Eduard von Bauernfeld
Industrie und Herz
Lustspiel in vier Aufzügen

Personen

[311] Personen.

    • Franz Baldinger, Fabriksherr.

    • Freiherr von Wildenhain, Besitzer einer Standesherrschaft.

    • Hermine von Löwenburg, eine junge Witwe, Baldinger's entfernte Verwandte.

    • Herr Welting, Börsespekulant.

    • Hubert, Werkmeister und Maschinist.

    • Ritter von Petermann, Gutsbesitzer.

    • Griesicke, geheimer Oberkalkulator.

    • Pönches, ein Reisender.

    • Justiziär auf Wildenhain.

    • Sekretär,
    • Kanzellist, , im Handels-Ministerium.

    • Bergleute und Fabriksarbeiter.

1. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt
Herr Welting geht auf und ab. Freiherr von Wildenhain kommt aus der Seitenthüre, dem Schauspieler links.

WELTING
dem Eintretenden entgegen.
Baron Wildenhain! Meine Gedanken waren eben mit Ihnen beschäftigt.
WILDENHAIN.
Ich bin ein schlechtes Geschäft für Sie, Welting: ich trage keine Zinsen.
WELTING.
Wer weiß! Sie sollen welche tragen.
WILDENHAIN.
Vor der Hand muß ich sie leider bezahlen. – Wo ist unsere schöne Hausfrau?
WELTING.

Bei den Zurüstungen zu dem großen Ball, der heute – – Nun, lieber Baron, erinnern Sie sich an unser letztes Gespräch?

WILDENHAIN
wirft sich nachlässig auf ein Sopha.
So wenig als an meine letzte Liebschaft.
WELTING
lehnt sich zu ihm.
Ich erzählte Ihnen von einer großen Spekulation –
WILDENHAIN.
Das ist gewöhnlich der Inhalt Ihrer Novellen.
WELTING.
Von einer Aktien-Unternehmung –
WILDENHAIN.
Um den Leuten das Geld aus der Tasche zu locken.
WELTING.
Geschäft ist Geschäft, Spiel ist Spiel –
WILDENHAIN.

Das heißt: Euer Geschäft ist ein Spiel, und das Spiel ist Euer Geschäft. – Der Ball soll hübsch werden?

WELTING.
Glänzend. – Meine Unternehmung ist untrüglich. Die ersten Aktionäre müssen gewinnen.
WILDENHAIN.

Ich zweifle gar nicht. Die ersten Aktionäre! Das sind die, welche die Aktien zuerst losschlagen. Man spielt sie den Schustern, Schneidern, Wirthen und Kesselflickern in die Hand: die mögen zusehen, wie sie zu ihren Dividenden kommen.

WELTING.

Sie scherzen! Wie gesagt: das Geschäft ist lohnend; angesehene Kapitalien werden dazu angeboten, es fehlt nur noch Jemand, der – – darf ich offen sprechen, Baron? Sie sind ein Bischen derangirt: wollen Sie mit Einem kühnen Schritt aus Ihrer üblen Lage heraustreten?

WILDENHAIN.
Von Herzen gern. Aber wie?
WELTING.
Durch Thätigkeit. Stellen Sie sich an die Spitze unserer Unternehmung.
WILDENHAIN
steht auf.
Wie, Herr Welting –?
WELTING.

Ihr großer Name, Ihre Verbindungen genügen, der Sache den nöthigen Glanz zu verleihen – für's Uebrige lassen Sie mich sorgen. Was sagen Sie dazu?

WILDENHAIN.
Ich sage: nein.
WELTING.
Und Ihre Gründe?
[311]
WILDENHAIN.
Gründe? Ich heiße Karl Isidor Freiherr von Wildenhain.
WELTING.
Sie wären nicht der erste Kavalier, der spekulirt. Und ist's etwa ehrenvoller, Schulden zu haben?
WILDENHAIN.
Besser, als sie durch Wucher zu bezahlen.
WELTING.
Ich verzeihe Ihnen dieses unartige Wort, weil Sie vom Geschäft nichts verstehen. Aber noch einmal –
WILDENHAIN.

Nichts weiter! Ihr Antrag wäre beleidigend, wenn er von jemand Anderem käme. Ich verstehe nichts von dem, was Sie Geschäft nennen, will nichts davon verstehen. War ich leichtsinnig, so mag ich dafür büßen; hab' ich Schulden, so werd' ich sie bezahlen, und bliebe mir nichts übrig, als die kahle Mauer meiner Ahnenburg.

WELTING.
Vergeben Sie – aber auch die gehört Ihren Gläubigern.
WILDENHAIN.
So gehört mir wenigstens meine Gesinnung – und mein Name.
WELTING.

Wenn die Leute eigensinnig sind, das nennen sie Gesinnung. Aber wer sich nicht rathen läßt, dem ist nicht zu helfen.

2. Auftritt
Zweiter Auftritt
Vorige. Hermine von Löwenburg durch die Mitte.

HERMINE.

Guten Tag, meine Herren. Ich ließ lange warten. Wie geht's, Welting? Eine Wolke auf Ihrer Stirn, Baron?

WELTING.
Die Wolke hab' ich gemacht.
WILDENHAIN
heiter.
Sie kamen eben recht, gnädige Frau, um ein kleines Donnerwetter zu verhindern.
HERMINE.

Daß es nur auf meinem Balle nicht losbricht! Ich verspreche mir den heitersten Abend. Zu Welting. Aber was verschafft mir die Ehre, jetzt, zur Börsestunde –?

WELTING.
Ich soll einen Besuch ankündigen. Ihr Cousin will Ihnen aufwarten, schöne Frau.
HERMINE.
Mein Cousin?
WELTING.
Franz Baldinger, die industrielle Celebrität.
HERMINE.

Baldinger! Unbegreiflich! Wir haben uns seit Jahren nicht gesehen, und schieden damals nicht auf das freundlichste. Was mag er von mir wollen?

WELTING.
Ich weiß nicht. Vielleicht hat er von dem Ball gehört.
HERMINE.

Der Cousin tanzt nicht. Es ist überhaupt der ernsthafteste, trockenste Mensch von der Welt – ein Mann ohne Leidenschaft.

3. Auftritt
Dritter Auftritt
Vorige. Kammerdiener öffnet die Seitenthüre links. Franz Baldinger tritt ein.

WELTING.
Da kommt Herr Baldinger!
BALDINGER.
Frau Cousine –
HERMINE.
Herr Baldinger –
BALDINGER.

Ich komme in einer Angelegenheit, die keinen Aufschub leidet, und welche Sie betrifft. Darf ich um eine Viertelstunde bitten?

WELTING.

Ich eile auf die Börse. Adieu, meine Gnädige! Baron, ich hoffe, Sie werden sich besinnen. Ab zur Seite links.

HERMINE.
Sie bleiben noch, Baron Wildenhain?
BALDINGER
für sich.
Wildenhain?
HERMINE.
Die Säle sind nach Ihrer Angabe dekorirt: sehen Sie nach, ob Sie damit zufrieden sind.
WILDENHAIN.
Ohne Zweifel. Wir haben Beide Geschmack. Ab durch die Mitte.
4. Auftritt
Vierter Auftritt
Baldinger. Hermine.

HERMINE.
Nun, Herr Baldinger?
BALDINGER.
Cousine, Sie geben heute einen Ball?
HERMINE.
Ja.
BALDINGER.
Können Sie ihn nicht verschieben?
HERMINE.
Verschieben? Und warum?
BALDINGER.
Sie führen das Hauswesen unseres Onkels, des alten Dorner –
HERMINE.
Seit dem Ableben meines Gemals.
BALDINGER.
Dieser Onkel – ich kenne ihn kaum – befindet sich seiner Gesundheit wegen in Italien, nicht wahr?
HERMINE.
So ist es.
BALDINGER.
Er ist leidend, sehr leidend – man fürchtet für sein Leben.
HERMINE.
Das heißt: er fürchtet – schon seit zwanzig Jahren. Er ist Hypochonder.
BALDINGER.

Allein ich weiß aus guter Quelle, daß sich sein Zustand bedeutend verschlimmert hat. Schrieb er Ihnen nicht?

HERMINE
etwas verlegen.
Seit längerer Zeit erhielt ich keinen Brief. – Sie sagen: verschlimmert?
[312]
BALDINGER.
Die Aerzte besorgen einen Schlagfluß.
HERMINE
nach einigem Bedenken.
Ich will den Ball absagen. Ich danke Ihnen, Cousin –
BALDINGER.
Hören Sie mich an, Cousine. Ich weiß, Sie sind gegen mich eingenommen –
HERMINE.
Eingenommen?
BALDINGER.

Ich kann's Ihnen nicht verübeln. Wir sahen uns nicht seit fünf Jahren. Sie waren damals noch Mädchen, munter, muthwillig, und mochten sich an dem plumpen, ungeschlachten jungen Menschen so wenig erbauen, wie andere Damen. Ich habe mich freilich seitdem ein Bischen verändert – doch was hilft's? Ein Mensch bleibt im Grunde immer, der er ist, und über Neigung läßt sich nicht gebieten.

HERMINE.
Gewiß nicht. Auch ist die Sympathie meist gegenseitig.
BALDINGER.

Wie die Antipathie? Ganz richtig. Wir Menschen sind überhaupt ein wunderliches Geschlecht! Wir hassen oft Jemand, den wir eigentlich gar nicht kennen, und wir lernen ihn nicht kennen, weil wir ihn hassen. Doch gleich viel! Sie mögen wie immer von mir denken: es ist meine Pflicht, Sie zu warnen. Mit Einem Wort: der Onkel ist gegen Sie aufgebracht.

HERMINE
rasch.
Sie wissen –?
BALDINGER.
Ob ich weiß? So schrieb er Ihnen doch?
HERMINE.
Vor zwei Monaten zum letzten Male.
BALDINGER.
Und Sie antworteten ihm nicht?
HERMINE
etwas beschämt.
Nein.
BALDINGER.
Und warum nicht?
HERMINE.
Der Ton seines Briefes –
BALDINGER
nach einer kleinen Pause.

Meine Nachrichten sind neu, aber wenig erfreulich; der Onkel sandte seinem Rechtsfreund eine Vollmacht, worin er ihm die Verwaltung seines ganzen Vermögens und auch – des Hauswesens übertrug.

HERMINE
rasch.
Auch des Hauswesens? Seinem Rechtsfreund?
BALDINGER.
Der gute Mann gerieth in Verlegenheit und vertraute sich mir an.
HERMINE.

Ich bin also förmlich abgesetzt? Ich sah es kommen! – Aber sagen Sie Alles. Der Onkel klagt über mich – ist es nicht so?

BALDINGER.

Aufrichtig: ja. Er klagt über Ihre Verschwendung – aber ich weiß, der Onkel knickt gern ein wenig; über Ihre muntere Lebensweise – Sie müssen das einem alten, kranken, hypochondrischen Mann zu Gute halten; über die Wahl Ihres Umganges – er nennt insbesondere einen jungen Cavalier, der nicht im besten Ruf –

HERMINE.
Das ist Wildenhain!
BALDINGER.

Ich bin überzeugt, daß Sie die Gefahr dieses Umganges nicht kennen – oder nicht zu fürchten brauchen.

HERMINE.
Gefahr? Der Baron ist ein liebenswürdiger, geistreicher junger Cavalier.
BALDINGER.

Ich zweifle nicht, nur gilt er für ein wenig lebenslustig, galant. Seine Lebensweise ist bekannt, und die Welt beginnt bereits, seinen Namen mit dem Ihrigen zu nennen.

HERMINE
betroffen.
Das Erste, was ich höre. Aber glauben Sie, Cousin, ich habe mir gegen den Baron nichts vorzuwerfen.
BALDINGER.
Ich glaube Ihrem Wort, Cousine, aber ich bin nicht der Onkel, und da Sie von ihm abhängen –
HERMINE.

Gut, gut! Man will mich beschränken, man mißgönnt mir meine harmlosen Zerstreuungen – ich werde mich darein zu finden wissen. Der Onkel ist krank? Mein Ball soll nicht Statt finden. Noch einmal, Cousin: ich danke Ihnen. Leben Sie wohl. Mein schönes, mein freundliches Frühlingsfest! – Ist er denn wirklich gar so krank? – Gehen Sie nicht fort, Cousin! Wir sprechen uns noch. – Glauben Sie mir, der Onkel ist eine Art malade imaginaire. – Das italienische Klima schlägt ihm vortrefflich an. Doch was hegt daran! Der Ball wird verschoben. – Ich wette, die Seeluft kurirt ihn ganz. Ab durch die Mitte.

5. Auftritt
Fünfter Auftritt
Baldinger, dann Baron Wildenhain.

BALDINGER
allein, sieht ihr nach.

Da geht meine Jugend! – Das reizende Mädchen ward eine schöne Frau. Sie ist milder geworden, freundlicher – wir würden uns jetzt vielleicht besser verstehen. Die Zeit lehrt Alles; auch Verträglichkeit.

WILDENHAIN
auftretend.
Da ist Herr Baldinger, der Feind aller Tanzkunst!
BALDINGER.
Herr Baron von Wildenhain?
WILDENHAIN.
Der bin ich.
BALDINGER.
Das ist mir sehr angenehm. Längst wollt' ich Sie aufsuchen, Herr Baron.
[313]
WILDENHAIN.
Mich?
BALDINGER.
In Geschäften.
WILDENHAIN.
Schon wieder Geschäfte!
BALDINGER.
Meine Fabriken liegen zum Theil an der Landesgrenze, auf Ihrem Territorium.
WILDENHAIN.
Ich erinnere mich. Mein Oekonom hat mir davon geschrieben.
BALDINGER.

Wären Sie wohl geneigt, Herr Baron, mir Grund und Boden, so weit ich ihn benütze, in Eigenthum zu überlassen?

WILDENHAIN.
Warum nicht? Wenn Sie gut bezahlen?
BALDINGER.

Ich zahle nach jeder billigen Schätzung. Ueberdieß – ich will mich nicht rühmen – aber der Zufall verschaffte mir das Vergnügen, Ihnen in's Geheim einen Dienst zu leisten, Herr Baron.

WILDENHAIN.
Einen Dienst, Herr Baldinger?
BALDINGER.

Mehrere Ihrer Papiere wurden mir, weit unter dem Nennwerth, angeboten; ich kaufte sie auf. Kommt unser Geschäft zu Stande, so mögen die Papiere theilweise zu unserer Abrechnung dienen. Für jeden Fall bin ich bereit, sie Ihnen zu überlassen.

WILDENHAIN.
Nach ihrem Nennwerth?
BALDINGER.
Nicht doch! Nach demselben geringen Preis, um den ich sie gekauft.
WILDENHAIN.
Sie haben also gewisser Maßen im Stillen Schritte gethan, mich zu rangiren?
BALDINGER.

Ich bin Ihr Grundhold, Herr Baron, und hielt es für unrecht, meinen Grundherrn den Händen von Wucherern zu überliefern.

WILDENHAIN.

Sie sind ein seltener Mann, Herr Baldinger! Mein guter Freund, Herr Welting, hätte nicht so gehandelt.

BALDINGER.

Herr Welting ist ein Börse-Spekulant, Geld ist ihm Waare. Ich bin ein Mann der Industrie; meine Waare ist meine Arbeit. Unser Wahlspruch ist: Arbeit für Geld, nicht: Geld für Geld.

WILDENHAIN.
Warum hab' ich mich nicht früher an einen Mann, wie Sie, gewendet!
BALDINGER.
Das kann noch geschehen. Mein Credit steht Ihnen offen.
WILDENHAIN.
Ihr Credit? Aber der meinige?
BALDINGER.
Ist nicht so schlimm als Sie glauben, Herr Baron. Sagen Sie ein Wort und ich rangire Sie vollkommen.
WILDENHAIN.
Herr, das wäre ein Riesenwerk!
BALDINGER.
Meine Sache. Sie sind noch im Besitz Ihres Rittergutes Wildenhain?
WILDENHAIN.
Besitz? Wie man's nimmt. Es ist stark verklausulirt.
BALDINGER.

Meine großen Unternehmungen machen es mir wünschenswerth, mich zu arrondiren, Ihre Herrschaft taugt mir dazu am besten. Sie wollten Grundstücke veräußern; wie war's, wenn Sie den ganzen Stamm verkauften?

WILDENHAIN.
Verkaufen! Meine Standesherrschaft!
BALDINGER.

Der Ertrag ist gering, bis auf die Bergwerke; und die rentiren nur bei fleißiger Wirthschaft und bei der Benützung zu industriellen Zwecken.

WILDENHAIN.

Sie haben Recht. Wir armen Gutsbesitzer! Können wir's mit jener Riesen-Tarantel aufnehmen, Industrie genannt, die unser Land mit Fabriken umspinnt, und mit dem Tarantel-Tanz Aktienschwindel? – Sie wollen mich also rangiren, Herr Baldinger?

BALDINGER.
Ich bin dazu bereit, Herr Baron.
WILDENHAIN.

Gut, wir sprechen noch darüber. Ich suche Sie auf. Rangiren! – Das klingt, als sagte man: Leg' Dich ruhig und sorglos zu Bett – aber eigentlich heißt es: Leg' Dich in's Grab! – Nun, wir werden sehen. Leben Sie wohl, Herr Baldinger. Ab zur Seite links.

6. Auftritt
Sechster Auftritt
Baldinger, dann Hubert.

BALDINGER
allein.

Ein schöner Mann – aber stolz. Dabei ein wahrhaft adeliges Wesen. – Ob er sie wohl liebt? Es sieht nicht darnach aus.

HUBERT
von der Seite links, ein Packet in der Hand, sieht herein.
Ist die Luft rein?
BALDINGER.
Was bringst Du, Hubert?
HUBERT.
Sagt erst, Herr, ob kein Frauenzimmer da ist?
BALDINGER.
Du siehst, ich bin allein.
HUBERT
tritt völlig herein.

Gut. Da bin ich auch. Es gibt Zeichen, womit man sich die Hexen und bösen Geister vom Leibe hält; aber die bösen Geister, die in den Körpern der Weiber hausen, abzuhalten – dafür ist noch nichts erfunden worden. – Dieß Packet, Herr, brachte eine Estafette. Ich dachte, es sei dringend, und suchte Euch hier auf.

BALDINGER.

Von unsern deutschen Handelsfreunden in Genua. Öffnet das Packet, nimmt ein Papier heraus. Der Lieferungs-Kontrakt. [314] Liest flüchtig den Brief. Abgeschlossen. Sehr willkommen. Legt die Papiere auf den Tisch.

HUBERT.
Werden wir nun bald nach Hause reisen, Herr?
BALDINGER.
Nicht sobald. Meine Geschäfte vermehren sich.
HUBERT.
Habt Ihr den Baron aufgesucht?
BALDINGER.

Noch besser, ich habe ihn zufällig gefunden, und er wird mich aufsuchen. Im Vertrauen, Hubert, ich habe alle Hoffnung, die Herrschaft an mich zu bringen.

HUBERT.

Und die schönen Bergwerke? Nun, dann wollen wir erst arbeiten! Ich bin Euer Werkmeister und Maschinist; Ihr wart bisher mit mir zufrieden; aber Ihr sollt mich noch besser kennen lernen. Unsere Eisenhämmer und Streckwerke taugen alle nichts; ich will Euch Maschinen bauen, daß sich das Eisen von selbst hämmern und strecken soll. Ihr sollt schon sehen! Ich habe Mechanik im Leib, Mathematik im Kopf, und Industrie im Herzen.

BALDINGER.
Ich kenne Dein Geschick, guter Hubert.
HUBERT.
Geschick? Nun ja! Aber Ihr habt den Geist, das ist mehr. Macht nur, daß Ihr ihn nicht verliert.
BALDINGER.
Verlieren? Wie so?
HUBERT.

Hm! Ich weiß ja. Man setzt Euch zu. Da sind die Nachbarn draußen in der Runde – das hat Töchter, Schwestern, Basen – das Gezücht will Männer haben – das schnüffelt und kuppelt, und eh' sich's Einer versieht, ist er gefangen – ver heirathet. Und ein verheiratheter Mann bringt allwege nichts Großes mehr zu Stande.

BALDINGER.
Ohne Sorge, Hubert! Ich denke nicht daran, zu heirathen.
HUBERT.
Nicht? wirklich nicht?
BALDINGER.
Mein Wort darauf.
HUBERT.

Das ist recht! – Seht mich an: in meiner Jugend war ich dumm und verliebt – verhebt, weil ich dumm, und dumm, weil ich verliebt war – zu nichts in der Welt tauglich, keine Spur von Industrie, von einem Talent; zum Glück ward mir mein fein's Liebchen, die Gertrud, untreu, und lief mir davon – da hatt' ich mit Einem Mal Talent; machte Modelle und Maschinen, erst aus Desparation, dann aus Passion.

BALDINGER.
So verdankst Du im Grunde Dein Glück doch einem Weibe.
HUBERT.
Ja, einem Weibe – das davon lief. Das Glück kam erst, wie das Weib weg war.
BALDINGER.
Da kommt meine Cousine.
HUBERT.
Empfehle mich. Bin schon fort. Eilig ab.
7. Auftritt
Siebenter Auftritt
Baldinger. Hermine.

HERMINE.
Der Ball ist abgesagt.
BALDINGER.
Es thut mir leid, Cousine, daß ich Ihr Vergnügen stören mußte; doch wie gesagt, der Onkel –
HERMINE.
Freilich, freilich! Er ist doch wirklich krank?
BALDINGER
lächelnd.
Ganz gewiß.
HERMINE.

Der arme Onkel! Er dauert mich – obwohl er's wenig um mich verdient. Sie glauben nicht, Cousin, in welcher Abhängigkeit er mich stets erhielt. Ihre Bemerkung war ganz richtig: der reiche Mann ist ein Knicker. Und dann seine Launen! Es gibt kein verdrießlicheres Geschöpf auf der weiten Welt, als einen Junggesellen, der alt wird. Hüten Sie sich, Vetter – Mann ohne Leidenschaft – in unsers Onkels Fußstapfen zu treten. Ihnen will ich es gestehen – ich sag' es nicht aus Aerger über den verunglückten Ball, denn der ist längst verschmerzt – dieß Haus ist eine Art Hölle, wenigstens ein Fegefeuer.

BALDINGER.
Das Fegefeuer sieht ganz artig aus.
HERMINE.

Das hab' ich nach und nach so eingerichtet. Es gab Debatten um jedes neue Möbel, einen Fenstervorhang, eine Theekanne! Jede Elle Leinwand mußte erstritten werden. Als die Aerzte meinen Peiniger nach Italien sandten – Sie können denken, daß ich da frisch aufathmete.

BALDINGER.
Sie athmeten nur ein Bischen stark, Cousine.
HERMINE.

Ach, der Ball wurde ja doch abgesagt! Und ich hatte mich so sehr darauf gefreut! – Es ist wahr: ich habe ein Bischen übel gewirthschaftet – aber der Onkel ist reich, und ich bin seine Erbin. Er hat seinen Reichthum der Handelsverbindung mit seinem Bruder, meinem Vater, zu danken. Mein väterliches Erbtheil ging leider auf eine betrübte Weise verloren – nun, lassen wir's! Ich will in's Himmels Namen meine Lebensweise ändern, will mich einschränken, will dem Onkel schreiben, um Vergebung bitten – zuletzt ist er doch krank, und einem Kranken muß man seine Launen hingehen lassen. Erblickt die Papiere. Was ist denn das?

[315]
BALDINGER
nimmt die Papiere.
Ein Geschäftsbrief von meinem Correspondenten in Genua.
HERMINE.
Aus Genua? Schreibt er nichts vom Onkel?
BALDINGER.
Wie sollt' er? Sie wissen, ich bin in keiner Berührung mit Herrn Dorner.
HERMINE.

Es war' aber doch möglich – der Onkel ist in Genua, ist eine bekannte Person, vielleicht hat sich seine Gesundheit gebessert, vielleicht kann der Ball haben Sie den Brief gelesen?

BALDINGER.
Nur zum Theil.
HERMINE.
So lesen Sie ihn erst aus.
BALDINGER
sieht in den Brief.
Wenn Sie wünschen – aber ich bin überzeugt – – Liest. Himmel!
HERMINE.
Nun?
BALDINGER.
Die Besorgniß der Aerzte war begründet. Herr Dorner – ist nicht mehr.
HERMINE.
Ist nicht mehr?
BALDINGER.
Ein Schlagfluß machte seinem Leben plötzlich ein Ende.
HERMINE.
Armer Onkel! Pause. Nun fühl' ich erst, was ich mir gegen ihn vorzuwerfen habe.
BALDINGER.

Diese Empfindung macht Ihrem Herzen Ehre, Cousine – aber gewiß, Herr Dorner war ein harter Mann, und Sie sind einen Quäler los.

HERMINE
gerührt.

Wollt' ich doch, er könnte mich noch quälen! – Lassen Sie mich selbst lesen, Cousin. Nimmt den Brief und liest. Was ist das? Tritt hart vor Baldinger. Herr Baldinger, Sie sind ein Heuchler!

BALDINGER.
Cousine!
HERMINE.
Sie geben vor, den Inhalt des Briefes nicht zu wissen?
BALDINGER.
Ich gebe vor –? Ich weiß ihn nicht.
HERMINE
gibt ihm den Brief.
Nun denn – lesen Sie. Rasch ab, in das Seitenzimmer rechts.
BALDINGER
allein, liest.

»Zum Schlusse und in Eile unsern Glückwunsch. Herr Dorner hat Sie in seinem Testamente zum einzigen und Universal- Erben eingesetzt.« Sie ist enterbt!

HERMINE
kommt zurück mit Hut und Shawl.

Herr Baldinger, Sie nahten mir unter der Larve der Freundlichkeit – ich ließ mich für einen Augenblick täuschen – aber ich kenne Sie jetzt, ich kannte Sie von jeher. Nehmen Sie Besitz von dem Eigenthum des Onkels, von diesem Hause, worin ich keinen Augenblick länger verweilen will. Wir sehen uns heute zum letzten Mal. Aber ich will nicht feige zurücktreten, ohne Vertheidigung. Die Erbschaft war mir zugedacht: ich kann Zeugen anführen. Ich glaube im Recht zu sein, Sie sind es vielleicht; verfolge ein Jedes seinen Weg. Von nun an sind Sie mein offener Gegner, ich Ihre Gegnerin. Ich eile den Prozeß gegen Sie einzuleiten. Rasch ab zur Seite links.

BALDINGER
allein.

Prozeß! Hermine! – Ihr Haß lodert neu wieder auf – sie zweifelt an meiner Redlichkeit – wohlan! So sei denn Krieg zwischen uns! Ich führe den Prozeß. Ab.


Ende des ersten Aufzuges.

2. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt
Franz Baldinger steigt aus einer Fallthür herauf. Hubert kommt durch die Mitte.

HUBERT.
Nun, Herr Baldinger?
BALDINGER.
Das Geschäft ist so gut wie abgeschlossen.
HUBERT.
Abgeschlossen! Bravissimo! Hat der Fremde, der Börsemann, mitgeboten?
BALDINGER.

Herr Welting? Noch weiß er von nichts. Der Baron vertraut mir unbedingt, und wollte durchaus mit mir allein unterhandeln. Still! Da kommen sie.

HUBERT.
Abgeschlossen! Nun ist Alles gut! Nun wollen wir Maschinen bauen! Ab.
2. Auftritt
Zweiter Auftritt
Baldinger. Freiherr von Wildenhain und Herr Welting kommen aus der Fallthür.

WILDENHAIN.
Das war das Burgverließ. Romantisch, nicht wahr?
WELTING.
Ja, und staubig. Stäubt sich ab.
WILDENHAIN.

Feudalstaub, Herr, zerbröckelte Sagen der Vorzeit, Mittelalter in Atome aufgelöst. Herr Baldinger, was sagen Sie zu dem Burgverließ meiner Ahnen?

BALDINGER.
Daß es ein vortreffliches Magazin abgeben wird.
WILDENHAIN.

Ein Magazin! O heilige Romantik, wo findest du noch ein Asyl? Nach Trapezunt und Famagustä, in die Länder der Mährchen, fährt man auf Dampfschiffen, [316] in Algier spielen sie französische Vaudevilles, und im Innern des heißen Afrika haus't Semilasso mit seinem Comfort. Nichts, überall Nichts, wohin ich mich wenden mag, als nüchterne Nützlichkeit und prosaische Bequemlichkeit. Wie sehn' ich mich hinweg von Euern brausenden Kesseln und ächzenden Maschinen und schmachte nach einem erquickenden Tropfen aus dem vollen Becher des Lebens, nach einem Hauch von Poesie – aber umsonst! Die alte poetische Zeit ist hinabgesunken mit ihren Fehden und Turnieren, mit Rittern und Minnesängern, romantischer Liebe und zarter Galanterie – und die neue Aera stieg herauf mit Dampf, Geprassel, Aktien, politischen Abhandlungen, schwarzen Cravaten und Vernunftheirathen. Eine Aktiengesellschaft will Jerusalem befreien, die altdeutschen Röcke und Gesinnungen werden verboten, und Fouqué's Adelszeitung findet keine Pränumeranten.

WELTING.

Ja, und der Abkömmling der Wildenhains, die in's gelobte Land zogen, ist in den Händen Derer, die aus dem gelobten Lande abstammen.

WILDENHAIN.

Die Welt ist rund, die Kugel dreht sich, und die tief unten sind, können wieder einmal herauf kommen.

WELTING.
Bravo! Das hör' ich gern. Ein junger Cavalier ist doch immer guten Muth's.
WILDENHAIN.

Nun, Herr Welting, Sie haben alle die Herrlichkeiten gesehen: Burg und Zwinger, sogar mit einem Hausgespenst, einer weißen Dame, die sich bei großen Familien-Calamitäten zu melden pflegt; Felder und Wälder, Dienstbarkeiten und Gerechtsame – was geben Sie dafür in Pausch und Bogen, die weiße Frau mit eingerechnet?

WELTING.
Wie? Sie wollen Wildenhain, Ihre Standesherrschaft verkaufen?
WILDENHAIN.
Aufrichtig: das Wasser läuft mir in den Mund.
WELTING.
Ei, ei, Baron! Warum haben Sie meinen vortheilhaften Antrag von der Hand gewiesen?
WILDENHAIN.
Mir fehlt das Speculations-Organ. Aber geschwinde, geschwinde, Herr Welting, was bieten Sie?
WELTING.
Ich übernehme Ihre Schulden – die betragen etwa 300,000 Thaler –
WILDENHAIN.
Auf's Haar getroffen!
WELTING.
Dagegen zahle ich Ihnen eine Leibrente von – fünfhundert Thalern.
WILDENHAIN
mit einem Blick auf Baldinger.

Fünfhundert Thaler? Und die weiße Frau, das Hausgespenst, vielleicht das einzige, das in unserm Lande voll Aufklärung zu finden ist?

WELTING.

Das mögen Sie behalten. Wenn ich Gespenster brauche, kann ich sie aus Weinsberg verschreiben. Justinus Kerner liefert sie exakt und von bester Qualität.

WILDENHAIN.

So ein Börse-Spekulant weiß sich doch Alles zu verschaffen! Gespenster und Papiere: Papier ohne Geld und Geld ohne Papier.

WELTING.
Recht witzig – für einen ruinirten Cavalier.
WILDENHAIN.

Ruinirt? – Bleibt doch der Cavalier! – Ruinirt? Sie irren, Herr Welting, dieser brave Mann hat mich gerettet.

WELTING.
Sie, Herr Baldinger?
WILDENHAIN.

Die Industrie that mir ein besseres Anbot als die Börse. Meine Herrschaft geht in Herrn Baldinger's Hände über.

WELTING.
In Herrn Baldinger's –!
BALDINGER.
Ich habe den Herrn Baron rangirt, und wir wurden Handels einig.
WILDENHAIN.

Die Regierung hat eingewilligt, der Kaufbrief ist ausgefertigt; es fehlen nur die Unterschriften. Herr Baldinger, ich hole den Justitiär, um die Sache vollends in's Reine zu bringen. Es ist ein alter Mann, der uns keine Förmlichkeit ersparen wird, mit dem Sie Geduld haben müssen. Ich gehe.Geht, besinnt sich. Ist es doch eine eigene Empfindung, von der Wiege unserer Kindheit und unsers Geschlechts so mit Einem Ruck für immer zu scheiden! Er faßt eines der Bilder an. Alter Balduin von Wildenhain, Anherr unseres Hauses, was sagst Du zu Deinem Enkel?

WELTING.
Er sagt nichts – er denkt sich seinen Theil.
WILDENHAIN
wie oben.

Ich trage Dich lebendig im Herzen, wozu brauch' ich Dich gemalt an der Wand? Fahr' hin! Er läßt das Bild mit einiger Heftigkeit los, welches mit Geprassel von der Wand fällt. Er stutzt, und sagt dann lachend. Meine Ahnen werden wirklich lebendig. Ab.

3. Auftritt
Dritter Auftritt
Welting. Baldinger.

WELTING.

Im Gegentheil! Sie machen den Lebendigen Platz. – Ich staune, Herr Baldinger! Sie in Besitz einer Standesherrschaft? Wollen [317] wir Halbpart machen? Wir sind freilich Gegner –

BALDINGER.
Gegner?
WELTING.
Allerdings. Denn ich bin es, der Ihre Cousine in dem Erbschafts-Prozeß gegen Sie unterstützt.
BALDINGER.

So? Es kommt schwerlich zum Prozeß. Das Kammergericht wird die Sache zurückweisen, und das Schiedsgericht wird zu meinen Gunsten entscheiden; denn ich bin im Besitz und im Recht.

WELTING.

Im Recht! Je nun! Sie sind ein reicher Mann, Herr Baldinger, und Ihre Cousine lebt nach und nach fast in Dürftigkeit – ich dächte man versuchte einen Vergleich.

BALDINGER.
Einen Vergleich? Und worüber? Ueber mein Recht, das klar am Tage liegt?
WELTING.

Schon wieder das Recht! Es liegt gar mancherlei am Tage; man zündet ihm noch Laternen an, und sieht's doch nicht. – Sie wollen sich also nicht vergleichen?

BALDINGER.
Nimmermehr.
WELTING.
Ich sehe, Sie sind ein harter Mann. Genug davon.
BALDINGER.
Sie sagen, meine Cousine lebe in Dürftigkeit?
WELTING.

Ihr Gemal, der Kammerherr, hatte ihr Vermögen längst durchgebracht, der Onkel hat sie enterbt, und sie prozessirt. Sie ist von aller Welt verlassen – bis auf mich.

BALDINGER.
Auch vom Baron?
WELTING.
Sie ließ ihn nicht mehr vor.
BALDINGER.
Und er?
WELTING.
Suchte sie nicht mehr auf.
BALDINGER.
Er liebt sie also nicht?
WELTING.

Nichts weniger! Es war ein flüchtiger Umgang – weiter nichts. Der gewöhnliche Lauf der Welt: wenn Freunde nicht mehr zusammen kommen, kommen sie auseinander.

BALDINGER.

Und Sie unterstützen Herminen? Das darf nicht sein. Zwar – wissen Sie was, Herr Welting? Fahren Sie fort meine Cousine zu unterstützen; legen Sie mir in's Geheim Rechnung, ich vergüte Ihre Auslagen.

WELTING.
Sie prozessiren gegen sich selbst?
BALDINGER.

Gleichviel! Ich weiß, daß ich obsiegen werde; aber ich will meine leichtsinnige Cousine vor ihrem Untergang bewahren. Allein verschweigen Sie ihr –

WELTING.
Ohne Sorge. Für sich. Hast du Grund zu schweigen, so hab' ich Ursachen zu verschweigen.
4. Auftritt
Vierter Auftritt
Vorige. Hubert, dann Baron Wildenhain und der Justitiär.

HUBERT.

Herr Baldinger, der Justitiarius steht draußen mit einer großen Urkunde. Heimlich. Das Gerücht hat sich schon verbreitet, daß Ihr der Herr des Schlosses seid.

BALDINGER.
Das heißt: Du hast geplaudert?
HUBERT.

Die Industrie macht aus ihrem Reichthum kein Geheimniß. – Die andern Werkführer, Gewerke und Bergleute ließen sich nicht abhalten, herauf zu kommen. Alle jubelten laut, als sie erfuhren – doch da sind sie schon. Baron Wildenhain, der Justitiär, mehrere Arbeiter und Bergleute treten auf.

WILDENHAIN.
Nun, Justitiär! Handelt Euer Amt!
JUSTITIÄR.
Mit hochfreiherrlicher Gnaden Erlaubniß – Halblaut, bittend. Ist's denn nicht mehr zu ändern?
WILDENHAIN
gleichfalls halblaut, aber herrisch.
Nein, ich will es so.
JUSTITIÄR
im Amtston.

So frage ich denn als Justitiär der Herrschaft: Sind Sie, Herr Karl Isidor Freiherr von Wildenhain, Hochwohlgeboren, annoch gesinnt, gegenwärtigem Herrn Franz Baldinger Ihre Standesherrschaft Wildenhain zu dem stipulirten Preis käuflich zu überlassen?

WILDENHAIN.
Ja.
JUSTITIÄR.

Und Sie, Herr Franz Baldinger, besagte Standesherrschaft zu dem stipulirten Preis als Käufer zu übernehmen?

BALDINGER.
Ja.
JUSTITIÄR.

So reichen sich denn der hochwohlgeborene Herr Verkäufer und der Herr Käufer zum Zeichen des Vertragsabschlusses die Hände – Es geschieht. trinken sich, nach alter Sitte, aus diesem gemeinschaftlichen Becher zu – Ein Diener mit einem Becher tritt vor, der Baron trinkt, dann Baldinger. Der Justitiär fährt fort. und unterfertigen gegenseitig vorliegenden Kaufbrief. Da der Baron unterschreiben will, im natürlichen Ton. Halt! Euer hochfreiherrliche Gnaden –

WILDENHAIN
gebieterisch.
Justitiär! Er unterschreibt, wie auch Baldinger.
JUSTITIÄR
fährt fort, im Amtston.

Herr Franz Baldinger, Sie sind von dieser Stunde Herr von und zu Wildenhain. Hier ist einstweilen die Tax-Note.

HUBERT.
Vivat, Herr Baldinger!
[318]
DIE ARBEITER.
Vivat!
BALDINGER.

Meine Freunde! Unser Besitz hat sich vermehrt, und mit ihm unsere Arbeit. Wir sind In dustrielle, das heißt: strebsame, thätige, schaffende Menschen; wir schaffen mit Hand und Kopf, mit Geist und Körperkraft, mit Gedanken und Maschinen.

HUBERT
dazwischen zu den Arbeitern.
Maschinen – hört Ihr's? Das geht auf mich.
BALDINGER.

Denn das ist das Streben der Industrie, daß sie den ganzen Menschen in Anspruch nimmt, und die Einzelnen zu einem großen Ganzen verbindet; Kunst, Wissenschaft, Leben – nichts ist ihr fremd; sie dient der Kunst, sie macht die Wissenschaft lebendig, sie fördert das Leben. Und so weckt und bildet sie den Sinn für die Gemeinschaft, für das Oeffentliche, ja, daß ich das Höchste nenne: Für das Vaterland. Die wahrhaft Industriellen unsers Landes fühlen sich als Genossen, als Glieder eines Ganzen, als Bürger, als Deutsche. In diesem Sinne wollen wir leben und handeln. Eure Hand, meine Freunde, und – Glück auf!

DIE ARBEITER
indem sie ihm die Hand reichen.
Glück auf! Glück auf!
JUSTITIÄR
für sich, kopfschüttelnd.
Dubios, höchst dubios! Und gar nicht nobel! Da ihm Welting eine Prise reicht. Obligirt.
HUBERT.

Glück auf! Hoch die Industrie! Und vor Allem – das edle Maschinen-Wesen! Es lebe die Maschine, die uns mit Windesschnelle in fremde Länder trägt, durch's weite Meer, ja, in die freien Lüfte! Die für den Menschen arbeitet, wenn er ihr vorgearbeitet, die des Einzelnen Kräfte schont, ersetzt, vertausendfacht! Darum Heil der kunstreichen Mechanik, vor Allem aber der göttlichen Mathematik! Sie ist die Mutter aller großen Gedanken – d'rum verstehen auch die Weiber nichts davon – wie meine Liebste, die Gertrud, die mir vor dreißig Jahren davon gelaufen – blos aus Mangel an Mathematik und Berechnung. Ihr lacht? Na, ich weiß, Ihr seid wackere Leute, habt Weib und Kind – wer ein Weib hat, kann nicht noch obendrein Gedanken haben. Aber der Herr und ich sind ledig, bleiben ledig; wir wollen für Euch denken. Punktum. Und nun – Er geht ans Fenster, und winkt hinab.

BALDINGER.
Was machst Du, Hubert?
HUBERT
legt den Finger an den Mund.
Horcht!Man hört von unten pochen und hämmern.
BALDINGER.
Was ist das?
HUBERT
halblaut.

Ich lasse das Wappen vom Thor herunter schlagen und Eure Devise hinauf setzen, da Ihr nun der Herr seid.

BALDINGER
rasch.
Laß das, Hubert – Er winkt hinab, das Pochen hört auf.
JUSTITIÄR
wie oben, kopfschüttelnd.
Dubios!
HUBERT.
Hab' ich's nicht recht gemacht? Nun, wie Ihr wollt, Herr, wie Ihr wollt.
BALDINGER.

Lebt wohl, meine Freunde! Hubert, laß Wein und Essen in den Schloßhof bringen. Zu den Arbeitern. Lebt wohl! lebt wohl! Die Arbeiter gehen ab.

JUSTITIÄR.
Hochfreiherrliche Gnaden –
WILDENHAIN
der in Gedanken an einem Pfeiler lehnt, reicht ihm die Hand zum Kuß.
JUSTITIÄR.

Sechs und dreißig Jahre hab' ich Dero hohem Hause gedient – Da ihm Wildenhain bedeutet zu schweigen. empfehle mich unterthänigst.Im Abgehen, gerührt. Dubios! Dubios! Kurios!Baldinger bedeutet Hubert, dem Justitiär zu folgen. Hubert und der Justitiär gehen ab.

5. Auftritt
Fünfter Auftritt
Baldinger. Welting. Baron Wildenhain.

WELTING.

Eine verflucht rührende Scene! Nicht wahr, Baron? Aber Sie sind ja ganz verstummt. – Gratulire, Herr Baldinger. Sie haben da einen schönen Besitz erworben. Nun, wie steht's? Theilen wir Gewinn und Verlust?

BALDINGER.
Nein, Herr Welting. Wir Beide taugen für keine Gemeinschaft.
WELTING.

Wie es Ihnen beliebt. – Nun, Baron! Noch immer stumm? Ist Ihnen etwa die weiße Frau erschienen: Es heißt ja, sie melde sich bei großen Familien-Calamitäten. – So ein Moment, wie der vorige, macht Eindruck, he? Da geht man plötzlich in sich, erweckt Reue und Leid über sein früheres Leben, über die nichtigen Freuden der Welt, die so viel Geld kosten: Wettrennen, Würfelspiel, Falkenjagd, Bull-dogs, Theater-Tänzerinnen u.s.w. Es ist Alles eitel – besonders die Tänzerinnen. Zu Baldinger. Geben Sie Acht, der bessert sich jetzt; das hat er Ihnen zu danken. Ein gebesserter Cavalier! Darüber wird im Himmel mehr Freude sein als über neunundneunzig bürgerliche Gerechte. Adieu, Baron! Die Romantik ist jetzt in der Mäuse – nicht wahr? Der verwünschte Rechenmeister, der pedantische Classiker »Geld« hat den Romantikern den Garaus gemacht. Schlägt auf seine [319] klappernden Taschen. Wie stolz bin ich jetzt auf meine klassische Bildung! Gott befohlen, Baron. Ab.

6. Auftritt
Sechster Auftritt
Baron Wildenhain. Baldinger.

BALDINGER.
Guten Muth, Herr Baron! Noch ist nicht Alles verloren.
WILDENHAIN
etwas auffahrend.

Verloren? Und was sollte verloren sein? Sie haben gewonnen, Herr Baldinger, ich habe nichts verloren.

BALDINGER.
Wenn Sie selbst die Sache so ruhig ansehen –
WILDENHAIN
abbrechend.

Herr Baldinger, Sie haben mit der Herrschaft Wildenhain auch die Gerichtsbarkeit und meinen Justitiär übernommen; es ist ein alter, beinahe kindischer Mann –

BALDINGER.

Ich gab bereits Auftrag, für ihn zu sorgen: er bleibt in Wirksamkeit und soll in Allem gehalten werden, wie bisher.

WILDENHAIN.

Ich danke Ihnen. Lieber wollt' ich mich selbst kränken lassen, als einen treuen Diener. Ihr Wort genügt mir. Unser Geschäft ist beendigt. Leben Sie wohl.

BALDINGER.
Herr Baron –
WILDENHAIN.
Baldinge – Reicht ihm die Hand.
BALDINGER.
Kann ich Ihnen in etwas dienen? Rechnen Sie auf mich mit Rath und That.
WILDENHAIN.
Sie sind ein wackerer Mann –
BALDINGER.
Noch einmal: Muth! Sie haben Geist und Kraft: die Welt ist groß und Leben überall.
WILDENHAIN.
Die Welt ist groß – aber sie ist vertheilt. Sei's darum! Und bliebe uns nichts als ein großer Name!
BALDINGER
begütigend.
Edle Abkunft ist auch ein Besitz.
WILDENHAIN
aufwallend.

Ja, sie ist ein Besitz! Ein großer Name ist kein leerer Schall: – Hier hängen die Bilder meiner Ahnen, ein ritterlich Geschlecht, das den Boden erworben, geschützt, vertheidigt, den Ihr jetzt besitzt, in den Ihr neue Keime der Bildung streut: aber wähnet nicht, Kinder der Gegenwart, mit Euren Maschinen die Vergangenheit, die Geschichte zu vertilgen. Wohlan! Fahrt fort in Eurem Friedenswerke: ich scheide freudig, ungebeugt von der Burg meiner Väter, und nehme nichts mit mir – als dieß Schwert! Er nimmt ein Schwert von der Wand. Wer weiß, es droht einst der Feind von Ost oder West den Grenzen unsers Vaterlandes; dann treten wir wieder auf, ein neues Geschlecht von Rittern und Kriegern, und langen freudig nach den Waffen, die unsere Väter schon mit Ruhm getragen. Bis dahin: guter Muth und Ausdauer! Die Welt ist groß – und auch wir gehören hinein. Leben Sie wohl, mein Freund, vielleicht für immer – aber Sie sollen von mir hören. Rasch ab.

7. Auftritt
Siebenter Auftritt
BALDINGER
allein.

Der junge Mann ist besser als ich dachte: aber das hofft noch immer im Stillen, daß die Todten auferstehen. Er öffnet das Fenster. Die Sonne sinkt. Es ist Feierabend. Da lagern sich die Arbeiter, essen und trinken, sind guter Dinge, schwatzen mit ihren Weibern, tändeln mit den Kindern – – und ich, ihr Herr, stehe einsam und verlassen, fast wie Jener, der eben von mir ging –

8. Auftritt
Achter Auftritt
Baldinger. Hubert.

HUBERT.

Hört Ihr den Zuruf, Herr? Er geht ans Fenster und ruft hinab. Es lebe Herr Baldinger! Unser Herr und Leiter! Unser Führer! Hoch!

DIE ARBEITER
von unten.
Hoch, Hoch! Gläsergeklirr und Zuruf, während das Theater von der Abendsonne beleuchtet erscheint.
BALDINGER.

Ihr Leiter! Ihr Führer! Ja, ich bin's – der Gründer eines neuen Werkes. Mit Tausenden zu handeln, Tausende zu leiten, ist ein schönes, ein erhabenes Loos; um solchen Preis lohnt es der Müh', seine Leidenschaft zu bezwingen – und ich habe sie bezwungen. – Hubert, mein Gefährte! Nein, ich bin nicht länger einsam und verlassen.

HUBERT.
Ein Mann ist niemals verlassen.
BALDINGER.
Und der Schöpfer eines Werkes steht oft allein da, aber er ist nicht einsam.
HUBERT.
Bester Herr –
BALDINGER.
Mein Getreuer! Mein Freund!
HUBERT.

Euer Freund! Hör't Ihr's da unten? Euer Freund! Hoch die Männerfreundschaft! Pereant die Weiber! Vivat die Mathematik! Sie umarmen sich.


Ende des zweiten Aufzuges.

3. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt
Geheimer Ober-Kalkulator Griesicke, Ritter von Petermann, ein Daguerrotyp unterm Arm, und andere Supplikanten, sitzen oder stehen und sprechen leise. Hermine von Löwenberg sitzt im Hintergrunde, Kanzellist in seinem Verschlag.
Nach einer Pause kommt der Sekretär aus dem Seitenzimmer. Die Supplikanten nähern sich ihm.

SEKRETÄR.

Seine Excellenz sind heute nicht zu sprechen. In vierzehn Tagen, meine Herren. Mehrere Supplikanten gehen ab.

HERMINE
welche aufgestanden, für sich.
Wieder ein vergeb'ner Gang! Vielleicht kann der Sekretär – Sie will sich nähern.
GRIESICKE
ist ihr zuvorgekommen.
Herr Sekretär, geheimer Ober-Kalkulator Griesicke, provisorischer Departements-Chef.
SEKRETÄR.
Sehr erfreut, Herr geheimer Ober-Kalkulator –
GRIESICKE.

Griesicke. Wollte Seiner Excellenz nur seine unterthänigste Aufwartung – – provisorischer Departements-Chef- vor seiner Abreise in die Provinz. Geheimer Ober-Kalkulator Grie –

SEKRETÄR.
Sehr wohl, Herr Ober-Kalkulator.
GRIESICKE.

Geheimer Ober-Kalkulator Griesicke. Wenn derselbe bitten darf, Herr Sekretär, ihn Sr. Excellenz gehorsamst zu empfehlen –

SEKRETÄR.
Werde nicht ermangeln.
GRIESICKE.

Griesicke. Wollen der Herr Sekretär sich's gefälligst notiren? So. Geheimer Ober-Kalkulator. Haben Sie's? Ganz unterthänigster Diener.Geht, kehrt um. Geheimer Ober-Kalkulator Griesicke, provisorischer Departements-Chef. Geht ab unter Bücklingen.

2. Auftritt
Zweiter Auftritt
Sekretär. Kanzellist. Hermine von Löwenberg. Ritter von Petermann.

HERMINE
tritt rasch vor.
Herr Sekretär –
PETERMANN
tritt ihr in den Weg.
Verzeihen Sie, meine Gnädige, ich war vor Ihnen da. – Herr Sekretär –
SEKRETÄR
für sich.
Nehmen die Narren heute kein Ende?
PETERMANN
immer süßlich.
Kennen Sie Malvina?
SEKRETÄR.
Habe nicht die Ehre.
PETERMANN.

Malvina von Haller, poetisches Gemüth, Dichterin, das geistreichste, witzigste Mädchen von ganz Berlin, seit zwei Jahren meine Frau. Ritter von Petermann, seit kurzem Gutsbesitzer an der schlesischen Grenze, in der Nähe von Wildenhain. Ich verließ mein neues Rittergut und reiste hieher – obwohl mich ein Jugendfreund besuchte, ein Garde-Lieutenant – aber meine Malvina beschränkt mich nicht, sie ist ein Engel. »Petermännchen« sagte sie – sie behandelt mich gewöhnlich als Diminutiv – »Petermännchen, geh' nur; du brauchst mir nicht immer auf dem Halse zu bleiben.« Ich umarmte meinen Freund, den Garde- Lieutenant, und riß mich los. – Sie ist ein Engel. Sie betrachten mich, Herr Sekretär? Sie wundern sich über das Instrument, welches ich da unterm Arm trage? Es ist ein Daguerrotyp.

SEKRETÄR.
So?
PETERMANN.

Mein beständiger Begleiter. – Was halten Sie von der Daguerreotypie, Herr Sekretär? Es ist die größte Erfindung unsers Jahrhunderts und steht weit über der Buchdruckerkunst; denn das Daguerreotyp – sagt Malvina – stellt die Menschen dar, wie sie sind, die Buchdruckerei, wie sie nicht sind. Ich habe etwas dazu erfunden, die Erfindung hegt zwar noch in der Wiege, es werden häufig nur Kleckse daraus. Aber ich werde nicht müde, Versuche zu machen. Wollen Sie mir erlauben, Herr Sekretär, daß ich Sie nach meiner Manier daguerreotypire?

SEKRETÄR.
Danke sehr – meine Zeit ist gemessen.
PETERMANN.

Nun denn, ein ander Mal. Es ist auch zu wenig Licht hier im Ministerium. Aber ich komme wieder. Seine Excellenz sollen selbst sehen und staunen.

SEKRETÄR.
Ueber die Kleckse?
PETERMANN.

Die sind bis jetzt das einzige Hinderniß. Im Grunde sind es geniale Kleckse, Kleckse des Fortschrittes, der Bewegung; Malvina nennt mich auch nicht anders, als ihr kleines Klecks- Genie. Dafür will ich auch rastlos fortklecksen. Leben Sie wohl, Herr Sekretär. Ich sende Ihnen Malvina's Gedichte. Sie werden sehen: Geist, Witz, Humor. Mein Freund der Garde-Lieutenant war ganz entzückt davon. Sie ist ein Engel. Ab.

3. Auftritt
Dritter Auftritt
Vorige. Pönches tritt auf.

HERMINE
nähert sich.
Nun will ich –
[321]
PÖNCHES
schiebt sie bei Seite.

Herr Sekretär, ich bin ein Reisender. Mein Name ist Pönches. Ich komme aus dem Orient. Werden gütigst von mir gehört haben. Ja? Da der Sekretär verneinend den Kopf schüttelt. Schön. Ich komme aus dem Orient. Waren Sie viel auf Reisen, Herr Sekretär?

SEKRETÄR.

Meine Amtsgeschäfte erlauben mir nicht – Aber was steht zu Ihren Diensten, Herr Pönches? Was suchen Sie im Handels-Ministerium?

PÖNCHES
immer vorlaut.

Eigentlich nichts. Ich bin ein unabhängiger Mann, ein reicher Mann. Ich habe nur Eine Passion: das Reisen. Ich komme aus dem Orient. Schon als Kind reiste ich. Es lag einmal der Trieb in mir. »Früh übt sich, was ein Meister werden will.« Wie's heißt im Wilhelm Meister.

SEKRETÄR.
Darf ich fragen, was Sie eigentlich bei Sr. Excellenz –?
PÖNCHES.

Im Augenblick, Herr Sekretär. Bedenken Sie gütigst, daß ich so ein zehn Jährchen auf Reisen war, im Orient – da erfährt man so Manches, nicht wahr? Besonders, wenn man ohne Zweck reist, wie ich. Ich reiste nach dem Orient ohne alle vorgefaßte Meinungen, und komme zurück nach dem Occident – auch ohne Meinungen. Ich habe keine politischen Ansichten, keine religiösen Tendenzen, kurz gar keine Tendenzen. Ich reise nur, um zu reisen: objektiv – durch und durch objektiv! Aber insofern ich ein Subjekt bin, sammle ich subjektive Notizen: ich reise also subjektiv-objektiv. Ich kenne den ganzen Orient. Ich weiß alles Orientalische, Alles Türkische, Ägyptische. Z.B. Se. Excellenz fragen mich: »Sagen Sie mir, Pönches, was ist denn der Mehemed Ali eigentlich für ein Mann?« So antworte ich: »Euer Excellenz, so und so – der Mann ist nicht so übel, – die Einen loben ihn zu viel – die Andern tadeln ihn zu sehr – aber eigentlich ist er so.« – Das wäre nun die subjektiv- objektive Anschauung von dem Mehemed Ali. Was sagen Sie, Herr Sekretär?

SEKRETÄR.
Man sieht den Mann, wie er leibt und lebt.
PÖNCHES.
Nicht wahr? Ich kann Ihnen den Ibrahim Pascha eben so beschreiben, Herr Sekretär.
SEKRETÄR.
Nicht möglich!:
PÖNCHES.

Ja, denn ich kenne den Orient, den ganzen Orient. Ich bin viel als Verstorbener; darin herum gereist. Sie wissen, das ist jetzt die modernste Art zu reisen. Denn warum? Ein Verstorbener braucht sich nicht zu geniren, hat keine Trinkgelder zu geben; man verlangt keine besondere Artigkeit von ihm; ein Verstorbener kehrt überall ein, in Hütten und Pallästen; besonders im Orient. Da ist die Gastfreundschaft zu Hause. Was meinen Sie, Herr Sekretär? Womit traktirt der Orient seine Gäste? Was setzt er ihnen vor? – Etwa Thee mit Butterschnitten, wie in einem deutschen Liederkränzchen? Beileibe! Süßes Hammelfleisch, gekochten Reis, getunkte Früchte, duftigen Mokka- Kaffee und gelben Tabak in langen Pfeifen – und wenn so ein Verstorbener abreist, werden ein Paar niedliche Kamehle mit allerlei Komfort beladen, um die Reise durch die Wüste schmackhaft zu machen. Die Karavane lagert sich in einer Oase, unter Dattelbäumen, im üppigen Grase, am sprudelnden Quell; die Zelte werden ausgebreitet, das Feuer knistert, die Hammel braten, und bald ist unter den Wendekreisen ein leckeres Mahl fertig, wie im Hotel Baur in Zürich. Herr, da verlohnt's der Mühe zu reisen! Und das Alles kostet nichts, als ein Paar lobende Artikel in der allgemeinen Zeitung. Wer sollte sie nicht schreiben! Wer wollte nicht für solche Hospitalität einen Kannibalen und halben Menschenfresser gerührten Herzens mit Titus dem Gütigen und Marc Aurel vergleichen!

SEKRETÄR.
Verzeihen Sie, Herr Pönches, allein meine Zeit –
PÖNCHES.

Sehr wohl, Herr Sekretär. Aber noch Eins! Was halten Sie von der Sklaven-Emanicipation? Dumme Idee? Nicht wahr? Ob Einer in den Zuckerplantagen, oder in einer englischen Spinn- Fabrik sich zu Tode arbeitet, ist am Ende gleichviel – oder nicht? Und dann – es ist doch Poesie in der echten Sklaverei! So ein schwarzer Mensch, der alle Tage gespießt werden kann, bleibt immer ein poetischer Vorwurf. Und nun vollends eine Sklavin! Ich will nicht ruhen, bis ich eine schwarze Sklavin besitze. Ich will sie bilden. Sie soll Whist spielen lernen und Quadrille tanzen, sie muß die tutti frutti und den Vergnügling lesen, und »hoher Herr« zu mir sagen, wie das Käthchen von Heilbronn. Wenn ich dann im Thier-Garten Arm in Arm mit ihr spazieren gehe, ein kleiner Mohrenknabe hinterdrein mit dem Sonnenschirm, und ein gezähmter Löwe – im Nothfall mit einem [322] Maulkorb – Herr, dann bin ich ein gemachter Mann, und repräsentire die Weltbildung meines Jahrhunderts.

SEKRETÄR.
Ohne Zweifel! Aber die Zeit verstreicht –
PÖNCHES.
Adieu, Herr Sekretär. Haben der Herr Sekretär nichts nach dem Orient zu bestellen?
SEKRETÄR.
Nicht das Geringste.
PÖNCHES.
So will ich gehen, Herr Sekretär.
SEKRETÄR.
Leben Sie wohl.
PÖNCHES.
Herr Sekretär –
SEKRETÄR.
Um's Himmels Willen, was haben Sie noch?
PÖNCHES.

Ein lieber ungeduldiger Mann, der Herr Sekretär! – Ich wollte Ihnen nur sagen – im Vertrauen, mit Nächsten reise ich nach China. Ein interessantes Land das China – seit der chinesischen Frage. Ueberhaupt – ein Land wird erst dann interessant, wenn es in Frage gestellt wird. Ich bin neugierig, wann es einmal zu einer deutschen Frage kommen wird? Das heißt: wir fragen schon lange, aber Niemand antwortet. Nicht wahr, Herr Sekretär? In vierzehn Tagen komm' ich wieder, um Seine Excellenz zu fragen, nämlich ob Sie mich brauchen können – aber ich hoffe, Sie werden mich ja brauchen können – denn ich bin ohne alle Tendenzen und ich kenne den Orient. Empfehle mich, Herr Sekretär. Ab.

4. Auftritt
Vierter Auftritt
Sekretär. Hermine. Kanzellist.

HERMINE
nähert sich.
Herr Sekretär –
SEKRETÄR.
Noch Jemand! Madame –
HERMINE.
Hermine von Löwenberg, Witwe des Kammerherrn von Löwenberg.
SEKRETÄR.
Gnädige Frau –
HERMINE.
Ich führe Prozeß mit einem entfernten Anverwandten über den Nachlaß meines Onkels.
SEKRETÄR.
Verzeihen Sie, gnädige Frau, allein der Fall gehört nicht hieher.
HERMINE.

Ich weiß, Herr Sekretär, doch Se. Excellenz der Herr Minister waren ein Freund meines Gemals; ich kam daher nur, um mich Raths zu erholen. Das Recht ist gewiß auf meiner Seite, wenigstens die Billigkeit.

SEKRETÄR.
Das glaubt gewöhnlich eine jede Partei. Darf ich fragen: wer ist Ihr Gegner?
HERMINE.
Franz Baldinger.
SEKRETÄR.
Der reiche Fabriksherr? Die industrielle Celebrität? Das ist schlimm.
HERMINE.
Schlimm? weßhalb?
SEKRETÄR.

Ihr Gemal war ein Freund Sr. Excellenz, Herr Baldinger ist es. In diesem Augenblick befindet er sich bei dem Herrn Minister.

HERMINE.
Bei dem Minister!
SEKRETÄR
zuckt die Achsel.

Bei solcher Lage der Dinge – da übrigens die Sache durchaus nicht in den Ressort des Ministeriums – – Horchend nach der Seitenthüre. Die Audienz geht zu Ende! Mit Ihrer Erlaubniß, meine Gnädige! Eilig ab, nach dem Seitenzimmer.

HERMINE.
Der Cousin ein Freund des Ministers! Meine letzte Hoffnung ist gescheitert.
SEKRETÄR
kommt zurück, nimmt den Hut.

Ihr Diener, Madame – gnädige Frau! – Zum Kanzellisten. Herr Kanzellist Benecke, Sie können nun speisen gehen. Ab durch die Mitte.

KANZELLIST
im Hintergrund, kommt aus dem Verschlag, bürstet den Rock u.
s.w. Speisen? Aber was? Ein Supernumerär speist nicht; er ist froh, wenn er essen kann. Ab.

Hermine entfernt sich langsam.
5. Auftritt
Fünfter Auftritt
Hermine. Baldinger aus dem Seitenzimmer.

BALDINGER
welcher rasch heraustritt.
Hermine!
HERMINE.
Baldinger! Will sich entfernen.
BALDINGER.
Bleiben Sie, Cousine –
HERMINE.
Wozu? Um Ihnen das Schauspiel meiner Demüthigung zu geben?
BALDINGER.
Ihrer Demüthigung? Sie wissen also –?
HERMINE.
Und was?
BALDINGER.
Daß das Schiedsgericht heute entschieden hat.
HERMINE.
Entschieden? Zu Ihren Gunsten?
BALDINGER.
Das Testament ward für vollkommen gültig erkannt, Ihre Klage zurückgewiesen.
HERMINE.

Zurückgewiesen? Die industrielle Celebrität hat den Sieg davon getragen: ich hatte nichts Anderes erwartet. Wohlan, Cousin! genießen Sie die Doppel-Freude Ihrer Bereicherung und meines völligen Ruins. Ab.

6. Auftritt
Sechster Auftritt
Baldinger allein.

BALDINGER.

Celebrität – Bereicherung – Ruin – sie ist noch immer dieselbe. – Aber [323] ich will sie zwingen, mich in einem besseren Licht zu sehen. Zwar – sie ist stolz und eigensinnig, mein Antrag wird kein geneigtes Ohr finden – gleich viel! ich suche sie auf. – Hubert hat zuletzt nicht ganz unrecht, den Weibern die Vernunft abzusprechen. Ab.

7. Auftritt
Siebenter Auftritt
Einfach möblirtes Zimmer bei Frau von Löwenberg.

WELTING
tritt leise herein.

Nicht zu Hause. Ich will sie erwarten. Hier sieht es ziemlich pauvre aus. Die schöne capriciöse Frau verprocessirt ihr Letztes; nur immer zu! Reibt die Hände. Mangel und Noth haben schon manche Tugend wanken gemacht. Die spröde Schöne hat mir's angethan – aber sie weiß mich in Respekt zu halten. Darum Courage – aber auch Vorsicht, Welting! Sei ins Himmelsnamen ein verliebter Narr, sei Werther und Don Juan, aber heirathe nicht. Still! sie kommt! Der Eintretenden entgegen. Reizende Frau –

8. Auftritt
Achter Auftritt
Welting. Hermine, welche rasch aufgetreten.

HERMINE.
Sieh da, Welting!
WELTING.
Woher so eilig?
HERMINE
legt Hut und Shawl weg.
Vom Ministerium.
WELTING.
Sie scheinen aufgeregt;
HERMINE.
Antichambrirt, sollicitirt – Alles vergebens. Setzt sich.
WELTING.
Gleich viel! Noch ist nichts verloren.
HERMINE
steht wieder auf.
Nichts – als mein Prozeß.
WELTING.
Wie? Ihr Prozeß?
HERMINE.
Meine Klage ward nicht angenommen.
WELTING.
So, so! Für sich. Desto besser!
HERMINE.
Und er ist im Recht!
WELTING.
Sei's denn! Verloren ist verloren! Aber Muth, meine Gnädige! Sie haben Freunde –
HERMINE.

Denen ich schon zu lange verpflichtet bin. Sie hatten bare Auslagen für mich, Herr Welting: Sie sollen mir Rechnung legen; ich will Sie bezahlen.

WELTING.
Bezahlen? Ergreift ihre Hand. Wer denkt daran! Ich bin bezahlt. Küßt ihr die Hand.
HERMINE
entzieht sich ihm.
Bezahlt?
WELTING.

Durch Ihr Vertrauen – Bei Seite. und durch Herrn Baldinger. – Darf ich sprechen, schöne Frau? Sie sind bisweilen trüber Laune – wissen Sie warum? Sie sind von Jugend auf an Bequemlichkeit gewöhnt; die fehlt hier gänzlich. Nichts stimmt den Geist mehr herab, als eine unfreundliche Wohnung, verschossene Möbel, düstere Umgebung –

HERMINE.
Das mag wohl sein.
WELTING.
Darum müssen Sie die Wohnung wechseln.
HERMINE.
Die Wohnung?
9. Auftritt
Neunter Auftritt
Vorige. Baldinger, der an der offenen Thüre bleibt.

WELTING.

Wenn Sie mir erlauben wollten – ich habe im Stillen ein artiges, freundliches Logis für Sie eingerichtet.

HERMINE.
Sie, Herr Welting?
WELTING.
Mit allem Comfort, wie sich's ziemt für eine Frau von Ihrem Stande, Ihrer Liebenswürdigkeit –
HERMINE.
Wirklich?
WELTING.
Sie können das Logis im Augenblick beziehen.
HERMINE.
Gut, gut. – Bringen Sie mir erst die Rechnung.
WELTING.
Die Rechnung! Sie kränken mich: einen Mann, der Sie verehrt, ja anbetet –
HERMINE.
Anbetet? Herr Welting, Sie werden lächerlich.
WELTING
beleidigt.
Lächerlich? Droht mit dem Finger. Ei, ei, schöne Frau! Waren Sie immer, gegen Jedermann so grausam?
HERMINE.
Das ist zu viel! Lassen Sie mich allein.
WELTING.
Wie, meine Gnädige –?
HERMINE.
Entfernen Sie sich.
WELTING.
Ich soll –?
BALDINGER
tritt vor.
Hören Sie nicht, mein Herr? Sie sollen sich entfernen.
WELTING.
Herr Baldinger!
HERMINE.
Der Cousin!
BALDINGER.
Herr Welting, ich habe mit meiner Cousine zu sprechen. Weist nach der Thüre.
WELTING.
Sie erlauben sich einen Ton –
BALDINGER.

Herr, ich bin der Besitzer eines alten Ritterschlosses, und fühle seitdem bisweilen einen Anachronismus in meiner Hand, die sich einbildet, als lebte sie noch in den Zeiten des Faustrechts.

[324]
WELTING.

Gemach, gemach, mein Herr! Boshaft. Ich fange an zu begreifen: der Gegner ist ein versteckter Freund. Gnädige Frau, Sie verlangten die Rechnung? Herr Baldinger wird Sie Ihnen vermuthlich selbst ablegen. Empfehle mich. Will fort.

BALDINGER.
Halt! Da hinein. Weist nach der Seitenthür.
WELTING.
Da hinein?
BALDINGER.
Ja, denn wir sind noch nicht fertig.
WELTING
zögernd.
Nicht fertig?
BALDINGER
stampft mit dem Fuße.
Gehen Sie!
WELTING.
Da hinein? Eilig ab.
10. Auftritt
Zehnter Auftritt
Baldinger. Hermine.

BALDINGER.

Cousine, der Moment ist vielleicht gekommen, wo ich mein anscheinend hartes Benehmen gegen Sie rechtfertigen kann.

HERMINE
mit Zurückhaltung.
Hartes Benehmen? Ich wüßte nicht. Wir sind Gegner und haben uns nicht zu schonen.
BALDINGER.

Doch, doch! Wir sind auch Verwandte. Jener Welting hatte mir vor Monaten einen Vergleich angetragen – erlauben Sie mir jetzt, Ihnen die Gründe zu nennen, die mich damals abhielten, auf irgend eine Vermittlung einzugehen. Hermine bedeutet ihn zu sitzen. Sie setzen sich. Ihr Advokat suchte zu beweisen, daß ich das Testament er schlichen. – Die Sache hatte einigen Anschein. Der Name Baldinger war befleckt: ich mußte ihn vor der Welt wieder rein waschen. – Sie lächeln, Cousine? Wahrhaftig, wenn der Adel Ursache hat, einen alten, berühmten, seit Jahrzehnten überkommenen Namen von jedem Makel rein zu halten, so nicht minder der Mann der Industrie. Der gute Name ist sein Erwerb, sein Besitz, sein Leib und Leben, sein Gut und Blut, sein Alles. Die Seele jeden Verkehrs ist Vertrauen, Credit; aber der Credit beruht nicht allein auf Geld und Gut, sondern auf Charakter, auf gutem Namen. – Ich vergaß daher jede Nebenrücksicht, und führte meine Sache zu meiner Vertheidigung, zum Schütze meines Besten. Mein Streben ist mir gelungen.Steht auf, wie auch Hermine. Die Welt weiß jetzt, daß ich im Recht war, daß ich das Recht zu vertheidigen im Stande war. Unser Verhältniß ist nun ein anderes. Erfahren Sie jetzt von dem Verwandten, was Ihnen der Gegner verschweigen mußte: daß der Onkel in den letzten Lebenstagen seine Härte gegen Sie bereute. Ein Blättchen von der Hand des Scheidenden geschrieben, enthält die Worte: »Franz, sorge für Deine Cousine.« Dieß Wort ist mehr als ein Testament. Ich kann und darf meine Bereicherung nicht einer flüchtigen Mißstimmung gegen Sie zu danken haben, ich will Sie, Cousine, einer Erbschaft nicht berauben, die Ihnen seit Jahren zugedacht war. Dieses Dokument übergibt Ihnen das Eigenthum von Allem, was der Onkel besaß; weigern Sie sich nicht, es anzunehmen; es ist weniger ein Geschenk, daß ich Ihnen mache, als eine Last, von der ich mich befreie. Nehmen Sie.

HERMINE.
Sie glauben wirklich, daß ich ein solches Geschenk von Ihrer Hand annehmen würde?
BALDINGER.

Ich fürchte, nein – denn ich kenne ihre Abneigung gegen mich. Aber noch einmal, Cousine: nehmen Sie das Papier. Sie erweisen mir einen Dienst damit. Mein Recht vor der Welt ist jetzt dargethan, allein mein guter Name steht erst dann völlig rein und fleckenlos da, wenn dieser zweifelhafte Besitz nicht mehr in meinen Händen ist.

HERMINE
nach einer Pause.
Sie sprachen von einer Mißstimmung des Onkels gegen mich –
BALDINGER.
Der Onkel war übel berichtet – aber wahrhaftig nicht durch mich.
HERMINE.
Ich glaube Ihnen.
BALDINGER.

Er hat später seine Uebereilung eingesehen, darum schrieb er die Worte: »Franz, sorge für Deine Cousine.«

HERMINE.

Sie glauben also nicht an meine Schuld, an das harte Urtheil, welches die Welt zum Theil über mich fällt?

BALDINGER.

Die Welt? Es gibt nur zwei Wege mit ihr auszukommen; man muß sich entschließen, unbekannt zu bleiben oder – unerkannt. Die Welt kreuzigt den Heiland noch täglich. Unser eigenes Gewissen und das unserer Freunde ist unsere Welt.

HERMINE.

Sie wollen mich entschuldigen, Cousin; schon bei unserer ersten Zusammenkunft wollten Sie meine Fehler in einem milderen Lichte darstellen – ich danke Ihnen dafür.

BALDINGER.

Sie irren, Cousine! Ich sprach damals nur von den Fehlern des Onkels: seiner Schroffheit, seiner Ungerechtigkeit in der Beurtheilung eines Wesens, einer Persönlichkeit, die er zu beurtheilen nicht verstand.

[325]
HERMINE.

Wer weiß! er hat mich richtig aufgefaßt. Doch nein! Sagen Sie selbst: bin ich wirklich so voll von Fehlern, von Untugenden? Mein schlimmster Fehler war meine Unerfahrenheit, meine Jugend. Ich war ein verzogenes Kind.

BALDINGER.
Ja, ja! das waren Sie.
HERMINE.
Von Jedermann geschmeichelt, verhätschelt –
BALDINGER.
Bis auf Einen –
HERMINE.
Später an einen Mann vermählt –
BALDINGER.
Der Ihrer nicht würdig war.
HERMINE.
Frühzeitig Witwe –
BALDINGER.
Das war der gefährlichste Standpunkt!
HERMINE.
Weil er zumeist der Verleumdung blosstellt.
BALDINGER.
Und der Verführung.
HERMINE.
Jener Auftritt mit Welting – ich erröthe, wenn ich daran denke.
BALDINGER.
Der Elende! Aber Sie sind schuldlos.
HERMINE.

Warhaftig, ich bin es, war es immer! – Cousin, ich habe meine Fehler erkennen gelernt, und vom Erkennen zum Vermeiden ist ja nur ein kleiner Schritt, nicht wahr? – Meine Fehler, sagt' ich? und unter diesen den schlimmsten, den größten, daß ich Sie jemals für meinen Feind ansehen, daß ich Sie verkennen konnte.

BALDINGER.
Sie nehmen also dieses Blatt?
HERMINE.
Dieses Blatt?
BALDINGER.
Nehmen Sie, Cousine! Es brennt in meiner Hand.
HERMINE.

Und was soll ich damit? Was soll ich mit einem Reichthum, den ich nicht anzuwenden weiß? Sie sind der Mann der That, des Wirkens: behalten Sie, was in meinen Händen doch nur ein Spielzeug, in der Ihrigen Waffe und Werkzeug ist.

BALDINGER
indem er das Papier in der Hand dreht.
So kann ich denn nichts, gar nichts für Sie thun?
HERMINE.

Sie wissen Gaben anzubieten, ohne zu kränken, Fehler zu rügen, ohne zu beschämen – Sie haben genug für mich gethan.

BALDINGER
wie oben.

Zuletzt kann ich doch dieser fatalen Erbschaft nicht froh werden! Wenn Sie sich entschließen könnten, Cousine – nur aus Rücksicht für meinen guten Namen – denn wahrhaftig, nun komme ich mir fast selbst wie ein Erbschleicher vor.

HERMINE
besinnt sich, dann rasch.
Geben Sie her.Nimmt das Papier. Rufen Sie Welting.
BALDINGER
öffnet hastig die Seitenthüre.
Herr Welting! Welting!
11. Auftritt
Elfter Auftritt
Vorige. Welting.

WELTING
zweifelhaft.
Herr Baldinger –? Baldinger weist auf Hermine.
HERMINE.

Herr Welting, Sie wissen, mein Vetter hat obgesiegt; allein er überläßt mir mit dieser Urkunde den ganzen Gegenstand unseres Streites.

WELTING.
Nicht möglich!
HERMINE.
Wenn ich ein solches Geschenk auch nicht annehmen kann –
BALDINGER
dazwischen halb für sich.
Nicht annehmen!
HERMINE.

So geht doch klar daraus hervor, daß mein Cousin Baldinger nie in's Geheim gegen mich gehandelt, wie Sie mich glauben machen wollten. Wir sind vollkommen ausgesöhnt. Mögen Sie, mag die Welt es wissen, deren Repräsentant Sie sind. Vor dieser Welt – was man so nennt – reich' ich meinem Vetter mit vollem bewegten Herzen die Hand, und nenne ihn meinen Freund.

WELTING.
Ihren Freund? Ich verstehe, schöne Frau.
BALDINGER
tritt hart an ihn.
Was verstehen Sie?
WELTING.
Daß Sie der Freund Ihrer Cousine geworden sind, Herr Baldinger.
BALDINGER
wie oben.
Und was weiter?
WELTING.
Nichts weiter, als daß ich überboten wurde.
BALDINGER.
Herr –
HERMINE.
Abscheulich!
WELTING.

Sie haben mich schnöde abgewiesen, reizende Frau: Sie verachten die Welt, die ich repräsentiren soll – aber diese Welt sieht scharf und hell – man streut ihr nicht so leicht Sand in die Augen. Der industrielle Herr Baldinger verschenkt eine halbe Million; die galante Frau von Löwenberg schlägt dieß Geschenk aus: welch eine Fülle von Großmuth, von Sentiments! Wie wird meine Welt darüber erstaunen! Ich eile nach Ihrem Wunsch, gnädige Frau, ihr diese Fakten mitzutheilen – nichts als die Fakten – und lasse Ihnen beiden Zeit, Ihre vollkommene Aussöhnung noch mehr zu vervollkommnen. Will gehen.

[326]
BALDINGER.
Halt, Herr! Sie sollen, Sie müssen –
WELTING.

Und was, Herr Baldinger? Mit einer Pantomime. Doch nicht –? Warum nicht gar! Ich bin ein Börsespekulant.

BALDINGER
heftig.
Und ein –
HERMINE.
Ruhig, Vetter!
WELTING.
Lassen Sie ihn. Auf ein Paar Expektorationen kommt's mir nicht an. Ich habe kaltes Blut.
BALDINGER
der sich faßte.

Kaltes Blut? Ganz recht! Und ich mit meiner Hitze, meinem heißen Blut – Aber Sie, Mann mit dem kalten Blut! Merkten Sie denn nicht, sahen Sie nicht –? Ha, ha ha! Sie konnten glauben, daß die Cousine –? Ha ha ha!

WELTING.
Sie lachen?
HERMINE
besorgt.
Was haben Sie, Vetter?
BALDINGER.

Nichts, nichts – ich lache über den Zufall, über das Mißverständniß, das uns fast an einander brachte.

WELTING.
Mißverständniß?
BALDINGER.
Allerdings. Ein Wort kann es lösen, konnte es längst gelöst haben – aber meine verwünschte Hitze!
HERMINE
für sich.
Was hat er vor?
BALDINGER.

Die Cousine reichte mir ihre Hand – nicht wahr, Herr Welting? Sie nannte mich ihren Freund – ist es nicht so? Ihre Hand, Hermine! – Glauben Sie wirklich, Herr Welting, diese Hand verschenke sich – für Geschenke? – Hermine sagen Sie doch diesem Mann, daß Sie mich – achten.

HERMINE.

Wahrhaftig, ja! Ich achte Sie, wie den Besten, den Edelsten der Menschen. Diese Stunde hat mir Ihr Wesen in seinem vollsten, reinsten Lichte gezeigt. Ich werde nie aufhören, Sie zu achten, Vetter, Sie zu verehren, sollten wir auch in Zukunft verschiedene Wege –

BALDINGER
der ängstlich auf jedes ihrer Worte lauschte, fällt ihr rasch in die Rede.

Genug, Cousine, genug! Herr Welting ist jetzt überzeugt von Ihrem Wohlwollen, von Ihrer Neigung gegen mich.

HERMINE.
Vielleicht mehr als er sollte! Sein spöttisches Lächeln gibt zu erkennen.
BALDINGER.

Das ist ja eben das Mißverständniß! Ha, ha, ha! Ein so feiner Mann, ein Welting, sollte noch immer nicht einsehen, in welchem Verhältniß die Cousine eigentlich zu mir steht?

WELTING.
Wie, Herr Baldinger?
HERMINE.
Vetter –
BALDINGER.

Klären Sie ihm doch das Räthsel auf, Cousine – doch nein! Lassen Sie mich sprechen,Zu Welting mit Ernst. Ich verzeihe Ihre Unart, Herr Welting, denn sie beruhte auf einem Irrthum; aber in Zukunft haben Sie mehr Respekt – vor meiner Braut.

HERMINE
für sich.
Himmel!
WELTING
stotternd vor Erstaunen.
Br ... Braut?
BALDINGER.
So ist es.
WELTING.
Braut? Ihre Braut?
BALDINGER.
Ja wohl.
WELTING.
Folglich sind Sie – der Bräutigam!
BALDINGER.
Der Schluß begreift sich leicht.
WELTING.

Leichter als die Prämissen. – Braut? Ich gratulire. Wirklich Braut? – Welches unerwartete Ereigniß! Zu Hermine. Der Repräsentant, die kleine Welt geht, um es der großen Welt mitzutheilen. Ab.

12. Auftritt
Zwölfter Auftritt
Baldinger. Hermine.

HERMINE
eilt auf Baldinger zu.
Vetter, Sie wollten meine Ehre retten –
BALDINGER.
Sie ist gerettet.
HERMINE.
Er hält mich für Ihre Braut!
BALDINGER.
Das soll er.
HERMINE.
Und bald die Welt mit ihm!
BALDINGER.
Das soll sie.
HERMINE
stutzend.
Wie, Vetter? Haben Sie bedacht –?
BALDINGER.
Alles. Ich bin bereit, Ihnen meine Hand anzutragen.
HERMINE.
Ihre Hand?
BALDINGER.

Haben Sie vergessen, was der Onkel schrieb? »Franz, sorge für Deine Cousine.« Man tastet Ihre Ehre an, Ihren Ruf; der Namen Baldinger hat Credit, auch in der moralischen Welt: ich gebe Ihnen diesen Namen, Hermine, das kostbarste, was ich besitze, weil ich an die Reinheit Ihres Herzens glaube, und weil ich will, daß auch diejenigen daran glauben sollen, an denen mir einzig liegt, daß sie an mich selbst glauben.

HERMINE.
Franz! Mein Schützer! Mein Engel! Edelster der Menschen!
BALDINGER.
Hermine! Bald meine Frau!
HERMINE.
Ich Ihre Frau!
BALDINGER
sich fassend.

Nein, nein – nur meine Braut – nur für die Welt, nur für eine kurze Frist. Das heißt, ich bin bereit, meinem Antrag nachzukommen, aber es soll Ihnen frei [327] stehen, zurück zu treten. Ich will gerne vor der Welt als der Aufgegebene, der Verschmähte erscheinen. Einem Mann macht das keine Schande.

HERMINE.
Vetter! Ich Ihre Frau! Sie mein Mann! Ihr Edelmuth reißt Sie hin! Aber – Sie lieben mich nicht.
BALDINGER.
Ich Hebe Sie nicht? Und Sie, Hermine?
HERMINE.
Ich?
BALDINGER.

Ich baue auf Ihr Herz, auf Ihre Seele, Hermine: fehlt Ihnen der Muth, sich einem Mann anzuvertrauen, der nur Ihr Bestes will?

HERMINE.

Ach, ich bin ein armes, ein hilfloses Weib, das sich voll Vertrauen in Ihre Arme wirft; Sie sind mein Beschützer, mein Retter. – Wir werden uns lieben lernen – gewiß, wir werden, nicht wahr?

BALDINGER.

Die Liebe ist eine Gabe des Himmels, die Ehe ist ein menschliches Institut. Treue kann man sich versprechen, freie Neigung wird geschenkt. Der Keim der Liebe schlummert in jeder Menschenbrust; ob er in helle, freudige Blüten schlage – wir müssen's erwarten in Demuth und Geduld. – Leben Sie wohl, Hermine! Haben Sie Muth und Vertrauen. Rasch ab, während Hermine die Arme nach ihm ausbreitet.


Ende des dritten Aufzuges.

4. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt
Hubert sitzt in der Mitte des Saales, an einem runden Tisch und arbeitet und hämmert an einem Modell. Der Justitiär steht in seiner Nähe.

JUSTITIÄR.
Herr Baldinger ist noch immer nicht zurück?
HUBERT
arbeitend.

Er läßt nichts von sich hören. Der Prozeß mit der verwünschten Muhme trägt die Schuld. – Da fehlt noch eine Schraube.

JUSTITIÄR.
Was machen Sie da, Herr Hubert?
HUBERT.
Ein Wasser-Rad. Eine neue Erfindung.
JUSTITIÄR.

Glücklich, wer mit Lust in seinem Beruf arbeitet! – Leben Sie wohl! – Doch nein – ich muß reden: es drückt mir das Herz ab. – Herr Hubert! ich bin ein alter, unglücklicher Mann.

HUBERT
von der Arbeit weg.
Unglücklich? Wie das, Herr Justitiär?
JUSTITIÄR.
Weil ich Justitiär bin.
HUBERT.
Es war Ihr Wunsch, im Amt zu bleiben; auch hat Herr Baldinger als Gerichtsherr Ihren Gehalt erhöht.
JUSTITIÄR.
Das hat er; aber Herr Baldinger ist kein Gerichtsherr.
HUBERT.
Kein Gerichtsherr?
JUSTITIÄR.

Sehen Sie, Herr Hubert, seit sechsunddreißig Jahren bin ich gewohnt, meinen Gerichtsherrn gnädiger Herr und Euer Hochwohlgeboren zu nennen: Herr Baldinger mag alle guten Eigenschaften haben, aber Hochwohlgeboren wird er doch nun und nimmermehr.

HUBERT.
Das ist richtig! Aber was liegt daran?
JUSTITIÄR.

Was daran liegt? Alles liegt daran: die gesammte Würde der Gerichtsbarkeit hängt an diesem Wohlgeboren. Herr Baldinger ist erst einige Monate Besitzer der Herrschaft Wildenhain, und schon haben sich die herrschaftlichen Spitzbuben um die Hälfte vermindert.

HUBERT.
Das ist so übel nicht.
JUSTITIÄR.

Uebel, sehr übel! Wo sind die Spitzbuben hingekommen? In die Fabriken. Sie sind Industrielle geworden, sie arbeiten: und ein Spitzbube, der arbeitet, stiehlt die Arbeit im Grunde den ehrlichen Leuten vom Maule weg.

HUBERT.
Wenn er sich aber bessert?
JUSTITIÄR.

Ein ordentlicher Hallunke bessert sich nie. Glauben Sie mir: ich bin ein alter Praktikus. – Bessern! – Das ist eine unpraktische Neuerung. Unpraktisch! So sind sie alle. Wissen sie, wie's in der alten Gerichtsform heißt? »Der Richter soll sitzen auf dem Richterstuhl als ein grießgrimmender Löwe und soll den rechteren Fuß schlagen über den linkeren.« – Das ist ein Richter! Ein »grießgrimmender Löwe!« – Wie anders nimmt sich heut zu Tage Richter und Gericht vor den Assissen aus! Der Advokat sagt dem Gerichtshof ungestraft Grobheiten; das Publikum applaudirt wie im Theater; der Angeklagte im schwarzen Frak spielt den großen Mann, den verfolgten Liberalen; jeder Lump ist ein Karl Moor; die Damen auf der Galerie in Hut und Shawl [328] verzehren dabei Eis und Biscuit: die Jury spricht ihr »nicht schuldig« aus. Wo bleibt der »grießgrimmende Löwe?« Zwar auf Wildenhain ist er noch zu finden; ich bin der Löwe.

HUBERT.
Und sollen's bleiben, Herr Justitiär, sollen's bleiben.
JUSTITIÄR.
Aber wie lange? Da wollen sie auch ein neues Gerichtshaus bauen –
HUBERT.

Ich habe den Plan dazu gemacht. Das jetzige ist düster und baufällig. Sie werden in Zukunft hell und freundlich wohnen, Herr Justitiär.

JUSTITIÄR.

Hell und freundlich? Wie in einem Lusthaus, nicht wahr? Dünne Wände mit Kupferstichen, Doppelfenster, moderne Tische und Stühle – so recht menschlich und wohnlich – weiß schon! Daß man gar nicht die Courage hat, in all' dem modischen Wesen eine ordentliche Sentenz zu fällen? Nein, Herr Hubert, das neue Gerichtshaus werde ich nicht beziehen. Wenn man anfangen wird, die alten, schwarzen, ehrwürdigen Mauern, die dicken Pfeiler, die Bogenfenster niederzureißen, wenn der große eichene Tisch mit dem Riesen-Tintenfaß und den vierzigjährigen Federn mit den staubigen bespritzten Bärten hinaus geschleppt wird, die Kriminal-Akten und die lateinischen Gesetze – dann wird auch die alte Gerichtsbarkeit zu Grabe getragen: dann macht meinethalben was Ihr wollt, mündliches Verfahren, Geschwornen-Gerichte! Der alte Löwe geht in seine Höhle zurück, und die späten Enkel mögen sich die Mähre erzählen von dem strengen aber gerechten Richter, von dem letzten Justitiär. Gott befohlen, Herr Hubert. Ab.

2. Auftritt
Zweiter Auftritt
Hubert allein.

HUBERT.

Was fängt man nun an mit so einem alten, braven, bornirten Mann? Das Beste ist, wir pensioniren den Löwen. An der Arbeit. So. Mein Wasserrad ist fertig. Betrachtet das Modell mit Wohlgefallen. Mache mir's Einer nach! Hast mich manche schlaflose Nacht gekostet, kleines Ding! Dafür stehst du nun da, und bist ein Gedanke; sichtbar, greifbar, ein mechanischer Gedanke, in Holz gedacht. – Horch! Ein Wagen! War's der Herr? Eilt an's Fenster. Er ist's – er springt heraus. Nun soll er gleich mein Modell alle Wetter! was steigt denn da noch aus? Ein Frauenzimmer! Vermuthlich die neue Wirthschafterin. Nun, ich hätte die innern Angelegenheiten wohl noch eine Weile besorgt. Sieht wieder über's Fenster. Wie geputzt sie ist! Was? der Herr reicht ihr den Arm? führt sie in's Schloß?Vom Fenster weg. Das kann ich nicht mit ansehen. Reicht ihr den Arm! der Herr – seiner Wirthschafterin, die er vielmehr als ein »grießgrimmender Löwe« behandeln sollte!

3. Auftritt
Dritter Auftritt
Hubert. Baldinger. Hermine.

BALDINGER.

Willkommen, Hubert! Wie geht's, Alter? Ich bin lange ausgeblieben, nicht wahr? Zu Hermine. Mach' Dir's bequem, mein Kind. Zu Hubert. Sind die Zimmer hergerichtet? Zu Hermine. Wir werden hier auf dem Schlosse wohnen: der Raum im Fabriksgebäude ist zu eng. – Was Neues, Hubert? Hilft Herminen Hut und Shawl ablegen. Mach Dir's bequem! Bist Du müde?

HERMINE.
Nein.
HUBERT
für sich.
Du? Dir? Ei, ei!
BALDINGER.
Nun Alter, sprich doch! Was Neues?
HUBERT.
Nichts, als eine Menge Geschäftsbriefe, und hier zwei Visitkarten.
BALDINGER
liest.
»Ritter von Petermann?«
HUBERT.
Unser neuer Gutsnachbar.
BALDINGER.

»Malvina von Petermann, geborne von Haller.« Malvina von Haller! Zu Hermine. Eine Jugendfreundin – vielmehr Feindin, die ich seit Jahren nicht mehr gesehen. Erblickt das Modell. Was ist denn das?

HUBERT
schmunzelnd.
Ein kleines Experiment.
BALDINGER
betrachtet das Modell aufmerksam.
Ein Wasserrad – oder nicht?
HUBERT.
So etwas dergleichen. Seht, Herr, hier ist ein Saugwerk – dort sind die Kübel –
BALDINGER.

Vortrefflich! Ich beneide Dich um Deinen Einfall. Zu Hermine. Sieh nur, mein Kind – – ja so! Du verstehst nichts von der Mechanik.

HUBERT
für sich, etwas verächtlich.
Freilich! Ein Frauenzimmer! Eine Wirthschafterin!
BALDINGER
zu Hubert.

Nur ein König kann Dir Deinen Gedanken bezahlen, Hubert. Laß mich Dir vor Allem herzlich dafür danken. Reicht ihm die Hand.

HUBERT.

Ich bin bezahlt, Herr Baldinger. Nun merk' ich's erst! Die göttliche Mathematik [329] selbst hätte mir das Dings da nicht eingegeben, wenn nicht noch etwas dahinter stack: die Liebe zu Euch, und die Lust, für Euch zu arbeiten. – Aber sagt doch, Herr! Habt Ihr Euern Prozeß gewonnen?

BALDINGER.
Ja.
HUBERT.
Viktoria! Und Eure Muhme hat verloren? Doppelt Viktoria!
BALDINGER.

Pfui, Hubert! Schadenfreude? Das bin ich an Dir nicht gewohnt. – Aber es scheint, Du hast den Gast gar nicht bemerkt, den ich mitgebracht.

HUBERT.
Ich hab' ihn wohl bemerkt. Begreife schon. Mein Reich ist aus.
BALDINGER.
Dein Reich?
HUBERT.
Nun ja! Ich war bisher der Haushälter, aber nun eine Haushälterin vorhanden ist –
BALDINGER.
Du irrst, Hubert. Diese Dame ist keine Haushälterin.
HUBERT.
Nicht? Was ist sie denn?
BALDINGER.
Meine Cousine.
HUBERT.
So? Die den Prozeß verlor?
BALDINGER.
Dieselbe. Und jetzt, Hubert, ist sie –Hält inne.
HUBERT
zweifelhaft.
Na, was denn?
BALDINGER.
Meine Frau.
HUBERT.
Wa –? Eure –? Sagt's noch einmal, Herr.
BALDINGER.
Meine Frau – Reicht Hermine die Hand. Meine liebe Frau Hermine.
HUBERT.
Eure Frau! Frau! Frau!
BALDINGER.

Du kannst den Arbeitern die Neuigkeit verkünden, Hubert. Gib ihnen Feierabend. Wir kommen später hinüber, meine Frau und ich.

HUBERT
kleinlaut.
Schon gut. Befehlt Ihr sonst –?
BALDINGER.
Nichts.
HUBERT.
Empfehle mich. – Ihr habt Euer Wort nicht gehalten, Herr Baldinger. Im Abgehen. Frau – Frau –
BALDINGER.
Hubert!
HUBERT.
Herr Baldinger?
BALDINGER.
Du hast meine Frau nicht begrüßt?
HUBERT.
Ich habe der Madame mein stummes Compliment gemacht.
BALDINGER.
So laß es laut werden, Alter.
HUBERT.
Ein lautes Compliment? Das geht über meine Kräfte.
BALDINGER
zu Hermine.
Du siehst, er ist ein eingefleischter Weiberfeind.
HUBERT.

Pah! Ich bin ein Mathematiker, und Liebe und Mathematik taugen nicht zu einander. War Archimedes verliebt, er hätte seine Schraube nie erfunden.

HERMINE.
Sie widersprechen sich selbst, mein Freund. Erst stellten Sie die Liebe über die Mathematik.
HUBERT.
Die Liebe zu meinem Herrn: das ist ein Anderes.
HERMINE.
Liebe ist Liebe.
HUBERT.

Dem ist nicht so. Liebe ist – die Liebe, wenn man's definiren soll – es ist das Beste, das Schönste – kurz, die Liebe ist Mathematik – wenigstens bei mir.

BALDINGER.
Meine Frau gefällt Dir also nicht?
HUBERT.
Gefallen? Hm! Betrachtet Hermine von der Seite. Es ist ein hübscher Mechanismus – nichts weiter.
BALDINGER.
Brav, Hubert! Das war ein lautes Compliment.
HUBERT.

So? Nichts für ungut. Es rutschte mir so heraus. – Also Madame Baldinger – Madame, ich muß mich erst daran gewöhnen. Gott befohlen, Madame Baldinger. Ab.

4. Auftritt
Vierter Auftritt
Baldinger. Hermine.

BALDINGER.

Ein wunderlicher Kauz, nicht wahr? Etwas rauh und barsch, aber tüchtig. Ich sehe aus Allem, daß Du ihm eigentlich nicht mißfällst.

HERMINE
etwas verletzt.

Ich fühle mich sehr geschmeichelt, die Zuneigung eines Menschen gewonnen zu haben, welcher Wasserräder macht und mich Madame nennt.

BALDINGER
sanft.

Mein Kind, die Wasserräder macht er mir zu Liebe; er will mein Diener sein, und ist im Grunde mein Freund.

HERMINE
nach einer kleinen Pause.
Was sprach er denn da von nicht Wort halten?
BALDINGER.
Das war ein Scherz – Abbrechend. Aber er nannte Dich Madame?
HERMINE.
Du hast es gehört.
BALDINGER.

Madame! Das ist nun freilich schlimm. Sieh doch! Madame. Je nun! Du bist meine Frau, die Frau eines Fabrikanten: die nennt man gewöhnlich Madame. Allein Dein voriger Gemal war ein Cavalier, Du bist den Titel: gnädige Frau gewohnt. Hubert weiß das nicht. Ich will ihn bedeuten –

[330]
HERMINE.
Bleib' doch, Franz – er mag mich nen nen, wie er will.
BALDINGER.

Neue Verhältnisse, neue Namen! Der Name ist Schall und Rauch: unser Verhältniß ist unser Verhängniß. – Nun Hermine, wie gelallt dir dieses Schloß?

HERMINE.
Nicht übel.
BALDINGER.

Es ist alt und geschmacklos genug, um völlig wieder modern zu sein, was man jetzt Rococo nennt. Die Geister der Wildenhains spuken noch darin umher, aber wir wollen sie nach und nach bannen. Das Er weist auf die Geräthe an der Wand. und das Er öffnet einen Bücherschrank. verscheucht am besten den finsteren Geist des Mittelalters, den gewisse Leute gar zu gern wieder herauf beschwören möchten.

HERMINE.
Eine Bibliothek –
BALDINGER.

Von Dichtern, Historikern, Technikern und Philosophen. Die neue Zeit ist die Zeit des Gedankens. Alles geschieht durch ihn, nichts ohne ihn. Zum Glück leben wir in einem Lande, welches seine Macht immer mehr und mehr anerkennt. Auch der Mann der Industrie darf sich dem Einfluß der Idee nicht entziehen. Helfen wir doch mit Webstuhl und Rad, mit Dampfkessel und Eisenbahn den neuen Boden der Gesellschaft zimmern! – Hier, liebe Frau, sind Deine Appartements, mit manchem Schönen geschmückt, was ich auf meinen Reisen gesammelt. Dort sind meine Arbeitszimmer, für Jedermann verschlossen als für Hubert – und für Dich. Ich freue mich auf den Augenblick, wo Du kommen wirst, mich ein wenig zu stören. – Und nun sieh zu, ob ich mit meinen Anordnungen Deinen Geschmack getroffen; richte, ändere, stelle ab und zu, thu' was Dir gut dünkt, und fehlt's irgendwo, so wende Dich nur an den mathematischen Murrkopf, der überall Bescheid weiß.

HERMINE.

Mir ist hier Alles neu und ungewohnt. Ein Zweifel, ein Bangen überfällt mich, ob ich mich auch in das Rechte, Gehörige zu schicken weiß – aber das wird sich geben, nicht wahr? Du mußt nur Anfangs Geduld mit mir haben.

BALDINGER
herzlich.

Eines mit dem Andern, liebe Hermine, Eines mit dem Andern. Lebe wohl! Er begleitet sie nach dem Zimmer, rechts vom Schauspieler.

5. Auftritt
Fünfter Auftritt
Baldinger allein, dann Hubert.

BALDINGER
allein.

Wer in mein Herz sieht, weiß, welch' ein Wagestück ich unternommen! Frischer Muth und guter Wille wird es mir gelingen lassen.

HUBERT
auftretend.
Herr Baldinger, ich habe den Arbeitern die Neuigkeit mitgetheilt.
BALDINGER.
Es ist gut. – Wohin, Hubert?
HUBERT.
Auf Euer Zimmer. Ein wenig Ordnung machen.
BALDINGER.
Bleib' da. Pause. Hast Du mir nichts zu sagen?
HUBERT.
Der Justitiär war hier; er will seinen Abschied nehmen.
BALDINGER.
So?
HUBERT
herausplatzend.
Der ist auch kein Freund von Neuerungen, der!
BALDINGER
ruhig.

Du bist ein tüchtiger Mathematiker, Hubert, ein geschickter Mechaniker, aber die Mathematik hindert Dich nicht, eine kleinliche, neidische Seele zu besitzen.

HUBERT.
Neidisch? Herr – Ihr wißt, wie ich Euch liebe.
BALDINGER.

Mußtest Du darum das Herz eines schuldlosen Weibes kränken? Sieh, das war un recht, Hubert, unrecht, trotz Deinem vortrefflichen Wasserrad.

HUBERT
nach einer Pause.
Herr – Herr – Er eilt rasch nach dem Tisch, ergreift das Modell, und eilt damit zum Fenster.
BALDINGER.
Was machst Du, Hubert?
HUBERT.
Ich schmeiße das verwünschte Wasserrad über's Fenster!
BALDINGER.

Und warum? Weil Du einen schwachen Moment hattest, Hubert, willst Du das Werk Deiner schöneren Momente zertrümmern? Willst mit Leidenschaft gut machen, was Du durch Leidenschaft verbrochen?


Hubert stellt das Modell schweigend wieder auf den Tisch, und schlägt sich mit der flachen Hand vor die Stirne.
BALDINGER
nach einer Pause.
Ich will's nicht läugnen, Hubert; auch ich habe gegen Dich gefehlt.
HUBERT.
Ihr, Herr?
BALDINGER.
Ja, ja! Ich hatte Dir versprochen – unverehelicht zu bleiben.
HUBERT.
Was hattet Ihr zu versprechen!
BALDINGER.

Nicht geradezu versprochen,: aber Dich doch glauben machen – nur selber zugesagt – allein es gibt Lagen, Verhältnisse, [331] Hubert, die uns bestimmen, lange gehegte Entschlüsse plötzlich zu ändern. Und nun ein ernstes Wort, Hubert: ich verlange, daß Du meiner Frau Respekt erweisest, daß Du sie artig behandelst.

HUBERT.
Artig? Bin ich denn ein Bär?
BALDINGER.
Bisweilen.
HUBERT.
Nun gut, Herr Baldinger! ich will ein Bär sein, aber neidisch bin ich darum nicht.
BALDINGER.
Nur ruhig, Alter – Reicht ihm die Hand. ich wollte Dir nicht wehe thun.
HUBERT
mit unterdrückter Rührung.

Herr, ich will artig werden – denn Ihr habt recht: ich bin in der That eine neidische Bestie – und ein Bär. Ab in das Seitenzimmer links.

6. Auftritt
Sechster Auftritt
Baldinger, dann Hermine.

BALDINGER
allein.

Eine treue Seele! – Kann ich wohl sagen, daß mich meine Frau so hebt, wie er? – Jetzt an die Geschäfte! Nimmt die Briefe, im Gehen. Diese Schriftzüge gehören keinem Kaufmann an. Aus London? Wer ist der unbekannte Correspondent? Erbricht einen Brief. Von ihm! Herminens Namen! Liest. Sonderbar.

HERMINE
auftretend.
Mein Freund –
BALDINGER.
Hermine! Nun, bist Du zufrieden?
HERMINE.

Zufrieden? Mehr als das. Eine Reihe Zimmer, bequem, schön, ja prächtig – wem bliebe da noch ein Wunsch?

BALDINGER.
Du bist zufrieden? Das freut mich, das freut mich!
HERMINE.
Ich wollte Dich eben aufsuchen, Dir zu danken, Dir zu sagen – aber ich störe Dich in Geschäften?
BALDINGER.
Nicht so eigentlich. Das ist der Brief eines Freundes – auch des Deinigen.
HERMINE.
Mein Freund? Wer wäre das?
BALDINGER.
Baron Wildenhain. Du erinnerst Dich seiner?
HERMINE.
Aufrichtig: nicht ungetrübt. Seine Unruhe hatte immer etwas Unbehagliches für mich.
BALDINGER.

Er ist jetzt ruhiger geworden, wie es scheint. Du weißt, diese Ritterburg war einst sein Eigenthum. Der Moment, wo sie in meinen Besitz überging, verfehlte nicht, einen tiefen Eindruck auf sein Gemüth hervor zu bringen, und spornte ihn zur Thätigkeit an. Er steht jetzt als Obrist in englischen Diensten – ein deutscher Freiherr gilt noch etwas auf der Insel – ist zu einer bedeutenden Expedition bestimmt, und freut sich seiner neuen Stellung.

HERMINE.
Ich hätte dem Baron so viele Energie nicht zugetraut.
BALDINGER.

Wer sich nicht selber rühren mag, den macht sein Schicksal rührig. Baron Wildenhain erkundigt sich auch nach Dir.

HERMINE.
Nach mir?
BALDINGER
liest den Brief, sie sieht hinein.

»Was macht Frau von Löwenberg? Ich denke oft und gerne an sie. Hermine ist eines von den weiblichen Wesen, bei welchen große Vorzüge durch kleine liebenswürdige Schwächen erst in ihr volles, schönes Licht treten; in dieser Mischung liegt, nach meiner Empfindung, der eigentliche Zauber der weiblichen Natur. Sie fuhren Prozeß mit ihr; wenn Ihr Beide Euer eigentliches Interesse verstündet, so gab' es vielleicht ein Mittel, den Streit auf die friedlichste Weise zu schlichten. Sie mögen lächeln, mein Freund, wenn Sie dieses lesen; aber als ich Sie zum ersten Male Ihrer Cousine entgegentreten sah, da mußt' ich mir im Stillen sagen: das sind zwei Naturen, die sich gegenseitig ergänzen, deren Eine der Andern würdig ist.« – Was sagst Du zu unserm Freunde? Er besitzt eine Art Divinationsgabe.

HERMINE.
Möchte er unser Verhältniß richtig vorempfunden – möchte er mich nicht zu günstig beurtheilt haben!
BALDINGER.

Der Baron läßt Dir nur Gerechtigkeit widerfahren, und stillschweigend auch mir. Er weiß nichts von unserer Verbindung, und billigt sie im Vorhinein; diese Zustimmung eines vorzüglichen Mannes, die uns an der Schwelle unserer Ehe begrüßt, erscheint mir wie ein freundliches Omen. Dir nicht, Hermine?

HERMINE.
Gewiß – doch schöner däucht es mir, keines Vorzeichens zu bedürfen.
BALDINGER.

Wer bedarf deren nicht? Zumal wer liebt, ist abergläubisch. Abbrechend. Ich gehe auf mein Zimmer, um die übrigen Briefe durchzusehen. Später besuchen wir etwa unsere neue Gutsnachbarin. Adieu, liebe Hermine, Adieu! Ab zur Seite links.

7. Auftritt
Siebenter Auftritt
HERMINE
allein.

Adieu! – Mein Mann ist anders, wie alle übrigen Männer. In der kurzen Zeit unserer Ehe hab' ich seine Vortrefflichkeit [332] erkennen gelernt; aber die Empfindung, die er mir einflößt, ist eigenthümlich; ich fühle Respekt, ja Scheu vor ihm, fast möcht' ich sagen, ich getraue mich nicht ihn zu lieben – vielmehr, ich getraue mich nicht, ihm meine Liebe zu gestehen. Seine Sicherheit, seine Ruhe wirkten wohlthätig auf mich – aber er ist auch gar zu ruhig! Wie ich immer von ihm sagte: ein Mann ohne Leidenschaft. Die Göttin, für die er schwärmt, ist die Industrie, und ich besorge fast, das Wasserrad des alten Mechanikers hat mehr Interesse für ihn, als seine junge Frau.

8. Auftritt
Achter Auftritt
Hermine. Hubert aus Baldinger's Zimmer.

HUBERT
im Auftreten.
Da ist sie! Madame Baldinger –
HERMINE.
Sieh da! unser verdrießlicher Freund.
HUBERT.
Der Herr läßt fragen, ob Sie nichts befehlen?
HERMINE.
Nichts, mein Bester.
HUBERT.

Ob Sie etwa einen Auftrag für mich –? Nicht –? Zögernd. Nun, so will ich – Sein Blick fällt auf den Hut und Shawl. Darf ich das auf Ihr Zimmer tragen?

HERMINE.
Wenn Sie so gut sein wollen.
HUBERT.
Mit Vergnügen. Er nimmt rasch die Kleider und trägt sie in das Seitenzimmer rechts.
HERMINE
allein.
Aha! er will seine Unart wieder gut machen.
HUBERT
kommt zurück.
Das ist besorgt.
HERMINE.
Dank, mein Freund. – Sie sind Maschinist, zugleich Haushälter?
HUBERT.
So eine Art Faktotum.
HERMINE.
Vermuthlich Garçon?
HUBERT.
Garçon?
HERMINE.
Ich meine: unverheirathet.
HUBERT.
Ja so! Gänzlich.
HERMINE.

Wie es scheint, hegen Sie überhaupt keine Vorliebe für das schöne Geschlecht. Sie stellen also den Haushälter vor? Möchten Sie mich wohl in die Schule nehmen?

HUBERT.

Warum nicht? Doch das Haushalten lernt sich bald. Man muß nur den Mägden brav auf die Finger klopfen, dann geht die Sache von selbst.

HERMINE.
Nicht doch, Alter! so barsch! Haben Sie das von Ihrem Herrn gelernt?
HUBERT.
Wahrhaftig, nein! Der ist wie die gute Stunde.
HERMINE.
So? Sie kennen ihn wohl genau?
HUBERT.
Wie mich selbst.
HERMINE.
Im Vertrauen: was hat er Ihnen denn versprochen?
HUBERT.
Versprochen?
HERMINE.
Sie mahnten ihn erst –
HUBERT
lacht.
Ja so! Das ist schwer zu sagen.
HERMINE.
Wenn ich bitte –
HUBERT.
Ich darf nicht, darf nicht – es ist ein Geheimniß.
HERMINE.
Nun, wie Sie wollen.
HUBERT.
Erlauben Sie mir jetzt eine Frage, Madame: heben Sie meinen Herrn?
HERMINE.
Ob ich –? Allerdings.
HUBERT.
Wirklich?
HERMINE.
Gewiß, Hubert, sonst hätt' ich ihn nicht genommen.
HUBERT.

Das ist noch kein Beweis – wenigstens kein mathematischer. – Nun gut. Sie heben meinen Herrn, und ich liebe ihn auch; die Liebe macht gleich, und es ist ein Axiom: Aequalia uni tertio, sunt aequalia inter se: die einem Dritten gleichen, sind gleich unter sich – folglich ist es meine Schuldigkeit, Madame, Sie auch zu heben. Wenigstens will ich mir alle Mühe geben.

HERMINE
legt die Hand auf seine Achsel, lächelnd.
Wird Ihnen das so schwer fallen, Alter?
HUBERT
betrachtet sie.
Ich glaub' nicht.
HERMINE.

Das ist mir lieb. Ich weiß, Ihr Herr hält große Stücke auf Sie, und ich schätze Sie, um seinetwillen.

HUBERT.
Sie schätzen mich? Das ist zu viel!
HERMINE.
Ich hoffe, daß wir noch gute Freunde werden.
HUBERT.
Gute Freunde? Und ich war ein Bär! – Sie beschämen mich, Madame Baldinger –
HERMINE.
Vielleicht hat mich der Himmel ausersehen, Sie von Ihrem Weiberhaß zu kuriren.
HUBERT.
Kuriren? Nun und nimmer! Es bleibt dabei: ich kann das Frauenvolk nicht ausstehen.
HERMINE.
Ei, Hubert –
HUBERT.
Von Ihnen ist nicht die Rede; Sie sind eine Ausnahme; Sie gehören gar nicht unter die Frauenzimmer.
HERMINE.
Kein Frauenzimmer? Was bin ich denn?
HUBERT.

Wenn Sie nur ein Bischen mehr Mathematik verständen, wollt' ich's Ihnen begreiflich [333] machen: kurz, die anderen sind lauter einfache Zahlen, und stehen auf der Stelle der Einheiten, aber Sie sind eine Potenz.

HERMINE.
Eine Potenz? Was heißt das?
HUBERT.
Eine Potenz heißt auf mathematisch – ein Engel.
HERMINE.
Ei, Hubert, Sie werden auch gar zu artig! Was wird Ihr Herr dazu sagen? – Wir sind also ausgesöhnt?
HUBERT.
Vollkommen.
HERMINE.
Ihre Hand!
HUBERT.
Da.
HERMINE.
Sagt Ihr mir jetzt das Geheimniß, Alter?
HUBERT.
Das Geheimniß? Was Sie für eine warme Hand haben, Madame Baldinger!
HERMINE.
Sagt Ihr mir's?
HUBERT.
Für eine warme, feine, kleine Hand!
HERMINE.
Sagt Ihr mir's jetzt?
HUBERT.

Wenn ich nur dürfte he, he! Diese Fingerchen – diese fünf Fingerchen – ich bin noch niemals auf eine angenehmere Weise an die fünf Species erinnert worden.

HERMINE.
Ihr seid nicht klug! Nun also: das Geheimniß?
HUBERT.
Das Geheimniß?
HERMINE.
Sprecht doch!
HUBERT.
Nun denn – es ist eigentlich dummes Zeug – der Herr und ich gaben uns das Wort –
HERMINE.
Das Wort?
HUBERT.
Das zu bleiben, was Sie mich vorhin nannten.
HERMINE.
Was ich Euch –?
HUBERT.
Garçons, Junggesellen.
HERMINE
entfernt sich von ihm.
Junggesellen!
HUBERT.

Na, der Herr hat sein Wort nicht gehalten, und ich – Ergreift wieder ihre Hand. He, he! Sie sollen sehen, Madame Baldinger, ein Mathematiker kann Alles – auch galant sein. Heiliger Archimedes, vergib mir! Küßt ihr die Hand.

9. Auftritt
Neunter Auftritt
Vorige. Baldinger.

BALDINGER.
Nun Alter! Ich glaube, Du machst meiner Frau den Hof?
HUBERT.

Wir sprachen von der Haushaltung.Nimmt das Modell vom Tisch. Nun will ich mein Wasserrad bauen, und nebenbei den Mägden auf die garstigen Finger klopfen.

BALDINGER.

Warte, Hubert. Zu Herminen. Was meinst Du, mein Kind, wenn wir unserer Gutsnachbarin jetzt die Visite machten?

HERMINE.
Jener Malvina?
BALDINGER.

Es ist ein geistreiches, lebhaftes Frauenzimmer. Sie wird Dir gefallen. Ich kannte sie vor Jahren, als ich noch blöde und unbeholfen – willst Du mir den kleinen Triumph versagen, einem Wesen, das sich einst ein wenig über mich lustig machte, mein liebenswürdiges Weibchen aufzuführen?

HUBERT
bei Seite.
Sieh doch! Mein Herr Baldinger kommt in Zug.
BALDINGER.
Sende hinüber zu Frau von Petermann, Hubert. Meine Frau und ich wünschen ihr aufzuwarten.
HUBERT.

Will's besorgen. Adieu, Madame. Der Garçon empfiehlt sich. – Wissen Sie was Neues, Herr Baldinger? Ich bin in Madame Baldinger verliebt. Ab.

10. Auftritt
Zehnter Auftritt
Baldinger. Hermine.

BALDINGER.
Sieh doch! Der Bär läßt sich zähmen.
HERMINE
für sich.
Garçon!
BALDINGER.
Du hast dem Alten seine vorige Unart verziehen; ich danke Dir dafür.
HERMINE.
Höre, Franz, Dein altes Schloß gefällt mir nach und nach immer besser.
BALDINGER.
Hab' ich Dir's nicht vorausgesagt?
HERMINE.

Allein es ist für weibliche Bewohner nicht eingerichtet, es ist mehr ein Aufenthalt für – Junggesellen.

BALDINGER.
Junggesellen?
HERMINE.

Nun ja! Der alte Mathematiker, der die Frauen haßt – Du selbst, sein Freund, der in manchen Stücken seine Gesinnung theilt –

BALDINGER.
Aha! Ich merke: der Alte hat geplaudert.
HERMINE.
Das heißt: er hat mir Dein Geheimniß vertraut.
BALDINGER.
So? Er ist mir zuvorgekommen.
HERMINE.

Wirklich? Und warum verschlossen bis jetzt? Warum überhaupt so verschlossen? Nur einmal thautest Du auf, als Du von Deiner Jugendfreundin sprachst.

BALDINGER.
Von Malvina? Du meinst doch nicht –?
HERMINE
scherzend, aber mit Absicht.

Ich meine gar nichts, als daß Du Deinem Freunde [334] Dein Wort gegeben, unvermählt zu bleiben, und daß Du Dein Wort gebrochen–aus Liebe zu mir – oder nicht? Wenigstens schmeichle ich mir mit dem Gedanken.

BALDINGER.
Dir zu Liebe! Ganz gewiß.
HERMINE.

Nun sieh! Ich weiß wohl, ein Mann, wie Du, schließt noch andere Dinge in sein Herz, als ein Weib; ich kenne Dein thätiges Streben, ich verehre es – aber wir Frauen sind einmal so beschaffen: auch wir möchten uns gerne verehrt wissen – allein auf eine ganz andere Art, als alle Dinge – außer uns.

BALDINGER.
Ich sehe Dich kommen! Du meinst, ich hätte wohl ein Herz, aber nur für die Industrie?
HERMINE.

Nicht doch! Sollt' ich Dich wohl mit Deinem Hubert verwechseln? Und selbst der starre Mathematiker geht in's Feuer. Du hast es gesehen.

BALDINGER.

Nur ich – der Mann ohne Leidenschaft – so nanntest Du mich einst – bliebe kalt, empfindungslos? Ein schwerer Vorwurf! Du hältst mich einer Leidenschaft nicht fähig? Was wäre ein Mann ohne Leidenschaft, ohne Enthusiasmus?

HERMINE.
Den Enthusiasmus will ich Dir nicht bestreiten –
BALDINGER.

Allein Du glaubst, ich liebe nicht, hätte nie geliebt! Du irrst vielleicht. Aber der Mann Hebt anders als der Jüngling. Höre mich an, Hermine. Längst bin ich Dir ein Geständniß schuldig.

HERMINE.
Ein Geständniß?
BALDINGER.

Das mir immer auf der Zunge schwebte. Dieser Moment, Deine leisen Vorwürfe, erlauben mir nicht länger zu schweigen. Wisse denn, daß Dein ruhiger, besonnener Mann einst nahe daran war, das Opfer einer glühenden Leidenschaft zu werden.

HERMINE
rasch.
Du? Du warst verliebt?
BALDINGER.

In ein reizendes, bezauberndes Geschöpf, in ein Wesen voll Geist, Anmuth, Grazie, des sprühendsten Lebens voll –

HERMINE.
Gemach, gemach! Du beschreibst ein wahres Wunder.
BALDINGER.

Das Wunder hatte seine Fehler, wie ich erst später einsehen lernte. Sie war übermüthig, launisch – und sie verschmähte mich.

HERMINE.
Du hast ihr also Deine Liebe gestanden?
BALDINGER.

Mit keinem Wort, keinem Blick. Du weißt, ich war ein blöder, unbeholfener junger Mensch, der sich vor Leuten kaum zu sprechen getraute. Vor meiner Angebeteten verstummte ich völlig. Die glänzende Erscheinung machte mich verwirrt; das Herz pochte mir, so oft ich in ihre Nähe trat – aber ich schwieg. Die überströmenden Gefühle meines Innern fanden keinen Dolmetsch an meiner blöden Zunge. Wie beneidete ich die geistreichen, jungen Männer, die sich in dem Kreise jener holden Zauberin so frei und sicher bewegen konnten! Aber ich hätte sie vergiften mögen für jedes Lächeln, jedes freundliche Wort des reizenden Mundes, das ihnen zufiel.

HERMINE
unruhig.
Wie hab' ich mich in Dir getäuscht! In der That – Du bist einer Leidenschaft fähig.
BALDINGER.

Für mich kein Wort, kein Lächeln – sondern nur ein Lachen des Spottes, der Ironie. Meine Geliebte verlachte mich. Entsetzliches Gefühl, für Liebe Spott, für Anbetung Hohn zu ernten. Ich aß nicht, ich schlief nicht, eine wüthende Eifersucht auf Jeden, der sich ihr näherte, verzehrte mein Inneres. Ein offenbares Zeichen der Verachtung von ihrer Seite brachte mich endlich zu mir selbst: ich ermannte mich und mied ihre Nähe.

HERMINE
rasch.
Das war recht.
BALDINGER.

Aber was unternehmen? Wie ein Leben fortsetzen, das mir jeden Reizes zu entbehren schien? Ein junges, überlanges Leben, ohne Zukunft, voll gleichgültiger Tage! – Da erschien mir zu rechter Zeit jener Erdengeist, welcher den Menschen empfing, als er aus dem Paradiese trat: der harte, mürrische, aber derbe und tüchtige Genius der Arbeit. Laßt einen unglücklich Liebenden, einen Werther der alten Zeit, einen Morgen Feldes umackern, und ich wette, er denkt mit jedem Feierabend etwas kühler an seine Lotte: das tiefe Athemholen beim Pflügen und Graben verhindert die Liebesseufzer, und der Schweiß auf der Stirn ersetzt die Thränen. Aber der Körper nicht allein, auch der Geist muß arbeiten; das liebekranke Herz muß sich in das Stahlbad der Ideen tauchen, wenn es genesen soll. Mein Mittel schlug an. Ich arbeitete, erst aus Instinkt, dann aus Trotz, zuletzt aus Freude und Lust. Wenn die Liebe Dichter und Helden schafft, so machte mich meine Leidenschaft zum fleißigen, thätigen Mann, zum Mann der Industrie. Nach ein Paar Jahren war ich so weit umgewandelt, daß ich mit ziemlicher Fassung, wenn auch mit einigem Herzklopfen vernehmen konnte – meine Geliebte sei vermählt.

[335]
HERMINE
wie freudig.
Vermählt? Faßt sich. Vermählt? So! Und Du sagst, sie erfuhr Deine Neigung nicht?
BALDINGER.
Weder sie, noch irgend Jemand; Du bist das erste Wesen, dem ich sie gestehe.
HERMINE.
Und jetzt? Du denkst noch an Deine Geliebte?
BALDINGER.
Ja.
HERMINE.
Du sahst sie wieder?
BALDINGER.
Nach Jahren.
HERMINE.
Hast sie nicht vergessen?
BALDINGER.
Jeder bedeutende Lebensmoment trägt den Stempel der Dauer in sich.
HERMINE.
Du liebst sie also noch?
BALDINGER.
Der Stern des Morgens wird später zum Abendstern. Anders Hebt der Jüngling, anders der Mann.
HERMINE
nach einer Pause.
Ich danke Dir für Dein Geständniß.
BALDINGER.
Es sollte Dir die Größe meines Vertrauens darthun.
HERMINE.
Wahrhaftig, Du bist einer Leidenschaft fähig!
BALDINGER.

Ich habe ein Herz – nicht nur für die Industrie. Noch fehlt Ein's, das Letzte; ein Wort, das sich auf meine Lippe drängt, das ich auszusprechen zage: der Name meiner Geliebten.

HERMINE.
Nenne den Namen nicht! Ich will ihn nicht wissen.
BALDINGER.
Du willst nicht?
HERMINE
ausbrechend.

Ach! erspare mir die Qualen – die Du selbst erduldet. Ich liebe Dich unaussprechlich, und Du gestehst mir Deine Leidenschaft für eine Andere!

BALDINGER.
Hermine!?
11. Auftritt
Letzter Auftritt
Vorige. Hubert.

HUBERT.
Herr Baldinger, Frau Malvina von Petermann ist sehr erfreut –
HERMINE.
Malvina! Sie war's.
BALDINGER.
Du glaubst –?
HERMINE.
Die Dich verspottet, verlacht, verhöhnt – die Du einst geliebt, die Du noch immer liebst – war sie!
BALDINGER
mit offenen Armen.
Warst Du, bist Du!
HERMINE.
Ich! Ich!
BALDINGER
wie oben.
Meine Geliebte!
HERMINE
stürzt in seine Arme.
Ich!
BALDINGER.
Mein Weib!
HUBERT
gerührt, will sich nähern.
Aequalia uni tertio – doch nein, ich gehöre zu meinem Wasserrad.
BALDINGER
zieht ihn zu sich, und Herminen.
Hierher, mein Freund! Du gehörst zu uns! Wir gehören Alle zusammen!
HERMINE
schmiegt sich an Baldinger.
Durch die Liebe!
HUBERT.
Und durch die Mathematik!
BALDINGER
beide umarmt haltend.
Nun bin ich nicht länger einsam und verlassen!

Ende

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2011). Bauernfeld, Eduard von. Dramen. Industrie und Herz. Industrie und Herz. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-203F-C