682. Stinkende Bomben

Zwischen Beraun und Prag liegt auf hohem Fels die herrliche und stattliche Burg und Festung Karlstein, dem Lande zum Schutz, dem Feinde zum Trutz erbaut vom Kaiser Karl IV., noch völlig wohl erhalten, voll Altertümer und Sehenswürdigkeiten, mit einem riesigen Turme, mit Kirchen, Kapellen, Königssälen und tiefen Kerkern. Da zeigt man die Bettstätte der heiligen Ludmille, den Schädel des Lindwurms, den der heilige Georg tötete, und viel anderes an Kostbarkeiten und Geräten. Im Jahre 1422 wurde Karlstein belagert und auf eine Weise beschossen, wie vor und nach wohl keine andere Festung. Die Besatzung hielt zu ihrem rechtmäßigen Herrn, dem König Sigmund; die von diesem abgefallenen Hussiten und die aufgewiegelten Stände aber hatten den Großherzog Vitold von Litauen zum König von Böhmen erwählt, nachdem der Polenkönig Wladislaw die zweideutige, einem andern geraubte Krone nicht angenommen. Vitold aber, am Selbstkommen verhindert, sandte einen Reichsverweser, seinen Neffen, den Prinzen Koribut von Litauen, welcher mit fünftausend Reitern in Prag einzog und von dem abgefallenen Volke umjubelt wurde. Dasselbe hatte große Lust, den Fremdling mit den Zeichen der böhmischen Königswürde alsobald zu schmücken; diese Zeichen lagen aber wohlverwahrt auf dem Karlstein, welchen dessen Burggraf Tluksa von Buraine auf das tapferste verteidigte, ja die Krone Böhmens hatte derselbe mit Absicht selbst vom Karlstein entfernt und an einen andern geheimen und sichern Ort, nach Schloß Welhartitz, bringen lassen. Zuerst wurde mit Pulver geschossen und mit Steinen geworfen, wozu sogar Säulen aus der Kirche Maria Schnee zu Prag dienen mußten, da das aber zur Gewinnung der Feste Karlstein nicht verhalf, so verfielen die Belagerer auf einen häßlichen Gedanken, indem sie neben nahe an elftausend Kugeln nun auch stinkende Bomben hinauf- und hineinschleuderten, nämlich alle krepierten Pferde, Esel, Schafe, Hunde und sonstiges Getiere, deren Äser in vollkommenster Fäulnis sich befanden, daneben auch Schlangen, Unrat aus geheimen Gemächern und Kloaken, ja alle nur erdenklichen Stinksachen an zweitausend Fässer voll, und war deren keines wieder zum Krauteinmachen zu gebrauchen. Von dem häßlichen und unleidlichen [452] Schmack wurden der Besatzung alle Zähne wackelnd, aber die Festung wankte nicht, und die Belagerten deckten die Stinkbomben mit ungelöschtem Kalk zu und speisten fleißig Knoblauch und Zwiebeln, und da im Sommer auf vierzehn Tage Waffenstillstand gemacht wurde, verschafften die Apotheker zu Prag gute Zahnlatwergen aus Eichenlohe, Alaun und Scharbockkräutlein. Und hernach, je mehr die Feste endlich an allem Mangel litt, um so besser wehrte sie sich, und die Belagerer wurden der Belagerung satt und müde und meinten, daß durch unterirdische Gänge den Belagerten immer neue Mundvorräte zugeführt würden – und da wurde ein Beschluß gefaßt, bis Martini die Belagerung fortzusetzen, ergebe die Feste sich dann nicht, so möge sie belagern, wer da wolle, Hinz oder Kunz, denn dann werde es kalt, und des Sultans Janitscharen gingen auch nach Hause, wann der Winter komme. Das hörten die Belagerten, bei denen die Bissen immer schmaler wurden, gar gern, baten auf Allerheiligen- und Allerseelentag – acht Tage vor Martini – wiederum um einen Stillstand, denn sie müßten eine Hochzeit auf der Burg feiern, und als die Tage kamen, da ließen sie pfeifen und trommeln lustiglich – hatten aber weder Braut noch Bräutigam, weder Wein noch Fisch, weder Brot noch Braten mehr, nichts zu beißen und zu brocken für ihre wackligen Zähne als nur noch einen einzigen Bock. Diesen schlachteten sie, vierteilten ihn, machten den Rücken recht blutig, schnitten einen Sattel auf, der mit Rehhaaren gepolstert war, und streuten solcher Haare etliche drauf, taten auch Lorbeerblätter und eine Handvoll Wacholdern dran und sendeten diesen Braten als frischen Rehrücken zum Dank für die nicht frischen Braten, die ihnen über die Mauer geworfen worden waren, den Belagerern. Da sprachen diese: Nun sehen wir ja, daß es denen da droben nimmer an frischem Wildbret gebricht, nun ist es Zeit, abzuziehen! – und da ging es wie mit dem Glomssack zu Memel in Litauen, und der Prinz von Litauen ließ die Belagerung aufheben, zumal das Belagerungsheer schwürig wurde und ein Aufstand in Prag selbst drohte, allwo das Volk den Reichsverweser und seine Helfershelfer, die wie Pilze emporgeschoßten Regentschaftler, allbereits satt hatte bis an den Hals. Derselbe Prinz hatte einen Vetter im Lager, und als es zum Abzug kam, wandte sich dieser noch einmal um, hinauf zum Karlstein blickend, und sagte: Es ist doch schade, daß wir abziehen; gern hätte ich den Karlstein inwendig besehen. Kaum hatte er das Wort gesprochen, so knallte droben ein Valetschuß und Gruß aus einer Kartaune, sauste eine Stückkugel daher und riß dem Sprecher den Kopf ab.

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TextGrid Repository (2011). Bechstein, Ludwig. Sagen. Deutsches Sagenbuch. 682. Stinkende Bomben. 682. Stinkende Bomben. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-2B74-5