[410] An Calisten
Ich kan mir nicht mehr widerstreben;
Die schönheit flößt mir das gelüsten ein.
Im Paradieß kan keiner leben /
Und ohne fall und fehl-tritt seyn.
Dein Edens-platz / mein kind Caliste /
Zieht meine hand
Auff deinen kreyß der rundten brüste /
Und meinen leib in dein gelobtes land.
Der lentz pflegt uns in herbst zu leiten;
Das jahr läst uns nach blumen früchte sehn:
laß mich doch auch nach deinen zeiten
In deinen anmuths-garten gehn.
Mein frühling ist ein kuß gewesen /
Laß aus der schooß
Mich endlich reiffe früchte lesen /
Wie in dem stand der unschuld nackt und bloß.
Du kanst den leib mir nicht verschliessen/
Von welchem du mir schon das hertz entdeckt.
Laß unsern geist zusammen fliessen /
Weil doch kein kuß ihm selber schmeckt.
Vergrabe mich in helffenbeine /
Voll fleisch und blut;
Denn werd ich gleich darinn zum steine /
So weiß ich doch/ daß es mir sanffte thut.
Eröffne mir das thor zum lande /
Wo zucker rinnt / und wollust tafel hält;
Laß meinen kahn am engen strande
In deine neu-erfundne welt.
Du darffst dich nicht / Caliste / schämen;
Das feigen-blat /
[410]Das Eva für sich muste nehmen /
Zeigt und verdeckt nicht unsre lagerstatt.
Bestraffe mich mit keinem tadel /
Daß deinen schooß mein hertze lieb gewinnt;
Denn der magnet forscht mit der nadel /
Biß er den mittel-punct ergründt.
Ein schäfgen weidt in thal und auen /
Wo schatten ist;
Mein hertze will das deine schauen;
Drum such ich es / da / wo du offen bist.