65. Der schwäbische Sonn- und Mondfang.

Vor langen, undenklichen Zeiten ist es in Schwabenland geschehen, daß die von Munderkingen die Sonne und den Mond haben fangen wollen. »Ihr wisset, Bürgermeister und Gerichtsmänner« – redete der Schultheiß die versammelten Väter an – »wie der Aisterberg neben dem Pflummenhölzle [147] fast ganz öd ist. Es wachs't auf dem halben Berg – und es ist doch so ein großmächtiges Werk – nicht einmal ein Bäumle. Ich bin schon so oft bös darüber worden, wenn ich den Nutzen betrachtet hab', den unser gemeines Wesen hätte, wenn man auch den Berg anbauen könnte. Man hat freilich nichts gespart bisher, es will aber immer nichts batten. Jetzt hab ich denn auch nachgesucht, wo doch der Fehler stecken möchte, und endlich bin ich drauf kommen. – Nächt zu Abend, geh' ich in mein Feld hinaus, und will denn auch gucken und lugen, wie die Sonne hinab geht: ob's Morgen schön Wetter oder Regen abgibt. Und da seh' ich nun, daß die Sonne gemächlich hinab geht, und grad mitten über den Aisterberg durch. He, gemach! hab' ich gesagt. Bist du der Kamerad, der uns den Berg so verbrennt, sag' ich. Aber sie hat mich nur schreien lassen, und ist dort hinab, wie ein anderer Schelm. Und wie ich noch so dasteh', und ihr nachseh', kommt der Mond auch noch. Ja, was willt jetzt du da, hab' ich gesagt; du willt gewiß auch über den Aisterberg nach, und was die Sonne nit verbrennt hat, das willt du gewiß verfrieren lassen, sag' ich. Und wie ich's gedacht hab', so ist's gegangen; denn das Mondmännle, der bucklete Teufel, weist mir noch – –, und lauft, was gibst, was hast! über den Aisterberg hinab. Hast du denn, hab' ich gesagt, kein anderes Loch offen gefunden, du Besenbinder, als den Aisterberg? Könntest jetzt nicht ein bitzle einen Umweg nehmen, und im ebenen Land hinab marschiren? Muß denn der Donner dich über alle Bühel und Berg dahin führen? – Und alles das hab' ich mit meinen Augen gesehen. Jetzt aber schließet selbst, wo der Fehler steckt. Ich glaub', es ist leicht zu errathen; denn wo die größte Hitz' und die größte Kälte zusammen kommen, da kann ja nichts wachsen. Da habt ihr die Sach'; und es braucht jetzt nichts mehr zu disputiren, als wie dem Ding abzuhelfen ist. Jetzt rathet, Männer!« Peter Enderle, einer der Gerichtsmänner, [148] nahm zuerst das Wort, und sagte: »Mich däucht's, man soll gelinde Mittel brauchen, und die Sache im Frieden ausmachen. Wir wollen, sagte er, so ein Bildstöckle auf dem Berg machen, und hinaufschreiben: bei zehn Thaler Strafe soll keiner darüber reiten noch fahren noch gehen, nicht einmal die Sonne und das Mondmännle. Wenn sie aber anders thäten, so sollen sie des Landes verwiesen werden auf ewige Zeiten.« Beischen Jackel meinte: »Man sollt' ihnen Gerichtle legen, wie den Vögeln, so thäten sie's nicht merken.«Uri's Hans sagte: »Wenn's brennt, was thut man? Löschen. Feuerkübel, Feuerhaken, Feuerleitern, Feuerspritzen her, so ist die Sonne bald gemeistert. Und dem Mond hängt man ein paar Pulversäckle an, und sprengt ihn in die Lüfte. Das ist meine Meinung.« Der Bannwart, gefragt, was er meine, sagte: »Mein Gutachten ist dieß: man nehme Büchsen, Burfel (Pulver) und Böller, und schieß den Teufel über den Haufen.« Nun kam die Reihe an den Bürgermeister; der sagte: »Mit reifem Bedacht ist mein folgender Schluß abgefaßt. Und zwar von der Sonne sag' ich, man soll ein paar Heuwägen voll Schnee hinausführen, und an's Oertle legen, wo sie durchgeht. Was gilt's, die Hitz' vergeht! Was aber den Mond anlangt, so sag' ich, man soll ein rechtes Feuer aufmachen, so verbrennt er mit Haut und Haar.« Endlich gab der Schultheiß seine Stimme ab, und sagte: »Meine wohlsehende Meinung ist, man soll an zwei Stangen ein Garn ausspannen, und auf dem Berg heimlich hinlegen. Sobald die Sonne und der Mond kommt, so heben zwei Mann die Stange auf. Nachher müssen sie mitten durchs Garn, und bleiben hangen, und wir haben alle beide Broddiebe.« – Der Rath des Schultheißen ward von allen gutgeheißen. Nur stieg dem Bürgermeister der Zweifel auf: was sie mit Sonn und Mond anfangen sollten, wenn sie's hätten. – Auch dafür wußte der Schultheiß Rath und Auskunft: »Man laßt zwei Kästle machen mit Fenster und [149] Umhäng, sagte er. Da sperrt man Sonn' und Mond hinein. Bei Tag laßt man die Sonn' heraus, und bei Nacht den Mond. Und daß auch die ganze Gemeinde den Nutzen hab', so lass' ich alle beide Kästle auf den Glockenthurm hinauf machen, eins dahinten, und das andere davornen; es soll für zwei Knöpf gelten.« Damit waren die Bauern zufrieden. – Aber des Schultheißen Student, der den Leuten insgeheim zugehört, und der wohl wußte, was an Sonn' und Mond sei, und daß man sie nicht fangen könne, wie etwa ein paar Lerchen oder Nachteulen, lachte sich den Buckel voll, und er dachte sich: das wird einmal wieder einen rechten Schwabenstreich absetzen; ich freue mich schon drauf. –

Die Bauern gingen alsobald ans Werk. Feuerleitern wurden herbei gebracht, und Feuerspritzen und Feuerkübel, und ein Garn an zwei Stangen, und zwei Paar Pelzhandschuh für die, welche die Stange halten sollten, und die Kästle, darin sie Sonn' und Mond einquartiren wollten. Uri's Hans und Peter Enderle sollten die Stange halten; der Bürgermeister hatte den Feuerkübel zur Hand, wenn's etwa brennen sollte; Beischen Jackel hielt die Feuerleiter, und der Schultheiß hatte die zwei Kästle in Bereitschaft. Der Bannwart sollte Ordnung und Polizei halten. – Und sie kam, die Sonne. »Die Stang' in Höh', rief der Schultheiß; sie ist unser.« »Nix haben wir – sagte Uri's Hans, der gestolpert und gefallen war, just, wie sie so recht ins Garn gewollt; hinab gewischt ist sie hinter den Berg.« Also standen die da, und hatten nichts. Der Student aber, der das Spektakel mit angesehen, lachte sich heimlich in die Faust, und sagte zu ihnen: es hätte nicht fehlen können, wenn der Berg nicht gerutscht wäre, mit sammt der ganzen Erde. Und sie sollten sich nur frisch an den Mond machen, der könne ihnen wol nicht auskommen.

Also, um einen gleichen Unfall zu verhindern, holten sie vor Allem Ketten und Seile und Klammhaken und [150] Nägel und Hammer und Deichelbohrer und Wagenwinden, und nagelten den Berg an, mit Pfählen und Bretternägeln. Der Schultheiß und der Bürgermeister sollten diesmal die Stange haben. – Und der Mond kam. Aber er ging hoch über sie hin, und sie konnten ihn nicht fangen, obgleich der Berg nicht rutschte, und die beiden das Garn empor hoben über Manneslänge. Also ist aus dem Mondsfang auch nichts geworden. – Der Student aber lachte insgeheim, und er sagte: »Der Berg sei plötzlich eingesunken mit sammt der Erde, und sie dürften nur einen Thurm bauen, der bis an den Mond reiche, so könnte es ihnen nicht fehlen mit dem Fang.« Das ließen aber die Bauern bleiben, und darum geht noch heutigs Tags die Sonne und der Mond über den Aisterberg, und es kann sie Niemand dran hindern. – Also wird aus Schwabenland berichtet; ob aber, und was dran wahr sei an der Geschichte, kann man nicht so recht sagen, da sie sich schon vor langen, undenklichen Zeiten begeben haben soll.

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TextGrid Repository (2011). Aurbacher, Ludwig. Märchen und Sagen. Ein Volksbüchlein. Zweiter Theil. 2. Allerlei erbauliche und ergötzliche Historien. 65. Der schwäbische Sonn- und Mondfang. 65. Der schwäbische Sonn- und Mondfang. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-15C8-D