64. Brod wird zu Schlangen und Kröten.
Im badischen Oberlande war eine Bäuerin, welche keinem Armen ein Almosen verweigerte und jedem wenigstens ein Stück Brod gab. Nachdem sie gestorben, und ihr Mann wieder eine Frau genommen, wollte diese sehen, wie viel jene den Armen gegeben hatte. Zu dem Ende legte sie, so oft ein Almosen von ihr begehrt wurde, ein Stück Brod in einen verschlossenen Kasten, während sie den Bettelnden mit einem leeren »Helf Gott« abspeis'te. Als so ein Jahr vorübergegangen, und der Kasten ganz voll war, führte sie ihren Mann zu demselben, um ihm zu zeigen, wie viel seine erste Frau verthan habe. Sie öffnete den Deckel, und sieh! statt mit Brodstücken, war der Kasten mit Schlangen und Kröten angefüllt, worüber beide heftig erschraken, und die Frau die Größe ihrer Sünde erkannte. Bei verschiedenen Geistlichen beichtete sie, aber keiner wollte sie lossprechen, und einer von ihnen, ein frommer Greis, rieth ihr, sich an den heiligen Vater zu wenden. In Begleitung ihres Mannes pilgerte sie nun nach Rom und legte vor dem Papst ein reumüthiges Sündenbekenntniß ab. Als sie [51] damit zu Ende war, hieß er sie auf zwei Stunden abtreten, während deren er die Sache bedenken wolle; bei ihrer Wiederkunft aber gab er ihr die Lossprechung, mit der Buße: in der nächsten Nacht in einer verschlossenen Stube allein zu sein und die Schlange und die Kröte zu küssen, welche zwischen elf und zwölf zu ihr kämen. Alsdann entdeckte er ihrem Mann, daß sie, wie ihm offenbart worden, von den Schlangen und Kröten gefressen werden müsse; er hiernach ihre Buße bestimmt habe, und auf ihr Jammergeschrei in der Nacht niemand zu Hülfe kommen solle. Zur bezeichneten Stunde fanden die Schlange und Kröte bei der Frau sich ein, und so sehr dieser auch graus'te, gab sie doch jeder einen Kuß. Da sprangen ihr beide in's Gesicht, die andern Schlangen und Kröten, welche in dem Kasten gewesen, stürmten auch herbei, und alle zusammen fraßen die Frau, die vergebens um Hülfe rief, bis auf die Knochen auf. Am Morgen fand man diese in der Stube; die Schlangen und Kröten aber waren verschwunden. Der Papst ließ nun die Gebeine begraben und hielt selbst für die Frau das Todtenamt, und unter demselben erschien sie ihm als weiße Taube, zum Zeichen, daß sie ein Kind der Seligkeit sei.