Eurial und Lukrezia
Als Kaiser Sigismund zum erstenmal in Siena einritt, da war ihm, wie jedermann noch weiß, ein Palast bei St. Marthens Kirchlein zugerichtet, und als demselben die Ehre geistlicher Ordnung und Heiligkeit dort gebracht war, kamen ihm vier Frauen entgegen: Sigismund, wiewohl alt von Jahren, war doch schnell und behend in Begierden, hatte viel Anredung und Kunde der Frauen, und war ihm nichts kurzweiliger als Angesichter hübscher Weiber, darum als er die ersah, sprang er von dem Pferde und kehrte sich um gegen seinen mitkommenden Diener Eurial und sprach: »Habt Ihr je dergleichen Frauen gesehen, ich zweifle, ob es seien menschlich Angesicht oder englisch?« Die Frauen neigten ihre Augen gegen die Erde, und als viel sie schämiger wurden, als viel wurden sie schöner und hübscher gesehen. Denn von Röte, die sich auf ihren Wänglein ausbreitete, gaben sie solche Farbe, als gut indisch Elfenbein, gerötet [136] in dem Blute der Purpurschnecke. Doch leuchtete vor allen Lukrezia, eine Jünglingin unter zwanzig Jahren, dem überreichen Menelaus vermählt, der unwürdig war, daß solch ein Demant in seinem Hause dienen sollte, aber wohl würdig, daß ihn sein Hausfrau machte, als man spricht, zu einem gehörnten Hirsche. Ihre Gliedmaßen an Gerade und Länge die andern übertrafen. Ihr Haar war dick und lang und von Farbe gleich dem Golde, zierlich geflochten und aufgebunden. Ihre Stirn hoch und von gebührlicher Weite, ihre Augbraunen bögleinweis gestellt, mit wenigen aber dichten schwarzen Haaren, ihre Augen leuchteten darunter wie die Sonne, die zugleich die Gesichter der Menschen mag erheben, letzen und blenden. Ihre Nase nicht nach dem Senkblei gesetzt, schied doch die rosenfarbnen Wänglein in gleicher Mensur und Maße. Nichts war lieblicher und lustiger als diese Wänglein, denn so oft die Frau lachte, wurden kleine Grüblein zu beiden Seiten gefället. Niemand sah sie, der nicht begehrte sie zu küssen, ihr Mund war klein und rot zum Einbeißen, ihre Zähne klein, in gleicher Ordnung gesetzt und dazwischen lief ihr Zünglein mit lieblicher Rede und süßem Gesang hell und klar, recht wie die Weiße ihrer Kehle und ihres Halses. Ihre äußere Gestalt gab zu merken, die Geschicklichkeit ihrer innern Form und Vernunft, so daß niemand sie sah, der nicht ihren Mann anfeinden mochte. Ihre Ehrbarkeit ergötzte sich nicht, wie viele Frauen tun, mit strengem Angesicht, sondern mit fröhlichem Anteil in tugendhafter Mäßigkeit. Ihre Kleider waren mannigfaltig und war da kein Mangel an Hefteln, Gürteln, die Zierung des Hauptes auch wunderbar mit vieler Zusammenfügung des Goldes und Edelgesteins in dem Kranz wie an den Fingern.
Unter den Frauen, die dem Kaiser vor dem Palast entgegentraten, war auch Kathrina Petrusy, die über wenig Tage darnach starb. Der Kaiser war bei ihrem Begräbnis gegenwärtig und ihren Sohn vor dem Grabe, wiewohl er noch ein junges Kind, mit Ritterschaft begabte. War auch die Leiche der Kathrina gar schön und wundersam geziert, so wendeten sich doch alle Augen, wohin sich Lukrezia wendete, wie Orpheus mit seinem Getöne Steine und Wald mit sich gezogen. Doch einer von allen ward mehr als gebührlich mit Ansehen in sie geführt, Eurial (Schlick), ein Ritter aus Franken, Liebling des Kaisers, seines Alters zweiunddreißig Jahr, nicht fast langen Leibes, aber einer fröhlichen, gütigen Gestalt mit lieblichen[137] leuchtenden Augen, stets zu Gnaden und gütiger Tugend gerichtet. Die anderen Hofleute waren durch langes Umziehen an Gelde entblößt, aber Eurial, der reich war und durch die Freundschaft des Kaisers viel zum Geschenk erhielt, erschien von Tag zu Tag köstlicher, mit vielen Dienern in Kleidern von Golde und karmesin Samt, auf Pferden mit glänzendem Geschirr. Auch hatte er Muße, die man gebraucht zu der sanften süßen Hitze und großen Kraft des Gemütes, die wir Liebe nennen, darum gesiegte in ihm Mutwille, daß er seiner selbst nicht mächtig war und die Lukrezia ansehend sie inbrünstiglich lieb zu haben anhob. Nun waren daselbst viel junge Männer, hübscher tugendlicher Gestalt, aber allein diesen tät Lukrezia in sich erwählen. An diesem Tage wußte keiner von des andern Gesinnung, sondern jedes meinte umsonst lieb zu haben. Als die geistliche Erbietung geendet war und Lukrezia heim kam, ist ihr Gemüt ganz geführt in Eurial, sie vergaß, daß sie vermählet war und haßte ihren Mann und redete mit sich selbst: Mir hilft nicht mehr sein freundlich Hälsen und Umfahen, noch weniger freut mich sein Küssen, sogar seine Worte mich verdrießen; zu aller Zeit ist vor meinen Augen die Bildung und Gestalt des fremden Menschen, der heut dem Kaiser allernächst gewesen. Ein andres ratet leibliche Anfechtung, ein andres mein Gemüt, ich weiß welches das Bessere ist, aber dem Bösen folg ich. O hochgelobte Bürgerin, was willst du mit einem fremden Pilgrim tun? – Das wußte sie aber auch recht bald sich zu sagen. Warum nicht. Wage ich's und gebe Hülfe der Liebe, entweder wird er bleiben bei mir hier oder aber, so er hinweg zieht mich mitnehmen mit sich; um ihn verlasse ich Mutter, Mann und Heimat. Meine Mutter ist zu aller Zeit widerwärtig gewesen meiner Freude, und lieber will ich eines Mannes mangeln, als den meinen haben, der mir aufgezwungen, als ich noch von nichts wußte. Heimat? Wo noch Lust zu leben, da ist Heimat. Nachrede? Was soll mir der Menschen Rede, die ich nicht höre! –
Das Haus der Lukrezia lag zwischen des Kaisers Hofe und Eurials Herberge, so daß er nicht zu Hofe kommen konnte ohne Lukrezien in hohen Fenstern zu sehen und immer errötete sie, so oft sie ihn ersehen mochte, welches den Kaiser zuletzt mitwissend machte dieser Liebe. Denn als er nach seiner Gewohnheit jetzt hin und her spazieren ritt, vermerkte er die Frau verändert werden in Erwartung [138] Eurials, der ihm stets folgte. Da kehrte sich der Kaiser um gegen ihn und sprach: »Eurial, tust du hier den Männern ihre Weiber entrichten, die Frau hat dich lieb!« – Und als er zu dem Haus Lukreziens kommen ist, bedeckte der Kaiser mit seinem Hut Eurials Augen und sprach: »Ich will mich an deiner Statt brauchen.« Darauf antwortete Eurial: »Was Zeichen ist das, Kaiser? Ich habe keinen Handel mit ihr, dieses aber ist unsicher zu tun, denn die umstehenden Leute argwöhnen möchten.« – Es ritt Eurial ein apfelgraues Pferd, ausgezeichnet durch starken Hals mit dickem Kamme, auf die rechte Seite geworfen, der kleine Kopf winkte mit den Ohren, der kurze Bug und ein feister Rücken und eine kecke Brust zeigten seine Stärke, und so man trompetet, stand es mit Kunde ganz still, ausgenommen daß es den reichen Zaum unter seinen Nasenlöchern stets kauend bewegte, dann auch mit festem Horne seines Fußes und lautem Getöne die Erde umwühlte. Diesem Pferde glich Eurial, so oft er Lukrezien ansichtig ward. Als aber Lukrezia ihn oft gesehen und ihre inbrünstige Liebe nicht mehr meistern mochte, gedachte sie, wem zu vertrauen. Da war unter ihres Mannes Knechten ein alter Deutscher, Sosias, und als der Kaiser wieder mit großer Schar seiner Edeln vorbeiritt, da sprach zu ihm Lukrezia: »Wo findet man unter allen Völkern dergleichen Leute, so geraden Leibes mit aufrechten Achseln, gelben Haares, löblichen Angesichts, milchfarbenen Halses, wohin sie sich kehren, was starke Brüste, das ist ein ander Geschlecht der Menschen als unser Erdreich hat geboren, es ist ein Same der Götter. O daß das Glück von diesen mir einen Mann gegeben!« – »Begehrest du eines?« fragte Sosias. – »Von allen«, antwortete sie, »niemand als Eurial, ich weiß nicht, mit welcher Liebe ich werd gebrennet.« – Da ermahnte sie Sosias zur Keuschheit: »Durch dieses mein graues Haar und durch diese Brust itzund voll Sorgen und durch meine treue Dienste begehr ich, brich ab und lösche solche Ungestümigkeit.« – Auf das Lukrezia redet: »Ich werde dir zu Willen. Mein Urteil ist gesetzt zu sterben.« – »Ich leid's nicht«, sprach Sosias, »wir wollen den Eurial versuchen!« – Sosias meinte mit falscher Freude die Frau also zu führen, bis der Kaiser hinweg wäre. Darum er oft gleißnet zu Eurial gegangen zu sein und sagte, wie sich dieser der Frauen Liebe freute und suchte Ort und Zeit, wie sie möchten zusammenkommen. Um doch nicht ganz zu lügen, redete er einmal[139] den Eurial an und sprach: »O wüßtest du, wie lieb du hier gehabt bist!« Und da der fraget, wer es wäre, sagte er ihm nichts weiter. Aber Eurial mit dem Bogen der Liebe getroffen, erkannte den Sosias nicht und meinte ihn nicht gesandt von Lukrezien, wie wir denn alle geringes Hoffen haben in großer Begierde. Oft strafte er sich selbst für diese also: Eurial, was ist die Gewalt der Liebe, langes Weinen, kurzes Lachen, wenig Freude, viel Furcht. Was hängst du an diesem Lugen. Ich Armer tu umsonst diesen Dingen widerstreiten. Wer ist ein größerer Buhler gewesen als unser Kaiser? – Immer schloß er: Liebe überwindet alle Dinge. Ein schwarzes Turturtäublein wird lieb gehabt von einem gelben Vogel! – Als nun dies also gefestet und beschlossen worden, suchte er eine alte Kupplerin, der er einen Brief gab an Lukrezien. »Ich entböte Dir gern, Lukrezia, Gruß und viel Heil, aber alles Heil meines Lebens hängt an Dir. Was Liebe sei, habe ich vorher nicht gewußt, Du hast mich ihrer Gewalt unterworfen, Dich hab ich lieb Tag und Nacht, Dein begehr ich, Dir ruf ich, Dein wart ich, von Dir gedenk ich, Dich hoff ich, von Dir ergötz ich mich, Dein ist mein Gemüt, bei Dir bin ich ganz. Du magst mich im Leben erhalten oder töten, schreib mir, und sei gegen mich nicht härter in Worten, als Du gewesen bist mit Augen.« –
Die Kupplerin traf Lukrezien allein und redete zu ihr: »Diesen Sendbrief schickt dir der edelste und mächtigste Liebhaber, der an dem kaiserlichen Hofe sein mag.« – Diese Frau war aber in mancherlei Büberei bekannt, darum es Lukrezien leid tat, daß eine solche Frau zu ihr gesandt wäre und strafte sie mit Worten: »Welche Unsinnigkeit hat dich geführt in dies hohe Haus, was hält mich, daß ich dir nicht falle in die Haare, gib her den Brief, daß ich ihn zerreiße und verbrenne.« – Sie nahm das Papier, zerriß das in viele Stücke, trat darauf, warf sie in die Asche, und jagte die Frau zur Tür hinaus. Lukrezia aber, da das alte Weib hinwegkommen war, suchte die Stücklein des Sendbriefs und setzte zusammen die zerrissenen Worte, und da sie daraus einen leserlichen Brief gemacht und den zu tausendmalen gelesen hat, küßte sie ihn zu tausendmalen und zuletzt wand sie ihn in ein seiden Tüchlein und legte ihn unter ihre köstliche Kleinodien, jetzt dies Wort und dann jenes Wort nachsuchend, lesend und erwägend, wodurch ihre Liebe von Stund zu Stund wuchs. Doch schrieb sie an Eurial: »Ich bin nicht die, als Du [140] meinst, oder der Du solche Frauen schicken sollst, mir soll keine andre Liebe nachfolgen, denn die fromm, ehrbar und keusch. Gott pfleg Dein in Gesundheit!« – Das alte Weib hingegen trat zu Eurial und sprach: »Die Frau hat dich mehr lieb als sie von dir lieb gehabt wird, sie küßte das Papier wohl tausendmal.« So gab sie Ursache, daß andre Briefe für und wider gesendet wurden. Eurial befliß sich mit inbrünstiger Begierde Italienisch zu lernen, und ward darin in kurzer Zeit fertig. Bald schrieb er ihr: Sie solle nicht zum Argen merken, daß er ihr eine verrufene Frau geschickt, weil ihm als einem fremden Manne solches unwissend begegnet; das Hübsche der Gestalt ein lustsam Gut wäre, wo aber nicht Zucht und Scham beiwohnte, da wäre sie unwürdig, blöd und hinfallend. Und schickte ihr mit diesem Briefe einige Geschenke. Lukrezia schrieb darauf: »Daß Du mich lieb habest, achte ich nicht groß, denn Du nicht der erste bist, den meine Gestalt hat betrogen, viele und andere haben mich lieb gehabt, aber wie derselben Arbeit ist umsonst gewesen, also die Dein. Mit Dir Worte haben mag ich nicht und will's auch nicht, wenn Du keine Schwalbe bist, kannst Du mich nicht finden, denn alle Tore sind beschlossen. Die Gaben habe ich empfangen, denn mich ergötzt ihre künstliche Arbeit, doch damit es nicht als ein Pfand der Liebe scheine, so schicke ich Dir einen Ring, daß er bei Dir sei als eine Bezahlung, der Edelstein in dem Ringe ist nicht minder kostbar als Deine Gaben. Gott pfleg Dein.«
Eurial schrieb also hinwieder: »Mich betrübet, daß Du meine Liebe zu Dir so klein achtest, denn obwohl Dich viele lieb haben, so liebt doch keiner wie ich, aber Du glaubst das nicht, denn ich kann nicht mit Dir zu Reden kommen. Wollte Gott, daß ich möchte werden ein Schwälblein, aber lieber möchte ich werden ein Floh, daß Du mir nicht möchtest beschließen Dein Fenster. Mir tut es nicht so leid, daß ich ausgeschlossen bin, als daß Du mich nicht einlassen willst, da ich doch nichts zu tun begehre, als nach Deinem liebsten Willen, und ob Du mir befiehlst zu gehen in ein Feuer, ich vollbrächt's. Wie willst Du mich töten mit Worten, während Du mir das Leben gibst mit Deinen Augen, sprich daß Du mich lieb habest, und ich bin selig. Dein Ring kommt nicht von meinem Finger, und ich mache ihn an Deiner Statt naß mit meinen Küssen, verschmähe nicht die kleinen Gaben, die ich Dir schicke. Gott pfleg [141] Dein, gib mir Kurzweil, die Du vermagst.« – Hierauf schrieb Lukrezie folgenden Sendbrief:
»Ich wollte gern Dir zu Willen werden, denn das wäre wohl würdig Dein Adel, ich will geschweigen wie wohl mir gefällt Deine Gestalt und Dein Angesicht, voll aller gütlichen Tugenden. Aber mir ist nicht zu nutze, daß ich lieb hab, ich bekenne mich selbst, wenn ich anheb lieb zu haben, so halte ich weder Maß noch Regel. Du magst hier nicht lange weilen, so möchte ich Dein, wenn ich das Spiel kenne, nicht mangeln noch entbehren. Du würdest mich nicht mit Dir hinwegführen, doch könnte ich nicht bleiben. Mich können warnen viel Frauen, die von fremden Liebhabern sind verlassen. Ihr Männer seid eines festeren Gemüts und möget diese ungestüme Anfechtungen eher stillen, denn wir Frauen. Eine Frau, wenn sie in Liebe anhebt zu wüten, so mag allein das Ende solcher Liebe im Tod erfolgen, denn Frauen nicht allein lieb haben, sondern in Liebe unmenschlich wüten und wo sie rechte Wiedervergeltung finden, so achten sie weder Rede, Leumund, noch Leben; allein ist unsre Arznei, wenn uns der Wille des liebgehabten Menschen geschieht, und fürchten kein Übel, so uns geschieht um unsrer Begierde. Darum ist mir von edeln Frauen geraten, daß ich mir verschließe den Weg der Liebe, besonders gegen Dich, der Du nicht hier bleiben magst. Wenn Du mich so lieb hast, als Du sprichst, so sollst Du nicht an mir suchen noch begehren, das mir zum Tode gereichen würde. Für Deine Gaben schicke ich Dir hiebei ein gulden Kreuz mit Perlen geziert, und wiewohl es klein ist, so mangelt es doch nicht der Kunstbarkeit.« –
Als Eurial diesen Brief empfangen, schwieg er nicht, sondern war mit neuer Geschrift entzündet:
»Gott grüße Dich, mein einiges Gemüt, das mich selig machet mit Briefen, ob Du wohl etwas Gallen darunter hast vermischet, so hab ich sie doch oft gelesen und oft geküsset. Wolltest Du meine Liebe mindern, so solltest Du nicht also Deine Kunst erweisen. Darum sind es unnütze Worte, mit denen Du bittest, daß ich aufhöre Dich zu lieben. Bitte daß alle Berge in die Täler kommen, und alle Bäche rückwärts fließen, als Du bitten magst, daß ich Dich nicht lieb habe; eben so leicht mag die Sonne von ihrem Umlauf ablassen. Ist's, daß hohes Gebirge des Schnees, das Meer der Fische, und der Wald der Tiere entbehrt, dann werde ich Dich vergessen. [142] Es ist nicht klein und leicht den Männern, als Du meinst, die Flamme der Liebe zu löschen, was Du Deinem Geschlechte zugibst, das geben wir dem unsern auch. Hat fremder Männer Liebe viele Frauen betrogen, so kann ich Dir auch viel Männer nennen, die von Frauen sind ungebührlich betrogen. Denke nicht der Dinge, die widerwärtig sind unsrer Liebe, Du sollst mich auch nicht fremd nennen, dieweil ich wahrlich mehr Bürger bin als die, so hier geboren, denn jene macht der Glücksfall, mich aber freie Wahl dazu, und sollte ich auch von hier reisen, so wird doch meine Wiederkehr schnell sein. Ich werde auch nicht mehr in deutsche Lande kommen, sondern meine Sachen einrichten, um so lange bei Dir zu bleiben, als Du magst. Es sind viele kaiserliche Geschäfte in diesem Lande, die werden mir dann übergeben, dies Amt will ich mir erwerben; so wenig ich leben mag ohne Herz, so wenig ohne Dich. Je wohlan, erbarm Dich doch zuletzt Deines Liebhabers, ich wundre mich selbst, wie ich so viel Pein mag erleiden, so viele Nächte ungeschlafen bleiben und so viele Tage in Fasten. Hätte ich Dir Vater oder Mutter getötet, Du hättest nicht größere Pein an mir vollbringen mögen. Es ist noch wenig, was mir Seele und Leib zusammenhält, ach meine Lukrezia, meine Frau, mein Heil, meine Zuflucht empfang mich in Gnaden. Gott pfleg Dein. Ich bin ein Turm, der inwendig gebrochen ist, und außen scheint fest, Du bist meine Hoffnung und meine Furcht.« –
Lukrezia ist durch diese Worte überwunden worden, da eröffnete sie ihm ihre Liebe: »Ich mag Dir nichts mehr versagen, noch widerwärtig sein. Ach mir Armen, daß ich Deine Briefe empfangen. Ist daß Du mich verlassest, so bist Du ein Wüterich, Verräter und ein allerböster aller Menschen. In allen Dingen ist anzusehen das Ende. Ich als eine Frau verstehe wenig, Du aber als ein Mann mußt Sorge tragen für mich und für Dich. Ich geb mich jetzt Dir und folge nach Deiner Treu und hab Dir auch nichts anders zu sagen, als daß ich ewig Dein sei. Gott pflege Dein, meine Hülfe und Führer meines Lebens.«
Nun war beider Begierde, wie sie zusammen kämen, aber das war schwer, denn Menelaus hütete seine Lukrezia streng, ein Laster, das alle Italiener haben; die Frauen aber am liebsten des begehren, was ihnen am meisten ist verboten, und sind ungezähmte Tiere, die keinen Zaum leiden. Lukrezia hatte einen Bruder, war ein [143] Bastard, den hatte sie mitwissend gemacht, um Briefe an Eurial zu bringen. Dieser Bastard wohnte bei seiner Stiefmutter, die Lukrezia oft besuchte, bei der sollte Eurial in einer Kammer verschlossen liegen und wenn die Mutter zur Kirche gegangen, sollte Lukrezia kommen um sie zu besuchen, ihrer warten und Eurial sprechen. Das wurde zwei Tage voraus festgesetzt, die schienen den liebhabenden Menschen ein Jahr; aber die Mutter bemerkte diesen Vorsatz, beschloß ihr Haus an dem Tage vor ihrem Stiefsohn, welches den Eurial nicht minder als die Lukrezia beleidigte. Sie vertraute darauf ihre Heimlichkeit dem Pandal, ihres Mannes Schwager und indem sie sich von allen Seiten bedachten, mußte Eurial nach Rom reiten um mit dem Papst zu reden, welches den Eurial nicht minder als die Lukrezia beleidigte. Er blieb da zwei Monat, in welcher Zeit Lukrezia ihre Fenster nicht öffnete und Trauerkleider anlegte. Und sie stand erst auf von ihrem Bette, als sie hörte, daß Eurial wiedergekommen und der Kaiser ihm entgegenritt. Da legte sie an ihre vorige Zierden und schloß auf ihre Fenster, des Kommenden in Freude zu warten. Und als der Kaiser dieses sah, sprach er zu Eurial: »Nunmehr ist es kein verborgen Ding, in deiner Abwesenheit hat niemand Lukrezien gesehn, jetzt ist sie auf bei der Morgenröte. Niemand mag den Husten verbergen!« – Dazu Eurial redet: »Du schimpfst Kaiser, als du gewohnt bist mit mir und willst mich führen ins Gelächter; die Pracht deiner Mitreiter und der Pferde Wiehern haben sie vielleicht erweckt.« – Und da er das also geredet, blickte er heimlich und verstohlen Lukrezien an und warf Augen in Augen. Das war nach seiner Wiederkunft beider Trost und Ergötzung.
Über wenig Tage darnach, als Nisus ein treuer Diener Eurials geflissen war, in der Sache zu helfen, fand er eine Schenke hinter Menelaus Hause, die hinten eine Aussicht hatte in Lukreziens Kammer. Darum machte er sich den Weinschenken zum Freund und führte Eurial dahin. Es war zwischen beiden Häusern ein enges Gäßlein, wohin weder Menschen noch Sonne je kommen mochten, da war Lukreziens Fenster drei Ellenbogen von ihnen entfernt, und da saß der Liebhaber lange. Endlich kam Lukrezia und als sie hin und her sah, redete Eurial: »Was tust du Regiererin meines Lebens, wohin kehrst du deine Augen, du mein Herz, meine Wollust, ich bin hier, mich sieh, hier bin ich!« – »Bist du aber hier«, sprach Lukrezia,[144] »o du mein Eurial bist du hier, o wollt Gott, daß ich dich auch möchte umfahen.« – »Das will ich bald«, sprach Eurial, »hier will ich eine Leiter anlehnen, du schließest auf deine Schlafkammer, wir haben viel zu lange die Freude unsrer Liebe verzogen.« – »Davor hüte«, antwortet Lukrezia, »willst du mich in Ehren und Seligkeit behalten, es ist hier zur Rechten ein Fenster unsers allerbösesten Nachbarn, es ist auch dem Weinschenker nicht zu trauen, der um wenig Geld dich und mich in den Tod gäbe.« – Darauf sagte Eurial: »Aber diese Geschichte ist auch mein Tod, es sei denn, daß ich dich umhalse.« – Viele und lange Worte haben sie so gewechselt und sind auch einige Gaben verehrt worden. Dem Sosias sagte nachher Lukrezia, der ihr diese Liebe ausreden wollte: »Es ist also wie du sagst Sosias, du bist bisher, ich weiß nicht wie, immer widerwärtig gewesen meinen Begierden. Du weißt wie sehr ich brenne, ich mag die Flamme nicht mehr leiden. Hilf mir, daß wir bei einander sein mögen. Eurial ist krank von Liebe und ich sterbe; es ist nichts schädlicher, als weiter unsrer Begierde zu widerstreben; wenn wir einmal zusammenkämen, würden wir uns mäßiger liebhaben, und unsre Liebe bliebe versteckt; darum gehe hin und sage Eurial den einzigen Weg, wie er zu mir kommen möge. Das ist über vier Tagen, wenn die Bauern das Korn bringen, dann muß er sich antun wie ein Träger und sich bedecken mit einem Sack, und das Korn eine Leiter hinauftragen in die Kornschütte, so wird er meine Schlafkammertür, als die erste Tür gegen die Leiter finden, da will ich allein sein und warten, klopf du an die Tür, und dann geht er zu mir.« Als Sosias sah, daß er sie nicht davon abbringen konnte, fürchtete er größeres Übel, wenn er die Sache nicht selbst gleich auszuführen übernommen. Eurial schätzte alles für leicht und klagte über nichts als über das lange Warten. O blinde Begierde des durstenden Gemütes und du unerschrockenes Herz, was ist so groß, daß es euch nicht klein dünkte, was so schwer und krumm, was ihr nicht leicht schlichtet, was verschlossen, das ihr nicht eröffnet; keine Satzung des rechten Lebens und keine Furcht kann euch zwingen und keiner Scham seid ihr gebunden; alle andre Arbeit ist euch ein Schimpf und die schwerste eine Kurzweile. O Liebe du Zähmerin und Zwingerin aller Dinge, du kannst den allerstrengsten Mann, den Liebling des Kaisers, den reichsten, den vornehmsten, den gelehrtesten Kanzler dazu bringen, daß er über seine seidnen [145] Purpurkleider einen Bauernkittel warf, und auf sich legte einen Sack, sein Antlitz mit dunkeln Farben bedeckte, und aus einem Herrn wird er ein Knecht; der gezogen ist in allen Wollüsten, trägt auf seinen Achseln schwere Last für geringen Lohn, und sich zum Verkehr mit den Bauern noch anbetteln muß. Als die Sonne zu diesem Tage ihren ersten Schein gab, ersah schon Lukrezia den Eurial, der sich selbst selig meinte mit schnöden Knechten vermischt und nicht erkannt zu sein. Darum vollführte er alles fleißig, belud sich mit Korn und ging in Lukreziens Haus und als er sich des Korns auf der Schütte hat entladen, war er unter den Absteigern der letzte, klopfte an die Türe der Kammer und eilte hinein. Und als er die Tür zugemacht, fand er Lukrezien allein sitzen bei einem blauseidnen Netze und da er näher hinzutrat, sagte er: »Gott grüß dich Herzblut meines Lebens, hab ich dich jetzt alleinig funden, mag ich dich jetzt umhalsen, wie ich allwegen begehrt. Jetzt ist keine Wand, keine Fernung und keine Weile zu Irrung unsrer Küsse.« – Lukrezia, wiewohl sie diesen Anschlag gemacht hatte, erschrak doch bei dem ersten Zugang und meinte einen Geist zu sehen, als eine Frau die nicht gemeint hatte, daß sich ein solcher trefflicher Mann solcher Sorgfältigkeit unterwinden würde. Aber als sie zwischen Halsen und Küssen Eurial recht erkannt, redete sie: »Du mein armes Männlein, bist du nicht hier mein Allerliebster.« Da drückte sie seine Wänglein, umfing den Menschen fester und küßte ihn mitten an seine Stirne; und bald wiederum sprach sie: »In wie große Sorgen bist du eingegangen, jetzt weiß ich, daß ich dir die Allerliebste bin, jetzt hab ich dich versucht und wahrlich deine Liebe gegen mich empfunden, und nimmer sollst du auch mich anders finden; Gott wird das Schifflein lenken, worauf die Liebe fährt und schönen Wind ihm schenken, daß es zum Hafen kehrt: So lang der Geist regieret, soll kein anderer mein gewaltig sein, denn unbillig nenne ich mei nen Ehemann, der mir wider meinen Willen gegeben und den mein Gemüt nie hat begünstiget. Aber wohlan meine Wollust, meine Freude, meine Kurzweile, wirf ab deinen Rock und zeige dich mir wie du bist, laß fallen die Vorhänge, daß ich sehe meinen Eurial.« – Und als er nun die Unlust der Kleider abgezogen, schien er darnach in Carmesinsamt mit Golde gleich einem Fürsten und eilte darauf schnell zu gehn in das Amt und die Wirkung der Liebe. – Da klopfte Sosias an die Tür [146] und sprach: »Hütet euch, ihr liebhabenden Menschen, Menelaus kommt eilend, ich weiß nicht, was er sucht.« Da sprach Lukrezie: »Es ist ein heimlich Behältnis unter meinem Bette, allda sind kostbare Kleinodien drin, da wirst du auch sicher sein; aber hüte dich, daß du dich nicht bewegest, räuspelst oder hustest.« – Eurial war zweifelhaft, was er tun sollte, aber doch tat er nach der Frauen Gebot. Und als sie die Tür wieder aufgetan, ging sie wieder zu ihrer Arbeit in Seide. Da kam Menelaus mit Berthus und suchten einige Briefe zu der Stadt gemeinem Nutzen, und als solche Briefe in keinem Schreine, Kruke oder Kiste gefunden, sagte Menelaus: »Sind sie vielleicht in unserm geheimen Behältnis unter dem Bette, Lukrezie bring Licht, wir wollen darin suchen.« Eurial erschrak und ward krank und aller Kräfte entsetzt und hub jetzt an Lukrezien zu hassen, und redete in sich selbst also und sprach: Wehe mir Toren, wer hat mich gezwungen herzukommen, denn meine Leichtigkeit. Nun bin ich ergriffen, komme um meine Ehre und um des Kaisers Gnade. Aber was klag ich des Kaisers Gnade? Ich muß gewiß sterben. Will Gottes Hülfe mich hier erlösen, so soll mich keine Liebe wieder umstricken und fahen. Lukrezia hat mich nicht lieb gehabt, sondern als einen Hirsch in ein Netz gelockt. Gott schone meiner Jugend. – Doch Lukrezie war nicht minder in kümmerlicher Angst, aber in solchen Sachen ist der Frauen Verstand gach und schnell, sie sprach: »Lieber Mann, da ist ein Lädlein oben am Fenster, ich bin eingedenk, daß ich etliche Briefe vorzeiten dahingelegt, ich will zusehen ob sie allda noch liegen.« – Und lief hin und schloß das Lädlein auf und ließ es heimlich oben herab aus dem Fenster fallen und rief dann: »O weh lieber Mann, lauf daß wir nicht Schaden haben, daß wir nicht Brief und Kleinodien verlieren, ich will oben zusehen, daß keiner etwas davon nimmt.« – Menelaus und Berthus liefen eilig herab auf die Gasse, das Haus war aber hoch, so daß Eurial Zeit genug hatte seinen Ort zu ändern und sich in einem andern Behältnis zu verbergen. Als sie aber jene Briefe und Kleinodien aufgelesen hatten, aber die rechten Schriften nicht fanden, gingen sie zu dem Behältnis, worin Eurial gelegen, und als sie daselbst gefunden hatten, was sie begehrten, so fanden sie auch, daß es ganz warm darin wäre, darüber hielt Berthus einige Schimpfreden an Lukrezien, von wegen des Ehebettes, das darüber stand, auch wollte sie Menelaus freundlich umhalsen, was [147] sie aber in Vorwand der Geschäfte von sich wies. Und da gnadeten sie Lukrezien und gingen weg; Berthus aber stieß noch mit seiner Degenspitze an das Behältnis, wo Eurial verborgen, daß er ein Astloch einstieß, also daß es beinahe mußte aufgeschlossen werden um den Degen ohne Schaden auszuziehen. Als aber Lukrezie den Riegel vor die Tür geschoben, redete sie: »Geh hervor, mein einziges Gemüt, geh hervor du höchste Freude, du Auswahl aller Kurzweilung, jetzt ist unsre Rede ein offnes freies Feld, jetzt ist in unserm Umfahen ein sichrer Staat; das Glück wollte uns widerwärtig sein, aber Gott hat nicht wollen so treue Liebe verlassen, komm in meine Arme du meine Lilie und Rose. Was bedenkst du dich und umfahe deine Lukrezie.« – Eurial entledigte sich zuletzt der Furcht, ging hervor Lukrezien zu umfahen und sprach: »Kein solcher Schrecken ist mir je begegnet, aber du bist würdig deinetwegen solches zu leiden. Es wäre auch nicht billig, sollte ich so süßes Küssen umsonst haben und nicht zu teuer ist es erkauft. Wenn ich nach dem Tode tausendmal lebendig werden könnte, tausendmal möchte ich so sterben. O mein Glück, du bist kein Gespenst und kein Traum, weder hab ich dich betrogen, noch bin ich betrogen. Aber zwar du bist's, Lukrezia, bekleidet mit einem dünnen Gewande, das ohne Falten deinem Leibe anliegt zum schönen Erkennen, dabei der schneeweiße Schein deiner Kehle, das Licht der Augen wie Sonnenglanz, dein Antlitz fröhlich und mutig, das Gelächter in deinem Munde süß, lieblich und mäßig; jetzt nehmen wir zusammen die Frucht der Liebe.« – Die Frau widerstand ihm und sprach: daß er solle hüten ihre Ehre, da sie nichts anders begehre denn freundlich Reden und Küssen. Eurial schmollte: »Töricht ist es ohne Werk bösen Leumund einzugehn.« – »Ach«, sprach Lukrezie, »es ist Sünd!« – »Es ist Sünd«, sprach Eurial, »des Guten nicht zu brauchen, so man wohl tun mag.« – Also siegte er, ohne daß ihm die Frau widerstanden; die Liebe gab ihnen keine Sättigung, sondern Durst, aber Eurial war eingedenk der Sorgen, darum schied er ab ohne Lukreziens Willen. Und als Eurial heimging als Kornträger, wunderte er sich selbst und redete in sich: O daß mir jetzt der Kaiser käme und mich würde erkennen? Wie würde er mein spotten in diesen Kleidern? Er hörte nicht auf bis er wüßte, was ich damit getan, aber ich erdächte, wie ich bei einer andern Frau gewesen, denn er diese selbst auch lieb hat.
[148] Da er so mit sich selbst redete, sah er Stephan, Michael und Achat, seine Diener neben sich vorüberstreichen, die ihn nicht erkannten; so kam er in seine Herberge und legte die Kleider ab. Da dachte er nach über den Handel und alle Gefahr: Weh mir, das hat mein Vater mir unterwiesen, daß ich mich auf keiner Frauen Treue verlassen solle. Aber Lukrezie kann liebhaben, sie hat mir das Leben erhalten, ihr gehört es nun; aus dem verschloßnen Hause wäre kein Ausgang gewesen. Du hast meines Lebens Macht und meines Sterbens Gewalt! O weiße Brust, o süße Zung, o behende Vernunft, o Marmorglieder, wann soll ich euch wiedersehen! »Achat«, rief er, »es ist gar nichts, was du an dieser Frau Schönes gesehen, wollt Gott du wärst bei mir gewesen, so schön ist sie über alles Erwarten, meine Freude ist größer gewesen als mit Worten zu sagen.« – Doch Lukreziens Freude war viel minder, da sie verschwiegener sein mußte ihres Glücks und niemand durfte vertrauen, denn vor Scham sie dem Sosias die Dinge auch nicht sagen durfte.
Zu der Zeit begab es sich, daß Bakter, ein Reisiger von edlem Geschlechte Lukrezien anhub lieb zu haben und weil er hübsch war, meinte er auch wiederum von ihr liebgehabt zu werden und daß nur ihre Scham ihm widerstünde; sie aber tät alle Männer mit gütigem Angesicht lieblich ansehen. – Die Frauen in Siena sind gewohnt das Kirchlein der hochgelobten Jungfrau, Bethlehem genannt, oft zu suchen; dahin ging auch Lukrezie mit zween Jungfrauen und einem alten Weibe. Bakter folgte ihr nach in seiner Hand Violblumen mit verguldeten Blättern tragend, in deren Stiel er einen Buhlbrief hätte verborgen, die bot er ihr; Lukrezie wollte es aber nicht empfahen. Darzu ein altes Weib redete: »Nimm hin Fraue, was fürchtest du dich, wo keine Furcht ist, es ist ja klein, womit du diesen Ritter magst beruhigen.« Lukrezie folgte dem alten Weibe und empfing den Violenstrauß, und als sie ein klein wenig fürbaß gingen, gab sie ihn einer Jungfrauen. Der begegneten zwei Studenten, die erbaten sich die Blumen und fanden den Buhlbrief. Das Volk der Studenten war vorher unsern Frauen fast lieb gewesen, bis des Kaisers Hof nach Siena kam, da wurde dieses Volk verhaßt und verspottet, und den Frauen gefiel mehr das Geräusch der Harnische als die Höflichkeit der Zuschriften; hievon entstand viel Neid und Zwietracht, die langen Mäntel und kurzen Kappen suchten allwege den reisigen kurzen Kleidern zu schaden. Darum als die List des [149] Violenstraußes offen ward, gingen sie zu Menelaus, der den Brief las, nach Haus lief, und es mit Geschrei erfüllte. Die Hausfrau leugnete, daß sie Schuld habe, erzählte und ließ das alte Weib zeugen. Man geht zum Kaiser, beschickt eine Klage, Bakter wird gerufen, derselbe begehret Gnade und schwöret mit einem Eide, daß er fürhin mit Lukrezien nie mehr Buhlschaft suchen wolle, aber so viel mehr es ihm nun verboten, als viel fleißiger hing er nun diesen fruchtlosen Liebesflammen nach. Es kam der Winter, der die warmen Winde entließ und die kalten Borne verschloß. Der Himmel warf Schnee in die Gassen und die Jünglinge warfen Schneebälle in die Fenster. Bakter schloß einen andern Buhlbrief in einen Schneeball und warf ihn öffentlich in Lukreziens Fenster. Das gemeine Leben des Menschen bedarf des Glückes Gunst; das widerstrebende Glück führte den Schneeballen statt in die Hände der Lukrezie an ein Feuer, der Schnee schmolz, da lag der Brief offen vor Menelaus und einigen alten Weibern, dadurch entstand eine heftige Verfolgung gegen Bakter, der dieser durch die Flucht entging. Diese Liebschaft kam dem Eurial zunutze, weil Menelaus immer auf jene Acht hatte; darum ist so schwer zu bewahren, was von vielen wird lieb gehabt und was von vielen wird angefochten. Diese liebhabenden Menschen, Eurial und Lukrezie, bitten jetzt nach ihrem ersten Brautlauf der andern Hochzeit beizuliegen.
Es war ein Gäßlein zwischen dem Hause der Lukrezie und ihrem Nachbarhause, wo man nachts mit quergestemmten Beinen leicht ansteigen konnte. Eurial ging in unscheinbarer Kleidung dahin, und verbarg sich nach Sosias Anleitung in dem Heu des Menelaus, das da in einem Stalle lag. Da kam Dromo, ein andrer Knecht des Menelaus und nahm Heu mit der Gabel von Eurials Seite und hätte auch noch mehr genommen und Eurial mit der Gabel getroffen, wäre nicht Sosias hingetreten: »Bruder gib her, will schon den Rossen Futter geben, du lug nach dem Nachtessen, weil der Herr aus ist; die Frau ist besser als er, die ist fröhlich und mild.« »Ja«, sagte Dromo, »zu keiner Zeit uns wohl ist, so der Herr hier ist, und leidet selbst Hunger, um uns mit Hunger zu peinigen, damit wir die verschimmelten Brotstücken essen.« Und Sosias sprach: »Die Faden des Lauchs zeichnet er, und die kleinen Fische in der Brühe mit Zwiebeln zieht er einen ganzen Monat herum. Wie viel besser ist die Frau.« »Ich will ordentlich fürsehen«, sagte Dromo, [150] »und den Tisch statt der Pferde striegeln, der Herr hat mit mir kein Wort geredet, als ich ihn heute aufs Land bracht, als daß er diese Nacht nicht zu Hause käme. Ich hätt mir längst einen andern Dienst gesucht, wenn mich nicht die Frau mit ihren Morgensuppen hätte behalten. Diese Nacht wollen wir alles verzehren, was der Herr spart.« – Eurial hörte das gern; ob er wohl dachte, daß es seine Knechte jetzt eben so auch ihm machten. Da ging Dromo fort und Eurial stieg mit Sosias Hülfe die Mauer hinauf, als die Stunde gekommen. Lukrezie saß allein am Feuer und wartete sein mit Speise und Trank, so sah er sie durchs Fenster und stieg in ihre offenen Arme. Da ging es Kuß um Kuß und mit vollen Segeln zur Liebe, und das Schiff war freundliche Speisung und Trinken. Aber kaum hatten sie eine fröhliche Stunde gehabt, da kam Sosias, die Wiederkehr des Menelaus verkündend, Eurial suchte mit der Flucht zu entkommen. Lukrezie, nachdem sie den Tisch versteckt, trat sie dem Mann entgegen. »O lieber Mann, wie bist du so recht gekommen! Was machtest du so lange auf dem Lande? Immer fürcht ich, daß du eine andere lieb habest. Komm und iß zu Nacht, ehe wir schlafen gehen.« – Dies war in dem Saale, da das Hausgesinde war gewohnt zu essen, doch Menelaus hatte auf dem Lande gegessen und wollte gleich schlafen gehen. »Du hast mich nicht lieb«, sagte Lukrezie, »seit du ausgewesen, hab ich nicht gegessen noch getrunken; die Meier von Vesalia haben guten Trebianer gebracht, komm mit in den Keller und versuch, ob er süß sei.« – Und nachdem sie das geredet, nahm sie eine Laterne in die rechte, den Mann an die linke Hand und ging in den untersten Keller und versuchte und trank so lange, bald aus diesem bald aus jenem Fasse, bis Eurial sicher davon gekommen wäre, und ging also zuletzt mit ihrem Manne zum unwilligen Schlafe. Eurial kam um Mitternacht heim, des andern Tags sah er das Fenster zugeschlagen mit Brettern, denn wie er die Gelegenheit bald gefunden, so fand der Mann auch bald die Sorge darum. So war die Nacht verdorben und auch die Gelegenheit zum Gespräche, und Blicke und Briefe blieben ihnen allein wie beim Anfange ihrer Buhlschaft.
Endlich berief Eurial auf Anregung Lukreziens den Pandal, des Menelaus Schwestersohn zu sich, ging mit ihm in ein entferntes Gemach und sagte ihm: »Sitz nieder, ich habe dir eine große Sache zu vertrauen, doch weil du fromm und treu bist, so hab ich dich[151] lieb und ich weiß durch meine Diener, mit denen du in Freundschaft gekommen, daß auch du mir geneigt bist.« – Pandal erfreute sich höflich dieser Ehre und da erzählte ihm Eurial von der Macht der Liebe nach alten Erzählungen der Heiden, endlich von sich und Lukrezia, dann fuhr er fort: »Ich bin hold geworden Lukrezien und habe sie innerlich lieb, und das ist nicht meine Schuld, sondern Schickung des Glücks, in dessen Hand die Welt steht. Andre Frauen reizen wohl die Männer dazu, aber ich meinte, als ich ihre Augen angesehen, daß mir wohl nie geziemen werde, sie zu lieben, nun suchen wir beide einerlei Arznei um unser Leben zu retten; Bruder hilf, schaff daß wir nur einmal zusammenkommen mögen, der Drache bewacht das goldne Vlies nicht so strenge, wie Menelaus und sein Bruder die Frau. Komme deinem Blute, komme deinem Bruder zu Rate, so verheiß ich dir bei meiner Treu, daß du zum Pfalzgrafen mit allen deinen Nachkommen gemacht werden sollst.« – Als Pandal dies gehöret, schmollte er ein wenig, dann redet er: »Ich habe diese Dinge lange gemerkt, wollte Gott sie wären nie geschehen; ich will keinen Dank von dir, was ich tue geschieht, um die Ehre unsres Geschlechts zu erhalten. Ich weiß, daß Lukrezien nicht mehr zu raten ist, die sonst so keusch und weise vor allen andern war. Du sollst durch meine Hülfe heimlich zu ihr kommen.« – »Gott behüt dich«, antwortet Eurial, »es sei wie es will, mein Dank bleibt dir doch und der hohe Titel.« – Pandal schied mit dem Versprechen alles zu vollbringen und je weniger er sich stellte, als ob er der Würde achte, desto mehr ergötzte sie ihn und die Freundschaft eines so angesehenen Mannes. Gar manchem gefällt der Spruch: »Woher du das habest, fragt niemand, sondern wie viel hast du, fragt jeder«; und so alle Kisten voll sind, so begehrt man des Adels, der also erlangt, nichts anders als eine Belohnung der Bosheit ist. Unser Pandal ist es mit üppigen Werken der Buhlerei geworden, seine Söhne wissen nichts mehr davon.
Wenige Tage nach diesem Gespräch war ein Streit unter den Bauern, daß Menelaus hinauskommen sollte, ihn zu schlichten. Da sprach Lukrezie: »Mein Mann du bist ein schwerer Mensch und blöde deines Leibes, und traben deine Pferde hart, warum entlehnst du nicht etwa einen Zelter?« – Und als er darauf fragte, wo man einen fände, antwortete Pandal: »Irre ich nicht, so hat Eurial einen fast guten, willst du, so will ich ihn darum bitten.« – »Bitt ihn«, [152] sprach Menelaus. Eurial aber gebeten, hieß den Zelter gleich hinführen und nahm das zu einem Zeichen künftiger Freuden und redete in sich selbst heimlich: Du steigest auf mein Roß, Menelaus, du steigst auf mein Roß ha ha! – Um fünf Uhr sollte Eurial in der Gasse sein, und gute Hoffnung haben. Menelaus war fort, der Nacht Finsternis überzog den Himmel, die Frau wartete in ihrer Schlafkammer des Zeichens, und hörte doch weder Gesang, noch ein Räuspern. Die Stunde war vorgerückt und Achat riet dem Eurial, daß er hinwegziehe, sie wären betrogen. Es ward dem Liebhaber schwer zu scheiden und doch hörte er den Pandal nicht singen. Pandal sang nicht, denn Menelaus Bruder war in dem Hause geblieben und durchsuchte alle Irrgänge, daß keine Untreue geschehen möchte. Zu ihm sprach Pandal: »Wollen wir diese Nacht nicht schlafen gehen, es drückt mir in den Augen, du hast glaube ich die trockne Eigenschaft der Alten, die nicht eher schlafen, bis der Wagen sich zur Mitternachtsseite senkt.« – »So gehen wir«, sprach Agamemnon, »weil es dir so bedünkt, doch gebührt sich vor, die Türen zu besehen.« – Er schloß die Haustür und tat den Riegel vor und wollte auch ein großes Eisen vorlegen, das ein Mann nicht heben mochte. Da dachte Pandal: Nun ist es aus, legt er mir dieses Eisen vor, und sprach zu ihm: »Sind wir nicht sicher in der Stadt? Für Diebe ist es genug beschlossen und für Feinde hilft es doch nicht, ich bin müde und mag mich mit dem Gewichte nicht beladen, darum heb es selbst, oder laß es liegen.« – »Ade mit guter Nacht«, sprach Agamemnon und ging schlafen. Eurial, als er dieses gehorchet, sagte zu Achat: »Ich will noch bleiben eine Stunde.« – Achat fluchte heimlich des langen Wartens, doch bald sahen sie Lukrezien mit einem Lichte durch die Türritze, durch die ihr Eurial leise zurief: »Gott grüß dich mein herziges Gemüt, Lukrezia.« – Aber sie erschrak und wäre beinahe entflohen, darnach sprach sie: »Wer bist du?« Und ob sie schon seine Stimme erkannte, mußte er ihr doch ein heimlich Wortzeichen geben, dann tät sie mit großer Arbeit das Schloß aufdrehen und die Riegel zurückschieben, konnte aber die Türe nur einen halben Schuh weit auftun. »Das soll nicht irren«, sprach Eurial, und seinen Leib ausziehend, schob er erst die rechte Seite vor und drängte sich zu ihr ins Haus, und tät die Frau inmitten umfassen. Achat blieb draußen auf der Wacht. Aber Lukrezia ward von Furcht und Freude in Eurials Armen ohnmächtig [153] und verlor die Rede und mit geschloßnen Augen ward sie gleich einem toten Menschen, nur Wärme und Pulsschlag blieben ihr. Eurial dachte in sich nach dem ersten Schrecken: Geh ich, so bin ich schuldig an ihrem Tode, daß ich sie in solchem Zustande verlassen, bleib ich, so wird Agamemnon kommen, und ich muß sterben und ihr ist nicht geholfen. – Kein Senf zieht so stark wie die Liebe und so überwand Liebe den Mann, daß er die Sorge des eignen Heils zurücksetzte und bei der Frau blieb. Oft küßte er das Angesicht, das von seinen Tränen naß und sprach: »Weh Lukrezia, wo bist du in dieser ganzen Welt, wo sind deine Ohren, warum gibst du mir nicht Antwort, warum hörst du mich nicht? Tu auf deine Augen, ich bitte, lach mir, als du gewohnt bist; ich bin's, Eurial, dein Herzblut, warum küssest du mich nicht wiederum. Bist du tot, oder schläfst du? Wenn du sterben wolltest, warum hast du mich nicht vorher getötet. Hörst du mich, sieh, dies Schwert soll mir und dir einen gleichen Ausgang bahnen.« – Als er dies redet, floß ein Bach seiner Tränen über die Schlagadern der Ohnmächtigen, wodurch sie, wie durch Rosenwasser erwecket wurde, wie aus einem schweren Traume aufwachte und ihren Liebhaber ansehend sprach: »Weh mir, Eurial, wo bin ich gewesen, warum hast du mich nicht lassen sterben, ehe du abschiedest von dieser Stadt, ich wäre doch selig gestorben in deinen Händen.« – »Besinne dich«, sprach ihr Eurial zu, »ich bin noch hier und bei dir.« – Und da gingen sie in die Schlafkammer. O schöne Nacht, da Paris auf dem Schiffe die geraubte Helena heimführte, wer mag die Decke der schwarzen Nacht aufheben und die Heimlichkeit beschauen, die wir nie gesehen um alles schöner zu finden, als wir gemeint hätten; greif ich doch nichts, hab ich doch nichts. O Apollo laß deine Rosse noch ein Mundvoll Gras essen; nie war eine Nacht kürzer, ob ich gleich in Britannien gewesen. O Fröhlichkeit nach dem Streite, wie Anteus aus dem Erdreich stärker wieder aufstand, so stand Eurial auf, als die Morgenröte ihr Haupt aus dem Ozean erhob, wäre er bei ihr gewesen, sie hätte es nicht so früh erhoben. Aber er mußte fort von Lukrezien, so gebot es das Glück.
Indessen war der Kaiser mit dem Papst Eugen in Übereinkunft und eilte hin gen Rom, Lukrezia merkte bald die nahe Abreise des Eurials, wer möchte einen liebhabenden Menschen betrügen, sie schrieb an ihn:
[154] »Mein Gemüt möchte Dir zürnen, daß Du mir verhalten hast, wie Du hinweg willst, aber mein Geist liebet Dich mehr als mich, und mag nicht wider Dich bewegt werden. Wo bleib ich? Wen ruf ich? So Du mich verlassen, lebe ich nicht zwei Tage. Ich lösche diesen Brief aus mit meinen Tränen. Ich bitte Dich bei Deiner rechten Hand und Deiner gegebenen Treue, ist Dir je von mir Süßes geschehen, erbarme Dich über mich, Deine unselige Liebhaberin. Ich bitte nicht, daß Du bleibest, aber nimm mich mit Dir. Ich will tun zur Vesperzeit, als ob ich gen Bethlehem gehen wollte und ein einzig altes Weib mit mir nehmen, da sollst Du mit zwei oder drei Deiner Diener sein, die mich hinweg führen. Es ist keine schwere Sache eine Frau wegzuführen, die willig ist, so wirst Du zu keinen Unehren kommen, auch tust Du meinem Mann kein Unrecht, da er mich sonst verlieren müßte, denn so Du mich nicht hinführest und hinwegnimmst, so nimmt mich der Tod. Aber nicht wollest sein ein Wüterich!«
Hierauf antwortete Eurial: »Ich habe meine Abreise verschwiegen, weil ich Deine Weise kenne, Du würdest Dich allzuviel peinigen. Der Kaiser scheidet nicht also hinweg, daß er nicht mehr wiederkäme; hier geht unser Weg in die Heimat zurück und ob der Kaiser auch einen andern Weg ritte, so sollst Du mich doch sehen. Gott wolle mich nimmer lassen heimkommen, so ich nicht wiederum herkomme. Als Du schreibest, daß ich Dich sollte fahen und hinwegführen, so wäre das meine größte Wollust, Dich allwege bei mir zu haben, es gebührt sich aber mehr zu raten Deiner Ehre als meiner Begierde, das heischet die Treu, womit Du mich umfangen. Du bist edel und einem edlen Geschlechte vermählt, Du hast einen guten Namen bei Welschen und Deutschen, raubte ich Dich, so täte es mir keine Unehre, aber zu welchen Unehren brächtest Du die Deinen, in wie viel Schmerzen Deine Mutter. Nun ist unsre Liebe noch geheim, jedermann lobt Dich. Aber lassen wir gehen den Leumund, so möchten wir doch nicht unsrer Liebe gebrauchen. Ich diene dem Kaiser, der hat mich zu einem Mann gemacht, gewaltig und reich, und ich möchte nicht von ihm kommen ohne Zerstörung meines Standes, verlöre ich ihn, so möchte ich Dich nicht ziemlich gehalten. Alle Tage verwandeln wir unsre Läger und nirgend wird uns so viel Bleibens sein als hier in Siena; soll ich Dich umführen und als eine öffentliche Fraue im Lager haben. [155] Darum kehre mitleidig Vernunft vor, denke welche Unehre Dir und mir würde daraus entsprießen. Viel andre Liebhaber würden Dich hinwegführen, aber das ist kein rechter, der mehr seinen Begierden folgt als seiner Ehre. Meine Lukrezie, ich rate Dir was nutz und gut ist, ich bitt Dich bleib hier und habe keinen Zweifel, daß ich wiederkomme. Gott behüt Dich süße Speise meiner Seele, leb und hab mich lieb, und glaub, daß mein Feuer und mein Schmerz nicht kleiner als der Deine.« Die Frau schrieb ihm wieder, daß sie seinen Geboten und Unterweisung nachkommen wollte.
Nach wenig Tagen ritt Eurial mit dem Kaiser gen Rom, da trat ihn, der von Liebe schon brannte, noch das Fieber an, da ward sein Leben kaum erhalten durch die Ärzte. Der Kaiser kam täglich zu ihm wie zu seinem Sohn, und als er wieder aufkam, wohnte er der kaiserlichen Krönung bei und empfing die Ritterschaft und einen güldnen Sporn. Darnach als der Kaiser nach Parma ritt, blieb er noch nicht ganz genesen zu Rom und kam dann nach Siena krank und in seinem Angesichte dürr und verzehrt, er konnte Lukrezien sehen, aber anreden durfte er sie nicht; viel Briefe sind zwischen ihnen gesandt und zuletzt vom Scheiden gehandelt worden; drei Tage blieb er. Es ist nie soviel Süßigkeit, Freude und Kurzweile gewesen in ihrer beider freundlicher Beiwohnung als viel in dem Scheiden gewesen ist des Leides, Kummers und der Schmerzen. Lukrezie war im Fenster, Eurial ritt jetzt durch die Gasse und da sahen sie einander in die nassen Augen, als wären sie an einander fest gezogen von einem hellen Strahle. Wer nicht wüßte, was große Schmerzen, der betrachte zweier liebhabenden Menschen Scheiden. Unsre Frau, als Eurial ihr kam aus den Augen, fiel auf den Boden hin und mußte in ihre Schlafkammer getragen werden, bis sie einen Geist wiederum haben mochte, und da war es ihr, als wenn sie von Eurial wieder erweckt würde, wie damals in jener Nacht. Und als sie wieder zu sich kam, beschloß sie alle goldne Purpurkleider und freudige Zierde abzulegen, nimmermehr hörte man sie nachher singen oder lachen und kein Scherz mochte sie bewegen. Und als sie also lange geharret, fiel sie in eine Krankheit und weil ihr Herz nicht bei ihr, sondern von ihr war, und ihrem Gemüt keinen Trost geben konnte, hat sie in den Armen ihrer Mutter, die viel weinte und um sonst viel tröstliche Worte gebrauchte, ihren Geist aufgegeben. Eurial aber, als er kam aus ihren Augen, hat auf dem Wege mit [156] niemand geredet, er trug Lukrezien in seinem ganzen Gemüte, und gedachte ob er jemals wieder zu ihr kommen möchte; er folgte dem Kaiser nach Hungarn und Böhmen, aber wie er dem Kaiser nachfolgte, so folgte ihm Lukrezie nach im Traume, ließ ihm keine Nacht Ruhe. Und als er vernahm, wie sie gestorben, nahm er an leidsame Kleider und von niemand Tröstung, als lang bis ihm der Kaiser eine hübsche Jungfrau, aus herzoglichem Blute geboren, keusch und weise ins Ehebett vermählte. – Welche dieses lesen, wollen lernen sich zu warnen.
Der allgemeine Eindruck summte nach wie der letzte Akkord im Resonanzboden; was soll ich die einzelnen Äußerungen wiederholen, jeder Leser hat ja auch Eingeweide zum Fühlen und seinen eigensinnigen Kopf, auch wurde bald sehr ernsthaft moralisch über die Handelnden gesprochen, wer recht, wer unrecht getan. Die Männer waren strenger als die Frauen. So kamen wir allmählich darauf, die Geschichte des Kanzlers mit seiner jungen Frau, die dort nicht erzählt, auszubilden, es schien uns ganz unleidlich, wenn er Lukrezien eigentlich vergessen könnte, er müsse jetzt ganz dem Staate leben und eine vornehme Ehe führen, doch in der Art, daß seine junge Frau ihm doch sehr ergeben bliebe, weil er sehr schön bleibe. Bald erlaubten wir ihm zur Erholung eine Reise nach Italien, er vertraut jener Frau den ganzen Handel, sie liebt ihn um so mehr, weil er das Leben der schönsten Frau gekostet, sie kommen zu ihrem Grabe, der Gesandte zeichnete es mit der gotischen Kapelle, es war ein einfacher Stein, auf dem die Frau ausgestreckt liegt, der Kanzler steht daneben in sich versunken und seine Frau hält eine Fackel. Der Invalide machte dazu mehrere Unterschriften, scherzend, zotenhaft und traurig, ich will nur die letzte abschreiben; er meinte, es fehle ihr gerade wie ihm manches Bein, dafür hätte sie auch ein Herz zu wenig, weil er einmal zu viel Herz gehabt, und zu viel Sinn, weil er zu wenig seiner Sinne mächtig gewesen. Wer kann immer Humoristen verstehen, das ist in dieser Zeit allzu umständlich; doch hier die Inschrift: