstand zu lachen. Und ebenso sagt dieser Salamo, daß durch das strenge Antlitz eines Mannes, das heißt, durch seine ernste Haltung und Geberde, der Thor gezüchtigt und verbessert werde.«
Dann sagte Melibeus: »Ich werde keine Antwort geben können auf soviel schöne Gründe, wie Ihr sie mir gezeigt und vorgeführt habt. Sagt Euren Willen und Eure Meinung mir in aller Kürze, und ich bin ganz bereit, ihn zu vollziehn und zu erfüllen.«
Darauf enthüllte Frau Prudentia ihm ihren ganzen Willen und begann: »Ich rathe Euch vor allen Dingen, machet Frieden zwischen Gott und Euch, und seid versöhnt mit ihm und seiner Gnade; denn – wie ich Euch zuvor gesagt – Gott hat Euch dieses Ungemach und diese Trübsal um Eurer Sünden willen auferlegt. Und wenn [267] Ihr thut, was ich Euch sage, so wird Gott die Widersacher zu Euch senden und vor Eure Füße niederfallen lassen, bereit, nach Eurem Willen und Befehl zu thun. Denn Salamo sagt: Wenn dem Herren des Menschen Wege wohlgefallen, so wandelt er die Herzen seiner Feinde und zwingt sie, ihn um Frieden und um Gnade anzuflehn. Und darum bitt' ich Dich, laß mich mit Deinen Feinden heimlich sprechen, denn sie sollen es nicht wissen, daß es mit Eurem Willen und Eurer Zustimmung geschieht; und wenn ich ihren Willen und ihre Absicht kenne, vermag ich dann Dir zuverlässiger zu rathen.«
»Frau!« – sagte Melibeus – »thut, was Ihr wollt und wie es Euch beliebt. Ich stelle mich gänzlich unter Eure Leitung und unter Eueren Befehl.«
Als Frau Prudentia den guten Willen ihres Gatten sah, ging sie in sich zu Rathe und dachte nach, wie diese Sache sie zu einem guten Ausgang bringen könne. Und als sie ihre Zeit gekommen sah, entsandte sie zu seinen Gegnern Botschaft, in Heimlichkeit zu ihr zu kommen, und zeigte ihnen in verständ'ger Weise den großen Vortheil, welcher durch den Frieden kommt, und die Gefahren und die großen Leiden, welche durch Krieg entstehen; und sagte ihnen in vernünft'ger Art, wie tiefe Reue sie empfinden müßten wegen des Unrechts und der Kränkungen, so sie demMelibeus, ihrem Herrn, und ihr und ihrer Tochter zugefügt. Und als sie diese wohlgemeinten Worte der Frau Prudentia hörten, waren sie hocherstaunt und so entzückt, und hatten über sie so große Freude, daß es ein Wunder, zu erzählen, ist. »O, Dame!« – sprachen sie – »Ihr habet uns gezeigt der Sanftmuth Segen nach den Worten des Propheten David; denn die Versöhnung, der wir in keiner Weise würdig sind und die in großer Demuth und Zerknirschung wir erbitten sollten, Ihr bietet sie aus großer Güte selbst uns an. Nun sehen wir es klar, wie ächt und groß die Weisheit Salamonis ist, wenn er besagt, daß man durch liebe Worte seine Freunde mehre und Widerspänst'ge sanft und folgsam mache. Gewißlich,« – sprachen sie – »wir stellen unsre That und unsre ganze Sache durchaus in Euren guten Willen, und sind bereit, dem Worte und Befehl von Melibeus, unserm Herrn, zu folgen. Und deßhalb bitten und ersuchen wir Euch, theure, güt'ge Dame, so demüthig wir können und vermögen, daß Eurer großen Güte es gefallen möge, nun durch die That auch Eure guten Worte zu erfüllen. Wir sehen und gestehen ein, wir haben weit über alles [268] Maß hinaus den Melibeus, unsern Herrn, beleidigt und gekränkt, und zwar so sehr, daß wir nicht Macht besitzen, ihn dafür zu entschädigen; und deßhalb binden und verpflichten wir uns mit allen unsern Freunden, all seinen Willen und Befehl zu thun. Vielleicht jedoch hat er so schweren Aerger und solchen Zorn ob unserer Beleidigung noch gegen uns, daß er uns solche Strafe aufzulegen denkt, die zu ertragen wir nicht fähig sind; und deßhalb, edle Dame, flehen wir zu Eurem weiblichen Erbarmen, in dieser Noth es derart einzurichten, daß wir und unsre Freunde nicht enterbt und nicht zerstört durch unsre Thorheit werden.«
»Gewiß,« – sprach Frau Prudentia – »es ist ein hartes, höchst gefährlich Ding, wenn sich ein Mann dem Urtheil und der willkürlichen Entscheidung seines Feindes so gänzlich unterwirft und in Gewalt und Macht desselben sich begiebt; denn es sagtSalamo: Gehorchet mir und nehmt es Euch zu Herzen! Laß den Sohn, die Frau, den Bruder und den Freund nicht Gewalt über Dich haben, solang' Du lebst. Nun da er es verbietet, selbst dem Bruder und dem Freunde über unsern Leib Gewalt zu geben, so untersagt er aus noch stärkern Gründen, sich seinen Feinden zu ergeben. Nichtsdestoweniger rath' ich Euch an, nicht meinem Herren zu mißtrauen, denn ich weiß sicher und bestimmt, er ist gutmüthig, sanft, großherzig, höflich und nicht begierig noch erpicht auf Gut und Reichthum; denn er wünscht nichts auf dieser Welt als Ehre nur und Ehrerbietung. Auch weiß ich fernerhin und bin gewiß, daß er nichts ohne meinen Rath in diesem Falle thun wird; ich aber will es so zu machen wissen, daß durch die Gnade Gottes, unsres Herrn, Ihr miteinander Euch versöhnen sollt.«
Dann sagten sie mit einer Stimme: »Verehrte Dame! wir stellen uns und unsre Güter völlig in Eure Neigung und in Euren Willen, und sind bereit, an jedem Tag zu kommen, den Eure Hoheit liebt, uns zu bestimmen oder festzusetzen, um durch Verpflichtung und Verschreibung uns zu binden, so stark, wie's Eurer Gütigkeit gefällt, den Willen zu vollziehn von Euch und unserm Herren Melibeus.«
Als Frau Prudentia die Worte dieser Leute vernommen hatte, befahl sie ihnen, heimlich fortzugehn, und kehrte dann zurück zu ihrem Hausherrn Melibeus und sagte ihm, wie reuig sie seine Gegner gefunden hätte, welche ihre Sünde und ihr Vergehen demüthig bekannt, [269] und wie bereit sie wären, alle Strafe zu erdulden, indem sie nur um Gnade ihn ersuchten und um Erbarmen flehten.
Dann sagte Melibeus: »Derjenige ist wahrlich werth, Vergebung und Verzeihung für seine Sünde zu empfangen, der sie nicht entschuldigt, vielmehr, um Nachsicht bittend, sie eingesteht und bereut. Denn Seneka sagt: Wo Bekenntniß ist, da giebt es auch Vergebung und Verzeihung; denn das Bekenntniß ist der Unschuld Nachbar. Und so verspreche und versichre ich, den Frieden zu erhalten. Doch ist es gut, daß wir nichts ohne Beistimmung und ohne Willen unsrer Freunde thun.«
Nun war Prudentia höchst freudevoll und froh und sprach: »Gewiß, mein Herr, Ihr gabt mir eine liebe, rechte Antwort! Denn wie durch Rath und Beistimmung und Hülfe Eurer Freunde zur Rache und zum Krieg Ihr angestachelt seid, so sollt Ihr gleicher Weise nicht ohne ihren Rathschlag Euch verständigen und Frieden mit den Widersachern schließen. Denn das Gesetz besagt: Nichts ist so gut in seiner Art, als daß auch der den Knoten wieder löst, der ihn geschürzt hat.«
Dann sandte Frau Prudentia ohne Zögern und Verweilen ihre Botschaft zu der Verwandtschaft und den alten Freunden, so treu und weise waren, und sagte ihnen auf Geheiß in Gegenwart von Melibeus alle Sachen, die schon zuvor erzählt sind und erklärt, und bat sie, Rath und Meinung abzugeben, was in dem Fall am füglichsten zu thun sei. Und als desMelibeus Freunde den besagten Gegenstand in Ueberlegung und in Rath gezogen hatten und ihn mit Emsigkeit und großem Fleiß geprüft, gaben sie ihre volle Zustimmung, den Frieden und die Ruhe zu er halten, und Melibeus solle seine Feinde mit gutem Herzen bei ihm zur Gnade und Vergebung kommen lassen.
Und als dann Frau Prudentia ersah, daß ihres Herren Melibeus Meinung und seiner Freunde Rath mit ihrer Absicht und mit ihrem Willen in Einklang stände, ward sie in ihrem Herzen wunderfroh und sprach: »Es giebt ein altes Sprüchwort, welches sagt: Das Gute, was Du heute thuen kannst, vollbringe, und laß es und verschieb' es nicht auf morgen! Und deßhalb sag' ich, sendet Boten, die klug sind und verschwiegen, an Eure Gegner und lasset ihnen sagen, daß, wenn sie über Frieden und Verständigung mit Euch verhandeln wollten, so möchten ohne Zögern und Verzug sie zu uns kommen.«
[270] Dieses wurde in der That so ausgeführt. Und als die Sünder, welche ihre Thorheit reute, das heißt, die Gegner von Melibeus, vernommen hatten, was diese Boten ihnen sagten, waren sie höchst erfreut und froh, und antworteten voll Sanftmuth und voll Güte, ihrem Herren Melibeus und seinem ganzen Kreise erkenntlich dankend, und schickten sich gleich ohne Zögern an, mit diesen Boten fortzugehn und dem Befehl von ihrem Herren Melibeus zu gehorchen. Sie zogen graden Wegs zum Hof des Melibeus und nahmen einige treue Freunde mit, sie zu beglaubigen und für sie zu bürgen. Und als sie in die Gegen wart des Melibeus gekommen waren, sprach er zu ihnen diese Worte: »Es stehet so und ist erwiesen, daß Ihr ohne Grund und ungeschickter, unvernünft'ger Weise mir großes Leid und Unrecht zugefügt habt, sowie auch meiner Frau Prudentia und meiner Tochter gleichfalls; denn Ihr seid mit Gewalt mir in das Haus gedrungen, und solchen Schimpf habt Ihr mir angethan, daß Jedermann wohl einsieht, daß Ihr den Tod verdient habt; und deßhalb will ich von Euch hören und wissen, ob Ihr die Züchtigung, die Strafe und die Rache für diese Uebelthat in meinen und in den Willen meines Weibes stellen wollt, ob nicht?«
Dann antwortete der Klügste von den Dreien für Alle und sprach: »Herr! wir wissen wohl, daß wir unwürdig sind, zum Hofe eines so großen und so edlen Herrn, als Ihr seid, hinzukommen; denn wir haben so gröblich uns vergangen und sind so sündenvoll und schuldbeladen vor Eurer Hoheit, daß wir, fürwahr, den Tod verdienet haben; jedoch, da Eure große Güte und Barmherzigkeit die ganze Welt von Euch bezeugt, so unterwerfen wir uns der Vortrefflichkeit und Milde Eurer gnäd'gen Hoheit und sind bereit, in Allem Euren Befehlen zu gehorchen, indem wir Euch ersuchen, daß Ihr aus mitleidsvoller Gnade unsre große Reue und tiefe Unterthänigkeit betrachten und uns Vergebung für unser schmähliches Vergehen und unsre Uebelthat gewähren wollt. Denn wir wissen wohl, daß Euere edle Huld und Gnade im Guten größer ist, als unsre Schuld und Uebelthat im Bösen, obschon wir uns verfluchter und verdammter Weise höchst schuldig gegen Eure Hoheit machten.«
Höchst gütig hob sie Melibeus dann vom Boden auf, empfing von ihnen ihr Versprechen und Gelübde durch Eid und Pfand und Bürgen und bestimmte ihnen einen Tag, an seinen Hof zurückzukehren und Spruch und Urtheil zu gewärtigen und anzunehmen, das Melibeus [271] aus den vorbesagten Gründen, an ihnen zu vollstrecken denke. Dies abgemacht, ging Jedermann nach Haus.
Und als dann Frau Prudentia ihre Zeit gekommen sah, befrug sie ihren Herren Melibeus, welche Rache er an seinen Gegnern auszuüben denke?
Worauf ihr Melibeus Antwort gab und sprach: »Gewiß, ich hege den Gedanken und die Absicht, ihnen zu nehmen, was sie je besaßen und in Verbannung sie auf ewig dann zu schicken.«
»Nun, sicherlich,« – sprach Frau Prudentia – »der Urtheilsspruch wäre grausam und höchlichst wider die Vernunft. Denn Ihr seid reich genug, und Ihr bedürft der Habe andrer Leute nicht. Und Ihr könnt Euch auf diese Weise leicht den Namen eines neid'gen Manns erwerben, was eine lästerliche Sache ist, die jeder gute Mensch stets meiden sollte; denn nach dem Spruche des Apostels ist Begehrlichkeit die Wurzel alles Uebels. Und besser wäre es für Euch daher, von Eurem Gute Vieles zu verlieren, als wie die Habe Andrer in solcher Art zu nehmen. Denn besser ist's, mit Würde zu verlieren, als wie durch Schlechtigkeit und Schande zu gewinnen. Und Jeder sollte mit Fleiß und Emsigkeit erstreben, sich einen guten Namen zu verschaffen. Und nicht allein soll er stets thätig sein, den guten Namen zu bewahren, nein, immer sich bestreben, das zu thun, wodurch den guten Namen er erneuern kann; denn aufgeschrieben steht, daß jeder gute Ruf und Name bald schwindet und vergeht, wenn er nicht stets von Neuem aufgefrischt wird. Und wenn Ihr sagtet, daß Ihr Eure Gegner verbannen wollt, so scheint mir das ganz wider die Vernunft und alles Maß in Anbetracht der Macht, die sie Euch selbst gegeben haben. Geschrieben steht, daß der verdiene, sein Vorrecht zu verlieren, der die Gewalt und Macht mißbraucht, so ihm verliehen ist. Und setzte ich den Fall, Ihr könntet diese Strafe ihnen durch das Recht und die Gesetze auferlegen, was ich bezweifle, so sag' ich dennoch, Ihr dürft es nicht zur Ausführung gelangen lassen, weil dies zum Krieg zurückzukehren hieße, wie zuvor. Und wenn Ihr daher wollt, daß diese Leute Euch gehorchen sollen, so müßt Ihr höflicher entscheiden, das heißt, Ihr müßt ein leichtres Urtheil ihnen geben. Geschrieben steht: Dem, der am freundlichsten befehlen kann, wird man am Besten auch gehorchen. Und deßhalb bitt' ich Euch, in diesem Fall der Noth und der Nothwendigkeit das eigne Herz zu überkommen. Denn Seneka sagt: Der, so sein Herz besiegt, ist zweimal Sieger. [272] Und Tullius sagt: Nichts ist empfehlenswerther für den großen Herrn, als daß er sanft und güt'gen Herzens ist und sich mit Leichtigkeit beruhigen läßt. Und daher bitt' ich, unterlaßt es jetzt, in dieser Weise Euch zu rächen, damit der gute Name Euch gewahrt und Euch erhalten bleibe und damit man Grund und Ursache habe, ob Eurer Güte und ob Eures Mitleids Euch zu preisen, und auch damit Ihr selber keinen Grund habt, das zu bereuen, was Ihr thut. Denn Seneka sagt: Es siegt in übler Art, wer nach dem Siege seinen Sieg bereut. Deßwegen bitt' ich Euch, hegt in dem Herzen Mitleid zu diesem Zweck und Ende, damit Gott, der Allmächtige, mit Euch in seinem Schlußgerichte Mitleid habe. DennSt. Jakobus sagt in seinem Briefe: Es wird aber ein unbarmherzig Gericht über den gehen, der nicht Barmherzigkeit gethan hat.«
Als Melibeus diese trift'gen Gründe der FrauPrudentia hörte und ihre weisen Lehren und Ermahnungen, begann sein Herz dem Willen seines Weibes sich zu fügen, und in Betracht von ihrer treuen Absicht, bezwang er sich und stimmte willig ein, nach ihrem Rath zu handeln, und dankte Gott, von welchem alle Güte und alle Tugend kommt, daß er ihm ein so klug, verständig Weib gesandt. Und als der Tag kam, an welchem seine Gegner in seiner Gegenwart erscheinen sollten, sprach er zu ihnen freundlichst dieser Art: »Mag es auch sein, daß Ihr durch Euren Stolz und Eure Anmaßung und Thorheit und Unbedacht und Lässigkeit Euch übel aufgeführt und gegen mich Euch sehr vergangen habt, so macht mich Eure Demuth, die ich sehe, sowie die reuevolle Sorge über Eure Schuld dennoch geneigt zu Gnade und Erbarmen. Drum nehm' ich Euch in meine Huld zurück, und ich verzeihe Euch die Kränkung und Schmähung und das Unrecht völlig, das Ihr den Meinen sowie mir gethan, zu diesem Zweck und Ende, damit uns Gott in seinem endlosen Erbarmen zur Zeit des Todes unsre Schuld vergebe, die wider ihn in dieser Welt voll Elend wir verübt. Denn, zweifelsohne, sind betrübt und reuevoll wir über unsre Schuld und unsre Sünden, die wir gethan vorm Angesicht des Herrn; ist er so edel und so gnadenvoll, daß er uns unsre Schuld vergiebt und uns zum Heile führt, das nimmer endet. Amen!«
Vers 6575–6676.
Vers 6677–7452.
Vers 7453–7506.
Vers 7507–8132.
(Bruchstück.)
Vers 8149–9004.
Vers 9005–9412.
Vers 9413–9449.
Vers 9449–9812.
Vers 9813–9856.
Vers 9857–10442.
Ende des ersten Theiles der Canterbury-Erzählungen. [409]
Vers 10443–10498.
Vers 11655–11686.
Vers 11687–12858.
Vers 12859–12888.
Vers 13551–13606.
Vers 13607–14494.
Vers 14495–14500.
Vers 14501–14786.
Vers 14787–14828.
Vers 14829–15468.
Vers 15469–16021.
Vers 16022–16187.
Vers 16188–16949.
Vers 16950–17053.
Vers 17054–17311.
Vers 17322–17385.
Der zweite Theil der Buße ist die Beichte und diese ist das Merkmal der Zerknirschung. Nun sollt Ihr verstehen, was Beichte ist, ob sie nothwendig sei oder nicht, und was zur wahren Beichte erforderlich ist.
Zuerst mußt Du wissen, daß Beichte das aufrichtige Bekennen der Sünde an den Priester ist, und zwar aufrichtig, weil man ihm alle Verhältnisse beichten muß, welche zur Sünde gehören, so weit man vermag; alles muß gesagt, nichts entschuldigt, verborgen oder verschleiert werden, ohne dabei mit den guten Werken zu prahlen. Somit ist es nothwendig, einzusehen, woher die Sünden entspringen, wie sie zunehmen und welcher Art sie sind. Vom Ursprung der Sünde spricht St. Paul in dieser Weise: wie durch einen Menschen die Sünde ist kommen in die Welt und der Tod durch die Sünde, so dringt also der Tod zu allen Menschen, welche Sünde thun. Und dieser Mensch, durch welchen Sünde in die Welt kam, war Adam, dieweil er das Gebot Gottes brach. Und er, der anfangs so mächtig war, daß er nicht zu sterben brauchte, wurde hernach ein solcher Mensch, daß er sterben mußte, er mochte wollen oder nicht, und alle seine Nachkommen in dieser Welt, die in solcher Weise sündigen, sterben. Sieh! wie in dem Stande der Unschuld, als Adam und Eva noch nackend im Paradiese waren und keine Scham über ihre Blöße fühlten, die Schlange, dieses listigste von allen Thieren, so Gott erschaffen hatte, zum Weibe sprach: Warum hat euch Gott befohlen, daß ihr nicht von jedem Baume im Paradiese essen dürft? Und das Weib antwortete: Wir essen – sprach sie – von den Früchten der Bäume im Paradiese, aber von den Früchten des Baumes mitten im Paradiese hat Gott gesagt: esset nicht davon, rühret es auch nicht an, daß ihr nicht sterbet. [264] Die Schlange sprach zum Weibe: Nein, Nein! ihr werdet mit nichten des Todes sterben, sondern Gott weiß fürwahr, daß, welches Tages ihr davon esset, so werden eure Augen aufgethan und ihr werdet sein wie die Götter und wissen, was gut und böse ist. Das Weib schauete an, daß von dem Baume gut zu essen und er lieblich anzusehen wäre, und nahm von der Frucht des Baumes und aß, und gab ihren Mann auch davon, und er aß. Und sogleich wurden ihrer beider Augen aufgethan, und als sie gewahr wurden, daß sie nackend waren, nähten sie aus den Blättern des Feigenbaumes eine Art von Hose zusammen, um ihre Nacktheit zu verbergen. Hier könnt Ihr sehen, daß die Todsünde zunächst vom Teufel eingegeben wird, wie es hier die Natter zeigt, und nachher durch das Gelüste des Fleisches, wie es hier Eva zeigt, und sodann durch die Einwilligung der Vernunft, wie es Adam zeigt. Denn glaubet nur, wenn auch der Teufel Eva versuchte, das heißt: das Fleisch, und wenn auch das Fleisch Vergnügen fand an der verbotenen Frucht, so war der Mensch dennoch im Stande der Unschuld, bis die Vernunft, das heißt: Adam einwilligte, die Frucht zu essen. Von diesem Adam ist uns die Erbsünde überkommen. Von ihm stammen wir alle nach dem Fleische ab und sind erzeugt aus schlechten und verdorbenen Säften; und wenn die Seele in unseren Körper gelegt wird, so ist sie auch sofort der Erbsünde verbunden, und dasjenige, was anfänglich nur Drang der fleischlichen Begierde war, ist späterhin sowohl Drangsal als auch Sünde; und dieserhalb würden wir alle geborene Kinder des Zornes sein und bestimmt zur ewigen Verdammniß, wenn wir nicht die Taufe empfingen, welche die Schuld von uns hinwegnimmt. Aber nichtsdestoweniger wohnet der Drang der Versuchung in uns und dieser Drang heißt: fleischliche Begierde. Ist diese fleischliche Begierde auf das Schlechte gerichtet und gestellt, so macht sie den Menschen durch die Begierde des Fleisches lüstern nach fleischlicher Sünde, nach irdischen Dingen durch das Gesicht seiner Augen und nach Hoheit durch den Stolz seines Herzens.
Um von der ersteren Begierde zu sprechen, welche Fleischeslust heißt nach dem Gesetze unserer Glieder, welche das gerechte Urtheil Gottes in richtiger Weise erschaffen hat, so sage ich: Gleich wie ein Mensch nicht gehorsam ist gegen Gott, so ist auch sein Herz gegen ihn selbst ungehorsam durch fleischliche Begierde, was die Veranlassung und Pflege der Sünde genannt wird. So lange deßhalb ein Mensch den Drang der Fleischeslust in sich trägt, ist es unmöglich, daß er nicht [265] bisweilen versucht und in seinem Fleische zur Sünde gereizt werde. Und dieses wird nicht ausbleiben, so lange er lebt. Es mag wohl schwächer werden durch die Kraft der Taufe und durch die Gnade Gottes mittelst der Buße, aber so gänzlich wird es niemals unterdrückt werden, daß man in seinem Innern nicht dann und wann dazu geneigt ist, sofern man nicht davon zurückgehalten wird durch Krankheit, durch böse Künste der Zauberei oder durch kalte Getränke. Denn seht, was sagt St. Paul? Das Fleisch trachtet wider den Geist und der Geist wider das Fleisch, sie sind sich entgegen und widerstreiten sich so, daß ein Mensch nicht immer thun kann, wie er möchte. Denn St. Paulus nach seiner großen Buße zu Wasser und zu Lande – im Wasser bei Tag und Nacht in großer Fährlichkeit und großer Mühe; zu Lande in großem Hunger und Durst, in Frost und Blöße, einmal beinahe zu Tode gesteinigt – spricht dennoch: Ach, ich elender Mensch! wer wird mich aus dem Kerker meines elenden Leibes befreien? Und St. Hieronymus – nachdem er lange Zeit in der Wüste gewohnt hatte, wo er nur die Gesellschaft wilder Thiere kannte, wo er nur Kräuter zur Nahrung, nur Wasser zum Trunk und kein ander Bette als die nackte Erde fand, weßhalb sein Fleisch schwarz wurde wie ein Ethiopier vor Hitze und beinahe abstarb vor Kälte – sagt dennoch: daß der Brand der Geilheit in seinem ganzen Körper kochte. Deßhalb weiß ich sicherlich, daß diejenige sich selbst betrügen, welche sagen, daß sie niemals in ihrem Leibe versucht seien. Zeugniß davon giebt St. Jakobus, welcher sagt, daß jeder in seinem eigenen Gewissen versucht werde, das heißt: daß ein Jeder von uns Ursache und Gelegenheit hat, daß er durch die Sünde, so er im Körper hegt, versucht werde. Und deßhalb sagt St. Johann, der Evangelist: Wenn wir sagen, daß wir ohne Sünde sind, so betrügen wir uns selber und die Wahrheit ist nicht in uns.
Nun sollt Ihr verstehen, wie die Sünde im Menschen wächst und zunimmt. Der Anfangsgrund ist das Hegen der Sünde, von dem ich bereits sprach, und dieses ist die fleischliche Begierde; und hinterher kommt die Eingebung des Teufels, das heißt: des Teufels Blasebalg, mit welchem er im Menschen das Feuer der fleischlichen Begierde anfacht, und sodann überlegt der Mensch, ob er die Sache, zu welcher er versucht wird, thun will oder nicht. Und wenn dann der Mensch widersteht und die ersten Verlockungen seines Fleisches zurückweist, so ist es keine Sünde. Wenn er dieses aber nicht thut, spürt er sofort [266] die Flamme der Lust, und dann ist es gut, ihn zu warnen und zurückzuhalten, auf daß er nicht sofort in die Sünde willige, oder sie thue, wenn er Zeit und Gelegenheit dazu findet. Und über diese Sache läßtMoses den Teufel in folgender Weise sprechen. Der Feind sagt: Ich will den Menschen durch böse Einflüsterungen jagen und verfolgen; ich will ihn durch Verlockung und Aufreizung zur Sünde packen, und ich will meinen Preis oder meine Beute mit Ueberlegung zerreißen, und meine Lust soll in Wonne endigen! Ich will mein Schwert der Einwilligung ziehen – denn, wahrlich, wie ein Schwert ein Ding in zwei Theile zerlegt, so trennt auch die Einwilligung den Menschen von Gott – und dann will ich ihn mit meiner Hand durch den Tod der Sünde erwürgen! So spricht der Feind. Und wahrlich, dann verfällt des Menschen Seele ganz und gar dem Tode, dann wird die Sünde durch Versuchung, Lust und Einwilligung erzeugt und wird in dieser Weise alsdann in dem Menschen zur That. Die Sünde ist in Wahrheit zweierlei Art, entweder ist sie läßliche Sünde oder Todsünde. Wenn nun aber ein Mensch irgend ein Geschöpf mehr liebt als Jesum Christ, dann ist es Tod sünde; und läßliche Sünde ist, wenn der Mensch Jesum Christ weniger liebt, als er sollte. Wahrlich, das Begehen solcher läßlicher Sünde ist höchst gefährlich, denn es verringert mehr und mehr die Liebe, welche der Mensch zu Gott haben sollte. Und wenn sich daher ein Mensch mit vielen solcher läßlicher Sünden beschwert, so können sie in ihm fürwahr die Liebe, welche er zu Jesus Christ hegt, wohl vermindern, wenn er sich ihrer nicht bisweilen durch die Beichte entledigt, und so geht gar leicht die läßliche Sünde in Todsünde über. Gewißlich, je mehr ein Mensch seine Seele mit läßlichen Sünden beladet, desto mehr wird er geneigt sein, in Todsünde zu fallen. Und darum laßt uns nicht nachlässig sein, und uns unserer läßlichen Sünden zu entlasten. Denn das Sprichwort sagt: Kleines aber vieles muß Großes werden stets am Schluß! Und hört nunmehr dieses Beispiel an: Eine große Meereswoge kommt oftmals mit so großer Gewalt, daß sie das Schiff mit Wasser füllt; und denselben Schaden richten oftmals die kleinen Tropfen Wasser an, welche durch die kleinen Ritzen des Kieles in den Bodenraum des Schiffes eindringen, wenn die Menschen so nachlässig sind, sie nicht bei Zeiten zu entfernen. Und obschon ein Unterschied zwischen diesen zwei Ursachen ist, wird doch in beiden Fällen das Schiff mit Wasser gefüllt. Grade so geht es oftmals mit der Todsünde und den schädlichen läßlichen [267] Sünden, wenn sie sich im Menschen so sehr vermehren, daß die Liebe zu irdischen Dingen, durch welche er läßlich sündigt, in seinem Herzen so groß oder größer wird, als die Liebe zu Gott. Und daher ist Liebe zu allen den Sachen, welche Gott nicht in sich schließen und welche nicht hauptsächlich um Gottes willen gethan werden, selbst wenn sie der Mensch auch weniger liebt als Gott, dennoch läßliche Sünde. Und Todsünde ist, wenn die Liebe zu irgend einem Dinge in dem Herzen des Menschen ebenso schwer oder schwerer wiegt, als die Liebe zu Gott. Todsünde – wie St. Augustin sagt – ist, wenn ein Mensch sein Herz von Gott abwendet, der die alleroberste und unwandelbare Güte ist, und sein Herz den Dingen zuwendet, welche wandelbar und flüchtig sind; und, wahrlich, das ist jedes Ding außer Gott im Himmel. Denn das ist sicher, wenn ein Mensch seine Liebe, welche er Gott mit seinem ganzen Herzen schuldig ist, auf ein Geschöpf wendet, so beraubt er auch gewiß Gott um so viel seiner Liebe, als er jenem Geschöpfe schenkt, und begeht daher Sünde, da er als Schuldner von Gott nicht an ihm seine volle Schuld bezahlt, das heißt: ihm die ganze Liebe seines Herzens giebt.
Nun, da man im Allgemeinen verstanden haben wird, was läßliche Sünde sei, so scheint es angezeigt, im Besondern die Sünden aufzuzählen, welche Mancher vielleicht für keine Sünden hält, und welche er nicht beichtet. Aber nichtsdestoweniger sind sie Sünden in der That, wie diese Gottesgelehrten schreiben; das heißt: jeder Zeit, wenn der Mensch mehr ißt oder trinkt, als zur Erhaltung des Körpers nothwendig ist, begeht er sicherlich Sünde; auch wenn er mehr spricht, als nöthig ist, thut er Sünde; auch wenn er nicht wohlwollend die Klage des Armen anhört; auch wenn er gesund am Leibe ist und dennoch ohne vernünftigen Grund nicht fasten will, wenn Andre fasten; auch wenn er mehr schläft, als er bedarf, oder durch diesen Umstand zu spät zur Kirche oder zu andern Werken der Liebe kommt; auch wenn er seines Weibes gebraucht, ohne den obersten Wunsch der Zeugung zu Ehren Gottes oder um seinem Weibe die Schuld seines Körpers zu entrichten; auch wenn er Kranke und Gefangene nicht besucht, wann er kann; auch wenn er Weib oder Kind oder andere irdische Dinge mehr liebt, als die Vernunft erfordert; auch wenn er mehr schmeichelt und liebkost, als er nothwendig zu thun braucht; auch wenn er das Almosen an Arme verringert oder zurückhält; auch wenn er seine Speisen köstlicher anrichtet, als nothwendig ist, oder aus Leckerhaftigkeit [268] zu hastig verschlingt; auch wenn er von eitlen Dingen in der Kirche oder beim Gottesdienste spricht, oder wenn er ein Schwätzer müssiger Worte der Thorheit oder der Schande ist, für welche er Rechenschaft ablegen soll am Tage des Gerichts; auch wenn er verspricht oder versichert, etwas zu thun, was er nicht halten kann; auch wenn er aus thörichtem Leichtsinn seinen Nächsten verläumdet und verspottet; auch wenn er, statt Gewißheit zu haben, über Sachen einen besonderen Verdacht hegt; diese Sachen und manche andere sonder Zahl sind Sünde, wie St. Augustin sagt.
Nun müßt Ihr aber verstehen, daß, obwohl freilich der erdgeborene Mensch nicht alle läßliche Sünden vermeiden kann, er sich dennoch durch die brennende Liebe, die er für unsern Herrn, Jesus Christ, hegt, und durch Gebet und Beichte und andre gute Werke so in Zaum halten kann, daß es ihm nur wenig schaden wird. Denn – wie St. Augustin sagt – wenn ein Mensch Gott in solcher Weise liebt, daß alles, was er immer thut aus seiner Liebe zu Gott kommt, oder um der Liebe Gottes willen, weil er in wahrhafter Liebe zu Gott entbrannt ist, so wird, siehe du: grade so sehr wie ein Tropfen Wasser, der in einen feurigen Ofen fällt, das Brennen des Feuers kümmert und stört, auch eine läßliche Sünde in gleicher Weise einen solchen Menschen bekümmern und stören, der beständig und vollkommen in der Liebe zu unserm Heiland, Jesus Christ ist. Fernerhin kann auch der Mensch die läßliche Sünde mäßigen und sich derselben entledigen, wenn er würdig den kostbaren Leib Jesu Christi empfängt, sowie die Spendung des heiligen Wassers, sowie durch Almosengeben, durch die allgemeine Beichte im Confiteor bei der Messe, der Prime oder beim Komplet, und durch den Segen der Bischöfe und Priester, und durch andere gute Werke.
Nun geziemt es sich zu sagen, was Todsünden sind, das will sagen: die Anführer der Sünden, denn sie laufen alle an einer Leite, obschon in verschiedener Weise. Sie werden aber Anführer genannt, insofern sie die Hauptsünden sind und aus ihnen die andern entspringen. Die Wurzel dieser Sünden ist der Stolz, die allgemeine Wurzel alles Uebels. Denn aus dieser Wurzel entspringen gewisse Aeste, wie Zorn, Neid, Verdrossenheit oder Trägheit, Geiz oder im allgemeinen Sinne [269] Begehrlichkeit, Schwelgerei und Wollust; und jede von diesen Hauptsünden hat ihre Aeste und Zweige, wie in den folgenden Capiteln erklärt werden wird.
Und ob es zwar sein mag, daß Niemand vollständig die Zahl der Zweige und der Nachtheile kennt, welche aus Stolz entspringen, so will ich doch einen Theil derselben zeigen, wie ihr gleich sehen sollt.
Da sind: Ungehorsam, Ruhmredigkeit, Heuchelei, Hochmuth, Dünkel, Trotz, Schadenfreude, Unverschämtheit, Ueberhebung, Heftigkeit, Widersetzlichkeit, Zank, Anmaßung, Unehrerbietigkeit, Halsstarrigkeit, Aufgeblasenheit und viele andere Zweige, welche ich nicht aufführen kann.
Ungehorsam ist der, welcher sich aus Geringschätzung nicht den Geboten Gottes, seiner Obrigkeit und seines geistlichen Vaters unterwirft. Ruhmredig ist der, welcher das Böse oder Gute herausstreicht, welches er gethan hat. Heuchler ist der, welcher sich andern nicht zu zeigen sucht, wie er ist, oder sich so zu zeigen sucht, wie er nicht ist. Hochmüthig ist der, welcher seinen Nachbarn, das heißt: seinen Mitchristen verachtet, oder das zu thun verschmäht, was er thun sollte. Dünkelhaft ist der, welcher denkt, daß er in sich Vortrefflichkeit besäße, welche er nicht hat, oder der wähnt, daß solche ihm seinem Verdienste nach zukäme, oder der sich selbst für besser hält, als er ist. Trotzig ist der, welcher aus Stolz keine Scham über seine Sünden fühlt. Schadenfroh ist der, welcher sich über den Schaden freut, so er angerichtet hat. Unverschämt ist der, welcher nach seiner Meinung alle Leute hinsichtlich ihres Werthes, Wissens, Redens und Betragens geringachtet. Ueberhebung ist, wenn man keinen Meister über sich und keinen Genossen neben sich dulden will. Heftig ist der, welcher an seine Fehler nicht gemahnt und erinnert sein will und mittelst Zank die Wahrheit wissentlich angreift und seine Thorheit vertheidigt. Widersetzlich ist der, welcher sich durch seinen Unwillen jeder Autorität und Macht entgegenstemmt, so über ihn ist. Anmaßung ist, wenn der Mensch etwas unternimmt, was ihm nicht ansteht, oder was er nicht thun darf, und dieses wird auch Selbstüberschätzung genannt. Unehrerbietigkeit ist, wenn der Mensch nicht da Ehrfurcht zeigt, wo er sie zeigen sollte und wie er sie für sich selbst in Anspruch nimmt. Halsstarrigkeit ist, wenn ein Mensch zu sehr seine eigene Thorheit vertheidigt und zu sehr auf sein eigenes Urtheil besteht. [270] Aufgeblasenheit ist das Wohlgefallen an Pomp und an zeitlicher Hoheit und sich seines weltlichen Ranges zu rühmen.Schwatzhaftigkeit ist, wenn ein Mann zuviel von den Leuten spricht und wie eine Mühle klappert, und nicht bedenkt was er sagt.
Und es giebt auch eine heimliche Sorte von Stolz, insofern Jemand abwartet, zuerst gegrüßt zu werden, bevor er selbst grüßt, obschon er minder werth als der Andere ist, auch sich zuerst niedersetzen will, oder den Vortritt haben, oder den Meßkelch küssen, oder beräuchert werden, oder zum Opfer gehen vor seinen Nachbarn oder ähnliche Dinge, obwohl sie ihm vielleicht nicht zustehen, weil er in seinem Herzen und Sinne ein solch stolzes Verlangen trägt, vor den Leuten erhöht und geehrt zu werden.
Nun giebt es zwei Arten von Stolz; der eine sitzt im Herzen, der andere ist äußerlich. Von diesen gehören sicherlich die vorhin genannten Dinge und mehr als ich aufgezählt habe, zum Stolze, welcher im Herzen des Menschen ist; und es giebt andere Sorten, welche äußerlich sind, aber nichtsdestoweniger ist die eine Sorte von Stolz das Zeichen der andern, grade wie das lustige Aushängeschild am Wirthshause ein Zeichen ist vom Weine, welcher im Keller liegt. Und dieses gilt von vielen Dingen, wie von der Sprache und Haltung und von dem übermäßigen Staate in der Kleidung. Denn, gewiß, läge keine Sünde in der Kleidung, so würde auch Christus nicht so bald auf die Kleidung des reichen Mannes im Evangelium hingewiesen und davon gesprochen haben. Und da St. Gregor sagt, daß werthvolle Kleidung strafbar sei wegen ihrer Kostspieligkeit, ihrer Weichlichkeit, ihrer Sonderbarkeit und ihrer Vermummung, sowie wegen ihres überflüssigen Umfanges oder ihrer unangemessenen Enge, ach! sollte man da nicht in unsern Tagen auf die sündbare Kostbarkeit der Kleidung blicken und insbesondere auf den überflüssigen Umfang oder auch auf die unangemessene Knappheit derselben?
Was die erste Sünde des Ueberflusses an Kleidung betrifft, welche sie zum Schaden des Volkes so vertheuert, so giebt es nicht allein Kosten für das Besticken, Besetzen, Auszähnen, Einfassen, Kräuseln, Puffen, Schlängeln und Faltenlegen und ähnliche Zeugverschwendung aus Eitelkeit, sondern da ist auch noch ferner das kostbare Unterfutter in den Kleidern, so vieles Bohren mit Pfriemen, um Löcher zu machen, so vieles Zuschneiden mit Scheeren, ein solcher Ueberfluß an Länge in der erwähnten Kleidung, daß die Schleppen durch den Mist und [271] den Dreck zu Fuß und zu Pferde von den Männern und Frauen geschleift und lieber verludert, verdorben, fadenscheinig und durch den Mist verrottet werden, als daß man das Zeug den Armen gäbe zum größten Nachtheil der armen Leute und zwar in verschiedener Weise. Das heißt: je mehr Zeug verludert wird, je theurer wird es seines Mangels wegen für die armen Leute und fernerweit, wenn man solche durchlöcherte und verschleppte Kleider auch den Armen geben wollte, so würden sie für ihren Stand nicht passen und nicht hinreichend sein, ihrer Nothdurft zu helfen und sie vor der Ungunst des Wetters zu schützen.
Sprechen wir auf der andern Seite von der gräulichen, unangemessenen Enge der Kleider, wie diese anschließenden Hosen oder hanswurstigen Beinfutterale, welche durch ihre Knappheit nicht die Schamglieder des Mannes zu bösen Zwecken verbergen, ach! so zeigen einige von ihnen das Geschwulst und die Form der gräulichen geschwollenen Glieder, die wie ein Darmbruch aussehen, in dem Tragbeutel ihrer Hosen und nicht minder hinten den Steiß, welcher aussieht, als ob er der Hintertheil einer Aeffin im Vollmondscheine wäre; und wenn sie ihre abscheulichen geschwollenen Glieder in Vermummung zeigen, indem sie ihre Hosen in weiß und roth theilen, so scheint es, als ob sie ihre Schamtheile geschunden hätten. Und wenn sie ihre Hosen in andere Farben theilen, wie weiß und blau oder weiß und schwarz, oder schwarz und roth und so weiter, so sieht es bei der Verschiedenheit der Farbe aus, als ob die Hälfte ihrer Schamglieder durch das Feuer des heiligen Antonius oder durch den Krebs oder durch einen andern Unfall faul geworden wäre. Auch der Hintertheil ihrer Gesäße ist gräulich anzusehen, denn, wahrlich, jener Theil ihres Körpers, allwo sie ihren stinkenden Unrath von sich geben, diese faule Partie, zeigen sie stolz vor dem Volke in Verachtung der Ehrbarkeit, welche Jesus Christus und seine Freunde in ihrem Leben zu zeigen pflegten.
Nun von dem übertriebenen Staate der Weibsleute! Gott weiß, obwohl die Gesichter keusch und schüchtern scheinen, bekunden sie dennoch in ihren Kleidern Lüsternheit und Stolz. Ich sage nicht, daß Wohlanstand in der Kleidung für Mann oder Weib unziemlich sei, aber, gewiß, der Ueberfluß oder die unangemessene Enge der Kleidung ist tadelnswerth. So zeigt sich auch die Sünde in der Verzierung und im Schmucke der Dinge, welche zum Reiten gehören, wie in vielen feinen Pferden, welche zum Vergnügen gehalten werden und so schön und so [272] fett und so kostbar sind, und auch in den vielen liederlichen Stallburschen, welche ihretwegen gehalten werden, in dem sonderbaren Geschirr, wie Satteln, Schwanz- und Brustriemen und Zügeln, bedeckt mit den kostbarsten und reichsten Tuchen und besetzt und beschlagen mit Gold und Silber. Worüber Gott durch Sacharja, den Propheten, spricht: Ich will die Reiter solcher Pferde zu Grunde richten! Diese Leute nehmen nur wenig Rücksicht auf den Ritt des Sohnes von Gott im Himmel und von seinem Geschirr, als er auf dem Esel ritt und kein anderes Sattelzeug hatte, als die armen Kleider seiner Jünger; ja wir lesen nirgends, daß er jemals auf einem andern Thiere geritten sei. Ich spreche dieses von der Sünde des Ueberflusses, und nicht von der Ziemlichkeit, welche die Vernunft erfordert. Und außerdem macht sich Stolz im höchsten Grade bemerkbar durch das Halten von großer Dienerschaft, welche nutzlos und überflüssig und insbesondere, wenn sie verbrecherisch und dem Volke lästig ist durch die Unverschämtheit hoher Herrschaft oder im Wege ihres Amtes; denn, sicherlich solche Herren verkaufen ihre Herrlichkeit dem Teufel in der Hölle, indem sie die Schlechtigkeit ihrer Dienerschaft begünstigen. Oder auch sonst, wenn Leute von niedrigem Stande, welche Wirthschaften halten, das Uebervortheilen ihrer Gäste dulden, wie solches auf verschiedene Weise geschieht. Solche Art Leute sind wie Fliegen, die dem Honig, oder wie Hunde, die dem Aas folgen. Solche Art Leute erdrosseln geistig ihre Herrschaft, weßhalb David, der Prophet, in dieser Weise spricht: Schlimmer Tod soll solche Herren treffen und Gott gebe, daß sie insgesammt zur Hölle fahren mögen, denn in ihren Häusern wohnt Ungerechtigkeit und Verworfenheit, aber nicht der Herrgott im Himmel! Und fürwahr, wie Gott dem Laban Segen gab durch den Dienst des Jakob, und dem Pharaoh durch den Dienst des Joseph, so wird er auch solchen Herrschaften seinen Fluch geben, wenn sie die Schlechtigkeiten ihrer Diener unterstützen und nicht zur Besserung gelangen. Auch bei der Tafel zeigt sich der Stolz sehr oft, indem reiche Leute zum Essen geladen und die armen zurückgewiesen und fortgescholten werden, und gleichfalls in dem Ueberfluß an verschiedenen Speisen und Getränken und namentlich in solchen gebackenen Schüsseln und Gerichten, welche in wildem Feuer brennen, und gemalt und mit Papier eingefaßt sind, und in ähnlicher Verschwendung, so daß es ein Vorwurf ist, nur daran zu denken. Auch in der großen Kostbarkeit der Geräthe und in der Künstelei von Minnesängern, durch welche man zu den Lüsten der Ueppigkeit noch mehr gereizt wird, liegt Sünde, [273] insofern sich dadurch das Herz weniger auf unsern Herrn Jesus Christus richtet, und wahrlich die Lust daran mag in diesem Falle so groß sein, daß man durch dieselbe leicht eine Todsünde begehen kann. Die Sündenarten, welche dem Stolze entquellen und daraus entspringen, besonders wenn sie aus bedachter, überlegter und vorher geplanter Bosheit entstehen, sind zweifelsohne Todsünden. Und wenn sie aus unüberlegter Schwachheit plötzlich entspringen und rasch wieder schwinden, so sind sie zwar sehr schwere, aber – wie ich denke – keine Todsünden. Nun möchte man fragen, woher jener Stolz entspringt und quellt? Ich sage, daß er bisweilen seinen Grund hat in den Gütern der Natur, bisweilen in den Gütern des Glücks, bisweilen in den Gütern der Gnade. Gewiß, die Güter der Natur bestehen aus den Gütern des Körpers oder den Gütern der Seele. Die Güter des Körpers sind sicherlich: Gesundheit des Leibes, Kraft, Gewandtheit, Schönheit, vornehme Abkunft und Freiheit. Die Güter der Natur in Bezug auf die Seele sind: guter Witz, scharfer Verstand, geschickte Kunstfertigkeit, natürliche Tugend, gutes Gedächtniß. Die Güter des Glücks sind: Reichthümer, hoher Stand der Herrschaft und Ruhm vor dem Volke. Güter der Gnade sind: Wissenschaft, Kraft geistige Anstrengung zu ertragen, Wohlwollen, tugendhafte Beschaulichkeit, Widerstand gegen Versuchung und ähnliche Sachen, von welchen genannten Gütern allen es aber sicherlich eine große Thorheit wäre, wenn sich der Mensch irgend eines derselben rühmen wollte. Um nun von den Gütern der Natur zu sprechen, so besitzen wir sie, weiß Gott, in unserer Natur bisweilen ebenso sehr zu unserm Schaden wie zu unserm Nutzen. Reden wir von der Gesundheit des Körpers, so geht sie wahrhaftig leicht vorüber und ist auch sehr häufig die Ursache von Krankheiten unserer Seele, denn Gott weiß, das Fleisch ist ein großer Feind der Seele, und jemehr daher der Körper gesund ist, in desto größerer Gefahr sind wir, zu fallen. Auch auf Körperkraft stolz zu sein, ist Thorheit, denn gewiß das Fleisch gelüstet wider den Geist, und je stärker das Fleisch ist, um so elender mag es um die Seele stehen, und Manchem verursacht überdem diese Körperkraft und weltliche Rüstigkeit sehr häufig Gefahr und Unglück. Auch stolz auf vornehme Abkunft zu sein, ist eine sehr große Thorheit, denn oftmals schließt der Adel des Körpers den Adel der Seele aus, und wir alle sind von einem Vater und einer Mutter und sämmtlich verrotteter und verfaulter Natur, sowohl reich als arm. Dagegen ist eine Art von [274] Adel zu preisen, welche den Muth des Menschen mit Tugend und Sittlichkeit ausrüstet und ihm zum Kinde Christi macht, denn darauf könnt Ihr Euch verlassen, über wen Sünde die Meisterschaft hat, der ist nur ein ganz gemeiner Knecht der Sünde.
Nun giebt es allgemeine Kennzeichen des Adels, wie Enthaltung von Laster und Unzucht und Sündenknechtschaft in Wort und Werk und Haltung, und wie die Uebung von Tugend, Höflichkeit, Reinlichkeit und freigebig zu sein, das heißt: mit Maß zu schenken; denn, was über das Maß hinausgeht, ist Thorheit und Sünde. Ein anderes ist, sich der Wohlthaten zu erinnern, welche man von andern empfangen hat; ein anderes, gegen seine Untergebenen freundlich zu sein; weßhalb Seneka sagt: Nichts ist für einen Mann von hohem Rang so ziemlich, wie die Bescheidenheit und wie das Mitleid; und wenn die Fliegen, so man Bienen nennt, sich einen König geben, so wählen sie sich einen aus, der keinen Stachel hat, mit dem er stechen kann. Ein anderes ist, ein edles und eifriges Herz zu haben, um der Tugend nachzustreben. Nun, wahrlich, stolz auf die Güter der Gnade zu sein, ist ebenfalls eine außerordentliche Thorheit, denn diese Gnadengüter, welche uns zur Besserung und zur Arznei gereichen sollten, verwandeln sich alsdann in Gift und in Verderben, wie St. Gregorius sagt. Fürwahr, auch der, welcher Stolz auf die Güter des Glücks besitzt, ist ein großer Thor, denn Mancher ist ein großer Herr am Morgen und ein elender Wicht, bevor es Nacht geworden ist; und oftmals ist der Reichthum der Grund vom Tode eines Menschen, und oftmals liegt im Vergnügen eines Menschen die Ursache von schwerer Krankheit, an welcher er stirbt. Und sicherlich das Lob des Volkes ist zu falsch und zu zerbrechlich, um darauf zu bauen, denn heute preisen sie und morgen tadeln sie. Gott weiß, das Lob des Volkes zu haben, hat manchen thätigen Mann schon in den Tod geführt.
Da Ihr nunmehr also verstanden habt, was Stolz ist, und welches die Gattungen desselben sind, und woher Menschenstolz kommt und entspringt, so sollt Ihr jetzt verstehen lernen, was das Mittel dagegen ist. – Demuth oder Ergebung ist das Mittel gegen den Stolz. Diese ist eine Tugend, durch welche der Mensch wahre Selbsterkenntniß erlangt und sich nicht für etwas Besonderes oder Vorzügliches hält in Bezug auf sein Verdienst, sondern stets seiner Schwachheit eingedenk [275] ist. Nun giebt es drei Arten von Demuth: eine Demuth des Herzens, eine andere des Mundes und eine dritte der Werke. Die Demuth des Herzens ist vierfacher Art; die eine ist: wenn der Mensch sich selbst für unwerth vor Gott im Himmel hält; die zweite ist: wenn er keinen andern Menschen geringschätzt; die dritte ist: wenn er sich nicht daran stößt, daß die Menschen ihn für unwürdig halten; und die vierte ist: wenn er sich seiner Erniedrigung nicht schämt. Ebenso besteht Demuth des Mundes in vier Stücken; in mäßigem Sprechen, in demüthigem Sprechen, und wenn man mit eigenem Munde bekennt, daß man das ist, wofür man sich im Herzen hält, und fernerweit, wenn man die guten Eigenschaften Anderer schätzt und nichts davon verkleinert. Auch die Demuth der Werke ist viererlei Art. Die erste ist, wenn man andere Leute höher stellt, als sich selbst; die zweite ist, den niedrigsten Platz von allen zu wählen; die dritte ist, guten Rath freudig anzunehmen; die vierte ist, sich unter das Urtheil seines Oberherrn willig zu fügen oder von denen, so höher gestellt sind; gewiß dies ist ein großes Werk der Demuth.
Nach dem Stolze will ich von dem garstigen Laster des Neides sprechen, welche nach den Worten desPhilosophen Verdruß über das Wohlergehen anderer Leute ist, und nach den Worten des heiligen Augustinus Verdruß über das Wohl und Freude über den Harm von Anderen. Diese garstige Sünde ist geradezu wider den heiligen Geist. Zwar ist jede Sünde wider den heiligen Geist, aber grade so, wie alles Gute eigentlich dem heiligen Geiste angehört, und aus der Bosheit der Neid entspringt, so ist der letztere recht eigentlich der Gnadenfülle des heiligen Geistes zuwider. Nun zerfällt die Bosheit in zwei Arten, das heißt: in die Verwegenheit des Herzens zum Bösen, oder darin, daß das Fleisch des Menschen so blind ist, daß er nicht bedenkt oder nicht glaubt, daß er in Sünde sei, welches die Verwegenheit des Teufels ist. Eine andere Sorte von Neid ist, wenn ein Mensch der Wahrheit widerstreitet, obwohl er weiß, daß es Wahrheit ist; und auch, wer der Gnade Gottes widerstreitet, welche Gott seinem Nächsten geschenkt hat; und alles dies geschieht durch Neid. Gewißlich, dann ist Neid die schlimmste Sünde, die es giebt, denn, wahrlich, alle andern Sünden widerstreiten nur meistens einer besonderen Tugend, aber Neid sicherlich jeder Art von Tugenden und Trefflichkeiten; denn der [276] Neidhart ist betrübt über alle gute Eigenschaften seiner Nachbarn. Und in dieser Art ist Neid von allen andern Sünden verschieden; denn kaum giebt es eine Sünde, in welcher nicht irgendwie Genuß liegt, nur den Neid ausgenommen, welcher stets nur Qual und Verdruß in sich trägt. Die Unterabtheilungen des Neides sind folgende. Da ist zunächst der Aerger über die Trefflichkeit anderer Menschen und über ihr Wohlergehn, und da diese natürliche Veranlassungen zur Freude sein sollten, so ist der Neid eine Sünde gegen die Natur. Die zweite Art von Neid ist Freude über anderer Leute Unglück; und das gleicht ganz eigentlich dem Teufel, der stets über alles Unglück des Menschen frohlockt. Aus diesen beiden Arten kommt Verläumdung, und diese Sünde der Verläumdung oder der Verkleinerung zerfällt wiederum in gewisse Sorten, z.B. Jemand lobt seinen Nachbar aus schlechter Absicht, denn er macht zum Schlusse einen bösen Knoten; immer setzt er ein »aber« am Ende hinzu, das mehr Tadel in sich schließt, als all sein Loben werth ist. Die zweite Art ist, wenn durch Verläumdung bei einem guten Menschen oder bei einer Sache, die in guter Absicht gesprochen oder ausgeführt wird, in böser Absicht alles Gute verdreht und auf den Kopf gestellt wird. Die dritte ist die Vorzüge des Nächsten zu verkleinern. Die vierte Gattung von Verläumdung ist diese: daß der Verläumder sagt, wenn Jemand von der Vortrefflichkeit eines Mannes spricht: Traun! der und der ist dennoch besser als er, indem er den heruntermacht, den Andre preisen. Die fünfte Art ist die: mit Wohlgefallen das Schlimme anzuhören, welches von andern Leuten gesprochen wird. Dieses ist eine sehr große Sünde, und wird noch durch die böse Absicht des Verläumders schlimmer. Nach Verläumdung kommt das Mißvergnügen und das Murren und dies entspringt aus Ungeduld bisweilen gegen Gott, bisweilen gegen Menschen. Gegen Gott, wenn man über die Qualen der Hölle oder über Armuth und Verlust an Gut und über Sturm und Regen murrt; oder mißvergnügt ist, daß böse Menschen Glück und gute Unglück haben; denn alle diese Dinge soll der Mensch geduldig tragen, weil sie aus der Weisheit und Bestimmung Gottes hergekommen sind. Zuweilen hat das Murren seinen Grund in Habsucht, wie beiJudas über Magdalene, als sie mit ihrer kostbaren Salbe das Haupt unseres Herrn Jesus Christus ölte. Solch' eine Art von Murren ist auch, wenn Jemand Mißvergnügen hat über das Gute, welches er selber thut, oder welches andre Leute aus ihrem eignen [277] Mitteln thun. Bisweilen kommt das Murren aus Stolz, wie zum Beispiel Simon, der Pharisäer, über die Magdalene murrte, als sie sich Jesus Christus nahte und zu seinen Füßen über ihre Sünde weinte; und zuweilen entspringt es aus Neid, wenn Leute das Schlechte von einem Manne aufdecken, was verborgen war; oder auch wenn man Jemandem durch falsche Mittheilungen zu schaden sucht. Murren findet auch oft bei Dienstboten statt, die ungehalten sind, wenn ihre Herrschaft ihnen das zu thun heißen, was ihnen obliegt; und da sie nicht öffentlich dem Befehle ihrer Herrschaften zu widersprechen wagen, so wollen sie dennoch übel sprechen und verdrießlich sein und heimlich murren, was sie des Teufels pater noster nennen; und wenn der Teufel freilich auch kein pater noster hat, so giebt doch das gemeine Volk der Sache diesen Namen. Bisweilen kommt das Mißvergnügen aus Zorn oder aus heimlichen Haß, wodurch Groll im Herzen genährt wird, wie ich später erklären werde. Dann kommt Bitterkeit im Herzen, durch welche jede gute That des Nächsten bitter und unschmackhaft erscheint. Dann kommt Zwietracht, welche alle Arten von Freundschaftsbanden löst. Dann kommt Verspottung des Nächsten, so viel Gutes er auch thun mag. Dann kommt Anschwärzen, indem ein Mensch nach der Gelegenheit sucht, seinen Nächsten zu kränken; welches der Verschlagenheit des Teufels gleicht, welcher Tag und Nacht wartet, um uns alle zu verschwärzen. Dann kommt Heimtücke, durch welche ein Mensch seinem Nächsten heimlich zu schaden trachtet; und wenn er es nicht vermag, so bleibt die böse Absicht, zum Beispiel sein Haus heimlich anzuzünden, oder ihn zu vergiften, oder sein Bieh zu tödten, oder ähnliche Sachen.
Nun will ich über das Mittel wider diese garstige Sünde des Neides sprechen. Das fürnehmlichste ist: Gott über Alles zu lieben und seinen Nächsten wie sich selbst; denn, fürwahr, das eine kann nicht ohne das andere bestehen. Und verlaß Dich darauf, daß Du Deinen Nächsten als Deinen Bruder ansehen mußt; denn wir haben gewißlich alle einen Vater und eine Mutter dem Fleische nach, nämlich Adam undEva, und ebenso einen geistlichen Vater, nämlich Gott im Himmel. Deinen Nächsten bist Du verpflichtet zu lieben und ihm alles Gute zu wünschen, und daher sagt Gott: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst, das heißt, um der Erhaltung des Leibes und der Seele willen. Und außerdem sollst du ihn lieben durch Worte und [278] durch gütige Ermahnungen, durch Züchtigung und durch Trost in seinen Nöthen, und du sollst für ihn von ganzem Herzen beten. Und durch die That sollst du ihn so lieben, daß du ihm Barmherzigkeit erweist, wie du es wünschst, daß sie dir selber erwiesen werde; und deßhalb sollst du ihm keinen Schaden zufügen, noch böse Worte wider ihn reden, noch Nachtheil an seinem Leibe, seinen Gütern und seiner Seele thun durch verführerisches und böses Beispiel. Du sollst nicht begehren sein Weib, noch alles, was sein ist. Verstehe gleichfalls, daß unter dem Namen deines Nächsten auch dein Feind mit inbegriffen ist. Gewiß, man soll seinen Feind nach dem Gebote Gottes lieben und wahrlich in Gott sollst du deinen Freund lieben. Ich sage, deinen Feind sollst du um Gottes willen lieben nach seinem Gebote; denn wenn es der Vernunft entspräche, seinen Feind zu hassen, so würde zuverlässig auch Gott nicht uns, als seine Feinde, zu seiner Liebe zugelassen haben. Der Mensch soll gegen die drei verschiedenen Uebel, die ihm sein Feind zufügt, drei Sachen thun, wie folgt: gegen Haß und Groll im Herzen soll er ihn von Herzen lieben; gegen Schmälen und böse Worte soll er für seinen Feind beten; gegen schlechte Handlungen seines Feindes soll er ihm Gutes erweisen. Denn Christus sagt: Liebet eure Feinde, segnet, die euch fluchen und verjagen und verfolgen, und thut Gutes denen, so euch hassen. Seht! so befiehlt unser Herr Jesus Christus, unsern Feinden zu thun. Fürwahr, die Natur treibt uns, unsere Freunde zu lieben, und, meiner Treu, unsere Feinde bedürfen unserer Liebe mehr, als unsere Freunde; und, sicherlich, Denen, die bedürftiger sind, sollte man auch mehr Gutes erweisen. Und, fürwahr, so zu thun ermahnt uns die Liebe Jesu Christi, der für seine Feinde starb; und je schwerer solche Liebe zu erfüllen ist, um so größer ist das Verdienst, und deßhalb wird durch die Liebe gegen unsere Feinde das Gift des Teufels überwunden. Denn, so wie der Teufel durch Demuth bezwungen wird, so wird er auch zu Tode getroffen durch die Liebe gegen unsere Feinde; dann ist aber zuverlässig Liebe die Arznei, welche das Gift des Neides aus dem Herzen des Menschen hinausschafft.
Nach dem Neide will ich die Sünde des Zorns erklären: denn, wahrlich, wer Neid gegen seinen Nachbar hegt, wird meistens bald Grund zum Zorn in Wort oder That gegen den finden, welchen er beneidet. Und ebensowohl entspringt Zorn aus Stolz als aus Neid,[279] denn, sicherlich, wer stolz und neidisch ist, wird auch leicht zornig. Die Sünde des Zorns ist nach der Erklärung von St. Augustin der böse Wunsch, sich durch Wort oder That zu rächen. Zorn ist nach demPhilosophen das siedende Blut, welches im Herzen des Menschen wallt, wodurch er demjenigen zu schaden trachtet, welchen er haßt; denn, fürwahr, das Herz des Menschen wird durch die Erhitzung und Wallung seines Blutes so unruhig, daß er jede Art von Urtheil verliert. Aber Ihr sollt verstehen, daß Zorn zwei Arten hat, von denen die eine gut, die andere böse ist. Der gute Zorn kommt aus der Eifersucht der Tugend, indem der Mensch zornig wird über die Schlechtigkeit und gegen die Schlechtigkeit; und deßhalb sagt der Weise, daß Zorn besser sei, denn Spaß. Dieser Zorn ist sanftmüthig und ist Ingrimm ohne Bitterkeit; nicht Ingrimm gegen den Menschen, sondern Ingrimm über die Uebelthat des Menschen, wie der Prophet David sagt: Irascimini et nolite peccare. Nun versteht, daß der böse Zorn zweierlei Art hat, nämlich plötzlichen Zorn oder Jähzorn ohne den Beirath und die Einwilligung der Vernunft. Die Meinung und der Sinn hiervon ist, daß die Vernunft des Menschen diesem Zorn nicht beistimmt, und dann ist es läßliche Sünde. Einen anderen, höchst bösen Zorn giebt es, welcher aus Boshaftigkeit des Herzens kommt und vorher überlegt und ausgeplant ist mit dem bösen Wunsche, sich zu rächen, unter Beistimmung der Vernunft, und, wahrlich, dieser ist Todsünde. Dieser Zorn ist Gott so mißfällig, weil er die Ordnung seines Hauses stört und den heiligen Geist aus der Seele des Menschen hinaustreibt und dieses Ebenbild Gottes schändet und vernichtet, und das will sagen: die Tugend der Menschenseele, und dafür das Ebenbild des Teufels an die Stelle setzt und den Menschen von Gott, seinem rechtmäßigen Herrn, entfremdet. Dieser Zorn ist das höchste Frohlocken des Teufels, denn er ist des Teufels Glühofen, den er mit dem Feuer der Hölle heizt. Denn, sicherlich, wie Feuer mächtiger ist, irdische Dinge zu zerstören, als irgend ein anderes Element, ebenso ist Zorn auch mächtig, alle geistlichen Dinge zu zerstören. Seht! wie das Feuer winziger Kohlenreste, das beinahe todt unter der Asche ruhte, wieder auflebt, sobald man es mit Schwefel berührt, grade so wird Zorn auch immer wieder lebendig, wenn er vom Stolze berührt wird, welcher im Herzen des Menschen wohnt. Denn, fürwahr, Feuer kann aus keiner Materie entstehen, wenn es nicht von Natur bereits in derselben ruht wie Feuer aus dem Kiesel mit Stahl gezogen wird. [280] Und wie der Stolz häufig die Mutter des Zorns ist, so ist Groll der Pfleger und Wärter des Zorns. Es giebt eine Art Baum – wie St. Isidorus sagt – welcher, wenn man ein Feuer aus demselben macht und die Kohlen dann mit Asche bedeckt, über ein Jahr und länger brennt, und grade so geht es mit dem Groll; wenn er einmal im Herzen der Leute empfangen ist, dann wird er zweifellos auch vielleicht von einem Ostertage bis zum andern Ostertage oder noch länger währen. Aber gewiß, solch ein Mensch ist während dieser Zeit gewaltig weit von der Gnade Gottes entfernt. In diesem genannten Glühofen des Teufels schmieden drei Bösewichter. Stolz, ja, der bläst und vermehrt das Feuer durch Schelten und böse Worte. Daneben stehtNeid und hält das heiße Eisen auf das Herz des Menschen mit den langen Zangen des langgenährten Grolls, und daneben steht die Sünde des Hohnes, des Streites und des Zankes und hämmert und schmiedet durch boshafte Beschuldigungen. Wahrlich, diese verfluchte Sünde schadet sowohl dem Menschen selbst als auch seinem Nächsten. Denn, gewißlich, beinahe aller Harm und aller Schaden, welcher ein Mensch seinem Nächsten zufügt, kommt aus Ingrimm; denn, fürwahr, unbezähmter Grimm thut alles, was der schändliche Feind nur irgend will oder ihm befiehlt, denn er verschont selbst um Christi willen nicht seiner eigenen liebenden Mutter, und in seinem übermäßigen Aerger und Zorn – o weh! o weh! – vergeht sich dann Mancher in seinem Herzen gegen Christus und nicht minder gegen alle seine Heiligen! Ist das nicht ein verfluchtes Laster? – Ja, gewiß! – Ach es beraubt den Menschen des Verstandes und der Vernunft und seines ganzen demüthigen geistlichen Lebens, welches seine Seele erhalten sollte. Gewiß, es beraubt ihn auch der Gott schuldigen Herrschaft, und das ist seine Seele, und der Liebe seines Nächsten; es streitet auch Tag für Tag wider die Wahrheit; es raubt ihm die Ruhe des Herzens und verkehrt seine Seele. Aus dem Zorn kommen diese stinkenden Sproßen: zunächst Haß oder veralteter Groll; Zwietracht, welche den Menschen seinen alten Freund verlassen macht, den er so lange geliebt hatte; und dann kommt Hader und jede Art von Unrecht, welche ein Mensch gegen seines Nächsten Leib oder Gut verübt. Aus dieser verfluchten Sünde entsteht auch Todtschlag; und versteht es wohl, dieser Mord oder Todtschlag ist verschiedener Art. Der eine ist geistiger, der andere körperlicher Beschaffenheit. Geistiger Mord entspringt aus sechs Sachen. Erstens aus Haß; wie St. Johannes [281] sagt: Wer seinen Bruder haßt, ist ein Mörder. Mord geschieht auch durch Verläumdung, von welchen Verläumdern Salamo sagt: daß sie zwei Schwerter haben, mit denen sie ihren Nächsten erschlagen; denn, gewiß, es ist ebenso schlimm, Jemandem seinen guten Namen zu nehmen, als sein Leben. Mord geschieht auch durch bösen, betrüglichen Rathschlag, wodurch zu schlechten Sitten und Geschwätz aufgemuntert wird; und gleich wie Salamo sagt: Ein brüllender Löwe und ein hungriger Bär gleichen grausamen Herrn; auch ferner durch Entziehen oder Verkürzen des Lohnes oder der Besoldung der Diener, oder sonst noch durch Wucher oder durch Zurückhalten der Almosen an die Armen. Weßwegen der Weise sagt: Speise den, welcher dem Hugertode nahe ist, denn speisest du ihn nicht, so ermordest du ihn in Wahrheit. Und alles dieses ist Todsünde. Körperlicher Todtschlag ist, wenn du Jemanden mit der Zunge oder auf andere Weise umbringst, und zum Beispiel einem Andern befiehlst, oder räthst, Jemanden zu tödten. Thatsächlicher Todtschlag geschieht auf vier verschiedene Weisen. Der eine durch Gesetz, indem ein Richter nämlich den Schuldigen zum Tode verurtheilt; aber möge der Richter sich wohl vorsehen, daß er es rechtmäßig thue, nicht aus Vergnügen, Blut zu vergießen, sondern um Gerechtigkeit aufrecht zu erhalten. Ein anderer Todtschlag geschieht aus Nothwendigkeit, wenn nämlich ein Mann zu seiner Selbstvertheidigung einen andern erschlägt, weil er in keiner anderen Weise dem Tode entrinnen kann; aber gewiß, wenn er ohne den Todtschlag seines Gegners entkommen kann, so thut er Sünde und soll dafür wie für eine Todsünde büßen. Und ebenso, wenn Jemand zum Zeitvertreib oder durch Zufall einen Pfeil abschießt, oder mit einem Steine wirft, durch welchen er einen Menschen tödtet, so ist er ein Mörder. Und wenn ein Weib aus Nachlässigkeit ihr Kind im Schlafe erdrückt, so ist dies Mord und Todsünde. Auch wenn Jemand die Empfängniß eines Kindes verhindert, oder ein Weib durch Getränke aus giftigen Kräutern unfruchtbar macht, daß sie nicht empfangen kann, oder wenn er durch solche Tränke ihr Kind tödtet, oder wenn er gewisse Sachen in ihre Schamtheile steckt, dieses Kind umzubringen, oder wenn er unnatürliche Sünde thut, durch welche ein Mann oder Weib die Natur schädigen, indem ein Kind nicht empfangen werden kann; oder ferner, wenn ein Weib, das empfangen hat, sich selbst verletzt und durch solchen Unfall ihr Kind tödtet, so ist es Mord. Was sagen wir von den Frauen, welche ihr Kind aus Furcht vor weltlicher Schande tödten? [282] Gewiß, das ist schauderhafter Mord! Auch wenn Jemand einem Weibe beiwohnt aus sinnlicher Lust, durch welche ihr Kind zu Grunde geht, oder wer wissentlich ein Weib so schlägt, daß sie dadurch ihr Kind verliert, alles dieses ist Mord und grauenvolle Todsünde.
Doch es kommen durch Zorn noch weit mehr Sünden, sowohl in Worten und Gedanken, als in der That. Zum Beispiel, wenn Jemand eine Sache, deren er sich schuldig macht, auf Gott schiebt, oder Gott darüber tadelt, oder Gott und alle seine Heiligen verachtet, wie die verfluchten Hasardspieler in manchen Gegenden thun. Diese verfluchte Sünde begehen die, so in ihrem Herzen schlecht von Gott und seinen Heiligen denken, oder das Sakrament des Altars unehrerbietig behandeln; solche Sünde ist so groß, daß sie nie getilgt werden könnte, wenn nicht die Gnade Gottes in ihrer Größe und Gütigkeit über alle seine Werke hinaus ginge. Dann entspringt auch aus Zorn der Aerger über die Reue; wenn ein Mensch in seiner Beichte scharf ermahnt wird, von seinen Sünden zu lassen, dann will er ärgerlich werden und verdrossen und verdrießlich antworten und seine Sünde durch die Schwachheit des Fleisches vertheidigen oder entschuldigen; er habe es der Gesellschaft seiner Genossen wegen gethan, oder der Teufel habe ihn verlockt, oder er habe aus Jugendmuth es gethan, oder seine Constitution sei so kräftig, daß er es nicht helfen könne; oder sagt, es sei seine Bestimmung bis zu einem gewissen Alter; oder er sagt, es sei ihm durch den Adel seiner Ahnen überkommen und ähnliche Sachen.
Alle diese Art Leute wickeln sich so in ihre Sünden ein, daß sie sich von denselben nicht losmachen mögen; denn sicherlich, Niemand, der sich wegen seiner Sünden eigensinnig ausredet, kann sich von denselben eher losmachen, als bis er sie demüthig eingesteht. Nach diesem kommt Schwören, welches ausdrücklich wider das Gebot Gottes ist; und das entsteht oft durch Aerger und Zorn. Gott sagt: Du sollst den Namen deines Herrn nicht mißbrauchen! Auch unser Herr Jesus Christus sagt durch das Wort des heiligenMatthäus: Ihr sollt allerdinge nicht schwören; weder bei dem Himmel, denn er ist Gottes Stuhl; noch bei der Erde, denn sie ist seiner Füße Schemel; noch bei Jerusalem, denn sie ist eines großen Königs Stadt; noch bei deinem Haupt, denn du vermagst nicht, ein einziges Haar weiß oder schwarz zu machen; dagegen sagt er: aber eure Rede sei: Ja, ja; nein, nein; was darüber ist, das ist vom Uebel. So spricht Christus. – Um Christi willen schwört nicht so sündhaft bei Seele,[283] Herz, Knochen und Körper, indem ihr Christ zergliedert; als ob die verfluchten Juden es noch nicht genug gethan hätten, sondern Ihr ihn noch mehr zergliedern müßtet. Und wenn Euch auch das Gesetz zwingt, zu schwören, so richtet Euch bei Eurem Schwur nach dem Gebote Gottes, denn – wie Jeremias sagt: Du mußt drei Bedingungen erfüllen; du mußt nach der Wahrheit, vor dem Gerichte und mit Rechtschaffenheit schwören. Das heißt: du sollst wahr schwören, denn jede Lüge ist Christ zuwider; denn Christus ist die Wahrheit selbst; und bedenke wohl, daß von dem Hause des großen Schwörers, der nicht gesetzlich dazu gezwungen ist, die Plage nicht weichen soll, so lange er unnützer Weise schwört. Du sollst auch vor Gericht schwören, wenn du vom Richter dazu gezwungen wirst, die Wahrheit zu bezeugen. Ebenso sollst du nicht aus Neid, noch aus Gunst, noch für Gaben schwören, sondern nur aus Rechtschaffenheit und um die Wahrheit zur Ehre und Anbetung Gottes zu erklären, und zur Hülfe und Unterstützung deines Mitbruders in Christo. Und Jeder, welcher daher den Namen Gottes unnütz gebraucht, oder mit seinem Munde falsch schwört, oder sich nach Christi Namen einen Christenmenschen nennt, aber dem Beispiele und der Lehre Christi zuwider lebt, alle diese Leute mißbrauchen den Namen Gottes. Seht auch, was St. Peter sagt: Actuum IV: Non est aliud nomen sub coelo etc. Es ist kein anderer Name – sagt St. Peter – unter dem Himmel den Menschen gegeben, darinnen sie sollen selig werden, als nämlich der Name Jesus Christus. Beachte auch, wie kostbar der Name Jesu Christi ist, wie St. Paul sagt ad Philipenses II: In nomine Jesu etc., daß in den Namen Jesu sich beugen sollen alle derer Kniee, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind; denn er ist so hoch und verehrungswürdig, daß der verfluchte Feind in der Hölle zittern soll, wenn er ihn nennen hört. Dann scheint es, daß die Leute, welche so gräulich bei diesem gesegneten Namen schwören, ihn frecher verachten als die verfluchten Juden thaten oder der Teufel, wenn er seinen Namen hört.
Nun, wahrlich, da Schwören, ausgenommen, wenn es gesetzmäßig geschieht, so strenge verboten ist, wie viel schlimmer ist es alsdann, falsch oder nutzlos zu schwören?
Was sagen wir von Denen, welche in Schwören ihr Vergnügen finden und es für einen adeligen Zeitvertreib oder für eine männliche That halten, starke Eide zu schwören? Und was von Denen, die aus Gewohnheit nicht aufhören starke Eide zu schwören, obschon der Grund [284] keinen Strohhalmen werth ist? Gewiß, dies ist grauenhafte Sünde. Auch rasches und unbedachtes Schwören ist große Sünde. Aber laßt uns nun auf das erschreckliche Beschwören bei den Zauberformeln und Besprechungen kommen, wie diese falschen Hexenmeister und Schwarzkünstler in mit Wasser gefüllten Becken oder auf blanke Schwerter, oder im Kreise, oder vor dem Feuer, oder auf das Schulterblatt eines Schafes betreiben. Ich kann nur sagen, daß sie höchst verdammungswürdig und lästerlich gegen Christ und allen Glauben der heiligen Kirche handeln. Was sagen wir von Denen, so an Vorbedeutungen glauben, wie an den Flug oder das Geschrei von Vögeln oder andern Thieren, oder an die Geomancie, an Träume, an Thürenknarren und Wändekrachen, an Rattennagen und an derart elendes Zeug? Gewiß, alle diese Sachen sind von Gott und durch die heilige Kirche verboten, und daher sind auch die, so an solchen Dreck glauben, verflucht, bis sie zur Besserung gelangen. Wenn Zaubersprüche bei Wunden oder bei Krankheiten von Menschen und Vieh Erfolg haben, so mag es sein, daß Gott es vielleicht duldet, damit die Leute mehr Glauben zu ihm haben und mehr Ehrfurcht vor seinem Namen hegen sollen.
Nun will ich über Lügen sprechen, welches im Allgemeinen eine falsche Meinung der gesprochenen Worte ist, in der Absicht unsere Mitchristen zu betrügen. Es giebt eine Art Lügen, durch welches für Niemand ein Vortheil entsteht, und andere gewähren dem Menschen Vortheil und Nutzen und gereichen anderen zum Schaden. Einige Lügen werden gesagt, um das Leben oder die Habe zu retten. Andere Lügen kommen aus der Lust am Lügen, da manche Leute Vergnügen daran finden, denn sie wollen eine lange Geschichte schmieden und sie mit aller Umständlichkeit ausmalen, obschon die ganze Grundlage der Geschichte falsch ist. Einige Lügen kommen daher, weil man das einmal Gesagte aufrecht erhalten will, und einige kommen aus Leichtsinn ohne Nachdenken und aus ähnlichen Ursachen.
Laßt uns nun das Laster der Schmeichelei berühren, welches nicht in Wohlwollen, sondern in Furcht und Neid seinen Grund hat. Schmeicheln ist im Allgemeinen ungerechtfertigtes Lob. Schmeichler sind Teufelsammen, welche ihre Kinder mit der Milch der Süßigkeit nähren. Fürwahr, Salamo sagt, daß Schmeichelei schlimmer ist, als Verkleinerung; denn letztere kann bisweilen einen hochmüthigen Menschen demüthig machen, denn er fürchtet Erniedrigung, aber sicherlich, Schmeichelei bläht das Herz und das Benehmen des Menschen auf. [285] Schmeichler sind des Teufels Hexenmeister, denn sie machen dem Menschen weiß, daß er dem gliche, dem er nicht gleicht. Sie sind gleich Judas, welcher Gott verrieth; und diese Schmeichler verrathen den Menschen, um ihm seinem Feinde, das heißt, dem Teufel zu verkaufen. Schmeichler sind des Teufels Caplane, welche immer »Placebo« singen. Ich zähle die Schmeichelei den Lastern des Zornes bei, weil ein Mensch, welcher gegen einen andern aufgebracht ist, dritten Personen schmeicheln will, damit sie ihn in seinem Streit unterstützen.
Sprechen wir nun von solchem Fluchen, welches aus ingrimmigem Herzen kommt. So kann man im Allgemeinen jede Art von Verwünschung nennen. Solches Fluchen beraubt den Menschen des Himmelreiches, wie St. Paul sagt. Und oftmals fällt solches lästerliche Fluchen auf den zurück, welcher flucht; wie ein Vogel zu seinem eigenen Neste zurückkehrt. Und vor Allem sollte der Mensch, soweit er irgend vermag, vermeiden, die eigenen Kinder zu verfluchen und dem Teufel seine Nachkommenschaft zu übergeben; gewißlich, dies ist eine große Gefahr und eine große Sünde.
Laßt uns darauf von Keifen und Schimpfen sprechen, welche tiefe Wunden dem Menschenherzen schlagen, denn sie reuten den Samen der Freundschaft im Menschenherzen wieder aus. Denn öffentlich Jemanden geschmäht, geschimpft und verlästert zu haben, wenn man sich nicht hinterher wieder vollkommen mit ihm aussöhnt, ist sicherlich eine große, gräßliche Sünde, wie Christus im Evangelium sagt. Und nun gebt Acht, wie der, welcher seinen Nächsten schimpft, ihn entweder verlästert wegen eines Leidens, welches er am Körper hat, wie: »Aussätziger, buckliger Kerl!« oder wegen einer Sünde, welche er thut. Nun, wenn er ihn wegen eines schmerzlichen Leidens schimpft, so lenkt sich sein Schimpfen gegen Jesus Christ; denn Leiden wird uns durch den rechtmäßigen Willen Gottes und unter seiner Zulassung gesandt, sei es Aussatz oder Lahmheit oder Krankheit. Und, wenn man Jemanden unbarmherzig wegen seiner Sünden schilt, wie: Hurenbold, besoffener Kerl und so weiter, so gehört solches zur Ergötzlichkeit des Teufels, welcher sich immer freut, wenn Menschen Sünde thun. Doch gewiß, Schimpfen kann nur aus schlechtem Herzen kommen, denn nach der Fülle des Herzens spricht der Mund gar häufig. Und wenn Ihr nur ein wenig Acht gebt, werdet Ihr sehen, daß Jemand, welcher einen Andern strafen will, sich hüten müsse vor Keifen und Schimpfen; denn, gewiß, wer sich nicht in Acht nimmt, mag leicht das Feuer des Zornes und [286] Aergers schüren, anstatt es auszulöschen, und mag den vielleicht tödten, welchen er in Güte hätte strafen können. Denn Salamo sagt: Die freundliche Zunge ist der Baum des Lebens, das heißt, des geistigen Lebens. Und, fürwahr, eine liederliche Zunge tödtet den Geist Dessen, der schimpft, sowie Desjenigen, der geschimpft wird. Seht! wie St. Augustin sagt: Niemand gleicht so sehr einem Kinde des Teufels, als Derjenige, welcher häufig schimpft! Ein Diener Gottes sollte nicht schimpfen. – Und wie Schimpfen eine böse Sache bei jeder Art von Leuten ist, so ist es sicherlich am ungeziemendsten zwischen Mann und Weib; denn dann herrscht niemals Ruhe. Und deßhalb sagt Salamo: Ein triefendes Haus und ein keifendes Weib werden wohl mit einander verglichen. Wenn Jemand in einem triefenden Hause wohnt, so mag er wohl an einer Stelle der Traufe entrinnen, aber es tropft auf ihn wieder an einer andern; und grade so geht es mit einem keifenden Weibe; wenn sie ihn hier schimpft, so will sie ihn auch dort schimpfen; und deßhalb ist es besser, ein Stück Brod mit Freude, als ein Haus voll Leckerbissen mit Schimpfworten, sagt Salamo. Und St. Paul sagt: O, ihr Weiber, seid unterthan euren Männern; und ihr Männer liebt eure Weiber!
Hinterher sprechen wir von Spotten, welches eine böse Sünde ist, namentlich, wenn man Jemanden wegen seiner guten Werke verspottet; denn, gewiß, solchen Spöttern geht es wie den faulen Kröten, welche den süßen Duft der Neben nicht leiden können, wenn der Wein blüht. Diese Spötter sind Spielbrüder des Teufels, denn sie haben Freude, wenn der Teufel gewinnt, und Kummer, wenn er verliert. Sie sind Widersacher Jesu Christi, da sie das hassen, was er liebt, nämlich das Heil der Seele.
Sprechen wir nun von bösem Rathschlag; denn Derjenige, welcher bösen Rath ertheilt, ist ein Verräther, denn er betrügt den, welcher auf ihn vertraut. Aber dennoch richtet sich böser Rathschlag zunächst gegen den Menschen selber, denn, wie der Weise sagt: Falschheit hat die Eigenschaft, daß Derjenige, welcher einen Andern kränken will, zunächst sich selber kränkt. Und man soll einsehen, daß man keinen Rath von falschen, zornigen und empfindlichen Leuten annehmen dürfe, noch von solchen, welche ihren eigenen Vortheil besonders lieben, noch von zu weltlich gesinnten Leuten, insonderheit was Rathschläge über die Seele des Menschen anbetrifft.
Nun kommt die Sünde Derjenigen, die Hader zwischen dem Volke anstiften, welche Sünde Christus auf das höchste haßt; und das [287] ist kein Wunder, denn er starb, um Frieden zu machen. Und sie fügen dadurch Christo mehr Schmach zu, als Diejenigen, welche ihn kreuzigten; denn, daß Freundschaft unter Leuten sei, war Gott weit lieber als sein eigener Leib, welchen er um der Eintracht willen dahin gab. Deßhalb kann man sie dem Teufel vergleichen, welcher stets damit umgeht, Unfrieden zu säen. Nun kommt die Sünde der Doppelzüngigkeit, wenn man nämlich schön in der Gegenwart von Leuten und böse hinter ihrem Rücken spricht, oder wenn man sich den Anschein giebt, als ob man in guter Absicht oder aus Scherz und Spaß rede, und es dennoch aus schlimmen Hintergedanken thut. Nun kommt Ausplaudern von Absichten Anderer, durch welche ein Mensch verunglimpft wird; gewiß, diese Sünde läßt sich kaum wieder gut machen. Dann kommt Drohung, welche offene Thorheit ist; denn, wer oft droht, verspricht mehr, als er meistens ausführen kann. Darauf kommen müssige Worte, welche ohne Werth sind für den, welcher sie spricht, sowie für den, welcher sie hört; oder sonst müssige Worte, welche ganz überflüssig sind und keinen Zweck und keinen natürlichen Nutzen haben. Und wenn auch zwar müssige Worte manchmal nur läßliche Sünden sind, sollte dennoch der Mensch über solche in Zweifel sein, da wir Rechenschaft darüber ablegen sollen vor Gott. Dann kommt Geschwätzigkeit, welche auch nicht ohne Sünde sein kann, und – wieSalamo sagt – ein Zeichen offenbarer Thorheit ist. Und daher sprach ein Philosoph, als er gefragt wurde, wie man dem Volke gefallen könne, indem er zur Antwort gab: Thue des Guten viel und schwätze wenig. Hiernach kommt die Sünde der Possenreißer, welche die Affen des Teufels sind; denn sie machen das Volk lachen über ihre Possen, wie man die Streiche eines Affen belacht. Solche Possen verbietet St. Paul. Seht, so wie tugendsame und heilige Worte Diejenigen erbauen, welche im Dienste Christi arbeiten, grade so erbauen die Streiche von Possenreißern Diejenigen, welche im Dienste des Teufels arbeiten. Dieses sind die Sünden der Zunge, welche aus Zorn entspringen, und viele andere Sünden mehr.
Das Mittel gegen Zorn ist eine Tugend, welche man Sanftmuth oder Gutherzigkeit nennt; und auch noch eine andere Tugend, welche Geduld oder Duldung heißt. Sanftmuth vertreibt oder hält die Anregungen und Gefühle des Uebermuths im Menschenherzen dergestalt [288] zurück, daß sie nicht in Aerger und Zorn ausarten. Duldung duldet demüthig alle Kränkungen und das Unrecht, das von außen kommt. St. Hieronymus spricht so von der Sanftmuth, daß sie Niemandem Schaden durch That oder Wort zufüge und durch nichts Böses, was Menschen thun oder sagen, sich der Vernunft zuwider ereifere. Diese Tugend kommt oftmals von Natur, denn, wie der Philosoph sagt: Der Mensch ist ein lebendiges Wesen, von Natur sanftmüthig und zum Guten geneigt; wenn aber Sanftmüthigkeit durch Gnade erlangt wird, dann ist sie um desto werthvoller.
Geduld ist ein anderes Mittel gegen den Zorn und eine Tugend, welche freudig die guten Eigenschaften eines Menschen anerkennt und über keine Unbill, welche man uns zufügt, ergrimmt. Der Philosoph sagt, daß Geduld die Tugend sei, welche ergeben alle Unbill des Mißgeschicks und jedes böse Wort ertrage. Diese Tugend macht den Menschen seinem Gotte ähnlich und zum eigenen Kinde desselben, wieChristus sagt. Diese Tugend überwindet deine Feinde. Und daher sagt der Weise: Wenn du deine Feinde besiegen willst, so sei geduldig. Und nun sollst du begreifen, daß man vier Arten von Ungemach in äußerlichen Dingen dulden kann, wider welche man auch dann vier Arten von Geduld haben muß. Das erste Ungemach besteht in bösen Worten. Diese Unbill ertrug Jesus Christ, ohne zu murren, höchst geduldig, so häufig ihn die Juden auch verspotteten und beschimpften. Ertrage daher auch du solche mit Geduld, denn der Weise sagt: Wenn du mit einem Thoren streitest, so gilt es gleich, ob er böse wird oder lacht; denn in keinem Falle wirst du Ruhe vor ihm haben. Das andere äußerliche Ungemach besteht in Schaden an deiner Habe. Solches erlitt Christus höchst geduldig, als man ihm alles nahm, was er im Leben besaß, und das waren allein seine Kleider. Das dritte Ungemach ist körperlicher Schmerz. Diesen trug Christus höchst geduldig während seiner ganzen Passion. Das vierte Ungemach ist Ueberbürdung mit Arbeit. Deßhalb sage ich, daß Leute, welche ihr Gesinde zu hart oder außer der Zeit, wie an Feiertagen, arbeiten lassen, sicherlich große Sünde thun. Auch dieses trug Christus höchst geduldig, und lehrte uns das gleiche zu thun, als er auf seinen Segensschultern das Kreuz trug, an welchem er schmählichen Tod erdulden sollte. So mögt Ihr lernen geduldig zu sein, denn, wahrlich, nicht die Christen allein sind geduldig aus Liebe zu Jesu Christo und der Verheißung der ewigen Seligkeit wegen, sondern auch die alten Heiden, welche [289] nie getauft waren, empfahlen und übten die Tugend der Geduld. Ein Philosoph, welcher, über einen großen Fehltritt seines Schülers aufgebracht, diesen einstmals dafür strafen wollte, holte eine Gerte, um das Kind zu schlagen. Doch als das Kind die Gerte sah, sprach es zum Lehrer: »Was gedenkt ihr zu thun?« »Ich will dich zu deiner Züchtigung schlagen« – sagte der Lehrer. »Fürwahr« – sprach das Kind – »ihr solltet euch zuerst selbst züchtigen, denn ihr habt alle eure Geduld wegen der Unart eines Kindes verloren.« – »Gewiß« – rief der Lehrer unter vielen Thränen – »du sprichst wahr! Nimm die Gerte, mein lieber Sohn, und züchtige mich wegen meiner Ungeduld.«
Aus Geduld kommt Gehorsam, durch welchen sich der Mensch Gott unterwirft und allen Denen, welchen er Gehorsam in Christo schuldig ist. Und versteht es wohl, daß Gehorsam nur dann vollkommen ist, wenn man froh und rasch aus gutem, vollem Herzen das thut, was man thun soll. Im Allgemeinen heißt Gehorsam, rasch die Befehle Gottes und seiner Obrigkeiten zu vollziehen, denen man in aller Rechtmäßigkeit unterthan sein sollte.
Nach der Sünde des Zornes will ich nunmehr von der Sünde der Verdrossenheit oder der Unlust sprechen; denn Neid verblendet des Menschen Herz, Zorn beunruhigt ihn, und Verdrossenheit macht ihn grämlich, schwermüthig und mürrisch. Neid und Zorn schaffen Bitterkeit im Herzen, welche die Mutter der Verdrossenheit ist und ihm die Lust zu allem Guten entreißt; daher ist Verdrossenheit die Qual eines unruhigen Herzens. St. Augustin sagt: Sie ist Verdruß am Wohlergehen und Verdruß am Mißgeschick. Gewiß, dieses ist eine verdammenswerthe Sünde; denn sie ist ein Unrecht gegen Jesus Christus, insofern sie den Dienst beeinträchtigt, welche alle Menschen mit ganzer Seele Christ erweisen sollten, wie Salamo sagt. Aber Verdrossenheit zeigt keinen solchen Eifer. Sie thut Alles mit Grämlichkeit, Schwermuth, Langsamkeit, Aufschub, mit Trägheit und Unlust; worüber das Buch sagt: Verflucht sei der, welcher den Dienst Gottes nachlässig versieht. Daher ist Verdrossenheit ein Feind in jedem Stande des Menschen. Denn, wahrlich, der Stand des Menschen ist dreifacher Art. Entweder ist er der Stand der Unschuld, wie bei Adam, bevor er in Sünde fiel; und in diesem Stande war er dazu bestimmt, durch Preis und Anbetung Gottes zu wirken. Ein anderer Stand ist der [290] des sündhaften Menschen, in welchem wir bestimmt sind, zu schaffen durch Flehen zu Gott um die Vergebung unserer Sünden und damit er uns gewähre, uns aus der Sünde wiederum empor zu heben. Ein anderer Stand ist der Stand der Gnade, in welchem man bestimmt ist, Werke der Buße zu thun. Und, gewiß, in allen diesen Dingen ist Verdrossenheit ein Feind und Widersacher, denn sie liebt ja überhaupt die Thätigkeit nicht. Nun, gewiß, diese faule Sünde der Verdrossenheit ist auch die größte Feindin der körperlichen Lebenskraft; denn sie trifft keine Vorsorge gegen zeitliche Noth, da sie alles verkommen läßt und alle zeitlichen Güter zerstört und verfaullenzt durch ihre Nachlässigkeit. Die vierte Sache ist, daß Verdrossenheit dem Volke gleicht, welches in den Qualen der Hölle sitzt, wegen ihrer Trägheit und Schwerfälligkeit, denn die Verdammten sind verurtheilt, weder Gutes thun, noch Gutes denken zu können. Aus Verdrossenheit kommt zunächst, daß man sich gelangweilt und belästigt fühlt, irgend etwas Gutes zu thun, und daher kommt es, daß Gott Abscheu vor solcher Verdrossenheit hat, wie St. Johannes sagt. Nun kommt Bequemlichkeit, welche keine Entbehrungen und Bußen dulden will, denn, fürwahr, Bequemlichkeit ist so zart und gebrechlich – wie Salamo sagt – daß sie keine Entbehrung und Buße ertragen will, und was sie thut, verdirbt. Dieser verrotteten Sünde der Verdrossenheit und Trägheit sollte der Mensch sich durch Uebung entgegenstemmen, indem er sich befleißigt, gute Werke zu thun, und männlichen und tugendhaften Muth zu fassen, das Gute zu vollbringen in dem Gedanken, daß unser Herr Jesus Christ jede gute That vergilt, und wenn sie auch noch so klein ist.
Gewohnheit zur Arbeit ist eine große Sache; denn sie giebt – wie St. Bernhard sagt – dem Arbeiter starke Arme und harte Sehnen; aber Trägheit macht sie schlaff und zart. Dann kommt die Scheu vor der Mühe, irgend ein gutes Werk zu thun, denn gewiß, wer zur Sünde geneigt ist, denkt, es sei ein großes Unternehmen, gute Werke zu vollbringen, und er bildet sich in seinem Herzen ein, daß die Beschwerlichkeiten bei dem Thun des Guten so drückend und so schwer zu tragen seien, daß er sich nicht unterfangen könne, Gutes zu thun – wie St. Gregorius sagt.
Nun kommt Hoffnungslosigkeit, das ist Verzweiflung an der Gnade Gottes, welche bisweilen aus zu übertriebener Sorge entsteht, und bisweilen aus zu großer Furcht durch die Einbildung, so viel [291] gesündigt zu haben, daß es nichts mehr hülfe zu bereuen und von der Sünde zu lassen; durch welche Verzweiflung oder Furcht man das ganze Herz – wie St. Augustin sagt – an alle Arten von Sünden hingiebt. Wird diese verdammte Sünde bis zum äußersten durchgeführt, so nennt man sie die Sünde gegen den heiligen Geist. Diese schreckliche Sünde ist so gefährlich, daß Derjenige, welcher an sich verzweifelt, vor keinem Verbrechen und keiner Sünde zurückschreckt, wie dieses Judas uns wohl zeigen kann. Gewiß, von allen Sünden ist diese Sünde Christo am meisten zuwider und mißfällig. Wahrlich, wer an sich selbst verzweifelt, gleicht einem verzagten und feigherzigen Kämpen, der ohne Noth davon läuft. Ach, ach! er ist ganz unnöthig verzagt, ganz unnöthig verzweifelt. Wahrlich, die Gnade Gottes ist dem Reuigen stets offen und reicht über alle Werke hinaus. Ach, kann der Mensch nicht an das Evangelium Lucä Cap. XV. denken, wo Christus sagt, daß Freude im Himmel sein werde über einen Sünder der Buße thut, vor neunundneunzig Gerechten, die der Buße nicht bedürfen. Betrachtet ferner in demselben Evangelium die Freude des guten Mannes, als sein Sohn reuevoll zum Vater zurückkehrte. Will man sich nicht ferner erinnern, wie der neben Jesus Christus hängende Dieb nach St. Lucä Cap. XXIII sprach: »Herr, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst.« – »Wahrlich« – sprach Christus – »ich sage dir, heute wirst du mit mir im Paradiese sein!«
Gewiß, es giebt keine so erschreckliche Sünde des Menschen, daß sie nicht während seines Lebens durch Buße mittelst der Kraft des Leidens und Sterbens Christi getilgt werden könnte. Ach! was braucht denn der Mensch zu verzweifeln, da die Gnade Gottes ihm immer zur Hand und so groß ist. – Bittet, so wird euch gegeben! –
Dann kommt Schlafsucht, das heißt faule Schläfrigkeit, welche den Menschen schwerfällig und stumpf an Leib und Seele macht, und diese Sünde kommt aus Faulheit; und fürwahr, die Zeit, zu der man vernünftiger Weise nicht schlafen sollte, ist der Morgen, wenn kein hinreichender Grund dafür vorhanden ist. Denn, gewiß, die Morgenzeit ist für jeden die geeignetste, sein Gebet zu sprechen, Gott zu loben, Gott zu danken und Almosen an die Armen zu spenden, welche sich in Christo Namen zuerst an ihn wenden. Seht! was sagt Salamo? Wer am frühen Morgen aufwacht, um Mich zu suchen, der wird Mich finden!
Dann kommt solche Nachlässigkeit und Sorglosigkeit, welche sich [292] um nichts kümmert. Und wenn Unwissenheit die Mutter alles Uebels ist, so ist Nachlässigkeit dessen Amme. Der Nachlässigkeit gilt es gleich, ob eine Sache, die gethan werden muß, gut oder schlecht geschehe.
Das Heilmittel für diese beiden Sünden ist – wie der Weise sagt – daß man Gott fürchte und nicht unterlasse, das zu thun, was gethan werden muß; und wer Gott liebt, wird sich auch bestreben, Gott in sei nen Werken zu gefallen und sie nach besten Kräften gut auszuführen.
Dann kommt Müssiggang; der ist ein Thor für alles Böse. Ein müssiger Mann gleicht einem Orte, der keine Wälle hat, wo die Teufel von jeder Seite her eindringen, und auf ihn, da er ungeschützt ist, mit Versuchungen schießen können. Dieser Müssiggang ist die Stätte für alle schlechten und schändlichen Gedanken, Schwätzerei, läppische Dinge und allen Unrath. Sicherlich, der Himmel ist Denen verheißen, welche arbeiten wollen, aber nicht den Müssiggängern. So sagt auch David: Sie werden nicht die Arbeit von Menschen thun und nicht von Menschen gezüchtigt werden; das heißt im Fegefeuer sein. Fürwahr, es scheint, daß sie von den Teufeln der Hölle geplagt werden sollen, wenn sie nicht Buße thun.
Dann kommt die Sünde, welche man Tarditas nennt, indem der Mensch zögert und aufschiebt, sich zu Gott zu wenden, und das ist, sicherlich, eine große Thorheit. Man gleicht Demjenigen, welcher in einen Graben fällt und nicht wieder aufstehen will. Und dieses Laster kommt aus der falschen Hoffnung, daß man denkt, lange zu leben; aber diese Hoffnung wird gar häufig zu Schanden.
Dann kommt Schlaffheit, das heißt, wenn man ein gutes Werk zwar beginnt, aber es sofort verläßt und wieder aufgiebt, wie Diejenigen thun, welche Andere leiten sollten, aber sofort nicht mehr Acht auf sie geben, wenn ihnen dabei irgend ein Verdruß oder eine Widerwärtigkeit begegnet. Das sind die neuen Hirten, welche ihre Schafe wissentlich zum Wolf laufen lassen, der in den Dornen lauert, und sich um ihre Aufsicht nicht kümmern. Dadurch entsteht Armuth und Verderben an geistlichen wie an leiblichen Dingen.
Dann kommt eine Art von Kälte, welche das Herz des Menschen gefrieren macht. Dann kommt Andachtslosigkeit, durch welche man – wie St. Bernhard sagt – so abgestumpft wird und solche Unlust in der Seele fühlt, daß man in der heiligen Kirche weder lesen noch singen, noch andächtig zuhören oder denken, noch mit seinen Händen [293] an guten Werken arbeiten mag, weil alles unschmackhaft oder schal erscheint. Dann wird man nachlässig und schläfrig und bald ärgerlich und zu jedem Haß und Neid geneigt sein.
Dann kommt die Sünde jener irdischen schwermüthigen Betrübtheit, welche Tristitia genannt wird, und den Menschen tödtet, wie St. Paul sagt. Denn, wahrlich, solche Betrübniß wirket zum Tode des Leibes und der Seele, denn durch sie kommt es, daß man seines eigenen Lebens überdrüssig wird. Deßhalb verkürzt solche Sorge das Leben manches Menschen, noch bevor nach der Ordnung der Natur seine Zeit gekommen ist.
Gegen diese schreckliche Sünde der Verdrossenheit und die Zweige derselben, giebt es eine Tugend, welche Fortitudo genannt wird, oder Festigkeit; das ist eine Eigenschaft, durch welche der Mensch sich über unangenehme Sachen hinwegsetzt. Diese Tugend ist so stark und kraftvoll, daß sie im höchsten Grade Widerstand zu leisten und gegen die Angriffe des Teufels zu kämpfen vermag und den Menschen vor lasterhaften Gefahren zurückhalten kann; denn sie stärkt und kräftigt die Seele ebenso, wie Verdrossenheit dieselbe niederschlägt und schwächt. Diese Fortitudo vermag nämlich mit ausdauernder Geduld die Arbeit zu ertragen, welche uns auferlegt ist. Diese Tugend ist von mancherlei Art. Die erste wird Hochherzigkeit genannt, das heißt: großer Muth. Denn, wahrlich, gegen Verdrossenheit ist ein großer Muth erforderlich, wenn sie nicht die Seele durch Sünde und Kummer verschlingen oder durch Verzweiflung zu Grunde richten soll. Fürwahr, diese Tugend macht die Leute harte und schwierige Dinge wohlbedächtig und vernünftig aus freien Stücken unternehmen. Und insofern der Teufel wider den Menschen mehr durch List und Betrug, als durch Gewalt ankämpft, wird ihm auch der Mensch desto besser durch Witz, Vernunft und Klugheit widerstehen. Dann giebt es die Tugenden des Glaubens und der Hoffnung zu Gott und zu seinen Heiligen, die guten Werke zu vollziehen und zu Ende zu bringen, welche man mit dem festen Vorsatze, sie auszuführen, unternimmt. Dann kommen Vertrauen und Zuversicht, und diese bestehen darin, daß man keine Mühe späterhin scheut, nachdem man ein gutes Werk begonnen hat. Dann kommt Großartigkeit, wenn nämlich ein Mann große gute Werke thut und vollbringt, und das ist das Endziel, weßhalb man gute Werke thun sollte. Denn in der Vollendung der guten Werke liegt ihr großer [294] Lohn. Dann giebt es Beständigkeit, das ist Stätigkeit des Muthes, und diese muß im Herzen sein durch unerschütterlichen Glauben und nicht minder in Worten, im Betragen und in der That. Auch giebt es noch mehr besondere Heilmittel gegen Verdrossenheit durch unterschiedene Werke und durch Betrachtung der Höllenstrafen und der Freuden des Himmels und durch das Vertrauen auf die Gnade des heiligen Geistes, der uns die Kraft geben wird, unsere gute Absicht zu vollbringen.
Nach der Verdrossenheit will ich von dem Geize und von der Begehrlichkeit sprechen, von welcher SündeSt. Paul sagt: Die Wurzel alles Uebels ist Begehrlichkeit. Denn, fürwahr, wenn das Herz verwirrt und beunruhigt ist und die Seele ihr Behagen an Gott verloren hat, so sucht man eitlen Trost in weltlichen Dingen. Geiz ist nach der Erklärung von St. Augustin eine Lüsternheit im Herzen, irdische Dinge zu besitzen. Einige Andere sagen, Geiz begehre, sich viele Erdengüter zu verschaffen, und denen, so bedürftig sind, nichts zu geben. Doch merkt euch wohl, daß Geiz sich nicht allein auf Land und Habe bezieht, sondern zuweilen auch auf Wissenschaft und Ruhm, und eine empörende Sache ist Geiz auf jede Weise. Und der Unterschied zwischen Geiz und Begehrlichkeit ist dieser: Der Begehrlichkeit gelüstet nach Dingen, welche du nicht hast, und der Geiz bewahrt und behält unnöthiger Weise die Sachen, welche du hast. Fürwahr, dieser Geiz ist eine höchst verdammenswerthe Sünde, denn die ganze heilige Schrift verflucht ihn und spricht dagegen, weil er Unrecht gegen Jesus Christus ist, indem er ihn der Liebe beraubt, welche die Menschen ihm schulden, und diese Liebe aller Vernunft zuwider verdreht und veranlaßt, daß der geizige Mensch seine Hoffnung mehr auf sein irdisches Gut, als auf Jesus Christ setzt, und sich mehr bestrebt, seinen Schatz zu hüten, als den Dienst Jesu Christi zu thun. Und deßhalb sagt St. Paul, daß ein geiziger Mann der Sclave des Mammons ist.
Welcher Unterschied besteht zwischen einem Götzendiener und einem geizigen Manne? Keiner, als nur etwa der, daß ein Götzendiener ein bis zwei Fetische hat, und der Geizige viele, denn, gewiß, jeder Gulden in seinem Koffer ist sein Götze. Und, gewiß, die Sünde des Götzendienstes ist die erste, welche Gott in den zehn Geboten verbietet, worüber Exod. cap. XX Zeugniß giebt: Du sollst keine andere Götter haben neben mir, noch sollst du dir ein Bildniß oder irgend ein [295] Gleichniß machen. Daher ist ein geiziger Mensch, welcher seinen Schatz mehr als Gott liebt, ein Götzendiener.
Aus dieser verfluchten Sünde des Geizes und der Begehrlichkeit kommen diese harten Herren, welche die Leute mit Steuern, Zöllen und Frohnden plagen, mehr als die Pflicht und die Vernunft erheischt. Auch nehmen sie von ihren Hörigen Geldbußen, welche besser Erpressungen als Bußen genannt würden. Von welchen Geldbußen und Ranzionen einige Vögte dieser Herren meinen, daß sie rechtmäßig seien, insofern alles zeitliche Gut, welches solch ein Lump besäße, seinem Herrn gehöre, wie sie sagen. Aber, wahrlich, diese Herren thun Unrecht, ihre Hörigen der Dinge zu berauben, welche sie ihnen niemals gaben. Augustinus de civitate Dei. Liber IX. – Sicher ist, daß der Stand der Knechtschaft und ihre erste Ursache aus der Sünde kam. Genesis V. So könnt Ihr sehen, daß Schuld Knechtschaft verdiente, aber nicht Natur. Deßhalb sollten diese Herren nicht so viel Rühmens von ihrer Herrschaft machen, da sie nicht durch natürliche Bestimmung Herren ihrer Knechte sind, sondern weil die Knechtschaft erst in Folge der Sünde kam. Und wenn übrigens das Gesetz besagt, daß die zeitlichen Güter der Hörigen die Güter ihrer Herren sind, jawohl, so ist es als das kaiserliche Vorrecht zu verstehen, sie in ihren Rechten zu schützen, aber nicht sie zu berauben und zu plündern. Deßhalb sagt Seneka: Der Kluge sollte sich wohlwollend gegen seine Sclaven zeigen. Was du deine Knechte nennst, ist Gottes Volk; denn niedrige Leute sind die Freunde Christi, sie sind gleichen Standes mit dem Herrn deinem König.
Bedenke auch, daß aus demselben Samen, aus welchem die gemeinen Leute kommen, auch die Herren entspringen, und daß ein gewöhnlicher Kerl ebensowohl selig werden kann, wie ein Herr. Der Tod, der ihn hinwegrafft, der Tod nimmt auch seinen Herrn hinweg. Deßhalb rathe ich dir, thue deinem Knechte, was du wünschest, daß der Herr dir thun möge, wenn du in seiner Lage wärest. Jeder Sünder ist ein Knecht der Sünde. Ich rathe dir, Herr, dich so zu halten, daß deine Knechte dich mehr lieben, denn fürchten. Ich weiß wohl, daß ein Stand über den andern steht, wie es der Vernunft entspricht; und es gehört sich, daß Menschen ihre Schuldigkeit thun, wie ihnen zukommt. Aber, wahrlich, Quälerei und Verachtung von Untergebenen ist verdammenswerth.
Und nun lernt auch ferner recht begreifen, daß diese Eroberer und Tyrannen gar häufig die zu Sclaven machen, welche aus ebenso [296] hohem königlichen Blute entsprossen sind, als Diejenigen, welche sie besiegten. Der Name Knechtschaft war zuerst gar nicht bekannt, bis Noah sagte, daß sein Sohn Ham seiner Sünde wegen der Knecht seiner Brüder sein solle.
Was sagen wir dann von Denen, welche gegen die heilige Kirche Raub und Erpressungen verüben? Gewiß, das Schwert, welches man Jemandem giebt, welcher zuerst den Ritterschlag empfängt, bedeutet, daß er die heilige Kirche vertheidigen, aber nicht berauben und plündern soll; und wer das thut, ist ein Verräther an Christ. Wie St. Augustin sagt: Jene sind des Teufels Wölfe, welche die Schafe Jesu Christi erwürgen; denn, wahrlich, wenn der Wolf seinen Bauch voll hat, so hört er auf, die Schafe zu erwürgen, aber, fürwahr, die Räuber und Zerstörer von heiligen Kirchengütern thun nicht desgleichen, denn sie hören nie zu plündern auf. – Nun, da Sünde, wie ich gesagt habe, die erste Ursache der Knechtschaft war, so kam es auch, daß zu der Zeit, als die ganze Welt in Sünde lag, die ganze Welt auch in Knechtschaft und Unterwürfigkeit war; aber, gewiß, seitdem die Zeit der Gnade gekommen ist, hat Gott angeordnet, daß einige Leute dem Stande und Range nach höher und andere tiefer stehen und das Jeder seinem Range und Stande gemäß behandelt werden solle. Und daher macht man auch in einigen Ländern, wo es Sclaven giebt, diese aus ihrer Knechtschaft frei, sobald sie sich zum Glauben bekehrt haben; und daher ist auch sicherlich der Herr seinem Unterthanen ebenso verflichtet, wie es der Unterthan dem Herrn ist.
Der Papst nennt sich selbst den Diener der Diener Gottes. Doch da weder die Einrichtung der heiligen Kirche, noch das allgemeine Wohl, noch Frieden auf Erden bestehen könnte, wenn nicht Gott angeordnet hätte, daß einige Menschen höher und andere niedriger gestellt sind, so wurde aus diesem Grunde die Herrschaft eingesetzt, um ihre Leute und Unterthanen zu erhalten, zu unterstützen und in vernünftiger Weise zu vertheidigen, soweit es in ihrer Macht liegt, und nicht, um sie zu zerstören und verderben. Deßhalb sage ich, daß jene Herren, die Wölfen gleichen und die das Eigenthum und die Habe armer Leute ohne Erbarmen und Maß schändlicher Weise verschlingen, auch die Gnade Jesu Christi nur nach demselben Maße empfangen werden, mit dem sie dem armen Volke gemessen haben, wenn sie es nicht wieder gut machen.
Nun kommt Betrug zwischen Händler und Händler. Und du sollst wissen, daß der Handel zwiefacher Art sein kann; der eine ist [297] stofflich, der andere geistlich; der eine ist ehrlich und erlaubt, der andere unehrlich und unerlaubt. Der stoffliche Handel, der als ehrlich und erlaubt gilt, ist dieser: wo Gott es bestimmt hat, daß ein Reich oder eine Gegend ausreichend für sich selbst hat, da ist es auch ehrlich und erlaubt, daß die Leute mit dem Ueberflusse eines Landes denjenigen eines anderen Landes aushelfen, welches Mangel leidet; und deßhalb muß es Kaufleute geben, welche die Waaren von einem Land in das andere bringen. Jener andere Handel, welchen Menschen mit Betrug, Hinterlist, Täuschung, Lügen, falschen Eiden treiben, ist durchaus verflucht und verdammt. Geistlicher Handel ist eigentliche Simonie, das heißt: der dringende Wunsch, geistliche Dinge zu kaufen, nämlich solche, welche zum Heiligthume Gottes gehören und zur Pflege der Seele dienen. Selbst wenn dieser Wunsch nicht zur That wird, so ist er dennoch, wenn man eifrig strebt, ihn zur Ausführung zu bringen, Todsünde. Simonie wird dies aber nach Simon Magus genannt, der für zeitliches Gut die Gabe kaufen wollte, welche Gott durch seinen heiligen Geist St. Peter und den Aposteln verliehen hatte, und deßhalb versteht, daß sowohl die, welche geistliche Dinge verkaufen, als auch Diejenigen, welche sie kaufen, Simonisten genannt werden, mag es nun geschehen durch Hingabe von Gut, durch Vermittlung oder durch fleischliches Beten seiner Freunde, fleischlicher oder geistlicher Freunde; fleischlicher Freunde nämlich in zwiefacher Art, wie durch Verwandtschaft oder sonst Freundschaft; denn wahrlich, wenn sie für den beten, der dessen nicht würdig und bei dem es nicht zulässig ist, so ist es Simonie, sofern er daraus Vortheil zieht; doch wenn es zulässig und er würdig dazu ist, so ist es keine. Die andere Art ist, wenn Mann oder Frau für Leute beten, um sie in ihrer bösen fleischlichen Neigung, die sie zu andern hegen, zu unterstützen; und das ist greuliche Simonie. Aber, gewiß, wenn man seinen Knechten für ihren Dienst geistliche Dinge als Gegendienst giebt, so muß, wohlverstanden, der Dienst ehrenhaft sein, damit es zulässig ist, und ebenso muß es ohne Feilschen geschehen, und die Person dazu würdig sein. Denn – wie St. Damascenus sagt – alle Sünden der Welt sind im Vergleich zu dieser Sünde nichts, denn es ist die größte Sünde, welche es nach der Sünde des Lucifer und Antichrist giebt, da durch diese Sünde Gott seine Kirche und die Seele verliert, welche er durch sein kostbares Blut erkaufte, wenn Leute den Dienst der Kirche Solchen übertragen, die nicht würdig dazu sind; denn sie setzen Diebe ein, welche die [298] Seelen Jesu Christi stehlen und sein Patrimonium zu Grunde richten. Durch solche unwürdige Priester und Pfaffen haben die gemeinen Leute weniger Ehrfurcht vor den Sakramenten der heiligen Kirche; und solche Kirchenpatrone stoßen die Kinder Christi aus und setzen des Teufels eigene Söhne in die Kirchen, sie verkaufen ihnen die Seelen, indem sie die Lämmer dem Wolf zutreiben, welcher sie erwürgt; und deßhalb sollen sie niemals Antheil haben an der Weide der Lämmer, das heißt an der Seligkeit des Himmels.
Nun kommt Hasardspiel mit seinem Zubehör an Tischen und Würfeln, voraus Betrug, falsches Schwören, Schimpfen und alles Lästern, Gottesläugnen, Haß gegen den Nächsten, Verschwendung von Gut, Vergeudung an Zeit und häufig Todtschlag entsteht. Fürwahr, Spieler können nicht ohne große Sünde sein. Aus Geiz kommt auch Lügen, Diebstahl, falsches Zeugniß und Meineid; und Ihr müßt sehen, daß dieses große Sünden sind und den ausdrücklichen Geboten Gottes zuwider, wie ich gesagt habe. Falsches Zeugniß geschieht durch Wort und That; durch Wort, wenn man seinen Nächsten durch falsches Zeugniß seines guten Namens, seiner Habe oder seiner Erbschaft beraubt, wenn du aus Zorn, für Geschenke oder durch Neid falsches Zeugniß ablegst, Jemanden anklagst, um dich selbst zu entschuldigen. Nehmt euch in Acht ihr Proceßkrämer und Notare: wahrlich, durch falsches Zeugniß ward Susanna in große Noth und Sorge gebracht, und mancher Andere außerdem. Die Sünde des Diebstahls ist gleichfalls gegen den ausdrücklichen Befehl Gottes und zwar in zwiefacher Weise, zeitlich und geistlich. Zeitlicher Diebstahl ist, wenn man seinem Nächsten wider seinen Willen sein Gut nimmt, sei es durch Gewalt oder List, durch falsches Maß, durch Stehlen, durch falsche Anklagen gegen ihn und durch Entleihen von dem Gute des Nächsten in der Absicht, ihm es niemals zurückzuzahlen und dergleichen mehr. Geistlicher Diebstahl ist Kirchenraub, das heißt: Beschädigung der heiligen Dinge oder der Christus geweihten Sachen in zweierlei Beziehung, nämlich in Rücksicht auf den heiligen Ort, wie Kirchen und Kirchengut; denn jede schnöde Sünde, welche man an solchen Orten thut, oder jede Gewaltthat an solchen Plätzen kann man Kirchenraub nennen; ebenso, wenn man fälschlich die Rente und Rechte, welche der heiligen Kirche gebühren, wegnimmt. Und schlichthin und allgemein ist Kirchenraub: die heiligen Dinge aus heiligen Plätzen, oder unheilige Dinge aus heiligen Plätzen, oder heilige Dinge aus unheiligen Plätzen zu rauben.
Nun sollt Ihr verstehen, daß die Linderung des Geizes in Erbarmen und in Mitleid in weitem Sinne des Wortes besteht. Man könnte fragen, weßhalb Erbarmen und Mitleid den Geiz lindern? Nun, gewiß, der geizige Mensch zeigt kein Mitleid noch Erbarmen gegen den bedürftigen Menschen. Denn er erfreut sich an der Aufbewahrung seiner Schätze und nicht an der Unterstützung und Hülfe seiner Mitchristen. Und dieserhalb spreche ich zunächst von Erbarmen. Denn Erbarmen ist – wie der Philosoph sagt – eine Tugend, durch welche das Herz des Menschen gerührt wird durch das Leid Desjenigen, welcher leidet. Auf Erbarmen folgt Mitleiden, indem man Liebeswerke der Barmherzigkeit thut und vollbringt, und gegen Leidende hilfreich ist und sie tröstet. Und gewiß, es bewegt einen Menschen zum Erbarmen, daß Jesus Christ sich selbst für unsere Schuld dahingab, und aus Erbarmen den Tod erlitt und uns unsere Erbsünde verzieh, und uns dadurch von der Höllenpein erlöste, und die Qualen des Fegefeuers durch unsere Reue verminderte, und uns die Gottesgabe schenkte, Gutes zu thun, und schließlich die ewige Seligkeit im Himmel. Die verschiedenen Arten von Erbarmen sind: zu leihen oder auch zu schenken, zu vergeben und zu erlassen, und Mitgefühl im Herzen zu hegen, und Mitleid seinem Mitchristen zu zeigen, und auch zu strafen, wo es Noth thut. Ein anderes Mittel gegen den Geiz ist vernünftige Freigebigkeit; aber, gewiß, hier bedarf es der Betrachtung der Gnade Jesu Christi und der zeitlichen, sowie der ewigen Güter, welche Jesus Christus uns gab, und auch des Todes zu gedenken, welcher uns überkommen kann, man weiß nicht wann; und auch daß man Alles zurücklassen muß, was man besitzt, nur das nicht, welches man in guten Werken verthan hat.
Aber insofern einige Leute nie Maß zu halten wissen, so muß man thörichte Freigebigkeit, so man Verschwendung nennt, fliehen und meiden. Gewiß, der ist Verschwender, welcher sein Gut nicht fortgiebt, sondern verschleudert. Fürwahr, die Sachen, die man aus Eitelkeit verschenkt, wie an Minnesänger und an andere Leute, damit sie unsern Ruf in die Welt hinaus tragen, laufen auf Sünde hinaus, und sind keine Almosen. Sicherlich, der verliert sein Gut in garstiger Weise, der mit seiner Gabe nur allein nach Sünde sucht. Er gleicht einem Pferde, welches lieber getrübtes, schmutziges Wasser als reines Quellwasser [300] trinken will. Und solchen, welche geben, wo sie nicht geben sollten, gebührt der Fluch, welcher Christus am Tage des Gerichts Denen geben wird, welche verdammt werden sollen.
Nach dem Geize kommt Völlerei, welche ausdrücklich gegen Gottes Gebot ist. Völlerei ist maßlose Neigung, zu essen und zu trinken, oder sonst maßlose Lust und ungeordnete Begierde in irgend welchen Bezug auf Essen und Trinken. Diese Sünde verdirbt die ganze Welt, wie aus der Sünde Adams und Evas hervorgeht. Siehe auch, was der heilige Paul von der Völlerei sagt: »Viele wandeln« – sagt er – »von welchen ich euch gesagt habe, und nun sage ich es mit Weinen, die Feinde des Kreuzes Christi, welcher Ende ist Tod und welcher der Bauch ihr Gott ist und ihr Ruhm, zur Verdammniß Deren, welche so irdischen Dingen dienen.« Der, bei welchem diese Sünde der Völlerei gewohnheitsmäßig ist, kann keiner Sünde widerstehen; er muß zum Sclaven aller Laster werden, denn dies ist des Teufels Schlupfwinkel, wo er sich versteckt und wo er rastet. Diese Sünde hat viele Arten. Die erste ist Trunkenheit; diese ist das schreckliche Grab der menschlichen Vernunft; und wenn daher ein Mensch betrunken ist, so hat er seine Vernunft verloren, und dieses ist Todsünde. Indessen, wenn ein Mensch nicht an starke Getränke gewöhnt ist und vielleicht die Macht des Getränkes nicht kennt, oder in seinem Kopfe sich schwach fühlt, oder so gearbeitet hat, daß er mehr als sonst trinkt und dann plötzlich vom Getränk überwältigt wird, so ist es keine Todsünde, sondern eine läßliche. Die zweite Art der Völlerei ist, wenn der Geist des Menschen durch Trunkenheit getrübt und er der Vorsicht seines Verstandes beraubt wird. Die dritte Art der Völlerei ist, wenn der Mensch seine Speise verschlingt und sich beim Essen unpassend benimmt. Die vierte ist, wenn durch großen Ueberfluß an Speise die Säfte seines Körpers verdorben werden. Die fünfte ist Vergeßlichkeit durch zu vieles Trinken, wodurch bisweilen ein Mensch am Morgen vergessen hat, was er am Abend zuvor that.
In anderer Weise unterscheidet man die verschiedenen Sünden der Völlerei nach St. Gregorius. Die erste ist, vor der Zeit zu essen. Die zweite ist, wenn ein Mensch sich leckerem Essen und Trinken zuneigt. Die dritte ist, wenn man über das Maß hinaus nimmt. Die vierte ist Künstelei im Zubereiten und Anrichten der Speisen. [301] Die fünfte ist, gierig zu essen. Diese sind die fünf Finger von des Teufels Hand, durch welche er die Leute in Sünde zieht.
Gegen Völlerei ist das Heilmittel Enthaltsamkeit – wie Galien sagt; doch halte ich diese nicht verdienstlich, wenn sie lediglich wegen der Gesundheit des Körpers geübt wird. St. Augustinus will, daß Enthaltsamkeit der Tugend wegen und mit Geduld ausgeübt werde. Enthaltsamkeit – sagt er – hat wenig Werth, wenn ein Mensch nicht den guten Willen dazu hat, nicht durch Geduld und Liebe dazu getrieben wird und sie nicht um Gottes Willen thut und in der Hoffnung das ewige Heil im Himmel zu erlangen. Die Genossen der Enthaltsamkeit sind Mäßigkeit, welche das Mittel in allen Dingen hält; auch Scham, welche jede Schändlichkeit meidet; Genügsamkeit, welche kein reiches Essen und Trinken sucht, noch Gewicht auf übermäßige Zierlichkeit der Zubereitung legt; auch Maß, welches durch Vernunft die unmäßige Eßlust im Zaume hält; auch Nüchternheit, welche sich des Uebermaßes im Trinken enthält; auch Sparsamkeit, welche sich leckeres Essen und das lange zu Tisch Sitzen versagt, weßhalb einige Leute aus freien Stücken beim Essen stehen, weil sie mit weniger Bequemlichkeit essen wollen.
Nach der Völlerei kommt Unzucht, denn diese zwei Sünden sind so nahe verwandt, daß sie sich oft nicht von einander trennen wollen. Weiß Gott, diese Sünde ist Gott höchst mißfällig, denn er sagt selbst: Begehe keine Unzucht! Und deßhalb legt er schwere Strafe auf diese Sünde. Denn, wenn im alten Gesetze eine unfreie Dirne auf dieser Sünde ergriffen wurde, so sollte sie mit Stöcken zu Tode geschlagen werden, und wenn sie eine Edelfrau war, so sollte sie gesteinigt werden, und wenn sie eines Bischofs Tochter war, so sollte sie nach dem Gebote Gottes verbrannt werden. Außerdem ertränkte Gott wegen der Unzucht die ganze Welt und abermals brannte er fünf Städte nieder durch Donner und Blitz und versenkte sie in die Hölle.
Laßt uns nunmehr von der besagten stinkenden Sünde sprechen, welche man Ehebruch nennt; nämlich zwischen verheiratheten Leuten, das heißt, wenn einer von ihnen verheirathet ist, oder auch alle beide.St. Johannes sagt, daß in der Hölle für die Ehebrecher ein [302] brennender Scheiterhaufen von Feuer und Schwefel sein wird, von Feuer wegen ihrer Unzucht und von Schwefel wegen des Gestankes ihres Unflaths. Gewiß, das Brechen dieses Sakramentes ist ein greuliches Ding; es wurde im Paradiese von Gott selbst eingesetzt und durch Jesum Christum bestätigt, wie St. Matthäus in seinem Evangelium bezeugt: der Mann soll Vater und Mutter verlassen und seinem Weibe anhangen, und beide sollen wie ein Fleisch sein. Dieses Sakrament bedeutet die Verbindung zwischen Christus und der heiligen Kirche. Und nicht allein, daß Gott Ehebruch durch die That verboten hat, nein, er befiehlt auch, daß du nicht deines Nächsten Weib begehren sollst. In diesem Befehle – sagt St. Augustin – ist jede Begehrlichkeit nach Unzucht verboten. Sieh, was St. Matthäus im Evangelium sagt, daß, wer ein Weib ansiehet, ihrer zu begehren, schon die Ehe mit ihr in seinem Herzen gebrochen hat. Hier könnt Ihr sehen, daß nicht allein die That der Sünde verboten ist, sondern auch das Verlangen, diese Sünde zu thun. Diese verfluchte Sünde schadet dem gewaltig, welcher sich ihr ergiebt; und zunächst der Seele, denn sie verfällt dadurch der Sünde und der Strafe des ewigen Todes; und dann schadet sie auch gewaltig dem Körper, denn sie trocknet ihn aus, richtet ihn zu Grunde und schändet ihn, und von seinem Blute bringt man dem Teufel Opfer dar; sie verschwendet auch Gut und Habe. Und, fürwahr, wenn es schon ein böses Ding ist, sein Gut an Weiber zu verschwenden, so ist doch ein weit böseres Ding, wenn Frauenzimmer für solchen Unflath ihr Gut und ihre Habe an Männer verthun. Diese Sünde beraubt – wie der Prophet sagt – Mann und Weib ihres guten Rufes und aller ihrer Ehre, und ist dem Teufel höchst gefällig; denn dadurch gewinnt er den größten Theil dieser elenden Welt. Und wie ein Kaufmann sich über die Waare am meisten freut, welche ihm den größten Vortheil und Nutzen bringt, grade so freut sich der Teufel über diesen Unflath.
Dieses ist die andere Hand des Teufels mit fünf Fingern, um das Volk für seine Schändlichkeiten zu packen. Der erste Finger ist der Buhlerblick des buhlerischen Weibes oder des buhlerischen Mannes, der grade wie der Basiliskenhahn durch das Gift seines Blickes tödtet; denn auf die Begehrlichkeit der Augen folgt die Begehrlichkeit des Herzens. Der zweite Finger ist die böse Berührung in böser Absicht. Und daher sagt Salamo, daß der, so ein Weib berührt und angreift, wie jener Mann fährt, welcher einen Scorpion anfaßt, der sticht und durch sein Gift plötzlich tödtet; [303] oder wie jener, der heißes Pech berührt, das seine Finger verbrennt. Der dritte sind faule Worte, welche dem Feuer gleichen, welches sofort das Herz verbrennt. Der vierte Finger ist das Küssen, und wahrhaftig, der ist ein großer Thor, welcher den Mund von einem glühenden Ofen oder einer Feueresse küssen will; und größere Thoren sind die, welche in bösem Sinne küssen, denn jener Mund ist der Mund der Hölle. Dies gilt besonders vor den alten, geckenhaften Hurenjägern, die küssen und lecken wollen und sich anstrengen, obschon sie gar nichts mehr thun können. Gewiß, sie gleichen den Hunden; denn wenn ein Hund an einem Rosenstrauche oder an einem andren Busche vorbeikommt, so will er, wenn er auch gar nicht pissen kann, dennoch sein Bein aufheben und thun, als ob er pißte. Und was das anbetrifft, daß Mancher glaubt, er könne nicht durch Lüsternheit sündigen, welche er mit seinem Eheweibe treibt, so ist sicherlich diese Meinung falsch. Gott weiß, ein Mann kann sich mit seinem eigenen Messer umbringen, und sich aus seiner eigenen Tonne betrinken. Gewiß, sei es Weib, sei es Kind, wenn es irgend etwas mehr liebt als Gott, so ist dieses sein Idol und er selbst ist ein Götzendiener. Ein Mann soll sein Weib mit Besonnenheit, Geduld und Maß lieben, und dann ist sie gleichsam seine Schwester. Der fünfte Finger an des Teufels Hand ist die stinkende That der Unzucht. Glaubt mir, die fünf Finger der Völlerei steckt der Teufel in des Menschen Bauch und mit den fünf Fingern der Unzucht packt er ihn an die Nieren, um ihn in den Schmelzofen der Hölle zu werfen, wo er das immerbrennende Feuer und die immernagenden Würmer finden soll und Heulen und Zähneklappern und scharfen Hunger und Durst und die Scheußlichkeit der Teufel, welche alles ohne Unterlaß und Ende zu Boden trampeln.
Aus Unzucht entspringen und entquellen, wie gesagt, verschiedene Arten: wie Hurerei, das ist zwischen Mann und Weib, welche nicht verheirathet sind, und das ist Todsünde und wider die Natur. Alles, was der Natur feindlich ist und sie zerstört, ist wider die Natur. Wahrhaftig, die Vernunft sagt uns schon, daß es Todsünde ist, insofern Gott Unzucht verboten hat. Und St. Paul überweist Solche dem Reiche, das für die bestimmt ist, welche Todsünde begehen. Eine andere Sünde der Unzucht ist, eine Jungfer ihrer Jungfernschaft zu berauben; denn wer das thut, stößt ein Mädchen von der höchsten Stufe des gegenwärtigen Lebens hinunter und beraubt Dieselbe der kostbaren Frucht, welche man »Hundertfrucht« nennt. Ich kann es nicht anderweit [304] übersetzen, aber auf Latein heißt es: »Centesimus fructus«. Gewiß, wer das thut, verursacht mehr an Schaden und Schlechtigkeit, als irgend Jemand denken kann; grade wie der oftmals die Ursache ist von allen Schaden, den das Vieh auf den Feldern anrichtet, welcher die Umzäunungshecken durchbricht, wodurch er zerstört, was er nie wieder gut machen kann. Denn, gewiß, ebensowenig kann die Jungfernschaft wiederhergestellt werden, wie ein Arm, der vom Körper abgeschlagen ist, zurückkehren und wieder wachsen kann. Sie kann Gnade finden, das weiß ich wohl, wenn sie willig ist, Buße zu thun, aber nichtsdestoweniger wird sie für immer geschändet bleiben.
Und wenn ich auch bereits einiges über den Ehebruch gesagt habe, so ist es dennoch gut, auf die Gefahren hinzuweisen, welche am Ehebruche kleben, um diese garstige Sünde zu meiden. Ehebruch heißt auf Latein das Besteigen von eines anderen Mannes Bette, durch welches Diejenigen, welche sonst ein Fleisch waren, ihren Körper anderen Personen überlassen. Aus dieser Sünde kommen – wie der Weise sagt – mannigfache Uebel. Zuerst Treubruch, und, wahrlich, Treue ist der Schlüssel zum Christenthum, und geht dieser Schlüssel zerbrochen oder verloren, so ist auch wahrlich das Christenthum verloren und steht vergeblich und ohne Frucht da. Diese Sünde ist auch Diebstahl, da Diebstahl heißt, Jemanden seiner Sachen wider seinen Willen zu berauben. Gewiß, der faulste Diebstahl, den es geben kann, ist der, wenn ein Weib ihren Körper dem Gatten wegstiehlt und an ihren Buhlen schenkt, um ihn zu entehren; und wenn sie ihre Seele Christo wegstiehlt und dem Teufel übergiebt; dieses ist ein schlimmerer Diebstahl, als in eine Kirche zu brechen und den Kelch zu stehlen, denn die Ehebrecher reißen den Tempel Gottes in geistlicher Hinsicht nieder und stehlen das Gefäß der Gnade, das heißt den Körper und die Seele, weßhalb sie Christus vernichten wird, wie St. Paulus sagt.
Gewiß vor solchem Diebstahl war Joseph schwer bange, als seines Herrn Weib ihm zum Bösen einlud und er sprach: Siehe, meine Herrin, wie mein Herr alles unter meine Hand gegeben hat, was er auf dieser Welt besitzt, so ist auch meiner Macht nichts vorenthalten, als einzig du, indem du sein Weib bist. Und wie sollte ich denn nur ein solch großes Uebel thun und so schrecklich wider Gott und wider meinen Herrn sündigen? Gott verhüte es! – Ach! allzuwenig wird solche Treue jetzt gefunden!
Das dritte Uebel ist der Koth, durch welchen sie die Gebote Gottes [305] brechen und den Altar der Ehe, und das ist Christus, schänden. Denn gewiß, je edler und je würdiger das Sakrament der Ehe ist, desto größer ist auch die Sünde, es zu brechen; denn Gott setzte die Ehe im Paradiese im Stande der Unschuld ein, um die Menschen für den Dienst Gottes zu vermehren, und deßhalb ist der Bruch derselben um so schrecklicher, weil durch diesen Bruch oftmals falsche Erben kommen, die unrechtmäßiger Weise das Erbtheil Anderer hinwegnehmen; und deßhalb will sie Christus aus dem Himmelreiche stoßen, welches das Erbtheil der guten Menschen ist. Durch diesen Bruch geschieht es auch oft, daß Leute unvorsichtig in ihrer eigenen Verwandtschaft sündigen, und namentlich diese Hurenbolde, welche die Bordelle von liederlichen Frauenzimmern besuchen, die man den allgemeinem Abtritte vergleichen kann, wo sich die Leute ihres Unrathes entledigen. Was sagen wir aber von den Kupplern, welche von der schrecklichen Sünde der Hurerei leben und die Frauenzimmer zwingen ihnen eine Rente zu zahlen von dem, was sie mit ihrem Körper zusammenhuren, ja oftmals ihre eigenen Weiber und Kinder, wie solche Kuppler thun; gewiß, dies sind verfluchte Sünden. Versteht auch, daß der Ehebruch in den zehn Geboten zwischen Diebstahl und Todtschlag gestellt wird, weil er der größte Diebstahl ist, den es geben kann; denn er ist Diebstahl am Körper und an der Seele und gleicht dem Todtschlage, da er Diejenigen auseinander haut und bricht, welche anfangs zu einem Fleische gemacht worden waren. Und dieserhalb sollten sie nach den alten Gesetzen Gottes erschlagen werden, indessen Jesus Christus sagte in seinem Gesetze, welches das Gesetz des Erbarmens ist, zu dem Weibe, welches im Ehebruch ergriffen war und nach den Willen der Juden ihrem Gesetze gemäß gesteinigt werden sollte: »Geh'« – sprach Jesus Christus – »und sündige nicht mehr!« Gewiß, der Rachelohn des Ehebruchs ist den Strafen der Hölle vorbehalten und kann nur durch Reue gemildert werden. Doch es giebt noch mehre Arten dieser verfluchten Sünde, wie z.B. wenn einer geistlichen Standes ist, oder auch beide oder, solche Leute, welche ordinirt worden sind, wie Subdiacone, Diacone, Priester und Hospitaliter; und je höher Jemand als Geistlicher steht, um desto größer ist die Sünde. Der Umstand, welche ihre Sünde besonders erschwert, ist der Bruch ihres Gelübdes der Keuschheit, das sie ablegten, als sie die Weihen empfingen. Und überdies ist es gewißlich wahr: der heilige Stand ist der höchste Schatz Gottes und ein besonderes Zeichen und Merkmal der Keuschheit, um [306] zu zeigen, daß sie mit der Keuschheit vermählt sind, welches das köstlichste Leben ist, das es giebt; und diese geweihten Leute sind besonders nach Gott benannt und gehören zur besonderen Folgschaft Gottes, weßhalb sie auch durch Begehung von Todsünde zu besonderen Verräthern an Gott und seinem Volke werden; denn sie leben vom Volke, um für das Volk zu beten, und wenn sie Verräther sind, kann ihr Gebet dem Volke nicht frommen. Priester gleichen den Engeln durch das Mysterium ihrer Würde; aber, fürwahr, St. Paulus sagt, daß Satanas sich in einen Engel des Lichtes verwandelte. Gewiß, der Priester, welcher sich Todsünden hingiebt, mag einem Engel der Finsterniß verglichen werden, welcher sich in einen Engel des Lichts verkleidet hat. Er scheint ein Engel des Lichts zu sein, aber, fürwahr, er ist ein Engel der Finsterniß. Solche Priester sind wie die Söhne Eli's, von denen im Buche der Könige gezeigt ist, daß sie die Söhne Belial's, das ist des Teufels, waren. Belial heißt nämlich: richterlos sein, und so steht es mit ihnen. Sie meinen, daß sie frei seien und keinen Richter über sich hätten, wie ein freier Bulle, der jede Kuh in der Stadt nimmt, welche ihm gefällt. So springen sie mit den Frauenzimmern um; denn grade wie ein freier Bulle genug ist für eine ganze Stadt, grade so ist auch eines schlechten Priesters Verderbtheit genug für ein ganzes Kirchspiel oder eine ganze Gegend. Diese Priester können – wie das Buch sagt – nicht die Mysterien der Priesterschaft vor dem Volke ministriren; sie geben sich – wie das Buch sagt – nicht mit dem gesottenen Fleische zufrieden, welches ihnen dargereicht wird, sondern sie nehmen auch mit Gewalt das Fleisch, welches roh ist. Gewiß, ebenso halten sich diese Bösewichte nicht belohnt durch das gebratene und gesottene Fleisch, mit welchem das Volk sie in großer Ehrfurcht füttert, nein, sie wollen auch rohes Fleisch haben, d. h die Weiber und Töchter des Volkes. Und, gewiß, diese Weiber, welche sich zu ihrer Hurerei hergeben, begehen großes Unrecht gegen Christus, gegen die heilige Kirche, gegen alle Heiligen und alle Seelen, denn sie rauben alles dieses von Denjenigen, welche Christus und seine heilige Kirche verehren und für die Christenseelen beten sollten; und deßhalb trifft diese Priester und ihre Beischläferinnen, welche sich zu ihrer Wollust hergeben, der Fluch des geistlichen Gerichtes, bis sie zur Besserung gelangen.
Die dritte Art von Ehebruch geschieht manchmal zwischen einem Manne und seinem Weibe, indem sie in ihrem Beilager nur allein [307] an ihr fleischliches Vergnügen denken – wie St. Hieronymus sagt – und nichts davon wissen wollen, daß sie sich nur deßhalb vereinigen, weil sie verheirathet sind; alles ist für sie erlaubt, wie sie denken. Aber über solche Leute hat der Teufel Gewalt, wie der Engel Raphael zuTobias sagte, denn durch ihr Beilager stoßen sie Jesus Christus aus ihrem Herzen und geben sich allem Unflathe hin. – Zur vierten Art gehören die, welche sich in ihrer Verwandtschaft begatten, oder mit denen, so ihnen verschwägert sind, oder mit solchen, welche mit ihren Vätern oder ihrer Verwandtschaft die Sünde der Wollust gepflogen haben. Diese Sünde macht sie gleichsam zu Hunden, die keine Rücksicht auf Verwandtschaft nehmen. Und, fürwahr, Verwandtschaft kann zwiefacher Art sein, entweder geistlich oder fleischlich; geistlich insofern man sich mit seinen Gevattersleuten abgiebt; denn grade so wie der, welcher ein Kind erzeugt, sein fleischlicher Vater ist, grade so ist sein Gevatter sein geistlicher Vater, weßhalb auch ein Weib nicht mit weniger Sünde bei ihrem Gevatter als bei ihrem eigenen leiblichen Bruder liegen kann. – Die fünfte Art ist jene abscheuliche Sünde, von welcher Niemand sprechen noch schreiben sollte, wenn sie nicht öffentlich in der heiligen Schrift erwähnt wäre. Diese Verruchtheit begehen Mann und Weib in verschiedener Absicht und auf verschiedene Art. Aber wenn auch die heilige Schrift von dieser gräßlichen Sünde spricht, so kann doch dadurch die heilige Schrift ebenso wenig verunglimpft werden, wie es die Sonne wird, weil sie auf einen Misthaufen scheint. Zur Wollust gehört noch eine andere Sünde, welche im Schlafe kommt, und diese Sünde ist häufig bei jungfräulichen Leuten, aber auch nicht minder bei solchen, welche verdorben sind. Und diese Sünde nennt man Pollution; und sie entsteht aus vier Ursachen. Oft kommt sie aus dem Verlangen des Leibes, denn die Säfte sind zu üppig und reichlich im Körper des Menschen; oft kommt sie aus Unmächtigkeit und Schwäche an Kraft der Verhaltung, wie die Arzneikunde solches erwähnt; oft durch Ueberfüllung mit Speise und Trank, und oft aus schlechten Gedanken, welche im Gemüthe des Menschen stecken, wenn er schlafen geht, was nicht ohne Sünde sein kann. Aus diesem Grunde mag sich jeder Mensch wohl davor hüten, denn sonst kann er schwer dadurch sündigen.
Nun kommt das Mittel gegen die Wollust, und das ist im Allgemeinen Keuschheit und Enthaltsamkeit, welche alle unordentlichen [308] Neigungen der Fleischeslust in Zaum halten, und Diejenigen werden um so größeres Verdienst haben, welche am meisten die schlimme Begierde und Hitze dieser Sünde beschränken; und dieses geschieht auf zweierlei Weise, nämlich durch Keuschheit in der Ehe und durch Keuschheit im Wittwenthume.
Nun müßt Ihr verstehen, daß Ehe das erlaubte Beisammensein zwischen Mann und Weib ist, wie solches ihre Verbindung durch die Kraft dieses Sakramentes ihnen gewährt hat, so daß sie sich nicht mehr während ihres Lebens von einander scheiden können, das will sagen, so lange Beide leben. Dies ist – wie das Buch sagt – ein besonders hohes Sakrament. Gott machte es – wie ich gesagt habe – im Paradiese und wollte selbst aus der Ehe geboren werden, und um die Ehe zu heiligen, war er auf einer Hochzeit, wo er Wasser in Wein verwandelte, welches das erste Wunder war, das er vor seinen Jüngern vollführte. Die treue Wirkung der Ehe reinigt den Beischlaf und füllt die heilige Kirche mit guter Nachkommenschaft; denn das ist der Zweck der Ehe und wandelt Todsünde in läßliche bei Denen, so verheirathet sind, und macht in allen, die verheirathet sind sowohl die Herzen als auch die Leiber eins. Dieses ist die wahre Ehe, welche von Gott eingesetzt war, ehe die Sünde kam, als das natürliche Gesetz noch in rechter Geltung im Paradiese stand; und es ward befohlen, daß ein Mann nur ein Weib haben sollte und ein Weib nur einen Mann – wie St. Augustin sagt – und zwar aus vielen Gründen. Denn erstens ist die Ehe dargestellt in der Verbindung Christi mit der heiligen Kirche; und ein anderer Grund ist, weil der Mann das Haupt der Frau ist – wenigstens nach der Vorschrift sollte es so sein. Denn, wenn ein Weib mehr als einen Mann hätte, so würde sie auch mehr Häupter als eines haben und das wäre eine greuliche Sache vor Gott; und ebenso dürfte ein Weib nicht mehren zugleich gefallen und es würde nimmer Frieden und Ruhe zwischen ihnen sein, denn jedes würde sein eigenes Recht fordern. Und fernerhin könnte kein Mensch seine eigene Nachkommenschaft kennen, noch wissen, wer sein Erbe sein solle, und das Weib würde um so weniger geliebt werden, wenn sie mit mehren Männern verbunden wäre.
Nun kommt, wie ein Mann sich gegen sein Weib betragen soll, besonders in zwei Punkten, nämlich in Langmuth und Ehrerbietung; und dieses zeigt Christus, als er das erste Weib machte. Denn er machte sie nicht aus dem Haupte von Adam, dieweil sie keine zu große [309] Herrschaft in Anspruch nehmen sollte, denn, wo das Weib die Meisterschaft hat, da macht sie gar zu vielen Unfug. Dafür bedarf es keiner Beispiele, die Erfahrungen, welche wir Tag für Tag machen, können hinreichend genügen. Gewiß, Gott machte auch das Weib nicht aus den Füßen von Adam, denn sie soll nicht zu niedrig gestellt werden, da sie nicht geduldig leiden kann. Aber Gott machte das Weib aus der Rippe von Adam, denn das Weib soll die Genossin des Mannes sein. Männer sollten sich ihren Weibern gegenüber mit Treue, Aufrichtigkeit und Liebe benehmen, wie St. Paul sagt, daß ein Mann sein Weib lieben solle, wie Christ die heilige Kirche, die er so sehr liebte, daß er für dieselbe starb; so sollte ein Mann für sein Weib thun, wenn es erforderlich ist.
Wie nun ein Weib ihrem Gatten unterthan sein soll, das erzählt St. Petrus. Zuerst in Gehorsam. Und wie ebenfalls das Decret sagt: ein Frauenzimmer, welches ein Eheweib ist, hat, so lange sie dieses ist, keine Macht zu schwören oder Zeugniß abzulegen ohne die Einwilligung ihres Ehemannes, der ihr Herr ist. Wenigstens sollte es der Vernunft nach dieses sein. Sie sollte ihm auch in aller Ehrbarkeit dienen und in ihrem Anzuge mäßig sein. Ich weiß wohl, daß sie ihr Bestreben dahin richten soll, ihrem Gatten zu gefallen, aber nicht durch die Absonderlichkeit ihres Anzuges. St. Hieronymus sagt: Weiber, welche sich mit Seide und köstlichem Purpur aufputzen, können nicht in Jesu Christo gekleidet sein. St. Gregorius sagt ebenfalls, daß man nur des eitlen Ruhmes wegen und um von den Leuten geehrt zu werden, nach kostbaren Anzügen trachte. Es ist große Thorheit, wenn ein Weib auswärts schöne Kleider trägt, während sie selbst inwendig faul ist. Ein Weib sollte gleichfalls mäßig sein in Blicken, Betragen und Lachen und bescheiden in allen ihrem Reden und Thun, und über alle Erdendinge sollte sie von ganzem Herzen ihren Ehemann lieben und ihm mit ihrem Leibe treu sein. So sollte ein jeder Ehemann auch seinem Weibe treu sein, denn da ihr ganzer Leib dem Gatten gehört, so sollte es auch ihr Herz, denn sonst ist zwischen ihnen in dieser Hinsicht keine vollkommene Ehe. Dann sollten die Männer begreifen, daß aus drei Gründen ein Mann mit seinem Weibe zusammenkommen mag. Der erste ist in der Absicht der Kindererzeugung für den Dienst Gottes, denn, gewiß, das ist der Endzweck der Ehe. Ein anderer Grund ist, sich gegenseitig die Schuld des Leibes zu entrichten, denn keiner von beiden hat Gewalt über [310] seinen eigenen Leib. Der dritte ist, Hurerei und Schlechtigkeit zu vermeiden. Der vierte gehört der Todsünde an. Was den ersten anbetrifft, so ist er verdienstlich; der zweite auch, denn – wie das Decret sagt – hat Diejenige das Verdienst der Keuschheit, welche dem Gatten die Schuld ihres Leibes abträgt, selbst wenn es gegen ihre Neigung und gegen die Lust ihres Herzens ist. Die dritte Art ist läßliche Sünde; gewiß, kaum irgend einer von ihnen bleibt ohne läßliche Sünde wegen der Verderbniß und des Vergnügens, welche dieser Sache ankleben. Die vierte Art ist so zu verstehen, wenn sie nur aus sinnlicher Liebe zusammen kommen und nicht aus einem der vorerwähnten Gründe, sondern nur um ihr brennendes Verlangen, wer weiß, wie oft, zu stillen. Fürwahr, das ist Todsünde; und dennoch – mit Sorgen sag' ich es – wollen sich einige selbst anstrengen, noch mehr zu thun, als ihrem Bedürfnisse genügt.
Die zweite Art der Keuschheit ist, eine reine Wittib zu sein, und die Umarmung eines Mannes zu fliehen und nach der Umarmung Jesu Christi zu verlangen. Diese sind Diejenigen, welche Weiber gewesen sind, aber ihre Gatten verloren haben und auch Frauen, die Wollust getrieben haben und durch ihre Buße erlöst sind. Und, gewiß, wenn ein Eheweib sich ganz keusch erhalten könne durch Erlaubniß ihres Gatten, so daß sie ihm keine Veranlassung und keine Gelegenheit gäbe, sich zu vergehen, so würde es für sie ein großes Verdienst sein. Diese Art von Frauen, welche die Keuschheit beobachten, muß reines Herzens, Leibes und Sinnes sein, mäßig in Kleidung und Haltung, enthaltsam im Essen und Trinken, im Sprechen und im Thun und dann gleicht sie dem Gefäße oder der Büchse der gesegneten Magdalena, weil sie die heilige Kirche mit gutem Geruche erfüllt.
Die dritte Art der Keuschheit ist Jungfräulichkeit, und es versteht sich, daß sie heilig von Herzen und rein von Körper sei. Dann ist sie die Braut Jesu Christi und das Leben der Engel; sie ist das Lob der Welt und sie kommt den Märtyrern gleich. Sie trägt in sich, was keine Zunge aussprechen kann und kein Herz denken. Jungfräulichkeit besaß unser Herr Jesus Christ, und eine Jungfrau war er selber.
Ein anderes Mittel gegen die Wollust ist, daß man sich besonders derjenigen Dinge enthalte, welche Veranlassung zu jener Schlechtigkeit geben, als Wohlleben, Essen und Trinken; denn, fürwahr, wenn der Topf überkocht, so ist das beste Mittel, ihn vom Feuer fortzurücken. Langer Schlaf bei großer Ruhe ist gleichfalls eine große Nährerin der Wollust.
[311] Ein anderes Mittel gegen Wollust ist, daß Mann und Weib die Gesellschaft derer fliehen, von denen versucht zu werden sie argwöhnen; denn, wenn auch immerhin der That widerstanden wird, so ist dennoch die Versuchung groß. Fürwahr, eine weiße Wand wird, wenn sie das Flimmern einer Kerze auch nicht in Brand setzt, dennoch durch das Licht schwarz.
Gar oft las ich, daß Niemand auf seine eigene Voll kommenheit bauen solle, er sei denn stärker als Simson, heiliger als David oder weiser als Salamo.
Nachdem ich nun, so gut ich konnte, die sieben Todsünden und ihre verschiedenen Zweige und Gegenmittel erklärt habe, möchte ich, fürwahr, wenn ich könnte, euch auch die zehn Gebote Gottes vortragen; aber eine so hohe Lehre überlasse ich den Gottesgelehrten. Nichtsdestoweniger hoffe ich zu Gott, daß ein jegliches unter allen in dieser Abhandlung berührt ist.
Da nun der zweite Theil der Buße in der Beichte des Mundes besteht, so sage ich, wie ich im ersten Capitel begann, daß St. Augustinus spricht: Sünde ist jedes Wort und jede That und alles, was Menschen dem Gesetze Christi zuwider thun, und das besagt: sündigen im Herzen, im Munde und in der That durch die fünf Sinne, welche Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Fühlen sind. Nun ist es gut, die Umstände zu kennen, welche zu jeder Sünde beitragen. Du, welcher die Sünde thust, sollst in Erwägung ziehen, was du bist, Mann oder Weib, jung oder alt, edel oder hörig, frei oder dienstbar, gesund oder krank, verheirathet oder ledig, Priester oder Laie, weise oder thöricht, geistlich oder sekulär, ob sie körperlich oder geistlich dir nahe steht oder nicht, ob irgend einer deiner Angehörigen mit ihr gesündigt hat oder nicht, und was der Sachen mehr.
Ein anderer Umstand ist dieser, ob es in Hurerei oder Ehebruch geschehen ist oder nicht, in irgend einer Art von Todtschlag oder nicht, ob es eine greuliche, große Sünde sei oder eine kleine, und wie lange du in der Sünde beharrt hast. Der dritte Umstand ist der Art, allwo du die Sünde begangen hast, ob in andrer Leute Hause oder in deinem eigenen, im Felde, in der Kirche oder in dem Kircheneigenthume, in geweihten oder in ungeweihten Kirchen. Denn, wenn eine Kirche geheiligt ist und Mann oder Weib an diesem Orte ihr Geschlecht verschütten, so wird die Kirche mit dem Inderdict belegt, so lange bis [312] sie der Bischof wieder gereinigt hat; und wäre es ein Priester, der solche Schlechtigkeit beginge, so könnte er bis an das Ende seines Lebens keine Messe mehr singen, und wenn er es dennoch thäte, so würde es jedesmal Todsünde sein, wenn er eine Messe sänge.
Der vierte Umstand bezieht sich auf Vermittler und Boten zur Verlockung und Einwilligung und sich zum Mitgenossen zu machen, da manch elender Mensch lieber zum Teufel in die Hölle fahren will, als nicht Genossenschaft zu halten. Deßhalb sind Diejenigen, die zu Sünden reizen oder Sünden billigen, Theilnehmer an der Sünde und an der Verdammniß des Sünders. Der fünfte Umstand ist, wie oft man gesündigt hat, und ob es im Herzen war, und wie oft man gefallen ist. Denn Derjenige, welcher häufig in Sünde fällt, verachtet die Gnade Gottes und verschlimmert seine Sünde und ist unerkenntlich gegen Christus, und wird immer schwächer, der Sünde zu widerstehen, und sündigt leichter und erhebt sich um so später daraus, und wird lässiger zur Beichte und namentlich bei dem, welcher sein Beichtvater war. Aus welchem Grunde auch Leute, wenn sie wieder in ihre alte Thorheit zurückfallen, entweder ihren alten Beichtvater ganz verlassen, oder sonst ihre Beichte auf verschiedene Stellen vertheilen; aber, fürwahr, Diejenigen, welche solcher Art ihre Beichte vertheilen, verdienen nicht die Gnade Gottes für ihre Sünden. Der sechste Umstand ist, weßhalb ein Mensch sündigt, sowie durch welche Versuchung und ob er selbst sich solche Versuchung bereitete, oder durch Andere angeregt wurde; oder ob bei einem Weibe die Sünde mit ihrer eigenen Einwilligung geschah, oder ob das Weib ungeachtet ihres Willens gezwungen wurde oder nicht; das soll sie erzählen, und ob es aus Begehrlichkeit war oder aus Armuth, und ob es durch ihr eigenes Betreiben war oder nicht, und andere solche Sachen. Der siebente Umstand ist, in welcher Weise er seine Sünde begangen hat, oder wie sie gelitten hat, daß er die Sünde an ihr vollziehe. Und so soll man es schlicht erzählen mit allen Umständen und ob man mit gewöhnlichen öffentlichen Dirnen gesündigt hat oder nicht, ob es zu einer geheiligten Zeit war oder nicht, während der Fasten oder nicht, ob vor seiner Beichte oder nach seiner letzten Beichte und ob dadurch vielleicht die auferlegte Buße gebrochen wurde, mit wessen Hilfe, auf wessen Rath, ob durch Zauberei oder durch List, alles muß erzählt werden. Alle diese Dinge belasten, je nachdem sie groß oder klein sind, das Gewissen von Mann und Weib. Und auch der Priester, welcher dein [313] Richter ist, gewinnt dadurch Einsicht, um die Buße mit Verständniß aufzuerlegen in Gemäßheit deiner Zerknirschung. Denn, verstehe wohl, wenn ein Mann, nachdem er seine Taufe durch Sünde geschändet hat, zur Erlösung gelangen will, so giebt es keinen andern Weg, als durch Reue, Beichte und Genugthuung, und namentlich durch die beiden ersteren, wenn ein Beichtiger vorhanden ist, dem man bekennen kann, und falls man zuvor wahrhaft zerknirscht und reuevoll fühlt; und durch die dritte, falls man am Leben bleibt, sie auszuführen.
Dann soll der Mensch einsehen und erwägen, daß wenn er eine aufrichtige und nutzbringende Beichte machen will, er vier Bedingungen zu erfüllen hat. Erstens muß sie aus kummervoller Bitterkeit des Herzens kommen, wie der König Ezechiel zu Gott sprach: Ich will alle Zeit meines Lebens in der Bitterkeit meines Herzens daran gedenken. Diese Bedingung der Bitterkeit hat fünf Zeichen. Das erste ist, daß die Beichte Beschämung zeigt und die Sünde nicht verschleiert oder verbirgt, sondern eingesteht, wodurch gegen Gott gefehlt und die Seele geschändet ist. Und hierüber sagt St. Augustinus: das Herz liegt in Wehen aus Scham über seine Sünde; und wer große Beschämung fühlt, ist würdig, die Gnade Gottes zu erlangen. So war die Beichte des Zöllners, welcher seine Augen nicht gen Himmel heben wollte, weil er Gott im Himmel beleidigt hatte, für welche Erniedrigung er sofort die Gnade Gottes gewann. Und deßhalb sagt St. Augustin, daß solche schamerfüllte Leute der Vergebung und Gnade am nächsten sind. Ein anderes Zeichen ist Demuth in der Beichte, worüber St. Peter sagt: Demüthigt euch vor der Macht Gottes! – Die Hand Gottes ist mächtig in der Beichte, denn dadurch vergiebt uns Gott die Sünden, denn Er allein hat dazu die Macht. Und die Demuth soll wie im Herzen so auch in äußern Merkmalen bestehen, denn, wie man Demuth gegen Gott im Herzen trägt, so sollte sich ebenso auch der äußere Leib vor dem Priester demüthigen, der an Gottes Stelle sitzt. Darum sollte auch in keinem Falle, alldieweil Christus der Herr ist und der Priester der Unterhändler oder Vermittler zwischen Christus und dem Sünder, und der letztere selbstverständlich der niedrigste ist, ein Sünder so hoch sitzen, wie sein Beichtvater, sondern zu seinen Füßen vor ihm knien, falls ihn nicht Krankheit daran hindert; denn er soll nicht daran denken, wer vor ihm sitzt, sondern in wessem Stelle er dort sitzt.
Ein Mensch, welcher sich gegen seinen Herrn vergangen hat und [314] zu ihm kommt, um Gnade zu bitten und seine Versöhnung zu machen, sich aber sofort neben seinen Herrn niedersetzen wollte, würde Jedermann für unverschämt halten und nicht für würdig, sobald Vergebung und Gnade zu erhalten. Das dritte Zeichen ist, daß die Beichte unter vielen Thränen geschehe, wenn der Mensch weinen kann; und wenn er nicht mit seinen leiblichen Augen weinen kann, so laßt ihn in seinem Herzen weinen. So war die BußeSt. Peters, denn nachdem er Jesus Christus verläugnet hatte, ging er hinaus und weinte bitterlich. Das vierte Zeichen ist, daß man sich nicht schäme zu beichten und zu bekennen. So war die Buße derMagdalena, die nicht aus Scham vor Denen, so auf dem Feste waren, zögerte, sondern zu unserem Herrn Jesu Christo ging und ihm ihre Sünden bekannte. Das fünfte Zeichen ist, daß Mann und Weib gehorsam sind, die Buße anzunehmen, welche ihnen auferlegt ist. Denn, wahrlich, Jesus Christus war um der Schuld der Menschheit willen gehorsam bis zum Tod.
Die zweite Bedingung für die aufrichtige Beichte ist, daß sie eilig geschehe; denn, wahrlich, je länger ein Mensch, welcher eine tödtliche Wunde hat, mit deren Heilung zögert, desto schlimmer wird sie und desto rascher treibt sie ihm dem Tode entgegen und desto schwerer wird sie zu heilen sein. Und ebenso geht es mit der Sünde, welche im Menschen lange verheimlicht bleibt. Gewiß, man muß seine Sünde aus manchen Gründen rasch zeigen, unter andern aus Furcht vor dem Tode, der oft plötzlich kommt und bei dem es ungewiß, wann und wo er uns treffen möge; auch zieht das Verbergen einer Sünde andere nach sich; und ferner ist man, je länger man zögert, um so entfernter von Christus. Und wenn man bis zu seinem letzten Tage damit zurückhält, so mag man kaum seine Sünde bereuen und sich ihrer entsinnen oder wegen der furchtbaren Todeskrankheit beichten können. Und ebenso wie man in seinem Leben nicht auf Christ hörte, wenn er zu uns sprach, so wird auch unser Herr an unserm letzten Tage, so sehr wir auch zu ihm schreien mögen, uns kaum hören. Und lernt, daß diese Bedingung vier Sachen umfaßt. Erstlich, daß die Beichte vorbereitet und überlegt sein muß; denn schlimme Eile nützt zu nichts; und daß der Mensch bei seiner Beichte wissen muß, ob die Sünde aus Stolz, Neid und so weiter kommt mit allen Umständen und Unterarten; und daß er in seinem Gemüthe die Zahl und Größe seiner Sünden begriffen hat, so wie auch, wie lange er in der Sünde beharrte, und auch, daß er zerknirscht über seine Sünden sei und fest [315] in seinem Vorsatze, mit Gottes Gnade nie wieder in Sünde zu fallen, und auch, daß er wohl Acht gebe und aufpasse die Gelegenheit zu derjenigen Sünde zu meiden, zu welcher er geneigt ist. Und ebenso sollst du alle deine Sünden einem Manne beichten und nicht stückweise durcheinander bei verschiedenen, das besagt in der Absicht, aus Scham oder Furcht die Sünden zu theilen; denn das heißt, deine eigene Seele erwürgen. Denn, gewiß, Jesus Christus ist die vollkommenste Güte, in ihm ist keine Unvollkommenheit, und deßhalb verzeiht er entweder vollständig oder überhaupt nicht. Ich sage nicht, daß du gebunden bist dem bestimmten Beichtiger, dem du einer bestimmten Sünde wegen zugewiesen bist, auch den ganzen Rest deiner Sünden zu zeigen, welche du bereits deinem Pfarrer gebeichtet hast, so weit du es etwa aus Demuth nicht gern thun willst; dies ist kein Theilen der Beichte. Nein, ich sage nicht, wenn ich vom Theilen der Beichte spreche, daß, insofern du die Erlaubniß hast, einem verschwiegenen und ehrlichen Priester zu beichten, und wo es dir gefällt und unter Gestattung deines Pfarrers, du auch diesem nicht alle deine Sünden beichten könntest; aber laß keinen Flecken zurück; laß keine Sünde unerzählt, soweit dein Gedächtniß reicht. Und wenn du bei deinem Pfarrer beichtest, so erzähle ihm auch alle Sünden, welche du seit deiner letzten Beichte gethan hast. Dieses ist keine böse Absicht, die Beichte zu vertheilen.
Auch die wahre Beichte fordert gewisse Bedingungen. Erstens, daß du aus freien Stücken beichtest, nicht gezwungen, nicht aus Scham vor den Leuten, nicht aus Krankheit oder aus sonstigen andern Gründen; denn es ist vernünftig, daß Derjenige, welcher aus seinem freien Willen gefehlt hat, auch aus seinem freien Willen seine Fehler bekennt und daß kein Anderer seine Sünde erzähle, wie er selbst; nein, er soll seine Sünde weder läugnen noch verneinen, noch gegen den Priester böse werden, weil er ihn ermahnt, von seiner Sünde zu lassen. Die zweite Bedingung ist, daß deine Beichte rechtmäßig sei, das heißt, daß du, welcher beichtest, und auch der Priester, der deine Beichte hört, wahrhaftig in dem Glauben der heiligen Kirche stehen, und daß Keiner an der Gnade Christi verzweifeln solle, wie es Kain und Judas thaten. Auch muß man sich seiner eigenen Sünden anklagen und keinen Andern, und sich selbst wegen seiner Bosheit und seiner Sünden tadeln und angeben, aber keinen Andern; indessen, wenn Jemand der Anstifter und Anreizer zur Sünde gewesen ist, oder von solchem Stande ist, daß dadurch die Sünde erschwert wird, oder daß man sonst nicht klar [316] beichten kann, ohne die Person zu nennen, mit welcher man gesündigt hat, so mag man es sagen, vorausgesetzt, daß es nicht in der Absicht geschieht, die Person anzuschwärzen, sondern nur um seine eigne Sünde zu erklären.
Du sollst auch nicht aus Demuth in deiner Beichte lügen, indem du vielleicht sagst, daß du diese oder jene Sünde begangen habest, deren du niemals schuldig warst. Denn, St. Augustin sagt, daß, wenn du in deiner Demuth dir etwas selbst anlügst, so bist du, falls du auch vorher nicht in Sünde warst, doch nunmehr deiner Lüge wegen in Sünde. Auch mußt du die Sünde mit deinem eigenen Munde bekennen, wenn du nicht stumm bist, aber nicht brieflich. Denn du, welcher die Sünde begangen hast, sollst auch die Scham der Beichte tragen. Du sollst auch deine Beichte nicht mit schönen und gewandten Worten übertünchen, um desto besser deine Sünde zu verhüllen; denn du betrügst dich selbst und nicht den Priester; du mußt schlicht erzählen, ob auch deine Sünde noch so schlimm und greulich sei. Du sollst auch einem Priester beichten, der dir verständigen Rath ertheilen kann; und du sollst auch nicht aus Eitelkeit beichten, noch aus Heuchelei, noch aus irgend einem andern Grunde, sondern nur allein aus der Furcht Christi und für das Heil deiner Seele. Du sollst auch nicht plötzlich zum Priester rennen und ihm deine Sünde leicht hinerzählen, wie man einen Spaß oder eine Geschichte erzählt, sondern überlegt und mit guter Andacht; und im allgemeinen beichte oft; wenn du oft fällst, so erhebe dich oft wieder durch die Beichte. Und wenn du auch mehr als einmal die Sünden bekennst, von denen du losgesprochen bist, so ist es ein um so größeres Verdienst. Und wie St. Augustin sagt, du sollst dann leichteren Erlaß und Gnade bei Gott finden, sowohl für die Sünde als für die Strafe. Und sicherlich einmal im Jahre ist zum mindesten geboten, das Sacrament zu empfangen; denn, fürwahr, alle Dinge auf Erden werden im Verlaufe eines Jahres erneuert.
Nun habe ich euch von der wahren Beichte erzählt, welche der zweite Theil der Buße ist. Der dritte Theil ist die Genugthuung, und diese besteht meistens in Almosengeben und in körperlichen Strafen. [317] Nun giebt es drei verschiedene Arten von Almosen: Zerknirschung des Herzens, wodurch man sich selbst seinem Gott darbietet; eine andere ist, Mitleid mit dem Mangel seines Nächsten zu haben, und die dritte ist, guten Rath zu ertheilen, geistlich oder leiblich, wenn Leute dessen bedürfen, und insbesondere hinsichtlich der Beschaffung menschlicher Nahrung. Und bedenkt wohl, daß der Mensch im allgemeinen dieser Dinge bedarf; er bedarf Nahrung, Kleidung und Herberge, er bedarf teilnehmenden Rath, Besuche im Gefängnisse und in Krankheit und Bestattung seiner Leiche. Und wenn du den Bedürftigen nicht selbst im Gefängnisse besuchen kannst, so besuche ihn durch Botschaft und durch Gaben. Dieses sind im allgemeinen die Almosen und Werke der Barmherzigkeit von Denen, welche zeitliche Güter und Verständniß im Rathertheilen haben. Von diesen Werken wirst du am Tage des Gerichtes hören. Diese Almosen sollst du von deinem Eigenthume, rasch und wo möglich heimlich geben; indessen, wenn du es nicht heimlich thun kannst, so mußt du dennoch das Almosengeben nicht unterlassen, obschon es die Menschen sehen, wenn es nicht aus Rücksicht auf die Welt, sondern allein um Jesu Christi willen geschieht. Denn, wie St. Matthäus Cap. V bezeugt, daß die Stadt, die auf einem Berge liege, nicht verborgen sei, noch man ein Licht anzünde und unter einen Scheffel setze, sondern auf einen Leuchter, damit es allen leuchte, die im Hause sind, also soll euer Licht leuchten vor den Leuten, daß sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.
Um nun von den körperlichen Strafen zu sprechen, so bestehen sie in Beten, in Wachen, in Fasten und tugendhaften Lehren. Unter Gebeten müßt Ihr verstehen, daß Bitten und Beten ein frommer Wille des Herzens genannt wird, das in Gott sein Vertrauen setzt und dieses durch äußere Worte ausdrückt, um Leiden abzuwenden, und um geistliche und ewige Dinge zu erlangen und bisweilen auch zeitliche. Von diesen Fürbitten hat Jesus Christus im Gebete des Paternoster die meisten Sachen eingeschlossen. Gewiß, es steht durch drei Dinge an Würdigkeit oben an, weßhalb es würdiger ist, als irgend ein anderes Gebet: denn Jesus Christus machte es selber und es ist kurz, damit es desto leichter und bequemer im Herzen bewahrt werden könne und man sich desto öfter mit diesem Gebete zu helfen vermöge und um so weniger müde werde, es zu sagen; und daß man sich nicht entschuldigen könne, es zu lernen, ist es so kurz und so leicht; und endlich begreift es alle guten Gebete in sich.
[318] Die Erklärung dieses heiligen Gebetes, das so vortrefflich und würdig ist, überlasse ich den Meistern der Theologie; nur so viel will ich sagen, daß, wenn du betest, Gott möge dir deine Schuld vergeben, wie du deinen Schuldigern vergiebst, du dich wohl in Acht nehmen mögest, nicht ohne Barmherzigkeit zu sein. Dieses heilige Gebet vermindert auch läßliche Sünde und deßhalb paßt es sich besonders zur Buße.
Dieses Gebet muß aufrichtig und in vollkommenem Glauben gesagt werden; man muß es zu Gott ordentlich, verständig und andächtig beten, und immer muß man seinen Willen dem Willen Gottes unterordnen. Dieses Gebet muß auch mit großer Demuth, Reinheit und Ehrbarkeit gesprochen werden und nicht so, daß man Mann oder Weib ein Aergerniß dadurch giebt. Es muß auch von Werken der Barmherzigkeit gefolgt sein. Es hilft auch gegen die Laster der Seele; denn – wie St. Hieronymus sagt – durch Fasten werden die Laster des Fleisches geheilt und durch Gebet die Laster der Seele.
Hiernach muß du verstehen, daß körperliche Strafe auch im Wachen besteht. Denn Jesus Christus sagt: Wachet und betet, daß ihr nicht in Anfechtung fallet. Ihr müßt auch verstehen, daß Fasten aus drei Dingen besteht: im Enthalten von leiblicher Speise und Trank, im Enthalten von weltlicher Lustbarkeit und im Enthalten von Todsünde, insofern man sich nämlich mit aller Kraft von Todsünde entfernt halten soll.
Und du mußt auch verstehen, daß Gott das Fasten eingesetzt hat, und zum Fasten gehören vier Dinge. Freigebigkeit an Arme, Fröhlichkeit im Geist und Herzen, nicht ärgerlich noch verdrießlich über das Fasten zu sein, und gleichfalls eine vernünftige Zeit, um mäßig zu essen; das heißt, man soll nicht zur Unzeit essen und, weil man fastet, nicht länger bei Tische sitzen. Dann sollst du verstehen, daß körperliche Strafe in Zucht oder Lehre durch Wort und Schrift oder Beispiel besteht. Auch im Tragen von Haar oder Wolle oder einem Maschenpanzer auf der bloßen Haut um Christi willen, aber sieh dich vor, daß solche Arten der Buße nicht dein Herz bitter oder ärgerlich machen und dich langweilen; denn besser ist es dein hären Kleid wegzuwerfen, als die Süßigkeit unseres Herrn Jesu Christi. Und deßhalb, sagt St. Paul: Kleidet euch als die Auserwählten im Herzen Gottes mit Demuth, Mitleid, Geduld und solchen Kleidern, welche Jesu Christo mehr gefallen als härene Gewänder und Maschenpanzer.
[319] Dann besteht auch Zucht in Schlagen an deine Brust, in Peitschen mit Ruthen, in Leiden, in geduldigem Ertragen des Unrechtes, welches dir geschehen ist und auch in geduldigem Leiden von Krankheit, Verlust weltlichen Gutes oder Weib oder Kind oder anderer Freunde.
Dann mußt du verstehen, welche Sachen die Buße stören; und das geschieht in vierfacher Weise, nämlich durch Furcht, Scham, Hoffnung und Mangel an Hoffnung, das ist Verzweiflung. Und um zunächst von der Furcht zu sprechen, durch welche man wähnt, daß man die Buße nicht tragen könne, so ist das Mittel dagegen, zu bedenken, daß körperlicher Schmerz sehr geringfügig in Vergleich zu den Qualen der Hölle ist, die so grausam und lang und ohne Ende sind.
Und gegen die Scham, die man zu beichten fühlt und besonders jene Heuchler, die für so vollkommen gelten wollen, daß sie nicht nöthig haben zu beichten, gegen diese Scham sollte man denken, daß, wie man sich nicht geschämt hat, schlechte Sachen zu thun, man sich auch vernünftiger Weise nicht schämen solle gute Sachen zu thun, und eine solche ist die Beichte. Man sollte auch bedenken, daß Gott jeden Gedanken sieht und kennt, sowie alle unsere Werke, und daß man vor ihm nichts verbergen kann. Man sollte sich auch der Scham erinnern, welche am Tage des Gerichts die überkommen wird, so in ihrem gegenwärtigen Leben nicht bußfertig gewesen sind; denn alle Creaturen im Himmel, auf Erden und in der Hölle werden öffentlich alles sehen, was man vor der Welt verborgen hielt.
Um nun von der Hoffnung Derjenigen zu sprechen, die so nachlässig und langsam im Beichten sind, so besteht diese aus zwei Arten. Die eine ist, daß man hofft, noch lange zu leben und durch seinen Fehltritt viel Gut zu erlangen und dann erst zu beichten; und wie er sagt und ihm scheint, kann er noch immer zeitig genug zur Beichte kommen. Die andere ist die eitle Ueberschätzung der Gnade Christi. Gegen das erste Laster soll man denken, daß unser Leben keine Sicherheit gewährt und auch daß aller Reichthum dieser Welt dem Zufall unterworfen ist und wie der Schatten an der Wand schwindet, und – wie St. Gregorius sagt – daß es zur großen Gerechtigkeit Gottes gehöre, daß die Strafe nie von dem weichen solle, der sich nie der Sünde enthalten will, wenn es ihm nicht gefällt, sondern immer in Sünden bleibt; für solchen beständigen Willen, Sünde zu thun, sollen sie auch beständige Pein leiden.
Mangel an Hoffnung ist zwiefacher Art. Die erste ist Hoffnungslosigkeit [320] auf die Gnade Gottes; die andere ist, zu denken, daß man nicht länger im Guten ausharren könne. Die erste Hoffnungslosigkeit kommt daher, daß man wähnt, man habe so schwer und so oft gesündigt und so lange in Sünden gelegen, daß man nicht errettet werden könne. Gewiß, gegen diese verfluchte Hoffnungslosigkeit sollte man denken, daß die Passion Jesu Christi stärker ist, uns zu lösen, als es die Sünde ist, uns zu binden. Gegen die zweite Hoffnungslosigkeit soll man denken, daß so oft man fällt, man sich auch ebenso oft durch die Beichte wieder erheben kann; und ob man noch so lange in Sünden gelegen hat, die Gnade Christi ist immer bereit, uns aufzunehmen und zu verzeihen. Gegen jene Hoffnungslosigkeit nicht länger im Guten ausharren zu können, soll man denken, daß die Schwachheit des Teufels nichts vermag, wenn der Mensch es nicht dulden will; und er wird auch Stärke durch die Hülfe Jesu Christi finden und seiner ganzen Kirche und durch den Schutz von Engeln, wenn er will.
Dann sollen die Menschen verstehen, was die Frucht der Buße ist; und nach den Worten Jesu Christi ist sie die endlose Seligkeit des Himmels, wo Freude den Gegensatz von Leid und Kummer nicht kennt. Dort sind alle Leiden des gegenwärtigen Lebens vorbei; dort ist Sicherheit vor den Strafen der Hölle; dort ist die segensvolle Gemeinschaft, die sich an der Freude Anderer immerdar erfreut; dort scheint der Menschenleib, der einst garstig und dunkel war, heller denn die Sonne; dort ist der Leib, der einst gebrechlich, krank, schwach und sterblich war, unsterblich und so stark und kräftig, daß ihm nichts widerfahren kann; dort ist weder Hunger noch Durst noch Kälte, sondern jede Seele wird erfüllt durch den Anblick und das vollständige Schauen Gottes! Dieses Segensreich können die Menschen durch geistige Armuth erkaufen; die Herrlichkeit durch Niedrigkeit; die Ueberfülle der Freude durch Hunger und Durst und die Ruhe durch Arbeit und das Leben durch den Tod und der Ertödtung der Sünde.
Zu diesem Leben führe uns der, welcher uns mit seinem kostbaren Blute erkauft hat. Amen!
Nun bitte ich Alle, welche diese kleine Abhandlung hören oder lesen, daß sie, falls sie etwas darin finden, was ihnen gefällt, dafür unserm Herrn Jesus Christus danken, von welchem aller Witz und alle Frömmigkeit kommt; und wenn etwas darin ist, das ihnen mißfällt, [321] so bitte ich gleichfalls, daß sie es meiner Unwissenheit zur Last legen und nicht meinem Willen, da ich mich besser ausgedrückt haben würde, wenn ich es vermocht hätte; denn unser Buch sagt, daß alles, was geschrieben ist, uns zur Lehre geschrieben sei; und dieses ist meine Absicht. Deßhalb ersuche ich Euch demüthig, um der Gnade Gottes willen, für mich zu beten, daß Christ Gnade mit mir habe und mir meine Schuld vergebe [und insbesondere meine Uebersetzungen und Dichtungen weltlicher Eitelkeit, welche ich in meinen Widerrufen zurücknehme, wie das Buch von Troilus, ebenso das Buch der Fama, das Buch der fünfundzwanzig Damen, das Buch von der Herzogin, das Buch vom St. Valentinstage des Parlaments der Vögel, die Erzählungen von Canterbury, insoweit sie nach Sünde schmecken, das Buch vom Löwen und manches andere Buch, wenn es mir im Gedächtniß wäre, und manchen Gesang und manches liederliche Lied – Christ in seiner großen Gnade vergebe mir die Sünde. Aber für die Uebersetzung des Boëtius von der Tröstung, und andere Bücher von Heiligenlegenden, Homilien, andächtigen und moralischen Inhaltes, danke ich unsern Herrn Jesus Christ und seine segensreiche Mutter und alle Heiligen im Himmel, indem ich sie bitte, mir fortan bis zu meinem Lebensende die Gnade zu senden, meine Schuld zu beklagen und mich um das Heil meiner Seele zu bemühen] und mir die Gnade wahrer Buße, Beichte und Genugthuung in diesem gegenwärtigen Leben gewähre durch die gütige Gnade dessen, der König der Könige, Priester aller Priester ist, welcher uns durch sein theures Herzblut erkaufte, so daß ich am letzten Tage des Gerichtes einer von denen sein möge, die errettet werden; qui cum Deo patre et Spiritu sancto vivis et regnas Deus per omnia secula. Amen!
Ende der Canterbury-Erzählungen. [322]