[108] Die Liebe zur Lüge.
Wann du vorbei mir gehst, gleichgültig-stolze Schöne,
Beim Sange der Musik, der am Gewölb zerfließt,
Wie du dich sacht bewegst, harmonisch wie die Töne,
Und Langeweil im Blick tiefmüde um dich siehst;
Erblicke ich belebt vom wehnden Gasgeflimmer
Die krankhaft-bleiche Stirn, wo wundersam der Brand
Der Abendfackeln spielt, wie neuer Morgenschimmer,
Dein Auge, das mich wie der Blick von Bildern bannt –
Denk ich: wie ist sie schön, von frischem Reiz umflutet!
Erinnrung, wie ein Turm, der schwer und königlich,
Bekrönt sie, und ihr Herz, das wie ein Pfirsich blutet,
Beut reif, gleich ihrem Leib, der kundgen Liebe sich.
Bist du des Herbstes Frucht, von auserlesner Milde?
Bist eine Urne du, die sich nach Tränen bangt,
Ein Duft, der träumen macht von seligem Gefilde,
Ein schmeichlerischer Pfühl, ein Korb, der Blüten prangt?
Ich weiß es: Augen sind, voll trauervoller Reine,
Wo sich kein Rätsel birgt, das köstlich zu erschaun,
Wie leere Medaillons, kleinodienarme Schreine,
Und tiefer, öder noch als selbst der Himmel Blaun.
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Doch die Erscheinung ists, die zagendem Gefühle,
Das vor der Wahrheit flieht, das Sein versüßen kann.
Was kümmern Torheit mich und seelenlose Kühle?
Ob Maske oder Zier – dich, Schönheit, bet ich an!